John Sinclair 2240 - Michael Schauer - E-Book

John Sinclair 2240 E-Book

Michael Schauer

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Beschreibung

Zuerst sah er den Hut, dann den Mann.
Hat er sich tatsächlich schon wieder einen neuen gekauft?, dachte Neal Sanders, als sein Kollege Gary Wind sich über den breiten Flur langsam ihrem gemeinsamen Arbeitsplatz näherte. Um ihn herum war es hektisch und laut, Menschen riefen scheinbar wahllos Zahlen durch den Raum und tippten geräuschvoll auf Tastaturen herum, Telefone klingelten pausenlos. Ein ganz normaler Donnerstagmorgen an der Londoner Börse.
Sanders strich sich durch das dichte, graue Haar und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. Dann hatte Gary seine Ankündigung wohl wahr gemacht und war gestern bei diesem neuen Hutmacher in der St. James Street gewesen. Er schwärmte ihm schon seit Tagen von diesem Laden vor. Sein Kollege war ein Hutnarr, er besaß mindestens ein Dutzend davon. Seine neueste Erwerbung war, soweit Sanders sich da auskannte, ein Porkpie-Hut, wie ihn oft die Musiker am Covent Garden trugen ...


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Inhalt

Cover

Der dämonische Hutmacher

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Der dämonische Hutmacher

von Michael Schauer

Zuerst sah er den Hut, dann den Mann.

Hat er sich tatsächlich schon wieder einen neuen gekauft?, dachte Neal Sanders, als sein Kollege Gary Wind sich über den breiten Flur langsam ihrem gemeinsamen Arbeitsplatz näherte. Um ihn herum war es hektisch und laut, Menschen riefen scheinbar wahllos Zahlen durch den Raum und tippten geräuschvoll auf Tastaturen herum, Telefone klingelten pausenlos. Ein ganz normaler Donnerstagmorgen an der Londoner Börse.

Sanders strich sich durch das dichte, graue Haar und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. Dann hatte Gary seine Ankündigung wohl wahr gemacht und war gestern bei diesem neuen Hutmacher in der St. James Street gewesen. Er schwärmte ihm schon seit Tagen von diesem Laden vor. Sein Kollege war ein Hutnarr, er besaß mindestens ein Dutzend davon. Seine neueste Erwerbung war, soweit Sanders sich da auskannte, ein Porkpie-Hut, wie ihn oft die Musiker am Covent Garden trugen ...

Mit Kopfbedeckung am Arbeitsplatz zu erscheinen, war an der Börse eher unüblich, aber Gary war ein Ass in seinem Job und generierte hervorragende Umsätze, also ließen ihn seine Vorgesetzten gewähren, wenn auch mit einem leichten Zähneknirschen.

Immerhin achtete er auf dezente Farben. Der Hut war dunkelgrau und passte hervorragend zu seinem ebenfalls grauen Zweireiher mit dem purpurroten Einstecktuch. Winds schmales Gesicht war stets gebräunt, seine Züge waren fein geschnitten, die dunkelblonden, nackenlangen und sorgfältig frisierten Haare wallten unter dem Hut hervor. Verdammt, der Kerl hätte sogar mit einem Baseballcap elegant ausgesehen.

Gary Wind nahm wortlos am Schreibtisch gegenüber von Neal Sanders Platz, schaltete routiniert wie jeden Morgen seinen Computer ein und starrte auf den Monitor.

Sanders runzelte die Stirn. Was war denn mit dem los? Normalerweise wurde er stets mit einem fröhlichen, etwas zu überschwänglichen »Guten Morgen« begrüßt, und wenn sein Kollege sich einen neuen Hut geleistet hatte, musste Neal Sanders als allererstes sein Urteil darüber abgeben, obwohl er sich bei Kopfbedeckungen nun wirklich nicht besonders gut auskannte. Das nervte manchmal, aber eigentlich war Gary ein cooler Typ, also nahm Neal diese kleine Macke hin.

An diesem Morgen passierte jedoch nichts dergleichen. Gary blickte auf seinen Bildschirm, als spielte sich dort gerade die interessanteste Sache der Welt ab. Dabei sprach er kein Wort, und er tippte auch nicht auf seiner Tastatur. Die Hände hatte er flach vor sich auf den Schreibtisch gelegt. Sein Telefon begann zu klingeln, aber er hob nicht ab. Als wäre er eingefroren.

»Gary, alles klar bei dir?«, fragte Sanders.

Sein Kollege antwortete nicht. Er zuckte nicht mal mit der Wimper.

