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Endlich als E-Book: Die Folgen der Kult-Serie John Sinclair! Dieser Roman ist zum ersten Mal in der 4. Auflage von 1991 - 1996 der Romanheftreihe erschienen. Das Horror-Spielzeug. Das Spielzeugpferd sah auf seinen dünnen Spinnenbeinen so aus, als würde es jeden Augenblick umfallen. Aber es blieb trotzdem stehen. Bis es plötzlich zu zittern begann! Alle hatten es gesehen. "Scheiße!" Ein Stöhnlaut wehte durch die Stille, als sich das Tier bewegte. Diesmal nicht an den Beinen, es klappte sein Maul auf und zeigte mörderische Reißzähne. Etwas zischte - dünner Dampf drang aus dem Rachen. Kleine Wolken breiteten sich als stinkender Qualm innerhalb des Kartenzimmers aus... John Sinclair - der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung. Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit!
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2015
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
Das Spielzeugpferd sah auf seinen dünnen Spinnenbeinen so aus, als würde es jeden Augenblick umfallen. Aber es blieb trotzdem stehen.Bis es plötzlich zu zittern begann!Alle hatten es gesehen.„Scheiße!“Ein Stöhnlaut wehte durch die Stille, als sich das Tier bewegte. Diesmal nicht an den Beinen, es klappte sein Maul auf und zeigte mörderische Reißzähne.Etwas zischte …Dünner Dampf dran aus dem Rachen. Kleine Wolken breiteten sich als stinkender Qualm innerhalb des Kartenzimmers aus …
Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen RomanheftausgabeBastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG© 2015 by Bastei Lübbe AG, KölnVerlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian MarzinVerantwortlich für den InhaltE-Book-Produktion:Jouve
ISBN 978-3-8387-2776-9
www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.dewww.bastei.de
Es war mitten in der Nacht, als die drei Jungen in den Schlafsaal eindrangen und zielsicher auf das erste Bett in der rechten Reihe zuschlichen.
Schon beim Öffnen der Tür hatte Mickey Mayer gewusst, dass ihm der Besuch galt. Er hatte noch versucht, die Bettdecke über seinen Kopf zu ziehen – zu spät, sie waren bereits bei ihm. Ihre gierigen Hände waren wie kleine Zangen, er hörte ihr Keuchen, ihr kicherndes, wildes Lachen und spürte den Ruck, als die Decke zur Seite gerissen wurde.
Für ihn verlangsamte sich die Zeit. Die Decke flog weg. Er sah sie langsam in die Höhe driften wie ein flatterndes Tuch, als wäre ein Engel davongeflogen. Er hörte das Kichern, er sah ihre kleinen Gestalten, sie waren nicht größer als er, aber sie waren böse, sehr böse, zu böse. Schon immer, seit Monaten, seit er...
Seine Gedanken brachen ab.
Zwei Hände legten sich um seinen Hals. Ihr Druck war sehr stark und hinderte ihm am Schreien. Mickey hatte seine Angst laut hervorrufen wollen, um eine der Schwestern aus dem Schlaf zu reißen, aber die bösen Buben waren schneller gewesen.
Nur ein Gurgeln drang über seine Lippen. Ein zweiter Körper warf sich schräg auf ihn, der dritte Junge stand da und schaute auf ihn nieder. Er wartete auf eine weitere Bewegung, mit der sich Mickey wehren würde, um dann einzugreifen, aber Mickey blieb liegen.
Starr, steif – tot!
Ja, ich bin tot, dachte er. Ich bin tot, und alles ist gar nicht so schlimm.
Er war nicht tot. Er hörte die Geräusche in seiner Umgebung, und er vernahm vor allen Dingen den keuchenden Atem der drei Jungen, der sein Gesicht streifte.
»Du bist doch ruhig, nicht?«
Mickey versuchte ein Nicken. Es gelang ihm nicht, weil er auf dem Rücken lag. Er deutete es zumindest an, was die drei kleinen Hundesöhne zufrieden registrierten.
Deshalb lockerte sich der Druck um seinem Hals, so dass er wieder atmen konnte.
