John Sinclair 2051 - Timothy Stahl - E-Book

John Sinclair 2051 E-Book

Timothy Stahl

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Beschreibung

Viel früher, als ich bisher geahnt hatte, war ich mit dem Grauen hautnah in Berührung gekommen! Und es war noch nicht vorbei ...

Zahlreiche Fragen, die das spurlose Verschwinden meiner Freunde damals aufgeworfen hatte, waren bis heute nicht beantwortet. Deshalb hatte sich Glynn Keane, der alte Ex-Priester, an mich gewandt: Als Geisterjäger, der ich jetzt war, sollte ich den ungelösten Fall endlich aufklären - denn es ging wieder los: Ein Kind war auf mysteriöse Weise verschwunden, und weitere würden folgen, wenn ich es nicht verhinderte. Also trat ich den Schrecken der Vergangenheit entgegen und machte mich gefasst auf ein blutiges Wiedersehen ...


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Seitenzahl: 154

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Inhalt

Cover

Impressum

Blutiges Wiedersehen

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Néstor Taylor/Bassols

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5417-1

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Blutiges Wiedersehen

(2. Teil)

von Timothy Stahl

Lieber Christopher,

Du weißt es nicht, aber ich wurde heute Morgen aus dem Gefängnis entlassen. Nach all den Jahren bin ich wieder da, wieder frei. Und niemand hat in all dieser Zeit erfahren, was damals wirklich geschehen ist in unserem Haus, dem »Haus auf dem Hügel vor der Stadt«, wie die Leute es nennen.

Auch Du weißt es nicht, mein Junge, kennst nur ein Stück der ganzen Geschichte, den Teil eben, den Du damals miterlebt hast. Du und Deine Freunde.

Sie ist auch noch nicht vorbei, diese Geschichte. Unsere Geschichte.

Jetzt werde ich sie zu Ende bringen.

Aber erst will ich Dir erzählen und hier aufschreiben, wie sie angefangen hat. Damit Du verstehst, was geschehen ist und warum ich es tue.

Mein Sohn, es war so …

Ein kleiner Junge war verschwunden, Eugene Thorogood. Und ich war mir sicher zu wissen, wo er festgehalten wurde. Denn ich war schon einmal in eine solche Geschichte verwickelt gewesen. Als ich selbst noch ein Junge war. Nur hatte ich mich bis heute nicht mehr daran erinnern können. Weil mich ein Mann namens Glynn Keane auf Bitten meines Vaters hin jene Schrecken vergessen ließ.

Jetzt hatte er mir die Erinnerungen zurückgegeben. Weil er der Meinung war, die Sache von damals sei nun wieder losgegangen und ich der richtige Mann, um den Fall zu lösen. Und nach allem, was ich bisher wusste, teilte ich diese Befürchtung. Wieder war ein Kind verschwunden, das einer geheimnisvollen schwarzen Katze gefolgt war – wie damals. Ich hatte diese Katze seinerzeit selbst gesehen. Und ich wusste, wo sie ihre Opfer hingelockt hatte: In das Haus auf dem Hügel vor der Stadt.

Und auch dieses Haus gab es heute noch.

Zusammen mit Glynn Keane, einem ehemaligen Priester, der heute als Exorzist und Berater in Fragen zum Unerklärlichen tätig war, fuhr ich nun den Hügel hinauf zu dem Haus, in dem früher die Familie Ainsworth gewohnt hatte.

In jener verhängnisvollen Nacht, in der auch ich in den Bann des Hauses geriet, war es dann ausgebrannt und mit ihm auch alle Spuren, die auf den Verbleib und das Schicksal der darin verschwundenen Kinder hätten hinweisen können.

Man hatte sie nie gefunden, wie mir Glynn Keane erzählte. Weder tot noch lebendig. Übrig geblieben waren nur gerade genug Beweise, um einen Mann anzuklagen und zu verurteilen: Gregory Ainsworth, der im Viertel nur Creepy Gregg geheißen hatte, ein Mann mit verbranntem Gesicht, vor dem Kinder Angst hatten und dem Erwachsene jede Übeltat zutrauten.

