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10 gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band!
Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern aus den Jahren 1978 - 1989 und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Tausende Fans können nicht irren - über 640 Seiten Horrorspaß garantiert!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 261 - 270.
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Seitenzahl: 1420
Veröffentlichungsjahr: 2021
Jason Dark
John Sinclair Großband 27
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
Der Mann betrat die Boutique kurz vor Ladenschluss, als Isabella Norton bereits den Schlüssel in der Hand hielt, um die gläserne Eingangstür abzuschließen. Wir haben schon geschlossen, wollte sie sagen, doch die Worte blieben ihr buchstäblich im Hals stecken, denn der Mann schaute sie mit einem Blick an, der tief in ihre Seele hineinbrannte. Dieser Mann flößte ihr Angst ein. Zwei Schritte blieb er vor ihr stehen und hatte nur Augen für sie. Isabella fühlte sich unter seinen Blicken wie ausgezogen. Und unsichtbare Fingerspitzen schienen über ihren Rücken zu laufen.
Das war kein Kunde – niemals!
Und Isabella sollte recht behalten, denn der Mann war vom Teufel besessen.
Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen RomanheftausgabeBastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG© 2015 by Bastei Lübbe AG, KölnVerlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian MarzinVerantwortlich für den InhaltE-Book-Produktion:Jouve
ISBN 978-3-8387-3020-2
www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.dewww.bastei.de
Der Mann betrat die Boutique kurz vor Ladenschluss, als Isabella Norton bereits den Schlüssel in der Hand hielt, um die gläserne Eingangstür abzuschließen.
Wir haben schon geschlossen, wollte sie sagen, die Worte blieben ihr buchstäblich im Halse stecken, denn der Mann schaute sie mit einem Blick an, der tief in ihre Seele hineinbrannte.
Die rotblonde Frau zuckte zurück. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Mit fast 40 Jahren hatte sie so ziemlich alle Höhen und Tiefen des Lebens hinter sich gebracht, zwei Scheidungen überstanden und sich von dem Geld die Boutique einrichten können, nun war sie sprachlos.
Und ein Gefühl der Furcht kam hinzu.
Dieser Mann flößte ihr Angst ein. Zwei Schritte vor der Tür blieb er stehen und hatte nur Augen für sie. Isabella fühlte sich unter dem Blick wie ausgezogen. Unsichtbare Fingerspitzen schienen über ihren Rücken zu laufen.
Das war kein Kunde – niemals!
Sie hatte einen Blick dafür, wer bei ihr einkaufen wollte. Zumeist waren es Frauen. Wenn Männer mitkamen, dann traten sie erstens anders auf und besaßen zweitens auch immer einen leicht gequälten Gesichtsausdruck, weil ein Einkauf bei Isabella immer stark ins Geld ging.
Zweimal musste sie Luft holen, bevor sie die Frage stellen konnte, die ihr auf dem Herzen lag. »Wer … wer sind Sie?«
Der Mann lächelte, bevor er einen Satz so locker dahinsagte. »Ich bin der Teufel!«
*
Ein Witzbold!
Diesen Gedanken hatte Isabella zuerst. Das kann nur ein Witzbold sein, der so etwas sagt. Sie wollte die passende Erwiderung geben, als sie schluckte.
Nein, der Mann nicht. Dieser Typ machte keine Scherze, dem war es ernst, er war gekommen, um etwas von ihr zu fordern.
Geld?
Ein Dieb, ein Einbrecher, ein Gangster. So musste es sein. Sicherlich hatte es sich herumgesprochen, dass ihre täglichen Einnahmen nicht gerade gering waren, und Menschen waren schon für weniger als zehn Pfund in London umgebracht worden.
Irgendwann musste es ja passieren. Bisher war alles gut gegangen, dank einer hervorragenden Alarmanlage, doch nun hatte man sie erwischt.
Gefährlich sah der Mann aus. Ihm war anzumerken, welch eine Macht er besaß. Mit einem Blick nur konnte er die Kontrolle über seine Mitmenschen bekommen.
