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Glenda Perkins hatte es geschafft: Ich hatte mich breitschlagen lassen, mit ihr in den Urlaub zu fahren. Nach Südtirol, in die Nähe von Meran.
Wir freuten uns auf eine gemeinsame Zeit. Und auf eine wunderschöne Alm, auf der man auch gut feiern konnte.
Aber dagegen hatte jemand etwas einzuwenden. Es war ein Henker, der die Menschen bedrohte, und so machte dieser Flecken Erde seinem Namen alle Ehre. Es war die Galgenalm ...
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Seitenzahl: 116
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Die Galgenalm
Jason Dark’s Leserseite
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Néstor Taylor/Bassols
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7507-7
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Galgenalm
Und plötzlich war es so weit. Die Glocke läutete. Ihr klagender und unheimlicher Klang unterbrach die Stille auf der kleinen Alm, auf der zwei Blockhäuser standen.
Wie vom Blitz getroffen fuhr der alte Bernie auf dem Bett in die Höhe. Er atmete erleichtert auf. Auf dieses Läuten hatte er gewartet, deshalb hielt er auch die Alm besetzt.
Er hatte angezogen auf dem Bett gelegen. Ein Wächter, der jetzt auf die Uhr schaute. Er hatte damit gerechnet, dass es zur Tageswende läuten würde, aber das war nicht der Fall. Es war bereits eine Stunde nach Mitternacht …
Bernie Wald ging zur Tür. Er hatte sie offen gelassen und blieb im Türrahmen stehen, um einen Blick nach draußen zu werfen. Vor ihm lag die leicht abfallende Fläche der kleinen Alm. Wo sie aufhörte, stand ein weiteres Blockhaus. Es war nicht bewohnt, sondern ein Lager für landwirtschaftliche Geräte, zu denen auch Sensen gehörten.
Das Läuten kam nicht vor dem Blockhaus her, sein Ursprung lag weiter links. Bernie Wald ging einen Schritt, dann noch einen und schaute, als er stehen blieb, nach links.
Jetzt sah er den alten Unterstand, in dem die Glocke hing, die noch immer läutete. Nur war niemand zu sehen, der sie betätigt hatte.
Bernie Wald wunderte sich, und über seinen Rücken lief ein kalter Schauer. Er musste sich entscheiden. Sollte er dem Phänomen auf den Grund gehen oder lieber fliehen?
Nein, er würde ausharren. Er war nicht ohne Grund vom Tal heraufgekommen. Er wollte wissen, ob das alles stimmte, was man sich erzählte.
Die Leute hatten Recht gehabt. Die Glocke läutete. Es war eine Botschaft und zugleich vielleicht auch eine tödliche Melodie. So war es zumindest früher gewesen. Da hatte es Tote gegeben.
Keiner wollte glauben, dass Menschen auf der Alm ums Leben gekommen waren, aber Bernie Wald wusste es besser, denn er war von hier. Von der Alm. Sie war seit Generationen im Besitz seiner Familie und deshalb fühlte er sich auch verantwortlich. Darum hatte er die letzten drei Nächte hier oben verbracht.
Und jetzt? Würde sich die Prophezeiung wieder erfüllen? Er schauderte, als er daran dachte. Sollte es so sein, dann war etwas in Bewegung geraten, das besser im Verborgenen geblieben wäre.
Die Glocke war jetzt verstummt. Stille lag über der Alm. Alles war friedlich. Aber Bernie Walds Sinne waren geschärft. Er konnte die Alm nicht einfach verlassen, als wäre nichts passiert. Die Glocke hatte geläutet, und das war nicht der Wind gewesen. Jemand musste seine Hände im Spiel gehabt haben.
Aber wer?
Bernie dachte nach. Über eine uralte Geschichte, die immer wieder erzählt wurde. Seit der alten Zeit wurde dieses Stück Land nur Galgen-Alm genannt. Warum, das konnte keiner mehr genau sagen, aber es musste schlimme Ereignisse gegeben haben. Was genau geschehen war, wusste niemand. Es war nichts aufgeschrieben worden, man hatte Vorgänge nur mündlich weitergegeben, und was Dichtung und was Wahrheit war, hatte sich vermischt.