Ich war es damals gewesen, der besagte Beweise aus dem Haus mitgebracht hatte – die blutige Kleidung der verschwundenen Kinder. Und ich war auch das einzige Kind gewesen, das aus dem Haus entkommen war.

»Sie haben mir nicht alles erzählt, was Sie damals gesehen haben, John«, sagte Glynn Keane, als ich den Rover vor dem Haus auf dem Hügel stoppte.

Ringsum ragten fast kahle Bäume auf, ihr verwinkeltes Geäst zeichnete sich schwarz vor dem mondhellen Himmel ab. Im Licht der Scheinwerfer meines Wagens wirbelte der Wind welkes Laub über den Boden.

Ich hatte Keane, der fast so alt sein musste, wie es meine Eltern jetzt gewesen wären, wenn ich sie vor Jahren nicht auf grausame Weise verloren hätte, auf der Fahrt herauf zu schildern versucht, was ich damals in diesem Haus beziehungsweise dessen Keller erlebt und gesehen hatte. Es war mir schwergefallen, ehrlich gesagt fast unmöglich gewesen.

Ich war ein Kind und hatte, was ich gesehen hatte, kaum begriffen. Ich erinnerte mich, durch ein Loch gekrochen und gezerrt worden zu sein, hinter Rudy Gordon, meinem besten Kumpel, und Lamont Roberts her, einem Jungem in unserem Alter, den wir nicht zu unseren Freunden gezählt hatten. Doch die Gefahr hatte uns in jener Situation zusammengeschweißt.

Drüben auf der anderen Seite schienen wir dann alle etwas anderes gesehen zu haben. Ich wusste, dass das Bild ständig gewechselt hatte, als hätten meine Augen und mein Hirn kapituliert vor der Wirklichkeit und versucht, irgendetwas zu finden, das entweder so ähnlich aussah – oder etwas, an dem mein Verstand nicht einfach zerschellen würde wie ein Flieger, der im Nebel gegen einen Berg raste.

Und dazwischen hatte ich immer wieder den Eindruck gehabt, in etwas Lebendigem zu stecken, das schon angefangen hatte, mich zu fressen …

Heute, mit meiner vielfältigen Erfahrung als Geisterjäger im Rücken, leuchteten mir diese Schutzmechanismen meiner Psyche ein. Damals, als 13-jähriger Junge, wäre ich darüber fast wahnsinnig geworden.

Aber ich wusste jetzt, wo ich mich daran zu erinnern versuchte, noch etwas: Mir war nicht alles wieder eingefallen. Ich hatte damals noch etwas gesehen. Ich wusste noch, es war gewesen, nachdem wir die blutige Kleidung von unserer Freundin Katie Dettman am Boden gefunden hatten. Und danach …

Was war da gewesen?

Ich zermarterte mir das Hirn. Aber ich fischte nicht nur im Trüben, sondern förmlich im Leeren. Da war nicht einmal eine Ahnung, keine Andeutung von irgendetwas. Da war nichts.

»John?«, drang Glynn Keanes Stimme in meine Gedanken. »Was ist?«

Ich schüttelte den Kopf und schilderte ihm meine Misere.

»Dann konnte ich diese Erinnerung, als ich die Schublade in Ihrem Gedächtnis wieder aufschloss, also nicht öffnen«, meinte er.

»Offenbar nicht«, bestätigte ich.

»Das kann natürlich daran liegen, dass gar nicht ich es war, der diese spezielle Erinnerung damals weggeschlossen hat, wenn wir einmal bei diesem Bild bleiben wollen«, sagte er.

Wir saßen noch im Wagen, beide den Blick auf das im Dunkeln stehende, verlassene alte Haus gerichtet. Ein Ding wie aus einem Horrorfilm. Nur schlimmer. Weil es echt war.

