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10 gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band!
Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern aus den Jahren 1978 - 1989 und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Tausende Fans können nicht irren - über 640 Seiten Horrorspaß garantiert!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 241 - 250.
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Seitenzahl: 1419
Veröffentlichungsjahr: 2021
Jason Dark
John Sinclair Großband 25
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
Als die Pest das Land heimsuchte, starben Tausende von Menschen. Der Kaiser und seine Getreuen suchten nach Möglichkeiten, der Flut von Toten Herr zu werden. Sie verbrannten die Menschen. So zogen Horden durch das Land, die die Leichen auf Scheiterhaufen warfen, und über einem Teil des chinesischen Reiches zogen dunkle Wolken auf. – Aber nicht alle wurden verbrannt. Viele Pestkranke wurden lebendig in die Sümpfe geworfen. Diese Unmenschlichkeit sollte sich irgendwann rächen …
Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.
Als die Pest das Land heimsuchte, starben Tausende von Menschen. Der Kaiser und seine Getreuen suchten nach Möglichkeiten, der Flut von Toten Herr zu werden. Sie verbrannten die Menschen. So zogen Horden durch das Land, die die Leichen auf Scheiterhaufen warfen, und über einem Teil des chinesischen Reiches zogen dunkle Wolken auf. – Aber nicht alle wurden verbrannt. Viele Pestkranke wurden lebendig in die Sümpfe geworfen. Diese Unmenschlichkeit sollte sich irgendwann rächen …
Der Himmel hatte eine seltsame Farbe angenommen. War er vorhin noch hell gewesen, so zeigte er jetzt ein verwaschen wirkendes Grau, in das sich gelbe, lange Streifen mischten, als wären hinter der grauen Wand einige Taschenlampen eingeschaltet worden.
Zuerst fiel Ryan O’Casey die Veränderung gar nicht auf. Er war zu sehr mit sich selbst und der Fahrerei beschäftigt, denn es war wirklich kein Kinderspiel, den Jeep über den alten Knüppeldamm zu balancieren.
Und einem Balanceakt glich diese Fahrerei schon. Der Damm bestand aus Holzbohlen, die in den harten darunterliegenden Lehm fest integriert waren, sich jedoch im Laufe der Zeit verschoben hatten, sodass sie an einigen Stellen wie Klötze hervorstachen oder gesplittert waren.
Man musste schon einen Jeep besitzen, um den Knüppeldamm überhaupt passieren zu können. Außerdem fuhren die Einheimischen höchstens mit Fahrrädern darüber. Wer sich den Luxus leistete und es mit einem Fahrzeug probierte, kam entweder von der Partei oder war ein Fremder aus Europa.
Ryan O’Casey stammte aus diesem fernen Kontinent. Er war in London geboren, seine Eltern hatte es aber nach Hongkong verschlagen, wo O’Casey auch aufwuchs und nach seiner Schule als Kaufmann in einer Firma begann, die sich auf die Ausfuhr von Seide spezialisiert hatte. O’Casey war ein Mensch, der sich gut auf die Gegebenheiten des fernen Asien einstellen konnte. Er kam mit den Leuten zurecht und hatte sich nicht gescheut, auch Chinesisch zu lernen. Er beherrschte drei Dialekte, für einen Europäer wirklich außergewöhnlich. Das hatten auch seine Chefs erkannt. Da er zudem noch kaufmännisches Geschick besaß, avancierte er zum Verkaufsleiter der Firma und wurde in das benachbarte Rotchina geschickt, um die geschäftlichen Kontakte zu intensivieren. Seide war nach wie vor ein begehrter Artikel, und Ryan O’Casey war es unter großen Mühen gelungen, die Kontakte zu den rotchinesischen Geschäftspartnern so auszuweiten, dass die Chinesen ihn als Geschäftspartner akzeptierten.
Nach dem Tod des großen Mao hatte man im Land der Mitte sowieso umdenken müssen, um überleben zu können. Die Schranken zum Ausland hin wurden ein wenig geöffnet, man ließ amerikanischen und europäischen Einfluss ins Land, und einer großen deutschen Autofirma war es sogar gelungen, eine Filiale ihres Sterns in China einzurichten.
Ryan O’Casey profitierte von dieser Öffnung nach außen. Seine Geschäfte liefen gut. In der Gegend von Shanghai besaß er ausgezeichnete Kontakte zu den chinesischen Seidenraupenzüchtern. Er teilte ihnen seine Wünsche mit, sie richteten sich danach, und über eine Genossenschaft wurde dann verkauft.
Beide Seiten zeigten sich zufrieden, und auch beide Seiten waren an einem Ausbau interessiert.
Wegen der guten Geschäfte nahm Ryan O’Casey auch gern die Fahrt über den Knüppeldamm in Kauf, ließ sich durchschütteln und kümmerte sich auch nicht um die Landschaft rechts und links des Damms.
Sie gehörte zu einer Gegend, die man als unheimlich bezeichnen konnte.
Flach wie ein Brett war sie. Dazu schimmerte sie braun wie ein aufgefurchter Acker. Hin und wieder schmatzte es, stiegen Blasen hoch, zerplatzten und entließen Gase, die fürchterlich stanken.
Ein Sumpf befand sich hier.
Aber ein Sumpf mit Toten!
Vor langer Zeit hatte die Pest in diesem Landstrich gewütet. Tausende waren gestorben. Viele hatte man verbrannt, einige auch kurzerhand in die Sümpfe geworfen, und die braune Erde hatte sie schmatzend verschlungen.
China, ein Land reich an Geschichten, hielt auch für die Gegend eine entsprechende Sage bereit. Man sagte, dass die Toten im Sumpf gar nicht tot waren, sondern in der unheimlichen Tiefe lauerten, um zurückzukehren, damit die Pest abermals über das Land und die Stadt Shanghai herfallen konnte.
Deshalb nannte man diese Gegend auch die Pesthügel von Shanghai.
Ryan O’Casey kannte die Geschichten, man hatte sie ihm oft genug erzählt.
Er hütete sich, bei seinen Gastgebern darüber zu lachen oder auch nur zu lächeln, denn er wusste, wie empfindlich die Chinesen reagierten, wenn ein Fremder ihre Sagen und Märchen ablehnte.
Ein paarmal schon hatte er sein Gesicht verzogen, wenn der Jeep über die Lücken im Damm gefahren war. Da hatte das Fahrzeug jedes Mal einen Schlag bekommen, der auch O’Casey durchschüttelte und seine Zähne aufeinanderprallen ließ.
Freiwillig hätte er den Weg nicht übernommen, aber sein Job ließ keine Alternative zu. Er musste zu den Leuten und die Geschäftsinteressen ankurbeln.
Über mehrere Meilen hinweg zog sich der Damm. In China, diesem gewaltigen Land, eine ziemlich kurze Distanz. O’Casey, als Europäer, würde sich wohl nie an die langen Wege gewöhnen können, und er konnte auch die Einheimischen nicht verstehen, die mit den Rädern über den Knüppeldamm fuhren.
Sonst waren ihm immer Menschen begegnet. Jetzt allerdings nicht. Und das wunderte ihn.
Leer wie ein schwarzes breites Band lag der Damm vor ihm, und er schien hineinzustoßen in die grauen Wolken mit den helleren gelben Streifen. Die Wolken mussten dort liegen, wo sich auch das Dorf befand. Es hatte einen so schwer auszusprechenden Namen, dass O’Casey ihn fast immer vergaß und erst in seinen Unterlagen nachschauen musste, wo er den Namen notiert hatte.
Er hoffte auf gute Geschäfte. Man hatte ihm Bescheid gegeben, dass er sich die neue Seide anschauen konnte. Wenn sie ihm gefiel, würde er einen Ballen zur Probe kommen lassen.
