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"Leuchte, heller Spiegel, mir und blende ihn mit deinem Schein ..."
Die berühmte Arie des teuflischen Magiers D. Mirakel aus der Oper Hoffmanns Erzählungen.
Man sollte meinen, es gibt keine Geheimnisse mehr über dieses Stück, das so oft aufgeführt wurde.
Ein Irrtum! Das sollten ich und einige andere Menschen im Publikum bitter erfahren ...
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Seitenzahl: 120
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
DAS GRAUEN IM SPIEGEL
Jason Dark's Leserseite
Vorschau
Impressum
DAS GRAUEN IM SPIEGEL
»Leuchte, heller Spiegel, mir und blende ihn mit deinem Schein ...«
Die berühmte Arie des teuflischen Magiers D. Mirakel aus der Oper Hoffmanns Erzählungen.
Man sollte meinen, es gibt keine Geheimnisse mehr über dieses Stück, das so oft aufgeführt wurde.
Ein Irrtum! Das sollten ich und einige andere Menschen beim Eintritt in die Spiegelwelt bitter erfahren ...
»Wir brauchen eine Couch!« Dagmar Hansen hatte ihre Stimmlage leicht angehoben. Da wusste ihr Partner Harry Stahl Bescheid, dass es Zeit war, ihr Aufmerksamkeit zu schenken.
»Eine Couch?«
»Ganz genau. Das hast du richtig gehört.«
Harry lachte. »Sorry, Dagmar, aber ich sitze auf dieser hier sehr bequem. Nicht zu hart, auch nicht zu weich. Eigentlich ideal.«
Die Frau mit der natürlichen rötlichen Haarflut schüttelte den Kopf.
»Sie soll ja nicht für hier sein, sondern für das Gästezimmer. Es soll also eine Schlafcouch werden.«
»Aha. Haben wir denn viele Gäste? Abgesehen von John Sinclair und seinen Freunden.«
»Stimmt. Und die sollen es sich bequem machen können. Das alte Ding, das wir haben, fällt bald auseinander.«
»Nun ja, noch hat es ja gehalten.«
»Aber das wird nicht mehr lange so sein. Und wir haben jetzt die Chance, eine Couch zu kaufen.«
»Warum ausgerechnet jetzt?«
»Ganz einfach. Wir haben beide frei.«
Harry stöhnte. »Ja, das haben wir.« Zugleich sah er ein, dass Widerstand zwecklos war. Wenn sich Dagmar mal was in den Kopf gesetzt hatte, dann zog sie es auch durch.
»Dann hoch mit dir, Harry!«
Der BKA-Mann nickte ergeben. Er kannte Dagmar. Die ließ nicht locker. Da war es besser, wenn man ihr zustimmte.
»Und an welche Farbe hast du gedacht?«
»An eine neutrale. Grau vielleicht. Oder ein Beigeton.«
»Gut.« Harry fragte nicht mehr weiter, sondern ging zur Garderobe und streifte seine Jacke über. Weitere Bemerkungen machte er nicht, denn er wusste, dass es keinen Sinn hatte, gegen die Entschlüsse seiner Frau zu sprechen.
Im Wagen und noch in der Tiefgarage stellte Harry die erste Frage: »Wohin sollen wir fahren? Es gibt ja vier Möbelhäuser in der Nähe, die alles anbieten, was mit Wohnen zusammenhängt.«
»Nein, dahin nicht.«
»Sondern?«
»Fahr erst mal aus der Garage, dann sehen wir weiter.«
»Wie du willst.«
Dagmar Hansen hatte schon einiges vorbereitet. Bei einem kurzen Halt sagte sie ihrem Partner Bescheid. »Möbel Lichter.«
»Was?«
»Ja, da fahren wir hin.«
Er schüttelte den Kopf. »Ausgerechnet das teuerste Geschäft im Umkreis.«
»Das weiß ich, mein Schatz. Aber bei Möbel Lichter gibt es nun mal die beste Qualität. Der Laden ist auch nicht so übertrieben groß. Dafür ist die Auswahl exzellent. Klasse statt Masse.«
»Die kostet.«
»Nun ja, mein Lieber.« Dagmar lächelte zufrieden. »Dafür bekommst du auch keinen Schrott. Alles erste Ware.«
»Okay, du musst es wissen.«
Harry Stahl gab sich geschlagen. Den Weg kannte er. Mit Dagmar war er schon einige Male an dem Geschäft vorbeigefahren. Nun erinnerte er sich auch an die Blicke, die Dagmar dem Laden gewidmet hatte. Die waren beinahe sehnsuchtsvoll gewesen.
Harry hatte beschlossen, sich mit weiteren Kommentaren zurückzuhalten. Er würde sowieso den Kürzeren ziehen.
