John Sinclair 1874 - Michael Breuer - E-Book

John Sinclair 1874 E-Book

Michael Breuer

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Beschreibung

Ein greller Blitzschlag zerriss die Dunkelheit über dem kleinen rumänischen Dorf. Obwohl es gerade erst früher Abend war, hatte sich der Himmel bereits komplett verfinstert.

Ioan Florescu grunzte.

Missmutig blickte er hoch. Wahrscheinlich würde es jeden Moment zu regnen beginnen.

Abermals griff er zur Schaufel und rammte sie tief in den lehmigen Erdboden.

Florescu runzelte die Stirn, als er unerwartet auf Widerstand stieß. Umgehend legte er die Schaufel weg und ging langsam in die Knie. Mit den Händen versuchte er das Hindernis aus dem Weg zu räumen. Schwitzend wühlte er sich durch das weiche Erdreich.

Dann wurde ihm eiskalt. In der Grube lag ein Toter.

Und dem Leichnam fehlte der Kopf.

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Inhalt

Cover

Impressum

Friedhof der Kopflosen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Bondar/Luserke

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-8387-5807-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Friedhof der Kopflosen

von Michael Breuer

Ein greller Blitzschlag zerriss die Dunkelheit über dem kleinen rumänischen Dorf. Obwohl es gerade erst früher Abend war, hatte sich der Himmel bereits komplett verfinstert.

Ioan Florescu grunzte.

Missmutig blickte er hoch. Wahrscheinlich würde es jeden Moment zu regnen beginnen.

Abermals griff er zur Schaufel und rammte sie tief in den lehmigen Erdboden.

Florescu runzelte die Stirn, als er unerwartet auf Widerstand stieß. Umgehend legte er die Schaufel weg und ging langsam in die Knie. Mit den Händen versuchte er das Hindernis aus dem Weg zu räumen. Schwitzend wühlte er sich durch das weiche Erdreich.

Dann wurde ihm eiskalt. In der Grube lag ein Toter.

Und dem Leichnam fehlte der Kopf.

Das Dorf hieß Radice. Es lag etwa hundertfünfzig Kilometer von der rumänischen Hauptstadt Bukarest entfernt. Hier sagten sich sprichwörtlich Fuchs und Hase gute Nacht. Der Bau der neuen Zubringerstraße, die Radice endlich an das Autobahnnetz anschließen sollte, war deshalb eine große Sache für die Dorfbewohner.

Bis zum späten Abend waren die Baukolonnen unterwegs, um das örtliche Gelände umzupflügen. Auch heute hatten die Arbeiten wieder bis zum Einbruch der Dunkelheit angedauert.

Und jetzt das!

Auch Ioan Florescu gehörte einer der Baukolonnen an. An diesem Abend durfte er mit einigen Kollegen mal wieder Überstunden schieben.

»Warum hörst du auf?«, hörte er wie von weit her die Stimme eines anderen Arbeiters. Immer noch starrte er in die Grube. Erst nach einigen Momenten beruhigte sich sein rasender Herzschlag.

Florescus Gesicht nahm einen entschlossenen Ausdruck an. Der Tote musste schon sehr lange hier liegen, das erkannte er deutlich. Er war bereits völlig skelettiert und von der Kleidung waren nur noch mürbe Reste übrig. Florescu ahnte bereits, dass der Fund die weiteren Arbeiten verzögern würde. Und ein Baustopp bedeutete natürlich auch Verdienstausfall.

Stirnrunzelnd musterte der Rumäne das vor ihm liegende Skelett. Die bräunlichen Knochen waren im dunklen Erdreich kaum zu erkennen. Der Schädel schien jedenfalls sauber abgetrennt worden zu sein.

Florescu beugte sich nach vorne, um auch den Rest des Toten freizulegen. Mit bloßen Händen schaufelte er das Erdreich beiseite, dann schließlich war es geschafft. Und nun entdeckte er auch den Schädel. Dieser war zwischen die Füße des Leichnams gebettet worden.

Wieder runzelte er die Stirn. Irgendetwas an dem Totenschädel kam ihm merkwürdig vor, ohne dass er auf Anhieb sagen konnte, was ihn eigentlich störte.