»He, Mann, was ist denn los? Ist dir irgendwas ...«

Neal Sanders verstummte. Garys Hut und sein Kopf darunter waren wie aus dem Nichts von einem roten Schimmer umgeben. Der Schimmer pulsierte im Takt eines Herzschlags, wurde dabei heller und dunkler und war im nächsten Moment wieder verschwunden. Das Ganze hatte nur einige Sekunden gedauert.

Was war denn ...?

Sanders brachte den Gedanken nicht zu Ende. Seine Augen weiteten sich. Ihm blieb die Luft weg, als habe ihm jemand einen Schlag in den Magen versetzt. Er öffnete den Mund und wollte etwas sagen, aber er brachte keinen Ton heraus, als schnürten ihm unsichtbare Hände die Kehle zu. Diesen Anblick konnte er nicht begreifen, er wollte es nicht glauben.

Das vertraute Gesicht von Gary Wind hatte sich in einen bleichen Totenschädel verwandelt!

Sein Kollege oder zumindest das Ding, das bis eben noch sein Kollege gewesen war, griff in die Innentasche seines Jacketts – mit ganz einer ganz normalen, menschlichen Hand, wie Sanders bemerkte –, zog einen kleinen Revolver hervor und zielte auf ihn.

Der Anblick der auf ihn gerichteten Mündung riss Sanders aus seiner Starre. In dem Moment, als der Schuss krachte, warf er sich zur Seite. Etwas schlug schmerzhaft gegen seine Schulter, dann fiel er zu Boden. Unter dem Schreibtisch hindurch sah er Garys Beine. In diesem Moment erhob er sich und ging davon. Weitere Schüsse krachten, entsetzte Schreie waren zu hören.

Sanders rappelte sich auf. An der Stelle, wo die Kugel ihn getroffen hatte, war sein Hemd bereits blutdurchtränkt, aber durch das Adrenalin spürte er keine Schmerzen. Er spähte über den Schreibtisch hinweg. Von Gary Wind war nichts zu sehen, aber noch immer fielen Schüsse, Menschen liefen wild durcheinander. Mit einer Hand griff er nach seinem Handy, das neben der Tastatur seines Computers lag, und rutschte dann wieder unter den Tisch. Für den Fall, dass Gary zurückkommen sollte, bot er zumindest etwas Schutz.

Hektisch wählte Neal Sanders den Notruf.

Freie Tage hatte ich viel zu selten, und ich war fest entschlossen, den heutigen zu genießen. Aber erst, nachdem ich meine Wohnung aufgeräumt hatte, denn das war seit Langem wieder einmal fällig. Danach würde ich dieses neue indische Lokal zwei Straßen weiter ausprobieren und den Abend mit einem hoffentlich spannenden Champions-League-Spiel im Fernsehen beschließen. Ja, an diesem Tag wollte ich mich nur auf mich konzentrieren.

Als das Telefon klingelte, ahnte ich schon, dass meine Pläne soeben Makulatur geworden waren. Ich wappnete mich innerlich und hob ab. »Sinclair?«

»John, ich störe Sie wirklich nur ungern an Ihrem freien Tag.« Die vertraute Stimme von Sir James Powell drang an mein Ohr.

»Und Sie würden es wahrscheinlich auch nicht tun, wenn es nicht dringend wäre«, sagte ich und ließ meine Blicke durch mein unaufgeräumtes Wohnzimmer wandern. Der Zustand würde wohl noch eine Weile anhalten.

»Sehen Sie zufällig gerade die Nachrichten?«

»Nein, mein Fernseher ist ausgeschaltet.«

»Schalten Sie BBC ein.«

»Einen Moment, Sir.«

Wo war denn die Fernbedienung? Dort, direkt neben dem Fernseher natürlich. Ich schnappte das Gerät, schaltete es ein und wählte den Programmplatz des Nachrichtensenders. Vor dem Londoner Börsengebäude stand eine blonde Reporterin in einem roten Mantel und sprach aufgeregt in ihr Mikrofon.

Breaking News: Anschlag auf Börse, war in einem roten Band in Höhe ihrer Hüfte zu lesen. Ich stellte den Ton lauter.

