John Sinclair 2001 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2001 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Dieser Fall schien überstanden, wir waren dem Höllenkreuz entkommen und hatten Aibon unbeschadet wieder verlassen - so dachten wir. Doch etwas war mit uns in unsere Welt zurückgekehrt, und das war grausamer als alles, was wir in Aibon erlebt hatten. Meinen Freunden und mir standen die schlimmsten Stunden unseres Lebens bevor ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Gespensterreigen

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Timo Wuerz

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-3816-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Gespensterreigen

2. Teil

von Ian Rolf Hill

Ein leiser Schrei drang über seine Lippen.

Im nächsten Moment fuhr Sir Mortimer im Bett hoch. Schwer atmend wischte er sich den kalten Schweiß aus dem Gesicht. Der dunkelblaue Seidenpyjama klebte klatschnass an seinem Körper. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals.

Was für ein Albtraum!

Er zitterte ja immer noch am ganzen Leib. Und doch konnte er sich an kein einziges Detail erinnern. Das Einzige, was geblieben war, war die Angst …

Es war dunkel im Schlafzimmer des Earl of Strathmore. Nur der Schein des Mondes, der durch das Fenster fiel, sorgte für ein gespenstisches, fahles Licht, in dem der Earl das bleiche Gesicht seiner schlafenden Frau erkennen konnte.

Ellen hatte nichts von seinem Albtraum mitbekommen und schlief friedlich weiter.

Langsam lüpfte Sir Mortimer die Bettdecke, schwang die Beine aus dem Bett und stieg mit den nackten Füßen in die bereitstehenden Filzpantoffel.

Auf leisen Sohlen huschte er zur Tür und öffnete sie geräuschlos. Gerade so weit, dass er hindurchschlüpfen konnte. Er brauchte dringend einen Schluck zur Beruhigung, und den würde er gegenüber in seinem Arbeitszimmer finden, in dem sich auch die gut bestückte Bar befand.

Langsam zog er die Tür des Schlafzimmers hinter sich ins Schloss und wollte schon auf Zehenspitzen zu seinem Arbeitszimmer schleichen, als er im Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm.

Abrupt blieb er stehen und wandte den Kopf langsam nach links.

Sir Mortimer erstarrte regelrecht zur Salzsäule. Mit aufgerissenen Augen blickte er auf die bleiche Erscheinung am Ende des Flurs, die geräuschlos auf ihn zu schwebte. Beide Hände bittend ausgestreckt, den Kopf mit den dunklen Augenhöhlen leicht zur Seite geneigt. Strähnige, schwarze Haare hingen lang herunter und verbargen einen Großteil des Gesichts.

Sir Mortimer kannte die Gestalt, und doch kam ihr Erscheinen überraschend. Mehr noch, es war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, denn vor ihm stand – nein, schwebte – niemand Geringeres als Lady Glamis, die man im 16. Jahrhundert als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt hatte.

***

Im ersten Moment des Erwachens, in dem sich das Bewusstsein noch zwischen Traum und Wirklichkeit entscheiden musste, wusste Colin Boleyn-Crawford nicht, was ihn eigentlich geweckt hatte.

Normalerweise war sein Schlaf tief und fest. Man könnte sogar die komplette Wachablösung am Buckingham Palace neben ihm zelebrieren und er würde trotzdem nicht aufwachen, scherzte seine Mutter gerne, wenn die Sprache auf seinen tiefen Nachtschlaf kam.

Umso erstaunter war er, dass er so plötzlich hochgeschreckt war. Colin blickte sich um, konnte jedoch nichts erkennen, denn es war stockfinstere Nacht. Und hier draußen, in der Einsamkeit der weiten Parklandschaft, die Glamis Castle umgab, gab es keinerlei Straßenbeleuchtung, die durch die hohen Fenster hineinscheinen konnte.

Auch das Licht des Mondes drang nicht in Colins Gemächer, denn sein Zimmer lag auf der dem Erdtrabanten abgewandten Seite des Schlosses.

