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9 gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band!
Mit über 250 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Tausende Fans können nicht irren - über 576 Seiten Horrorspaß garantiert!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 151 - 160.
Achtung: Folge 159 ist nicht enthalten.
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Seitenzahl: 1234
Veröffentlichungsjahr: 2020
Jason Dark
John Sinclair Großband 16 - Horror-Serie
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
Horatio grunzte und kicherte gleichzeitig. »Hörst du nichts, mein Bruder?«Hiberno, der zweite Ghoul, richtete sich auf. »Ja, da ist jemand.«»Über uns«, flüsterte Horatio. »Er spaziert zwischen den Gräbern herum.«»Ein Frevler.«»Nein, Bruder Hiberno. Ein Opfer für uns.«Hiberno nickte. Die beiden Ghouls aus der Gruft der Leichenräuber machten sich auf den Weg …
Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen RomanheftausgabeBastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG© 2015 by Bastei Lübbe AG, KölnVerlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian MarzinVerantwortlich für den InhaltE-Book-Produktion:Jouve
ISBN 978-3-8387-2909-1
www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.dewww.bastei.de
Horatio grunzte und kicherte gleichzeitig. »Hörst du nichts, mein Bruder?«
Hiberno, der zweite Ghoul, richtete sich auf. »Ja, da ist jemand.«
»Über uns«, flüsterte Horatio. »Er spaziert zwischen den Gräbern herum.«
»Ein Frevler!«
»Nein, Bruder Hiberno. Ein Opfer für uns.«
Hiberno nickte. Die beiden Ghouls standen auf und machten sich auf den Weg …
Ein Grabstein ist ein guter Kugelfang, dachte Harry Hörger, und deshalb suchte er auch Schutz auf dem alten Friedhof, wo die wuchtigen Grabsteine standen.
Freiwillig hätte Harry Hörger solch einen Totenacker nicht betreten. Aber man war hinter ihm her, und ausgerechnet einer der schärfsten Polizisten, die Harry kannte, verfolgte ihn.
Karl Ziegler, genannt Ziggy. Hauptwachtmeister und bei kleinen Ganoven ebenso gefürchtet wie bei Straßendirnen. Ziggy war Harry Hörger schon lange auf den Fersen gewesen, hatte ihn aber nie erwischt, bis vor zwei Stunden, als er in die prächtige Villa am Stadtrand einbrach, da war Ziegler plötzlich dagewesen. Wie ein Geist tauchte er auf und leuchtete Harry an.
Hörger war so perplex gewesen, dass er alles fallen gelassen hatte. Dann war er jedoch gerannt. Er hatte sich auf dem Absatz herumgeworfen und war weggelaufen. Einfach in den Wald rein, querbeet, bis er schließlich vor dem alten Friedhof stand.
Und Ziggy, der Greifer, saß ihm immer noch im Nacken. Der gab nie auf. Eiskalt war er. Wie ein Spürhund, ein regelrechter Widerling. Harry mochte ihn nicht.
Der Einbrecher blieb stehen. Obwohl es ziemlich kalt war, schwitzte er. Vielleicht sollte er sich ausruhen, damit sein Herzschlag sich beruhigte. Ewig konnte er nicht so weiterlaufen. Und von Ziegler war im Augenblick nichts zu sehen.
Harry Hörger ging auf Hände und Knie nieder. So blieb er hocken, lauschte auf irgendwelche verdächtigen Geräusche, aber da war nur der Nachtwind, der mit dem vom vergangenen Jahr liegen gebliebenem Laub spielte.
Hin und wieder sah Harry noch ein paar Schneeflecken. Sie zeigten eine schmutzige Farbe.
Vor ihm ragte ein alter Grabstein in die Höhe. Dahinter konnte er sich fast verstecken. Diese Dinger waren ungeheuer stabil und stammten aus dem ersten Weltkrieg. Die Inschriften waren verblasst. Allerdings war oft von Heldentum und falschem Pathos die Rede. Die jungen Männer waren fürs Vaterland gestorben, wie es immer so schön hieß.
Harry lauschte.
Seine Ohren hatten sich inzwischen an die ihn umgebenden Geräusche gewöhnt. Er kannte das Raunen des Windes, wusste genau, wann ein Geräusch von einem Tier oder einem Menschen verursacht wurde, und er hörte auch die Schritte.
Harry erstarrte.
Ja, er hatte sich nicht getäuscht. Das waren Schritte. Und nicht von einem Tier, sondern von einem Menschen.
Ziggy, dieser verdammte Greifer, war in der Nähe.
Die Schritte verstummten.
War er schon in der Nähe? Harry atmete durch den halb offenen Mund, um sich nicht zu verraten. Er hatte zudem Mühe, ein Zittern zu unterdrücken. Der Schweiß bedeckte seinen Körper, war bereits eingetrocknet und verursachte einen Juckreiz.
Er hatte mal gelesen, dass sich Menschen schon durch ihre Körperausdünstung verraten hatten. Hoffentlich hatte Ziegler eine nicht so gute Nase.
Dass er ausgerechnet auf einen Schnüffler vom BKA treffen musste, ärgerte Ziggy am meisten. Aber er war nun mal ein gefürchteter Einbrecher, und da hatten sie Ziggy auf seine Spur gesetzt.
Unheimlich war es auf diesem Friedhof schon. Die alten Grabsteine und Kreuze steckten schief in der mit Unkraut überdeckten Erde. Manchmal wucherten die Gräser so hoch, dass ihre Spitzen sogar die Enden der größten Steine überragten.
Am Himmel spielte sich wohl ein Wetterwechsel ab. Gewaltige Wolken wechselten sich ab mit einem fahlen Dunkelgrau, und von den Gestirnen war überhaupt nichts zu sehen.
Mieses Wetter.
Harry Hörger fror. Obwohl er vorhin geschwitzt hatte, fand die Kälte ihren Einzug. Er war für solch einen Trip überhaupt nicht angezogen. Vielleicht war es auch die Angst, die ihn einfach in ihren Krallen hielt.
Still war es nicht. Doch wenn man sich an die Geräusche gewöhnt hatte, hörte man sie nicht mehr.
Da war der Wind, der mit dem hohen Unkraut spielte und die Gräser raschelnd aneinander rieb. Der altes Laub hochwarf, mit ihm spielte und es gegen die widerstandsfähigen Zweige der Büsche warf.
Etwa 300 Meter weiter lief die Bundesstraße vorbei, wo auch der kleine Bach entlangfloss und sich der Grillplatz befand, der im Winter zumeist leer war. Wenn ein Wagen über die Straße fuhr und den Friedhof passierte, wurde das Rauschen der Räder auf dem Asphalt bis zu Harry Hörger hinübergetragen.
Doch wer fuhr schon um ein Uhr morgens über die verlassene Straße? Höchstens Liebespaare, nur war denen es im Winter viel zu kalt. Zudem hieß es, dass es auf diesem alten Friedhof spuken sollte. Das erzählten sich die Leute in den Dörfern. Angeblich sollten die Geister der gefallenen Soldaten umherirren, und auch in der großen-Gruft nahe dem Schloss lagen die Gebeine der Gefallenen. Dort war es ebenfalls nicht geheuer, denn im Schloss wohnte niemand mehr. Es verkam langsam, und der Wind pfiff durch zahlreiche Ecken und Winkel.
Harry hatte sich einen Platz im Schloss als Versteck ausgesucht. Dort lag auch ein Teil seiner Beute.
Schritte!
Das Geräusch kannte der Dieb. Seine Ohren waren darauf programmiert. Und zwar so gut, dass er sogar Frauen von Männerschritten unterscheiden konnte.
Harry presste sich eng an den Grabstein.
In dieser lauschenden Haltung blieb er sitzen, wartete auf seinen Verfolger.
Langsam kroch seine Hand unter die Jacke und holte einen Totschläger hervor. Ein Bleiinstrument, das mit einer Gummischicht bedeckt war und ihm schon manchen Dienst erwiesen hatte.
Harry konzentrierte sich.