»... gibt es noch keinerlei Hinweise, warum Gary Wind heute Morgen mit einer Waffe an seinem Arbeitsplatz erschien, drei seiner Kollegen erschoss und zwei weitere verletzte, einen davon schwer. Augenzeugen berichten, sie hätten nichts Auffälliges beobachtet, bis ...«

Ich drückte den Ton stumm. »Meinen Sie die Sache an der Börse, Sir James?«

»Genau die.«

»Schlimme Geschichte. Aber was hat das mit uns zu tun?«

»Ein Kollege von Gary Wind will beobachtet haben, wie sich der Kopf des Mannes kurz vor dem Amoklauf in einen Totenschädel verwandelte.«

»In einen Totenschädel?«

»Ganz genau. Natürlich halten wir diese Information vor der Presse geheim. Wie es scheint, ist diese Sache niemand anderem aufgefallen, aber wahrscheinlich ging alles viel zu schnell und die Leute haben nur noch daran gedacht, heil aus dem Gebäude zu kommen. Wind hat sich die letzte Kugel selbst in den Kopf geschossen. Als man ihn fand, war sein Gesicht völlig normal.«

»Vielleicht hat sich der Kollege die Sache nur eingebildet?«

»Das ist zwar immer möglich, aber er ist völlig sicher. Wind hat ihm gegenübergesessen und unvermittelt die Waffe gezogen, nachdem er sich verwandelt hatte. Der Mann konnte sich gerade noch zur Seite werfen. Er ist mit einer Schusswunde an der Schulter und einem leichten Schock davongekommen.«

»Wie heißt er, und wo finde ich ihn?«

»Der Name des Mannes lautet Neal Sanders. Er liegt im London Bridge Hospital. Fahren Sie hin, und sprechen Sie mit ihm. Suko ist bereits unterwegs.«

»Ich würde mir gerne die Leiche von Gary Wind ansehen. Vielleicht reagiert mein Kreuz auf sie.«

»Einverstanden. Der Tote liegt in der Gerichtsmedizin. Ich werde dort Ihr Erscheinen ankündigen.«

Ich verabschiedete mich von Sir James, legte auf, schnappte mir meine Jacke und verließ meine Wohnung.

Keine halbe Stunde später stand ich mit Suko am Krankenbett von Neal Sanders. Der Mann hatte einen dicken Verband an der Schulter und war sehr blass, was nach dem, was er erlebt hatte, nicht verwunderlich war. Und dabei hatte er noch Glück gehabt. Immerhin waren drei seiner Kollegen zu Tode gekommen, der andere Verletzte lag mit einer schweren Kopfwunde auf der Intensivstation, und es war nicht klar, ob er es überstehen würde.

»Und Sie sind ganz sicher, dass sich sein Kopf in einen Totenschädel verwandelt hat?«, fragte Suko den Mann.

»So sicher, wie ich jetzt ein Loch in der Schulter habe. Ich hab's Ihnen doch schon zweimal erzählt«, brauste er auf.

»Wir glauben Ihnen, Mister Sanders«, beruhigte ich ihn. »Aber wir müssen bei solchen Vorkommnissen besonders sicher gehen.«

»Gab es denn irgendwelche Anzeichen für eine Veränderung in Mister Winds Wesen?«, setzte Suko die Vernehmung fort. »Ein kürzlicher Schicksalsschlag, seine Frau hat ihn verlassen, ein beruflicher Misserfolg oder etwas Ähnliches, was einen Amoklauf auslösen könnte?«

Sanders schüttelte den Kopf. »Überhaupt nichts. In den letzten Tagen war Gary so wie immer. Stets zu einem Späßchen aufgelegt, Bombenerfolge bei der Arbeit, und die Frauen haben ihn umschwärmt wie die Motten das Licht. Erst gestern hat er sich mal wieder etwas Besonderes gegönnt, einen neuen Hut.«

»Einen Hut?«

»Ja, er hatte ein Faible für Hüte, wissen Sie? Hatte immer einen auf, das war ein richtiger Tick. Er hat mir tagelang von diesem neuen Laden vorgeschwärmt. Da gibt's wohl ganz exklusive Modelle zu saftigen Preisen. Ich kenn mich da nicht aus, aber Gary konnte ewig davon erzählen. Er muss gestern nach Feierabend dort gewesen sein. Kann sein, dass dieser Hutmacher der Letzte war, der Gary in seinem normalen Zustand gesehen hat. Vielleicht reden Sie mal mit dem.«

»Wie heißt der Laden?«

»Tarsov, Tarasov oder so ähnlich. Ich weiß es nicht genau. Irgendwo in der St. James Street.«

»Danke, Mister Sanders. Ich denke, das war alles. Ich lasse Ihnen meine Karte hier. Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt, rufen Sie mich an.«

Ich legte meine Visitenkarte auf den Nachttisch, dann verabschiedeten wir uns und verließen das Krankenzimmer.

»Was meinst du, Suko?«, fragte ich meinen Partner, während wir zum Aufzug gingen.