»Sie sagen also, mein Gehirn hat diese Erinnerung gesondert verwahrt?«, fragte ich. »Selbstständig?«

»Denkbar.« Keane nickte. »Und vielleicht sollten Sie froh sein, dass diese Erinnerung nicht zurückgekehrt ist.«

Ich ahnte, worauf er hinauswollte. Und irrte mich nicht.

»Dieses Erlebnis oder das, was Sie da gesehen haben, John, es war möglicherweise zu schrecklich.« Ich hörte ihn atmen in der Stille des Wagens. Nur draußen säuselte der Wind und ließ das Laub rascheln. »So schrecklich, dass Ihr Unterbewusstsein befürchtet, es könnte auch heute noch zu viel für Sie sein.«

Ich schluckte. Meine Hand krampfte sich ein wenig um das Lenkrad. Als suchte sie etwas zum Festhalten.

Eigentlich glaubte ich ja, in meinem Leben, in meinem Kampf gegen das Böse und seine Ausgeburten, alles gesehen zu haben, was es zu sehen gab, auf dieser und vielen anderen Welten. Wenn mein Unterbewusstsein nun anderer Ansicht war, wenn mein Innerstes es offenbar besser wusste … was hieß das dann?

Die Lider fast zugekniffen, sah ich zum Haus hin. Als schaute ich einem alten Feind entschlossen in die Augen. Es schien meinen Blick aus seinen schwarzen Fenstern zu erwidern. Es war kalt im Wagen, ich fröstelte.

Das hieß, kam ich zurück auf die Frage, die ich mir gestellt hatte, dass ich mich besser auf das Allerschlimmste gefasst machte …

***

Lieber Christopher,

Du weißt ja, ich war einmal ein Zauberer. Ein guter, ein erfolgreicher. Ich war Creepy Gregg, ein ganz besonderer Magier, wie es damals keinen zweiten gab, in ganz England und Europa nicht. Und die Welt stand uns offen, Deiner Mutter, die meine Assistentin war, und mir – und mit uns auch Dir, unserem Sohn. Was hätte daraus alles werden können!

Ich machte mir die Lust der Leute am Gruseln zunutze und ließ bei meinen Tricks tüchtig Blut fließen. Das funktionierte praktisch wie ein Horrorfilm – die Zuschauer durften sich fürchten, ohne wirklich Angst haben zu müssen. Sie bekamen schreckliche Dinge zu sehen und wussten doch: Es ist nicht echt. Am Ende wird alles wieder gut sein.

Ich schnitt Menschen entzwei, mit Äxten, Schwertern, Ketten- und Kreissägen, und ließ dazu Gedärme auf die Bühne klatschen, ich schnitt anderen und mir selbst Gliedmaßen und Finger ab, stach Augen aus – es war ein Heidenspaß! Und, zugegeben, auch eine Mordssauerei. Wir mussten dazu übergehen, an die Zuschauer in den ersten Reihen Plastikponchos auszugeben, weil das Blut bis zu ihnen hin spritzte.

Und, unter uns, das war kein Kunstblut. Wir besorgten es vom Schlachthof … Ach, Chris, ich wünschte, Du hättest uns sehen können auf der Bühne, aber es sollte nicht sein. Denn dann passierte diese furchtbare Sache mit den beiden Buben in Dover …

Sie sahen einen meiner Auftritte im Fernsehen – unverantwortlich von den Eltern, wenn Du mich fragst! – und machten einen meiner Tricks daheim nach. Freilich ohne zu wissen, wie er funktionierte.

Das Ende vom Lied kennst Du, auch wenn Du damals noch zu klein warst, um es mitzubekommen – aber es lag fortan wie ein Fluch über unseren Köpfen. Ach, was sag ich – es war der Fluch unserer Familie. Damit mussten wir leben, und daran sind wir zuschanden gegangen.

