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"Trinken Sie ein Bier?"
Der einzige Gast an der Theke schüttelte den Kopf.
"Und was wollen Sie dann?", fragte der Wirt.
Der Gast trug die Kutte eines Mönchs. Die Kapuze war weit geschnitten und das Gesicht kaum zu sehen.
"Ich will Sie warnen", antwortete er.
Ein knappes Lachen. Dann die Frage. "Ach ja? Wovor denn?"
"Vor dem Ende. Und zwar von dem Ende Ihrer Frau ..."
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Seitenzahl: 121
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Auch der Teufel hat Propheten
Briefe aus der Gruft
Vorschau
Impressum
Auch der Teufelhat Propheten
von Jason Dark
»Trinken Sie ein Bier?«
Der einzige Gast an der Theke schüttelte den Kopf.
»Und was wollen Sie dann?«, fragte der Wirt.
Der Gast trug die Kutte eines Mönchs. Die Kapuze war weit geschnitten und das Gesicht kaum zu sehen.
»Ich will Sie warnen«, antwortete er.
Ein knappes Lachen. Dann die Frage. »Ach ja? Wovor denn?«
»Vor dem Ende. Und zwar von dem Ende Ihrer Frau ...«
Der Wirt hieß Alan Grand. Er war mehr als fünfzig Jahre alt und konnte kaum fassen, was ihm der Gast da gesagt hatte. So etwas war ihm noch nie vorgekommen, und er war in seinem Leben verdammt herumgekommen. Jetzt hockte vor ihm ein Gast, der behauptete, dass es mit seiner Frau zu Ende ging. Das war unmöglich. Das konnte nicht sein. Lilian war gesund und erfreute sich ihres Lebens, und dann so etwas.
Alan Grand hatte Zeit genug gehabt, nachzudenken. Er saugte die Luft pfeifend ein, und er bekam sogar einen roten Kopf. Die Augen quollen ihm fast aus den Höhlen, so sehr stand er unter Druck.
Schade, dass es keine Zeugen gab, die hätten mithören können, aber er konnte sie sich nicht malen und musste selbst mit den Dingen zurechtkommen.
»Du sollest abhauen!«, murrte er.
»Warum?«
Der Wirt schnaubte. »Verdammt noch mal, ich will mir so eine Scheiße nicht anhören! Verschwinde! Auch wenn du aussiehst wie ein Mönch, du bist keiner! Und ich will so was von dir nicht hören. Okay?«
Der Mann in der Kutte nickte.
Alan Grand hatte noch eine Frage. »Wer bist du überhaupt?«
»Ich bin der Prophet«, sagte der Fremde. »Ich bin der, der dir die Zukunft voraussagt.«
So etwas hatte der Wirt nicht hören wollen. Er saugte die Luft erneut scharf ein, blies sie wieder aus und hatte Mühe, sich zu beherrschen und nicht den Schlagstock unter der Theke hervorzuholen, um den Gast aus der Kneipe zu prügeln.
Das war nicht nötig. Der angebliche Prophet drehte ab. Er schob den Rand seiner Kapuze noch tiefer ins Gesicht und machte sich auf den Weg zur Tür.
Der Wirt starrte ihm nach. Er hörte sich selbst schwer atmen und merkte erst jetzt, dass sich seine Hände zu Fäusten geballt hatten.
Den Gast ließ er nicht aus den Augen. Alan Grand war froh, dass er verschwand. Sein Besuch hatte für ein Unwohlsein bei dem Wirt gesorgt. Aber nicht nur das. Es war auch eine Angst, die konnte er nicht leugnen.
Mittlerweile hatte der Prophet die Tür erreicht. Und da passierte etwas Seltsames. Es war genau zu sehen, dass er die Tür aufzog. Er ging auch, trat über die Schwelle – und war verschwunden!
»Hä?« Mehr konnte der Wirt nicht sagen. Er starrte die Tür an, die langsam zufiel. Von dem Gast war nichts mehr zu sehen, und dabei hätte Grand ihn noch länger sehen müssen. Aber er war weg.
So plötzlich?
Als hätte er sich vor den Augen des Wirts aufgelöst.
Als Alan Grand daran dachte, hatte er das Gefühl, einen Eisschauer der Angst auf seinem Rücken zu spüren.
Aber er dachte auch an eine bestimmte Person. An seine Frau. Sie war so etwas wie der Mittelpunkt seines Lebens. Alan Grand wollte es genau wissen. Es war jetzt für ihn wichtig, dass er mit seiner Frau ein paar Worte sprach.