Ich musste es wissen, dachte Bernie und setzte sich in Bewegung. Er wollte dorthin, wo die Glocke hing, die dieses schaurige Geläut von sich gegeben hatte.
Die Alm, über die er ging, lag in tiefer Dunkelheit – furcht- und respekteinflößend. Bernie Wald ging trotzdem weiter. Er saugte die kühle Nachtluft ein und sprach sich Mut zu. Vorsichtig näherte er sich dem Unterstand, wo die alte Glocke hing, die von der Dunkelheit verschluckt wurde.
Wenige Schritte später erkannte er ihre Umrisse, Sie hing von der Decke herab, wo sie an einem Balken befestigt worden war. Es war windstill, und die Glocke bewegte sich nicht.
Soweit alles normal, sagte Bernie zu sich. Er ging einen Schritt zur Seite und warf einen Blick nach oben. Das Dach des Unterstands war grob gezimmert. Tagsüber fiel etwas Sonnenlicht hinein. Jetzt was es dunkel, bis auf etwas Mondlicht. Nicht viel, aber genug, um das zu sehen, was von einem Deckenbalken nach unten hing.
Es war nicht zu fassen. Bernie schüttelte den Kopf. Er fluchte leise, denn was er da in der Dunkelheit erkannte, war keine Einbildung. Es war da.
Eine Galgenschlinge!
☆
Der alte Mann sah ein weiteres Mal ungläubig nach oben. Eine Schlinge mit einem perfekten Knoten, der tödlich sein würde, wenn er um den Hals eines Menschen lag. Und wenn der keinen Halt mehr hatte, war es vorbei mit ihm.
In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er dachte an die alten Geschichten, die man sich erzählt hatte. Es waren grausame Geschichten gewesen, die man Kindern vorenthielt, und in allen spielte er die Hauptrolle, der Galgen.
Jetzt hing die Schlinge wieder hier an der Decke. Jemand musste sie hergeschafft haben, und dies musste etwas bedeuten. Wie hatte man ihn ausgelacht, als er andeutete, dass auf der Alm nicht alles mit rechten Dingen zuging. Hör auf mit den alten Geschichten, hatten sie gesagt, aber damit war es jetzt vorbei. Jetzt war der Galgen zurück.
Aber warum?
Hatte sich jemand einen makabren Scherz erlaubt? Daran wollte Bernie nicht glauben. Es musste einen Grund geben, und wenn er daran dachte, dann lief es ihm kalt den Rücken hinab.
Er wusste nicht, wie lange er vor der Schlinge gestanden hatte und Teil der Stille geworden war. Er hörte sich selbst atmen. Es war das einzige Geräusch in seiner Umgebung.
Oder nicht?
Etwas irritierte ihn. Er hatte etwas gehört, dass nicht in diese Stille passte.
Es kam von hinten und war schwer zu identifizieren. Aber es war da. Um den Grund herauszufinden, musste er sich nur umdrehen. Er traute sich nicht.
Er blieb wie angewurzelt stehen.
Waren das Schritte?? Oder einfach nur ein Rascheln von Grashalmen, die sich bewegten? Bernie Wald haderte mit sich und seiner Angst. Wenn es hell gewesen wäre, hätte er sich längst umgedreht.
Aber jetzt?
Mach es doch! Mach es doch! Das war die innere Stimme, die ihn dazu aufforderte. Schließlich gab er sich einen Ruck und drehte sich um.
Er wusste jetzt, dass er sich die Geräusche nicht eingebildet hatte.
Es gab sie.
Und sie stammten nicht von einem Tier, sondern von einer Gestalt, die es eigentlich nicht geben durfte …
☆
»Du solltest dich wirklich entscheiden, und das in den nächsten Stunden. Bis dahin kann ich noch alles offenhalten. Danach nicht mehr. Und wenn ich dich so anschaue, dann muss ich zugeben, dass du dir einen Urlaub verdient hast. Und sei es nur eine Woche. So sehe ich die Dinge, und du weißt, dass ich recht habe.«
»Okay, Glenda.«
»Was heißt das?«
»Ich werde darüber nachdenken.«
»Tu das, John, aber beeil dich.« Glenda schüttelte den Kopf. »Ich werde es auf keinen Fall verlängern.«
Ich nickte. »Gut, das habe ich verstanden. Ich muss noch nachdenken und …«
Sie unterbrach mich. »Wie lange musst du nachdenken?«
»Bis ich zu einem Entschluss gekommen bin. Und dabei könnte mir etwas helfen.«
»Was denn?«
»Ein frischer Kaffee.«
Glenda verdrehte die Augen und verließ das Büro, in dem Suko und ich saßen und uns gegenseitig ansahen.