Irgendwann endete jedes Leben, das war auch Ioan Florescu wohl bewusst. So unmittelbar mit der Vergänglichkeit konfrontiert zu werden, war jedoch eine ganz andere Sache. Unwillkürlich begann er sich unwohl zu fühlen.

Dennoch überwand er sich, beugte sich nach vorne und hob den Schädel auf, um die letzten Reste krümeliger Erde abzuwischen. Die leeren Augenhöhlen schienen direkt auf den Grund seiner furchtsamen Seele zu blicken. Für einen kurzen Moment verspürte er das Bedürfnis, den Schädel von sich zu schleudern. Seine morbide Neugier erwies sich jedoch als stärker.

Gegenüber den zahlreichen Abbildungen, die Florescu in seinem Leben bereits gesehen hatte, wirkte dieser Totenschädel robuster, geradezu bullig. Er überlegte, ob er wohl auf die menschliche Frühzeit zu datieren war. Vielleicht war es ja das Skelett eines Steinzeitmenschen, auf das er hier gestoßen war.

Dagegen sprach jedoch der rostige Dolch, den er bei dem Toten erkennen konnte.

Florescu war kein sonderlich gebildeter Mann, aber selbst ihm war klar, dass Steinzeitmenschen keine Metallwaffen besessen hatten.

Die bullige Form war jedoch längst nicht das Ungewöhnlichste an dem gruseligen Totenkopf.

Viel beunruhigender fand Florescu die markanten Fangzähne im Oberkiefer des Schädels.

Wie ein Vampir, dachte der Rumäne unwillkürlich und erinnerte sich an die Gruselgeschichten, die ihm seine Großmutter früher erzählt hatte. Erneut verspürte er das Bedürfnis, den Schädel von sich zu werfen und die Grube eilig wieder zuzuschütten.

Das tat Ioan Florescu jedoch nicht.

Fasziniert starrte er in die leeren Augenhöhlen des Totenkopfs. Er bemerkte es nicht einmal, doch ein kleines Stückchen von ihm starb, während er dies tat. Seine Furcht verflog und wurde durch völlig andere Gedanken ersetzt.

Ich darf ihn nicht wegwerfen, erkannte er. Schließlich habe ich ihn gefunden. Das ist eine ganz große Sache. Vielleicht lässt sich sogar Geld daraus schlagen!

Bei dieser Vorstellung huschte ein seliges Lächeln über die Lippen des Rumänen. Geld mochte er!

Sanft legte er den Schädel zurück in die Grube, wobei er ihn wie ein rohes Ei behandelte. Dann stemmte sich Ioan Florescu hoch.

Seit er seinen unheimlichen Fund gemacht hatte, waren erst wenige Augenblicke vergangen. Für den Rumänen schien es jedoch, als habe er eine Ewigkeit an dem geöffneten Grab gekniet.

»Was ist da drüben los?«, hörte er abermals eine wütende Stimme. »Du hältst den ganzen Betrieb auf!«

Aus dem Halbdunkel des frühen Abends näherte sich eine massige Gestalt. Das Gesicht mit der Knollennase war puterrot. Es handelte es um den Vorarbeiter des Bautrupps, einen Choleriker namens Stelica.

»Sehen Sie sich das an!«, rief Florescu und winkte ihn heran.

Stelica näherte sich mit stapfenden Schritten. Wütend baute er sich vor Florescu auf.

»Was denn?«, knurrte er.

Aufgeregt deutete der Arbeiter auf die frei geschaufelte Grube.

Stelicas Augen weiteten sich, als er das Skelett erblickte. Die puterrote Gesichtsfarbe wich und machte einer leicht käsigen Tönung Platz.

»Verdammt«, flüsterte er leise.

Der Vorarbeiter ging grunzend in die Hocke, was aufgrund seiner Leibesfülle kein leichtes Unterfangen war. Neugierig musterte er das kopflose Skelett.

»Wir können nicht einfach weitermachen«, insistierte Florescu. »Sehen Sie sich nur den Schädel an!«

Stelica brummte nur, kam der Aufforderung aber nach.

