John Sinclair 1971 - Marc Freund - E-Book

John Sinclair 1971 E-Book

Marc Freund

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Beschreibung

Die Lichter gingen aus, das Stück begann. Wie gebannt starrte Terry auf den Vorhang, der nun den Blick auf die Kulissen freigab. Im Vordergrund war ein Friedhof zu sehen, der fast bis an den unheimlichen Hügel heranreichte. Darauf thronte ein verwinkeltes Schloss wie ein bösartiger Raubvogel, der seine Krallen in den Hang geschlagen hatte.

Eine Gestalt tauchte am Schloss auf und bewegte sich langsam einen gewundenen Pfad hinunter. Der Mann trug einen Zylinder und einen pechschwarzen Umhang. In seiner rechten Hand hielt er einen Stock mit auffälligem Knauf, der in der Dunkelheit von innen heraus zu leuchten schien. Es kam Terry so vor, als ob ihn zwei böse Augen daraus fixierten, bis sie ihn in seinen Bann gezogen hatten ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Dr. Leonards Todes-Theater

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2871-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Dr. Leonards Todes-Theater

von Marc Freund

Der Applaus wogte noch eine Weile hinter ihm her wie unsichtbare Wellen, die sich in den weiten Korridoren hinter dem Theatervorhang verloren.

Malcolm Leonard riss sich den Papierkragen herunter und betrat seine Kabine. Mit einer flüchtigen Bewegung schlug er die Tür hinter sich zu. Sein Blick fiel auf eine Champagnerflasche, die in dem Sektkühler auf seinem Schminktisch stand. Der Star der Schauspieltruppe lächelte. Er nahm den Zylinder ab und griff nach der Flasche.

In diesem Moment klopfte etwas von draußen ans Fenster. Es klang wie ein skelettierter Finger …

Leonard blinzelte und ließ die Flasche zurück in das Eis rutschen. Er wandte sich um, zögerte, verharrte in seiner Position.

Da klopfte es erneut. Ein leises Ticken gegen die Fensterscheibe, hinter der sich die Schwärze der hereinbrechenden Nacht abzeichnete.

Leonard trat an das Fenster und öffnete es in einer abrupten Bewegung. »Hören Sie, wenn Sie ein Autogramm oder Freikarten wollen, dann …«

Draußen war niemand. Der Schauspieler starrte in den dunklen Hinterhof, der auf der Rückseite des Theaters lag.

Leonard runzelte die Stirn. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund, ansonsten war alles ruhig.

Der weißhaarige Mann schüttelte den Kopf und machte sich daran, das Fenster wieder zu schließen, als wie aus dem Nichts ein dunkler Schatten heranflatterte und auf dem schmalen Fensterbrett vor ihm landete.

Leonard hob in einem Reflex die Hände, um seinen Gegner abzuwehren. Doch was da auf dem Sims hin und her trippelte war nichts anderes als ein Rabe, der Schnabel geschwungen, das schwarze Gefieder prachtvoll und glänzend.

Der Schauspieler ließ die Hände sinken und starrte auf das Tier herab, das in diesem Moment den Kopf keck zu ihm reckte.

Leonards Mundwinkel zuckten. Dann brach er in ein leises Lachen aus.

»Ein Rabe«, prustete Leonard vor Lachen. Er blinzelte, genau wie das Tier, das ihn aufmerksam zu beobachten schien.

Aus einem Impuls heraus trat Leonard beiseite und vollführte eine einladende Handbewegung.

Das Unglaubliche geschah: Der Rabe reckte den Hals, blickte in das Innere des Raums und flatterte schließlich zum Schminkspiegel hinüber, auf dessen schmalen Rand er sitzen blieb und sein Gefieder sortierte.

Leonard verfolgte die Bewegungen des Tiers fasziniert, während er mit einer Hand das Fenster schloss. Dann trat er näher an den Schminktisch heran. Den Champagner in dem silbernen Kübel hatte er längst vergessen.

Irgendwo draußen auf dem Korridor ertönten Stimmen. Eine junge Frau lachte hell und laut. Schritte näherten sich und entfernten sich schließlich wieder. Leonard beachtete die Geräusche nicht. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich.

Das schwarzgefiederte Tier musterte ihn mit neugierigen Blicken, reckte den Kopf und verharrte in dieser Position.

Leonard, ein Mann von fünfzig Jahren, durch dessen schwarzes Haar sich silberne Strähnen zogen, lehnte sich zurück und erwiderte den Blick des Vogels.

