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Drei gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band!
Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern aus den Jahren 1978 - 1989 und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Tausende Fans können nicht irren - ca. 250 Seiten Horrorspaß garantiert!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 40 bis 42:
40: DIE AMEISEN GREIFEN AN Grindelwald. Im Sommer und im Winter ein wahres Paradies und einer der schönsten Orte in der Schweiz. Doch das Paradies wird zur Hölle. Menschengroße Ungeheuer, Horror-Ameisen, erweckt durch eine magische Spielerei. Über Nacht fallen sie in das Urlaubsparadies ein und verbreiten Angst und Schrecken. Ihr Ziel: Ein großes Hotel. Ein Haus in dem ich mit meinen Freunden Ferien mache ...
41: DAS AMULETT DES SONNENGOTTES
Drohend trat mir der Anhänger des Sonnengottes entgegen. "Packt ihn, diesen Schnüffler!", brüllte er hasserfüllt. Von allen Seiten schnellten die Helfer hervor, packten mich und warfen mich auf den steinernen Altar. Sie wollten mich dem Sonnengott opfern ...
42: DER TOTENBESCHWÖRER
Die Nachzehrer, eine Mischung aus Vampir und Ghoul, liegen in ihren Gräbern und locken auf Befehl des Totenbeschwörers die Lebenden an, um sie zu sich in die feuchte Erde zu holen. Sie keuchen und stöhnen, zerren an ihren Leichenhemden und finden keine Ruhe. Wer nachts, wenn es windstill und ruhig ist, über den Friedhof geht und diese schrecklichen Geräusche hört, kehrt nie wieder zurück ...
Drei Mal Gruselspannung in einem Band. Jetzt herunterladen und sofort loslesen!
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Seitenzahl: 426
Veröffentlichungsjahr: 2018
Jason Dark
John Sinclair Collection 14 - Horror-Serie
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
Grindelwald. Im Sommer und im Winter ein wahres Paradies und einer der schönsten Orte in der Schweiz.Doch das Paradies wird zur Hölle.Menschengroße Ungeheuer, Horror-Ameisen, erweckt durch eine magische Spielerei.Über Nacht fallen sie in das Urlaubsparadies ein und verbreiten Angst und Schrecken.Ihr Ziel: Ein großes Hotel. Ein Haus in dem ich mit meinen Freunden Ferien mache …
Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen RomanheftausgabeBastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG© 2015 by Bastei Lübbe AG, KölnVerlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian MarzinVerantwortlich für den InhaltE-Book-Produktion:Jouve
ISBN 978-3-8387-2794-3
www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.dewww.bastei.de
Nicht umsonst wird in zahlreichen Schriften und Überlieferungen vor geheimnisvollen Beschwörungen und magischen Ritualen gewarnt.
Wer sich dennoch damit beschäftigt, sollte ein Meister seines Fachs sein und wissen, wozu die Mächte der Hölle fähig sind.
Doch wenn eine Beschwörung misslingt, wenn falsche Formeln gesprochen und die Gesetze nicht eingehalten werden, dann wird es oft schlimmer denn je. Dilettantische Beschwörungen können zu Katastrophen führen, und oft ist der Schaden irreparabel …
Nicht ein Lichtstrahl durchbrach die Dunkelheit des Raumes. Es war völlig finster. Wie es die Vorschrift verlangte.
Der Mann, der sich in dem Raum bewegte, kannte sich auch ohne Licht aus. Er wusste, wo die einzelnen Gegenstände standen. Die Schale mit dem Blut, das grünlich schimmernde, magische Pulver, die Töpfe, die Krüge und die beiden schwarzen, aus Leichenfett gefertigten Kerzen, die der Beschwörung den nötigen Rahmen gaben.
Der Mann rieb sich die Hände. In wenigen Minuten war es soweit. Dann wollte er den mächtigen Dämon beschwören, um es Zweiflern und Spöttern zu zeigen. Sie hatten ihn ausgelacht, wenn er von dem mächtigen Bael sprach. Ja, sie hatten ihn sogar aus dem Haus geworfen, sodass er in die Einsamkeit der Berge fliehen musste.
Aber bald – wenn der Dämon auf der Erde war – würden sie vor Angst und Grauen zittern und ihm Abbitte leisten. Doch er würde ihre Entschuldigungen nicht annehmen. Sie sollten büßen und Angst haben.
Alle …
Er riss ein Zündholz an.
Winzig nur flackerte die Flamme auf, bekam aber dann neue Nahrung, wurde größer, und der Widerschein tanzte schließlich mit grotesken Bewegungen über die Holzwände der Hütte.
Der Mann zündete die Kerze an. Sein Gesicht wurde aus der Dunkelheit gerissen.
Es war ein altes Gesicht mit zahlreichen Falten. Die Lippen wirkten schmal und verkniffen. Die Nase war lang und spitz. Die Schultern fielen zu beiden Seiten hin ab, und ein violetter Umhang verdeckte die ausgemergelte Gestalt.
Der Mann schritt um die Kerzen herum. Er hütete sich dabei, das magische Fünfeck zu betreten, das er mit roter Kreide auf den Boden gezeichnet hatte.
Statt dessen griff er zu einer ovalen Schale, kippte das Pulver aus und verteilte es kreisförmig in dem magischen Pentagramm. Dann nahm er einen Krug und leerte ihn ebenfalls.
Eine dicke rote Flüssigkeit floss auf das Pulver und vermengte sich mit ihm zu einer Substanz, die sofort warm wurde und kleine Blasen warf.
Der Mann trat zurück. Er rieb sich wieder die Hände. Das trockene Schaben hörte sich an, als würde er über Pergament reiben.
Teil eins der Beschwörung war gelungen.
Aber das Wichtigste lag noch vor ihm. Der Mann öffnete die Doppeltür eines alten Schranks. Die Angeln quietschten erbärmlich, doch das störte ihn nicht. In den langen Monaten hatte er sich längst an dieses Geräusch gewöhnt.
Er holte ein Gefäß hervor, das durch einen Deckel verschlossen war. In dem Gefäß befand sich die wichtigste Zutat, die er für diese Beschwörung brauchte.
Knochenmehl!
Es stammte von einem verstorbenen Verbrecher, den der Mann um Mitternacht aus seinem Grab geholt hatte. Bei Vollmond hatte er die einzelnen Knochen zerrieben, bis dieses feinpulvrige Mehl entstanden war.
Mit spitzen Fingern hob der Mann den Deckel ab und legte ihn zur Seite.
Das feine Knochenmehl bedeckte nur den Boden. Es schimmerte weißgrau und sah völlig harmlos aus. Doch in Verbindung mit den anderen Bestandteilen wurde es zu einer magischen Zeitbombe.
Und das wusste der Mann.
Er hielt das urnenartige Gefäß mit beiden Händen fest. Während er sich auf das von den beiden Kerzenflammen erleuchtete Fünfeck zubewegte, murmelte er Worte in einer Sprache, die nur wenigen Menschen bekannt war. Vor allen Dingen solchen, die sich mit Schwarzer Magie und Hexerei beschäftigten.
Es war die Sprache der Hölle.
Vor dem magischen Pentagramm kniete er nieder. Noch hielt er das Gefäß in den Händen. Dann beugte er sich vor, seine Hände überschritten die Grenze des Fünfecks, er kippte die Urne nach links, und im nächsten Augenblick rann das Pulver aus dem Gefäß.
Kleine Funken blitzten auf, als es sich mit dem Sud im Innern des magischen Pentagramms mischte.
Eine Verbindung wurde geboren.
Eine gefährliche Synthese, die das Böse auf die Welt holen sollte. Der Mann wusste nicht, wie der Dämon erscheinen würde. Als Tier, als Monster oder sogar als Mensch.