»Das ist seltsam«, musste er zugeben.

Ein kleines Lächeln zuckte über Florescus Lippen. »Wir sollten die Behörden einschalten. Vielleicht kann man aus so einem Fund ja Geld schlagen!«

»Hm«, machte Stelica zweifelnd. Er rieb sich das Kinn. Der Gedanke an Geld gefiel ihm. Eine schier endlose Zeitspanne überlegte der Vorarbeiter. »Also schön«, erklärte er dann.

»Vielleicht sind hier noch mehr Leute begraben«, gab Florescu zu bedenken. Er wusste, er hatte den Vorarbeiter am Haken.

Stelica hob eine Augenbraue. »Ein Massengrab?«, murmelte er unbehaglich.

Schnell schüttelte Florescu den Kopf. »Eine prähistorische Fundstätte«, korrigierte er. »Die Wissenschaftler werden Kopf stehen!«

»Hm«, machte Stelica wieder. Der Gedanke an das mit dem Fund verbundene Aufsehen gefiel ihm offenbar. Man konnte ihm direkt ansehen, wie er darauf hoffte, ein Stück vom Kuchen abzubekommen und vielleicht etwas Gewinn aus der Sache zu schlagen.

»Grab weiter«, befahl er dann. Ein verschlagenes Lächeln war auf sein Gesicht getreten. »Aber vorsichtig, wir wollen doch nicht, dass etwas kaputt geht!«

Florescu nickte eifrig.

Einen Moment lang blickten sich die beiden ungleichen Männer in die Augen. Sie wirkten wie zwei Verschwörer, die sich plötzlich einig geworden waren.

»Ich sage den anderen Bescheid«, ließ Stelica wissen. »Sie sollen dir helfen!«

Gleich darauf entfernte er sich auch schon mit stapfenden Schritten, um den Rest der Kolonne zu informieren. Das bekam Florescu jedoch nur am Rande mit. Schon war er wieder mit seiner Arbeit beschäftigt.

Verbissen rammte er die Schaufel tief in das Erdreich. Er wusste, irgendwo dort unten befanden sich weitere Tote, deren skelettierte Körper freigelegt werden mussten.

Nein, vernahm er daraufhin eine korrigierende Stimme in seinen Gedanken, tot sind wir nicht! Wir haben sehr lange geschlafen. Nun sind wir erwacht …

***

Als der Morgen über Radice hereinbrach, war das Dorf bereits in heller Aufregung. Noch am Abend zuvor hatte der Vorarbeiter des Bautrupps die Meldung über den unheimlichen Fund an die örtlichen Behörden weitergegeben. Dort hatte man sofort reagiert.

Zunächst waren Beamte der nächstgelegenen Polizeidienststelle vor Ort aufgetaucht, um zu klären, ob hier möglicherweise ein Verbrechen vorlag. Nun, da die Sonne aufging, waren auch Mitarbeiter des Nationalen-Historischen Museums aus Bukarest eingetroffen.

Mittlerweile stand die Mittagssonne hoch am Himmel und auch der letzte Bewohner von Radice war erwacht. Ein wahrer Menschenauflauf drängte in Richtung Baustelle.

Kommissar Stanko Vukovic warf einen missmutigen Blick in Richtung der neugierigen Bürger, bevor er ein zerknautschtes Päckchen Zigaretten hervor nestelte. Um die Laune des dickfelligen Kriminalbeamten stand es nicht zum Besten. Immerhin war er mitten in der Nacht geweckt worden, um hier auf dem Land nach dem Rechten zu sehen.

Vukovic zündete sich eine Zigarette an, hustete vernehmlich und wandte sich an einen Untergebenen. »Scheuchen Sie mal die Leute da weg«, knurrte er. »Die stören nur unsere Ermittlungen!«

Er beobachtete einen Moment, wie der Mann diensteifrig davoneilte, um den Befehl auszuführen. Dann erst wandte er sich dem neben ihm stehenden Wissenschaftler zu.

