2,99 €
3 spannende Folgen lesen, nur 2 bezahlen!
Drei gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band!
Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern aus den Jahren 1978 - 1989 und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Tausende Fans können nicht irren - ca. 250 Seiten Horrorspaß garantiert!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 10 bis 12:
10: DIE SKELETT-VAMPIRE
Der geheimnisvolle Ort lag mitten in den schottischen Highlands. Nur wenige Menschen kannten ihn und wussten, was dort vor Urzeiten geschehen war. Aber nicht alles, was tief in der Erde liegt, muss auch unbedingt tot sein. Erst recht nicht, wenn dort riesige Skelett-Vampire begraben liegen. Ob hundert, tausend oder zehntausend Jahre - ihre Gier nach Blut bleibt immer...
11: DER IRRE MIT DER TEUFELSGEIGE
Der Schwarze Tod war erschienen! Er kam als Dämon zur Erde und führte die Kräfte der Hölle an. In jede Gestalt konnte er sich verwandeln und war nicht zu fassen. John Sinclair hatte ihm den Kampf erklärt. Doch der dämonische Zauber ergriff auch ihn. Kann John Sinclair sich aus den Fängen seines Erzfeindes befreien?
12: LEBENDIG BEGRABEN
Hast du schon einmal in einem Sarg gelegen? Ich glaube kaum, und ich möchte es dir auch nicht wünschen. Ich hörte, wie der Sargdeckel verschlossen wurde. Dann gab es um mich herum nur noch Dunkelheit. Luft! Ich brauchte Luft. Wie lange kann ein Mensch in einem Sarg am Leben bleiben? Ich wusste keine Antwort, denn ich war zum ersten Mal lebendig begraben...
Drei Mal Gruselspannung in einem Band. Jetzt herunterladen und sofort loslesen!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 434
Veröffentlichungsjahr: 2018
Jason Dark
John Sinclair Collection 4 - Horror-Serie
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
Der geheimnisvolle Ort lag mitten in den schottischen Highlands. Nur wenige Menschen kannten ihn und wussten, was dort vor Urzeiten geschehen war. Aber nicht alles, was tief in der Erde liegt, muss auch unbedingt tot sein. Erst recht nicht, wenn dort riesige Skelett-Vampire begraben liegen. Ob hundert, tausend oder zehntausend Jahre – ihre Gier nach Blut bleibt immer …
Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.
Der geheimnisvolle Ort lag mitten in den schottischen Bergen. Nur wenige Menschen kannten ihn und wussten, was dort vor Urzeiten geschehen war. Aber nicht alles, was tief in der Erde liegt, muss auch unbedingt tot sein. Erst recht nicht, wenn dort riesige Skelett-Vampire begraben liegen.
Ob hundert, tausend oder zehntausend Jahre – ihre Gier nach Blut bleibt immer ...
Die Stimmung im Wartesaal des Glasgower Hauptbahnhofs war gedrückt. Es mochte auch daran liegen, dass unser Zug schon jetzt mit einer halben Stunde Verspätung abfahren würde. Woran es lag, hatte man uns nicht gesagt, die Durchsage hatte einfach wie ein Befehl geklungen.
Vor Jane Collins stand eine Tasse Kaffee. Die Detektivin saß mir gegenüber und rührte in der braunen Brühe, während ihre Augen die Wellen in der Tasse verfolgten. Als der alte Ober vorbeischlurfte, hielt ich ihn fest. Mürrisch drehte er den Kopf.
»Ich möchte zahlen.«
»Ja, ist gut.«
Zum Glück kassierte er sofort. Ich legte noch ein kleines Trinkgeld in seine schwielige Hand, er nickte und zog ab.
Jane Collins holte den Löffel aus der Tasse. Sie seufzte und saugte dabei die Luft durch die Nase ein. »Es ist schon ein komisches Gefühl, gleich in den Zug zu steigen und hinein ins Nirgendwo zu fahren.«
Ich lächelte sie an. »Warum?«
»Weil ich mir nicht sicher bin, John, ob das alles stimmt, was ich gehört habe.«
»Ach ja?« Ich probierte meinen Kaffee und fand ihn scheußlich. »Das sagst du mir erst jetzt?«
Jetzt lächelte auch sie, allerdings spitzbübisch. »Hätte ich es dir vorher gesagt, wärst du dann auf meinen Vorschlag eingegangen?«
»Ich glaube nicht.«
»Bitte.«
Ich winkte ab. »Die Zeit bis Inverness werden wir auch noch überstehen.«
»Hoffentlich«, murmelte Jane. Sie bewegte sich auf dem Stuhl und schaute sich um. Was sie sah, schien ihr nicht zu gefallen, denn ihre Stirn legte sich in Falten. Es konnte nur die Reisenden betreffen oder die schlechte Luft in der Halle, ich tippte mehr auf die Reisenden, die an den Tischen hockten und dumpf auf ihre Getränke und die grauen Tischdecken starrten.
»Was hast du denn genau, Jane?«
»Kann ich dir nicht so recht sagen.« Sie strich über den Stoff ihrer Kostümärmel. »Irgendetwas ist anders, finde ich. Mir kommen die Passagiere, die mit uns fahren wollen, so seltsam vor.« Jane verzog das Gesicht, und um ihre Augen herum entstanden kleine Falten. »Weißt du, als würden sie alle zusammengehören und zu einem Ziel fahren. Sie bilden eine Gemeinschaft, aber sie tun so, als wären sie sich fremd. Schau doch mal genauer hin, dann wirst du es erkennen.«
Ich tat ihr den Gefallen und musste ihr innerlich recht geben. Ganz geheuer waren mir viele der Reisenden nicht. Sie alle hatten eine gewisse Erwartungshaltung eingenommen, als wollten sie jeden Moment, wenn der Startschuss fiel, aufspringen und zum Zug rennen. Wenn sie sich umschauten, bewegten sie zumeist nur ihre Augen, die Köpfe und die Gesichter blieben starr.
Über den Köpfen und unter der hohen Decke hingen die Rauchschwaden wie Fahnen. Das Licht wurde durch den Qualm getrübt. Draußen war feuchtes Wetter, und die Kleidung der Wartenden roch. Ich konnte mir vorstellen, dass sie anfing zu dampfen.