Er hoffte nur, dass er kam.
Plötzlich wogte Nebel auf. Die blubbernden Blasen bildeten Nebelstreifen, die die Farbe des Blutes annahmen und innerhalb des Fünfecks hin- und herwogten, die Grenzen berührten, sie jedoch nie überschritten.
Gebannt schaute der Mann diesem unerklärlichen Vorgang zu. Als der Nebel wie eine Säule stand, war es an der Zeit, die Beschwörungsformeln zu sprechen.
Abgehackte, guttural klingende Laute drangen aus dem Mund des Mannes. Er streckte beide Arme vor und führte die Hände kreisförmig in die Nebelwand hinein, wirbelte die Schleier durcheinander. Immer wieder rief er den Dämon an.
Seine Stimme steigerte sich, sie wurde schrill und überschlug sich. Schweiß drang dem Mann aus allen Poren, bedeckte sein hageres Gesicht mit einer glänzenden Schicht. Jetzt wiegte er den Oberkörper. Langsam. Einmal nach links, dann wieder nach rechts. Nie unterbrach er seine Beschwörung, der Dämon sollte erscheinen.
Da geschah es. Ein eiskalter Hauch wehte durch den Raum, streifte den vor dem Fünfeck knienden Beschwörer und drang in das Pentagramm ein. Der Hauch wirbelte den roten Nebel durcheinander, verformte ihn zu grotesk tanzenden Figuren.
Eine tiefe Stimme ertönte.
»Warum rufst du mich, Elender!?«
Der Mann erschrak. Die Stimme schien von weit her zu kommen, aus der Unendlichkeit der Dimensionen. Und doch war sie laut und fest, sodass jedes Wort verstanden wurde.
»Baẽl?«
Mit banger Stimme rief der Mann den Namen. Er bekam keine Antwort mehr. Nur die roten Nebelfetzen fegten weiterhin innerhalb des Pentagramms hin und her.
Noch einmal rief der Mann.
Wieder blieb die Antwort aus. Doch Sekunden später klang noch einmal die Stimme des Dämons auf.
»Du Narr hast alles verkehrt gemacht. Du hast durch deine Beschwörung ein Tor geöffnet, das bisher verschlossen war. Du bist ein Anfänger. Doch die Folgen musst du tragen. Du und die anderen. Über euch wird das Grauen kommen …«
Die Stimme hallte noch nach. Besonders die letzten Worte schwangen als schaurige Echos durch die einsame Hütte.
Die Kerzen verlöschten, der Nebel verschwand. Es wurde finster.
Ächzend stand der Mann auf. Mit müden Schritten schlurfte er zu einem Regal. Er wusste, dass er es nicht geschafft hatte. Etwas hatte gefehlt, um die Beschwörung exakt auszuführen.
Aber was?
Auf dem Regal stand eine batteriebetriebene Laterne. Der Mann knipste sie an. Der milchige Schein leuchtete die Hütte kaum aus, so schwach war er.
Der Mann schaute sich um. Nichts hatte sich verändert. Es stand noch alles wie zuvor.
Weshalb hatte der unsichtbare Dämon ihn verhöhnt? Angeblich sollte er etwas falsch gemacht haben. Wahrscheinlich hatte sich der Dämon geirrt.
Das war nicht der Fall. Baẽl irrte nie. Der Mann, der ihn beschwören wollte, hatte durch seinen Fehler in der Tat das Grauen auf die Erde geholt. Ein Dimensionstor war aufgestoßen worden, durch das die schlimmsten Monster aus dem Reich der Finsternis auf die Welt gelangen konnten.
Es waren die Riesenameisen!
*
Mit einem eleganten Hüftschwung zog Peter Egli die Skier herum und kam inmitten einer aufstiebenden Schneewolke zum Stehen.
Er lehnte die Stöcke gegen die Hüttenwand und klappte die Kappe seiner Fellmütze hoch.
Der Blick über die Bergwelt war einmalig.
Peter Egli genoss das Panorama, obwohl er es schon von Jugend auf kannte. Denn er war hier geboren. Er war ein Kind des Berner Oberlandes.
Vor ihm präsentierte sich die Jungfrauenregion mit all ihrer strahlenden Gletscherpracht. Es war bitterkalt geworden. Peter Egli schaute hinauf zu den Gipfeln von Eiger, Mönch und Jungfrau und sah die Sonne soeben noch hinter den beiden ersten Bergen verschwinden. Ihr letztes Licht ließ die Firne und Eismassen rötlichblau aufleuchten. Ein Abschiednehmen für einen Tag, sogar für ein Jahr.
Denn man schrieb den 31. Dezember.
Silvester!
Jahreswechsel in den Bergen. Ein Höhepunkt. Unten im Tal lag Grindelwald, das Kleinod des Berner Oberlandes. Sämtliche Hotels waren ausgebucht. Entlang der Hauptstraße und auch ringsum an den Hängen gab es in keinem Hotel mehr ein freies Bett.
Peter Egli selbst wohnte zwischen Grindelwald und Lauterbrunnen. Seine Eltern bewirtschafteten dort eine kleine Pension, in die nur Stammgäste kamen. Peter gehörte zur Bergwacht. Er lebte oft tagelang allein in der Berghütte. Sie lag auf zweitausendfünfhundert Meter Höhe, war mit einer Funkanlage und mit einem Telefon ausgestattet. Schon oft hatten hier Bergsteiger vor einem plötzlich hereinbrechenden Wetterumschwung Schutz gefunden. Auch Touristen, die sich unerfahren und leichtsinnig auf eine Bergwanderung begeben hatten, fanden auf der Egli-Hütte Schutz.
Es war in den letzten Tagen viel Schnee gefallen. Die Kältewelle kam aus dem Norden und hatte die Alpen bis hin nach Italien überrollt. An diesem Nachmittag zeigte das Außenthermometer an der Hüttenwand schon minus 22 Grad.
Peter Egli stieg aus den Skibindungen und schob den Riegel der Hüttentür zurück.
Eine angenehme Wärme schlug ihm entgegen, die die Eiskristalle in seinem Bart sofort zum Schmelzen brachte. Rechts neben der Tür befand sich ein kleiner Raum, in dem Peter die Skier abstellte. Er zog auch die Handschuhe aus und legte den Anorak ab.
Händereibend betrat er den großen Hüttenraum.
Das Feuer brannte in einem alten gemauerten Ofen. Die Wände bestanden aus dicken Holzbohlen. Die Zwischenräume waren gut isoliert, sodass die Wärme im Raum blieb und sich nicht draußen verlor.
Vom Hüttendach hingen dicke Eiszapfen. Zentnerschwer lastete der Schnee auf der Hütte. Sie war mit der Rückseite an einen Hang gebaut worden und dadurch lawinensicher. Es gab mehrere Schlafstellen und eine lange, an der Wand entlanglaufende Bank. Darüber hingen Bilder. Sie zeigten Schneelandschaften oder Häuser aus der näheren Umgebung.
Peter Egli setzte sich an den Tisch. Bedächtig begann er seine alte Pfeife zu stopfen. Er sollte den Jahreswechsel in der Hütte verleben, und das kam nicht von ungefähr. Einige Hotels hatten Silvesterwanderungen organisiert. Die Gäste zogen dann mit Pechfackeln zwei Stunden durch die Einsamkeit der Bergwelt, um eine Stunde vor Mitternacht wieder daheim zu sein. Dann zog man sich um und feierte den Jahreswechsel.
Peter Egli erlebte nicht zum ersten Mal solche Umzüge. Und er wusste auch, dass sich zahlreiche Wanderer mit hochprozentigen Aufwärmgetränken eingedeckt hatten. Manche taten dann des Guten zu viel, betranken sich und fielen einfach um.