»Sie können mir also mit Sicherheit sagen, dass dieser Fund hier nicht in unsere Zuständigkeit fällt?«, fragte Vukovic mit zusammengekniffenen Augen. Eine Rauchwolke hüllte sein pausbäckiges Gesicht ein.

Der hagere Wissenschaftler nickte langsam. »Sie können ganz beruhigt sein, Herr Kommissar«, antwortete er dann. Er überlegte einen Moment. »Diese Toten liegen schon seit mindestens fünfhundert Jahren unter der Erde. Und das ist nur eine vorsichtige Schätzung! Alles andere werden wir in Bukarest herausfinden, wenn wir die Knochen dorthin überführt haben …«

Vukovic ließ seinen Blick über die Ausgrabungsstätte schweifen. Insgesamt waren im Laufe der Nacht sechs Skelette gefunden worden, allesamt ohne Kopf.

»Halten Sie mich auf dem Laufenden«, brummte der Kommissar. Missmutig dachte er daran, was für einen Papierkrieg die ganze Angelegenheit nach sich ziehen würde. Es war ein nasser, trüber Herbstmorgen. Wahrscheinlich würde es in Kürze wieder zu regnen beginnen. Vukovic hoffte inständig, dass er wieder in seinem warmen Büro im fernen Bukarest saß, wenn der Himmel seine Schleusen öffnete.

»Natürlich, Herr Kommissar«, antwortete der Wissenschaftler. Er blickte Vukovic nicht an, sondern war bereits wieder in die Knie gegangen, um im feuchten Erdreich zu wühlen.

Der Kriminalbeamte brummte kopfschüttelnd. Die Leute gebärdeten sich wie die Goldgräber. Er verstand nicht, was an ein paar morschen Knochen so aufsehenerregend war, aber wenn es ihnen Freude machte, dann sollten sie ruhig weiter herumbuddeln! Seinen Job sah er jedenfalls als erledigt an. Ein paar Formalitäten noch, dann konnte er endlich heimfahren und die Füße wieder auf dem Schreibtisch legen.

Wieder sah sich Vukovic um. Noch in der Nacht war die Fundstelle weiträumig mit weiß-rotem Flatterband abgesperrt worden. Die meisten Bewohner von Radice hielten sich dahinter auf und beobachteten das Geschehen auf der Baustelle mit großen Augen.

Als sich die Wissenschaftler nun jedoch daran machten, die exhumierten Knochen zu bergen, um sie nach Bukarest zu überführen, war es mit der Ruhe vorbei.

Ein hagerer Mann hatte die Absperrung durchbrochen und eilte auf die Baustelle zu. Vukovic rief sich den Namen des aufgeregten Grauhaarigen ins Gedächtnis zurück. Es handelte sich um Ernest Kirita, den Bürgermeister des kleinen Ortes. Er hatte bereits nach seiner Ankunft im Dorf kurz mit ihm gesprochen.

Der Kommissar seufzte noch einmal, dann stapfte er Kirita entgegen, um ihn zu beruhigen.

»Was gibt es?«, fragte er. »Warum regst du dich so auf?«

»Ihr dürft die Ruhe der Toten nicht stören«, erklärte Kirita mit fiebrigem Blick. Er legte die Hände auf Vukovics Schultern und krallte sich in dessen Mantel.

Vukovic blickte den Bürgermeister mit versteinerter Miene an, musterte dann dessen Hände und befreite sich mit sanfter Gewalt aus dem Klammergriff.

»Tot ist tot«, antwortete der Kommissar trocken. Er hielt Kiritas Handgelenke fest und sah dem Bürgermeister tief in die Augen. »Die kümmert nichts mehr! Sei gewiss, wenn die Wissenschaftler erst mit ihnen fertig sind, werden sie schon ein ordentliches Begräbnis bekommen. Du hast mein Wort!«

Vukovic war sich der Tatsache bewusst, dass er sich mit dieser Behauptung weit aus dem Fenster lehnte, aber er wollte den alten Bürgermeister nicht noch mehr aufregen.

Kirita verzog das Gesicht. Er schüttelte heftig den Kopf.