»Ich würde gerne wissen, was dich zu mir getrieben hat«, sagte er und sah zu seinem späten Gast hinauf.

Mit einem Mal, nachdem er sich selbst kurz zufrieden im Spiegel gemustert hatte, kam ihm ein aberwitziger Gedanke. »Sag mal, kannst du mir sagen, wann ich endlich offiziell als der großartigste Schauspieler des Landes anerkannt werde?«

Leonard hatte mit keiner Antwort gerechnet. Umso erstaunter war er, als der Rabe tatsächlich reagierte. Aus seinem Schnabel drang ein heiseres Krächzen, aus dem man mit etwas Fantasie das Wort Niemals heraushören konnte.

Aber das war es nicht allein, was Leonard beunruhigte. Etwas war mit den Augen des Vogels geschehen. Sie hatten kurz ihre Farbe verändert, so als hätte jemand in zwei glimmende Stücke Kohle geblasen.

Leonard spürte ein trockenes Gefühl in seiner Kehle, das ihm die Luft abzuschnüren schien. Nun griff er doch nach dem Hals der durchsichtigen Flasche, die er öffnete, ohne seinen Blick von dem Raben abzuwenden. Er ließ die Flüssigkeit in das bereitgestellte Glas laufen und beachtete nicht, dass der Champagner überschäumte und zu Boden tropfte.

Mit leicht zitternder Hand setzte der Schauspieler das Glas an und leerte es bis zur Hälfte. Was war nur mit ihm los? Die Vorstellung war wie immer ein voller Erfolg gewesen, er selbst befand sich im Aufwind. Man sprach sogar davon, ihn bei den nächsten Shakespeare-Festspielen als herausragenden Bühnendarsteller auszuzeichnen. Was also lief falsch? War ihm der Erfolg der letzten Monate zu Kopf gestiegen?

Leonard verjagte diese Gedanken. Er setzte das Glas erneut an und ließ die prickelnde Flüssigkeit in seinen Rachen laufen. Doch sie verschaffte keine Linderung. Im Gegenteil. Leonard spürte eine unerträgliche Hitze, die in ihm aufwallte und kurz darauf seinen ganzen Körper auszufüllen schien. Seine Hand fuhr an seinen Hals, als er die Quelle dieses Unwohlseins ausmachte: Es war der Rabe! Dessen Augen glühten jetzt so rot wie das Höllenfeuer. Mehr noch: Der Vogel fixierte Leonard mit seinen Blicken.

Das Glas rutschte Leonard aus der Hand und zersplitterte am Boden. Der Schauspieler wollte aufspringen, doch es gelang ihm nicht. Seine Beine waren wie gelähmt, gehorchten ihm nicht mehr.

»Was …«, drang es aus seiner Kehle, doch Leonard war zu keinem weiteren Wort mehr fähig, denn in diesem Augenblick stieß sich der Rabe vom Rand des Spiegels ab.

Wie ein Geschoss flog er auf den Mann zu, der seine Bewegungen nicht mehr koordinieren konnte, um seine Hände in die Höhe zu reißen.

Leonard spürte, wie etwas mitten in seinem Gesicht explodierte. Vor seinem inneren Auge zuckten bunte Blitze auf, die sich mit dunklen Schatten abwechselten, immer rascher, immer intensiver.

Leonard riss den Mund auf, doch sein Schrei wurde von schwarzem Gefieder erstickt. Der Rabe krächzte ein letztes Mal demonstrativ. Das Letzte, was der Schauspieler Leonard spürte, war, wie etwas durch Mund und Nase in ihn eindrang.

Kein Körper, kein Gefieder, nichts in der Art. Es war etwas Gestaltloses, das Leonard jedoch ungleich mehr erschreckte und anekelte. Etwas nahm von ihm Besitz.

Leonard bäumte sich auf. Für die Dauer von wenigen Sekunden stand er vor seinem Schminkspiegel, dann knickten ihm nacheinander die Beine ein, und er fiel der Länge nach hin, wobei er den Sektkühler und die Flasche Champagner mit sich riss.

Malcolm Leonard war tot. Doch dieser Zustand sollte nicht lange anhalten.

***

Shador war zurück.