Um diese Leute kümmerte sich dann Peter Egli mit seinem Freund Roger Calf. Roger stammte aus der Nähe von Crans-Montana, der Retortenstadt in der französischen Schweiz. Roger war ein Jahr jünger als Peter und ein richtiger Naturbursche.
Geschneit hatte es nicht mehr. Der Luftdruck stieg, die Sicht war klar wie selten. Ein Wetter, von dem die meisten Urlauber nur träumten.
Peter schaute auf seine Uhr.
Roger wollte erst gegen Abend kommen. Er war noch in Grindelwald und wollte anschließend Colette, seine Freundin, besuchen.
Colette arbeitete als Zimmermädchen und Bedienung im Grandhotel Alpina, das oberhalb des Ortes lag und in der Luftlinie gar nicht mal so weit von der Hütte entfernt war.
Das Hotel zählte wohl zu den besten in der Umgebung. Für die Silvesterfeier war es schon immer im Sommer ausgebucht. Es machte aber auch Spaß, in diesem Hotel zu feiern. Zusätzlich zu der prächtigen Landschaft bot es noch allen Komfort. Die Preise waren natürlich dementsprechend.
Etwas machte Peter Egli Sorge. Und das war der Zeltplatz. Die Camper wurden immer verrückter. Jedenfalls war das seine Meinung. Sie fuhren mit ihren Wohnwagen sogar im Winter los, um die Feiertage über in den Sardinenbüchsen zu verbringen, anstatt sich zu Hause hinter den warmen Ofen zu setzen.
Aber jeder war schließlich seines Glückes Schmied. Peter Egli hoffte nur, dass bei den Campern alles glattging und es zu keinen Skiunfällen kam.
Der fünfundzwanzigjährige Mann sah, dass das Feuer etwas heruntergebrannt war und legte ein paar Holzscheite nach. Die Rinde fing an zu knistern, sprang explosionsartig ab und prallte gegen die Sichtscheibe.
Auf dem Ofen stand eine Kanne mit heißem Wasser. Peter goss sich einen Tee auf und telefonierte dann hinunter zur Talstation. Er gab seine Meldung durch und berichtete, dass alles in Ordnung war.
»Hier sind auch keine besonderen Vorkommnisse«, hörte er die Stimme seines Kollegen.
»Wollen hoffen, dass es so bleibt«, sagte Peter.
»Das gebe Gott.«
Peter zündete sich seine erloschene Pfeife wieder an und machte anschließend seinen Kontrollgang. Er prüfte nach, ob noch genügend Proviant vorrätig war und checkte auch die Notverbandskästen durch. Wenn etwas fehlte, so schrieb er es auf.
Hin und wieder schaute er aus dem Fenster. Hier oben war es nicht so windstill wie im Tal. Der Wind hatte regelrechte Schneeberge vor den Felsen ausgetürmt. Hin und wieder strich er darüber weg und riss Millionen Schneekristalle in einem weißen Wirbel hoch.
Die Spur seiner Skier konnte Peter Egli verfolgen, bis sie hinter der nächsten Welle verschwand.
Plötzlich vernahm er ein Geräusch.
Peter stutzte.
Der Laut war hinter ihm aufgeklungen und hörte sich schabend und kratzend an.
War etwa Schnee vom Dach gefallen? Und rutschte nun anderer nach?
Peter Egli runzelte die Stirn. Langsam drehte er sich um. Er fühlte, wie sich eine Gänsehaut bildete und seinen Rücken hinunterlief. Irgendetwas war geschehen. Die Luft in der Hütte schien sich verändert zu haben. Peter kam es vor, als würde ein unsichtbares schleichendes Gift in den Raum kriechen, das jeden Winkel der Hütte ausfüllte. Nie hatte es ihm etwas ausgemacht, die Tage und auch Nächte allein hier oben auf dem Berg zu verbringen, nun aber bekam er es doch mit der Angst zu tun.
Obwohl nichts zu sehen war.
Peter wischte sich über die Augen. Behutsam machte er einen Schritt nach vorn. Er starrte auf die Rückwand der Hütte. Dort war das Geräusch aufgeklungen.
Da, jetzt wieder!
Kratzen, Schaben, Schmatzen …
Peter Egli ging zur Seite. Neben dem Schrank stand ein alter eiserner Schürhaken. Ihn riss der junge Mann aus der Halterung. Jetzt fühlte er sich wohler. Wenn sich ein Einbrecher hinter der Hütte befinden sollte, dann hatte er bestimmt nicht lange Spaß.
Aber die Hütte war direkt an den Berg gebaut worden. Es konnte kein Einbrecher sein. Es sei denn, er musste aus dem Berg herauskommen. Und das gab es nur im Märchen.
Plötzlich war ein grünlich-silbernes Flimmern da. Im nächsten Moment existierte ein Teil der Wand überhaupt nicht mehr. Er war einfach verschwunden – als hätte es ihn nie gegeben.
Statt dessen sah Peter Egli etwas anderes.
Zwei glühende Augen.
Sie starrten ihn an, schienen ihn hypnotisieren zu wollen. Peter riss den Mund auf, doch nicht ein Laut drang aus seiner Kehle. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er dem Unheimlichen entgegen.
Die Augen wirkten wie blutrote Teller. Die Umgebung darum verschwamm in einer grauen Schwärze. Es war eine undefinierbare Farbe, wie Peter sie noch nie gesehen hatte.
Ein Monster! Aus der Wand musste ein Monster kommen. Etwas anderes konnte Peter sich gar nicht vorstellen.
Und dann löste sich das Untier aus der grauen Schwärze. Es ging vor, Schritt für Schritt.
Peter zweifelte an seinem Verstand. Er wollte einfach nicht glauben, was er mit seinen eigenen Augen sah.
Aus der Wand schob sich eine riesige Ameise.
Groß wie ein Mensch.
Sechs lange Beine bewegten einen massigen Oberkörper. Ein schmaler Kopf, glühende Augen, darunter zwei zangenartige Gebilde, die wie scharfe Scheren wirkten.
Das Untier kam näher.
Die Beine pochten auf den Holzboden. Und jeder Schritt brachte Peter dem Verderben näher.
Die vorderen Zangen begannen zu zucken. Sie klappten auf und zu.
Peter ahnte, wofür sie geschaffen worden waren.
Ihn schauderte.
Ein Tisch stand im Weg. Die Riesenameise hob die beiden Vorderbeine. Wie Fallbeile fielen sie nach unten. Das Holz brach unter der enormen Wucht.
Erst jetzt erwachte Peter Egli aus seiner Erstarrung. Er schrie auf, machte auf dem Absatz kehrt und rannte zur Tür.
Drei Schritte waren es höchstens.
Drei lächerliche Schritte …
Und doch zu weit.
Peter Egli warf sich nach vorn, bekam auch noch die Türklinke zu fassen, doch es gelang ihm nicht mehr, sie nach unten zu drücken. Die Ameise war schneller.
Das rechte vordere Bein wischte halbhoch über den Boden. Peter Egli bekam einen Schlag gegen die Hüfte, der ihn zusammenknicken ließ. Er prallte gegen das Türfutter und rutschte stöhnend zu Boden. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hob er den Kopf.
Die Riesenameise stand dicht vor ihm und schaute aus ihren großen, blutroten Augen auf Peter Egli hinab.
Die Fühler bewegten sich auseinander.
Peter schrie.
Er riss seinen rechten Arm hoch, den Schürhaken in der Faust. Doch an der hornigen Haut, die wie ein Panzer wirkte, prallte die Eisenstange ab.
Der junge Mann hatte keine Chance.
Die Ameise hob ein Bein, drückte es Peter gegen die Brust. Der junge Mann stemmte sich dagegen an, doch das Monster war stärker. Peter Egli fiel auf den Rücken.