»Stehst du auf?«
Warum?«
»Frag nicht so dumm.« Der Sprecher hieß Hank. Er war blond und trug das Haar ziemlich lang. Die Schwestern und das Personal ärgerten sich darüber, man hatte schon gedroht, es ihm abzuschneiden, aber Hank hatte sich erfolgreich dagegen gewehrt. Es war so etwas wie ein Anführer in diesem Waisenhaus. Was er sagte, wurde getan.
Mitgebracht hatte er Tommy und Sugar.
Sugar, ein etwas dicker Junge mit einem pausbäckigen Gesicht, war schon immer so genannt worden. Weil er so süß und harmlos aussah, war er der Liebling der Schwester, doch keine wusste, was sich hinter dieser Fassade verbarg. Sugar war gemein, hinterlistig, falsch-freundlich. Durch seine Freundlichkeit schaffte er es, die Frauen um den Finger zu wickeln, und er war zudem in der Lage, alle möglichen und unmöglichen Dinge zu besorgen.
Blieb noch Tommy.
Tommy, der Boxer, das kleine Kraftpaket. Der Stärkste aus der Jungenriege im Heim. Der hielt sich meist in Hanks Nähe auf und deckte ihm den Rücken, denn hin und wieder gab es Ärger, und dann trat eben der dunkelhäutige Junge auf den Plan, dessen Eltern aus irgendeiner ehemaligen britischen Kolonie stammten und den Jungen im Alter von zwei Jahren einfach an den Rand der Autobahn gesetzt und vergessen hatten.
»Willst du schreien?« fragte Hank.
Sugar kicherte. »Wenn er das tut, drehen wir ihm den Hals um und stopfen ihm Dornen in die Nasenlöcher.« Bei dieser Vorstellung kicherte er. Um das Lachen zu unterdrücken, presste er seine Hand gegen die Lippen.
»Ich schreie nicht«, flüsterte Mickey Mayer mit heiserer Stimme.
»Das ist gut.« Hank hatte sich auf die Bettkante gesetzt und weit nach vorn gebeugt. Sein Gesicht schwebte jetzt über dem des liegenden Jungen, und Mickey hatte das Gefühl, in die Augen eines Erwachsenen zu blicken. Sie kamen ihm plötzlich so kalt, alt und gleichzeitig auch wissend vor.
Mickey Mayer stellte sich dümmer, als er war. Er wusste natürlich, weshalb sie hier waren, trotzdem fragte er: »Was wollt ihr eigentlich von mir?«
Hank grinste breit. »So blöd bist du doch nicht, dass du es nicht weißt. Hast du denn noch nichts von unserer Mutprobe gehört, mein Kleiner ...?« Ja, die kannte Mickey. Eine Mutprobe musste jeder ablegen. Eingeführt worden war sie von diesem Trio. Es hatte sich auch herumgesprochen, aber die Nonnen und Schwestern kümmerten sich nicht um diese Jungenstreiche, wie sie die Mutproben nannten. Das sollten die Kinder unter sich selbst ausmachen. Auch im richtigen Leben gab es Hackordnungen. Je früher sie es am eigenen Leib verspürten, umso besser waren sie für das Leben vorbereitet.
Sekunden verstrichen. Sie taten den vier Jungen gut, die sich zunächst einmal erholen mussten. Allmählich normalisierte sich ihr Atem, sie keuchten nicht mehr so stark, aber die Tücke auf ihren Gesichtern blieb dennoch.
Es war nie ganz finster im Schlafsaal. Nahe der Tür brannte immer ein Licht. Eine weiße Kugellampe, die über der Tür an der Wand angebracht war, gab die matte Helligkeit ab. Zumindest diejenigen, die nahe der Tür lagen, konnten das Zifferblatt ihrer Uhr erkennen. Manche schafften es sogar, zu lesen.
Mickey erkannte die Gesichter seiner drei ›Freunde‹. Es waren immer noch die gleichen, dennoch sahen sie irgendwie anders aus. Nicht verzerrter, sondern glatter, und in ihren Augen lag ein kalter Glanz, vermischt mit einer gewissen Vorfreude.