»Die alle können was mit den Skeletten zu tun haben.«
Ich winkte mit beiden Händen ab und brachte Jane wieder zurück auf den Teppich. »Noch ist es nicht bewiesen.«
»Mir reichen die Gerüchte.«
»Auf die ich auch reingefallen bin.«
Sie hob einen Finger und beugte sich über die Tischplatte. »Sei froh, John, wenn wir Glück gehabt haben. Diese drei Riesen müssen fürchterlich sein. Der Sage nach sollen sie aus einer uralten Zeit stammen, in der sie verbannt wurden.«
»Das ist mir immer noch zu vage.«
»Wir werden sehen.«
Ich blieb am Ball. »Aus welcher Zeit denn, Jane?«
Die Detektivin hob die Schultern. »Als der Mann noch lebte, hat er mir kurz vor seinem Tod zugeflüstert...«, sie verschluckte die nächsten Worte. »Ist auch egal.«
»Jetzt spuck es aus.«
»Atlantis, John!«
Ich lehnte mich zurück und zog ein zweifelndes Gesicht. »Na ja, ich weiß nicht so recht. Ist das nicht eine zu alte Zeit? Keiner weiß, dass Atlantis oder ob Atlantis existiert hat. Nein, da hast du wohl zu tief in die Tasche der Legenden gegriffen.«
»Dr. Summers war keine Legende. Er war Wissenschaftler, und er hat es mir auf dem Sterbebett erzählt, weil er seine Entdeckung einfach loswerden musste. Ich weiß auch nicht, woran er gestorben ist, die Ärzte haben von einer inneren Blutung gesprochen, aber das kann alles oder nichts bedeutet haben.«
»Weißt du, welche Frage ich mir stelle?«
»Nein.«
»Warum dieser Mann ausgerechnet dich ins Vertrauen gezogen hat. Der hätte sich doch auch an die Polizei wenden können.«
»Ha, ha, an dich – wie?«
»Zum Beispiel.«
Jane reckte ihr Kinn vor. »Und? Was hättest du denen denn gesagt? Hättest du ihm geglaubt?«
»Das wäre mir schwer gefallen.«
»Eben. Aber du bist wenigstens ehrlich. Da ich ihn kannte, hat er eben mit mir gesprochen.«
»Woher kanntest du ihn?«
»Ich war mal mit seinem Sohn befreundet.« Sie winkte ab. »War keine Sache, die tiefer ging. Brad, so hieß der Sohn, ist ziemlich bald aus meinem Leben verschwunden.«
»Weißt du wohin?«
»Nein.«
Ich wunderte mich. »Hast du denn seinen Vater niemals über den Sohn befragt?«
Jane Collins wiegte den Kopf. »Das schon, aber er hat nichts über Brad erzählt. Wenn die Sprache auf ihn kam, hat Dr. Summers stets das Thema gewechselt. Er und Brad sind niemals ein Herz und eine Seele gewesen. Sie waren zu verschieden. Für den Alten war Brad einfach zu zielstrebig und ehrgeizig. Ich habe das aber nicht genau beurteilen können, dazu kannte ich ihn zu wenig. Mich hätte der Vater allerdings gern als Schwiegertochter gesehen. Nun ja, daraus ist nichts geworden. Ich habe auch erst wieder von Dr. Summers gehört, als er praktisch schon auf dem Totenbett lag.«
»Und dir von den Riesen berichtete.«
»Ja, den monströsen Skeletten in den Highlands ...«
»Wir werden sehen, ob sie tatsächlich existieren.«
»Summers ist ein vertrauenswürdiger Mensch gewesen.«
»Das glaube ich dir. Nur bin ich jemand, der sich gern mit eigenen Augen von gewissen Dingen überzeugt.« Ich streckte die Arme aus und rutschte unruhig auf dem harten Stuhl hin und her. »Hast du noch Lust, hier zu hocken?«
»Nein, aber der Zug ...«
»Wir können auch auf den Bahnsteig gehen. Da hören wir die Durchsage ebenso gut. Gezahlt habe ich schon.«
Jane schob die Tasse von sich weg. »Du hast recht. Außerdem schmeckt mir die Brühe nicht.« Sie stand auf und griff nach ihrem Mantel. »Lass uns verschwinden.«
»Willst du das Ding nicht anziehen?«
Sie hängte den Mantel über ihren Arm. »Vielleicht später. Hier ist es mir zu warm, ich schwitze schon und bin froh, wenn ich draußen bin.«
Die Luft war zwar kälter und sauberer, dafür aber sehr diesig. Feiner Sprüh wehte in unsere Gesichter, als wir auf dem Bahnsteig standen. Das Dach hielt nicht allen Regen ab, besonders heute nicht, weil der Wind ihn schräg in die Bahnhofshalle wehte.
Obwohl wir noch Tag hatten, sah es schon aus wie am Abend. Es war wirklich ein düsterer Nachmittag. Die Wolken hingen tief. Und das würde sich in den Highlands auch nicht ändern, es sei denn, die Wetterfrösche wären einem Irrtum unterlegen, aber daran glaubte ich nicht. Wenn sich das Wetter einmal so richtig festgesetzt hatte, dann blieb es auch, dann sah alles grau und traurig aus.
Nebeneinander schritten Jane und ich parallel zu den Gleisen den Bahnsteig entlang. Es herrschte nicht viel Betrieb. Unser Gleis wurde freigehalten, weil der Zug in einigen Minuten einfahren würde, aber noch war keine dementsprechende Durchsage erfolgt.
Jane Collins hatte ihren Mantel wieder übergestreift. Es war ihr doch zu kühl geworden. Der Wind fuhr gegen unsere Gesichter, er brachte Kälte und Nässe mit.
Rechts und links auf den anderen Gleisen fuhren Züge ein und auch aus. Dort herrschte normaler Betrieb. Nur bei uns war es ruhig. Obwohl der Zug nach Inverness hier in Glasgow eingesetzt wurde, sahen wir von ihm noch nichts.
Eine Karrenschlange fuhr uns entgegen. An der Spitze ein Elektrofahrzeug, das die mit Gepäck und Postsäcken beladenen Wagen hinter sich herzog.
Der Fahrer hielt den direkten Kurs auf uns, und wir wichen ihm aus, um die Schlange der Wagen vorbeizulassen.
Wir hatten ihnen die Vorderseiten zugedreht. Wie traumverloren schaute ich über die mit Gepäckstücken beladenen Wagen hinweg. Ich dachte daran, was mir Jane Collins erzählt hatte, und überlegte, wie viel davon wohl stimmen konnte und was nicht.
Die Mitte der Wagenschlange hatte uns erreicht, als es passierte. Es ging blitzschnell, und wir waren kaum in der Lage, auf das Geschehen zu reagieren.
Die Gestalt hatte sich zwischen den Gepäckstücken versteckt gehabt. Während der Fahrt löste sie sich aus dieser Enge und sprang ab. Es war ein Mann, der einen dunklen Mantel trug, urplötzlich vor uns auftauchte und mit dem rechten Arm eine Bewegung vollführte, als wolle er mit der Hand eine vorzuckende Schlange nachahmen.
Aus der Faust schoss etwas Langes, Blitzendes hervor.
Eine Messerklinge.
Der Mann holte noch einmal aus und zielte damit genau auf die Detektivin Jane Collins ...
*
Sie oder wir hatten Glück im Unglück, denn beim Aufprall hatte sich der Hundesohn etwas verschätzt. Es war auch nicht jedermans Sache, von einem fahrenden Wagen zu springen und dabei gezielt anzugreifen. Zwar hatte er Jane aufs Korn genommen, die vor Schreck zu Eis erstarrt war, aber seine Hand mit dem Messer verfehlte sie.
Die Klinge fuhr auf mich zu!
»John!« Ich hörte noch Janes Schrei, doch ihre Warnung brauchte ich nicht. Trotz der überraschenden Attacke war ich schneller als das Messer. Mit einem Sidestep wich ich aus, die Klinge fehlte, der Messerstecher stieß einen wütenden Fluch aus und konnte sich nicht mehr aus den Füßen halten, wie er es eigentlich gern gewollt hätte. Er stolperte mir genau in den Schlag.
Mein Treffer schmetterte ihn zu Boden. Er fiel auf den Rücken. Blut rann ihm aus Nase und Mund, aber er war nicht ausgeschaltet und sehr flink. Zweimal drehte er sich, dann schnellte er in die Höhe, und mein Tritt, auf sein Messergelenk gezielt, fuhr an seiner Hand vorbei. Ich rutschte auf dem glatten Boden nach vorn, geriet in einen gefährlichen Spagat und rechnete mit einem nächsten Stoß.
Aber da war noch Jane.
Sie hatte ausgeholt und schleuderte ihren kleinen Koffer gegen die Gestalt.
Der Messerheld wurde an den Beinen getroffen. Wieder stolperte er, diesmal fiel er jedoch nicht hin. Mit einem langen Sprung setzte er an uns beiden vorbei und verschwand in der Tiefe des Gleisschachts. Sekunden später kletterte er an der anderen Seite wieder hoch, rannte weiter, drehte sich dabei um und zeigte uns sein blutverschmiertes Gesicht.
Er hob drohend die Faust. »Ihr werdet sterben!« brüllte er und fügte noch etwas hinzu. Wir verstanden die Worte nicht. Sie gingen im Geräusch eines einfahrenden Zuges unter.
