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Es war ein besonderer Plan, den Justine Cavallo ausgeheckt hatte. Um sich und ihre Artgenossen immer mit Blut versorgen zu können, wollte sie an bestimmten Orten Reserven anlegen.
Die Cavallo hatte sich jemanden besorgt, der ihr die Aufgabe abnahm, das Blut von unschuldigen Menschen zu besorgen ...
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Seitenzahl: 126
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Bluternte
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: DelNido/Norma
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-3657-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Bluternte
Sommerliche Nebelschwaden am Abend empfingen mich, als ich aus meinem Rover stieg.
Es war kühl geworden, die reine Luft roch trotzdem nach Regen und nicht nach Tod, wie man mir versprochen und ich es auch erwartet hatte. Ich schlug die Wagentür zu und drehte den Kopf nach rechts. Dort lag der Grund meines Besuchs.
Es war ein altes Gemäuer. Auf den ersten Blick zumindest. Wer etwas über dieses Gebäude wusste, der kannte auch seine Geschichte. Es hatte vor nicht allzu langer Zeit als Kirche oder Treffpunkt für eine besondere Gemeinde gedient. Dort waren Rituale gefeiert worden. Da war von lebenden Toten die Rede gewesen, von Gestalten, die einfach nur grauenhaft waren und in den Bereich des puren Horrors gehörten …
Aber das lag zurück. Man hätte sich auch nicht mehr darum gekümmert, wenn es nicht gewisse Vorfälle gegeben hätte, die schon nachdenklich machten.
Da sollte erneut gefeiert werden. Der Orden war wieder aktiviert worden. Man hatte eine neue Gemeinde gefunden, um da weiter zu machen, wo man aufgehört hatte.
Der Meinung war nicht jeder. Einige schon, die jedoch sprachen nicht laut darüber. Bis auf einen Mann. Er hieß Lambert Wilson und war mal ein Pfarrer gewesen. Dann hatte er sich mit der Amtskirche überworfen und war aus seinem Dienst entlassen worden.
Aber wie das so ist im Leben. Einmal einen bestimmten Beruf ergriffen und ihn mit Leidenschaft ausgeführt, der war, wenn es vorbei war, nicht so leicht abzulegen.
So war es auch Lambert Wilson ergangen. Er fühlte sich noch immer an seinen ehemaligen Arbeitgeber gebunden. Das sahen auch andere Gläubige so, die, wenn sie Kontakt mit der Kirche suchten, sich an Lambert Wilson wandten. Und der hatte sich an Scotland Yard gewandt und es geschafft, Sir James Powell zu überzeugen. Und der hatte mir den Auftrag gegeben, mich mit Wilson in Verbindung zu setzen. Deshalb hatte ich mich hierher begeben.
Eigentlich hätte Wilson längst hier sein müssen, denn wir waren zu einer bestimmten Uhrzeit verabredet. Aber er kam nicht. Oder doch?
Ich sah auf meinem Weg jemanden, der ein Zweirad fuhr. Es war kein Fahrrad, sondern so etwas wie ein Mofa, das nicht eben das schnellste Fortbewegungsmittel war.
Den Weg war ich mit meinem Rover nicht gefahren. Ich hatte eine andere Strecke genommen, aber der Mann hatte sich wohl für eine Abkürzung entschieden.
Ich wartete. Verkürzte mir die Zeit, indem ich einige Grashalme ausriss und sie wieder fortwarf. Dann wurde das Knattern lauter, und ich sah, dass der Mann auf den Weg einbog, auf dem ich stand.
Er fuhr auf mich zu, bremste dann, stieg ab und bockte sein Gefährt auf.
Dann lachte er und streckte mir seinen Arm entgegen. »Sie sind John Sinclair.«
»Stimmt. Wenn Sie Lambert Wilson sind.«
»Das bin ich in Lebensgröße.« Er kam auf mich zu, und wir klatschten uns zur Begrüßung ab.
»Prima, dass wir uns gefunden haben.«
»Finde ich auch.«
Er winkte ab. »Wir sollten nicht so förmlich sein. Schließlich sind wir seit Adam und Eva verwandt.«
Ich musste grinsen. »Wenn Sie das so sehen, ist das okay. Ich heiße John.«
»Super. Und du kannst Lambert sagen, nur nicht Lambi, das hört sich blöd an.«
»Wie du willst.« Ich freute mich, dass Lambert so locker war. Er war ein Mann um die fünfzig. Er hatte ein glattes Gesicht, in dem die etwas schief sitzende Nase auffiel und auch die großen Ohren, die flach am Kopf anlagen. Sein Haar war flachsblond und nach hinten gekämmt. Erst beim zweiten Hinsehen entdeckte ich auf seiner Oberlippe den dünnen Schnäuzer. Bekleidet war er mit einer rötlichen Lederjacke und blauen Jeans.