Sie erreichten das Geschäft und konnten ihren Opel auf einem nur halbgefüllten Parkplatz abstellen. Wenn sie den Blick nach vorn richteten, sahen sie die Front des Möbelhauses, die nicht mit grellen Reklamesprüchen bemalt worden war. Den Eingang bildeten zwei Glastürhälften, die sich automatisch öffneten, sobald die Kunden eine bestimmte Entfernung erreicht hatten.
Sie betraten das Haus, und auch Harry war zufrieden, denn es herrschte keine schwüle Hitze mehr. Der Laden war angenehm temperiert.
Ein Empfangschef war ebenfalls vorhanden. Er eilte auf die beiden Kunden zu und begrüßte sie mit einem strahlenden Lächeln, das ebenso falsch war wie seine Zähne.
»Bitte, was kann ich für Sie tun?«
Auf einem Schild an der Jacke stand der Name des Mannes: Norbert Lichter.
»Wir interessieren uns für eine Couch mit Schlaffunktion«, antwortete Dagmar.
»Sehr schön. Wir haben eine tolle Auswahl. Kommen Sie.« Norbert Lichter machte eine auffordernde Geste. »Unsere Sitzmöbel befinden sich in der ersten Etage.«
Der Knabe mit dem dunklen, leicht öligen, nach hinten gekämmten Haaren ging vor. Er trug einen hellen Sommeranzug, deren Hose sehr enge Beine aufwies.
Er berichtete von den ausgewählten Designermöbeln, die man hier exklusiv kaufen konnte.
»Ich werde Ihnen jetzt eine Sitzgelegenheit zeigen, die Sie bestimmt ungewöhnlich finden werden.«
»Da bin ich gespannt.«
Ein paar Schritte mussten sie noch gehen. Dann hatten sie ihr Ziel erreicht.
Ja, es stand dort eine Couch. In einem hellen Rot und beinahe geformt wie ein Mund.
Harry musste sich das Lachen verbeißen. Er wollte nicht unnötig auffallen und drehte sich weg.
Jetzt fiel sein Blick auf einen menschenhohen Spiegel, dessen Glas in einem schwarzen Rahmen steckte.
Alles war ganz normal – oder?
Nein, da war nichts normal, gar nichts. Denn eigentlich hätte er in dem Spiegel sein Spiegelbild sehen müssen.
Aber er sah nichts, gar nichts. Nur die blanke Spiegelfläche, und das Lachen blieb ihm im Hals stecken ...
Es kam nicht so oft vor, aber in diesen Augenblicken wusste Harry Stahl nicht, wie er sich verhalten sollte. Er war mit einem Phänomen konfrontiert worden, für das er keine Erklärung hatte. Er stand genau vor dem Spiegel und hätte sich sehen müssen.
Harry ließ einige Sekunden verstreichen und suchte nach den richtigen Worten.
Er wollte mehr wissen.
Noch einmal schaute er in den Spiegel.
Die Fläche gab nichts zurück. Sie war leer und matt. Kein Glänzen, aber trotzdem hatte Harry Stahl das Gefühl, dass sich in oder hinter der Fläche etwas verbarg, das er zunächst noch als sonderbar einstufte und sich keine weiteren Gedanken machte.
Er wollte einen Test durchziehen und rief nach seiner Partnerin. Die war in das Gespräch mit Norbert Lichter vertieft, und so musste Harry zweimal rufen, ehe Dagmar sich zu ihm umdrehte.
»Was ist denn?«
»Kannst du mal kurz kommen?«
»Und dann?«
Harry schüttelte einfach nur den Kopf und sagte nichts mehr.
Erfreut war Dagmar Hansen nicht, dass sie ihren Platz wechseln musste. Auf der anderen Seite hatte Harrys Stimme einen drängenden Ton enthalten.
»Was ist denn los?«
»Geh noch ein wenig zur Seite und schau in den Spiegel. Dann wirst du erkennen, was ich meine.«
Sie stellte sich vor den Spiegel und lächelte.
»Und jetzt sagst du mir, was du auf der Spiegelfläche erkennst.«
»Mich natürlich.«
Harry stöhnte leise auf. So hatte er es nicht haben wollen, denn das konnte nicht sein.
Er wollte es genau wissen und stellte sich neben seine Partnerin.
Der Blick nach vorn und ...
Da war nichts so wie gerade eben noch. Er sah sich, und er sah auch Dagmars Spiegelbild auf der Fläche.
»Und jetzt?«, fragte sie.