Es musste doch festzustellen sein, aus welcher Richtung sein Verfolger sich anschlich. Er selbst war von links gekommen, und da musste auch der Greifer stecken.
Aber der würde sich wundern.
Die Schritte verstummten. Für wenige Sekunden wurde es ruhig. Dann die Stimme des Greifers.
»Harry! Ich weiß, dass du hier irgendwo steckst. Komm freiwillig raus, ich finde dich doch. Und wenn ich dich erst suchen muss, werde ich sauer. Lange genug bin ich hinter dir hergerannt. Jetzt habe ich keine Lust mehr.«
Den Teufel werde ich tun, dachte Harry. Ja, sauer wurde Ziggy sicherlich. Hörger konnte ihn sich gut vorstellen, wie er da stand. Ziegler gehörte noch zum alten Schlag der Bullen. Ledertrench, drahtig, scharfzüngig, hart.
»Harry, komm raus!«
Die Aufforderung klang schon schärfer, und der Dieb zuckte regelrecht zusammen.
Aber er blieb still.
Plötzlich schnitt ein Lichtstrahl durch die Finsternis. Ein breites helles Band, das mehrere Male hin- und herbewegt wurde und langsam einen Kreis über den Friedhof schlug. Der Lichtkegel fuhr über Grabsteine und Kreuze, riss geisterhaft die kahlen Zweige der Büsche und Sträucher aus dem Dunkel und verschwand, nachdem Ziggy die Lampe ausgeschaltet hatte.
Hörger atmete auf. Jetzt schwitzte er wieder, und er wischte über seine Stirn.
»Gut, Harry, du hast es nicht anders gewollt!«, peitschte die Stimme des Polizisten über den Totenacker. »Ich hole dich! Aber dann wird es hart!«
Kaum war die Stimme verklungen, als Hörger ein schnackendes Geräusch vernahm.
Unwillkürlich verzog er das Gesicht. Dieses Geräusch entstand, wenn eine Waffe durchgeladen wurde. Also wollte Ziggy es diesmal wirklich packen.
Totschläger gegen Pistole. Das Verhältnis war ungleich. Es passte Harry nicht.
Trotzdem dachte er nicht daran, sich zu stellen. Sollte der Bulle ihn doch suchen.
Er tat es auch. Ziggy ging den Friedhof ab. Harry grinste, als er hörte, dass sich sein Verfolger nach links bewegte. In diesem Fall weg von ihm.
Wenn er weit genug von seinem Versteck entfernt war, dann wollte Harry es wagen und sich zurückziehen. Hinter ihm begann ein Stück Wiese, dann fing sofort der Wald an, der sich bis zu der alten Schlossruine hinzog.
Zwischendurch blitzte mal die Lampe auf, sodass Harry immer erkennen konnte, wo sich sein Verfolger gerade befand. Der Polizist leuchtete jeden Grabstein an. Hörger sah es, wenn er an seiner Deckung vorbeipeilte und das fahle Licht der Lampe die Steine traf, die irgendwie geisterhaft aufleuchteten.
Hörger leckte sich seine Lippen. Jetzt war der Greifer weit genug entfernt. Er konnte es wagen.
Vorsichtig löste sich Harry von seiner Deckung. Er wandte sich nach rechts, hob immer erst ein Bein an und setzte dann behutsam den Fuß auf, bevor er weiterging.
Drei Schritte legte er zurück.
Dann blieb er stehen.
Ein Splittern war an sein Ohr gedrungen. Genauso hörte es sich an, wenn Holz brach. Ein Fluch folgte und dann ein überraschter Ausruf. Was war geschehen?
Zuerst wollte Hörger ja verschwinden, jetzt aber blieb er. Irgendetwas ging mit dem Bullen vor sich.
Plötzlich hörte er die Schüsse.
Trocken peitschten sie auf. Dreimal wurde geschossen, und Harry zuckte bei jedem einzelnen Knall zusammen. Die Echos waren noch nicht verhallt, als plötzlich ein Schrei aufklang, wie Harry ihn schlimmer noch nie in seinem Leben gehört hatte.
Dieser Schrei schüttelte ihn selbst durch und trieb einen Schauer über seinen Rücken.
Harry Hörger, Spezialist für Villeneinbrüche, bekam plötzlich Angst …
*
Hauptwachtmeister Ziegler war obersauer. Nicht dass er vor einer Villa einige Stunden gelauert hatte, jetzt entwischte ihm der Kerl noch und versteckte sich auf einem Friedhof. Monatelang war Ziggy hinter dem Einbrecher hergewesen. Er kannte seine Tricks, seine Angewohnheiten, bis er ihn schließlich gestellt hatte.
Und nun floh Hörger.
Aber er würde ihn packen, da setzte Ziggy all seinen Ehrgeiz ein. Er hatte Harry mehrmals aufgefordert, sich zu ergeben. Hörger hörte nicht. Also schritt Ziegler selbst den Friedhof ab. Er schaltete dabei die Lampe ein und leuchtete die Grabsteine an, daneben und auch dahinter. Von Hörger keine Spur, der Hundesohn hielt sich einfach zu gut versteckt.
Seine Dienstpistole hatte Ziegler in die rechte Manteltasche des ledernen Trenchs gesteckt. Dort konnte er sie schnell ziehen, seine Hand brauchte sich nicht erst den Weg zur Halfter zu bahnen. Und schießen wollte er, wenn andere Mittel nicht reichten. Er hatte nicht vor, Hörger wieder entkommen zu lassen.
Von der unheimlichen Atmosphäre des Friedhofs merkte der Hauptwachtmeister nichts. Er kannte zwar das Gerede der Einheimischen, doch er kümmerte sich nicht darum. Ziegler war Realist. Spuk und Geistergeschichten hielt er für den größten Quatsch überhaupt.
Deshalb rechnete er auch nicht mit einer Gefahr und schritt weiter. Seine Füße knickten das faulige Gras, er bahnte sich seinen Weg durch das Unkraut, leuchtete die großen Grabsteine an und auch dahinter, aber nirgendwo entdeckte er eine Spur von Hörger. Der musste wie vom Erdboden verschluckt worden sein. Da Ziegler nicht an übernatürliche Kräfte glaubte, lag es auf der Hand, dass sich Hörger weiterhin auf dem Friedhof versteckt hielt.
Geflohen war er nicht. Dann hätte Ziegler etwas gehört. Und fliegen konnte Hörger auch nicht.
Wieder einmal ging der Hauptwachtmeister um einen Grabstein herum und nahm sich dann den nächsten vor.
Diesem näherte er sich von vorn.
Wenn man genau hinschaute, konnte man noch die Umrisse des alten Kriegergrabs erkennen. Es war ziemlich groß, ebenso wie der verwitterte Grabstein.
Der nächste Schritt.
Etwas weich war der Boden schon, aber Ziegler dachte sich nichts dabei.
Bis er wieder einen Schritt vorging.
Da passierte es.
Plötzlich gab die Erde unter ihm nach. Etwas splitterte, knackte, dann brach der Hauptwachtmeister ein. Er war so überrascht, dass er einen Schrei ausstieß und inmitten von Lehm, Erde, Unkraut und Holz auf dem Grund des Grabes landete.
Jetzt hatte er Pech. Ziegler kam so unglücklich auf, dass er sich den linken Fuß verstauchte. Ein stechender Schmerz zog durch seinen Knöchel bis hinauf in die Wade. Etwas knirschte. Er dachte zuerst, dass es der Knochen gewesen wäre, doch als er nachschaute, stellte er fest, dass er mit dem Fuß auf einem fahlgelben Totenschädel gelandet war und ihn zertrümmert hatte.
Ziggy fluchte.
Das musste ihm ausgerechnet noch passieren. Die Kollegen würden sich halb totlachen, wenn sie von seinem Missgeschick erfuhren, und Hörger konnte fliehen.
Ihm fiel nicht auf, dass das Grab, obwohl es schon so alt war, hätte ungepflegter aussehen müssen. Zumeist war die Erde eingesackt. Hier jedoch war dies nicht der Fall. Alles kam ihm so völlig normal vor, aber er dachte nicht weiter darüber nach.