Ich streckte den Daumen und deutete auf den Steinbau. »Ist das unser Ziel?«
Wilson nickte. »Ja, das ist es. Dieser verfluchte gottlose Bau, den Menschen Kirche genannt haben oder noch immer nennen. Für mich ist er widerlich.«
»Warum?«
Wilson schaute mich an und nickte. »Jetzt kommen wir zum Punkt. Ich bin fest davon überzeugt, dass die alten Praktiken wieder aufgenommen wurden.«
»Okay. Und von wem?«
»Das werden wir noch herausfinden.« Er nickte mir zu. »Deshalb bist du hier, John.«
»Dann weißt du auch, wer ich bin und womit ich mich beschäftige.«
Er deutete auf das Gemäuer. »Die Kirche wollte mich nicht mehr. Sie entließ mich, weil ich zu sehr gewarnt habe.«
»Inwiefern?«
Er lachte und winkte ab. »Das wirst du kaum glauben. Aber unsere offene Kirche, die ja tolerant ist, wollte mich plötzlich nicht haben. Man riet mir, den Posten zur Verfügung zu stellen oder mich wieder zu fügen.«
»Was heißt das?«
Er rieb seine Hände. »Ich habe abgelehnt. Außerdem ist dieser Bau nicht mehr die Kirche, er steht leer. Dass früher dort Messen gefeiert wurden, ist längst in Vergessenheit geraten. Unsere Kirche befindet sich jetzt im Ort, aber diese hier ist ein Hort des Bösen.«
»Okay, ich habe verstanden. Aber sag du mir bitte, was ich tun soll. Warum bin ich hier?«
»Um dem Spuk ein Ende zu machen.«
»Aha. Und um welchen Spuk handelt es sich?«
Lambert trat näher an mich heran. Er antwortete nur leise, als hätte er Angst davor, dass uns jemand zuhörte.
»Sie sind wieder da, John, das weiß ich. Sie feiern dort ihre Blutbeute und huldigen dem Teufel. Ich sah auch, dass ein Mann die ehemalige Kirche verließ und dabei lachte. Er hatte einen riesigen Spaß.«
»Bekannt?«
»Ich weiß, wer er ist.«
»Und?«
»Er lebt im Ort.« Der ehemalige Pfarrer lachte. »Dort wohnen viele Menschen, die nicht unbedingt einer Meinung sind. Da gab es schon einige Probleme. Die einen möchte ich als normal bezeichnen …«
»Und die anderen als unnormal«, sagte ich.
»So ist es.«
»Und wer aus dem Ort steht unter einem besonderen Verdacht?«
»Ich will keinen anschwärzen, John. Ich bin der Meinung, dass jemand von der anderen Seite kräftig mitmischen wird.«
»Das ist auch so oder kann so sein.« Ich lächelte. »So einfach werden wir ihnen das Feld nicht überlassen.«
»Das habe ich hören wollen.«
Ich schlug ihm auf die Schultern. »Dann komm.«
Er nickte, schaute dann auf das alte Gebäude, dem die Natur einen grünen Schimmer gegeben hatte. Wilson hatte sich Gedanken gemacht.
»Meinst du, dass sie einen anderen Weg gehen?«, fragte ich.
»Ja.«
»Dann wollen wir uns mal überraschen lassen …«
***
Ja, das würde so sein. Da war ich mir sicher. Außerdem gehörten Überraschungen zu meinem Job. Das konnten sowohl positive als auch negative sein.
Der Weg war nicht weit. Etwa hundert Meter. Lambert Wilson ging neben mir her. Seinen Kopf hatte er leicht gesenkt. Trotzdem gelang mir ein Blick in sein Gesicht, das einen harten Zug aufwies. Da wirkte das Profil wie gemeißelt.
Ich war gespannt. Bisher musste ich mich nur mit Andeutungen zufriedengeben. Was dort wirklich geschah und noch geschehen würde, das blieb spannend.
Einen Weg gab es nicht. Auch keinen Pfad. Wir gingen durch das hohe Gras, das unter unseren Füßen geknickt wurde. Die Kühle des allmählich entschwindenden Tages ließ auch einen gewissen Geruch zurück, den es nur in der freien Natur gab. Da roch das Gras so wunderbar intensiv und es füllte meine Nase.
Lambert Wilson hörte mein Atemholen. »Was ist los?«, fragte er.