Blind tastete er nach seinem Smartphone, das wie immer auf dem klobigen Nachttisch ruhte. Ein Blick auf das Display verriet ihm, dass es nach Mitternacht war. Lange hatte er also noch nicht geschlafen. Umso sonderbarer bewertete er sein plötzliches Erwachen.

Da! Da waren sie wieder!

Schnelle, hastige Schritte vor seiner Tür. Ja, genau das war das Geräusch gewesen, dass ihn geweckt hatte. Schlagartig kehrte die Erinnerung zurück, und Colin runzelte die Stirn, als er darüber nachdachte, wer da mitten in der Nacht durch den Flur rannte.

Er verzog die Lippen, denn die Lösung lag eigentlich auf der Hand. Das konnte doch nur sein kindischer Bruder Logan sein, der ihm einen Streich spielen wollte.

Typisch für ihn, dass er immer noch zu solchen Scherzen neigte, obwohl er doch fast achtzehn war. Colin selbst, zwei Jahre älter, konnte sich nicht entsinnen, jemals so albern gewesen zu sein. Er hatte schon früh gewusst, wie er sich als Erbe von Glamis Castle und als der nächste Earl of Strathmore zu verhalten hatte.

In zwei Wochen feierte er bereits seinen zwanzigsten Geburtstag, dann würde es nur noch ein Jahr dauern, bis er den Titel des Earls für sich beanspruchen konnte und von seinem Vater in das Geheimnis von Glamis Castle eingeweiht werden würde.

Bis dahin gab es genug Gelegenheiten, zu beweisen, wie reif und verantwortungsbewusst er wirklich war.

Als die schnellen Schritte erneut auf dem Flur entlang trippelten, schwang Colin die Beine aus dem Bett und griff nach einer Taschenlampe. Nun, wenn sein Bruder es darauf anlegte, würde er ihm eine Lektion erteilen.

Der Läufer entfernte sich gerade über den langen Flur und würde vermutlich bis zu dessen Ende rennen, wo er dann wahrscheinlich kehrtmachen und zurücklaufen würde. Geradewegs in Colins Arme.

Colin glaubte nicht daran, dass Logan in den angrenzenden Flur einbiegen würde, denn dort lagen nur noch die Arbeits- und Schlafzimmer ihrer Eltern, und Sir Mortimer würde dem Bengel gehörig die Leviten lesen, wenn dieser ihn für einen albernen Dummejungenstreich um die wohlverdiente Nachtruhe brachte.

Schon näherten sich die schnellen Schritte, und Colin verlor keine Zeit, legte die Hand auf die Klinke und öffnete die Tür zu seinem Zimmer so leise wie möglich. Dann riss er sie schwungvoll auf und hob die Hand mit der Taschenlampe, damit rechnend, dass das Licht direkt in das erschrockene Antlitz seines Bruders schien.

Doch stattdessen spürte Colin nur einen eisigen Windstoß, der ihm beinahe das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ein weißer Schemen huschte an ihm vorbei und war von einem Augenblick zum anderen verschwunden.

Colins Herz überschlug sich beinahe in seiner Brust. Sein Magen verkrampfte sich, und der Schweiß brach ihm unter den Achseln und am Rücken aus. Die Angst hielt ihn mit unerbittlichem Griff gepackt. Bis auf den Schein seiner Taschenlampe erhellte kein Licht den langen Flur mit den hohen stuckverzierten Decken.

Zitternd tastete Colin nach dem Lichtschalter und betätigte ihn. Doch es blieb finster. Kein Licht erhellte den Flur. Die Unterlippe des angehenden Earls begann zu beben. Ein leises Keckern aus der tintenschwarzen Dunkelheit am Ende des Flurs, wohin der Schemen eben gerannt war, drang an seine Ohren.

»Lo …Logan, hö …hör auf mit dem Scheiß!«, rief Colin mit leiser, zitternder Stimme und erschrak über den hohen, verängstigten Ton darin.