Bis das Licht der Lampe durch Zufall schräg zu Boden fiel und dabei die Seitenwand des Grabes traf.
Zieglers Augen wurden groß.
Da befand sich ein Loch.
Eine kleine Höhle in der Grabwand!
Das gab es doch nicht, das war unmöglich. Wer sollte denn Interesse daran haben, ein Loch zu graben?
Ziegler wollte es plötzlich wissen. Vergessen war Harry Hörger, hier war er vielleicht durch einen Zufall auf die Spur eines Verbrechens gestoßen.
Er bückte sich und leuchtete in das Loch hinein.
Im gleichen Augenblick zuckte etwas Langes, Schleimiges daraus hervor und klatschte gegen das rechte Handgelenk des Hauptwachtmeisters, wo es sich wie ein Band umwickelte.
Ziegler war so überrascht, dass er überhaupt nicht reagierte. Er blieb steif stehen und gab dem Unheimlichen Gelegenheit, aus der Höhle am Grabrand zu quellen.
Ein widerliches Etwas schob sich vor dem Hauptwachtmeister in die Höhe. Grünbraun anzusehen, schleimig, einen penetranten Geruch verbreitend.
Zieglers Augen weiteten sich. Der Kopf des anderen befand sich dicht vor ihm und erinnerte ihn an eine klumpige Kugel, die mit zahlreichen Beulen und Geschwüren bedeckt war. Die Andeutung eines Gesichts war ebenfalls zu erkennen. Mehr aber nicht, denn alles befand sich in dauernder Bewegung und zerfloss ineinander.
Ziegler wurde bis gegen die gegenüberliegende Grabwand gedrückt. Und erst jetzt überwand er seine Panik.
Er schoss.
Fahlgelb leuchtete es vor der Mündung auf. Der Polizist hielt die Waffe so, dass er den Angreifer gar nicht verfehlen konnte, und die Kugel klatschte auch in den Körper des Widerlings, wo sie steckenblieb und Ziegler sie sogar noch sehen konnte.
Wieder schoss er. Und noch einmal.
Drei Kugeln. Sie hätten für einen Elefanten gereicht, aber ein Dämon lachte nur darüber.
Er riss sein Maul auf.
Mein Gott, die Zähne, dachte Ziegler. Mörderische Hauer, die alles zerreißen.
Sein Blick flog an der Gestalt vorbei nach unten, und er sah ein zweites Monster aus dem Loch kriechen.
Ebenso schauerlich anzusehen wie das Erste.
Zu einem vierten Schuss ließen ihn die beiden nicht kommen. Ziegler sah plötzlich die schrecklichen Zähne dicht vor seinem Gesicht, schrie in wilder Todesangst, und als sein Schrei verstummte, da lebte er schon nicht mehr …
*
Harry Hörger zitterte wie Espenlaub.
Der kleine Dieb stand eine mörderische Angst aus, obwohl ihm persönlich keine Gefahr drohte. Trotzdem bibberte er. Er wusste um die Geschichten, die man sich von diesem Friedhof erzählte, und er war sicher, dass Ziggy die Ruhe der Töten gestört hatte und diese sich nun rächen wollten.
Harry Hörger kauerte sich zusammen. Er suchte Deckung im Unkraut und hinter dem Grabstein, dabei traute er sich nicht, wegzulaufen, aus Angst, die anderen könnten ihn hören.
Minuten vergingen. Hörgers Blicke irrten umher. Er suchte nach Gegnern, aber da war nichts.
Ein leerer Friedhof, über den der kalte Februarwind strich.
Langsam erholte sich Harry. Seine Angst ging zurück, und die Neugierde erwachte. Er wollte doch sehen, was mit dem Bullen geschehen war, der ihn so gejagt hatte.
Harry stand auf.
Witternd streckte er seinen Kopf vor. Er wirkte sowieso wie ein kleines Tier und hatte Ähnlichkeit mit einem Fuchs. Das spitze Gesicht, die lange Nase und der falsch gewachsene Oberkiefer mit der vorstehenden Zahnreihe. Hinzu kam seine dürre Gestalt und seine schon anormal zu nennende Zähigkeit.
Hörger überlegte. Wo war der Schrei denn genau aufgeklungen? Weiter vor ihm, das konnte er deutlich hören. Und in diese Richtung musste er gehen.
Hörger war vorsichtig. Trotzdem ließ es sich nicht vermeiden, dass er Geräusche verursachte, aber die machte auch der Nachtwind.
Er hatte erst wenige Schritte zurückgelegt, als er die Laute hörte.
Sofort stand Harry still.
Schmatzen, schlürfen und hecheln …
Schlimme Geräusche.
Wieder begann er zu zittern. Aber er riss sich diesmal besser zusammen, die Neugierde war stärker.
Und er sah auch, wo sich unter Umständen alles abspielen konnte. Aus einem Grab fiel ein schwacher Lichtschein, der sich wie eine helle Glocke über die Öffnung legte.
Wieso? Die Gräber waren doch zu.
Da erinnerte sich Harry an das Knirschen und Knacken, dass ihn vor den Schüssen aufgeschreckt hatte. Jetzt war ihm auch klar, was geschehen sein musste.
Ziggy war in das Grab gefallen!
Eigentlich zum Lachen, doch wenn Harry an diese widerlichen Laute dachte, verging ihm das Grinsen. Das war schon schlimm.
Auf Zehenspitzen ging er weiter und kam seinem Ziel immer näher. Dann stand er nur zwei Schritte vom Grab entfernt.
Tief atmete er durch. Sollte er nachschauen? Wieder bekam er es mit der Angst zu tun. Harry war kein Feigling, aber das hier erinnerte ihn an einen Horror-Film.
Er überwand seinen Schrecken und trat bis dicht an den Grabrand heran.
Hörger peilte in die Tiefe. Er beugte sich dabei etwas vor. Das Licht der Lampe erhellte das Grabinnere.
Was Harry nun zu sehen bekam, war so widerlich und grauenhaft, dass ihm schlecht wurde.
Ein Blick reichte.
Dann warf sich der Dieb herum und rannte, wie von Furien gehetzt, über den Friedhof. Die nackte Furcht trieb ihn voran. Er dachte nicht mehr an seine Sicherheit und daran, dass ja auch er Geräusche verursachte. Er wollte nur weg.
Was er erlebt und gesehen hatte, war so schlimm, dass es ihm wohl kein Mensch glauben würde. Wenn er das erzählte, steckten sie ihn in eine Irrenanstalt.
*
Ein Uhr!
Normalbürger lagen im Bett und schliefen. Kommissar Mallmann jedoch nicht. Er schuftete für drei.
Will Mallmann lag auf dem Boden und hielt einen Spachtel in der Hand. Damit schabte er den auf dem Estrich festklebenden Gummi des Teppichbodens ab.
Das war eine Wühlerei.
Der gute Will Mallmann war in Schweiß gebadet. Den Oberboden hatte er bereits abgezogen, jetzt stach er die Breitseite der Spachtel unter den Gummi und schaufelte ihn ab.
Das kostete Kraft.
Will Mallmann trug nur ein altes Angoraunterhemd und eine ebenso alte Cordhose. Das Zimmer hatte er schon vorher ausgeräumt. Es war sein Schlaf- und Arbeitsraum. Die große Musikanlage mit den vier Boxen stand im Wohnzimmer.
Sie hatte er ausgeschaltet, obwohl er seine neueste LP, Rock Symphonies,gern gehört hätte. Aber die musste warten. In zwei Tagen sollte der neue Teppichboden geliefert werden, und dann durfte von dem alten nichts mehr zu sehen sein.
Ein Drittel hatte Will geschafft, als er eine Pause einlegte. Er sah wild aus. Das dunkle Haar lag nicht mehr so glatt gekämmt auf dem Kopf, sondern stand hoch. Sein Gesicht mit der kräftigen Römernase glänzte wie mit Speck eingerieben, und als Will Mallmann sah, was er in einer Stunde geschafft hatte, schüttelte er den Kopf. Es war wirklich wenig genug, aber mit dem Schneeschieber, den er erst hatte nehmen wollen, war da nichts zu machen gewesen.