Ich war sauer.
Nicht allein wegen des heimtückischen Angriffs, auch darüber, dass mir dieser Lump entwischt war. Während Jane ihren Koffer aufnahm, schaute ich mich um.
Niemand hatte den Kampf gesehen oder wollte etwas gesehen haben. Auch der Mann mit dem Gepäck war längst verschwunden, und ich ballte vor Wut die Hände.
Jane Collins räusperte sich. Sie war ziemlich blass geworden. Der Schreck stand noch in ihren Gesichtszügen geschrieben. »Sorry, aber damit habe ich auch nicht rechnen können.«
Ich hob die Schultern. »Bist du okay?«
»So einigermaßen.«
»Gut.« Ich strich über meinen Mantel, dann schaute ich der Detektivin ins Gesicht. Sie versuchte ein Lächeln, was ihr unter diesen Umständen kaum gelang. »Da scheint jemand etwas dagegen zu haben, dass wir das Ziel erreichen.«
»Das denke ich auch. Aber wer?«
»Jemand, der auch vor einem Mord nicht zurückschreckt. Der hätte uns leicht erwischen können.« Ich schüttelte den Kopf. »Und das an einem derart belebten Ort. Mir scheint, dass wir schon jetzt in ein Wespennest gestochen haben.«
i »Stimmt, nur wissen wir nicht, was das für Wespen sind. Ich bin mir keiner Schuld bewusst, John. Ich weiß wirklich nicht, was ich getan habe.«
»Dein verstorbener Professor scheint es faustdick hinter den Ohren gehabt zu haben.«
Sehr ernst blickte sie mich an. »Du führst den Angriff darauf zurück, John?«
»Worauf sonst?«
»Ja«, murmelte sie, »worauf sonst? Vielleicht wollte der Kerl einfach nur unser Geld.« Es klang nicht überzeugend. Dass ich ihr nicht glaubte, entnahm sie meinem Blick. »Sorry, war wohl nichts.«
»Eben.«
Die kratzig klingende Lautsprecherstimme hallte über die Bahnsteige. Der Sprecher gab die Einfahrt des Zugs nach Inverness bekannt. In zehn Minuten sollte die Abfahrt sein. Darauf hatten zahlreiche Fahrgäste gewartet. Sie verließen den Wartesaal und strömten die beiden zum Bahnsteig führenden Treppen hoch.
Gleichzeitig lief der Zug an. Wir schauten dem stählernen Koloss entgegen. Für einen Moment zog sich meine Haut auf dem Rücken zusammen, als ich daran dachte, welch eine immense Wucht hinter dieser Lok steckte. Begleitet wurde die Einfahrt des Zugs von zischenden, rumpelnden und fauchenden Geräuschen. Die Lok passierte uns, dann schauten wir gegen die graugrünen Wagen, an denen die Regenspritzer hingen. Die anderen Passagiere drängten sich auf dem Bahnsteig zusammen, obwohl dort wirklich Platz genug war. Wir beobachteten sie, und irgendwie waren mir die Fahrgäste auch jetzt nicht geheuer. Ich konnte den Grund nicht sagen. Es mochte daran liegen, dass sie einfach zu still waren, zu abwartend, und dabei genau den Eindruck von Menschen erweckten, die genau wussten, was sie wollten.
Der Zug stand.
Jane hatte unser Gepäck geholt, das nur aus zwei Koffern bestand. Wir hatten wirklich nicht vor, lange in der Gegend von Inverness zu bleiben. Jane wollte eben nur feststellen, ob sich die Spekulationen des Professors bewahrheiteten.
Jane turnte neben mir auf den Zehenspitzen herum.
»Suchst du was?« fragte ich.
»Ja, unseren Freund, den Messerstecher.«
»Der hat sich verzogen.«
»Denkst du?«
Ich schaute sie an. »Du nicht?«
Die Detektivin schüttelte energisch den Kopf. »Nein, mein Lieber. Ich denke vielmehr an die Warnung, die er uns nachgeschrien hat. Die solltest du nicht vergessen. Beim ersten Mal hat es nicht geklappt, ich rechne damit, dass er die Attacke wiederholen wird.«
Ich schwieg. Noch immer wollte ich Jane nicht zustimmen, sondern grübelte über den Grund nach. Wenn das stimmte, was Jane angenommen hatte, dann wusste man bereits über uns Bescheid. Und irgendjemand wollte verhindern, dass wir nach Inverness fuhren.
Mal sehen
Die meisten Menschen waren schon im Zug, als Jane mich anstieß. »Lass uns auch einsteigen. Bin gespannt, was sich noch alles ergibt.«
»Eine lange Reise in Richtung Norden.«
»Du rechnest nicht mit Überraschungen?«
Ich schnappte mir beide Koffer. »Ich hoffe es nicht.«
Sie hob die Schultern und ging vor. Ich starrte auf ihren Rücken. Verdammt noch mal, ich hatte auf einmal das Gefühl, dass mir Jane Collins etwas verschwieg. Meiner Ansicht nach wusste sie mehr, als sie mir gegenüber zugegeben hatte.
Worum sollte es sich drehen? Um Atlantis? Ich hatte gelacht, nun aber blieben mir die Worte im Halse stecken ...
*
Wir hatten uns Karten der ersten Klasse gekauft. Erstens wegen der relativ langen Fahrt, zweitens, weil es dort nicht so überfüllt war, und drittens gab es in diesen Abteilen einfach mehr Platz. Hin und wieder wollte ich schon meine Beine ausstrecken.
Der Zug war aus älteren Wagen zusammengestellt. Man konnte bei ihnen noch die Fenster öffnen, und Jane zog unser Abteilfenster nach unten, um die Geräusche des Bahnhofs in das Abteil dringen zu lassen, während ich meinen und Janes Mantel an die Haken hängte. Die Koffer hatte ich oben in die Gepäcknetze gelegt. Ich schaute auf Janes Rücken, die ihren Kopf aus dem Fenster gestreckt hatte und ihn nach rechts und links drehte, um den Bahnsteig entlang zu schauen.
Jane trug eine schwarze Hose, einen beigen Pullover und darüber eine Kostümjacke von neutraler grauer Farbe. Sie hatte das lange Blondhaar hochgesteckt, und als ich sie anschaute, da fiel mir auf, dass sie doch eine tolle Figur hatte.
Irgendwo war sie schon eine Klassefrau, und ich dachte daran, wie es mit uns beiden weitergehen würde. Es kam darauf an, wie lange wir in Inverness blieben, das heißt, nicht direkt dort, sondern einige Meilen von diesem Ort entfernt, in der Einsamkeit der Highlands, wo dieser Dr. Summers die Spuren der alten Kultur angeblich gefunden haben sollte. Überzeugt war ich davon noch nicht, ich würde mich aber gern überraschen lassen.
Ein schrilles Signal traf meine Ohren. Das Zeichen zur Abfahrt war gegeben worden. Jane schloss das Fenster und setzte sich mir gegenüber. Sie lächelte mich an.
»Was hast du?«
Die Detektivin schaute zur Tür. »Ich hoffe, dass wir allein hier im Abteil bleiben.«
Mein Grinsen sprach Bände. »Würde mich nicht stören.«
»Das glaube ich dir gern, John. Aber denke daran, dass wir hier nicht grundlos hocken. Es ist keine Urlaubsfahrt.«
»Nein, das ist es nicht«, murmelte ich.
»So ernst plötzlich?« Ihr war der Unterton nicht entgangen.
Ich schaute hinaus und sah zu, wie die Bahnsteigdächer allmählich hinter dem Fenster entlang glitten. »Freust du dich schon auf die Riesen?« fragte ich sie.