Während die Worte stockend über seine Lippen flossen, betätigte er immer wieder den Lichtschalter, doch es blieb dunkel. Die Sicherungen mussten herausgeflogen sein. Kaum zu fassen, denn die Stromversorgung des Schlosses gehörte zu den modernsten des gesamten Königreiches.

Colins Hand zitterte immer stärker und übertrug die Bewegungen auch auf den fahlen Lichtschein. Dabei sah der junge Mann, dass die gegenüberliegende Tür zum Zimmer seines Bruders offen stand.

Also steckte doch Logan hinter dem Streich. Colin straffte sich. Dem Kerl würde er gleich die Abreibung seines Lebens verpassen.

»Logan, ich schwöre dir …«

»Nicht Logan«, drang es knarzend aus der Finsternis, und Colin stockte der Atem. Wie ein Fisch auf dem Trockenen schnappte er nach Luft, spürte die Angst wie eine eiskalte Klaue an seinem Hals und würgte.

Langsam hob er die unkontrolliert zitternde Hand mit der Taschenlampe. Deren Schein tanzte wie ein Derwisch über die vertäfelten Wände und riss eine bleiche Gestalt aus der Dunkelheit.

Logan!

Sein Bruder stand in Boxershorts und T-Shirt vor ihm auf dem Flur. Colin wollte im ersten Moment aufatmen, um gleich darauf seinen Zorn über ihn kommen zu lassen, doch dann stutzte er.

Logan stand wie festgewachsen auf der Stelle. Seine Arme hingen schlaff an beiden Seiten seines Körpers herab, seine Beine standen dicht nebeneinander. Seine Augen waren starr nach vorne gerichtet, schienen Colin überhaupt nicht wahrzunehmen. Die Haut war leichenblass, und der gesamte Kopf wackelte von einer Seite zur anderen. Am schrecklichsten aber war dieser leere Blick, den Colin nun auch an seinem Bruder bemerkte.

Nein, Logan hatte ihm gewiss keinen Streich gespielt, und auch wenn die Angst Colin zu lähmen drohte, siegte nun die Sorge um seinen jüngeren Bruder, und er machte einen schnellen Schritt auf ihn zu.

In diesem Moment kippte Logan steif wie ein Brett nach vorne.

Colin breitete die Arme aus, um ihn aufzufangen, wobei er die Taschenlampe wie im Krampf festhielt. Deren Schein fuhr an seinem Bruder vorbei – und traf die verzerrte Fratze eines skelettierten Gesichts, das von einer dünnen, durchscheinenden Haut überzogen wurde.

Schwarze Augenhöhlen, in denen dunkle, ausdruckslose Kugeln glänzten, fixierten den angehenden Earl. Das Maul öffnete sich unnatürlich weit, und ein grauenhafter Schrei ließ Colin das Blut in den Adern gefrieren.

***

»Wo stecken denn bloß die Jungs?«, wollte Lady Ellen wissen und butterte mit schnellen, abgehackten Bewegungen ihre Brötchenhälfte.

Sir Mortimer saß seiner Frau an dem ovalen Frühstückstisch gegenüber und nickte Cameron, dem altgedienten Butler der Familie Boleyn-Crawford dankbar zu, als dieser ihm den frisch aufgebrühten Kaffee in die Tasse goss.

Tiefe, dunkle Ringe lagen unter den Augen des Earls, und seine Haut sah nicht minder bleich aus als die des Gespensts, dem er in der vergangenen Nacht begegnet war. Er hatte seiner Frau nichts davon erzählt, denn auch wenn sie wusste, dass in Glamis Castle angeblich mehr Geister ihr Unwesen trieben als irgendwo anders in Großbritannien, so hatte sie selbst doch noch nie einen zu Gesicht bekommen. Stattdessen begegnete sie den zahlreichen Touristen, die sich gerade für diesen Aspekt des prunkvollen Gemäuers interessierten, mit einer Mischung aus wohlwollendem Spott und einer gesunden Portion Skepsis.