Will hatte auf die Spachtel zurückgreifen müssen. Jetzt ließ er sie fallen und ging in den Flur, wo auf einem kleinen Tablett die Flasche mit dem Starkbier stand.
Will nahm einen kräftigen Zug.
Danach wischte er sich die Lippen ab und stellte die Flasche wieder weg. Er überlegte, ob er die Pause verlängern sollte, entschied sich aber dagegen. Bis zur Hälfte musste er es schaffen. Um zwei Uhr konnte er sich immer noch ins Bett legen.
Will ertappte sich bei der Frage, wofür er das eigentlich alles tat. Seine junge Frau war während der Hochzeit ermordet worden. – Der Schwarze Tod hatte sie damals umgebracht. – Und Kommissar Mallmann hatte durch diesen grausamen Mord solch einen Schock bekommen, dass ihm fast der Lebensmut genommen wurde. Es hatte ungeheuer lange gedauert, bis er darüber hinweggekommen war, doch Karins Tod hatte er bis heute nicht vergessen. Immer wieder sah er ihr Bild vor seinem geistigen Auge, obwohl sie ihm als Untote noch einmal gegenübergestanden hatte, aber daran wollte Will nicht mehr denken.
Um zu vergessen, hatte er sich wie ein Irrer in seinen Beruf hineingekniet. Und er hatte seinen Vorgesetzten davon überzeugen können, dass es doch Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die rational nicht zu erklären waren. Nach anfänglicher Skepsis stand sein Chef auf Wills Seite und ließ dem Kommissar so ziemlich freie Hand.
Und Will passte auf. Vor Kurzem hatte man ihm einen kleinen Computer zur Verfügung gestellt, der alle Fälle speicherte, die irgendwie in eine okkulte und gespenstische Richtung liefen. Der elektronische Helfer war mit einem Codeschlüssel versehen, den nur Will Mallmann und sein Vorgesetzter kannten. So war der Datenschutz gesichert, und es konnte kein Unbefugter den Computer bedienen.
In den letzten Wochen hatte sich allerdings nichts getan. Will Mallmann war hin und wieder ein paar Fällen nachgelaufen, die sich im Endeffekt jedoch als völlig harmlos herausgestellt hatten. Und auch die fahndungsähnlichen Nachforschungen, die seinen letzten Fall – den Vampir Fariac betrafen –, waren im Sande verlaufen. * In Deutschland gab es keine Verbindung mehr.
Will Mallmann nahm noch einen kräftigen Schluck und entschloss sich dann, weiterzuarbeiten.
Da klingelte das Telefon.
Der Kommissar hatte den Apparat auf den Flur gestellt, dicht neben das Tablett.
Mallmann hob ab.
Ein Kollege aus der Dienststelle war an der Strippe. »Habe ich dich geweckt, Will?« Die Stimme hörte sich schadenfroh an.
»Nein.«
»Auch nicht gestört?«
»Komm zur Sache.«
»Okay, und die ist traurig genug. Du musst raus, Will. Man hat Hauptwachtmeister Ziegler gefunden. Tot, in einem Grab liegend.«
Mallmann wurde blass. Er kannte Ziegler. Zwar nicht sehr gut, weil er den Kollegen persönlich nicht mochte, aber er war ein Polizist gewesen, wie auch Mallmann. Und nun hatte man ihn umgebracht.
»Bist du noch dran, Will?«
»Ja. Wo genau hat man ihn gefunden?«
Der Mann von der Bereitschaft nannte den Namen eines kleinen Städtchens im Taunus. »Da gibt es einen alten Friedhof in der Nähe, und da liegt Karl Ziegler. Die Kollegen der Mordkommission sind schon da. Sie lassen die Leiche liegen, du sollst sie dir erst anschauen.«
»Mach ich.«
Will legte auf. Wie betäubt zog er sich an. Ein Mord erschütterte ihn immer. Vor allen Dingen dann, wenn er das Opfer gekannt hatte. Der Kommissar schlüpfte in seine dunkelgrüne gefütterte Lederjacke und nahm auch die Dienstwaffe mit. Dann ging er nach unten. Sein Opel Manta GT/E parkte vor einer Laterne. Feuchtigkeit bedeckte Lack und Scheiben. Will stieg ein und startete.
Der Motor kam zögernd. Das Geräusch erinnerte den Kommissar daran, dass er den Wagen mal wieder zur Inspektion bringen musste.
Dann fuhr er los.
Nur wenige Fahrzeuge waren um diese Zeit noch unterwegs. Will Mallmann kam sehr gut voran, fuhr ein Stück über die Autobahn und bog dann ab, um in den Taunus zu kommen.
Dunkel hoben sich die sanft geschwungenen Berge vor dem grauen Himmel ab. Dicke Wolken wurden vom Nachtwind geschüttelt und führten ihre bizarren Tänze auf.
Die Temperatur lag nahe dem Gefrierpunkt, und vor allen Dingen auf höher gelegenen Straßen musste der Kommissar auf Glatteisfallen achten. Die kleineren Städte und Dörfer lagen in tiefem Schlaf. Hin und wieder sah Will ein Licht blinken, das ihn an einen fernen Stern erinnerte, ansonsten war es dunkel.
Dann hatte er noch Pech und geriet in ein Nebelgebiet. Der graue Dampf stieg zu beiden Seiten eines Bachs auf und quoll über die Straße. Will musste langsamer fahren.
Nach 100 Metern hatte er wieder klare Sicht. Er kitzelte das Gaspedal.
Um drei Minuten nach zwei Uhr schließlich hatte er sein Ziel erreicht. Er konnte nicht mit dem Wagen bis an den unmittelbaren Tatort fahren und musste den Manta dort abstellen, wo auch die Einsatzwagen der Mordkommission standen, aber die paar Meter zu Fuß taten ihm ganz gut. Ein Uniformierter hielt bei den Fahrzeugen Wache und schaute Will fragend an.
Der Kommissar zeigte seinen Ausweis.
»Sie kennen den Weg, Herr Mallmann?«
Will nickte. Er hatte längst das Licht gesehen, das einen Teil des alten Friedhofs überschwemmte. Von der Straße aus musste Mallmann durch eine feuchte Wiese laufen, an die sich übergangslos ein Stück Wald und der Friedhof anschlossen.
Mehrere Männer umstanden den Tatort. Die Leitung der Mordkommission hatte Hauptkommissar Fritz Merle, ein Mann, der einige Jahre älter war als Will.
Die beiden kannten sich.
»Da bist du ja endlich«, sagte Merle und nuckelte an seiner Zigarre, deren Rauch wie ein hellgrauer Vorhang vor seinem Gesicht stand.
Will reichte dem Kollegen die Hand. »Hast du mich rufen lassen?«
»Ja.«
»Und warum?«
»Warum, warum, Mensch?« Merle war aufgeregt. Verständlich, denn der Ermordete hatte mal zu seinen Leuten gehört. »Sieh es dir selbst an, Will, dann verstehst du mich.«
»Ja, schon gut.«
Man schuf dem Kommissar Platz, damit er an den Grabrand treten konnte.
Will schaute in die Tiefe.
Einen Herzschlag nur, dann zuckte er förmlich zurück und wurde kalkblass im Gesicht.
»Nun?«, fragte ihn Fritz Merle.
»Verdammt, du hast recht.«
Merle saugte an seiner Zigarre. Sein mit Falten übersätes Gesicht verzog sich. »Wer tut denn so etwas?«, fragte er. »Verdammt noch mal, Will, wer ist zu so etwas überhaupt fähig?«
»Ich weiß es nicht.«
Merle sah Mallmann schief an. »Wirklich nicht?«
»Nein, ich habe keine Ahnung.« Will log, denn einen Verdacht hatte er schon, doch den sagte er nicht.
»Na dann …« Sein Kollege hob die Schultern. »Sollen wir die Überreste mitnehmen?«
Mallmann nickte.
In den nächsten Minuten war er nur Zuschauer. Anschließend erkundigte er sich bei seinem Kollegen, ob Spuren gefunden und gesichert worden wären.