Er kannte viele Gesichter, war in viele Gestalten geschlüpft, seit er das erste Mal auf den Geisterjäger John Sinclair getroffen war. Damals, in der kleinen italienischen Stadt Grind, in der Sinclairs Freund Bill Conolly den Einfluss des gefährlichen Dämons zu spüren bekommen hatte.1)

Auf der Suche nach einem geeigneten Wirt für seine dunkle Seele war Shador schließlich auf einen Mann namens Leonard gestoßen, einen Schauspieler mit hochgewachsener Gestalt und einem leicht dämonischen Aussehen. Leonard genoss ein gewisses Ansehen und mehr noch: Er würde nicht sofort Verdacht erregen.

Shador war in Gestalt eines Raben zu Leonard gekommen, um von seinem Körper und seiner Seele Besitz zu ergreifen. Jetzt war es vollbracht, und Shador gefiel, was er im Schminkspiegel durch die Augen des Schauspielers sah.

Es klopfte an die Kabinentür.

Leonard drehte sich um. »Ja, bitte.«

Die junge Angestellte des Theaters trat ein. Sie deutete einen Knicks an und richtete ihren scheuen Blick auf den Schauspieler.

»Mister Leonard, Sie … Sie werden zur Premierenfeier erwartet.«

Leonard lächelte und nickte dem Mädchen zu. »Ich weiß.«

Die Angestellte trat von einem Bein auf das andere. Ihr Blick fiel auf den umgestoßenen Sektkühler und den nassen Fleck auf der Auslegeware, in dessen Mitte ein toter Rabe lag.

»Alles in Ordnung, Sir? Mister Leonard?«

Wieder nickte der Schauspieler. »Nennen Sie mich Doktor Leonard. Und was sollte denn nicht in Ordnung sein?«

Das Mädchen wollte zu einer Antwort ansetzen, doch so weit ließ er es nicht kommen.

»Sagen Sie den anderen, ich komme in fünf Minuten.«

Die Angestellte nickte. »In Ordnung, Sir, ich meine Doktor Leonard.« Sie verschwand und schloss die Tür hinter sich.

Leonard hielt einen Moment inne, dann setzte er sich den schwarz glänzenden Zylinder auf und nahm den Stock in die Hand. Ein letzter Blick in den Spiegel. Ein Lächeln umspielte Doktor Leonards Lippen.

»Alles in bester Ordnung«, sagte er leise und brach in ein heiseres Lachen aus.

***

Terry Hatchum blinzelte. Vorsichtig öffnete er die Augen. Der junge Mann fühlte eine Art Schwindel, als er versuchte, sich aufzusetzen. Seine Finger griffen dabei in feuchtkaltes Moos.

Etwas war geschehen, das spürte er. Und etwas stimmte nicht. Er sollte nicht hier sein. Diese Erkenntnis überkam ihn so plötzlich wie eine Flutwelle, die ihn wie aus dem Nichts überspülte.

Er befand sich im Freien, und die Umgebung war fremd, das konnte er selbst bei den düsteren Lichtverhältnissen erkennen. Nein, sie war nicht nur fremd, sie wirkte sogar ausgesprochen feindlich auf ihn.

Terry überkam ein Frösteln, als er sich aufsetzte und wenig später auf noch wackligen Beinen zum Stehen kam.

Er stützte sich instinktiv mit der rechten Hand auf etwas ab, dass sich bei näherem Hinsehen als ein verwitterter Grabstein entpuppte.

Was war geschehen? Terry versuchte, sich zu erinnern. Er dachte angestrengt nach, dachte an Harriet, die jetzt vermutlich allein den Heimweg angetreten war. Harriet, die vergeblich nach ihm gesucht hatte, weil …

Weil er von einem Augenblick auf den anderen verschwunden war!

Terry riss die Augen auf, als er zu dieser schrecklichen Erkenntnis gelangte. Plötzlich sah er alles vor sich. Wie ein Film liefen die Ereignisse vor seinem geistigen Auge ab.

Da war das Theater. Harriet auf dem Platz neben ihm. Die Lichter waren ausgegangen, als das Stück begonnen hatte. Terry erinnerte sich, wie er gebannt auf den Vorhang gestarrt hatte, bis dieser endlich zur Seite gezogen worden war und den Blick freigegeben hatte auf die fantastischen Kulissen des Stücks, das ein gewisser Dr. Leonard nach Motiven des Altmeisters Edgar Alan Poe geschrieben hatte. Das Bühnenbild hatte Terry auf eine seltsame Art und Weise magisch angezogen.