»Ganz einfach. Ich genieße dieses wunderbare Aroma in der Luft. Das mag ich gern.«
»Ja, das akzeptiere ich.« Er schlug mir auf die Schulter. »Ich nehme es nicht mehr wahr. Das liegt wohl daran, dass ich es gewohnt bin, weil ich hier lebe.«
»Das kann sein.« Ich kam wieder auf das Thema zu sprechen, mit dem wir uns beschäftigen mussten. »Hast du schon erlebt, dass in dieser Kirche ohne Turm Rituale durchgezogen wurden.«
»Nein, das habe ich nicht. Ich konnte niemanden überraschen, aber wenn ich ehrlich sein will, muss ich dir sagen, dass ich es auch nicht gewagt habe, wenn du verstehst.«
»Alles klar«, sagte ich. »Aber jetzt bin ich bei dir. Da wollen wir mal sehen, ob was läuft.«
»Immer, John.«
»Woher weißt du das?«
»Weil ich mich bis in die Nähe herangeschlichen habe. Da lag ich dann im Gras und beobachtete. Sogar ein Fernglas hatte ich bei mir. Da war alles deutlicher zu erkennen. Es gab Frauen und Männer, und beide waren keine Spaßvögel.«
»Glaubst du denn, dass wir heute noch was erleben?«
»Nein.«
»Ach? Wieso nicht?«
»Dann wäre mir schon was aufgefallen. Es ist niemand gekommen. Du hast es selbst gesehen.«
»Dann könnte noch jemand dort sein, den man vergessen hat, denke ich.«
»Vielleicht.«
Meine Bemerkung war mehr als Scherz gemeint, aber so hatte Wilson sie nicht aufgefasst. Sein Gesicht blieb starr. Er atmete schwer und schnaufend. Einige Male zog er die Nase hoch und schaute sich um.
»Ist was?«
»Ja. John.«
»Und was?«
»Ich traue dem Frieden nicht.«
»Wir werden sehen, ob sich in dieser komischen Kirche noch was abspielt.«
Wir warteten. Lambert Wilson schien Angst vor seiner eigenen Courage zu bekommen. Wäre er allein gewesen, dann hätte er sich bestimmt auf den Rückweg gemacht.
Ich aber dachte nicht daran. Auch wenn an diesem Fall nicht viel dran war und er sich als Schuss in den Ofen herausstellte, ich wollte mehr wissen.
»Dann wollen wir.«
Jetzt konnte Lambert nicht mehr zurück, ohne sich zu blamieren. Er blieb an meiner Seite, und nach wenigen Schritten hatten wir den Eingang erreicht.
Ich nickte Lambert zu. »Lass mich als Erster reingehen. Ist das okay?«
»Gern.«
Nach drei Schritten befand ich mich in dieser seltsamen Kirche, die noch im Halbdunkel lag, was gut für mich war, denn so konnte ich erkennen, wie es in diesem Innenraum aussah.
Normal – oder?
Nein, nicht normal. In einer normalen Kirche stehen die Bänke und Stühle in einer Formation. Das war hier nicht der Fall. Es gab keine Bänke und auch keine Stühle. Wer hier eine Messe gefeiert hatte, der musste stehen bleiben.
Ich suchte nach etwas. Wusste allerdings nicht, wonach ich suchte. Irgendwas musste es geben, und ich hatte allmählich das Gefühl, dass mir die Kehle eng wurde. Das konnte auch an der Luft liegen, die ich als dicht und feucht ansah.
Dann drehte ich mich um, weil ich an meinen Begleiter gedacht hatte.
Lambert Wilson hatte die Kirche noch immer nicht betreten. Er stand auf der Türschwelle und bewegte seinen Kopf hin und her.
»Was ist?«, rief ich ihm zu. »Warum kommst du nicht?«
»Ja, ja, ich wollte nur mal was nachschauen.«
»Ich bin allein.«
»Meinst du?« Er winkte ab und betrat den Bau. »In dieser Umgebung ist man nicht allein. Hier ist etwas zurückgelassen worden, über das ich lieber nicht nachdenken will. Spürst du es auch?«
»Nein.« Mit dieser Antwort hatte ich nicht gelogen. Das Spüren wäre bei mir was anderes gewesen. Da hätte ich nicht selbst reagiert, sondern mein Kreuz. Und bei ihm hatte sich nichts getan.
Es gab einen Altar, den hatte ich schon gesehen. Man konnte ihn auch als Steintisch bezeichnen oder auch als Opfertisch. Da gab es so einige Variationen.