»Ja, Fußspuren von zwei Personen. Eine haben wir verglichen. Die gehörte zu Ziegler.«
»Und die andere?«
Fritz Merle hob die Schultern. »Nichts weiß man, Will. Das werden vielleicht die Ermittlungen ergeben.«
»Falls es dein Fall bleibt.«
»Wieso? Willst du dich reinhängen?«
»Möglich.«
Merle schob seinen Hut in den Nakken. »Ist natürlich so eine Sache, Will. Gern gebe ich den Fall nicht ab. Schließlich war Ziegler früher einer meiner Mitarbeiter. Du verstehst.«
»Sicher, nur arbeitete er jetzt für das BKA. Einigen wir uns auf einen Kompromiss. Wir bleiben beide am Ball. Ihr geht euren Spuren nach, ich den meinen.«
»Gibt es denn unterschiedliche?«
»Vielleicht.«
»Will, du weißt mehr:«
»Nein, Fritz. Ich weiß nichts. Ich vermute höchstens etwas, aber über ungelegte Eier möchte ich nicht reden.«
Merle grinste. »Lange genug kenne ich dich ja. Aus dir bekommt man wirklich nichts raus, wenn du nicht reden willst.«
»So ist es. Mal was anderes, Fritz, wer hat den Mord überhaupt entdeckt und gemeldet?«
»Ein unbekannter Anrufer. Er wollte seinen Namen nicht nennen, beschrieb nur den Tatort und legte dann auf.« Merle tippte Will mit dem Finger gegen die Brust. Da müsstest du doch eigentlich mehr wissen, mein Lieber. Er hat doch für euch gearbeitet.«
»Ich werde nachforschen.«
Zwei Männer im grauen Kittel hatten die Überreste der Leiche inzwischen in die Wanne gelegt. Der Tote wurde abtransportiert. Auch die Fotografen packten ihre batteriebetriebenen Scheinwerfer zusammen. Der große Aufbruch erfolgte.
Will blieb noch da.
Als die Kollegen der Mordkommission verschwunden waren, sprang er in das Grab.
Er hatte zuvor nur einen kurzen Blick hineingeworfen, jetzt untersuchte er die Grube genauer. Eine Taschenlampe hatte er mitgenommen. Dieses Grab war sowieso seltsam. Es hätte längst eingestürzt sein müssen, doch es schaute von innen aus, als hätte man es immer wieder renoviert.
Aus welchem Grund?
Will tastete die Wände ab. Er machte dies sehr sorgfältig. Dabei fiel ihm auf, dass an einer Stelle, dicht am Grabboden der Lehm ein wenig heller wirkte.
Das musste etwas zu bedeuten haben.
Will Mallmann drückte mit der Hand dagegen und pfiff überrascht durch die Zähne, als er merkte, dass der Lehm nachgab. Der saß gar nicht so fest. Wills Finger fassten ins Leere. Er wühlte noch den restlichen Dreck zur Seite und nickte, als er sah, was sich da seinen Blicken bot.
Ein Loch gähnte ihn an.
Und dahinter lag ein Gang. Das Loch stellte entweder den Anfang oder das Ende dar.
Der Kommissar leuchtete mit der Taschenlampe in die Öffnung. Der Strahl traf schon bald eine Lehmwand. Trotzdem sah Will, dass der Gang links weiterführte. Zudem schlug ihm aus der Öffnung ein widerlich riechender Leichengeruch entgegen.
Sein Verdacht war plötzlich zur Gewissheit geworden.
Auf diesem alten Friedhof hausten die widerlichsten aller Dämonen.
Ghouls!
*
Der Kommissar fuhr nach Hause. Auf dem Friedhof hatte er es nicht mehr ausgehalten, da er sich ohne wirksame Waffe den Ghouls unterlegen fühlte. Mit normalen Kugeln konnte er gegen diese Wesen nichts ausrichten. Da brauchte man schon geweihte Silbergeschosse.
Und wer hatte die?
Ja, es gab Menschen, die sich auf diese Waffen verließen. Wills Freunde gehörten dazu. Unter anderem auch ein Mann namens John Sinclair, der auch der Geisterjäger genannt wurde. Schon längst hatte sich Will Mallmann entschlossen, John Sinclair anzurufen. Und das würde er auch nicht auf die lange Bank schieben, sondern sofort nach seiner Ankunft erledigen.
Will Mallmann parkte den Wagen wieder vor der Laterne, stieg hoch in seine Wohnung und hängte sich sofort an das Telefon. Der Teppichboden war vergessen.
Will Mallmann hatte das Jagdfieber gepackt!
*
Er stand da, hatte beide Hände in die Seitentaschen seiner Lederjacke versenkt und grinste mir entgegen, als ich die Passkontrolle des Rhein-Main-Airports hinter mich gebracht hatte.
Wir hatten uns einige Wochen nicht gesehen, aber Will war immer noch der Alte. Ein bisschen verlegen lächelnd, aber mit einem Strahlen in den Augen.
»Herzlich willkommen, Geisterjäger«, sagte er und reichte mir die Hand.
Ich schlug ein. Dann hauten wir uns gegenseitig auf die Schulter und freuten uns, noch zu leben.
»War der Flug angenehm?«, fragte Will.
»In London Schneeregen, über dem Kanal Nebel, hier sieht es auch bedeckt aus. Oder muss ich mich an Schnee gewöhnen?«
»Vielleicht.«
»Auch das noch.«
»Hatte der alte Powell dich laufen lassen?«
»Mit viel Knurren, aber als ich ihm sagte, dass wir es mit Ghouls zu tun bekommen, gab er seine Zustimmung. Man kommt auch nicht aus der Gewohnheit«, sagte ich. »Vor einer Woche waren es die verdammten Horror-Parasiten, die Jane Collins fast umgebracht hätten, davor hatte ich ein heißes Abenteuer mit Glenda erlebt …«
Jetzt grinste Will impertinent. »Nicht was du denkst. In ihrer Nähe kann es dir zwar heiß werden, aber das war anders. Es ging da um einen afrikanischen Zauber, der sich in Soho ausgebreitet hatte, und vor diesem Fall habe ich mich furchtbar mit Dr. Tod und seiner Mordliga herumgeschlagen.«
»Mensch, John erzähle mal. Ich habe dir ja von dem Computer berichtet, aber über neue Aktivitäten eines Solo Morasso hat er nichts gespeichert.«
»Später, Will. Jetzt habe ich erst Hunger.«
»Sollen wir ins Restaurant gehen?«
»Nein, nein, um Himmels willen. Auch nicht in diese Nobel-Disco hier. Mir reicht eine Schaschlik-Bude.«
»Mir auch.«
Wir fanden eine. Der Verkäufer war unheimlich dick und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, so viel Betrieb auch herrschte. Er sagte nur immer einen Standardsatz. Jedesmal, wenn er die Schale gefüllt hatte, drehte er sich halb um und fragte: »Darf’s was schärfer sein?«
Ich musste lachen. Der Knabe sagte das so emotionslos, dass man ihm das gar nicht abnahm.
Wir bekamen unser Schaschlik. Will bezahlte.
»Wird auch immer teurer«, sagte ich, denn Will musste sechs Mark blechen.
»Was willst du machen?«
Anschließend erzählte ich von Dr. Tods Aktivitäten. »Stell dir vor, wir hatten die Lady X schon im Untersuchungsgefängnis, da holt er sie wieder raus.«
»Konntet ihr das nicht verhindern?«
»Suko und Bill haben alles getan.«
»Und jetzt ist sie verschwunden?«
Ich schluckte ein Stück Fleisch herunter und nickte dabei. Wahrscheinlich bereitete diese Barbara oder Pamela Scott, wie sie eigentlich richtig hieß, irgendwo einen großen Coup vor. Dass ich ihr sehr bald begegnen würde, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
»Dann gibt es noch etwas Neues«, sagte ich.