Im Vordergrund befand sich der Friedhof, der fast bis an den unheimlichen Hügel heranreichte, auf dem ein verwinkeltes Schloss thronte wie ein bösartiger Raubvogel, der seine Krallen in den Hang geschlagen hatte.

Eine Gestalt war oben am Schloss aufgetaucht und hatte sich langsam einen gewundenen Pfad hinunterbewegt. Der Mann hatte einen Zylinder und einen pechschwarzen Umhang getragen. In seiner rechten Hand hatte er einen Stock mit auffälligem Knauf gehalten, der in der Dunkelheit von innen heraus zu leuchten schien. Es war Terry so vorgekommen, als ob ihn zwei böse Augen daraus anstarrten und fixierten, bis sie ihn in seinen Bann gezogen hatten.

Der Mann mit dem kantigen Kinn und den scharf geschnittenen Gesichtszügen hatte sich als Dr. Leonard vorgestellt, den Chef des Theaterensembles. Terry hatte seine Worte kaum vernommen, so sehr war er von der gesamten Szenerie fasziniert gewesen, von der beeindruckend furchteinflößenden Gestalt und dem Stock in Leonards Händen, der ihn zu locken schien.

Und so war es beinahe eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass Terry seine Hand gehoben hatte, als aus Dr. Leonards Mund die Frage nach einem Freiwilligen für den heutigen Abend erklungen war.

Terry war aufgesprungen und die seitlichen Stufen zur Bühne hinaufgestiegen. Dr. Leonard hatte ihn angegrinst: mit perlweißen Zähnen, gleich und ebenmäßig. Ein Handschlag hatte Terrys Mitwirken an dem Bühnenstück besiegelt.

Dr. Leonards Assistentin, eine schwarzhaarige Schönheit in einem mehr als knappen Leder-Rock hatte seine feuchte Hand ergriffen und ihn mit sanfter Gewalt hinter die Bühne gezogen.

In dem Augenblick war es passiert. Terrys Sinne waren geschwunden, und er war hier auf dem kalten Totenacker wieder zu sich gekommen. Wie war das möglich?

Der junge Mann wusste, dass er sich das alles nicht nur eingebildet hatte. Irgendwo da draußen saß seine Freundin Harriet und wartete vermutlich darauf, dass er die Bühne wieder betreten würde.

Terry sah sich um. Rings um ihn herum war nichts als Dämmerlicht. Es war die Stunde, bevor das Tageslicht ganz verschwand und die dunkle Nacht regierte. Wohin sollte er sich wenden? Irgendwo musste es doch einen Zugang geben, von dem aus er zurück in das verdammte Theater gelangte.

Terry fror und ertappte sich nach einem Blick auf die kahlen Äste der Bäume bei dem Gedanken, dass vermutlich bald der erste Schnee fallen würde.

Er tat einen Schritt in die Richtung, in der er die Bühne vermutete, doch dort war nichts als ödes Land, das weiter nördlich in ein Moor überging. Dünne Nebelschwaden krochen träge darüber hinweg.

Verdammt, er konnte einfach nicht hierbleiben. Also fasste er den Entschluss, sich dem Schloss zuzuwenden. Es klang selbst für Terry, der an die Existenz des Übersinnlichen glaubte, völlig verrückt, aber vielleicht gab es in dem Gemäuer jemanden, der ihm weiterhelfen konnte.

Als er den ersten Schritt tat, hörte er aus der Ferne ein Geräusch. Ein unheimliches Heulen, das der Kehle eines Tiers entsprungen sein musste. Eines großen Tiers, überlegte Terry. Ein Wolf? Heutzutage schien dieser Gedanke nicht mehr ungewöhnlich. Diese Tiere begannen, sich in weiten Teilen Europas wieder anzusiedeln. Terry hatte den Artikel im Internet mit großem Interesse gelesen. Jetzt jedoch jagte ihm der melancholische Laut, der weit über das Moor hallte, einen Schauer über den Rücken. Umso mehr, als die Rufe näher zu kommen schienen.

Terry presste die Hände seitlich gegen seinen Kopf. Dieser Wahnsinn konnte einfach nicht die Realität sein. Doch er sah, fühlte und hörte. Er roch sogar den erdigen Duft des Moores, der mit einem leichten Wind zu ihm her wehte.

Da war das Heulen wieder. Terry schrak zusammen, denn es hatte sich angehört, als ob das Tier unmittelbar in der Nähe war.