Ich will Dir erzählen, wie das kam. Aber der Reihe nach, Chris, eins nach dem anderen, damit Du es verstehst, mein Junge, und weißt, warum alles so geschah – und warum es so enden muss, wie es nun enden wird …

***

Es waren Jahre vergangen, viele Jahre, und das Haus auf dem Hügel sah im Inneren nicht mehr so aus, wie ich es von damals kannte – oder, besser gesagt, wieder in Erinnerung hatte.

Nur eines war geblieben: Als ich ihm seinerzeit entkommen war, hatte das Haus gebrannt – und der Brandgeruch hing ihm heute noch an, wie Kleiderfetzen einer verkohlten Leiche. Der Geruch schien, als Glynn Keane und ich den Fuß ins Haus setzten, aus allen Wänden und Böden zu strömen, wie die schlechte Körperausdünstung eines Menschen aus jeder Pore seiner Haut.

»Bewirkt dieser Geruch irgendetwas in Ihnen, John?«, fragte Keane. »Löst er etwas aus?«

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf und ging weiter.

Der dünne Lichtstrahl meiner Bleistiftleuchte bohrte sich in das Dunkel des Hauses. Es wirkte wattig, als ballten sich vor uns die Schatten wie tiefschwarze Schafe, die sich aus Angst vor einem aufziehenden Unwetter aneinanderdrängten.

Der ohnedies nur dürftige Mondschein, der durch die größtenteils zerbrochenen Fenster hereinfiel, versickerte schon wenige Schritte weiter wie silbriges Wasser zwischen den Bohlen des Fußbodens.

Der wiederum knarrte unter unseren Sohlen, hier und da bog sich ein Brett auch durch, dass ich schon fürchtete, es würde mein Gewicht nicht tragen und splittern. Das hätte mir gerade noch gefehlt, ein gebrochener Fuß.

»Und Sie glauben, der Junge ist hier?«

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Keane sich umschaute.

»Ich vermute es. Jedenfalls war das Haus damals die Falle, in der die Kinder verschwanden. Und wenn es wirklich so ist, wie wir vermuten, dass es wieder angefangen hat, dann …« Ich hob nur die Schultern.

»Natürlich, dann ist dieses Haus unser einziger Anhaltspunkt.« Keane nickte. »Ich frage mich nur, ob es klug ist, einfach so hier hereinzuspazieren.«

»Diese Frage habe ich mir natürlich auch gestellt, Glynn. Aber was wären unsere Alternativen gewesen? Sich anzuschleichen, hätte keinen Unterschied gemacht – am Ende hätten wir ja doch einfach reinspazieren müssen. Und ich glaube nicht, dass das, was hinter all dem steckt, der Drahtzieher sozusagen, zur Flucht neigt. Es hat sich hier eingenistet, oder ist zurückgekommen, um das Haus wieder für sich zu beanspruchen. Was es auch ist, es wird nicht einfach so abhauen.« Ich ließ den Blick und das Lampenlicht wandern. »Die andere Möglichkeit wäre gewesen, mit Verstärkung anzurücken und das Haus zu stürmen. Aber die Erfahrung hat mich gelehrt, dass ich in der Regel als Einzelkämpfer oder mit meinen persönlichen Partnern erfolgreicher bin, wenn wir es mit unseren speziellen Freunden zu tun haben.«

»Haben Sie einen Verdacht, womit wir es in diesem Fall zu tun haben könnten, John?«

»Leider nicht. Die andere Seite ist so vielfältig, dass sie selbst mich immer wieder mit neuen Varianten überrascht. Das wird sich wohl auch nicht ändern.«

Ohne meine Umgebung aus den Augen zu lassen – auch wenn es im Grunde nichts zu sehen gab –, tastete ich nach meinem silbernen Kreuz, das ich an einer Halskette unter dem Hemd trug. Ich spürte keine Erwärmung, trotzdem zog ich es unter dem Kragen hervor und ließ es offen vor meiner Brust hängen. In der praktisch selben Bewegung lockerte ich die Beretta, die im Holster unter meiner Schulter steckte.