Jane blitzte mich an. »Du solltest nicht spotten, John. Wenn du erst vor ihnen stehst, wirst du anders reden.«
Ich streckte die Beine aus und legte sie schräg nach links. »Ich weiß es nicht, ob ich so denken werde.«
»Warum nicht?«
»Weil ich es mir einfach nicht vorstellen kann.«
Sie lachte mich an oder aus. »Vorstellen, John Sinclair, was heißt das denn? Hast du dir den schwarzen Tod vorstellen können? Hast du dir das?«
»Nein, so nicht.«
»Na also.«
»Du hast ihn ja noch nicht gesehen.«
»Stimmt, und das möchte ich auch nicht.« Sie beugte sich vor. »Aber die drei Riesen zu entdecken, das – das wäre einfach irre.«
»Denkst du?«
»Du etwa nicht?«
Ich wiegte den Kopf. »Es kommt immer darauf an, wie gefährlich sie sind. Aber wenn sie tot sind, dann ...« Ich sprach nicht mehr weiter, weil Janes Wangen sich gerötet hatten. »Ist etwas mit dir?« erkundigte ich mich.
»Nun ja ...«
»Rede!«
Sie schaute aus dem Fenster, als sie sprach. »Vielleicht sind sie gar nicht tot.«
»Aha. Hat das auch dein Professor oder Doktor gesagt?«
»Er ist nicht mein Doktor gewesen.«
»Gut, bleiben wir sachlich. Sind sie nun tot, oder sind sie es nicht, Miss Collins?«
»Das ist die Frage«, murmelte sie.
»Tatsächlich?«
Jane wand sich. »Du musst das nicht so wörtlich nehmen, John. Niemand weiß etwas Genaues.«
»Auch Summers nicht?«
»Könnte sein.«
»Er hat es dir aber nicht gesagt?«
»Nein, nicht direkt. Er ließ es in der Schwebe, weil er nicht mehr in der Lage war, es mir zu sagen, denke ich. Er starb nicht plötzlich, der Mann verfiel in eine Agonie, aus der er nicht mehr erwachte. Ich habe noch seine Betreuerin gerufen, später hörte ich dann von seinem Tod, aber unser letztes Gespräch wollte mir nicht mehr aus dem Sinn. Das hat verflucht ernst geklungen.«
»Kannst du dir denn vorstellen, weshalb er gerade dich eingeweiht hat?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich weiß es nicht. Oder«, sie verzog den Mund zu einem Lächeln, »er kannte mich und wusste, wie es mit meiner Neugierde bestellt ist. Das ist auch möglich. Er hat sich gedacht, dass ich nachforschen würde, und er hat sich nicht geirrt.«
»In der Tat, das stimmt schon.«
»Wie dem auch sei, John, wir werden hinfahren und uns die Riesenskelette einmal anschauen.«
»Zunächst die Gegend«, schwächte ich ab.
»Meinetwegen auch die. Aber viel werden wir nicht sehen. Da der Zug schon jetzt Verspätung hat, werden wir unpünktlich sein. Kennst du dich übrigens in der Gegend da oben aus?«
»Kaum.«
»Du stammst doch aus Schottland.«
»Meine Eltern, Jane. Ich bin in London aufgewachsen. Ich war mal in Inverness. Schließlich befindet sich südwestlich davon eine der größten Touristenattraktionen des Landes, Loch Ness. Dafür ist Inverness die Anlauf Station.«
»Weiß ich.«
»Wunderbar.« Ich reckte die Arme und legte die Hände flach hinter meinen Kopf. »Mit dem Ungeheuer von Loch Ness stehen die Entdeckungen des Dr. Summers in keinem Zusammenhang – oder?«
»Ich denke nicht. Jedenfalls hat er davon nichts gesagt. Und wenn, wäre es doch interessant.«
»Mal sehen.«
Jane deutete auf ihren Magen. »Eigentlich habe ich Hunger.« Sie schaute auf die Uhr. »Kein Wunder, es ist Frühstückszeit. Da es hier einen kleinen Restaurantwagen gibt, möchte ich dich fragen, ob du mich begleitest?«
»Gern.«
»Dann komm.«
Wir hatten einen Zug genommen, der nicht überall hielt. Ich konnte mir vorstellen, dass in Perth, dem letzten längeren Halt vor der Einsamkeit der Highlands, noch Fahrgäste zustiegen. Wenn es dann soweit war, wollte ich gern gefrühstückt haben, denn auch ich verspürte Hunger. Der Kaffee im Wartesaal hatte ihn nicht dämpfen können, sondern eher für Sodbrennen gesorgt.
Ich ließ Jane Collins Vorgehen. Der Speisewagen befand sich in unserer Nähe. Wir brauchten nur zwei Wagen weiter zu gehen und bewegten uns durch den engen Gang, wobei wir immer wieder das Schaukeln des Zuges ausgleichen mussten.
Der Tag würde so werden, wie er am Morgen ausgesehen hatte. Sehr düster und trübe. Des öfteren schaute ich nach draußen, vergaß aber dabei nicht, kurze Blicke in die einzelnen Abteile zu werfen, auf der Suche nach dem Messerstecher, denn ihn hatte ich auf keinen Fall vergessen. Die Reisenden machten auf mich keinen verdächtigen Eindruck. Zumeist waren es Geschäftsleute, vertieft in die Lektüre der verschiedensten Zeitungen und Magazine.
Auch zwei allein reisende Frauen sah ich. Sie schauten kurz hoch, als unsere Umrisse vorbeiglitten.
Der Wagen war überheizt und voll. Aber wir hatten Glück, denn das Personal stellte uns einen Zweiertisch zur Verfügung und kontrollierte auch gleichzeitig die Karten.
Mir fiel auf, dass Jane sich immer wieder umblickte und ihr dabei einige Gedanken durch den Kopf schossen.
»Hast du was?« fragte ich.
»Ja, ich suche die Typen aus dem Wartesaal.«
»Da schau mal in der zweiten Klasse nach.«
»Werde ich gleich auch.«
»Und dann?«
Sie lächelte. »Kann ja sein, dass ich den Messerstecher entdecke.« Ihre Antwort klang gewollt locker, und ich schaute sie warnend an. »Was ist denn?« fragte sie.
»Nimm es nicht so locker. Dieser Typ hätte dich fertig machen können. Und mich ebenfalls.«
»Seit wann bist du so ...«
»Darf ich Ihnen ein Frühstück bringen?« in schnauzbärtiger Mann unterbrach unser Gespräch. Wir hatten noch nicht in die Karte geschaut, wussten aber schon, was wir essen wollten. Rührei, Speck und Toast sowie Kaffee und Orangensaft.
»Der ist aber nicht frisch gepresst.«
»Traurig«, sagte Jane, »wir nehmen ihn trotzdem.«
»Bitte sehr.«
»Was wolltest du sagen?« fragte ich Jane, als der Kellner verschwunden war.
»Hm, das weiß ich gar nicht mehr.«
»O je, so jung und schon Abnutzungserscheinungen.«
Sie drohte mir. »Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, mein Lieber.«
»Ja, das stimmt, aber ich denke immer an diesen Dr. Summers. Hat er dir nicht wenigstens mitgeteilt, wo du diese Riesen finden kannst?«
»Hat er.«
»Wie schön.«
»Aber nicht genau. Ich kenne das Gebiet. Wir werden uns in Inverness einen Wagen leihen müssen und hinfahren. Sollte doch kein Problem für uns sein – oder?«
»Nein, im Prinzip nicht. Ich frage mich nur, wie die anderen Reisenden dorthin kommen wollen. Das ist schon ein regelrechter Skelett-Tourismus geworden.«
»Quatsch.«
»Moment mal, die haben alle bis Inverness gelöst. Und sehr koscher waren sie dir nicht.«
»Ja, das stimmt schon.« Sie winkte ab. »Lass uns nicht mehr davon reden.« Dass Jane so sprach, hatte seinen Grund, denn unser Frühstück wurde serviert. Der Speck roch gut, das Rührei war frisch, und der Kaffee schmeckte auch besser als im Wartesaal.