Sie wussten über den Plan Bescheid, im Gegensatz zu Mickey. Der konnte nicht einmal ahnen, was ihn erwartete. Er hatte natürlich von den Mutproben gehört, aber sie waren eben immer verschieden gewesen. Da hatte ein Junge stundenlang in einem Kellerloch gehockt. Das wäre nicht einmal so schlimm gewesen, aber seine Mitbewohner waren Ratten gewesen, und der Junge hatte wochenlang noch schwere Albträume gehabt.
Einen anderen hatten sie auf die Schienen gelegt und ihn erst dann zurückgezogen, als die Lok des Zugs sehr nahe heran gewesen war.
Einen Dritten hatten sie in kaltes Wasser gelegt, ihn hin und wieder untergetaucht und die Nacht so zu einer beinahe endlosen Qual für ihn werden lassen.
Schlimme Dinge waren geschehen. Wie zum Beispiel die Sache bei den Klippen – so wurde das Gebiet um den alten Steinbruch genannt. Sie hatten einen Jungen hinabgestoßen, und erst im letzten Moment, kurz vor dem Aufprall, hatte sich das Seil gestrafft.
Die Erzieher hatten nichts erfahren. Sie waren sowieso überbeschäftigt und deshalb froh, sich nicht um die Jungen kümmern zu müssen. Sie sollten selbst damit fertig werden.
Jeder war mal an der Reihe.
Auch Mickey Mayer.
Der hatte Angst. Ihm war durch den Kopf geschossen, was sie alles mit den anderen Jungen angestellt hatte, und natürlich überlegte er auch, welche Gemeinheit sie sich für ihn ausgedacht hatte, doch er gelangte zu keinem Ergebnis.
Sugar griff in die Tasche und zog aus ihr eine Kleberolle hervor. Er zerrte noch keinen Streifen ab und fragte nur: »Soll ich sie dir über das Maul streifen?«
»Nein.«
»Dann wirst du ruhig sein?«
»Ja.«
»Brav, brav«, lobte Hank. »Ich freue mich, dass du so brav bist, mein Kleiner.«
Mickey schwieg. Er wollte nicht brav sein. Er wäre am liebsten aufgesprungen und hätte ihnen die Augen ausgekratzt, doch gegen drei stand er von vornherein auf verlorenem Posten. Von den anderen Jungen im Saal konnte er keine Hilfe erwarten. Zwar taten sie so, als würden sie schlafen, aber das stimmte nicht. Sie waren wach, wartete mit angehaltenem Atem und waren froh, dass der Kelch an ihnen vorbeigegangen war. Mickey kannte das, bei anderen Mutproben hatte er ähnlich reagiert.
»Dann ist ja alles klar!« stellte Hank fest.
Mickey schwieg. Er wartete. Aber sie ließen sich Zeit und schauten sich zunächst einmal an.
Bis Tommy mit dem Zeigefinger winkte. Die eine Bewegung reichte aus, um Mickey erkennen zu lassen, dass er sich auf richten sollte. Er tat es langsam, stemmte sein Gewicht auf die angewinkelten Arme und drückte sich dann höher.
Als er saß, umklammerte Sugar seine Beine. Er schwang sie nach rechts aus dem Bett. Dort stand der kleine Nachttisch. Neben ihm waren zwei Haken in die Wand geschlagen, an denen die Kleidung des Jungen hing. Er wollte danach greifen, aber Tommys Hand war schneller. Sie umklammerte sein Gelenk, und er hörte den Jungen flüstern: »Nein, mein Kleiner, das lass mal bleiben.«
Mickey erschrak. »Ich darf mich nicht anziehen?«
»Richtig.«
»Aber draußen ist es kalt.«
»Wissen wir. Willst du ein Mann werden oder nicht? Ein Mann muss auch Kälte vertragen können, hörst du?« Er nickte. Wohl war ihm nicht. Schon jetzt überliefen ihn Schauer. Er trug nur einen Schlafanzug, den er so hasste, weil er gestreift war. Er hatte mal einem kleinen Erwachsenen gehört, und der Stoff schien tatsächlich ewig zu halten.