»Ein schönes Stück«, meinte Keane und wies auf mein Kreuz.

»Unbezahlbar vor allem«, sagte ich, »in mehr als nur einer Hinsicht. Das Kreuz ist meine älteste und stärkste Waffe in diesem Kampf.«

»Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, John. Selbst die stärkste Waffe taugt nichts in der Hand eines Mannes, der sich nicht zu führen versteht.«

»Danke.« Ich zwinkerte ihm zu.

Ein Gespräch darüber, dass mein Silberkreuz in dieser Beziehung durchaus ein Fall für sich war, fing ich nicht an. Deshalb waren wir nicht hier.

Es ging um den kleinen Eugene Thorogood. Ihn mussten wir retten … wenn es dazu noch nicht zu spät war. Ich musste wieder daran denken, mit welchem Gedanken ich draußen aus dem Wagen gestiegen war: Mach dich aufs Allerschlimmste gefasst.

»Damals wurden die Kinder in den Keller gelockt«, raunte ich.

Aus irgendeinem Grund senkte ich meine Stimme. Nahm ich unbewusst etwas wahr? Abermals griff ich nach dem Kreuz. Schwer hing es an der Kette um meinen Hals. Meine Fingerspitzen berührten das alte Silber aus biblischer Zeit. Es fühlte sich wärmer an, ein klein wenig … oder? Ich konnte mich täuschen. Dieser Fall machte mich ungewohnt nervös. Es lag an seiner Vorgeschichte, in die ich vor so langer Zeit persönlich verstrickt gewesen und die trotzdem so frisch war, als wäre sie gerade erst geschehen. Und irgendwie war es ja auch so, für mich.

Verrückt, dachte ich.

»Alles in Ordnung, John?« Ich spürte Keanes sachte Berührung an meinem Arm.

»Ja, ich hatte nur den Eindruck, da wäre …« Ich unterbrach mich. »Lassen Sie uns einen Weg in den Keller finden«, sagte ich dann nur und leuchtete mit meiner kleinen Lampe umher.

Spinnweben glitzerten wie zerrissene Vorhänge in Ecken und an Deckenbalken. Hier und da stand noch ein verbranntes Möbelstück, einige davon nachträglich zertrümmert. Von Jugendlichen wahrscheinlich, die in das unheimliche alte Haus eingestiegen waren, um einander ihren Mut zu beweisen. Allerdings sah ich nirgends Müll, der von Saufgelagen übrig geblieben war, oder Schmierereien an den Wänden. Möglicherweise hatte die ungebetenen Gäste des Hauses der Mut dann doch schnell wieder verlassen, weil … nun, ehrlich gesagt wollte ich mich auch nicht länger als nötig hier aufhalten. Dieses Haus und alles darin, sichtbar oder unsichtbar, atmeten eine Feindseligkeit, die spürbar war wie ein Widerstand, gegen den man mit jedem Schritt, den man tat, ankämpfen musste. Mehr noch, er schien mit jedem Schritt stärker zu werden, als wate man in einem Fluss gegen die Strömung, die zunahm, je näher man seiner Quelle kam.

Ja, dachte ich, vielleicht war es im übertragenen Sinn genau so …

Wo war eine Kellertür? Ich leuchtete hierhin und dorthin, versuchte mich zu erinnern. Aber es war eben doch lange her, und hier oben war ich damals auch nur kurz gewesen. Zumal es auf dem Weg hinaus, nachdem mein Vater mich aus dem Keller gerettet hatte, lichterloh gebrannt hatte.

Und zu Gast waren wir als Kinder im Haus auf dem Hügel nie gewesen. Obwohl der Sohn des Hausherrn Gregory Ainsworth, Creepy Gregg genannt, in unserem Alter gewesen und mit uns zur Schule gegangen war.