Der Wirt und sie wohnten über dem Lokal. Er nahm sein Handy und rief bei seiner Frau Lilian an.
Der Ruf ging durch. Nur nahm sie nicht ab, und das war der Moment, als es Alan Grand übel vor Angst wurde ...
Lilian Grand fühlte sich, als stünde sie unter dem Einfluss einer anderen Macht. Etwas stimmte nicht mit ihr, und das war sehr plötzlich gekommen. Sie hatte das Gefühl, als wäre ihr alles das genommen worden, was sie menschlich machte. All ihr Tun, all ihr Handeln war plötzlich anders. Es gab für sie die Normalität nicht mehr, es gab nur das andere, das sie nicht fassen konnte, das aber über sie gekommen war.
Sie konnte es nicht genau benennen oder erklären. Jedenfalls war es etwas Fremdes. Etwas, das nicht zu ihr gehörte, sie aber jetzt übernommen hatte.
Das sah sie als schlimm an. Nur konnte sie sich nicht dagegen wehren. Sie wusste nicht, was in ihr eingedrungen war, doch es hatte ihr alles genommen und sie zu einer anderen Person gemacht.
Sie saß im Sessel. Der stand im Wohnraum, in dem sie sich gern aufhielt. Jetzt nicht mehr. Sie mochte die Umgebung nicht mehr. Deshalb stand sie auf.
Auf einmal wusste sie, was sie tun musste. Nicht mehr länger hier im Zimmer bleiben, sondern in ein anderes gehen. Da ging es ihr vielleicht besser. Oder die Wohnung verlassen und nach draußen gehen. An ihren Mann dachte die dabei nicht.
Es war nur das Andere, das Unbekannte, das sie in seinen Klauen hielt.
Als hätte man ihr einen Schubs gegeben, so setzte sie sich in Bewegung. Jetzt wusste sie genau, wo sie hingehen sollte oder musste.
Der Flur war klein, hatte aber drei Türen. Zur Wohnungstür wollte Lilian Grand nicht, sie rückte leicht nach links und hatte schon nach zwei Schritten ihr erstes Ziel erreicht. Es war das Schlafzimmer, dessen Tür sie öffnete. Sie warf einen ersten Blick in den Raum. Dort hatte sich nichts verändert. Sie sah das Doppelbett, auch den Schrank mit den Spiegeltüren, das Fenster, die Gardine, auch die kleinen Lampen auf den beiden Nachttischen. Es hatte sich nichts verändert, und dennoch hatte Lilian das Gefühl, dass nichts mehr so war wie zuvor.
Es war wie ein Stich, der ihren Kopf traf. Oder auch ein Signal, das man ihr geschickt hatte. Plötzlich wusste sie, was sie tun musste. Es war wie ein Befehl, der ihr Gehirn erreichte. Es gab keine Alternative.
Mit steifen Schritten ging sie auf den Nachttisch ihres Mannes zu. Spürte dabei Hitze, die durch ihren Körper rann, und wusste auch, dass ihr auf einmal Schweiß auf der Stirn perlte.
Lilian ging an einem schmalen Wandspiegel vorbei. Sie sah sich in der Fläche, doch es kam ihr selbst vor, als wäre sie eine fremde Person.
Vor dem Nachttisch stoppte Lilian. Sie bewegte sich wieder ganz normal, bückte sich und zog die Schublade auf, um etwas aus ihr hervorzuholen, was sie unbedingt brauchte. Irgendeine Macht sagte ihr das, und der gehorchte sie.
Die Frau hatte die Schublade bis zum Anschlag aufgezogen. So konnte sie besser hineingreifen, was sie auch tat und mit einem Griff die geladene Pistole an sich nahm.
Es tat ihr gut. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Mit der Waffe in der Hand drehte sich Lilian um und schlug den Weg zur Tür ein.
Sie ging nicht schnell. Ihr Körper hatte eine gewisse Steifheit angenommen, und sie ging wie eine Marionette.
In ihrem Gesicht bewegte sich nichts, als sie das Schlafzimmer verließ, nun aber nicht mehr zurück in den Wohnraum ging, sondern einen anderen Weg einschlug.
Es war der zur Wohnungstür, die nicht verschlossen war und sich leicht öffnen ließ.
Alles war wie immer.
