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Er hatte sie gekillt. Und er hatte ihnen neue Namen gegeben. Eine hieß Melissa. Die andere Mara, die dritte Mandy, und die vierte hörte auf den Namen Muriel.
Ihre richtigen Namen waren unbekannt. Aber hatten sie noch etwas gemeinsam. Sie waren tot und lebten trotzdem ...
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Seitenzahl: 116
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Aufgehängt und doch nicht tot
Jason Dark’s Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Dennis Simcott
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7278-6
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Aufgehängt und doch nicht tot
Er hatte sie gekillt. Und hatte ihnen Namen gegeben.
Eine hieß Melissa. Die andere Mara, die dritte Mandy, und die vierte hörte auf den Namen Muriel.
Ihre richtigen Namen waren unbekannt. Aber eines hatten sie gemeinsam. Sie waren tot und lebten trotzdem!
Mandingo hatte sich perfekt vorbereitet. Er hatte das rituelle Bad genommen und sich gereinigt. Er hatte zu alten Voodoo-Göttern gebetet und ihre Kraft und ihren Schutz erfleht. Dann hatte er meditiert und sich in andere Welten versetzt.
Er hatte Bilder gesehen wie noch nie zuvor. Und er hatte Stimmen gehört. Wer da gesprochen hatte, wusste er nicht, aber er hoffte, dass sie ihm gewogen waren und er alles richtig gemacht hatte.
Sein Haus lag weder in einer Stadt noch in einem Dorf, sondern fern aller Menschen. Zwischen zwei Orten, auf dem Boden einer Senke, die von Hügeln geschützt wurde.
Dort hatte er eine neue Heimat gefunden, und man hatte ihn auch in Ruhe gelassen. Wahrscheinlich wussten nur wenige Menschen, dass er dort lebte, und denen war es wohl egal.
Mandingo war fertig. Er sah noch mal in den Spiegel, um mit sich zufrieden zu sein. Er war ein starker Narziss.
Dann konzentrierte er sich auf seine Kleidung. Schwarz war das Gewand, das seinen Körper umschloss. Eine schmale Stola, deren Stoff die Farbe einer Apfelsine hatte, hing an seinem Körper bis zu den Knien herab.
Und dann war da noch sein Kopf.
Keinerlei Haare, nirgendwo völlig glatt. Dazu ein breiter Mund mit dicken Lippen. Die Haut, eine Mischung zwischen braun und schwarz.
Man konnte sich auch auf die Augen konzentrieren, die ebenfalls etwas Besonderes waren. Da waren keine Pupillen mehr zu sehen, die Augen schimmerten in einem gelblichen Licht, das Mandingo auch ausschalten konnte, wenn er wollte.
Die am Anfang schmale Nase wurde zum Ende hin breiter und wies zwei mächtige Nasenlöcher auf. Dann gab es noch die Ohren, die ein wenig verloren vom Kopf abstanden …
Mandingo ging es gut.
Er grinste. Zwei helle Zahnreihen konnte man erblicken, wenn man vor ihm stand. Und eine breite graue Zunge stieß hin und wieder ebenfalls aus dem Mund.
Zwei Minuten hatte Mandingo vor dem Spiegel gestanden und sich nicht bewegt. Jetzt lächelte er, mit sich und seinem Aussehen zufrieden.
Und es gab auch die innere Zufriedenheit, die ihm durch das rituelle Bad gegeben worden war.
Er war glücklich. Und er war vor allen Dingen gut vorbereitet.
In dieser Nacht würde alles anders werden. Da würde es den Neuanfang geben. Die Vorbereitungen waren getroffen, und keiner war ihm in die Quere gekommen.
Heute würde er das ernten, was der Teufel persönlich für ihn gesät hatte.
Die Nacht war noch jung. Eigentlich war es erst später Abend, als Mandingo das Haus verließ. Etwas Feindliches lauerte nicht in seiner Nähe.