»Los, raus damit.«
»Suko hat eine kleine Wunderwaffe bekommen.«
»Ehrlich? Wie das?«
Ich berichtete Will Mallmann von unserem Tibet-Abenteuer und wie wir auf den goldenen Buddha gestoßen waren.* Dann erklärte ich Will die Funktion des Stabes.«
»Toll«, sagte der Kommissar.
Der Meinung war ich auch.
»Und was ist mit deinem Bumerang?« , wollte der Kommissar wissen.
»Mensch, erinnere mich nicht daran. Ich bin sauer genug. Den hat immer noch Dr. Tod.«
»Scheiße.«
»Kannst du wohl laut sagen.«
Wir hatten unsere Schaschliks gegessen und wischten uns die Lippen ab. Plötzlich fragte der dicke Verkäufer: »War’s scharf genug?«
»Ja, wir wären fast verbrannt«, erwiderte Will.
Der Dicke war sprachlos über diese Antwort. Zum ersten Mal vergaß er, seinen berühmten Satz zu sagen.
Wir gingen zu Wills Wagen. Ich erkundigte mich, was eigentlich vorgefallen war. Am Telefon hatte sich der Kommissar nur in Andeutungen ausgelassen.
Will berichtete.
Viel war es auch nicht. Auf jeden Fall stand fest, dass wir die Umgebung des Grabs genauer durchleuchten wollten. Will hatte in der Zwischenzeit nicht geschlafen und herausgefunden, dass es dort noch eine alte Burgruine gab und auch eine Gruft.
Wir hatten jetzt die riesigen Parkplatzanlagen erreicht. Es grenzte fast an ein Wunder, wenn man da seinen Wagen wiederfinden wollte. »Sollen wir direkt zum Tatort gehen?«, erkundigte ich mich.
Mallmann schüttelte den Kopf. »Nein, auf keinen Fall. Ich habe nachgeforscht, an welchem Fall der Kollege Ziegler zuletzt arbeitete. Er war einem Dieb auf der Spur. Harry Hörger, heißt der Bursche.«
Ich musste grinsen. »Seit wann beschäftigt man sich beim BKA mit Dieben?«
»Der Mann hatte auch Dokumente gestohlen. Er ist in die Villa eines hohen Regierungsbeamten eingebrochen. Ziegler bekam dann den Auftrag, sich darum zu kümmern.«
»Hat man die Dokumente?«
»Nein.«
»Aber ihr wusstet schon lange, wer hinter den Diebstählen steckt?« forschte ich weiter.
»Sicher. Nur konnten wir nichts beweisen.« Mallmann hob die Schultern. Wir haben die Wohnung des Kerls ein paar Mal durchsuchen lassen. Nichts zu finden.«
»Und jetzt ist er da?«
»Vielleicht.«
Wir hatten Mallmanns Wagen erreicht. Er stand vor einer Parkuhr. Nur war die Zeit abgelaufen und jemand hatte einen Zettel unter den linken Wischer geklemmt.
Will schimpfte.
»Tja«, sagte ich und legte eine Hand auf das Autodach. »Hätten wir kein Schaschlik gegessen, wäre das nicht passiert.«
Will drohte mit dem Zeigefinger. »Wenn wir den Fall hinter uns haben, wirst du mich zu einer Sause einladen. Dann kannst du dich wundern, was ich alles esse, um zu einer guten Unterlage zu kommen …«
Ich lachte. Wir stiegen ein und fuhren ab. Einem neuen Abenteuer entgegen.
*
Jede allein erregte schon Aufsehen genug. Doch wer die beiden zusammen sah, der wurde direkt an eine Sex-Explosion erinnert. Fast alle Männer drehten sich nach den Frauen um, die meisten auch, wenn ihre eigenen dabei waren. Denn Pamela oder Barbara Scott und Viola Mandini waren wirklich zwei Rasseweiber.
Die eine schwarz wie die Nacht, die andere rothaarig wie die Farbe der Hölle.
Sie hätten als Fotomodelle Stargagen bekommen, doch sie hatten sich für einen anderen Job entschieden.
Sie arbeiteten für Dr. Tod.
Damit lagen die Verhältnisse offen. Viola Mandini und Barbara Scott, auch Lady X genannt, waren nichts anderes als zwei eiskalte Verbrecherinnen.
Und sie waren in Dr. Tods Auftrag unterwegs.
Das hatte seine Gründe. Noch immer fehlte diesem Superverbrecher und Mensch-Dämon das sechste Mitglied der Mordliga: Xorron, Herr der Zombies. Irgendwo auf der Welt existierte er.
Er hatte Tokata den Samurai des Satans aus Japans Erde geholt. Ihm war Mr. Mondo, ein genialer Wissenschaftler mit einem krankhaften Verbrecherhirn begegnet, ebenso wie Lupina, die Königin der Wölfe. Auch Vampiro-del-mar, den Kaiser der Blutsauger hatte er aus dem Meeresboden geholt, und Lady X, die ehemalige Terroristin, zählte ebenfalls zu seinen Verbündeten, auf die Dr. Tod keinesfalls verzichten wollte. Mit Hilfe eines geheimnisvollen Tranks hatte er sie sogar aus dem Gefängnis geholt. Dabei war noch Viola Mandini sozusagen abgefallen. Sie, eine Mörderin, hatte sich ebenfalls rasch auf die Seite ihrer Mitgefangenen geschlagen und war in Dr. Tods Dienste getreten.
Für Solo Morasso hatte es einen ungeheuren Vorteil, dass die Mordliga nicht nur aus Dämonen bestand. Wenn er sie losschickte, würden sie auffallen. Bei Lady X war das nicht der Fall. Ebensowenig wie bei Mr. Mondo. Das waren Menschen, die sich unter Menschen bewegen konnten, wenn sie auch dachten wie Dämonen. Sie sollten immer vorfühlen, auskundschaften, und wenn sie das Terrain freigelegt hatten, kamen Dr. Tods grausame Geschöpfe und schlugen zu.
Im Augenblick suchte er noch das sechste, vollwertige Mitglied der Mordliga: Xorron, den Herrn der Zombies.
Dr. Tod forschte überall nach. Bisher ohne Erfolg. Er hatte nicht herausbekommen, wo sich Xorron versteckt hielt. Es gab nur immer vage Hinweise, aber er ging ihnen nach.
Dr. Tod hatte von zwei uralten Ghouls namens Horatio und Hiberno gehört, die auf einem verkommenden Soldatenfriedhof hausten und angeblich wissen sollten, wo sich Xorron, das letzte Mitglied der Mordliga aufhielt. Sicher war das nicht, aber Dr. Tod ließ sich keine Chance entgehen und schickte die beiden Frauen los.
Für die rothaarige Viola Mandini war das der erste Auftrag in der Freiheit, und sie genoss die Fahrt mit dem schnellen BMW-Coupé über die bundesdeutsche Autobahn.
Viola räkelte sich auf dem Sitz. Das lange Haar trug sie offen. Es breitete sich wie ein Vlies um die Kopfstütze. Die Felljacke hatte sie ausgezogen. Sie lag auf dem Rücksitz. Viola trug einen locker fallenden Pullover und eine enge Cordhose. Über die Füße hatte sie Stiefel mit flachen Absätzen gestreift.
»Was ist?«, fragte Lady X, als sie einen raschen Seitenblick auf die Rothaarige warf.
»Mir gefällt es.«
»Was gefällt dir?«
»Die Fahrt in der Freiheit.«
»Das glaube ich dir gern. Auch mir hat es gestunken, im Knast sitzen zu müssen, aber das kommt nicht mehr vor. Ich schwöre es dir, meine Liebe.«
»Du bist dir verdammt sicher.«
Lady X überholte einen Mercedes. »Kann ich auch mit Dr. Tod als Rükkendeckung.«
»Du hältst sehr viel von ihm?«
Lady X nickte. »Er hat uns schließlich aus dem Knast heraus geholt und bewiesen, dass er uns nicht im Stich lässt.«
»Und Sinclair?«, fragte Viola.
»Wieso?«
»Was hältst du von ihm? Als Mann, meine ich.«
Die Scott verzog ihre Lippen. »Wenn ich Sinclair im Bett hätte, würde ich ihn erschießen.«
»So brutal?« Die Mandini lachte.