Die Luft gefiel ihm überhaupt nicht. Sonst wehte über dem Knüppeldamm ein steifer Wind, der jedoch schien heute eingeschlafen zu sein, denn Ryan spürte nur den Fahrtwind, der seine Haare aufwühlte und auch den Gestank aus dem Sumpf zu ihm in den offenen Wagen wehte.
Es war ein seltsamer Geruch. Widerlich zu nennen. Es roch zwar wie immer nach Fäulnis und Verwesung, aber dazwischen mischte sich ein anderer Gestank, der überhaupt nicht herpasste.
Ein paarmal schon hatte Ryan O’Casey seine Nase hochgezogen, denn der Gestank gefiel ihm überhaupt nicht. O’Casey hatte mal eine Beerdigung besucht, wo die Toten lange in der Sonne aufgebahrt waren, diese toten Leiber hatten ähnlich gerochen wie hier.
Pest!
Auf einmal fiel ihm der Begriff wieder ein. Rechts und links des Damms lagen die Pesttoten in der sumpfigen, braunen Erde. Vielleicht waren sie es, die so stanken, obwohl sie hier schon über 200 Jahre ruhten.
Aber hatten die Einheimischen nicht von den Pesttoten erzählt, die angeblich nicht tot sein sollten?
Ein kaltes Grinsen überzog das Gesicht des 37-jährigen Mannes mit den braunen Haaren, als er daran dachte. Lebende Tote, die gab es wohl nicht, höchstens in Horrorromanen und Gruselfilmen.
Der Gestank störte ihn.
Je weiter er fuhr, umso intensiver wurde er. Obwohl Ryan nicht daran glaubte, ließ er seine Blicke dennoch hin und wieder zu den Seiten schweifen und schaute rechts und links über die Pesthügel. Hügel wurden sie deshalb genannt, weil das Gelände ziemlich hoch lag, und der Knüppeldamm teilte es in zwei Regionen.
Die Dunkelheit nahm zu. Ryan glaubte, dass sich die düsteren Wolken immer mehr der Erde entgegensenken würden und die langen gelben Streifen auf den braunen Boden zu beiden Seiten des Damms tupften.
Er musste jetzt langsamer fahren. Der Bau des Dammes zwang ihn dazu, denn hier gab es Stellen, wo der Untergrund noch weniger in Ordnung war. Lücken zwischen den einzelnen Bohlen. Die Reifen mussten sich durchwühlen, und das schwere Profil schleuderte dabei braune Erde hoch.
Der Wagen bockte wie ein störrischer Esel. Hochgeschleudert wurde Ryan O’Casey von seinem Sitz. Er umklammerte das Lenkrad krampfhaft. Es sollte ihm auf keinen Fall durch die Stöße aus der Hand geschlagen werden.
Der Jeep wurde bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit strapaziert. Wieder einmal fluchte der Fahrer. Dies war der Augenblick, als er seinen Job verwünschte.
Dann sah er einen besonders tiefen Riss, der beim letzten Mal noch nicht dagewesen war. O’Casey, dem man eine gewisse Fahrroutine nicht absprechen konnte, kannte auch seine Grenzen und vor allen Dingen die des Wagens.
Da kam er nicht rüber.
Er fuhr langsamer und bremste stotternd. Dabei glitt sein Blick auch nach rechts über die Grenze des Knüppeldamms hinweg, und er glaubte zu sehen, dass die sonst ruhig daliegende Erde sich an einigen Stellen bewegte.
Ryan stoppte.
Seine Stirn hatte er in Furchen gelegt. Unter den Achseln war er schweißnass, die Khakikleidung klebte an seinem Körper, und mit der Zungenspitze fuhr er über die salzigen Lippen.
Da stimmte doch was nicht.
Da er stand, merkte er, wie windstill es eigentlich war. Zudem platzte dort, wo er die Bewegung im braunen zähen Schlamm gesehen hatte, eine gewaltige Blase, und der Pesthauch von Tod und Verwesung wurde genau auf ihn zugeweht.
Der Leichengestank war so penetrant, dass er sich die Nase zuhalten musste. Er atmete auch nicht durch den Mund, denn er hatte Angst, sich übergeben zu müssen.
Das ging nicht mit rechten Dingen zu.
Ryan O’Casey stieg aus. Jetzt wollte er genau wissen, was zu beiden Seiten des Damms vor sich ging, denn auch links von ihm bewegte sich der braune Sumpf.
An die alten Sagen und Legenden wollte er auf keinen Fall glauben. Er suchte und fand eine andere Erklärung für diese Bodenbewegungen. China war in den letzten Jahren von schweren Erdbeben geschüttelt worden. Vielleicht hatte es tief im Innern des Landes wieder ein solches Beben gegeben, sodass dessen Ausläufer sogar das Gebiet um Shanghai und damit den Sumpf erreichten.
Also hatte das Leben und Bewegen des Sumpfes eine natürliche Ursache, und seine Furcht verschwand allmählich. Sie machte einer gesunden Neugierde Platz.
O’Casey trat bis dicht an den Rand des Knüppeldamms und schaute nach unten.
In einer schiefen Ebene verlief der harte, getrocknete Lehm. Tausende von Händen hatten ihn festgeklopft. Der Damm, das wusste er, war durch Menschenhand errichtet worden, wie auch die gewaltige Chinesische Mauer, die sogar von Astronauten auf ihren Weltraumreisen erkannt worden war.
Hinter der Abstützung schwappte der Sumpf. Er bewegte sich, und es war ein träges Zittern, das durch ihn lief. Er lag nie ruhig da, irgendjemand schien von unten her gegen ihn zu drücken und das gesamte Gebiet in Wallung zu bringen.
Es war ein unheimliches Bild, das Zittern pflanzte sich fort. An der Art glaubte Ryan, dass es sich dabei tatsächlich um die auslaufenden Wellen eines Erdbebens handelte.
Und doch gab es da einige Ungereimtheiten. Er konnte sie gut beobachten, denn nicht weit von seinem Standort entfernt, stieg eine dicke Blase aus dem Boden.
Sie war durchsichtig, obwohl die Haut bräunlich schimmerte und sich auch in ihrem Innern Tropfen gebildet hatten, die der Erde entgegenliefen.
Ryan erkannte unter ihr einen Krater.
Das war seltsam. Wie konnte die Blase aus dem Krater gestiegen sein? Eine Antwort auf diese Frage gab er sich nicht mehr, denn die Blase reagierte.
Mit einem dumpfen »Plopp« zerplatzte sie.
Unwillkürlich zuckte der Engländer zurück, denn feine Tröpfchen wurden nach allen Seiten weggeschleudert, und sie verschonten auch sein Gesicht nicht.
Sie brannten auf seiner Haut, als wäre es eine Säure, und er wischte sie mit dem Handrücken ab.
Der Krater war geblieben.
Nicht sehr tief, Ryan konnte hineinschauen, und was er sah, ließ ihn an seinem Verstand zweifeln.
Aus der Tiefe des Kraters drang etwas an die Oberfläche, das in einen Albtraum gehörte, aber nicht in die Wirklichkeit.
Es war eine Hand!
*
Wirklich eine Hand?
Ryan stand wie angewurzelt auf der Stelle und stierte auf die gewaltige braune Klaue, die in ihrer Farbe eher den Ästen eines Baumstamms glich, von dem kleinere Zweige abzweigten, eben die Finger der Hand.
Knorrig und unbeweglich schob sie sich aus dem Boden. Die Nägel waren spitz, vielleicht lag es auch an den langen Fingern, über die der braune Schlamm aus der Tiefe in Richtung Arm rann.