Suko zuckte die Schultern. »Merkwürdige Geschichte. Mal angenommen, die Sache mit dem Totenschädel stimmt. Warum erschießt Wind sich dann selbst? Wenn er unter einem schwarzmagischen Einfluss stand, hätte er leicht fliehen können.«

»Das, mein Freund, müssen wir herausfinden. Jetzt fahren wir in die Gerichtsmedizin, Mister Wind einen Besuch abstatten. Vielleicht gibt uns seine Leiche einen Hinweis.«

»Und er ist wirklich pünktlich morgen früh fertig?«

»Aber ja, Miss Peaches, Sie können Ihren neuen Hut morgen direkt nach Ladenöffnung abholen. Um neun Uhr mache ich auf«, beruhigte sie Wladimir Tarasov.

Milli Peaches strahlte über das ganze Gesicht. Ihren großen blauen Augen schienen noch größer zu werden, wie immer, wenn sie sich über etwas besonders freute. Morgen war ihr großer Tag. Zum ersten Mal würde sie beim legendären Pferderennen in Ascot dabei sein, und zwar am dritten Renntag, dem traditionellen Ladies Day. Dieser Tag hatte das Bild dieses traditionsreichen Turniers in der weltweiten Öffentlichkeit wie kein anderer geprägt, denn am Ladies Day trugen die Besucherinnen jene ausgefallenen Hutkreationen, von denen jedes Jahr zahlreiche Fotos die Klatschspalten der internationalen Presse füllten.

Seit sie dreizehn Jahre alt gewesen war, hatte Milli davon geträumt, einmal bei diesem Ereignis dabei sein zu können. Jetzt, zehn Jahre später, stand der Traum kurz davor, in Erfüllung zu gehen. Ascot. Die Menschen. Die Pferde. Die Rennen. Sie konnte es kaum erwarten.

Für die beiden Tickets hatten sie und ihre beste Freundin Jenny Longford, eine Pferdenärrin wie sie, lange gespart. Als Angestellte bei einer großen Bank verdienten sie zwar nicht schlecht, aber die Tickets waren sündhaft teuer gewesen.

Milli hatte sich für diesen besonderen Anlass ein orangefarbenes Sommerkleid bei Harrods gegönnt, das perfekt zu ihrem kurz geschnittenen hellblonden Haar passte. Und als Krönung, als Sahnehäubchen für einen perfekten Tag, hatte sie einen Hut in dem neuem Hutgeschäft von Wladimir Tarasov gekauft.

Sie hatte den Laden zufällig bei einem Spaziergang entdeckt und war von der mit grünem Samt ausgeschlagenen Schaufenster-Auslage sofort fasziniert gewesen. Auf vergoldeten Podesten waren die verschiedenen Modelle drapiert, perfekt ausgeleuchtet von kleinen Scheinwerfern in den Ecken der Auslage. Nüchtern gehaltene, aber edel wirkende klassische Hüte wie Melonen oder Zylinder hatten ebenso ihren Platz wie ausgefallene Kreationen in allen möglichen Farben für den Herren und für die Dame.

Sie hatte nicht lange gezögert, hatte den Laden betreten und sich ausgiebig umgesehen. Aber irgendwie war das richtige Modell nicht für sie dabei gewesen. Umso größer war ihre Freude gewesen, als ihr der Inhaber erklärte, dass er auch individuelle Hüte nach Kundenwunsch anfertigte.

Am nächsten Tag war sie mit einer Zeichnung wieder in seinen Laden gekommen. Ihr hatte ein passend zu ihrem neuen Kleid orangefarbener Hut mit breiter Krempe, hoher Krone und einem von einer riesigen Stoffblüte verzierten Hutband vorgeschwebt. In dem Band sollten außerdem drei in Orange eingefärbte Pfauenfedern stecken. Die Skizze war etwas dilettantisch, denn Zeichnen war nie ihre große Stärke gewesen. Aber Mr. Tarasov hatte nur milde gelächelt, ihren Kopf vermessen und sie gebeten, in einer Woche wiederzukommen. Damit er die richtige Farbe traf, hatte sie ihm ein Foto von dem Kleid dagelassen.

Heute war die Anprobe, und sie hatte ihren neuen Hut zum ersten Mal in Augenschein nehmen können. Er war ... überwältigend. Das gute Stück sah genauso aus, wie sie es sich vor ihrem geistigen Auge ausgemalt hatte. Angesichts ihrer miserablen Zeichnung hätte sie mit einem solchen perfekten Ergebnis eigentlich gar nicht gerechnet. Fast schien es ihr, als habe der Hutmacher ihr Blatt Papier links liegen gelassen und stattdessen in ihr Innerstes hineingeblickt, um jedes noch so kleine Detail perfekt ihren Vorstellungen entsprechend zu gestalten. Auch die Farbe stimmte genau. Der Mann war ein absoluter Meister seines Fachs.