Mickey stand auf.
Sofort hielten sie ihn von zwei Seiten fest. Hank baute sich vor ihm auf.
Er stemmte die Arme in die Hüften und wippte auf den Fußsohlen wie einer der Westernhelden aus dem Kino. Er beobachtete Mickey genau. Dann grinste er. »Soll ich dich jetzt fragen, ob du schon die Hose voll hast, Kleiner?«
»Nein.«
»Sie ist leer, wie?«
»Ja, aber ...«, Mickey brach hilflos ab. Er empfand derartige Gespräche als peinlich, doch er wusste, dass er sich in der schlechteren Position befand. Er konnte nichts tun und musste dieser verfluchten Brut eben gehorchen.
»Geh mal zur Tür!«
Die Aufforderung galt Sugar. Er setzte sich in Bewegung und öffnete leise. Durch den Spalt schaute er in den leeren Gang. Er ließ sich Zeit dabei, nickte, als er nichts sehen konnte, und drehte sich wieder um. »Wir können.«
»Wunderbar.«
Tommy lachte. »War auch nur ein Rat.« Er schob den ›Gefangenen‹ auf die Tür zu.
Mickey drehte noch einmal den Kopf. Er schaute zurück in den großen Schlafsaal, in dem es so unnatürlich ruhig war. Diese Ruhe entstand nur dann, wenn sie einen holten. Ansonsten war es lauter, denn da atmeten die Schlafenden anders. Hier hörte es sich an, als würden sie die Luft zunächst anhalten und sie dann langsam ausfließen lassen. Sugar zog die Tür auf. Leer lag der Gang vor ihnen. Genau da, wo die breite Steintreppe begann, brannte eine Lampe. Sie gab sehr helles Licht ab, das sich auf dem Steinboden spiegelte.
»Wir gehen«, sagte Hank.
Mickey wurde nach vorn gestoßen. Er bewegte seine Beine automatisch. Er war bedrückt, und er hatte Angst.
Wo würde es enden ...?
*
Die Kälte war böse, die Kälte war Gift. Sie blieb nicht nur auf Mickeys Füße beschränkt, sie stieg langsam höher, bis seine Beine, die Knie und auch die Oberschenkel überwunden hatte, die Rippen erreichte und sich dann noch mehr ausbreitete. Dabei stand er nur bis zu den Knien im kalten, schlammigen und trüben Wasser, aber er fühlte sich, als würde er in einem dicken Panzer aus Eis stecken.
Über ihm lag die Freiheit. Hoch über ihm, zu hoch, denn wenn er in die Höhe schaute, sah er die runde Öffnung des Brunnenschachts so weit entfernt, dass er schon ein Stabhochspringer hätte sein müssen, um ihn zu erreichen. Er würde es nicht schaffen.
Mickey hatte geweint.
Natürlich erst, als die anderen weg waren, keiner hatte seine Tränen sehen sollen. Sie waren sehr schnell verschwunden, nachdem sie ihn in dieses Loch gesteckt hatten.
Um seine Hüften trug er noch immer den Strick. An ihm hing ein dicker Haken. An ihm war das andere Seil befestigt gewesen, an dem sie ihn in den Brunnenschacht hinuntergelassen hatten. Was hatte er nur für eine Furcht verspürt, als er ruckweise in das Dunkel gefallen war. Tief hinein in den Schoß der Erde, vielleicht sogar bis durch zum Mittelpunkt, wo schreckliche Monster lauern sollten, wie er in einem Buch von Jules Verne gelesen hatte, wo es auch kochend heiß war. Aber das Gegenteil war hier der Fall. Die eisige Kälte des Wassers, das etwas mehr als kniehoch den Grund des Brunnens bedeckt, begann ihn allmählich zu lähmen.
Nach dieser Tat hatten sich die drei neben den Einstieg gekniet und nach unten geschaut. Er hatte ihre Gesichter nicht genau erkennen können, war aber davon ausgegangen, dass sie grin-sten und sich diebisch über ihre neue Tat freuten.