Für Ryan O’Casey, den nüchtern denkenden Kaufmann, brach eine Welt zusammen. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet, plötzlich dachte er anders über die alten Legenden der lebenden Pesttoten, sie schienen doch zu stimmen, denn was er hier mit eigenen Augen sah, war der nackte kalte Horror und unbegreiflich für ihn.
Er schüttelte sich.
Seine Lippen formten Worte, die außer ihm keiner hörte. Schritt für Schritt wich er zurück. Der Blickwinkel veränderte sich, und er konnte die Hand nicht mehr sehen.
Dafür entdeckte er andere, die weiter von der Ersten entfernt aus dem Boden gestiegen waren.
Braune Klauen, manche mit einem grünlichen Schimmer versehen. Jedenfalls sah es in den seltsamen Strahlen der hinter der grauen Wand stehenden Sonne so aus.
Ryan O’Casey schlug die Hände vor sein Gesicht und taumelte rückwärts. Er achtete nicht so sehr, wohin er ging, stolperte mit der Hacke über aus dem Boden ragende Bohlen und fiel rücklings gegen seinen Jeep.
Diese Berührung schreckte ihn auf. Er schüttelte den Kopf, atmete hastig, drehte sich um und merkte plötzlich, wie der Wagen mit seiner Schnauze nach vorn sank.
Für einen Moment blieb der in Hongkong lebende Engländer stehen. Er musste selbst nicht, was das alles bedeutete, aber von allein kippte der Jeep bestimmt nicht nach vorn. Nein, daran musste jemand die Schuld tragen.
Wie auf rohen Eiern, so zittrig und vorsichtig schritt er an der rechten Seite seines Wagens vorbei, um dorthin zu gelangen, wo dieser seltsame Vorgang geschah.
Er wagte kaum hinzusehen, riss sich dann zusammen und schaute über die Kühlerhaube.
Seine Augen weiteten sich vor Schreck. Die Adern unter seiner dünnen Haut am Hals zuckten, denn aus der dunklen Erde zwischen den beiden Bohlen ragten zwei Hände.
Gewaltige, braune Klauen, die sich an dem Schutzgitter des Wagens festgeklammert hatten und das Fahrzeug in die Tiefe zerren wollten. Aber das war nicht alles.
Ryan sah Schultern und einen Kopf!
Es war ein widerlicher Schädel, ein grausames Etwas, das zwischen den beiden Schultern aufragte. Braun in der Farbe, eingetrocknet, die Proportionen verschoben, das Zerrbild eines normalen Gesichts, aber mit Augen, die seltsam grün leuchteten.
Mörderisch grün.
Das war es, was ihn zusätzlich erschreckte. In diesen Augen lag überhaupt kein Gefühl, und die aus dem braunen Schlamm ragenden, gierigen Klauen dachten nicht im Traum daran, das Schutzgitter des Jeeps loszulassen, im Gegenteil, sie wollten den gesamten Jeep in die unheimliche Tiefe zerren und ihn kurzerhand verschlingen.
Es dauerte seine Zeit, bis Ryan O’Casey begriff, in welch einer Gefahr er schwebte, aber er reagierte genau richtig und sagte sich, dass es für ihn, wollte er dem Unheil entkommen, nur eine Möglichkeit gab, nämlich die Flucht.
Noch war es dem aus dem Sumpf steigenden Untier nicht gelungen, den Jeep völlig in die braune Tiefe zu zerren. Und dieses Wesen sollte es auch nicht schaffen, dafür wollte Ryan sorgen.
Er musste nur sein Entsetzen abschütteln, durfte einfach nicht mehr daran denken, in welch einer Gefahr er schwebte. Er achtete auch nicht auf die Umgebung, als er zu seinem Jeep hastete und sich hinter das Lenkrad warf.
Der braune Sumpf lebte jetzt.
Überall krochen die schrecklichen Gestalten aus der Erde. Lebende, grausame Monstren, Untote, Geschöpfe der Finsternis, schrecklich anzusehen und programmiert auf Mord.
Der braune Sumpf lebte.
Die grauen Wolken waren jetzt so tief gesunken, dass sie den Boden fast berührten. Sie schienen eine Kraft auszuströmen, die das in der Erde lauernde Unheil weckte.
Das Grauen kam.
Was die Jahrhunderte im Boden geschlummert hatte, war nicht mehr aufzuhalten.
Der Atem des Mannes ging hektisch. Seine Augen zeigten einen starren Ausdruck. Er spürte, wie sein Wagen schwankte, wie er immer mehr nach vorn gezogen wurde, und für ihn wurde es höchste Eisenbahn. Der Zündschlüssel steckte noch. Eine halbe Umdrehung reichte, und der Motor sprang an.
Er lief zwar unruhig, sogar stotternd, und der Mann musste sich ungemein zusammenreißen, um nicht die Nerven vollends zu verlieren. Der Rückwärtsgang klemmte ein wenig. Er schimpfte auf den Wagen und auf China, denn er hatte sich ihn in Shanghai geliehen, und in diesem Land an ein Auto zu kommen, glich schon einem kleinen Wunder. Normalerweise hätte das Fahrzeug längst überholt werden müssen, das jedoch war vorerst noch ein Ding der Unmöglichkeit.
Nach dem dritten Versuch hatte er es endlich geschafft. Der Gang war drin.
Dann zurück.
Da drehten die Reifen durch, denn vorn hing noch immer die verdammte Moorbestie aus dem Pesthügel, und die hatte Kraft.
Auf dem Gesicht des Mannes sammelten sich die Schweißperlen. Er fluchte auf das Land, auf seinen Wagen, keuchte und gab Gas. Die Räder wollten nicht so schnell packen, Dreck spritzte hoch. Zu beiden Seiten des Wagen flogen die Stücke weg, vorn wippte der Jeep und wurde von dem Gewicht des Monstrums immer hart auf die Achse geschlagen.
Es war ein verbissener Kampf, den der Mann führte. Ein Kampf ums nackte Überleben, den er einfach gewinnen musste.
Sekunden wurden für ihn zu kleinen Ewigkeiten. Auf dem alten Knüppeldamm kämpfte er um sein Leben, während ihn die unsichtbaren Wolken eines bestialischen Leichengeruchs umwehten.
Die Pesttoten wollten ihr Opfer.
Plötzlich ein gewaltiger Ruck.
Er war frei!
Fast hätte Ryan O’Casey aufgejubelt. Er starrte durch die Scheibe und sah die bis zur Körpermitte aus dem Sumpf unter den Bohlen hervorgebrochene Bestie, wie sie die braunen Arme ausgestreckt hatte und mit den Nägeln der spitzen Finger das Holz aufkratzte. Die Augen glühten in diesem unheimlichen Grün, innerhalb des Kopfes existierte sogar ein Mund, ein dunkles Loch, aus dem eine widerliche, faulige Geruchswolke strömte.
Der Ruck oder das plötzliche Freikommen hatte auch seine Nachteile, die Ryan O’Casey sehr schnell zu spüren bekam. Er wurde schräg nach hinten katapultiert, geriet auf den Bohlen ins Rutschen und kam mit beiden Hinterrädern über die Abgrenzung.
Er spürte noch den Schlag, dann kippte der Wagen zurück.
Vor Angst, Enttäuschung und Wut schrie Ryan O’Casey auf. Er klammerte sich an das Lenkrad, als wäre es seine letzte Rettung. Das jedoch konnte ihm auch nicht mehr helfen, ebenso wenig wie der Wagen. Wenn er den Bestien entkommen wollte, dann nicht mehr mit dem Fahrzeug, sondern zu Fuß.