Jane lächelte mir zu. »Dann wünsche ich dir, dass es dir gut schmeckt, Geisterjäger.«
»Danke, du Detektivin.«
Sie hob das Messer an. »Lass deinen Spott, John. Ich werde noch mal Karriere machen.«
»So schätze ich dich auch ein.«
»Wie meinst du das? Im Ernst?«
»Natürlich.«
Ihr Blick sagte mir, dass sie mir nicht glaubte, aber es war mir egal. Ich wollte jetzt erst mal was essen.
Jane Collins hatte sich den günstigeren Platz ausgesucht. Sie konnte den Wagen in seiner Länge überblicken, ich schaute nur gegen sie und sah, wie sie erstarrte, dann Messer und Gabel langsam sinken ließ.
»Was ist denn?«
Sie schüttelte den Kopf. »Da kommt ein Typ, der mir überhaupt nicht gefällt.«
»Warum?« »Weiß ich auch nicht. Aber ich bin sicher, dass er zu den Leuten gehört, die auch nach Inverness fahren. Im Wartesaal habe ich ihn gesehen und gehört, wie er davon sprach.«
Ich wollte mich umdrehen, aber Jane hatte etwas dagegen. »Bleib so, wie du bist, John, sonst wird er noch misstrauisch. Der schaut sich sowieso schon jeden Gast genau an.«
Dann hatte er uns erreicht.
Zwischen den beiden Tischen blieb er stehen, denn der Mittelgang war breit genug. Ich rechnete damit, dass er weiterging, doch er setzte sich auf einen freien Platz am gegenüberliegenden Tisch, so dass er direkt am Gang saß.
Ich schaute hin.
Er blickte mich an, und ich sah das Grinsen auf seinen Lippen, das mir wie eine tödliche Drohung erschien ...
*
Ich hatte Mühe, meinen Schauder zu unterdrücken. Nicht wegen des Grinsens, nein, es war dieser Mann, der genau so aussah wie jemand, der kleinen Kindern Furcht einjagt. Er war der Mann in Grau. Graue Kleidung, eine graue Haut, ein graues Gesicht und auch grau wirkende Augen. Dabei zeigte die Haut im Prinzip eine fahle Farbe, als hätte sie zu wenig Sonne bekommen. Dieser Typ sah aus, als wäre er soeben aus einem Grab entstiegen. Sein kantiger Kopf mit den Strubbelhaaren wies irgendwie eine Ähnlichkeit mit Frankensteins Monster auf.
Auch Jane spürte eine Gänsehaut über ihren Rücken kriechen. Sie aß den Rest ihrer Mahlzeit nicht mehr. Unter dem Tisch stieß sie mich an. Ich nickte ihr leicht zu und stellte fest, dass mich der Kerl beobachtete, was ihm keine Schwierigkeit bereitete, da er mir schräg gegenübersaß.
Er bestellte ein Bier, lehnte sich dann zurück, schaute wieder auf mich und grinste kantig.
Ich war es leid und sprach ihn an. »Kennen wir uns, Mister? Habe ich etwas an mir?«
Er erhielt sein Bier und zahlte sofort. Das Glas benutzte er nicht. Er trank aus der Flasche.
»Hören Sie, ich warte auf eine Antwort!«
»Wir kennen uns nicht näher.« Seine Stimme klang rau, als hätte ein Raucher vergessen, sich am frühen Morgen freizuhusten.
»Wie meinen Sie das?«
Er hob die Schultern. »Das ist alles relativ. Ich sah Sie im Wartesaal, Sie und die Frau.«
»Stimmt, Da haben wir gesessen. Und weiter?«
»Sie steigen bald aus, wie?«
»Erst in Inverness.«
Er trank wieder. »Das ist ein Fehler, glauben Sie mir. Mein Name ist übrigens Hector.«
Diesmal grinste ich. »Man kann sich seinen Namen leider nicht aussuchen. Warum also nicht Hector.«
»Ich leite die Gruppe, die nach Inverness fährt. Wir sind alle sehr gut vorbereitet und wollen nicht, dass man uns stört. Da ich ein gutmütiger Mensch bin, auch wenn ich nicht so aussehen mag, rate ich Ihnen, in Perth den Zug zu verlassen und den Nächsten zu nehmen, der in die entgegengesetzte Richtung fährt. Das ist alles.«
»Wie schön.«
»Ja, nicht?«
Ich schaute auf seine Hände, deren Finger seltsam kantig aussahen. Sie waren zudem sehr breit. Auf der Haut wuchsen graue Haare als dichte Büschel. »Darf ich fragen, weshalb Sie so besorgt um uns sind?«
»Dürfen Sie. Meine Freunde und ich wollen nicht, dass Ihnen etwas passiert.«
»Wie nett.«
»Was sollte uns denn passieren?« fragte Jane.
Hector hob die Schultern. Er schob seine Unterlippe vor. »Man kann sehr leicht sein Leben verlieren.«
»Und warum ausgerechnet wir?«
»Eine gute Frage, Miss. Weil Sie sich um Dinge kümmern, die nicht für Sie bestimmt sind. Deshalb steigen Sie aus. Wenn nicht, werden Sie irgendwann ausbluten.« Er schaute auf seine Uhr. »Es dauert nicht mehr lange, dann hält der Zug in Perth. Gehen Sie, nehmen Sie Ihr Gepäck, und steigen Sie aus.« Er hatte das letzte Wort kaum ausgesprochen, als er sich erhob und wegging.
Ziemlich verblüfft starrten wir ihm nach. Okay, ich hätte ihm folgen können, aber das wollte ich nicht. Ich blieb sitzen und schaute stattdessen Jane an.
Sie war etwas nervös und trommelte mit den Fingerspitzen auf dem Tischtuch. »Das sieht nicht gut aus, John.«
»Du hältst viel von den Warnungen?«
»Ja.« Ihr forschender Blick traf mich. »Du nicht?«
Ich schaute aus dem Fenster. Wir rollten durch Vororte von Perth. Sie sahen ebenso grau aus wie die in Glasgow. Auch der Himmel zeigte eine graue Decke, allerdings regnete es nicht mehr. Es war einfach trübe. An Tagen wie diesen musste man einfach das Licht einschalten. »Natürlich nehme ich sie ernst, Jane. So ernst, dass sich zumindest einer von uns den Vorschlag überlegen sollte und ...«
»Aussteigen, meinst du?«
»Ja.«
»Das soll ich dann wohl sein, nicht?«
»Daran dachte ich tatsächlich.«
Sie funkelte mich an. »So habe ich mir das gedacht. Du hängst den Macho heraus, der die einsame Blonde beschützen will. Wie im Kino, so richtig kitschig und schmalzig.«
»Das hier ist kein Kino.«
»Sehr richtig, John«, sagte sie scharf. »Das ist kein Kino, und ich bin auch keine Filmheldin. Wir sitzen hier im Zug, erleben die Realität, die zugegebenermaßen nicht ganz rosig aussieht, aber ich denke nicht daran, aus dieser Realität einfach auszusteigen und feige zu verschwinden. Das musst du dir einfach abschminken, John.«
Der Zug ruckte einige Male. Ich hielt automatisch mein Glas fest. Der O-Saft schwappte vor und zurück, spritzte aber nicht über. »Gut, ich kann dich nicht zwingen.«
»Zum Glück nicht.«
Mein Blick fiel nach draußen. Die Scheibe war zwar nicht gerade sauber, den Bahnsteig konnte ich jedoch erkennen und sah auch, dass zahlreiche Fahrgäste einstiegen. Wie ich es mir schon gedacht hatte, waren es die Geschäftsleute aus der ersten Klasse. Aber auch viele Fahrgäste aus der Zweiten verließen den Zug. Nur befand sich niemand darunter, der zu Hectors Gruppe gehört hätte.