Alle hatten sie zum Abschied gesprochen.
Zuerst Hank, wie es sich gehörte. »Wenn du frierst, kannst du dir ja warme Gedanken machen.«
»Klar!« hatte Tommy gerufen. »Sollte dir dabei zu heiß werden, kannst du sie ja mit Wasser kühlen.«
»Und wenn es dir nicht schmeckt, denke einfach, es wäre Cola!« hatte Sugar hinzugefügt.
Dann hatten sie gelacht.
Ihr Gelächter war wie eine schaurige Botschaft in den Brunnenschacht gefallen und hatte seine Ohren vollgedröhnt. Er wusste nicht, wie es weitergehen sollte, aber er hatte sich schließlich getraut, eine Frage zu stellen.
»Wann holt ihr mich hier wieder raus?«
Abermals Lachen. Erst als es abgeklungen war, hatte er eine Antwort erhalten. »Vielleicht morgen, vielleicht nie. Wir werden sehen.« Hank hatte die Antwort gegeben und sich dabei köstlich amüsiert. Dann waren sie verschwunden.
Die Kälte war nicht aufzuhalten, sie stieg höher, und sie begann, die Erinnerungen an die kurz zurückliegende Vergangenheit zu verdrängen. Der Junge war allein, und nicht nur das, er fühlte sich schrecklich einsam und verlassen.
Niemand würde hier nach ihm suchen. Die ganze Welt hatte sich gegen ihn verschworen. Es war eine Mutprobe der schlimmsten Sorte. Er würde es aus eigener Kraft niemals schaffen, dieses Loch zu verlassen, und war auf die Gnade der anderen angewiesen. Ob sie ihn überhaupt herausholen woll- ten, war mehr als fraglich. Aber sie konnten ihn nicht sterben, lassen. Es würde auffallen, wenn er nicht am nächsten Morgen beim Frühstück saß. Zu viele Jungen waren Zeugen gewesen, wie er abgeholt worden war. Aber würden sie etwas sagen?
Er glaubte nicht so recht daran. Alle hatten eine tiefe Angst vor diesen drei Jungen, denn sie waren die Anführer. Was sie sagten, das musste getan werden.
Es verging Zeit. Mickey Mayer wusste nicht, wie spät es war. Die Uhr lag in seiner Nachttischschublade, und er überlegte, dass es vor Mitternacht gewesen war, als man ihn geholt hatte.
Sie waren dann aus dem Haus geschlichen. Durch einen Hinterausgang hatten sie es verlassen. In der Dunkelheit hatten sich ihre Gestalten kaum von den flachen Feldern abgehoben, die sie überquert hatten. Wenig später waren sie in den dichten Wald eingetaucht. So hatten sie den Weg zum Steinbruch hin abgekürzt.
Es war nicht der einzige Brunnen, den es dort gab. Immer wieder sammelte sich in diesen tiefen Sprenglöchern Grundwasser, und wenn es regnete, stieg es schnell hoch. Mit Regen war zum Glück nicht zu rechnen. In einem gefüllten Schacht hätte Mickey leicht ertrinken können.
Diese Visionen stiegen immer wieder in ihm hoch, zusammen mit anderen, sehr irrealen, die aus einer Welt stammten, die es eigentlich gar nicht gab. Höchstens in gewissen Träumen, aber darüber wollte er nicht nachdenken.
Leider konnte er die Gedanken nicht verbannen, denn Mickey war ein Junge, der Fantasie hatte. Er las gern, er ließ sich durch seine Bücher entführen. Lesen war für ihn Fernsehen oder Kino im Kopf. Da konnte er mit seinen Helden auf Reisen gehen, er stellte sich fremde Länder und Welten vor, er malte sich aus, was er getan hätte und wie er dann zu einem Helden wurde, der die Mädchen rettete.
Es hatte ihm immer gut getan, mit Hilfe seiner Bücher dem tristen Alltag zu entfliehen. Die Bücher waren seine einzigen Freunde, und die Schwestern im Waisenhaus freuten sich, dass er so gern las, das erlebten sie in Zeiten des Fernsehens nicht oft.