Das erkannte er trotz der Panik, die ihn beherrschte. Und ein Monstrum, es war das, das schon seinen Wagen vorn festgehalten hatte, kletterte jetzt aus dem Raum zwischen den Bohlen und richtete sich langsam auf.
Eine grauenhafte Horrorgestalt. Zum ersten Mal sah sie der Mann in Lebensgröße, und er erschrak heftig, denn das Monstrum war so groß wie er, nur breiter in den Schultern.
Das Moor- oder Sumpfwasser rann noch an der Gestalt nach unten und hinterließ eine glänzende Spur.
Etwa behäbig, aber dennoch zielstrebig setzte sich das braune Untier in Bewegung, die grünen Augen dabei starr auf den Jeep und den Fahrer fixiert.
Bevor Ryan O’Casey ausstieg, fiel sein Blick zufällig so in den Innenspiegel, dass er sein Gesicht sehen konnte.
Zum zweiten Mal erschrak er.
Ryan sah aus wie ein Aussätziger!
Die gesamte Haut war über und über mit Pusteln bedeckt, die an den Spitzen gelblich schimmerten und an winzige Eiterbeulen erinnerten. Es gab keinen Flecken seiner Haut, der nicht von diesem grässlichen Ausschlag in Mitleidenschaft genommen war, und Ryan O’Casey erschrak bis ins Mark. Angst und Panik stahlen sich in seinen Blick. Das Wissen, ein Verlorener zu sein, machte ihn fast wahnsinnig.
Trotzdem dachte er daran, wie die Blase geplatzt war und ihn übersprühte.
Die Folgen sah er in seinem Gesicht.
Pest!
Verdammt, das musste die Pest sein! Als ihm dieses in den Sinn kam, begann er zu schreien. Und er schrie so laut, dass es weit über den Damm hallte, doch da war niemand, der ihn hörte. Die Schreie verklangen und verebbten schließlich.
Das Monstrum, das an seinem Jeep gezerrt hatte, tauchte wie ein Stück lebender Baumstamm vor dem Fahrzeug auf. Den rechten, armähnlichen Gegenstand hatte es erhoben, die meisten Sumpfrückstände waren an seiner Gestalt abgelaufen und bildeten dicke Klumpen auf den Holzbohlen des Knüppeldamms.
Der Mann im Jeep konnte ein wenig von der eigentlichen Gestalt des Wesens erkennen. Unter dem Schlamm befand sich eine etwas dunkle Haut, ebenfalls übersät mit den Beulen und Geschwüren, die er auch in seinem Gesicht entdeckt hatte.
Nur waren sie bei dem Monstrum größer. Fast wie Geldstücke …
Der Tod griff nach Ryan O’Casey.
Die Faust schien heranzufliegen. Der eine Schlag reichte, um die Frontscheibe des Jeeps zu zerstören. Die Splitter bildeten einen gläsernen Regen, denn die Scheibe bestand nicht aus Kunststoff wie bei manchen dieser Geländewagen.
Unwillkürlich duckte sich O’Casey und bekam aus diesem Grunde nicht mit, wie sich der lebende Tote an der linken Seite des Fahrzeugs vorbeibewegte und schon die Tür erreicht hatte.
Seine Klaue fand zielsicher den Griff.
Mit einem gewaltigen Ruck riss er die Tür auf, wuchtete sie nach außen und hatte nun freie Bahn.
Genau in dem Augenblick, als Ryan wieder hochkam, schnappte das Monstrum zu.
Ein Griff hart wie Stahl.
Es erwischte den in Hongkong lebenden Engländer im Nacken. Er schrie noch voller Verzweiflung, versuchte sich auch gegen den Griff zu stemmen, doch seine Bemühungen blieben erfolglos. Er besaß nicht die Kraft, um gegen dieses Wesen anzukommen.
Es schleuderte ihn in die Höhe.
Mit dem Kopf stieß O’Casey gegen die Dachkante. Er spürte einen schneidenden Schmerz, der seine Schädeldecke wegreißen wollte, dann fiel er aus dem Wagen und wurde auf die harten Planken geschleudert, wo er sich von der Wucht des Treffers überschlug und so liegen blieb, dass seine Beine über die Abgrenzung des Knüppeldamms hinweghingen und er seine Fußspitzen gegen den harten Lehm drückte.
Ryan O’Casey war so matt und erschöpft, dass er nicht mehr hochkonnte. Sein Gegner ließ es zudem nicht zu, er wollte den Tod des Mannes und ihn zu einem der schrecklichen Wesen machen.
Nur schemenhaft nahm der Engländer wahr, was um ihn herum vorging. Die Schatten waren stärker als das Licht. Es fiel ihm schwer, etwas zu begreifen, doch er erfasste genau, dass sich sein Feind neben ihm aufhielt und als Schatten über ihn fiel, ein Zeichen, dass er sich gebückt hatte.
Wieder packte er zu.
Diesmal waren es zwei Klauen, die ihr Ziel fanden. Rechts und links an der Hüfte spürte Ryan die Hände. Gnadenlose Finger drückten in das Fleisch und pressten es zusammen, da sie durch die Kleidung drangen.
Und dann schwebte Ryan!
Das Monstrum hatte es tatsächlich geschafft, ihn in die Höhe zu bekommen. Plötzlich sah er den Knüppeldamm nur aus einer gewissen Distanz, er schwebte darüber, die Angst um sein Leben ließ das Herz fast zerspringen, und im nächsten Moment fühlte er sich leicht und frei wie ein Vogel.
Er flog!
Unbewusst schlug er mit den Armen um sich. Dreimal schaffte er diese Bewegungen, bevor er hart aufklatschte.
Die braune Erde, die er auf seiner Fahrt immer wieder gesehen hatte und zum Pesthügel gehörte, wurde auch ihm zum Verhängnis. Es waren immer Warnungen ausgesprochen worden, über den Knüppeldamm zu fahren. Jetzt wusste der Mann, aus welchem Grund.
Die Erde war wie zäher Teer.
Und sie griff zu. Aber nicht nur sie saugte und zerrte an ihm, da waren auch die schrecklichen, aus dem Sumpf wachsenden Klauen, die nun ein Ziel gefunden hatten.
Erbarmungslos waren die Griffe der Hände.
Einer legte sich über den Mund des Mannes. Er erstickte sein Schreien. Eine zweite Klaue presste sich gegen seine Schulter, und Ryan O’Casey hatte nicht die Spur einer Chance.
Der unheimliche Sumpf verschlang ihn.
Bevor er endgültig verschwand, da beugten sich die braunen Klauen vor und halfen nach.
Sein Kopf wurde zuletzt unter die Masse gedrückt, und das Röcheln des Mannes verstummte.
Der Pestsumpf schloss sich über ihm.
Das Monstrum, das ihn aus dem Wagen geholt hatte, war an der Abgrenzung stehen geblieben. Es schaute so lange zu, bis sein Opfer verschwunden war. Dann erwachte es zu einer weiteren Tätigkeit. Es drehte sich um und trat an das Heck des Jeeps. Beide Arme streckte es vor, stemmte die Beine in den Boden und drückte gegen den Wagen.
Er begann zu rollen.
Hart stieß das Vorderteil nach der Schräge in den Sumpf. Es gab ein klatschendes Geräusch, der Jeep schien sich zu schütteln, dann griff die zähe Masse zu.
Ob Fahrzeug ob Mensch, dem Sumpf entkam niemand. Da war er gnadenlos, die Pesthügel schluckten alles.
Sie schienen aus Tausenden von zähen Händen zu bestehen, machten nirgendwo einen Unterschied, und es dauerte nicht lange, bis der Jeep verschwunden war.