Das sah nicht günstig für uns aus.
»Na, Mr. Geisterjäger?«
Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Die Chance ist vertan für dich. Jetzt werden wir es gemeinsam durchstehen.«
»Das hatte ich von Beginn an vor. Schließlich habe ich dich erst auf die Spur gebracht. Dass Dr. Summers’ Worte keine Fantastereien sind, hast du ja erlebt.«
»Stimmt genau.« Ich ließ meinen Blick auch weiterhin über den Bahnsteig gleiten. Es herrschte viel Betrieb. Trotzdem fiel mir eine Gestalt auf, die wie sprungbereit neben einer Säule stand und auf den Zug starrte, besonders auf unseren Wagen.
Es war ein Mann, den ich kannte. Er hatte versucht, uns in Glasgow mit dem Messer abzustechen. Ich hatte mich nicht so gut unter Kontrolle, als dass Jane nichts bemerkt hätte.
»He, was ist los?«
»Nichts.«
»Doch.« Sie drehte sich um und schaute ebenfalls nach draußen. In diesem Moment wurde das Signal zur Abfahrt gegeben. Der Messerstecher löste sich von der Säule und lief mit nach vorn gebeugtem Kopf auf den Zug zu, in den er blitzschnell einstieg.
Jane hatte ihn nicht gesehen, denn sie fragte mich: »Was ist denn da passiert?«
Ich behielt die Wahrheit für mich und sagte: »Nichts weiter. Ich dachte nur, einen Bekannten gesehen zu haben.«
»Das soll ich dir glauben?«
Ich hob die Schultern.
»Nein, nein, John, du willst mir hier was unter die Weste schieben. Ich denke nicht, dass es ...« Sie winkte ab. »Aber lassen wir das lieber. Mit dir ist nicht zu reden.«
»Warum nicht?«
»Schon gut.«
Der Zug vibrierte. Ein, zwei Rucke, dann fuhr er an, und der Bahnhof glitt lautlos wie eine gespenstische Stätte außen an den Fenstern vorbei.
Wie hatte dieser Hector gesagt? Perth wäre die letzte Chance für uns gewesen. Aus seiner Sicht mochte er recht haben, denn von nun an führte die Strecke in die Einsamkeit der Highlands. Bis zum Ziel würde der Zug nur wenig halten. Vielleicht zweimal, so genau wusste ich das nicht.
»Was hast du für ein Gefühl, John?«
»Kein gutes.«
»Das ist mir zu wenig.«
»Wenn wir Hector glauben wollen, dann befinden wir uns jetzt in einem rollenden Gefängnis.«
Jane Collins hob die Arme. »Himmel, du bist ja ein Pessimist heute.« »Realist.«
Sie tätschelte meine Hände. »Okay, du Realist, was tun wir jetzt? Hast du eine Idee?«
»Ja, wir gehen ins Abteil zurück.«
»Einverstanden, ich muss sowieso mal zur Toilette.« Sie lächelte mich an. »Der Kaffee, verstehst du?«
»Immer.« Ich hielt Ausschau nach dem Ober. Der Speisewagen hatte sich ziemlich geleert. Nur weiter vorn saßen noch drei Fahrgäste zusammen und unterhielten sich leise.
Ich winkte den Mann herbei, zahlte die Rechnung und sah, wie der Ober gähnte.
»Müde?« fragte ich.
»Und wie!«
»War eine lange Nacht – oder?«
Er winkte ab. »Das nicht mal, aber es wird eine lange, schrecklich eintönige Fahrt durch die Highlands. Das mag für Touristen ja recht nett sein, aber nicht für uns. Da passiert nichts, man hockt herum, es gibt kaum Stationen und wenn, dann steigt oftmals kein Reisender mehr ein. Nein, das ist kein Dienst, der Spaß macht.«
»Kann ich verstehen. Wie viele Reisende sitzen denn noch im Zug? Haben Sie da einen Überblick?«
»Eigentlich nicht. Aber weiter vorn in der Zweiten, da haben welche einen ganzen Wagen gemietet.«
Ich tat erstaunt. »Ach ja? Wer denn?«
»Keine Ahnung«, sagte der Mann mit dem Schnauzbart. »Aber wie eine Vergnügungsreise sieht das nicht gerade aus. Dafür sind die Typen einfach zu ernst. Die sitzen nur da und schauen in die Gegend. Einen von ihnen haben Sie doch gesehen. Sie sprachen mit ihm. Dieser graue Knabe hat sich doch an den Nachbartisch gesetzt.«
»Ach so, der gehört dazu. Ja, Sie haben recht. Das war schon ein komischer Typ.« Ich lachte und schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, der sah aus, als wäre er frisch aus der Gruft gestiegen.«
»Verdammt, Sie haben recht. Das hat auch ein Kollege von mir gesagt. Wie frisch aus dem Grab entlassen. Komisch, aber ich sage Ihnen ehrlich, die anderen Reisenden in diesem einen Wagen sehen nicht viel anders aus. Eine Reihe von Grufties.«
»Gut, sehr gut«, sagte ich und legte das Geld auf den Tisch. Ich erhöhte die zu zahlende Summe, wollte das Wechselgeld nicht, und der Ober meinte, dass wir uns bestimmt noch sehen würden.
»Das denke ich, denn wir fahren bis Inverness.«
»Da soll das Wetter noch mieser sein, habe ich gehört.«
»Das ist unser persönliches Pech.«
»Da haben Sie recht.«
Als er gegangen war, löste sich auch bei Jane die Stummheit. »Das ist die Gruppe, die zu den Riesen will, John, und alle sind bereits über uns informiert worden.«
»Stimmt, aber wie und durch wen?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
»Hast du mit anderen darüber gesprochen. Ich meine, über die Aussagen des Dr. Summers?«
»Auf keinen Fall, John. Nur mit dir.«
»Wirklich?«
Sie verdrehte die Augen. »Ja, wenn ich es dir sage. Außerdem ist das Thema viel zu unglaublich oder utopisch, als dass ich noch mit einer anderen Person darüber gesprochen hätte. Die – die hätten mich doch ausgelacht.«
»Das könnte durchaus sein.«
»So und weiter?«
Ich grinste sie über den schmalen Tisch hinweg an. »Wolltest du nicht mal für kleine Mädchen?«
»Ha, ha ...« Jane stand auf, auch ich erhob mich. Beim Umdrehen sah ich, dass der Speisewagen leer war. Es war ein komisches Gefühl, niemanden mehr hier zu sehen. Der Zug rollte bereits durch eine einsame Gegend. Die Berge malten sich als Schatten ab, noch etwas entfernt, aber sie würden bald näher heranrücken.
»Hast du eigentlich gesehen, in welch eine Richtung dieser Hector verschwunden ist?«
Jane runzelte die Stirn. »Nein, du?«
»Sonst hätte ich nicht gefragt.«
»Sei mal etwas netter.«
»Ja, später.«
Ich ließ sie Vorgehen. Wir stützten uns an den Tischen ab. Die Räder rollten mit den typischen Geräuschen über die Schienen. Sie produzierten ein Rattern, Schaukeln und Stoßen, und wir glichen das Schwanken stets durch Gegenbewegungen aus.