Statt seiner Frau eine Antwort zu geben, warf Sir Mortimer einen Blick durch das hohe Fenster nach draußen in den Garten, wo zwischen all dem Grün weiße Marmorstatuen standen, die ebenfalls wie Geister aussahen.

Die tief stehenden Wolken, die baldigen Regen versprachen, verstärkten die unheimliche Atmosphäre noch zusätzlich.

Ein Geräusch vom Eingang des Speisezimmers lenkte den Earl von seinen trüben Gedanken ab. Seine Mutter, Lady Blair, betrat den Saal. Sie trug ein hochgeschlossenes blaues Kleid mit Puffärmeln und einen glockenförmigen Rock.

Sie sah darin immer aus wie eine Figur aus einem historischen Drama, und tatsächlich hatte sie in den acht Jahrzehnten, die sie nun schon auf der Erde weilte, jede Menge solcher Dramen gesehen und erlebt. Nichtsdestotrotz hatte sie ihre Lebensfreude noch lange nicht verloren, und obwohl sie viel Wert auf Etikette legte, war sie eine humorvolle Frau, die ihre beiden Enkel vergötterte.

»Guten Morgen, meine Lieben«, sagte sie und ließ sich an der Schmalseite des Tisches nieder. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, erschien Cameron, erwiderte den Morgengruß und schenkte Lady Blair ebenfalls Kaffee in die bereitstehende Tasse ein.

Jeden Morgen deckte er gemeinsam mit dem Küchenmädchen den Tisch für fünf Personen und kochte Kaffee für Lady Blair, Sir Mortimer und die beiden Jungs, sowie Tee für Lady Ellen. Diese Tätigkeit ließ er sich nicht nehmen, ebenso wenig wie das persönliche Einschenken.

Währenddessen bemühten sich die Köchin und das Küchenmädchen um die Speisen, bestehend aus einem traditionellen, schottischen Frühstück, das sich kaum von dem englischen unterschied.

Es gab Porridge, gebackene Bohnen, gegrillte Tomaten, Spiegeleier, Bacon, Grillwürstchen, gebratene Pilze und sogar Haggis und Black Pudding, obwohl Letzteren eigentlich niemand so recht mochte. Von Lady Blair und Cameron einmal abgesehen, der sich immer wieder darüber freute, wenn die Herrschaften etwas übrigließen.

Sir Mortimer glaubte sogar, dass Lady Blair ihn nur deshalb orderte, um ihrem treuen Butler eine Freude zu machen.

»Guten Morgen, Mutter«, erwiderte Sir Mortimer knapp, froh über die willkommene Ablenkung. »Hast du gut geschlafen?«

Die alte Dame bedachte ihren Sohn mit einem langen, unergründlichen Blick, ehe sie sich zu einer Antwort hinreißen ließ. »Sehr viel besser als du, wie mir scheint, mein Sohn.« Sie trank einen Schluck von dem Kaffee und nahm sich eine Scheibe Toast aus dem versilberten Korb, den Cameron gerade vor ihr platzierte.

Das Küchenmädchen brachte nur zwei Sekunden später einen Teller mit Black Pudding, gegrillten Tomaten, einem Spiegelei und gebackenen Pilzen. Auf die fettigen Würstchen und die Baked Beans verzichtete Lady Blair mit Rücksicht auf ihre Verdauung schon seit Jahren.

»Was ist passiert? Hast du schlecht geträumt?«

Bevor Sir Mortimer eine Antwort geben konnte, lachte Lady Ellen bitter auf.

»Das würde ich auch zu gerne wissen.« Sie warf ihrem Ehemann einen scharfen Blick zu, bevor sie sich an ihre Schwiegermutter wandte. »Mitten in der Nacht steht er auf, ohne dass ich was davon merke. Dafür weckt er mich, als er zurück ins Bett kommt, weil er im Dunkeln gegen den Beistelltisch läuft. Legt sich wortlos neben mich und gibt noch nicht mal eine vernünftige Antwort, was ihn bewogen hat, mitten in der Nacht herumzugeistern.«

Lady Blair entging das Zusammenzucken ihres Sohnes keineswegs, als Ellen das Wort »herumgeistern« benutzte. Statt etwas zu sagen, nahm sie einen Bissen von dem Black Pudding und lauschte der Antwort ihres Sohnes.

»Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich auf die Toilette musste und der Strom plötzlich ausgefallen war.«

»Ach, und deshalb hast du am ganzen Leib gezittert und nach Whisky gerochen? Als ich die Nachttischlampe einschaltete, hat das Licht sehr wohl funktioniert.«

»Was glaubst du denn, was ich gemacht habe? Meinst du, ich habe im Schloss eine Touristin versteckt, mit der ich mich nachts heimlich vergnüge?«

Lady Blair musste bei der Vorstellung unwillkürlich schmunzeln. Vor allem deshalb, weil ihr Sohn alles Mögliche war, aber gewiss kein Schwerenöter. Im Gegenteil, wenn auf jemanden der Begriff des britischen Gentleman zutraf, dann auf ihn. Trotzdem war da etwas in seiner Stimme, dass die alte Dame aufs Höchste alarmierte. Sie würde nach dem Frühstück mit ihm sprechen müssen.

»Da seid ihr ja endlich«, rief Ellen in diesem Augenblick und bedachte ihre beiden Söhne mit strengen Blicken.

Kreidebleich und so leise und unauffällig wie Nebelstreifen betraten Colin und Logan das Speisezimmer.

Ihr gemurmelter Morgengruß war kaum zu hören, als sie sich zu ihren Eltern und ihrer Großmutter an den Tisch setzten. Und schon waren Cameron und das Mädchen da, um die Neuankömmlinge zu versorgen.

Allerdings traf keiner der beiden Jungs Anstalten, sich über das verführerisch duftende Frühstück herzumachen.

Außergewöhnlich, fand Lady Blair.

»Mein Gott, was ist denn mit euch beiden passiert?«, fragte Ellen aufrichtig besorgt. Natürlich war der Mutter sofort aufgefallen, dass mit den beiden jungen Männern etwas nicht stimmte. Ohne es vermutlich zu wollen traf sie mit ihrer nächsten Aussage den Nagel auf den Kopf. »Ihr beide seht aus, als ob ihr ein Gespenst gesehen hättet.«

Es war Logan, der schlagartig zu zittern begann, sodass er beinahe das komplette Service vom Tisch gefegt hätte. Tränen standen in seinen Augen.

Ellen sprang förmlich von ihrem Stuhl hoch und nahm ihren Sohn in die Arme, der wie ein kleines Kind an der Brust der Mutter Schutz suchte.

Der Blick Sir Mortimers ging irritiert zwischen seinen Söhnen hin und her, während sich Cameron und die Bedienstete vornehm im Hintergrund hielten und sich schließlich in die Küche zurückzogen.

Nur Lady Blair ahnte etwas und wandte sich an Colin.

»Wer ist es gewesen?«, fragte sie mit ruhiger Stimme.

Colins Kopf, dessen Blick eben noch auf seinem Bruder und seiner Mutter geruht hatte, ruckte herum. Er wusste sofort, was seine Großmutter meinte, und antwortete bloß: »Jack!«

Sir Mortimer richtete sich auf seinem Stuhl auf. Er wollte etwas sagen, Colin vielleicht sogar zur Räson bringen, denn natürlich war ihm der entgeisterte Blick seiner Frau nicht entgangen. Doch wieder kam ihm Lady Blair zuvor.

»Und bei dir Mortimer? Wer ist dir erschienen?«

»Mutter, ich …«

»Mach mir nichts vor, Sohn. Sag es schon!«, forderte sie mit strenger Stimme und sah zufrieden, wie die Gestalt von Sir Mortimer auf seinem Stuhl förmlich zusammensackte.

»Lady Glamis«, flüsterte er mit leiser Stimme.

Colin sah seinen Vater aus großen Augen an, während Logan anfing zu schluchzen.