Nichts, aber gar nichts wies darauf hin, welch ein Drama sich vor Kurzem hier noch abgespielt hatte.
Und als auch die aus dem Sumpf ragenden Hände allmählich in die Tiefe sanken, war alles klar. Zuletzt sprang noch das Sumpfmonster in die zähe Masse.
Es versank.
Der Sumpf schloss sich wieder, während in der Ferne, wo die grauen Wolken lagen, erste Blitze den Himmel aufrissen und wie Zickzack-Speere in den Boden fuhren.
Die Menschen im Dorf warteten vergeblich auf den Weißen. Da er auch am nächsten Tag nicht kam, wurde eine Abordnung losgeschickt, die den Knüppeldamm abschritt.
Nur einem Zufall war es zu verdanken, dass man etwas fand. Es war ein abgebrochener Fingernagel, der auf einer Bohle klebte. Daneben sahen sie die schwarzen Streifen, die nur von Autoreifen stammen konnten.
Die Spuren reichten. Jeder wusste genau, dass die Pesthügel von Shanghai wieder ein Opfer gefunden hatten …
*
Es gab drei Dinge, die mir zu allem anderen Kram seit kurzer Zeit Kopfschmerzen bereiteten.
Bella Benson, der Dunkle Gral und die beiden Grauen!
Diese Dinge in eine Reihe zu bringen, war nicht einfach. Ich kam mir vor wie jemand, der zum ersten Mal vor einem Rätsel sitzt und nicht weiterkann.
Bella Benson lebte nicht mehr. Sie war eine Blutsaugerin gewesen, aber ein äuβerst seltenes Exemplar, eine Vampir-Druidin. Als sie sich auflöste, schien ihr grünes Blut in zahlreiche Staubkörnchen zu zerfallen, die sich für einen Moment noch in der Luft hielten und plötzlich weg waren. Sie war nicht von mir getötet worden, sondern von den beiden Grauen, den Hütern des Dunklen Grals.1
Diese Wesen waren in mein Leben getreten und spielten eine äußerst geheimnisvolle Rolle. Ich hatte sie gefragt, doch keine Antwort bekommen. Wenigstens keine, die mich zufriedenstellte. Dennoch wusste ich, dass der Dunkle Gral irgendetwas mit einer gewaltigen Druidenmagie zu tun hatte, auf die auch mein Kreuz seltsam reagierte.
Mehr war nicht drin.
Erfolgsverwöhnt war ich nicht, das einmal vorweggenommen. Wir hatten zwar Siege über die Mächte der Finsternis errungen, aber auch Niederlagen, die uns zu schaffen machten, und nun kam das Geheimnis des Dunklen Grals noch hinzu, und das drückte auf meine Stimmung, ebenso wie das triste Novemberwetter, das sich über der Riesenstadt London ausgebreitet hatte.
Ein grauer, trauriger Himmel, aus dem der Regen fiel. Ein Autofahrer musste den gesamten Tag über mit eingeschalteten Scheinwerfern fahren, es wollte einfach nicht richtig hell werden.
Dementsprechend gestaltete sich auch die Stimmung der Menschen. Kinder und Erwachsene waren mürrisch. Jeder dachte an den langen Winter, und auch ich hatte nicht die richtige Lust.
Zudem ärgerte mich mein Freund und Kollege Suko noch. Er machte mir Vorwürfe, dass ich ihm keinen Bescheid gegeben hatte, denn den letzten Fall hatten Sheila, Bill und ich allein durchgezogen.
»Was hättest du denn machen können?« , fragte ich ihn und breitete die Arme aus. »Nichts …«
»Doch.«
»Dann mal raus mit der Sprache, großer Meister.«
»Ich hätte zumindest die Zeit anhalten können, um zu sehen, was wir da vor uns hatten. Diese beiden Grauen sind doch so rätselhaft wie die Entstehung der Welt. Man kommt nicht hinter ihr Geheimnis …«
»Noch sind sie mir nur einmal begegnet«, warf ich ein.
»Trotzdem.«
Ich winkte ab. »Du hättest auch nichts gemacht. Gar nichts«, entgegnete ich unwirsch. »Hau doch nicht so auf den Putz, Mann!«
»Ich kann deinen Ärger verstehen, aber denk mal logisch.«
»Das tue ich auch«, erwiderte ich und schob meinen Schreibtischstuhl zurück. »Ich verlasse nämlich dieses Büro und gehe in die Kantine.«
»Guten Hunger«, grinste der Inspektor.
Ich erwiderte nichts, sondern riss die Tür zum Vorzimmer auf und wäre fast mit Sir James zusammengeprallt. Er stand dort in Hut und Mantel, schaute mich scharf an und fragte: »Ist Ihnen eine Laus über die Leber gelaufen, John?«
»Nein, ein Druide.«
»Die alte Geschichte?«
»So alt ist sie noch nicht, Sir.«
»Aber Sie kommen nicht weiter.«
»Das ist es, Sir.«
»Lassen Sie nicht zu viel zusammenkommen«, sagte Sir James und trampelte auch noch auf meinen Nerven herum.
Ich ließ den Alten einfach stehen, bedachte Glenda Perkins auch mit keinem Blick und verließ das Vorzimmer. Auf der Türschwelle hörte ich noch, wie Sir James sagte: »Ich bin beim Innenminister. Der monatliche Rapport.«
Sollte er ihn abgeben, das war mir egal. Ich wollte mit meinem Ärger und der Wut allein sein.
In der Kantine, die Mittagszeit war längst vorbei, saß kaum jemand. Die Kollegen, die sich dort aufhielten und Kaffee schlürften, kannte ich nur vom Ansehen und nicht persönlich.
Ich allerdings trank keinen Kaffee, sondern Mineralwasser. Dabei setzte ich mich in die äußerste Ecke des Raumes und dachte nach. Noch einmal wälzte ich alle Probleme von einer Seite auf die andere, doch zu einem Ergebnis gelangte ich nicht.
Allmählich verrauchte auch mein Zorn. Ich sah ein, dass ich mich Suko gegenüber dumm benommen hatte, er konnte nichts dafür, aber es war nichts zu ändern.
Bill Conolly hatte mir versprochen, ebenfalls in Richtung Druidenzauber seine Fühler auszustrecken. Vielleicht hatte er mehr Erfolg als ich. So entschloss ich mich, ihn anzurufen.
In der Kantine gab es natürlich ein Telefon. Bill aber war nicht zu Hause. Sein Sohn Johnny kam an den Apparat. Als ich die Stimme des Kleinen hörte, besserte sich meine Laune. Er freute sich, seinen Onkel sprechen zu hören und plapperte so lange, bis Sheila ihm den Hörer aus der Hand nahm.
»Ich bin es. Hey, Sheila.«
»John, wie geht es dir?«
»Man schlägt sich so durch.«
»Also nicht besonders.«
»Nach dem letzten Fall bestimmt nicht.«
Sheila atmete tief durch. »Da sagst du etwas. Ich habe selten so eine Todesangst ausgestanden. Noch einmal möchte ich das nicht erleben. Bill und du, ihr hättet nichts machen können. Wenn die Grauen nicht gewesen wären …«
»Und um die geht es«, unterbrach ich die Frau meines Freundes.
Sheila, die von meinem Problemen wusste, fragte schnell: »Hast du eine Spur, John?«
»Leider nicht. Deshalb wollte ich ja mit Bill sprechen und ihn fragen, ob er etwas gefunden hat?«
»Bill ist nicht da.«
»Wann kommt er denn wieder?«
»Kann ich dir nicht sagen. Aber soviel ich weiß, tappt auch er im dunkeln.«
Das hatte ich mir schon gedacht. »Sag ihm bitte, er möchte mich anrufen, wenn er etwas gefunden hat.«
»Werde ich machen, John. Grüß dich.«
Das Gespräch war beendet. Ich legte den Hörer auf und sah gleichzeitig, dass frische Fisch-Sandwiches eintrafen. Ich verspürte plötzlich Hunger und kaufte so ein Brötchen.