Leer war auch der nächste Wagen. Wir warfen die Blicke in die Abteile, die wir passierten, und Jane Collins zog unruhig ihre Schultern hoch. »Sieht richtig komisch aus.«
»Was?«
»Dieser leere Zug.«
Ich winkte ab. »Daran musst du dich gewöhnen.«
»Vielleicht.«
Auch mir passte es nicht. Wir erreichten den Übergang zum nächsten Wagen, in dem sich unser Abteil befand. Jane blieb am Anfang stehen. Sie deutete auf die schmale Toilettentür. »Pardon, aber der Kaffee.«
»Okay, ich warte.«
»Du kannst ruhig ins Abteil gehen.«
Meine Hand tätschelte ihre Wange. »Ich hatte auch nicht vor, hier stehen zu bleiben.«
»Immer Kavalier, wie?«
»Und ob.«
Erst als Jane in der schmalen Toilet- te verschwunden war, ging ich weiter. Mit jedem Schritt, mit dem ich mich unserem Abteil näherte, wuchs meine Unruhe. Ich konnte den Grund nicht sagen, er war einfach vorhanden, zudem musste ich immer wieder an diesen grauen Mann mit dem Namen Hector denken.
Jedes Abteil war leer. Nicht mal ein Schlafender saß auf einem der Sitze. Noch zwei Türen, dann war ich am Ziel. Meine Unruhe wuchs. Ich tastete unwillkürlich nach meiner Waffe. Plötzlich erschien mir die Luft dick und irgendwie geladen.
Ich blieb stehen und schaute zurück.
Es war nichts zu sehen. Mein Blick traf einen leeren Gang. Aber etwas stimmte nicht.
Dann ging ich weiter.
Von der Seite her schaute ich in das nächste leere Abteil, ging schneller und stand vor der richtigen Tür.
Unser Abteil war besetzt.
Ein Mann hockte auf meinem Platz. In seinen großen Händen hielt er drei kleine Figuren – Skelette!
Es war nicht ihr Anblick, der mir einen Schauer über den Rücken jagte. Es war der Mann selbst, der mir Magendrücken verursachte.
Auf meinem Platz hockte Hector!
*
Ob die Nase durch den Schlag gebrochen war, wusste der Messerheld nicht, aber die Schmerzen, die von ihr aus durch seinen Kopf zuckten, ließen schon darauf schließen, und sie verteilten sich zudem auf den Lippen, die von dem Treffer aufgerissen worden waren. Das alles hatte den Mann nicht nur vor Wut kochen lassen, sondern seinen Hass auf den Mann und die Frau zu einer glühenden Lohe entfacht.
Ihm war die Flucht gelungen. Hinter einem Pfeiler hatte er sich versteckt gehalten und mit einem Taschentuch die erste Blutung gestillt. Etwas später war er dann zu einer Sanitätsstation im Bahnhof gelaufen, hatte etwas von einem Fall auf der Treppe erzählt und sich von den Leuten notdürftig verarzten lassen.
Jetzt klebte ein Pflaster auf seiner Nase. Die Lippen lagen frei, hin und wieder bluteten sie noch. Dann breiteten sich rote Punkte wie Perlen auf dem Mund aus.
Er war gerade noch rechtzeitig zurückgekehrt, um den Zug zu erwischen. Kurz nur hatte er mit Hector gesprochen, um sich dann zurückzuziehen. In Perth war er ausgestiegen und hatte festgestellt, dass seine »Freunde« jetzt daran dachten, den Zug zu verlassen.
Sie würden sich wundern! Irgendwie war er froh darüber, dass sie Hectors Warnung missachtet hatten.
Er würde sich beide holen. Zuerst die Frau, dann den Mann.
Als sie sich von ihren Plätzen erhoben hatten, war er ihnen in sicherem Abstand durch den leeren Zug in den Erste-Klasse-Wagon gefolgt. Er hatte gesehen, dass der Mann allein weiterging und die Frau auf der Toilette verschwand.
Beinahe hätte er gejubelt. Soeben noch hatte er sich zusammenreißen können.
Es lief alles fantastisch. Er würde den Fehler vom Bahnhof rasch ausbügeln können.
Mit diesen Gedanken zog der Mann sein Messer ...
*
Jane schloss die Tür hinter sieh ab und lehnte sich für einen Moment gegen die Wand, weil sie ein Zittern in den Knien nicht unterdrücken konnte. Sie ärgerte sich selbst darüber, aber sie konnte nun mal nicht über den eigenen Schatten springen. Sie musste die Augen schließen und erst einmal nichts tun. Abwarten, über gewisse Dinge nachdenken und sich fragen, ob sie einen Fehler begangen hatte.
Jane wusste, dass etwas Schreckliches auf sie zukommen konnte. Es hatten sich einige merkwürdige Vorfälle ereignet. Es war zwar nicht direkt etwas passiert, aber die unsichtbaren Schatten, die sich ihr näherten, nahmen immer mehr an Dichte zu.
Durch das Fenster konnte sie nicht schauen. Das Glas war undurchsichtig. Sie stand in der kleinen Zelle, horchte dem Rumpeln der Wagen auf den Schienen und hatte plötzlich das Gefühl, als wäre sie in einer anderen Welt gefangen.
Alles war so fremd geworden, so schlagartig anders, und sie wusste nicht, wie das noch enden würde.
Jane hatte nicht gelogen, sie musste tatsächlich zur Toilette. Wenig später trat sie das Pedal, damit Wasser aus der Röhre floss und sie sich die Hände waschen konnte. Es war eiskalt, und Jane benetzte auch ihr Gesicht damit.
Ein paar Tropfen gerieten an ihre Lippen und in ihren Mund. Jane fand, dass das Wasser nach Eisen schmeckte. Sie spie es wieder aus. Mit einem Papiertuch trocknete sie sich die Hände und das Gesicht ab. Dann knüllte sie das Papier zusammen und warf es in einen Korb.
Vor dem Spiegel blieb sie stehen. Das Licht strahlte nicht besonders hell. Aber Jane fand, dass sie schlecht aussah, als häte sie die letzten Nächte nicht geschlafen.
Sie spürte einen Druck hinter den Schläfen, und ein Kribbeln im Magen und führte beides auf die Nervosität zurück, die in den letzten Minuten immer stärker geworden war.
Zwar hatte sie gewusst, dass die Zugfahrt nicht gerade ein Vergnügen sein würde, aber dass sie einen derartigen Verlauf nahm, damit hatte sie nicht gerechnet. Obwohl niemand zu sehen war, fühlte sich die Detektivin von Feinden umzingelt. Es war nicht möglich, anzuhalten und auszusteigen, um diesen Leuten zu entgehen. Sie war zu einer Gefangenen geworden, obwohl sie nicht hinter Schloss und Riegel saß.
Die einzige Sicherheit hieß John Sinclair, doch auch er würde wohl kaum etwas gegen die Horde der Reisenden aus dem Wagen weiter vorn ausrichten können. Die seltsamen Reisenden hatten bis Inverness gebucht, ihr Ziel stand damit fest, und Jane war fest davon überzeugt, dass sie denselben Ort aufsuchen wollten wie sie.
Drei Skelette befanden sich dort.
Skelette von Riesen!
Das war unvorstellbar, aber Dr. Summers hatte so intensiv darüber gesprochen, dass sie einfach nicht an eine Lüge glaubte. Die gleichen Sätze hätte er sicherlich auch seinem verschollenen Sohn erzählt, das stand für Jane fest.
Sie drehte sich auf der Stelle um. Ihre Hand legte sich auf die Messingklinke, mit der Linken wollte sie den Hebel herumlegen, um die Tür zu öffnen, aber sie zögerte.
Jane wusste selbst nicht, was sie innehalten ließ. Es war nur eine Idee, ein Gefühl, aber sie spürte sehr deutlich das Kribbeln in ihrem Nacken'und legte ihr Ohr gegen die Tür.
Es war nichts zu hören, abgesehen von den üblichen Fahrgeräuschen, die hier gedämpfter klangen als in der zweiten Klasse.
Sie räusperte sich, biss auf ihre Lippen, überlegte, was sie tun sollte.
Öffnen oder nicht?