»Du verstehst mich nicht«, jammerte er. »Die Toten müssen hierbleiben, in Radice! Hier sind sie gestorben und hier sollen sie auch weiterhin schlafen.«

Vukovic seufzte leise. »Sie werden schon nicht aufwachen, bloß weil man ihre alten Knochen ein bisschen genauer unter die Lupe nimmt«, versuchte er den Bürgermeister zu beschwichtigen.

Dieser trat nun schweratmend einen Schritt zurück. Äußerlich schien er sich etwas beruhigt zu haben, doch der Kommissar konnte deutlich erkennen, wie sehr es in ihm brodelte.

»Sei dir da mal lieber nicht so sicher«, antwortete Kirita. »Du hast ja keinen Schimmer, wen ihr da ausgegraben habt.«

Interessiert rieb sich Vukovic das Kinn und blickte den Bürgermeister scharf an. »Aber du offensichtlich«, stellte er fest. »Dann schieß mal los!«

»Das sind die Verdammten«, brachte Kirita mit gepresster Stimme hervor. »Schon zu Lebzeiten haben sie den Tod über das Land gebracht und das Blut der Unschuldigen vergossen. Wenn wir sie jetzt wecken, dann wird ihr Zorn furchtbar sein!«

»Abergläubisches Gewäsch«, stieß Vukovic hart aus. Der bullige Kommissar war fest in der Realität verwurzelt und glaubte nur an die Dinge, die er mit beiden Händen greifen konnte. Wandelnde Tote gehörten eindeutig nicht dazu.

Trotzdem trat er einen Schritt auf Kirita zu und legte ihm versöhnlich die Hand auf die Schulter.

»Geh nach Hause und schlaf dich ordentlich aus«, gab er ihm auf. »Du warst die halbe Nacht auf den Beinen. Wenn du wieder fit bist, wird die Welt schon ganz anders aussehen!«

Vukovic zwang sich ein Lächeln auf die wulstigen Lippen. »Sollte sich tatsächlich irgendetwas ungewöhnliches ereignen, informiere ich dich, versprochen!«

Ehe Kirita aufbegehren konnte, winkte der Kommissar einen seiner Beamten heran. »Bring den Bürgermeister nach Hause«, befahl er ihm. »Der Mann braucht ein wenig Ruhe!«

Er klopfte Kirita noch einmal auf die Schulter, dann beobachtete er nachdenklich, wie der alte Mann weggeführt wurde. Die Schultern des alten Bürgermeisters zitterten.

Vukovic schüttelte unendlich langsam den Kopf. Natürlich wusste er, dass hier auf dem Land der Aberglaube noch weit verbreitet war. Dass sich Kirita derart aufregte, überraschte ihn dennoch.

Kommissar Stanko Vukovic vergrub die Hände in den Taschen und wandte sich wieder den Wissenschaftlern zu, die mit der Bergung der Toten beschäftigt waren. Die Worte des alten Bürgermeisters hatten ihn nicht kalt gelassen. Je länger er den Männern zusah, desto unwohler fühlte er sich.

***

Im grellen Neonlicht des Labors sahen die Knochen geradezu unwirklich aus. Doktor Simona Podescu blickte mit unbewegter Miene auf das kopflose Gerippe vor sich. Es war jetzt zwei Tage her, dass die in Radice entdeckten Skelette nach Bukarest überführt worden waren. Der Fund hatte großes Aufsehen erregt und war durch alle Zeitungen gegangen.

Wie wild hatten sich die Reporter an den gruseligen Details festgebissen. Die ungewöhnliche Form der Schädel sowie die markanten Fangzähne waren Grund genug gewesen für allerlei bizarre Spekulationen.

Sogar von einem Vampirfriedhof war in den Schlagzeilen die Rede gewesen.

Während Doktor Podescu noch nachdenklich die bräunlich verfärbten Knochen betrachtete, legte ihr plötzlich von hinten jemand die Hand auf die Schulter. Erschrocken fuhr die Dreißigjährige herum und blickte in das Gesicht eines jungen Assistenten.

»Ich wollte dich nicht erschrecken«, entschuldigte sich dieser, »aber du arbeitest zuviel, Simona. Du solltest auch langsam Schluss machen!«