»Ja. Und du?«
»Ich wüsste nicht so recht.«
»Sag bloß, er gefällt dir.«
»Es wäre doch einmal reizvoll, seinen Feind oder Gegner zu verführen«, lächelte die Rothaarige.
»Was du für Gedanken hast. Lass die nur nicht Dr. Tod hören«, warnte die Scott.
»Deshalb erzähle ich sie auch nur dir.« Viola Mandini glaubte immer noch, in Lady X so etwas wie eine Freundin gefunden zu haben, nur weil diese sie aus dem Gefängnis mitgenommen hatte. Doch da irrte die rothaarige Mörderin. Lady X wusste nichts von einer gewissen Knastbrüderschaft. Wenn es um ihren Vorteil ging, dann ließ sie die anderen eiskalt über die Klinge springen. Sie stand loyal zu Solo Morasso. Solche Gedanken wie sie die Frau neben ihr hatte, waren verdammt gefährlich.
Die Mandini lächelte. »Ist nicht dein Fall, wie?«
»Nein.«
»Vergiss es.«
»Ist auch besser.« Lady X sprach nicht mehr über das Thema, behielt es aber in ihrem Gehirnwinkel. Sie konzentrierte sich mehr auf das Fahren. Frankfurt hatten sie hinter sich gelassen und fuhren jetzt in Richtung Köln. An einer der nächsten beiden Abfahrten mussten sie runter, da ging es in den Taunus.
Wie auch die Mandini trug Lady X ebenfalls eine Pelzjacke. Das Haar hatte sie allerdings hochgebunden und mit einem Gummi zusammengesteckt. Sie war eine Frau, die Männer anzog, sie aber wieder abstieß, sobald sich die Knaben näher mit ihr befasst hatten. Barbara Scott strahlte dann solch eine Kälte aus, dass keiner Lust verspürte, länger mit ihr zusammen zu sein. Man ließ von der schönen Pamela lieber die Finger.
»Kennst du eigentlich den Weg?« fragte die Mandini.
Lady X nickte. Sie setzte die dunkle Brille auf, weil die tiefstehende Februarsonne in den Wagen schien und die beiden Frauen blendete.
An einer Steigung röhrte der Motor des BMW auf. Fast verbissen nahm die Scott die lange Kurve und zog dann rüber von der linken ganz auf die rechte Seite, weil sie die Ausfahrtmarkierung bereits gesehen hatte und es Zeit wurde, sich einzuordnen.
Viola schüttelte den Kopf. »Wie du das immer so schaffst«, murmelte sie. »Ich könnte das alles nicht.«
Lady X hob die Schultern. »Man gewöhnt sich daran. Eine Frau sollte eben selbstständig sein.«
»Klar.«
Die Abfahrt.
Breite Pirellis summten über den Belag, kreischten, aber der Wagen hielt die Spur, auch als er rasant gefahren wurde.
Am Ende der Ausfahrt nahmen die beiden Frauen den Weg in Richtung Bad Schwalbach.
Vor ihnen breitete sich die Landschaft des Taunus aus. Sanfte Hügelrücken, enge Täler mit Bergen drumherum, viel Wald, dazwischen auch helle Wiesenflecken und natürlich alte Dörfer, die malerisch aus der Entfernung wirkten.
»Die Ghouls hast du auch noch nicht gesehen, wie?«, fragte die ehemalige Tochter eines Geisterbahn-Besitzers.
»Nein.«
»Sie werden uns töten wollen.«
Lady X verzog verächtlich die Mundwinkel. »Vielleicht, aber ich habe ein gutes Gegenmittel. Außerdem kommen wir von Dr. Tod. Das ist etwas ganz anderes.«
»Treiben Sie schon lange ihr Unwesen dort?«
»Wenn sie Xorron kennen, sicher.«
Mehr sagte Lady X nicht. Sie konzentrierte sich auf die Fahrt durch den Taunus.
Einen Plan hatte ihnen Dr. Tod mitgegeben. Sie wussten also genau, wie sie an die Ghouls herankommen konnten. Horatio und Hiberno hatten an sich einen ziemlich großen Existenzbereich. Sie hausten unter einem alten Friedhof, von dem sie einen Gang bis hin zu einer Leichengruft gegraben hatten. Den zweien ging es gut. Niemand hatte sie bisher gestört, aber wie Lady X von Dr. Tod erfuhr, waren die Ghouls in letzter Zeit aktiv geworden. Das heißt, sie verhielten sich nicht mehr so vorsichtig und griffen wieder an.
Wahrscheinlich war ihre Sucht ungeheuer stark geworden. Wie dem auch sei, man musste sich mit ihnen arrangieren, denn Barbara Scott war keine große Freundin von Ghouls. Sie mochte die Dämonen nicht, aber man konnte sich seine Verbündeten nicht aussuchen.
Wie auch Viola Mandini!
Noch saß sie ahnungslos neben Lady X. Aber Dr. Tod hatte sofort erkannt, dass diese Frau nicht weiter in die Mordliga integriert werden sollte, obwohl sie auch gemordet hatte, zeigte sie noch Gefühle, und das war schlecht im Geschäft des Schreckens. Deshalb hatte die Scott auch einen festumrissenen Auftrag von ihrem Chef bekommen. Die beiden Ghouls sollten die Auskunft nicht umsonst geben. Als Belohnung würden sie Viola Mandini bekommen.
Und wie recht Solo Morasso mit seinen Vermutungen gehabt hatte, bewiesen die Worte der Mandini. Sie fand den Todfeind Sinclair sogar ein wenig sympathisch. Nein, das konnte und durfte nicht durchgehen und musste bestraft werden.
Von diesen Plänen und Gedanken ahnte Viola Mandini natürlich nichts, als sie neben Lady X hockte. Sie war weiterhin der Meinung, dass alles glatt laufen und sie voll integriert sein würde.
Die Närrin!
»Eine Pause könnte ich vertragen«, schlug Viola vor. »Ich habe nämlich Hunger.«
Lady X überlegte. Die Ghouls würden sie sowieso erst bei Anbruch der Dunkelheit treffen. Es war Mittagszeit, und der Magen brauchte auch etwas.
Sie war einverstanden.
Wenige Minuten später hielten sie vor einem Gasthof, dessen Besitzer ein Schild hinausgestellt hatte und darauf sein gutes Essen anpries. Die beiden Frauen kehrten ein. Niemand der wenigen Gäste ahnte, dass er es bei ihnen mit zwei gefährlichen Verbrecherinnen zu tun hatte.
*
Kein Sonnenstrahl drang in die Tiefe der Erde unter den alten Gräbern. Und dort fühlten sie sich wohl.
Sie waren zufrieden mit ihrem Leben und hatten sich in eine Grotte zurückgezogen.
»Wie geht es dir?«, fragte Hiberno.
Sein Bruder Horatio seufzte. »Wunderbar.«
»Ich fühle mich auch wohl.«
»Es waren viele Menschen da«, sagte Hiberno. »Sie haben herumgerätselt, wer den Mann wohl umgebracht haben könnte.«
Horatio lachte glucksend. »Das werden sie nie herausfinden. Wer denkt schon an uns?«
»Das stimmt, Bruder.«
Horatio bewegte sich. Etwas klapperte. Es waren bleiche Knochen, die durch die Bewegung verschoben wurden. Überreste. »Ich habe wieder Spaß bekommen, Bruder, und ich glaube, dass uns das Glück zur Seite stehen wird. Für uns brechen bessere Zeiten an.«
Hiberno fragte: »Woher weißt du das?«
»So etwas spüre ich.«
»Wirklich?«
»Ja, Die Zeiten ändern sich. Glaube mir, mein Freund. Wir werden wieder stärker in den Vordergrund treten. Ich habe magische Signale gespürt. Etwas braut sich zusammen.«
Hiberno stieß ein lang gezogenes Grunzen aus. »Ich bin sehr gespannt darauf.«
»Ich auch, Bruder …«
*
Der große Dieb und Einbrecher Harry Hörger wohnte in einem tristen Hinterhaus. Wir hatten seine Bleibe sofort gefunden, aber er war nicht da.