Sie drehte den Riegel.
Das leise Knacken war normal, trotzdem gefiel es ihr nicht. Sie überwand sich und zog die Tür nach innen.
Die Gefahr sehen – und handeln war eins.
Der Schatten war plötzlich da. Er bewegte sich, er musste vor der Tür gelauert haben, und plötzlich verwandelte er sich zu einem Menschen, dessen linke Hand gegen Janes Kehle rammte, ihr die Luft nahm und sie hart zurück stieß.
Sie prallte gegen die Toilette, schlug mit dem Hinterkopf gegen die Wand, sah für einen Moment Sterne und dann wieder ihn, der wie ein Ungeheuer vor ihr auf tauchte.
Er rammte die Tür zu.
Er kicherte, und er hatte das Messer, dessen Spitze gegen Janes Kehle zielte und die Detektivin erstarren ließ ...
*
Hector hatte mich natürlich ebenfalls gesehen und grinste mich mit seinem breiten Mund an. Es war ein widerliches Grinsen, das eigentlich mehr sagte als viele Erklärungen, denn es bewies mir, dass er die erste Runde in diesem Spiel gewonnen hatte.
Er stellte die Skelettfiguren neben sich auf den Sitz und nickte mir zu.
Ich zog die Abteiltür auf.
Ein warmer Geruch blies mir entgegen, zudem geschwängert von einem muffigen Gestank, der wahrscheinlich aus der Kleidung des Grinsers strömte und tatsächlich so roch, als hätte er mit seinen Klamotten schon länger im Grab gelegen.
»Warum setzen Sie sich nicht? Sie haben doch bezahlt, Sinclair.«
Ich blieb auf der schmalen Schwelle stehen. »Sie kennen meinen Namen, Mister?«
»Ja.« Er nickte. »Wir sind immer gut informiert, was unsere Feinde angeht.« »Aha.«
Er versuchte, höflich zu sein. »Bitte, mein Lieber, setzen Sie sich doch.«
»Nun ja, wenn Sie wollen.« Ich dachte an Jane, und mir wurde etwas komisch zumute. Konnte es sein, dass auch sie in eine Falle gelaufen war? Hoffentlich nicht, aber daran wollte ich jetzt nicht mehr denken, als ich mich in das Abteil schob und mich an einen Platz setzte, wo ich Hector gegenüber saß.
Die Abteiltür schloss ich nicht ganz, weil ich hören wollte, wenn sich jemand auf dem Gang näherte. Natürlich dachte ich dabei an Jane Collins.
»Sie sind in Perth nicht ausgestiegen, Sinclair.«
»Das sehen Sie ja.«
»Stimmt. Ich wollte Ihnen nur noch einmal sagen, welch einen Fehler Sie begangen haben.«
»Das sehe ich nicht so.«
Er hob einen Finger. »Sie werden sich noch wundern, Sinclair, glauben Sie mir.«
»Ach ja?«
»Sicher, mein Lieber, ganz sicher.« Er lächelte wieder und deutete auf seine kleinen Knochenfreunde. »Sind sie nicht nett, Sinclair? Was sagen Sie dazu?«
»Ist reine Geschmackssache.«
»Stimmt, ich finde sie gut.« Er faltete die Hände und wechselte das Thema. »Ach ja, Sie haben meine Warnung nicht beherzigt. Ich gebe zu, dass der Mann auf dem Bahnsteig in Glasgow etwas übereilt gehandelt hat, aber das ist vergessen. Sie sind im Zug, wir ebenfalls, und wir werden wohl das gleiche Ziel haben.«
»Das ist möglich.«
Er legte den Kopf schief. Ich sah, dass seine graue Haut von dünnen Falten durchzogen war, die beinahe schon wie schmale Nähte aussahen, und wieder drängte sich mir der Vergleich mit Frankensteins Monster auf. »Ja, wir haben das gleiche Ziel. Die Ruhestätte der drei Riesen. Manche behaupten, sie seien tot, andere sind davon nicht überzeugt, dazu gehören wir. Denn wir sind der Meinung, dass sie nur schlafen und nicht vernichtet sind. Ja, sie schlafen, und wir werden versuchen, sie wieder zu erwecken. Is| das nicht gut?«
»Für Sie vielleicht.«
»Ich bitte Sie, Sinclair«, sagte er lachend. »Wollten nicht auch Sie diese Riesen kennen lernen?«
»Im Prinzip schon.«
»Wunderbar. Dann sollten Sie froh sein, wenn Sie und Ihre Freundin dafür Sorge tragen, dass aus den schlafenden Riesen wieder lebendige Personen werden.«
»Wie bitte?«
»Haben Sie mich nicht verstanden, Sinclair?«
»Doch, Sie haben laut genug gesprochen. Nur glaube ich kaum, dass sich meine Partnerin und ich daran beteiligen werden. Das müsste Ihnen doch klar sein.«
»Meinen Sie wirklich?« murmelte er.
»Ja.«
»Könnten Sie sich vorstellen, dass Sie eventuell dazu gezwungen werden?« Er sprach schnell weiter. »Es ist nämlich so: Diese Riesen sind nicht einfach zu wecken. Aber meine Freunde und ich haben uns entschlossen, dies zu tun. Wir werden alle etwas für sie opfern, einen Teil unseres Lebenssaftes.«
Ich schaute ihm ins Gesicht und sah dort besonders seine kalten, gnadenlosen Augen. »Wenn Sie Lebenssaft sagen, Mister, könnte ich das auch mit dem Begriff Blut interpretieren.«
»Erfasst.« »Sie opfern Blut?«
»Nicht nur ich, alle anderen auch. Wir wollen schließlich, dass sie leben. Und Vampire brauchen nun mal Blut, nicht wahr? Das wissen Sie doch auch.«
Ich starrte ihn kalt an. Ja, Vampire brauchten Blut, das hatte ich schon mehr als einmal erlebt. Sogar Jane Collins hatte ich bei einem Fall kennen gelernt, in dem es um Vampire ging, die aber waren »normal« gewesen, wenn man überhaupt bei Vampiren von normal sprechen konnte.
Hector weidete sich an meiner Überraschung. Er lachte leise. »Sie kommen nicht zurecht, Sinclair, wie?«
»Nicht so ganz.«
»Schauen Sie.« Er sprach wie ein Vertreter, der einem Kunden einen Bausparvertrag andrehen wollte. »Es ist doch simpel. Vampire brauchen Blut. Je größer sie sind und je zahlreicher, umso mehr Blut brauchen sie. Und in unserem Fall haben wir es mit Vampir-Riesen zu tun. Leider nur mit Skeletten, aber das lässt sich nicht mehr ändern. Sie schlafen, sie werden aber erwachen. Dabei kommt es ausschließlich auf die Menge des Lebenssaftes an, die wir ihnen verabreichen. Jeder gibt seinen Teil, und Sie Sinclair, werden Ihr gesamtes Blut hergeben. Das Gleiche gilt für Ihre Begleiterin. Ist das nicht etwas Außergewöhnliches? Wer kann schon von sich sagen, so etwas tun zu dürfen?«
Nach dieser bitteren und zynischen Erklärung war ich erst einmal still. Ich hatte schwer daran zu kauen, was er mir hier erklärt hatte, ich war wie vor den Kopf geschlagen, gleichzeitig jedoch setzte sich in meinem Hinterkopf der Gedanke fest, dass dieser Mensch es überhaupt nicht nötig hatte, mich anzulügen. Nein, er kannte seine Möglichkeiten, er wusste, was er tat, denn er und seine Gleichgesinnten unternahmen die Reise nicht grundlos. Die- se Leute waren tatsächlich so verbohrt, dass es ihnen nichts ausmachte, ihr eigenes Blut zu spenden, nur um drei Skelett-Vampire zu erwecken, die dazu noch Riesen waren.