»Ich begreif's nicht.« Harry schüttelte ratlos den Kopf. »Als ich vorhin in den Spiegel schaute, da war nichts zu sehen.«
Beide standen sie vor dem Spiegel, als wären sie zu Eis geworden. Ihre Blicke zeigten eine gewisse Spannung und waren auf den Spiegel gerichtet. Dort aber tat sich nichts. Die Fläche blieb normal, und beide betrachteten ihr Spiegelbild. Da gab es nicht ein Detail, das sich verändert hätte.
Plötzlich stand Norbert Lichter neben ihnen. Er machte auf sich aufmerksam, indem er sich behutsam räusperte und dann fragte: »Kann ich etwas für Sie tun? Kann ich Ihnen helfen?«
Dagmar kam auf den Spiegel zu sprechen und erkundigte sich, woher er kam.
»Ach, den gibt es schon länger. Den hat mein Vater gekauft, glaube ich. Es kann auch mein Großvater gewesen sein.«
»So alt ist er?«
Norbert Lichter musste lachen. »Ja, so alt ist er. Man kann es kaum fassen, aber es stimmt. Keine Verzierungen im Holz. Einfach und glatt. Gerade in seiner Schlichtheit ist er einmalig. Ich bin der Meinung, dass er aus der Art-déco-Zeit stammt.«
»Ja, das kann sein.«
Norbert Lichter lächelte breit. »Denken Sie darüber nach, ihn zu kaufen?«
Dagmar drehte den Kopf, um Harry anzusehen.
»Schlecht ist er nicht«, meinte sie. »Ich finde, dass er zu unserer Einrichtung passen könnte.«
»Aber sicher bist du nicht, oder?«
»Genau.«
Es war zu hören, wie der Verkäufer einatmete.
»Wir können uns auf einen Kompromiss einigen«, schlug er vor und breitete die Arme aus. »Ich meine wohl, dass Sie Interesse haben, und ich bin Fachmann genug, um zu wissen, wie das mit Möbelstücken ist. Sie haben im Geschäft oft eine andere Wirkung als in der Wohnung.«
»Das stimmt.«
Der Möbelchef lächelte Dagmar an und sah dabei aus, als hätte er bereits einen großen Sieg errungen.
»Sie dürfen ihn mitnehmen, wenn Sie wollen, und mal einen Tag hinstellen. Erst dann kann man beurteilen, ob so ein Möbelstück auch in die Wohnatmosphäre hineinpasst.«
Dagmar und Harry nickten. Man sah ihnen an, dass sie den Vorschlag gut fanden.
»Okay, das machen wir.« Dagmar sagte zu.
»Sehr gut.«
»Aber wie bekommen wir ihn bis zu uns?« Harry Stahl hatte da seine Bedenken.
Norbert Lichter winkte ab. »Das ist überhaupt kein Problem. Ich werde hinter Ihnen herfahren und auch helfen, den Spiegel in das eine oder andere Zimmer zu transportieren.«
»Das ist nicht schlecht.« Dagmar lachte und stieß ihren Partner an. »Was sagst du?«
Harry erwiderte zunächst nichts. Er gab aber durch ein zaghaftes Nicken seine Zustimmung. Wohl war ihm bei dieser Aktion nicht, denn er konnte nicht vergessen, wie sich der Spiegel verhalten hatte.
Hätte seine Partnerin das erlebt, dann hätte sie unter Umständen auch anders gedacht. Aber er war trotz seiner Bedenken auch gespannt darauf, was da auf ihn zurollen würde ...
Der Mann hieß Percy Pratt. Er war knapp über sechzig Jahre alt und in der Branche (oder in gewissen Kreisen) sehr bekannt. Offiziell verdiente er sein Geld als Antiquitätenhändler. Tatsächlich aber war er ein Hehler und auf bestimmte Dinge fixiert.
Ich hatte den Tipp von meiner Freundin Jane Collins bekommen. In irgendeiner Szene hatte es sich herumgesprochen, dass dieser Percy Pratt etwas Besonderes hütete, das von einer anderen Macht stammte, die tief in die Kräfte der Hölle verstrickt war. Dabei ging es um einen Spiegel, der es in sich haben sollte. Ob das stimmte, wusste ich nicht. Ich war aber unterwegs, um es herauszufinden.
Ob es sich um einen Routinejob handelte oder ob mehr dahintersteckte, das hatte auch Jane Collins nicht gewusst. Ich würde es herausfinden und war gespannt. Es hatte im Übrigen Zeugen gegeben, die in der Nacht angeblich Schreie aus dem Haus gehört hatten. Das alles wusste ich, aber die reine Wahrheit wollte ich noch erfahren.
Oft hausten Antiquitätenhändler oder solche, die sich dafür hielten, in Gegenden, in die sich kaum ein Tourist verirrte, wenn er kein bestimmtes Ziel hatte. Bei Percy Pratt war dies nicht der Fall. Er lebte in einer alten Villa, in der er auch sein Geschäft hatte. Das wusste ich ebenfalls von Jane.