Er hätte es auch nicht lange am Leben erhalten, denn einen Boko, einen Zauberer, bekam man nicht so leicht auf die Knie. Und er war ein Boko, aber er wusste auch, dass es bei ihnen Unterschiede gab. Die meisten waren Täuscher, und es gab nur ganz wenige, die oben mitmischten. Dazu gehörte auch Mandingo.
Das Haus lag versteckt. Und genauso versteckt stand sein Auto. Es gab keine Garage. Einige Schritte entfernt wuchs ein Baum in die Höhe, unter dessen Blätterdach der Jeep stand.
Er war das Ziel des Zauberers. Nur eine Tür musste er öffnen, dann stieg er ein.
Er dachte daran, dass es noch freie Sitze im Auto gab, aber das würde sich später ändern. Erst mal musste er sein Ziel erreichen, was noch dauerte.
Hätte er über einen Motorway fahren können, wäre das innerhalb einer Viertelstunde der Fall gewesen. Und das wollte er nicht. Es gab noch andere Wege. Kaum befahren und in der Nacht erst recht nicht.
Mandingo lenkte den alten Jeep durch die breite Senke. Wohin er auch blickte, er sah kein Scheinwerferpaar. Also war neben ihm auch kein anderer unterwegs. Und ohne Licht fuhr man bei diesen Straßenverhältnissen besser nicht.
Der Zauberer kannte den Weg. Trotzdem war er aufmerksam. In der vorletzten Nacht hatte es einen starken Sturm gegeben. Da konnte es leicht sein, dass Bäume gefällt worden waren, die jetzt auf der Straße lagen.
Aber er hatte Glück. Er kam gut voran, passierte auch eine kleine Ansiedlung, die nur aus ein paar Häusern bestand, erreichte einen Bach, dessen Wasser auf der Oberfläche helle Flecken bekommen hatte. Sie tanzten neben ihm her wie gute Geister, die ihm Schutz geben wollten.
Es ging weiter. Er blieb in der Senke. Und er sah, dass die Hügel immer flacher wurden. Als hätte jemand gegen ihre Oberseiten gedrückt und sie in die Erde getrieben.
Es war gut, dass er den Jeep fuhr, denn der pflügte sich durch das Gelände, dessen Boden immer sumpfiger wurde.
Jetzt war es nicht mehr weit bis zu seinem Ziel. Noch konnte er fahren, aber er wusste auch, wann er anhalten musste, damit die Reifen nicht im Schlamm versinken.
Einige herunterhängende Zweige kratzten über die Karosserie, als wollten sie sagen, dass er weit genug gefahren war.
Und so war es auch. Den Rest der Strecke musste der Boko zu Fuß gehen.
Doch Mandingo hatte vorgesorgt. Er hatte sich einen Steg gebaut. Das hatte lange gedauert bis zur Fertigstellung. Nun aber konnte er gefahrlos über das Holz bis zu dem Ort gehen, den er vorherbestimmt hatte. Denn nur dort wollte er hin.
Niedrige Bäume und hohes Buschwerk umgaben ihn. Hin und wieder hörte er die glucksenden Geräusche, die aus irgendwelchen Teichen drangen und zu der nächtlichen Musik gehörten, für die eine Sumpflandschaft bekannt war.
Es gab auch Lichter, die an verschiedenen Stellen kurz zu sehen waren. Ein Gruß kleiner Insekten oder Käfer, die hier ihre Heimat gefunden hatten.
Und dann war noch diese besondere Luft. Eine schwere Luft. Angefüllt mit Süße und Fäulnis. Eine Luft, die Menschen nicht guttat, doch dem Zauberer machte sie nichts aus.
Beharrlich ging der Boko voran. Irgendwann hatte er den tödlichen Sumpf passiert und trat auf den festeren Boden, der schnellere Schritte erlaubte.
Umrisse schälten sich aus der Dunkelheit hervor. Es waren Bäume, die hier dicht and dicht standen, wie eine dunkle Armee in der Nacht.
Er zwang sich, weiterzugehen und blieb erst stehen, als er sein eigentliches Ziel erreicht hatte. Er streckte seine Arme aus und legte sie auf den runden Rand eines nicht zu kleinen Gefäßes. Wer genauer hinschaute, der konnte sehen, dass das Gefäß auf einem Stamm seinen Platz gefunden hatte.