Kauend begab ich mich zu einem Tisch und dachte weiter nach. Wie ich es auch drehte und wendete, zu einem Ergebnis kam ich nicht. Der Fall war und blieb rätselhaft.
An diesem Tag hatte ich überhaupt keine Lust, im Yard-Gebäude zu bleiben. Deshalb beschloss ich, nach Hause zu fahren. Ein schlechtes Gewissen brauchte ich nicht zu haben, denn so viel Urlaub oder freie Tage wie mir zustand, konnte Scotland Yard kaum bezahlen.
Ich sprach auch noch mit Suko. Er zeigte sich ziemlich reserviert und wollte im Büro bleiben.
Ich zahlte, verließ die Kantine und fuhr vom Parkplatz, um mich in den Londoner Verkehr zu stürzen.
Es war jedes Mal das Gleiche. An diesem Tag war es besonders schlimm, denn der Nieselregen feuchtete auch die auf den Fahrbahnen liegenden Blätter an und machte so die Asphaltdecke an gewissen Stellen zu einer wahren Rutschbahn.
Natürlich geriet ich in Staus. Auch die Musik aus dem Radio konnte mich nicht aufheitern. Meine Gedanken drehten sich nur um den letzten Fall. Mir fiel Sarah Goldwyn, die Horror-Oma, ein. Sie besaß ja ein immenses Wissen, wenn es um Dinge ging, die sich mit Schwarzer Magie und ähnlichem beschäftigten.
Vielleicht wusste sie über den gefährlichen Druidenzauber Bescheid. Zudem besaß sie ein umfangreiches Archiv, eine regelrechte Horror-Bibliothek. Dort gab es sicherlich Informationen über den Fall, an dem ich so zu knacken hatte.
Am nächsten Ampelstopp setzte ich mein Vorhaben in die Tat um und rief vom Wagen aus die Horror-Oma an.
Nicht sie meldete sich, sondern eine Nachbarin, die dabei war, Mrs. Goldwyns Blumen zu begießen. Von der Frau erfuhr ich, dass die Horror-Oma Urlaub machte.
»Und wo?«, fragte ich.
»Sie wollte nach Paris. Eine kombinierte Schiffs- und Busreise.«
Pech auf der ganzen Linie. Ich bedankte mich für die Auskünfte und konnte wieder anfahren.
Eine Viertelstunde später stieg ich in der Tiefgarage aus. Mit zwei Männern fuhr ich im Fahrstuhl nach oben und ging in meine Wohnung. Dort haute ich mich in den Sessel und stellte die Flimmerkiste an. Es kamen Nachrichten. Wenn man sie hörte, konnte man auch trübsinnig werden, und plötzlich kamen mir meine Probleme überhaupt nicht mehr so schlimm vor.
Was alles in der Welt geschah, war noch grausamer, denn das wurde offen ausgetragen, während wir mehr im Geheimen kämpften. Ich sah auch ein, dass ich mich Suko gegenüber falsch benommen hatte und entschloss mich, zu ihm zu gehen und die Sachlage mit ein paar entschuldigenden Worten wieder ins rechte Lot zu bringen.
Allerdings wartete ich noch über eine Stunde, räumte selbst ein wenig auf und machte in Beschäftigungstherapie, denn das musste auch mal sein. Zudem sah die Wohnung nach meinem Aufräumen immer noch nicht so aus, als hätte eine Frau Hand angelegt.
Anschließend ging ich rüber, schellte und wartete ab.
Ich hörte Schritte, Suko kam.
Er sah mich, und in seinen Augen blitzte es auf. Ich glaubte, dass er noch sauer war und ging einfach an ihm vorbei. »Du, entschuldige, aber ich habe mich vorhin …«
»John, bitte geh!«
So hatte Suko noch nie mit mir gesprochen. Sollte er so sauer auf mich sein? Hatte ich ihn mit meinen Worten zutiefst beleidigt? »Hör mal zu, Suko, ich weiß selbst, dass ich …«
»John, verlasse die Wohnung!« Der Chinese zischte die Worte. In seinen Augen sah ich einen Ausdruck, der feindlich und warnend zur gleichen Zeit war.
Was hatte er nur?
Nein, ich war stur. Es durfte keine großen Unstimmigkeiten zwischen uns geben. Was gewesen war, musste aus dem Weg geräumt werden, das gab ich meinem Freund insofern zu verstehen, indem ich den Weg in den Wohnraum einschlug.
Suko blieb hinter mir.
Die Tür stand halb offen. Eigentlich wunderte ich mich darüber, dass Shao nicht erschienen war, machte mir allerdings keine weiteren Gedanken und drückte die Tür auf.
Zwei Schritte ließ man mich gehen, dann sah ich die Bescherung.
Wie angewurzelt hockte Shao in einem Sessel. Und neben ihr stand ein Mensch, der ihr die Mündung einer Pistole gegen die Stirn drückte. Das war schon schlimm genug. Was noch hinzukam, war Sukos Stab. Er schaute aus der Seitentasche des Mannes, der Shao die Waffe gegen den Kopf presste und war für Suko unerreichbar …
*
Das alles nahm ich in wenigen Sekunden auf, und jetzt verstand ich auch Sukos harte Reaktion mir gegenüber. Er hatte mich aus der Wohnung haben wollen. Dies aus gutem Grund.
Es war zu spät. Auch für mich hatte sich die Falle geschlossen. Ich war ahnungslos hineingetappt.
Tief holte ich Luft. Etwas zu unternehmen, wäre Wahnsinn gewesen, denn der Mann brauchte nur den Finger zu krümmen, wenn sich einer von uns falsch bewegte, und Shao würde es nicht mehr geben. Zur Demonstration meiner friedlichen Absichten hob ich beide Hände und spürte gleichzeitig einen mir bekannten Druck im Rücken.
Es war der eines Schießeisens.
Der zweite Mann hatte hinter der Tür gelauert. Ich sah auch noch einen dritten Kerl, der sich von der Wand abstieß. Auch er war bewaffnet und lächelte kalt.
Der Kerl aber, der hinter mir stand, trieb mich ins Zimmer hinein und sagte in einem sehr höflichen Tonfall und in korrektem Englisch: »Ich bin froh darüber, dass wir Sie nicht zu holen brauchten, Mr. Sinclair. Sie ersparen uns da einiges an Mühen.«
Europäer hatte ich nicht vor mir, sondern Chinesen. Ja, die drei Männer gehörten zu Sukos Rasse. Sie machten einen nahezu unauffälligen Eindruck, trugen graue Anzüge, weiße Hemden und irgendwie triste Krawatten. Sie schienen sich sehr überlegen zu fühlen, denn sie lächelten über ihren großen Sieg.
Und einen Sieg, den hatten sie errungen. Ich war überrascht worden und Suko ebenfalls, wie es aussah.
Shao rührte sich nicht. Sie war nur bleich geworden. Die Arme lagen auf den Sessellehnen, die Finger hatten sich um die Griffe verkrallt. Es bewegten sich nur ihre Augen.
Was wollten die Typen?
Ich musste an den Fall des Höllenboten denken, der mich nach China geführt hatte. Diese Sache spielte sich damals auf zwei Ebenen ab. Suko musste Shao befreien, die man als Druckmittel hier in London gegen ihn und mich eingesetzt hatte, während ich mich um Yuisan, den Höllenboten, kümmerte.2
Doch irgendetwas war hier anders. Diese Männer gehörten meiner Ansicht nach nicht zu der damaligen Londoner Clique, die waren verschieden, auch vom Benehmen und vom Typ her.