Ich erinnerte mich an Christopher Ainsworth, den alle nur Chris genannt hatten. Ein Junge mit etwas längerem roten Haar, ein bisschen kleiner als ich. Aber ich war damals schon groß gewesen für mein Alter. Chris war in gewisser Weise sehr behütet aufgewachsen. Sein Vater hatte ihn nicht mit anderen Kindern spielen lassen. Er hatte sich von der Gesellschaft oder wenigstens den Menschen in der Gegend schlecht behandelt und ausgestoßen gefühlt, und um seinem Sohn diese unliebsame Erfahrung zu ersparen, hatte er ihn gar nicht erst mit anderen Leuten in Kontakt kommen lassen. So weit das eben ging. Sicher nicht der richtige Ansatz, zumal er seinen Sohn damit selbst zum Außenseiter gemacht hatte.

Ich fragte mich, was aus Chris geworden sein mochte, nachdem sein Vater ins Gefängnis gekommen war. War er im Heim gelandet? Oder hatte es noch Verwandte gegeben, die Chris aufgenommen hatten? Ich nahm mir vor, ein paar Nachforschungen anzustellen … sobald wir den kleinen Eugene gerettet und diese Menschenfalle hier ausgeschaltet hatten.

Aus Ritzen im Boden sprossen stellenweise ganze Büschel von Unkraut. Im Lichtstrahl meiner kleinen Lampe warfen sie Schatten, die aussahen wie das Gekrakel einer gichtigen Hand. Durch die Fenster war Laub hereingeweht, das stellenweise wie ein knöchelhoher Teppich auf dem Fußboden lag und sich in den Ecken zu Haufen getürmt hatte, in denen es raschelte, obwohl kein Wind zu spüren war. Insekten, Mäuse, Ratten.

»Da«, sagte Keane und zeigte nach vorn.

Ich folgte mit dem Taschenlampenstrahl. Das Licht fiel auf eine halb offen stehende Tür. Dahinter führten Stufen in tintiges Dunkel hinab. Und davor …

»Sieh sich das einer an!«, entfuhr es Keane.

Ich war schon in die Knie gegangen.

Vor der Kellertür bedeckte grauer Staub fast fingerdick den Boden. Und darin zeichneten sich Spuren ab. Die Fußabdrücke eines Menschen. Schuhe. Sicher Größe 44 oder 45, schätzte ich. Ein Erwachsener also, kein Kind. Aber vielleicht ein Erwachsener, der ein Kind getragen hatte?

Allerdings hätte das nicht zu meinen Erinnerungen an die Sache von früher gepasst.

Ich sah mich um, der Lichtkegel bewegte sich mit, ich suchte nach Pfotenabdrücken. Wurde auch fündig. Nur schienen mir die Spuren zu groß für eine Katze. Eher stammten die von einem Hund. Was auch nicht ungewöhnlich gewesen wäre. Durchaus denkbar, dass ein Hund, der seinem Besitzer entweder abgehauen oder den dieser ohne Leine laufen ließ, neugierig hier herumgeschnüffelt hatte. Obwohl Tiere – und gerade Hunde – ja eigentlich eine feine Nase hatten und Orte wie so einen hier eher mieden.

Na ja, vielleicht dachte ich jetzt zu sehr um die Ecke, sagte ich mir und ließ den Gedanken fahren.

Die Schuhabdrücke führten jedenfalls auf die Kellertür zu, und es war auch zu erkennen, dass die Person – der Schuhgröße nach zu urteilen wahrscheinlich ein Mann, keine Frau – die Treppe hinuntergegangen war. Und das vor nicht langer Zeit. Denn die Spuren waren, soweit ich das beurteilen konnte, ziemlich frisch.

»Kommen Sie«, sagte ich zu Glynn Keane, zog mit links die Tür auf und mit rechts meine Beretta.

***

Lieber Christopher,