Der Boko nickte. Er war jetzt voll und ganz in seinem Element. Gleich würde es soweit sein. Seine Hände lösten sich vom Rand der Schüssel und wanderten zu deren Mitte hin.
Dort angekommen verharrten sie. Aber nur für einen Moment. Dann bewegten sich die Finger, und tief aus der Kehle des Zauberers drang nur ein Wort.
»Feuer!«
Sofort waren die Flammen da, und zwar so schnell, dass Mandingo zurückzuckte.
Aber er blieb in der Nähe stehen und sah zu, was in den nächsten Sekunden geschah.
Das Feuer hatte den gesamten Inhalt der Schüssel erfasst. Es war ein besonderes Feuer, das eine hellgrüne Farbe aufwies und in seinem Kern mehr gelblich loderte.
Es war so kräftig, dass es auch die Umgebung erhellte. So fuhr es über die Bäume hinweg und holte sie aus der Dunkelheit hervor. Aber nicht nur sie, sondern auch die vier Frauen, die zwischen den Bäumen schwebten, weil man sie aufgehängt hatte …
☆
Es war ein Bild, das der Zauberer mochte, denn er selbst hatte es erschaffen. Die vier Frauen hingen in den Bäumen, hatten die Arme nach den Seiten hin ausgestreckt. Sie hielten sich an den Händen. Dabei schwebten sie über dem Boden. Um ihre Hälse hingen dünnen Schlingen, die sich in die ihre Haut gedrückt hatten.
Es war offenichtlich, dass niemand von ihnen am Leben war, und trotzdem sahen sie nicht tot aus. Sie wirkten wie Personen, die auf etwas warteten. Keiner der Füße berührte den Boden.
Es war Mandingos kleine Armee, auf die er stolz war. Er hatte lange daran gearbeitet, um sie fertigzustellen, und jetzt war es so weit. Jetzt konnte er mit ihnen arbeiten, denn sie waren seine Geschöpfe und auch abhängig von ihm.
Er blickte in die Höhe, weil er ihre Gesichter sehen wollte. Sie waren starr, sahen fast gleich aus und auch die Haarfarbe war bei allen schwarz.
Der Zauberer war zufrieden. Er trat näher an die im Halbkreis Hängenden heran und konzentrierte sich auf die Gesichter, und da gab es etwas, was wirklich gleich war.
Es waren ihre Augen!
Sie waren völlig identisch. In ihnen leuchtete ein gelbes Licht. Es war das Licht des Feuers, das sich in den Augen wiederfand. Auch im Rücken der vier aufgehängten Frauen breitete sich eine Lichtaura aus. Woher sie kam, war nicht zu sehen. Aber sie war da, und das war die Hauptsache.
Mandingo nickte zufrieden. Auf seinem Mund zeigte sich ein knappes Lächeln, dann drehte er sich um und ging zu der Schale, in der das Feuer brannte. Er strich mit seinen Händen darüber hinweg, und jeder hätte dabei seine langen Fingernägel sehen können. Aber es gab keine Zeugen.
Er sprach. Worte, die kaum ein Mensch kannte, kamen über seine Lippen. Es war eine alte Voodoosprache, die nur ihm geläufig war.
Sie war der Schlüssel. Sie bereitete ihn vor, und er streckte seine Hände aus, sorgte dafür, dass die Flammen über sie hinweg tanzten, ohne sie zu verbrennen.
Alles war vorbereitet. Im Feuer rieb er die Hände gegeneinander, und über seine Lippen drangen abermals Worte, die niemand verstand, die für Mandingo allerdings wichtig waren.
Nachher blieb er für die Dauer einiger Minuten an seinem Platz stehen. Das das Ritual war vorbei. Er nickte. Er war erschöpft, aber er fühlte sich besser. In seinen Augen lag ein starker Glanz, der einen metallischen Schein besaß.