Ich lächelte, um meinen Begleiter aufzumuntern. Dann gingen wir den Rest der Strecke und erreichten den Steintisch oder auch Altar. Aber Tisch aus Stein gefiel mir in diesem Zusammenhang besser.
Wir schauten ihn uns an und standen uns dabei gegenüber. Ich fuhr mit der Handfläche über das Gestein hinweg. Eigentlich hatte ich erwartet, über eine glatte Platte zu streichen, das war nicht der Fall. Diese hier war leicht rau. Sie wies kleine Höhen und auch kleine Tiefen auf, aber es war kein Muster zu erkennen.
»Und?«, fragte Lambert Wilson.
»Eine raue Oberfläche.«
Er nickte. »Ich bin eigentlich noch nie bis zu diesem Altar gekommen.«
»Ach? Warum nicht?«
Er verzog die Lippen. »Ich habe mich nicht getraut. Komisch, nicht wahr?«
»In der Tat. Aber warum hast du dich nicht getraut?«
Er überlegte einen Moment. Dann sagte er: »Das ist schwer zu erklären.«
»Versuche es trotzdem.«
»Ja, ja, John. Ich hatte, wenn ich diese falsche Kirche betrat, immer das Gefühl, nicht allein zu sein.«
»Sag nur. Wer hätte denn noch hier sein können?«
»Das weiß ich auch nicht.« Er verdrehte seine Augen. »Kann sein, dass es etwas anderes gewesen ist. Etwas, das wir Menschen nicht fassen können und aus einer anderen Zone stammt. Kann man das wohl so sagen?«
»Warum nicht? Wenn du es so siehst, wird es wohl so sein. Mal sehen, was daran ist. Kann sein, dass ich auch etwas merke.«
»Das hoffe ich.«
Da musste ich lachen.
Danach hörte ich die Frage. »Wie sieht es aus? Sollen wir noch hierbleiben?«
»Ja, warum nicht?« Ich machte eine ausholende Handbewegung. »Ich wollte mir die Kirche mal genauer anschauen. Wollte sie unter die Lupe nehmen.«
»Ja, das ist dein Job. Und was hast du zuerst vor?«
»Da werde ich mal Licht machen. Mir ist es hier wirklich zu finster.«
Es gab keinen Schalter, den man umdrehen musste, um Licht zu bekommen. Ich griff zum bewährten Mittel und holte meine kleine Leuchte hervor, weil ich eine bestimmte Idee in die Tat umsetzen wollte, denn mich interessierte der Tisch.
Die Leuchte hielt ich in der rechten Hand und führte den Strahl über die Länge des Altars hinweg. Das helle Licht war gnadenlos. Es riss alles aus der Dunkelheit, was sich bisher darin versteckt gehalten hatte. Damit war nur der Tisch gemeint. Und besonders das, was auf ihm klebte und seine Farbe durch das Licht sichtbar werden ließ.
Die Farbe war ein komisches Braun, das sich auf der gesamten Altarplatte verteilte. Für mich war es so etwas wie ein Beweis. Ich kannte mich aus. Es blieb nicht so, wenn es vergossen wurde. Es konnte auch eine bräunliche Farbe annehmen.
Ich war mir sicher, dass es Blut war. Und zwar das der Menschen, die hier auf dem Altar gelegen hatten. So stand ich vor einem Ort des Grauens. Es war durchaus möglich, dass man hier in dieser Einsamkeit ungestört hatte morden können.
Lambert Wilson schob sich näher an den Steintisch heran und blieben neben mir stehen.
»Und? Hast du was entdeckt?«
»Ja.« Ich deutete auf die Steinplatte. »Was man hier im Licht gut erkennen kann, sind Blutspuren der Opfer, die man hier auf dem Altar getötet hat. So sieht es aus. Für mich ist diese Kirche ein grauenvolles Mordhaus gewesen. Oder ist es immer noch.«
Wilson war skeptisch. »Ohne dass wir irgendwelche Leichen gefunden haben?«
»Das kann noch kommen, wenn wir diesen Bau hier näher unter die Lupe nehmen.«
Lambert Wilson sagte nichts mehr. Ich hörte nur, wie er ein paar Mal die Luft ausstieß. Er musste damit fertig werden, was ich ihm gesagt hatte.
Aber es kam alles anders. Meine Pläne wurden plötzlich über den Haufen geworfen.
Es begann mit einem Geräusch über unseren Köpfen. Was es genau war, das konnten wir nicht sagen. Vielleicht hockte dort oben ein Vogel.
Ich leuchtete in die Höhe, und der helle Lichtstrahl traf den Körper einer nackten Frau!
***
Irrtum oder Wahrheit?