Diese Exklusivität hatte allerdings ihren Preis. Fünfhundert Pfund hatte sie als Vorauszahlung auf den Tisch legen müssen, weitere fünfhundert Pfund wurden fällig, wenn sie den Hut morgen abholte. Und das war ein Sonderpreis, wie Tarasov ihr versichert hatte.

Um das bezahlen zu können, hatte sie etwas von den fünfzehntausend Pfund abzweigen müssen, die sie vor drei Jahren von ihrer Großmutter Annie geerbt hatte. Geld, das eigentlich als absoluter Notgroschen und im besten Fall für ihre Altersversorgung dienen sollte. Jenny durfte auf keinen Fall davon erfahren, sie würde ihr sonst gründlich den Kopf waschen, weil sie eine solche Summe für einen Hut ausgab, den sie vielleicht nur einmal tragen würde. Aber es war immerhin Ascot, und es war ihr Traum, da musste einfach alles stimmen. Herrje, vielleicht würde sie sogar die Queen sehen.

»Ich mache ihn nur ein kleines Stückchen weiter, dann passt er wie angegossen«, riss Tarasov sie aus ihren Gedanken.

»Eigentlich passt er doch schon«, entgegnete sie. Tatsächlich war ihr bei der Anprobe nichts aufgefallen, weder drückte ihre neue Kopfbedeckung, noch saß sie zu locker. Aber der Hutmacher war ganz offenbar ein Perfektionist.

»Zu 99,9 Prozent passt er, da haben Sie recht. Aber mit 99,9 Prozent gibt sich Wladimir Tarasov nicht zufrieden, und das sollten Sie auch nicht tun, Miss Peaches.« Er schenkte ihr wieder dieses milde Lächeln.

Milli nickte. »Sie haben recht«, sagte sie, woraufhin Tarasov leicht mit dem Kopf wackelte, als wolle er »Aber natürlich habe ich das« sagen.

Milli hatte versucht, das Alter des Mannes zu schätzen, aber sie war nicht sicher. Er konnte sechzig, aber genauso gut achtzig Jahre alt sein. Wie bei ihrer ersten Begegnung trug er einen schwarzen Anzug, der im Vergleich zu seinem mit viel dunklem Holz und einem roten Teppich edel ausgestatteten Laden merkwürdig schäbig wirkte. Zudem war das Kleidungsstück wenigstens eine Nummer zu groß und schlotterte regelrecht um seinen hageren Körper. Das galt auch für das weiße Hemd mit hohem Kragen, das er unter dem zugeknöpften Jackett trug.

Der Mann war kaum größer als sie, und sie maß nur etwas mehr als einssechzig. Sein Gesicht war schmal und scharf geschnitten, dünnes weißes Haar umrankte den kantigen Schädel. Die Lippen waren schmal und blass, so wie die gesamte Haut des Hutmachers eine ungesunde Blässe aufwies. Im Gegensatz zu seinem Lächeln wirkten seine blauen Augen irgendwie kalt. Wenn er die Hände hob, wurden überlange, dünne Finger sichtbar, die Milli ein wenig an die Klauen eines Geiers erinnerten.

Ihr fiel auf, dass sie schon wieder eine Weile nichts gesagt hatte und ihn anstarrte, was Tarasov, ganz die Höflichkeit in Person, zu ignorieren schien. »Haben Sie denn viele Hüte verkauft in letzter Zeit?«, platzte sie heraus, um das peinliche Schweigen zu brechen. Was war denn das für eine Frage?, dachte sie im selben Moment, und verdrehte innerlich über sich selbst die Augen.

Wenn Tarasov die Frage unangebracht fand, so ließ er sich nichts anmerken. »Das kann man wohl sagen, Miss Peaches. Ascot, Sie wissen ja. Heerscharen von Damen kamen in meinem Laden, und ich hatte wirklich alle Hände voll zu tun. Vielleicht sollte ich das Pferderennen nächstes Jahr sponsern, es hat mir ein ausgezeichnetes Geschäft beschert.« Er kicherte leise.

»Dann will ich Sie jetzt nicht länger aufhalten. Sie haben bestimmt eine Menge zu tun.«

»Das könnte man so sagen, Miss Peaches.«

»Dann bis morgen, Mister Tarasov.«

»Bis morgen.«