Ellen dagegen warf Lady Blair einen wütenden Blick zu. »Habt ihr denn alle den Verstand verloren? Es gibt keine Gespenster. Zumindest keine echten.«

Langsam hob Lady Blair den Kopf und erwiderte den zornigen Blick ihrer Schwiegertochter mit der Weisheit und Gleichmut des Alters. »Oh, doch meine Liebe, die gibt es. Und sie hausen schon seit der Errichtung des Schlosses in diesen Mauern. Aber jetzt muss etwas geschehen sein, das sie in Aufruhr versetzt hat. Etwas Grauenhaftes bahnt sich an …«

***

»Es war wirklich ein schöner Nachmittag mit dir, Sheila«, rief Shao und lachte. Für Sheilas Geschmack allerdings eine Spur zu schrill. Kein Wunder, denn die Chinesin hatte erst vor Kurzem von ihr erfahren, dass sich ihr Partner Suko mal wieder in Lebensgefahr begeben hatte.

An und für sich war das noch nicht einmal etwas Besonderes. Das gehörte in seinem Job gewissermaßen zur Tagesordnung und war ein einkalkuliertes Berufsrisiko. Doch dieses Mal hatte er sich gemeinsam mit Glenda auf eine Dimensionsreise begeben, die ihn auf der Suche nach John Sinclair in das geheimnisumwitterte Reich Aibon führen sollte.

Ob sie dort ankamen oder zwischen den Dimensionen auf ewig verschollen blieben, war ungewiss. Gut möglich, dass den Geisterjägern und ihrer Sekretärin also ein Schicksal drohte, das schlimmer war als der Tod.

Aber offenbar war jeder aus dem sogenannten Sinclair-Team gewillt, das hinzunehmen und als Schicksal abzutun. Schicksal. In Sheilas Augen nicht mehr als eine billige Ausrede, um sich nicht anstrengen zu müssen etwas an den Gegebenheiten zu ändern.

Sie konnte davon ein Lied singen, denn ihr Mann Bill begab sich immer wieder sehenden Auges in Gefahr und sprach seit einigen Jahren vom sogenannten »Fluch der Conollys«.

Der resultierte ihrer Meinung nach jedoch aus der Bekanntschaft mit einem gewissen John Sinclair, der tatsächlich die Kreaturen der Hölle anzuziehen schien wie die Motten das Licht. Und ja, sie selbst waren auch immer wieder »rein zufällig« in haarsträubende Fälle verwickelt worden, doch mittlerweile war Sheila an einem Punkt angelangt, an dem sie das nicht mehr hinnehmen wollte.

Sie wollte nicht mehr vom Fluch der Conollys sprechen und damit alles stoisch erdulden, so wie ihr Mann Bill, der ihr erst vor wenigen Stunden von dem Himmelfahrtskommando ihrer Freunde berichtete hatte.

Daraufhin war bei Sheila förmlich eine Sicherung durchgebrannt. Diese Aktion war der berühmte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, und wutentbrannt hatte sie sich auf den Weg zu Shao gemacht, die ähnlich wie sie selbst immer wieder zu Hause zurückbleiben musste. Allein mit der Hoffnung, dass der geliebte Partner am Ende des Tages wieder gesund zurückkehrte.

Shao hatte sich zwar ähnlich betroffen gezeigt, aber nicht den ohnmächtigen Zorn verspürt, der immer noch in Sheilas Augen funkelte. Möglicherweise lag dies an ihrer bewegten Vergangenheit, denn Shao war die letzte Nachfahrin in der langen Ahnenreihe der Sonnengöttin Amaterasu.

Schließlich hätten sie beide gewusst worauf sie sich einließen, als sie die Partnerschaften mit Suko und Bill eingegangen waren, denn sowohl Shao als auch Sheila, hatten ihre Gefährten bei einem von John Sinclairs Fällen kennengelernt. Für Sheila indes kein Grund, auszuharren und sich mit dem Schicksal abzufinden.

Da war es wieder, dieses Wort, dessen Klang allein dafür Sorge trug, dass die Flamme der Wut erneut in Sheila emporloderte.