Er konnte an dem Rieseninsekt vorbeischauen, sah, dass noch einige dieser Tiere aus der Öffnung drangen und das war das letzte Bild, das seine Augen noch wahrnahmen …
*
Bis Interlaken fuhren wir mit dem Zug. Hier lag der Schnee schon verflixt hoch. Zu beiden Seiten der Fahrbahnen türmten sich die weißen Wälle. Die Autos fuhren mit Schneeketten, und die Menschen trugen dicke Winterkleidung.
Auch ich hatte das Fell in den Burberry-Mantel geknöpft, stieg aus dem Zug und half Sheila auf den Bahnsteig. Ich wartete, bis Bill ebenfalls ausgestiegen war und nahm Suko dann zwei der fünf Koffer ab, die wir mitgebracht hatten.
John Sinclair in der Schweiz. Mancher Leser wird sich jetzt fragen, was wir hier zu suchen hatten. Wir wollten ein paar Tage Urlaub machen und den Jahreswechsel in einem Berghotel feiern.
Auf die Idee war Bill Conolly gekommen. Er hatte Suko und mich kurzerhand mit einer Einladung überrascht. Jane Collins sollte auch erst mitfahren, doch sie war beruflich verhindert. Ein dringender Fall erforderte ihre Anwesenheit.
Ich hatte nicht lange gezögert. Urlaub stand mir sowieso noch zu. Powell, mein Chef, hatte zwar knurrig aus der Wäsche geschaut, aber freundlich habe ich ihn bisher nur selten angesehen. Schnell hatte ich mich entschlossen, packte die Koffer, und ab ging es. Mit dem Jet bis Zürich und von dort weiter mit der Bahn.
Ich wollte endlich mal wieder Ski laufen. Während meiner Studentenzeit hatte ich das letzte Mal auf den Brettern gestanden. Soviel wie damals bin ich danach nie mehr gefahren.
Den kleinen Johnny hatten die Conollys bei Bekannten untergebracht. Das Ehepaar freute sich diebisch auf das Kind. Es war Sheilas und Bills erster gemeinsamer Urlaub nach der Geburt des Kindes.
Bezahlen brauchten Suko und ich nichts. Bill Conolly, mehrfacher Millionär, gab uns den Urlaub aus. Das Angebot nicht anzunehmen, wäre einer Todsünde gleichgekommen. Dafür kannte ich Bill gut genug. Im Zug hatte er mir ein paar Mal zugeflüstert, dass er sich wie ein Kind auf den Urlaub freue. Sieben Tage wollten wir ausspannen, einfach mal nichts tun, uns der Müßigkeit hingeben und jeden Gedanken an Dämonen und böse Geister verbannen. Mein letzter Urlaub war in der Hinsicht ein Reinfall gewesen. An den Fall mit der Hexe von Java denke ich nur sehr ungern zurück.
Aber diesmal sollte alles anders werden.
Jane Collins kuschelte sich enger in den mit Pelz besetzten Wildledermantel. Bill trampelte mit den Füßen, und Suko machte einen langen Hals.
»Suchst du was?«, fragte ich ihn.
»Wo ist denn hier der Gepäckträger?«
Ich grinste. »Wir haben dich doch.«
»Spaßvögel, Kinder und Geisteskranke alle Bahnsteig zehn«, sagte Suko. »Da kommt gleich ein großer schwarzer Wagen mit Gittern vor den Fenstern und holt die Leute ab.«
Ich konterte. »Wenn du nicht ruhig bist, bekommst du zur Aufwärmung eine schottische Tomatensuppe.«
»Was ist das denn?«, frage Bill, der sofort dabei war, wenn es ums Essen ging.
»Ganz einfach«, erklärte ich. »Man gießt heißes Wasser in einen roten Teller.«
Suko und Bill schauten mich an, als wollten sie mich erwürgen. Nur Sheila hielt zu mir. Sie wollte sich ausschütten vor Lachen. »Himmel, John, den kannte ich ja noch gar nicht.«
Ich wies über ihre Schulter. »Da ist ein Gepäckträger. Neben dem Knaben mit dem Schild.«
»Die wollten doch vom Hotel jemand schicken«, maulte Bill. »Der Service fängt ja gut an.«
Suko hatte ihn zuerst gesehen. »Auf dem Schild, das der Mann da trägt, steht Grand Hotel Alpina. Das müsste unser Schuppen sein.«
»Von wegen Schuppen«, knurrte Bill, nahm aber zwei Koffer. Da Suko sich ebenfalls zwei fasste, brauchte ich nur einen zu tragen.
»Wir wollen zum Grand Hotel Alpina«, sagte ich zu dem Schildträger.
Das steife Gesicht des Knaben entgleiste zu einem Lächeln. »Da sind Sie bei mir genau richtig, mein Herr. Gehören die Herrschaften auch zu Ihnen?«, erkundigte er sich mit einem Blick auf meine Freunde.
»Ja.«
»Dann muss einer von Ihnen Mr. Conolly sein.« Der Mann sprach jetzt Englisch.
Bill trat vor. »Ich.«
»Bitte folgen Sie mir, meine Herrschaften. Der Bus wartet direkt am Bahnhof.« Er schnippte einmal mit den Fingern seiner freien Hand, und unter dem Vordach des Bahnhofsgebäudes lösten sich zwei Pagen, die sofort unsere Koffer nahmen.
Suko trug seinen selbst. Er liebte es nicht, wenn man ihn bediente.
Wir gingen durch eine Unterführung, und als wir wieder ans Tageslicht kamen, sahen wir dicht vor uns den schmalen Wasserstreifen, der den Thuner und den Brienzer See miteinander verband. Auf dem Wasser schwammen einige Eisplatten, so kalt war es geworden. Aber bei uns auf den Inseln hatte es ebenso geschneit. Wir waren buchstäblich mit der letzten Maschine weggekommen.
Der blaue Bus mit der Aufschrift des Hotels stand neben einem Schneehaufen.
Der Himmel war strahlend blau. Ein fantastisches Wetter. Ich sprach es auch aus.
»Bis gestern hat es noch geschneit«, sagte der Fahrer. »Sie haben Glück und können sich auf eine wunderbare Schneewanderung freuen.«
Und ob wir uns freuten.
Das Gepäck wurde verladen. Bill gab ein Trinkgeld, und wir stiegen in den VW-Bus.
Die Schneeketten mahlten über die weiße Fläche. Wir fuhren ein Stück durch die City und nahmen das Flair eines Wintersportortes in uns auf. Zahlreiche Menschen trugen Skier. Die meisten Wagen, die in Richtung Grindelwald oder Lauterbrunnen fuhren, besaßen Dackgepäckträger, auf denen die Bretter festgeklemmt waren.
Ich zog etwas den Kopf ein und schaute nach Norden.
Aus der Ferne grüßten die Eisgipfel der Viertausender. Grindelwald liegt über tausend Meter hoch. Die Straße dorthin war die ersten Kilometer gut ausgebaut, doch dann wurde sie eng. Überholverbot. Die Wagen mussten hintereinanderfahren.
Rechts und links die Winterpracht. Verschneite Wälder. Tannenzweige bogen sich unter der weißen Last. Hin und wieder flatterte ein Vogel auf. Dann stoben Schneewölkchen auf. Wenn der Wald etwas zurücktrat, hatten wir freie Sicht auf das grandiose Bergpanorama.
Ich freute mich immer mehr auf diesen Urlaub. Vor allen Dingen hatten wir ein sagenhaftes Wetter.
Viele Deutsche waren unterwegs. Fast alle Wagen waren mit Schneeketten ausgerüstet.
Die Straße teilte sich. Rechts ging es nach Lauterbrunnen, links in Richtung Grindelwald. Aus dem Autoatlas wusste ich, dass die Straße dort zu Ende war. Wer weiter wollte, der musste klettern.