Mein Freund und Kollege schüttelte den Kopf. »Ich begreife dich nicht, John. Mit Glenda in Urlaub zu fahren, darum würden sich viele Männer reißen.«
»Stimmt.«
»Und was machst du?«
»Ich denke nach.«
Suko lachte mich aus oder an. »Was gibt es da nachzudenken?«, fragte er. »Sag zu und fertig. Und ich glaube, dass Glenda ein tolles Hotel ausgesucht hat und nicht …«
»Ja, ja, das weiß ich.«
»Die paar Tage komme ich auch ohne euch zurecht. Sogar Sir James hat zugestimmt, wie mir Glenda sagte.«
Sie schien ihren Namen gehört zu haben, denn plötzlich erschien sie an der Tür. In der rechten Hand hielt sie eine dampfende und duftende Tasse Kaffee, die sie vor mir abstellte.
»So, und danach erwarte ich von dir eine Entscheidung.«
»Mein Gott, Glenda«, beschwerte ich mich.
»Keine Ausreden mehr.«
»Ist gut.« Ich trank den Kaffee aufreizend langsam.
Suko, der mir gegenübersaß, hatte seinen Mund zu einem breiten Grinsen verzogen. Glenda lehnte an der Wand und hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt. Sie trug ein rosafarbenes Shirt und eine eng geschnittene weiße Hose.
Es gab einen Grund, weshalb Glenda nach Marling in Südtirol fahren wollte. Sie hatte vor Kurzem eine gewisse Mara Wald kennengelernt. Mara Wald war die Besitzerin des Hotels Bergblick. Die beiden Frauen hatten sich angefreundet, und da war es nur normal, dass es zu einer Einladung an Glenda gekommen war. Diese Einladung galt für diese Woche und für zwei Personen.
Glenda hatte unter der Voraussetzung zugestimmt, dass sie die Woche auch bezahlte. Und dann hatte sie mich gefragt. Sie wollte nicht allein fahren, und da sie meine Urlaubspläne bestens kannte, wollte sie, dass ich sie für die eine Woche begleitete.
Jetzt fehlte nur noch meine Zustimmung.
Ich blickte in die Tasse. Ein Schluck noch, dann war sie leer.
Ich musste mich entscheiden, und das fiel mir eigentlich leicht. Glenda und ich kamen gut miteinander aus. Wir hatten schon so manches gemeinsame Abenteuer erlebt. Warum nicht auch einen kurzen Urlaub.
Der letzte Schluck.
Glenda sah mich erwartungsvoll an. »Na, hast du dich entschieden?«
Ich baute die Spannung auf, indem ich sie länger anschaute und die Entscheidung hinauszögerte.
»Der Kaffee war wie immer toll!«
Au, da hatte ich was gesagt. Glenda bedachte mich mit einem Blick, der fast tödlich war.
Ich zuckte und versuchte, in meinem Stuhl zu verschwinden.
»Okay.«
»Was meinst du mit okay?«
»Ich fahre mit!«, rief ich und schlug die Hände vor mein Gesicht, damit man das Grinsen nicht sah.
☆
Das Wesen war nahe genug, um es als Mensch erkennen zu können. Aber wirklich ein Mensch?
Von den Umrissen schon. Ansonsten sah die Gestalt aus, als wäre sie aus einem Haufen Asche gekrochen. Über und über grau. Mit einem Gesicht, das völlig entstellt war. Es sah einfach schlimm aus.
An einigen Stellen war die Haut der unheimlichen Erscheinung eingerissen, ebenso wie die Kleidung, die nur mehr aus Fetzen bestand, die sich an den schwankenden Körper gehängt hatten.
Der Mund war eine unförmige Öffnung. Wie der Eingang zu einer tiefen Höhle.
Augenhöhlen gab es auch. Aber sie waren sehr speziell. Wo es bei einem normalen Menschen die Pupillen waren, leuchtete hier eine rötliche Masse.