Nach dem nächsten Schritt befand sie sich schon im Flur und sah die Treppe, die nach unten führte und die somit auch der Weg in die Gaststube war.
Das war ihr Ziel.
Dort würde sie nicht allein sein.
Und dort würde sie genau das tun, was ihr die unbekannte Stimme befohlen hatte ...
Es gab Abende, da hatte Alan Grand seine Gaststätte bis Mitternacht geöffnet. Das war an diesem Abend nicht der Fall. Es gab immer wieder Gäste, die noch am späten Abend einen Drink nehmen wollten, aber für heute hatte Grand genug. Außerdem wollte er zu seiner Frau hoch.
Den Bereich hinter der Theke hatte er verlassen und war zur Tür gegangen, um sie abzuschließen. Das war kein Problem. Zweimal drehte er den Schlüssel, dann war die Sache erledigt.
Er drehte sich wieder um, weil er hinter der Theke noch etwas aufräumen wollte. Dabei fiel sein Blick auf die schmale Tür mit der Aufschrift ›Privat‹. Die war nicht mehr geschlossen, sie wurde im gleichen Moment geöffnet, als Alan hinschaute.
Lilian, seine Frau, erschien.
Das graue Haar umrahmte ein Gesicht, das ihm ganz und gar nicht gefiel. Es war zu starr, als hätte sie Schreckliches erlebt. So kannte er seine Lilian nicht. Und er wollte den Grund wissen, weshalb sie hier erschienen war. Und das in diesem für ihn nicht normalen Zustand.
Der Wirt rang nach Worten und sagte schließlich: »Himmel, Lilian, ist was passiert? Warum bist du hier?«
Sie kam zwei Schritte vor. Erst da fiel ihrem Mann auf, dass seine Frau die Hände hinter dem Rücken versteckt hielt. Doch er dachte nicht weiter darüber nach.
Bis zu dem Zeitpunkt, als er die Hände sah und damit auch seine Pistole.
Alan Grand wusste nicht, was er tun sollte. Er war zu überrascht und hatte auch zur Kenntnis genommen, dass die Waffe nicht auf ihn gerichtet war. Die Mündung zeigte zu Boden.
So etwas war noch nie passiert. Lilian hatte die Pistole nie gemocht, aber Alan war da anderer Meinung. Es gab zu viel Schlechtes auf der Welt, gegen das man sich wehren musste.
Er riss sich zusammen und schaffte es auch, seine Frau anzusprechen. »He, Lilly, was soll das? Was ist mit dir los? Warum hast du die Pistole genommen?«
»Ich brauche sie.«
Er lachte kurz auf. »Nein, die brauchst du nicht. Wirklich nicht. Gib sie mir.« Er streckte die Hand aus.
Lilian schüttelte den Kopf.
Ihr Mann schluckte. »Bitte, Lilian. Ich weiß nicht, warum du die Waffe an dich genommen hast. Es gibt keinen Grund. Wirklich nicht.«
»O doch, es gibt einen.«
Der ernste Klang in der Antwort seiner Frau überraschte den Wirt. Er wollte etwas erwidern, aber plötzlich war sein Gehirn einfach leer.
Ihm fiel nichts ein, und das war genau der Moment, an dem er sich wieder an seinen Besucher erinnerte. Dieser Typ, der wie ein Mönch ausgesehen hatte.
Hatte er nicht vom Schicksal seiner Frau gesprochen? Das genau hatte er, und plötzlich war es für den Wirt keine Theorie mehr. Er brauchte nur nach vorn zu schauen. Da stand seine Frau Lilian, hielt die Pistole in der rechten Hand, die sie nun anhob.
Alles passierte recht langsam, aber trotzdem zu schnell für den Wirt. Als er begriff, was geschah, hatte sich seine Frau schon die Mündung der Waffe in den Mund geschoben.
Er wollte schreien.
Doch er bekam keinen Laut heraus, und man hätte ihn auch sicherlich nicht gehört. Sein Schrei wäre im Schussknall untergegangen.
Lilian hatte abgedrückt. Sie hatte sich tatsächlich die Kugel durch den Mund in den Kopf geschossen.
Sie kippte nicht nach hinten, sondern sackte dort zusammen, wo sie gestanden hatte.
Als sie auf dem Boden lag, gelang dem Wirt ein Blick in das Gesicht seiner Frau. Einen Moment später brach auch er zusammen ...