Immer steiler ging es hoch. Kurven. Einmal links, einmal rechts. Dann fuhren wir ein Stück an der Bahnlinie vorbei. Auch sie endete in Grindelwald. An den Abteilfenstern standen fröhliche Menschen und winkten uns zu.
Wir winkten zurück.
Sheila drehte sich um. Ihre Augen blitzten vor Freude. Fest hielt sie Bills Hand. »Herrlich, nicht wahr?«
Ich nickte.
Rechts von uns fielen schon die Hänge in die Tiefe. Ich sah die ersten Skifahrer. Doch die richtigen Pisten begannen weiter oben, wo es nur noch Schnee und Eis gab und der Weg ins Tal zu einer rasanten, abenteuerlichen Fahrt wurde.
Nach dreißig Minuten hatten wir Grindelwald erreicht. Das Ortseingangsschild tauchte auf. Doch wir fuhren nicht in den Ort hinein, sondern bogen links ab.
Ein schmaler Weg wand sich den Hang hoch. Verschneite Wiesen zu beiden Seiten. Im Sommer weidete hier das Vieh. Die Zäune bogen sich unter dem Schneegewicht. Die Häuser trugen große weiße Hauben. Die Wintersonne war fahl. Ihre Strahlen trafen die reine, helle Schneedecke und ließen sie aufblitzen wie mit Hunderttausenden von Diamantsplittern übersät.
Bill deutete nach vorn. »Da oben, das Haus, das ist es.«
Ich peilte zwischen seiner und Sheilas Schulter vorbei. Das Hotel lag wirklich einmalig.
Wie ein Märchenschloss hing es an einer Bergflanke. Es war ein alter Bau mit zahlreichen Ecken und Türmen. Eine überglaste Terrasse, auch Wintergarten genannt, ließ einen prächtigen Blick auf die Jungfrauregion zu. Menschen in bunten Skianzügen sausten die Pisten hinab und fuhren bis dicht vor das Hotel, wo sie die Bretter abschnallten und dem Personal übergaben.
Der hoteleigene Wagen fuhr bis vor das Hotel und hielt dicht neben dem Eingang. Wir stiegen aus. Um das Gepäck brauchten wir uns nicht zu kümmern, das besorgten andere. Das Grand Hotel Alpina besaß nicht nur einen ausgezeichneten Ruf, sondern auch einen hervorragenden Service.
Die Auffahrt und die sich direkt am Hotel befindenden Wege waren vom Schnee befreit worden. Die Pfade stachen als schwarze Streifen in das Weiß der Schneelandschaft.
Ein weiträumiges Foyer nahm uns auf.
Höflich wurden wir zur Anmeldung gebeten. Unsere Zimmer lagen im zweiten Stock. Zwei Pagen fuhren mit uns hoch. Großzügige Gänge, mit Teppichboden ausgelegt, kleine Nischen, viele Blumen und Zimmertüren aus Mahagoni.
Suko und ich bekamen zwei nebeneinander liegende Zimmer. Die Räume der Conollys lagen gegenüber.
Bevor Bill und Sheila ihr Zimmer betraten, kniff mir mein Freund noch ein Auge zu.
»In einer halben Stunde an der Bar?«
Ich nickte. »Okay.«
Sheila hob die Augenbrauen. »Geht das jetzt schon bei euch los?«
»Wir wollen nur einen kleinen Willkommensdrink nehmen. Anschließend essen wir dann zusammen, und danach ziehen wir uns für die Wanderung um.«
Sheila war beruhigt.
Zum Zimmer gehörten ein Bad und eine Dusche. Telefon und TV waren selbstverständlich. Ich wollte von beiden nichts wissen. Powell hatte zwar verlangt, dass ich in London anrief, aber der alte Knabe konnte mich mal im Mondschein besuchen.
Ich hatte Urlaub. Basta.
Handhoch lag der Schnee auf der Balkonbrüstung. Ich zog die Gardine ein wenig zur Seite und hatte einen sagenhaften Blick auf den Eiger. Minutenlang genoss ich das Panorama. Ich sah die langen Gletscher, dazwischen ein spinnennetzartiges Eisfeld, das schon manchem Bergsteiger zum Verhängnis geworden war, und mein Blick wanderte weiter zum Finsteraarhorn und zum Schreckhorn hin. Die beiden Berge maßen, ebenso wie Eiger, Mönch und Jungfrau, an die viertausend Meter und darüber.
Ich kam mir plötzlich unendlich klein und winzig vor und hatte Hochachtung vor den Menschen, die sich daranmachten, die Berge zu ersteigen.
Dann nahm ich eine Dusche. Das Bad war braungrün gekachelt. Es fehlte an nichts. Vom Handtuch bis zur Rasierklinge war alles vorhanden. An der Mischbatterie stellte ich die richtige Temperatur der Dusche ein und ließ die nadelfeinen Strahlen auf meinen Körper prasseln.
Die Wechselbäder taten mir sehr gut. Sie vertrieben die leichte Müdigkeit, die die Anreise mit sich gebracht hatte.
Salopp gekleidet – in Cordhose und Pullover – verließ ich mein Zimmer. Ich klopfte bei Suko an.
Als mein chinesischer Freund und Partner erschien, hatte er noch ein Handtuch um die Hüfte geknotet.
Ich blieb vor der Tür stehen. »Willst du mit nach unten?«
»Keine Lust. Ich werde ein Stündchen die Augen schließen.«
»Okay.«
Bill öffnete schon die Zimmertür und lugte in den Gang. Er grinste von Ohr zu Ohr, als er mich sah. »Auch schon fertig, John? Klasse, dann lass jucken.« Aus dem Zimmer hörte ich die Dusche rauschen. Bill schloss die Tür und leckte sich über die Lippen. »Ich habe vielleicht einen Brand«, sagte er.
Wir nahmen nicht den Aufzug, sondern gingen über die breite, gewundene Treppe. Unterwegs schlug mir Bill auf die Schulter. »Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich über diesen Urlaub freue, John. Das ist wie früher, als wir noch jung und schön waren.«
»Ja, heute sind wir nur noch schön.«
Bill lachte. »Und reifer.«
»Auch das.«
Andere Gäste begegneten uns. Sie grüßten freundlich. Überall stand das Personal mit wachen Augen bereit. Hier wurde dem Gast schon jeder Wunsch von den Augen abgelesen.
Die gläserne Flügeltür zur Bar schwang auf, als wir mit den Füßen einen Kontakt berührten.
Wir betraten eine andere Welt. Sitzgruppen aus edlem Leder gruppierten sich locker verteilt im Raum. Es waren regelrechte Wohnlandschaften. Etwa die Hälfte der Sessel und Elemente waren besetzt. Ober in frackartigen Uniformen brachten die Getränke. Raffinierte Lampenkonstruktionen hingen von der Decke. Sie erinnerten schon mehr an die Werke zeitgenössischer Künstler. Der kamelhaarfarbene Teppich dämpfte die Schritte.
»Mein lieber Mann«, sagte Bill Conolly, »das ist ja super.«
Der Meinung war ich auch. Und super präsentierte sich auch die Bar. Als Quadrat war sie mitten im Raum gebaut. Drei Keeper taten ihren Dienst hinter der Theke. Die Flaschen standen in einem mehrere Etagen umfassenden gläsernen Ständer. Aus verborgenen Lautsprechern drang leise Musik und wurde von dem Klingeln der Eiswürfel in hohen Cocktailgläsern untermalt.
Wir steuerten die Bar an.
Sie war kaum besetzt. Ein schwarzhaariges Mädchen mit einem langen Pferdeschwanz stand neben einem jungen Mann, der auf einem Hocker saß. Da wir nicht weit von ihnen entfernt Platz nahmen, bekamen wir unwillkürlich Gesprächsteile mit.