»Bitte stellen Sie sich neben das Fenster, Mr. Sinclair«, wurde ich höflich gebeten.
Wenn man mich so aufforderte, kam ich dem Befehl gern nach und baute mich dort auf. Nun konnte ich Shao direkt ins Gesicht sehen und entdeckte auch die winzigen Schweißperlen auf ihrer Stirn. Die Situation stresste sie sehr.
Suko betrat den Wohnraum. Kalkig war er im Gesicht. Er hatte die Hände geballt. Die auf ihn gerichtete Mündung der Waffe interessierte ihn nicht, er hatte nur Augen für Shao und suchte krampfhaft nach einer Möglichkeit, um die Situation zu wenden.
Aber wer im Kreuzfeuer dreier Waffen steht, der denkt anders darüber. Aus diesem Grunde verhielt auch ich mich sehr ruhig und blieb mit erhobenen Händen stehen.
Der dritte Mann hinter Suko schloss die Tür. Als sie ins Schloss fiel, kam es mir wie das Zuschnappen einer Falle vor. Kaum jemand hatte bisher gesprochen, aber ich wollte wissen, was das alles zu bedeuten hatte. Deshalb fragte ich: »Weshalb sind Sie in diese Wohnung eingedrungen? Was wollen Sie von uns?«
Der Kerl, der mich erwartet hatte und aussah wie ein chinesischer Student, runzelte die Stirn. Er schien der Chef der Bande zu sein. »Es tut mir leid, dass wir zu solchen Maßnahmen greifen mussten, aber wir sahen keine andere Möglichkeit.«
»Für was?«
»Das werden Sie noch merken.«
»Lassen Sie wenigstens die Frau frei. Danach können wir verhandeln.«
Der Mann lächelte. »Ich würde es gern, Mr. Sinclair, aber ich bin mir Ihrer nicht sicher. Es steht zu viel auf dem Spiel. Sie und Ihr Freund, unser Landsmann Suko, sind sehr bedeutende Männer …«
»Ich zähle mich nicht als Landsmann von euch!«, zischte der Inspektor.
»Das kann ich verstehen. Wenigstens im Moment, Suko. Aber du wirst sehen, dass sich die Zeiten auch ändern können. Wirklich, du solltest jetzt nicht nach deinen verständlichen Gefühlen handeln. Wir sind am Drücker, und es würde uns nichts ausmachen, auch zu töten, wenn wir unsere Aufgabe gefährdet sehen.«
Diese so leicht dahingesprochenen Worte trafen mich hart unter die Gürtellinie. Wen hatten wir da vor uns? Gangster aus dem Londoner Chinesenviertel oder Abgesandte eines Geheimbundes?
Nein, das alles war mir zu einfach. Zudem zählten diese Typen auch nicht zu dieser Kategorie. Mir war ein völlig anderer Verdacht gekommen. Die beiden konnten dem chinesischen Geheimdienst angehören.
Wahnwitzig im ersten Augenblick, doch wenn ich genauer darüber nachdachte, war der Verdacht nicht so leicht von der Hand zu weisen. Agenten aus Rotchina. Verdammt, das hatte mir noch gefehlt. Bisher hatten wir nichts damit zu tun gehabt, nun aber waren wir voll in den Kreislauf hineingeraten.
»Noch einmal«, sagte ich. »Was wollen Sie von uns? Sie wissen genau, dass Sie sich strafbar gemacht haben, und dies in einem Gastland …«
»In Anbetracht der Dinge spielt dieser kleine Einbruch keine Rolle«, erklärte mir der Anführer.
»Und welche Dinge sind das?«, hakte ich sofort nach.
»Das werden Sie alles später erfahren.«
»Sie meinen also, dass wir mit Gangstern paktieren?«, mischte sich Suko ein.
»Es wird dir und deinem Freund nichts anderes übrig bleiben. Wir haben uns einmal entschlossen und führen unser Vorhaben auch durch. Ich gebe zu, auf etwas unkonventionelle Art und Weise. Bitte rühren Sie sich jetzt nicht von der Stelle.«
Das hatten wir sowieso nicht vor. Nein, diese Typen blufften nicht. Um eine sehr große Sache musste es gehen, wenn sie zu diesen Mitteln griffen.
Ob es vielleicht doch irgendwie mit Yuisan, dem Höllenboten, zusammenhing? Möglich war alles, und ich ließ einen der Eindringlinge nicht aus den Augen, als er sich seitlich meinem Freund Suko zuwandte. Die Schritte des Mannes waren kaum zu hören. Er ging sehr leicht, zudem verschluckte der Teppich die Geräusche.
Einen Schritt neben Suko blieb er stehen. In der rechten Hand hielt er die Pistole, die linke hatte er in die Jackentasche gesteckt. Blitzschnell zog er sie hervor. Ich sah etwas zwischen seinen Fingern blitzen, dachte an eine Nadel, und schon war die Sache vorbei. Der Mann hatte sofort zugestochen und Suko am Hals getroffen.
Mein Freund zuckte zusammen. Er sackte leicht in die Knie, blies pfeifend den Atem aus, und ich vernahm Shaos leisen Schrei.
Dann änderte sich Sukos Gesichtsausdruck. Er wurde freundlich, ein Lächeln glitt über seine Züge, und er nickte dem Mann mit der Pistole sogar noch zu.
Verdammt noch mal. Welch ein Teufelszeug hatten ihm diese Brüder gespritzt? Mein Freund war nicht mehr Herr über sich selbst, diese Droge hatte ihn zu einem willenlosen Werkzeug gemacht. Und er befand sich in den Händen dieser Männer, die ihn nun dirigieren konnten, ohne dass Suko sich wehrte.
Dies war schlimm.
Ich atmete ein paar Mal durch, denn ich wusste, dass auch mir das gleiche Schicksal bevorstand.
Der Mann, der sich mit Suko beschäftigt hatte, kümmerte sich nicht mehr um ihn. Jetzt nahm er mich aufs Korn, lächelte dabei und kam auf mich zu, während er mir fest ins Gesicht schaute.
Konnte ich etwas tun?
Nein, ich stand im Kreuzfeuer der Waffen und starrte in die verdammte Mündung. Hinzu kam Shao, der weiterhin die Mündung gegen den Kopf gepresst wurde.
Mein Magen verkrampfte sich. Ich suchte nach einem Ausweg, doch die andere Seite hielt alle Vorteile in ihren Händen. Sie würden eiskalt sein und mich ebenfalls zu einem willenlosen Bündel machen.
Der Kerl hatte die Spritzen ausgewechselt. Er trug eine frische in der Hand. Die Nadel schaute aus seinen Fingern, und sie kam mir vor wie ein Dolch.
»Es tut wirklich nicht weh«, erklärte er und behielt sein Lächeln bei.
Unwillkürlich zuckte ich zurück, als seine Hand plötzlich vorschnellte.
Ich entkam ihm nicht. Er war noch raffinierter, als ich angenommen hatte. Sein Lächeln behielt er bei, als er nicht zustach, sondern die Nadel wie ein Messer schleuderte.
Und sie traf mich.
Nicht mehr als beim Stich einer Mücke verspürte ich am Hals, aber das reichte.
Zuerst wurden meine Knie weich. Dann entstand ein Brausen in meinem Kopf, das innerhalb einer Sekunde den gesamten Körper erfasste und mich zu einem willenlosen Bündel machte.