Noch fünf Minuten, dann war die Pause vorbei, und Rusty würde wieder in seinen Bus steigen. Alle, die ihn kannten, nannten ihn Rusty, und so hatte er seinen richtigen Namen fast vergessen. Oder erinnerte sich nicht mehr daran.
Es war ihm egal. Es gab schlimmere Spitznamen.
Bei diesem Gedanken drehte er seine Thermoskanne und wollte so nachprüfen, ob sie noch Kaffee enthielt.
Ja, da war noch etwas, denn er hörte das leise Klatschen. Der Inhalt reichte, um die Tasse halb zu füllen.
Rusty streckte die Beine aus, drückte sich in seinem Stuhl zurück und trank die Tasse in kleinen Schlucken leer. Das bekam ihm gut.
Er schaute dabei nach vorn und durch die Scheibe des Aufenthaltsraums. Dort in der Halle standen die Busse, wenn sie Feierabend hatten.
Um diese Zeit allerdings – es war ein früher Morgen – waren die meisten unterwegs, und auch Rusty würde bald losfahren. Er warf sicherheitshalber noch einen Blick auf die Uhr, hob den Kopf wieder an — und erstarrte auf seinem Sitz.
Jemand stand vor ihm.
Aber nicht nur jemand, sondern eine bestimmte Gestalt. Ein Mönch, dessen Körper eine dunkelbraune Kutte umhüllte. Woher der Mann so plötzlich gekommen war, konnte der Fahrer nicht sagen, jedenfalls stand er da und starrte Rusty an. Zumindest glaubte Rusty, dass er angestarrt wurde, denn er sah nicht das gesamte Gesicht des anderen, weil die Kapuze es zum Teil verdeckte.
Woher war er gekommen?
Diese Frage beschäftigte den Fahrer. Diese Gestalt hätte er sehen müssen, was aber nicht der Fall gewesen war, denn sie stand plötzlich vor ihm, als wäre sie vom Himmel gefallen.
Doch ein Engel war der Typ bestimmt nicht.
Der Kuttenträger oder Mönch änderte seine Haltung nicht, als er anfing zu sprechen. »Ich bin gekommen, um dir Bescheid zu geben.«
Rusty schluckte. »Ähm ... warum?«
»Weil es wichtig ist.«
Der Fahrer lachte und sagte dann: »Okay, sag, was du sagen willst. Dann hau ab!«
»Mach es dir nicht zu leicht.« Der Mönch schüttelte den Kopf.
Rusty winkte ab. »Ich will nur wissen, was Sache ist. Woher du kommst und warum du hier bist.«
»Das ist einfach.«
»Aha. Wie schön.« Rusty grinste den Typen an. »Dann red mal weiter. Bin gespannt.«
»Das kannst du auch.« Es entstand eine kurze Pause, dann sprach der Kuttenmann weiter. »Ich würde an deiner Stelle nicht in den Bus steigen und losfahren.«
Rusty war nicht auf den Mund gefallen, doch in diesem Fall war er nicht in der Lage, eine Antwort zu geben.
Wenn er schon nicht sprechen konnte, wollte er dem Mönch doch zeigen, was er von ihm hielt.
Er wedelte mit seiner Hand vor dem Gesicht. Das war der berühmte Scheibenwischer.
Der Ankömmling hatte verstanden. »Mehr tust du nicht?«
»So ist es. Und nun verzupf dich! Ich hab nämlich keine Zeit mehr. Mein Dienst beginnt.«
»Dein letztes Wort?«
»Ja, verdammt! Hau ab!«
Der namenlose Mönch nickte und sagte dann nur ein Wort. »Schade.«
Rusty wollte noch eine Antwort geben, doch dazu kam es nicht. Der Kuttenträger nickte ihm noch mal zu und drehte sich um. Er ging einfach weg, und das passte Rusty auch nicht, er wollte dem Typen etwas nachrufen, aber das konnte er vergessen.
Es passierte etwas, bei dem sich seine Nackenhaare sträubten. Der Mönch ging davon, wandte ihm den Rücken zu und alles war normal. Dann aber nicht mehr, denn bei dem nächsten Schritt flirrte etwas um seine Gestalt, und plötzlich war er verschwunden.
Rusty saß auf seinem Stuhl, als hätte man ihn festgenagelt. Was er gerade erlebt hatte, war ungeheuerlich. Er konnte es nicht nachvollziehen und erst recht nicht begreifen.