»Aber ich muss bald fahren, Colette. Wirklich.«
Die Schwarzhaarige zog einen Schmollmund. »Kann dein Freund denn nicht allein in der Hütte bleiben?«
»Nein, zwei Leute sind Vorschrift.«
»Das wird vielleicht ein Jahreswechsel.«
»Aber du hast doch auch Dienst.« Das Girl wischte eine Haarsträhne aus der Stirn. »Nach Mitternacht läuft hier sowieso vieles durcheinander. Da fällt es kaum auf, wenn sich mal jemand verdrückt.«
»Es geht wirklich nicht, Colette.«
»Okay, dann bis zum nächsten Jahr.« Die schwarzhaarige Colette küsste ihren Freund auf die Wange, drehte sich um und ging. Sie musste dicht an uns vorbei.
Ich schaute sie an.
Colette hatte ein hübsches Puppengesicht und unwahrscheinlich große, dunkle Augen.
»He, träumst du?«, fragte Bill.
»Wieso?«
»Was willst du denn trinken?«
Der Keeper schlug etwas vor. Er war ein schmalbrüstiger Typ mit müden, treuen Augen. »Wenn ich den Cocktail Grand Hotel Alpina empfehlen dürfte?«
Bill nickte. »Sie dürfen, Meister.«
»Und was ist das?«, fragte ich.
»Lassen Sie sich überraschen, mein Herr.«
Der Keeper mixte den Drink. Was er alles in den Shaker gab, bekam ich so rasch gar nicht mit. Der Knabe war wirklich ein Meister seines Fachs.
Colettes Freund trank inzwischen sein Glas leer. Er war ein großer, breitschultriger, junger Mann, hatte blonde Haare und trug einen himmelblauen Skianzug mit roten Streifen an den Seiten. Der modische Oberlippenbart war wohlgestutzt, die Haut von der Sonne gebräunt. Der Mann rutschte vom Hocker, nickte uns zu und schritt in Richtung Ausgang. Bill und ich schauten ihm nach.
»Ein richtiger Naturbursche«, meinte der Reporter.
Ich widersprach nicht.
Unsere Drinks kamen. Zwei hohe Gläser waren fast bis zum Rand gefüllt. Das Getränk hatte eine gelbbraune Farbe.
Bill versuchte einen Scherz. »Hoffentlich schmeckt es nicht so, wie es aussieht.«
»Sie werden zufrieden sein«, sagte der Mixer.
Tatsächlich, wir waren es. Ich versuchte herauszufinden, was dieser Drink alles enthielt. Doch nur den Sherry schmeckte ich heraus.
Bill war in Hochform. Er begann plötzlich zu lachen.
»Was ist?«, fragte ich.
»Weißt du – weißt du, warum der Mönch nicht auf die Jungfrau kann, John?«
»Nein.«
»Weil der Eiger dazwischen steht.«
Bill wollte sich ausschütten vor Lachen. Ich aber sagte: »Noch einen Kalauer, und ich gehe in den Keller.«
Bill unterbrach sein Lachen. »Warum?«
»Weil dort die Bartwickelmaschine steht. So alt ist der Witz nämlich.«
Bill war beleidigt. Drei Minuten sprach er nicht mit mir. Dann schlug er mir auf die Schulter und rief: »Jetzt nehmen wir noch einen zweiten Cocktail.«
Ich hatte nichts dagegen.
*
Roger Calf schritt durch das Foyer. Die meisten Angestellten kannten und begrüßten ihn auch. Er sprach noch mit dem Chefportier ein paar Worte über das Wetter und ging dann nach draußen.
Seine Skier hatte er hinter dem Haus abgestellt. Es gab dort einen schmalen Anbau, in dem das Personal wohnte, das oft von weit her angereist war, um in den Wintermonaten Geld zu verdienen. Calfs Skier lehnten neben anderen Brettern an der Wand.
Er schnallte sich die Gleiter unter, prüfte, ob die Bindung fest genug saß und nickte zufrieden.
Eine von Colettes Kolleginnen trat auf ihn zu, gerade als er sich seine Strickmütze aufsetzte. Das Girl war mal scharf auf den gutaussehenden Roger Calf gewesen, doch der junge Mann hatte die Kleine abblitzen lassen. Und das verzieh sie ihm nie.
Hämisch sagte sie: »Da muss die gute Colette ja ohne dich den Jahreswechsel feiern.«
»Sieht so aus.«
»Mach dir nichts draus. Es gibt genügend andere Männer im Hotel, die Colette trösten werden.«
»Die sollen sich mal lieber an dich halten«, erwiderte Roger spöttisch. »Du hast es schließlich nötiger.«
»Scheusal.«
Roger lachte nur, stemmte die Stökke ein und stieß sich ab. Er fuhr in den Spuren schräg am Hang entlang. Eine dunkle Schneebrille klebte vor seinen Augen. Das Schleifen der Bretter über den Schnee waren die einzigen ihn begleitenden Geräusche.
Die Sonne verschwand bereits hinter den Berggipfeln. Bald würde die Dämmerung hereinbrechen, und dann kam fast ohne Übergang die Dunkelheit. Das ging in den Bergen sehr schnell.
Roger dachte an Colette. Natürlich hätte er den Abend und die Nacht lieber bei ihr verbracht, aber er hatte Dienst.
Er war stolz auf seine Arbeit. Er brauchte nur an die Verunglückten zu denken, die er schon aus der Bergnot gerettet hatte. Aus Schluchten und Gletscherspalten, in die sich nur tollkühne Männer wagten. Wenn er dann die Gesichter sah und die Dankbarkeit las, die in den Augen stand, dann wusste er, wofür er arbeitete, und dann fiel es ihm auch nicht schwer, auf einen Silvesterabend mit seiner Freunddin zu verzichten.
Sein erstes Ziel war die Liftstation. Sie befand sich in der Mittellage. Sie überwand bis zur letzten Station einen Höhenunterschied von achthundert Metern, und von dort aus war es nicht mehr weit bis zur Hütte.
Roger Calf musste sich sputen, denn der Liftbetrieb wurde bei Einbruch der Dämmerung eingestellt. Ob sie für ihn eine Ausnahme machen würden, war fraglich.
Kraftvoll stemmte Roger Calf die Stöcke ein und gab sich immer wieder Schwung. Seine Bewegungen waren fließend. Sie gingen ineinander über. Man sah, dass er fahren konnte. Er war ein ebenso guter Lang- wie Slalomläufer, und es hatte nicht viel gefehlt, da wäre er für die nationalen Meisterschaften nominiert worden.
Aber Roger wollte nicht. Er hasste den Rummel, dafür liebte er das Leben in den Bergen umso mehr.
Vor sich sah er schon die kleine Mittelstation. Roger empfand die Liftmasten als eine Landschaftsschande, aber was sollte man machen? Die Fremden kamen in Scharen, jährlich wurden es mehr. Sie wollten Ski fahren und mussten transportiert werden. Das Land lebte nun mal vom Tourismus.
Roger Calf erhöhte die Geschwindigkeit. Mit Bravour übersprang er einen Hügel, wedelte nach rechts und kam inmitten einer aufstiebenden Schneewolke zum Stehen.
Der alte Mayer trat aus dem Haus. »Hast lange auf dich warten lassen, Junge«, begrüßte er Roger. »Ich wollte schon dichtmachen.«
Roger lachte und schob seine Schneebrille in die Stirn. Dann drückte er dem faltengesichtigen Mann mit der schwarzen Pudelmütze die Hand.