Der Herbst hatte seine ersten Spuren in der Stadt hinterlassen und London mit einem starken Nebel überzogen. Ich hatte gewartet, bis die graue Brühe verschwunden war und war dann losgefahren, um diesen Pratt zu besuchen.
Ja, er lebte tatsächlich in einer Villa, die den Mittelpunkt eines nicht besonders gepflegten Grundstücks bildete. Aber ich konnte es betreten und fand auch genügend Parkraum.
Als ich ausstieg, warf ich einen Blick auf das Haus, dessen Fassade an einigen Stellen einen grünlichen Schimmer bekommen hatte. Ein Zeichen von Feuchtigkeit.
Ich ging auf die Haustür zu. Auf dem Weg dorthin konnte ich einen Blick durch eines der Fenster werfen und erkannte schon jetzt, dass der Laden recht vollgestopft war.
Ich blieb erst vor der Tür stehen und suchte nach einem Klingelknopf. Es gab keinen. Dafür sah ich eine Kamera, die den Teil vor dem Haus überwachte, in dem auch ich meinen Platz gefunden hatte.
Und ich war bereits gesehen worden. Eine Männerstimme erwischte mich. Wo sich der Lautsprecher befand, das sah ich nicht.
»Sie wünschen, Mister?«
»Was will ich wohl hier? Etwas kaufen.«
»Und was?«
»Mal schauen. Ich hatte an ein Dekostück für meine Wohnung gedacht. Wie ich hörte, sind Sie damit gut bestückt.« Das hatte mir Jane tatsächlich erklärt, und so war ich gespannt auf die Reaktion.
Nach meiner Antwort hörte ich ein Summen, dann konnte ich die Tür nach innen drücken.
Schon nach dem zweiten Schritt schlug mir ein muffiger Geruch entgegen, der mir allerdings nicht viel ausmachte, weil ich davon ausging, dass die alten Stücke ihn gespeichert hatten und jetzt ausströmten.
Hell war etwas anderes, aber trotzdem fand ich mich einigermaßen zurecht. Immerhin stieß ich nirgendwo gegen, als ich einen Gang entlang schritt, der mich in die Mitte des Ladens brachte, denn dort wartete der Händler auf mich.
Kurz vor ihm hielt ich an. Viel hatte ich nicht erwartet, aber nun war ich doch erstaunt. Der Händler war kleinwüchsig und reichte mir bis knapp über den Bauchnabel. Das war es jedoch nicht allein.
Jetzt traf mich ein messerscharfer Blick. Es war hell genug, um den metallischen Glanz in den Augen zu erkennen, und dann hörte ich die Frage, auf die ich schon gewartet hatte.
»Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
»Nicht direkt. Ich habe eventuell an einen Spiegel gedacht, Mister Pratt.«
Der Zwerg schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht Percy Pratt. Er ist zurzeit unterwegs, aber ich kann ihn vertreten. Mein Name ist Nico.«
»Gut. Und ich heiße John. Haben Sie denn Zeit, mir einige Stücke zu zeigen?«
»Ich werde es versuchen. Haben Sie sich ein Limit gesetzt, was Sie ausgeben wollen?«
»Nein, eigentlich nicht.« Dann dachte ich daran, dass ich nicht eben wie ein reicher Typ aussah, und fügte hinzu: »Aber zu teuer darf das Stück nicht sein.«
»Klar, wir werden sehen.« Er nickte und winkte zugleich. »Dann kommen Sie mal mit, John.«
Genau diesen Gefallen tat ich ihm gern, und in meinem Innern wuchs allmählich die Spannung ...
Der Möbelhändler hielt sein Versprechen. Er fuhr mit einem Sprinter hinter Harry und Dagmar her und stoppte erst, als die beiden auch anhielten. Das war vor ihrem Haus, in dem sie wohnten. Zum Glück konnten sie mit dem Lift hochfahren und brauchten nicht zu schleppen.
Norbert Lichter fuhr trotzdem mit in die erste Etage, wo die Wohnung der beiden lag und die einen Balkon besaß, von dem man aus einen herrlichen Blick ins Rheintal besaß.
Der Spiegel war auf ein Rollbrett gestellt worden. So lief der Transport noch besser ab.
Dagmar war als Erste an der Tür und schloss auf. Wenig später wurde der Spiegel über die Schwelle bugsiert und in die Wohnung hineingeschoben.
Norbert Lichter musste Schweiß von seiner Stirn loswerden, bevor er nickte und einen Kommentar abgab.
»So, das wäre geschafft.«