Und dann war da noch den Geruch, widerlich und faulig. Als schien die Gestalt in alter Erde gelegen zu haben. Lange Arme, große Hände, eine dünne pergamentartige Haut, die ebenfalls sehr alt und faltig aussah.
Bernie Wald hatte sich bisher nicht bewegen können. Er war geschockt, er konnte nicht mehr klar denken, denn dann hätte er sich in Erinnerung gerufen, dass er hier war, um die Wahrheit herauszufinden.
Jetzt hatte er sie gefunden. Die alten Legenden hatten sich bestätigt. Es war etwas Unheimliches und auch Unheilvolles in der Vergangenheit passiert, das nun seinen grauenvollen Weg in die Gegenwart gefunden hatte.
Die Gestalt bewegte sich.
Bernie zuckte zusammen, als sie immer näherkam. Er hätte sich zurückziehen können. Sich einfach umdrehen und wegrennen.
Er schaffte es nicht. Er stand da und war nicht mal in der Lage, sich zu rühren. Auf so etwas hatte die andere Seite nur gewartet. Es war ein Griff, der ausreichte.
Bernie Wald konnte dem Angriff nicht ausweichen. Die Klaue umfasste seinen Hals mit eiserner Kraft. Bernie schrie nicht, er röchelte, als die Gestalt zudrückte. Er bekam keine Luft mehr und wand sich in dem Griff, der immer stärker wurde.
Als er das Bewusstsein zu verlieren drohte, ließ die Gestalt los. Er bekam einen Stoß, taumelte zurück und prallte gegen einen Balken. Die Schmerzen in seinem Rücken ließen ihn aufschreien.
Dann war die Gestalt wieder bei ihm und nahm ihn wieder in die Mangel.
Sie schleifte ihn mit. Erneut spürte Bernie den harten Griff, der auch nicht lockerließ, als er zur Seite gezerrt wurde. Und plötzlich zog ihn die Gestalt in die Höhe.
Bernies Beine verloren den Kontakt mit dem Boden. Für einen Moment zuckte ein schrecklicher Gedanke durch seinen Kopf, denn er dachte an die Schlinge, die an der Decke angebracht war.
Aus dem Gedanken wurde eine Tatsache. Sekunden später merkte er, wie die raue Schlinge um seinen Hals gezogen wurde, und dann war Bernie Wald klar, was ihm drohte.
Er sollte erhängt werden.
Dieser Gedanken mobilisierte noch einmal seine Kräfte. Er riss die Arme hoch und versuchte, den Druck an einer bestimmten Stelle des Halses zu lockern.
Er hatte keine Chance, die Schlinge saß einfach zu fest. Einen Moment später spürte er, wie ihn zwei Hände in die Luft hoben und auf eine Kiste stellten. Verzweifelt versuchte Bernie Wald ein letztes Mal die Schlinge um seinen Hals zu lockern, doch umsonst. Der Strick saß zu fest. Dann merkte er nur noch, wie die Gestalt der Kiste einen Tritt gab.
Die Kiste flog zur Seite und dann baumelten die Füße von Bernie Wald in der Luft. Da gab es keinen Halt mehr für ihn. Er röchelte. Er bewegte sich noch, als die Schlinge sich immer enger zuzog.
Sein Henker schaute zu. Er hatte seinen Spaß, wie der Körper von einer Seite zur anderen schwang. Es dauerte nicht lange, dann war der Todeskampf vorbei. Zurück blieb ein Körper, aus dem alles Leben gewichen war. Eines musste noch getan werden. Diese Aufgabe war wichtig, denn sie gehörte zum Ritual des Todes.
Er ging hin und läutete die Totenglocke. Dann hatte er seine Pflicht erfüllt …
☆
In Innsbruck hatten wir unseren Leihwagen übernommen. Glenda hatte alles von London aus gebucht, und so konnten wir sehr bald unser Gepäck im Kofferraum des Einser BMW verstauen. Glenda bekam nicht alles hinein. Eine ihrer zahlreichen Taschen musste auf dem Rücksitz ihren Platz finden.
»Das hatte ich mir gedacht«, sagte ich.
»Was?«
»Dass du zu viele Klamotten mitgenommen hast.«