»Ich war bei Colette und …« Der Alte lachte. »Ja, sie ist hübsch geworden, die Kleine. Ich wollte, ich wäre noch einmal vierzig Jahre jünger. Mann, das waren Zeiten.«
Roger fuhr an dem Steinhaus vorbei. In der kleinen Station durchlief das Seil mehrere waagerecht liegende Rollen, wurde um eine S-Kurve transportiert, um dann wieder ins Freie zu gelangen.
Das Gesicht des Alten tauchte am Fenster auf. Er winkte und rief: »Dann einen guten Rutsch, mein Junge!«
»Danke gleichfalls.«
Ein Doppelsitz fuhr heran. Er schwankte etwas, aber Roger besaß Routine im Aufspringen. Es bereitete ihm keine Mühe. Schon nach zwei Sekunden schwebte er aufwärts. Er hob ein letztes Mal den Arm zum Gruß, setzte die Schneebrille wieder auf und überließ sich dann der Einsamkeit der Bergwelt.
Über ihm war nur das Singen der Räder auf den Stahltrossen zu hören. Immer wenn die kleine Gondel an einem der Pfeiler vorbeifuhr, gab es an den Rollen einen Ruck. Ängstliche Menschen bekamen oft Magendrükken, wenn sie das spürten.
Roger Calf konnte darüber nur lachen. Er war ein Kind der Berge. Sein Blick wanderte nach rechts. Über einem verschneiten Waldstreifen standen einige dünne Rauchfahnen. Roger wusste, dass sich dort in der Nähe der Campingplatz befand. Die Menschen heizten ihre Wohnwagen und kochten selbst.
Roger Calf richtete sein Augenmerk wieder nach vorn. Die klare Luft ließ die Entfernungen zusammenfließen. Deutlich konnte er die letzte Station erkennen.
Es war die Zeit kurz vor Einfall der Dämmerung. Der Tag schien noch einmal kräftig Atem zu schöpfen, bevor die Dunkelheit kam. Zehn Minuten würde es noch dauern, bis Calf sein erstes Ziel erreichte. Von der Station aus gab es einen prächtigen Weg zur Hütte. Roger freute sich schon auf die Strecke.
Plötzlich stutzte er.
Er schaute genauer hin, nahm sogar die Schneebrille ab und beschattete die Augen.
Neben der letzten Liftstation hatte sich etwas bewegt. Und es bewegte sich weiter. Daran gab es keinen Zweifel. Roger ärgerte sich, dass er kein Fernglas dabei hatte, er konnte zwar etwas Dunkles erkennen, das sich von der weißen Fläche abhob, aber was es genau war, das wusste er nicht.
Ein Tier? Oder ein Mensch?
Seltsam …
Als er abermals hinschaute, war das dunkle Gebilde verschwunden. Die Gondel fuhr weiter, wurde von der Dämmerung eingeholt und warf einen langen Schatten auf den Schnee.
Roger Calf nahm sich fest vor, sofort nachzusehen, wenn er die Endstation erreicht hatte. Er musste wissen, ob er sich getäuscht oder ob sich dort tatsächlich etwas bewegt hatte.
Nach Skifahrern sah das jedenfalls nicht aus.
Er fuhr die letzten Meter. Die Erde kam immer näher. Längst lagen die Baumwipfel hinter dem einsamen Fahrer. Hier oben gab es nur Fels und vom Schnee bedeckte Krüppelgewächse.
Die Gondel lief in das oberste Gebäude der Endstation ein, und Roger Calf sprang aus dem Sitz. Der junge Mann trat sofort zu dem an der Wand befestigten Telefonapparat, drückte einen weißen Knopf und war mit der Mittelstation verbunden.
»Alles klar?«, fragte der alte Mayer.
»Ja.«
»Da stimmt doch was nicht, Junge. Deine Stimme klingt so komisch. Hast du was?«
Dem Alten konnte man nichts vormachen. Roger überlegte, ob er von seiner Entdeckung berichten sollte, aber er entschied sich nur teilweise dafür. »Sind eigentlich kurz vor mir noch weitere Personen zur letzten Station hochgefahren?«, fragte er.
»Nein. Wieso? Hast du etwas entdeckt?«
»Es schien mir so.«
»Von hier aus und auch von der Talstation ist niemand mehr hochgefahren«, erklärte der alte Mayer.
»Dann bedanke ich mich«, sagte Roger Calf, wünschte dem Alten noch einmal einen guten Rutsch und hängte ein.
Auf seinen Skiern bewegte er sich nach draußen. Der Himmel hatte schon eine dunkelgraue Farbe angenommen. Roger musste sich sputen, wenn er rechtzeitig die Hütte erreichen wollte. Aber vorher suchte er den Boden in unmittelbarer Nähe der Hütte nach Spuren ab.
Und er fand auch welche. Spuren, die nicht hierher passten. Dicht hintereinander befanden sich tiefe Löcher im Schnee, als hätte jemand einen Besenstiel in die weiße Masse gesteckt. Zwei Spuren liefen parallel zueinander, und sie waren sogar ziemlich gleichförmig. Roger fuhr ein paar Meter neben der Spur her und sah sie auf einen Kamm zulaufen. Da die Zeit drängte, konnte er die Spur nicht mehr weiter verfolgen. Er musste zur Hütte. Peter wartete bestimmt schon.
Roger Calf schwang herum. Den Weg zur Hütte kannte er im Schlaf. Wuchtige Stockschläge trieben ihn voran. Geduckt stand er da, federte dabei in den Knien nach und bot mit seinem Körper so wenig Luftwiderstand wie nur eben möglich.
Er hatte eine ausgezeichnete Fahrhaltung. Wenn es einen kleinen Hang oder Hügel hinabging, drückte er die Ellenbogen fest gegen die Hüften und ließ sich von der Schussfahrt mittreiben. Meist hatte er so viel Schwung, dass er auf der anderen Seite des Hügels noch hoch sauste. Hin und wieder stieß er einen Begeisterungsschrei aus. Diese rasante Skifahrt machte ungeheuren Spaß.
Hier oben – also abseits der normalen Skipisten – konnten nur die wahren Könner laufen. Und diejenigen, die die Gegend kannten, die wussten, wo sich die Gletscherspalten und Risse befanden, die für Fremde oft zu Todesfallen wurden.
Roger Calf kannte sich aus. Er jagte sogar über Gletscherspalten hinweg. Rechts von ihm lag ein Eisfeld. Es schillerte in der Dunkelheit bläulich.
Der junge Mann wunderte sich ein wenig, dass er noch nicht das Licht in der Hütte sah. Weit war er nicht mehr von seinem Ziel entfernt. Sobald die Dunkelheit anbrach, wurde in der Hütte das Licht angezündet. Und dieser Schein war ein Wegweiser, zu vergleichen mit einem Leuchtturm an der Küste.
Sollte Peter Egli noch nicht eingetroffen sein?
Roger wunderte sich, denn so etwas war nicht Peters Art. Auf ihn konnte man sich hundertprozentig verlassen. Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in Rogers Magengegend aus, als er nach links schwenkte und dann direkten Kurs auf die Hütte nahm.
Wie eine unheimliche, drohende Wand stieg der Felsen hinter der Hütte hoch. Der Wind hatte Schneewolken gegen das Gestein geweht. Sie klebten daran wie durch Leim gehalten.
Auf den letzten Metern musste Roger die Skistöcke zu Hilfe nehmen. Dann stand er vor der Tür. Rechts und links davon befanden sich zwei Fenster. Roger schaute durch das rechte.
Eisblumen nahmen ihm die Sicht. Ein Zeichen, dass es auch in der Hütte ziemlich kalt war.
»So was«, murmelte der junge Mann und drückte die Türklinke nieder. Er machte sich erst gar nicht die Mühe, seine Bretter abzuschnallen, zog die Tür auf und schaute in die Hütte hinein.