Von den Nachbarn bekamen wir kaum konkrete Hinweise. Man merkte den Leuten an, dass sie mit der Polizei nicht so gern redeten.
»Sollen wir warten?«, fragte Will.
Ich schaute auf die Uhr. Es ging bereits auf den Nachmittag zu. Viel Zeit durften wir nicht verlieren, und ich schüttelte den Kopf. »Nein, Will, ich wäre dafür, dass wir fahren. Schließlich liegen noch einige Kilometer vor uns.«
Mallmann gab mir recht. Über eine Außentreppe verließen wir die Bude, durchquerten eine enge Einfahrt und gelangten wieder in die schmale Straße, deren Häuser hätten malerisch aussehen können, wenn an den Fassaden was getan worden wäre. So aber wirkte alles ziemlich traurig und verkommen.
In der Nähe des Mantas lungerten einige Typen herum, die den Wagen mit hungrigen Augen betrachteten. Sie hätten ihn wohl gern zerpflückt. Wir stiegen ein, und Will startete.
Während wir durch die Wiesbadener Innenstadt fuhren, fragte mein deutscher Freund: »Hast du dir eigentlich schon einen Plan gemacht, wie du vorgehen willst?«
»Nein.«
»Ich auch nicht. Aber wir müssen die Ghouls finden.«
»Das geht am besten, wenn wir durch die unterirdischen Gänge kriechen.«
Will schluckte. »Ehrlich?«
Ich lachte. »Ja, das habe ich sogar schon hinter mir.« Dabei dachte ich an den Fall der gläsernen Särge, als ich Abbot, einen Leichenbestatter, und Ghouls gejagt hatte.*
»Das ist nichts für mich.«
»Weiß ich, Will. Deshalb probieren wir auch eine andere Möglichkeit. Du sagtest, dass es in der Nähe eine alte Burgruine und eine große Gruft geben soll.«
»Richtig.«
»Dann können wir dort unser Hauptquartier aufschlagen.«
»Du sprichst mir aus der Seele, John.«
Die nächsten Minuten vergingen schweigend. Dann hatten wir die Innenstadt und damit den meisten Verkehr hinter uns gelassen und fuhren den Randbezirken der Stadt entgegen.
Ich schaute aus dem Fenster, verdrehte die Augen, sodass ich den Himmel sehen konnte.
Klar war er nicht. Ein leichtes, graues Wolkenband hatte sich wie ein feines Netz vor den Himmel gelegt und ließ den blassen Sonnenball noch fahler erscheinen. Es war wieder kälter geworden. Sicherlich gab es in der Nacht Glatteis.
Kein Vergnügen, bei diesem Wetter unterwegs zu sein. Ich sah die ersten Weinberge des Rheingaus.
Eine schöne Gegend, die man sich nur im Sommer vorstellen musste.
»Gefällt es dir?«, fragte Will.
»Ja.«
Während meiner Laufbahn als Geisterjäger hatte ich schon zahlreiche deutsche Landschaften kennengelernt. Diese Ecke hier war mir zwar nicht bekannt, aber zwischen Frankfurt und Köln hatten Will, Suko und ich mal einen Geisterfahrer gejagt, der sich hinterher als der Schwarze Tod herausgestellt hatte.*
Aber das lag lange zurück.
Will Mallmann fuhr sicher. In gefährlichen Kurven zeigte er, dass er ein routinierter Fahrer war, der sich auf sein Können und die Sicherheit des Wagens verließ.
Ich rauchte eine Zigarette und hing meinen Gedanken nach. Die Gegend wurde einsamer. Es gab weniger Orte, dafür mehr Wald. Auf den flachen Bergkuppen glänzte es noch weiß. Schnee, der liegen geblieben war. Manchmal prasselte Streusalz gegen die Karosserie des Wagens.
Eine scharfe Kurve tauchte vor uns auf. Will senkte die Geschwindigkeit und deutete nach rechts.
»Da liegt die Burgruine«, sagte er. Ich sah nichts. Wald verdeckte mir die Sicht, über dem ein grauer Himmel lag.
Bald würde die Dämmerung einsetzen, denn es war ein trüber Tag gewesen. Selbst gegen Mittag war es nicht richtig hell geworden.
»Bist du über die Ruine informiert?« fragte ich den Kommissar.
»Wie meinst du das?«
»Wem hat sie gehört?«
Mallmann hob die Schultern. »Keine Ahnung. Es fühlt sich auch niemand dafür zuständig. Zum letztenmal war sie während der amerikanischen Besatzungszeit belegt. Da diente sie als eine Art Hauptquartier. Als die Amerikaner ausgezogen waren, hat sich niemand mehr um das Gemäuer gekümmert. Wandergruppen sind wohl dort hingezogen, das ist auch alles. Allerdings hat man in der Nähe einen der berühmten Grillplätze eingerichtet. Im Sommer herrscht da Betrieb.«
Ich warf Will Mallmann einen schrägen Blick zu. »Und die Ghouls?«
»Wir haben nichts gehört.«
»Na ja.«
Wir durchfuhren ein Dorf. Die Straße wurde in der Ortsmitte sehr eng. Geschäfte, Wohnhäuser zu beiden Seiten, Menschen auf den schmalen Bürgersteigen.
Alles sah normal aus.
Nach dem Ort wurde die Straße breiter. Waldgelände, ansteigend. Zahlreiche Fichten wiegten ihre großen Kronen im Wind.
Will Mallmann blieb noch auf der Straße, bis er dann in einen schmalen Weg einbog. »Der führt direkt in die Nähe der Burg«, erklärte er mir.
»Und zum Tatort?«
»Auch.«
Der Feldweg testete die Stoßdämpfer des Manta. Wir wurden ziemlich durchgeschüttelt. Enge Kurven. Zweige wischten über das Wagendach. Es wurde noch dunkler.
Dann sahen wir eine Lichtung. Mallmann lenkte seinen silbergrauen Flitzer nach links. Die breiten Reifen wühlten die weiche, feuchte Erde auf.
Der Kommissar stoppte. »Endstation.«
Wir stiegen aus.
Braunes Gras scheuerte an meinen Hosenbeinen. Die Luft war kalt. Sofort stand der Atem vor meinen Lippen. Ich war froh, die gefütterte Jacke angezogen zu haben.
Vom Rücksitz nahm ich den Einsatzkoffer und klappte ihn auf. Ich gab Will eine mit Silberkugeln geladene Waffe und auch den Dolch. Ich selbst trug die Beretta und das Kreuz bei mir. Dann steckte ich mir noch die magische Kreide ein, sowie die Dämonenpeitsche, die mir Suko überlassen hatte. Er besaß ja jetzt einen Stab aus dem Erbe des großen Buddha.
»Du hast gut vorgesorgt«, sagte Will.
Ich nickte. »Das muss man auch.«
Will schlug die Tür zu und schaute mich fragend an. »Gehen wir zuerst zum Grab?«
»Meinetwegen.«
Der Kommissar schritt vor. Er bahnte sich seinen Weg quer durch das Gelände. Nur gut, dass ich festes Schuhwerk angezogen hatte.
Wege gab es nicht. Oft musste ich mich ducken, um unter tiefhängenden Zweigen herzulaufen. Es war still in diesem Wald. Unsere Schritte verursachten die einzigen Geräusche. Sie wurden lauter wenn wir über gefrorenen Schnee gingen.
Hin und wieder schreckten wir einen Vogel auf, der hastig einen anderen Platz anflog.
Noch bevor wir das Ende des Waldes erreichten, gestatteten mir die etwas weiter auseinanderstehenden Bäume eine freiere Sicht. Und ich entdeckte den Friedhof.
Er sah wirklich verwahrlost aus. Wie der alte Totenacker, den ich vor kurzem in Soho gesehen hatte, als Glenda Perkins und ich uns gegen die flammenden Augen verteidigen mussten.
Will war stehen geblieben. Er streckte den Arm aus. »Hier ist es passiert!«