Der Boko drehte sich um. Jetzt sah er in die Richtung, wo das Entscheidende passierte. Direkt nach vorn, direkt auf die hängenden Frauen.
Nackt war keine von ihnen. Die Frauen trugen Kleider, wobei manche zerrissen waren und nicht all zu viel bedeckten.
Der Zauberer lächelte. Er würde sie sich der Reihe nach vornehmen.
Erst dann wäre alles vollendet.
Mandingo konzentrierte sich auf die linke der am Baum hängenden Personen. Es war eine scheinbar alte Frau mit faltigem Gesicht. Auch um ihren Hals hing eine Schlinge, die tief in die welke Haut eingedrungen war.
Unter seiner Soutane holte Mandingo ein Messer mit breiter Klinge hervor. Für einen Moment hatte es den Anschein, als wollte er die Klinge in den Körper der hängenden Person stoßen, hielt sich dann aber zurück und tat genau das, was er auch tun wollte.
Er schnitt die Frau los. Der Zauberer ließ sie nicht fallen. Er hielt sie fest und zog sie etwas zur Seite, um sie dann überraschend sanft auf den Rücken zu legen.
Danach schnitt er die zweite Frau los. Auch sie legte er auf den Boden, genau neben die erste. Dann holte er sich die dritte und auch die vierte Frau, die ebenfalls ihren Platz auf der Erde bekamen.
Er kniete vor den vier aufgebahrten Körpern und rückte nur ein wenig nach links, damit er alle seine Frauen gut im Blick hatte.
Das Feuer hinter ihm brannte nach wie vor. Er spürte dessen geisterhafte Kraft, was auch sein musste. Dann konzentrierte er sich auf die Frau, die von ihm aus gesehen ganz links lag.
Sie hieß Melissa, lag wie alle anderen mit angelegten Armen auf dem Rücken, der Mund weit aufgerissen. Das war gut, das musste so sein. Der Zauberer erhob sich und beugte sich über die Frau. Er glitt praktisch über die Körper der anderen hinweg, bis sein Mund über dem von Melissa zur Ruhe kam.
Er nickte.
Dann flüsterte er etwas.
Nickte wieder.
Senkte den Kopf noch weiter …
Plötzlich drang aus dem Mund des Boko etwas, was im ersten Moment wie gelber, schwefliger Nebel aussah. Oder der kondensierte Atem eines Teufels.
Und der hatte ein Ziel. Es war der andere Mund, und es gab nichts, was ihn aufhalten konnte. Wie von Geisterhand fand er in die offenen Lippen von Melissa und verschwand in ihrer Kehle.
Das war perfekt. Genau so hatte Mandingo es haben wollen. Er richtete sich wieder auf und kniete wieder vor den Frauen. Aus seinem Mund drang kein Rauch mehr. Die Lippen blieben geschlossen.
Mit Melissa war er fertig. Jetzt kümmerte er sich um die zweite Frau, die auf den Namen Mara hörte. Auch sie lag bewegungslos mit offenem Mund auf dem Rücken. Bereit für das, was jetzt passieren würde.
Auch hier beugte sich der Zauberer vor. Und wieder entwich der gelbe Rauch aus seinem Mund und verschwand in der Kehle der Frau. Wie in Trance vollzog Mandingo das Ritual, mühelos und sich seiner großen Aufgabe bewusst.
Nach Mara folgte Mandy, und dann blieb nur noch Muriel, die Letzte, und auch hier verschwand sein Atem wie ein Elexier in ihrem offenen Schlund.
Es war vorbei.
Der Zauberer richtete sich auf, spreizte die Arme und drückte seinen Rücken durch.
Geschafft.
In seinem Innern brannte es wie Feuer. Ein gutes Gefühl.
Er wusste genau, dass er auf dem richtigen Weg war, um das Ziel zu erreichen, das zugleich ein Anfang für ihn war. Er hatte es geschafft. Er war es wert. Er war der König. Er hatte die Macht. Er hatte den Tod zu seinem Freund gemacht, um dem Voodoo wieder seine geheimnisvolle Kraft zurückzugeben.