Urplötzlich packte ihn das Entsetzen. Er sah die Unordnung, das Chaos – und Peter Egli.
Er lag auf dem Boden.
Tot!
Roger bekam einen Schock.
Er hatte das Gefühl, Mittelpunkt eines Albtraums zu sein. Er schrie, weinte und redete in einem. Sah aber nicht, dass sich die Gefahr von einer ganz anderen Seite näherte.
Hinter seinem Rücken tauchten plötzlich zwei Riesenameisen auf …
*
Hätte Roger Calf sich die Mühe gemacht, den Spuren an der Liftstation noch ein paar Meter weiter zu folgen, so hätte er eine der Ameisen gesehen.
Das Rieseninsekt stand neben einem Felsblock, der sich wie ein grauer spitzer Hut aus dem Schnee herausschob. Das Tier hatte die Witterung des Menschen aufgenommen. Unruhig bewegten sich die beiden Zangen. Es war bereit anzugreifen.
Doch die Witterung wurde schwächer. Der Mensch entfernte sich. Schnell sogar.
Zu schnell für die Ameise.
Sie wartete noch ab und machte dann kehrt. Es sah etwas unförmig aus, wie sie sich in dem hohen Schnee bewegte, aber diese Unförmigkeit machte sie trotzdem nicht ungefährlicher. Ganz im Gegenteil. Das Rieseninsekt suchte Wärme. Es kam aus einer anderen Dimension, wo es einen anderen Himmel gab, eine andere Sonne – überhaupt völlig andere Lebensgewohnheiten.
Jedes Lebewesen, das sich dem Rieseninsekt in den Weg stellte, wurde von ihm angegriffen, denn es war auf Töten programmiert.
Die großen dunkelroten Augen glühten, als sie talabwärts schauten. Sie hatten etwas entdeckt.
Lichter!
Wo Licht war, da gab es auch Wärme. Die Ameise ahnte dies mit ihrem sicheren Instinkt.
Und wo Wärme war, da lebten Menschen.
Beute …
Die Ameise stapfte weiter, steuerte direkt auf die Lichter zu, die wie Sterne durch die Dämmerung leuchteten.
Doch es waren keine Sterne. Die Lichter, die die Riesenameise anzogen, gehörten zu einem Hotel.
Zum Grand Hotel Alpina!
*
Der zweite Cocktail schmeckte schon besser. Und auch der Mixer entpuppte sich als Scherzbold.
Er war ziemlich klein, hatte uns verraten, dass er Gonni hieß und aus Zürich stammte, wo auch seine Frau und der kleine Sohn Kevin lebten.
Als er hörte, dass wir aus London kamen, glänzten seine etwas traurig blickenden Augen.
»England, mein Traum«, sagte er nach einer Weile.
Ich winkte ab. »Alles halb so schlimm.«
»Und dann der ewige Nebel«, meinte Bill.
Gonni schüttelte langsam den Kopf. »Das alles macht mir nichts aus. Irgendwann werde ich einen Job in England annehmen.«
Bill klopfte auf die Bar. »Dann kommen wir Sie bestimmt besuchen.«
Gonni, der Mixer, lächelte. »Das ist ein Wort, Gentlemen.«
Wir tranken.
Dann summte das Telefon hinter der Bar. Gonni nahm wie in Zeitlupe ab, nickte und sagte ein paar Mal ja. Nach dem Gespräch schaute er uns an. »Eine Mrs. Conolly war am Apparat. Sie möchten hochkommen.«
Bill rutschte vom Hocker. »Hörst du nicht die Stimme des Herrn?«, fragte er mich.
Ich grinste. »Das ist doch deine Herrin.«
»Jetzt bist auch du dran.« Bill fasste mich am Arm. »Komm, keine Müdigkeit vortäuschen. In einer halben Stunde wird gegessen.« Und zu Gonni, dem müden Mixer, rief er: »Setzen Sie die Drinks auf meine Rechnung. Zimmer zwanzig.«
»Geht in Ordnung, Sir«, kam schleppend die Antwort.
Diesmal nahmen wir den Aufzug. Bill meinte: »Das ist ja das Schlimme, wenn du beweibt in Urlaub fährst. Nie bist du dein eigener Herr. Und da du mein bester Freund bist, John, sollst du mit mir leiden.«
»Dein Logik ist bestechend«, gab ich zurück.
Wir verließen den Aufzug.
Sheila schaute aus der Zimmertür. »Wollt ihr euch nicht umziehen?«, frag-’ te sie.
»Schon gut«, sagte Bill. Er drückte sich an seiner Frau vorbei und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.
Ich zog mich um. Man brauchte zum Dinner zwar nicht im Smoking zu erscheinen, aber Anzug war erwünscht. Ich zog meinen dunkelbraunen an. Zu Weihnachten hatte mir Jane zwei Krawatten und die dazu passenden Hemden geschenkt.
Eins packte ich jetzt aus.
Als ich es über den Kopf streifte, stach mich noch eine Nadel in den Arm.
Mein Fluch war nicht gerade druckreif. Ich zog das Hemd wieder aus und entfernte die Nadel. Trotzdem hatte ich noch etwas Zeit und betrat den kleinen Balkon.
Mein Blick flog hinunter nach Grindelwald. Der Ort lag unter einer weißen Schicht. Hunderte von Lichtern blinkten. Am Bahnhof brannten große Kerzen auf einem Weihnachtsbaum. Auch vor zahlreichen Häusern standen die Bäume.
Die Luft war klar. Tief atmete ich durch. Ich reinigte meine Raucherlunge.
Irgendwo im Tal schlug eine Kirchturmglocke. Der Klang schwang weit über das Land.
Ich beugte mich über die Brüstung und schaute zur Seite. Mein Blick fiel auf einen Anbau. Das Dach konnte ich sogar von meinem Balkon aus mit einem Sprung erreichen.
Und dann hörte ich den Schrei. Gellend und markerschütternd.
So schrie nur ein Mensch in Todesnot.
Der Schrei wiederholte sich. Ich wusste jetzt, dass er in dem Anbau unter mir aufgeklungen war, zögerte keine Sekunde, schwang mich über die Brüstung und sprang …
*
Roger Calf war ahnungslos!
Noch immer starrte er auf den Toten, und trotz der Panik, die ihn packte, stellte er sich die bange Frage, wer Peter Egli umgebracht hatte.
Er glaubte nicht daran, dass es ein Mensch gewesen war.
Aber wilde Tiere gab es in dieser Gegend nicht. Die Wölfe waren schon seit langer Zeit ausgerottet.
Wer aber hatte diesen Mord begangen?
Roger Calf stöhnte auf. Vom Magen her drängte die Übelkeit hoch, ihm wurde schwindlig, und mit tonloser Stimme flüsterte er immer wieder den Namen seines toten Freundes.
Die Gefahr für ihn kam jedoch mit jeder Sekunde, die verging, näher. Die beiden Riesenameisen hatten sich den jungen Mann längst als nächstes Opfer ausgesucht.
Ihre tellergroßen, rot glühenden Augen waren auf seinen Rücken fixiert. Die Fühler der Ameisen zitterten vor kaum unterdrückter Erregung. Langsam bewegten sie sich voran. Sie trennten sich dabei ein wenig, sodass sie Roger Calf in die Zange nehmen konnten. Sie wollten ihm jede Fluchtmöglichkeit verbauen.
Still war es vor der Hütte. Nur weiter oben am Felsen jaulte der Wind und trieb kleine Schneespiralen vor sich her.
Roger Calf stand wie ein Denkmal. Unbeweglich, starr … Seine Augen begannen zu tränen. Die Trauer um den verlorenen Freund brannte wie eine heiße Flamme.
Plötzlich hörte er das Knirschen!