Wachs in den Händen des vor mir stehenden Mannes. Ich sah zwar noch alles sehr deutlich, die Konturen verschwammen nicht einmal, aber ich besaß keinen freien Willen mehr.
Ich sah sogar, dass der Mann seine Pistole wegsteckte, als er vor mir stehen blieb. Sein Gesicht war seltsam breit geworden, er hatte sich verändert, doch es konnte auch mein Blickwinkel sein, der nicht mehr stimmte.
»Mr. Sinclair«, sprach er, »Sie haben gesehen, dass wir es gut mit Ihnen meinen. Ich wäre sehr dafür, dass Sie und Ihr Freund uns jetzt folgen, denn wir haben eine lange Reise vor uns und dürfen keine Zeit verlieren. Verstehen Sie?«
»Natürlich«, hörte ich mich sagen.
»Bitte, dann kommen Sie!«
Ich löste mich von der Wand. Da der Chinese auch zur Seite getreten war, besaß ich einen freien Blick auf Shao.
Sie hockte im Sessel – als einzige von uns war sie noch normal – und starrte mich an.
Ich nahm sie bewusst überhaupt nicht wahr. Sie war für mich ein völliges Neutrum. Es war mir auch egal, als der Mann, der sie mit der Waffe bedrohte, eine Spritze hervorholte. Es war allerdings eine andere als die, mit der wir betäubt worden waren.
Shao bekam die Bewegung zwar mit, sie konnte jedoch nichts an dem Lauf der Dinge ändern.
Die Spritze traf sie ebenfalls am Hals.
Ich wurde Zeuge, aber mein Verstand arbeitete langsamer als das Auge. Ich konnte die Dinge nicht so recht umsetzen, zudem wurde das Bild verändert, es zog sich ein wenig in die Breite und erinnerte mich an einen Cinemascope-Film, wie ich ihn so oft in den fünfziger und sechziger Jahren gesehen habe.
Dann sackte Shao zusammen. Zuerst rutschte ihr rechter Arm von der Lehne. Die Frau bekam einen Drall und kippte zur Seite. Schräg blieb sie im Sessel sitzen, gestützt wurde sie nur von der Lehne.
Die drei Chinesen nickten sich zu. Auf ihren Gesichtern stand ein Lächeln. Einer ging bereits zur Tür. Er öffnete sie, schaute in den Gang und nickte uns zu.
»Kommen Sie, meine Herren, wir haben eine sehr, sehr weite Resie vor uns …«
Suko und ich gingen hinter dem Mann wie gehorsame Befehlsempfänger …
*
Irgendwann war alles schwarz geworden.
Schwarz insofern, dass wir weder sehen, hören noch fühlen konnten. Unser gesamtes Dasein versank in diesem gewaltigen Tunnel der Finsternis, der kein Ende zu nehmen schien. Es war auch kein Widerstand vorhanden, den wir dem Tunnel eventuell entgegensetzen konnten. Er hatte uns verschlungen und würde uns erst wieder freilassen, wenn andere es wollten.
Und er ließ uns frei.
Ich spürte, wie sich im Innern des Körpers etwas regte. Ein anderer Ausdruck fiel mir nicht für das Fließen des Blutes ein, das wieder normal durch meine Adern rann.
Und die Schwärze wich.
Diese unheimliche Dunkelheit verschwand, es gab helle Flecken darin, die sich als ein grauer Dämmerschein immer weiter ausbreiteten und auch größer wurden.
Sie verdrängten die Finsternis.
Aber noch war ich nicht voll da, ich konnte zwar hören, doch es waren Töne oder Laute, die mir überhaupt nicht gefielen oder sogar unbekannt waren.
Da ertönte im Hintergrund ein seltsamer Gesang. Zwar nicht mit irgendwelchen süßen Sphärenklängen zu vergleichen, aber ähnlich fremd, und ich merkte, wie mein Wille wieder zurückkehrte. Damit auch meine Energie.
Ich wollte endlich wissen, was los war und öffnete die Augen.
Das Grau blieb. Nur sah es wieder anders aus, und es besaß auch seltsame gelbe Kreise.
Bis ich erkannte, dass es sich bei diesen Kreisen um die Ausläufer einer hellen Lampe handelte, dauerte es noch seine Zeit, und das Grau über mir war eine Decke.
»Aha, Mr. Sinclair, Sie sind wieder wach?«
Ich vernahm die Stimme, und zum Teufel noch mal, sie kam mir bekannt vor. Es war noch gar nicht lange her, da hatte dieser Mann mit mir gesprochen.
Nur – was hatte er damals von mir gewollt? Seltsam, mir fiel es nicht ein. Vor meinem Denkapparat schien eine Schicht aus Watte zu liegen, die einen großen Teil der Gedanken und Schlussfolgerungen absorbierte.
»Mr. Sinclair, Mr. Sinclair …«
Verflixt, der sollte mich doch in Ruhe lassen. Ich wollte ja nichts von ihm. Aber da berührte mich eine Hand, und nicht nur das, sie griff auch zu, rüttelte an meiner Schulter, sodass ich durcheinandergeschüttelt wurde und mir nichts anderes übrig blieb, als die Augen zu öffnen und mich der Stimme oder dem Mann zu stellen.
Jetzt riss ich die Augen auf.
Ja, ich erkannte ihn. Es war der Mann, den ich in London gesehen hatte. Auf mein Gehör konnte ich mich noch verlassen. Wieder schaute ich in das lächelnde Konfirmandengesicht, denn der Typ hatte sich zu mir hinuntergebeugt. Er lächelte immer, aber ich glaubte nicht, dass dieses Lächeln echt war.
»Sie können aufstehen, Mr. Sinclair. Das Gegenmittel müsste bereits gewirkt haben.«
Ein Gegenmittel. Ich runzelte die Stirn. Noch funktionierte mein Gedankenapparat nicht so recht, erst allmählich kam ich dahinter, was dieser Mann gemeint hatte.
Natürlich, man hatte Suko und mir in London eine Spritze oder Ähnliches gegeben. Wir waren dann weggetreten und erwachten nun hier. Wo steckte Suko?
Siedend heiß fiel mir mein Partner ein. Plötzlich schoss ich in die Höhe, setzte mich aufrecht und stellte erst jetzt fest, dass ich auf einem Holzgestell gelegen hatte, über das jemand eine Matte gelegt hatte, damit die Unterlage einigermaßen weich war.
»Mein Partner, er …«
Der Chinese vor mir unterbrach mich erst mit einer Handbewegung, danach mit Worten. »Ihrem Partner geht es gut. Er liegt übrigens im Nebenraum. Freunde von mir kümmern sich um ihn.«
Während er mir die Antwort gab, hatte ich nachgefühlt, ob meine Waffen vorhanden waren.
Ja, ich besaß sie noch.
Kreuz, Beretta, Dolch – allerdings wohl nicht meinen Einsatzkoffer, der befand sich bei mir zu Hause.
Wo lag denn mein Zuhause? Auch diese Frage drängte sich automatisch auf. Man hatte Suko und mich entführt. Wir waren irgendwo hingeschafft worden aus noch unbekannten Gründen, und jetzt wollte ich erst einmal wissen, wo wir uns befanden.
Diese Frage stellte ich.
Der Chinese vor mir lächelte, nahm auf einem einfachen Holzstuhl Platz, den er mit der Sitzfläche von einem Tisch weggedreht hatte, und stellte sich erst einmal namentlich vor.
»Mein Name ist Quen, Mr. Sinclair. Ich sage Ihnen bewusst nicht meinen vollen Namen. Sie würden ihn kaum aussprechen können. Quen muss für Sie reichen.«
»Schön, Mr. Quen. Und wo haben Sie mich hinschaffen lassen? Befinden wir uns noch in London, in England …«