Unwillkürlich setzte er sich in Bewegung, und noch ehe zehn Sekunden verstrichen waren, registrierte Terry, dass er rannte.

Irgendwo hinter sich vernahm er weitere Geräusche. Schritte. Jemand folgte ihm. Es war das geschmeidige Auftreten von Pfoten, die sich in den karg bewachsenen Boden gruben. Das, was hinter ihm her war, holte rasch auf.

Terry widerstand dem Impuls, sich umzudrehen. Er rannte schneller, erreichte den Fuß des Hügels und jagte in gewaltigen Sätzen den Hang hinauf.

Er fand den Pfad, den dieser seltsame Dr. Leonard zuvor genommen hatte, als das Schloss und die Umgebung rings herum nur noch Kulisse gewesen waren. Jetzt war dies alles zu Terrys Realität geworden, und der junge Mann hatte inzwischen auch begriffen, dass es hier um sein Leben ging.

Vielleicht handelte es sich um einen Wettlauf. Er musste das Schlosstor erreichen, vielleicht hatte er dann eine Chance, dem Untier hinter ihm zu entkommen.

Terry hetzte weiter. Plötzlich peitschte etwas in sein Gesicht: eine Dornenranke, die über den Pfad wucherte. Die feinen Widerhaken rissen ihm die rechte Wange auf. Terry spürte die Nässe, die sich dort wenig später breitmachte.

Sein Herz schlug schneller, begann in seinem Brustkorb zu hämmern wie eine Maschine, bei der man den Takt radikal erhöht hatte.

Wie viele Meter noch bis zum Tor? Terry wusste es nicht. Das Einzige, was er wusste, war, dass er alles daransetzten musste, es zu erreichen.

Das Heulen kam näher, verwandelte sich in ein gieriges Hecheln, das erschreckend nahe war. Fast glaubte Terry, den Atem der Bestie in seinem Nacken zu spüren.

Nicht umdrehen, bohrte sich der Gedanke in sein Hirn. Wenn er sich umdrehte, würde er dem Grauen direkt ins Gesicht sehen. Vielleicht gelang es ihm ja doch noch … Neben ihm raschelte etwas im Gebüsch, und gleichzeitig drang dahinter ein wütendes Knurren hervor.

Terry blieb wie angewurzelt stehen. Das Tier hatte ihn erreicht. Schlimmer noch: Es hatte ihn überholt, um ihm den Weg abzuschneiden.

Er keuchte. Sein Atem, der nun stoßweise aus seinem Brustkasten gepresst wurde, gefror vor seinen Lippen.

Terry fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Blut klebte daran und glänzte nass in der Dunkelheit. Blut, das das Untier witterte.

Terry rannte ohne zu überlegen los. Beinahe wäre er über eine Baumwurzel gestolpert und lang hingeschlagen.

Irgendwo hinter ihm raschelte etwas. Das Tier befand sich nun auf dem Pfad, unmittelbar hinter ihm. Und dieses Mal konnte Terry tatsächlich einen heißen, feuchten Atem in seinem Nacken spüren.

Der junge Mann erreichte das Tor. Seine Hände umfassten den klobigen, eisernen Türklopfer, mit dem er wie von Sinnen gegen das harte Holz hämmerte.

Aus dem Schatten heraus sprang ihn etwas an. Terry spürte die Bewegung hinter sich, noch ehe der entsetzliche Aufprall erfolgte. Er wurde zu Boden gerissen und schlug hart mit dem Kopf gegen das Tor. Seine Arme wirbelten umher, bekamen etwas zu fassen, das sich wie dichtes Fell anfühlte.

Das erste Mal traute sich Terry, hinzusehen. Er wünschte, er hätte es nicht getan. Über ihm hatte sich ein riesiger Wolf aufgebaut. Eine kräftige Gestalt, die nur aus Muskeln und Sehnen zu bestehen schien. In dem klobigen Kopf mit der langen Schnauze glühten zwei gelbe Augen, die ihn lodernd anstarrten. Aus dem Maul des Untiers tropfte Geifer, der vor Terry in den Sand fiel.

Der junge Mann schrie auf. Instinktiv kroch er vor der grauenhaften Gestalt davon, bis er mit dem Rücken gegen das Tor stieß. Endstation.

»Nein«, flüsterte Terry, als er das Funkeln in den Augen des Werwolfs sah.

Ein tiefes Knurren drang aus der Kehle des Tiers, das in diesem Augenblick zu einem weiteren Sprung ansetzte.