Ein Teufel?
Isabella Norton hatte sich den Teufel immer anders vorgestellt. Als ein ziegenköpfiges bockbeiniges Wesen, das nach Schwefel stank, aber keinen dunkelgrauen Zweireiher mit Nadelstreifen trug, dazu ein weißes Hemd und eine dezent gestreifte Krawatte. Sein Haar war schwarz, ziemlich kurz geschnitten, dennoch dicht gelassen. Auf den Wangen glaubte die Frau, den Schatten eines Barts zu sehen. Wie zwei Striche wirkten die ebenfalls dunklen Augenbrauen, sie hoben sich von der helleren Haut stark ab, und die Pupillen der Augen erinnerten an düstere Perlen.
Sah so ein Dieb aus?
Auch diese Theorie brach innerhalb von Sekunden zusammen. Isabella Norton wollte daran nicht glauben, dieser Mann musste einen anderen Grund für sein Kommen haben.
»Sie sind also der Teufel«, stellte sie mit rauer Stimme fest.
»Stimmt genau.«
»Und was wollen Sie hier?« Isabella hatte sich entschlossen, auf das Spiel einzugehen. »Gehören Sie nicht in die Hölle, Mr. Teufel?«
Ein knappes Lächeln umspielte die Lippen des Mannes. Die Augen erreichte es nicht. Sie blickten kalt und starr. »Aus der Hölle komme ich geradewegs«, erklärte er. »Und ich hatte mir vorgenommen, Sie zu besuchen.«
»Das ist gut.« Allmählich gewann Isabella ihre Fassung wieder zurück. »Möchten Sie etwas kaufen? Vielleicht ein kleines Geschenk für Frau oder Freundin? Ich habe eigentlich schon geschlossen, aber für Sie mache ich eine Ausnahme.«
»Ich will nichts kaufen.«
»Was wollen Sie dann?« Isabella wurde wütend.
»Dich!«
Das Wort war scharf und hart ausgestoßen worden, und die Sicherheit der Boutique-Besitzerin brach zusammen wie ein Kartenhaus. Jetzt hatte sie wieder Angst, und sie ging unwillkürlich zwei Schritte zurück, wobei sie einen Arm hob. Ihre Hand presste sie dorthin, wo sie den Herzschlag spüren konnte, der auf einmal seltsam hämmerte.
Reiß dich nur zusammen! Lass dich nicht verrückt machen! So dachte die Frau und atmete hart und heftig. Obwohl es ihr schwerfiel, überwand sie sich und sprach den vor ihr stehenden Kunden an.
»Verlassen Sie meinen Laden. Und zwar auf der Stelle. Ich will Sie hier nicht mehr sehen!«
Der Besucher lächelte nur spöttisch. Dann ging er vor, wobei der lindgrüne Teppichboden seine Schritte zur Lautlosigkeit dämpfte. Er blieb neben einem fahrbaren Ständer stehen, streckte seinen linken Arm aus und fasste nach einem Rock, der weit geschwungen war und dessen Stoff er durch die Finger laufen ließ.
»Wäre doch schade um das alles hier«, sprach er, ohne sich um die Aufforderung der Inhaberin zu kümmern.
»Ich rufe die Polizei!«, stieß Isabella hervor.
»Bitte.« Der Mann deutete mit der Hand auf den kleinen Holzschreibtisch, auf dem unter anderem auch das Telefon stand.
Isabella Norton war geschockt. Damit hätte sie nicht gerechnet. Hatte der Mann keine Angst?
Sie ging zurück und drehte sich dabei zur Seite. Okay, sie hatte ihn gewarnt, und sie wollte ihren Vorsatz auch in die Tat umsetzen.
Der Mann blieb stehen und schaute gelassen zu, wie sie den Hörer in die Hand nahm. Sie schielte den Besucher an, während sie gleichzeitig die Nummer eintippte.
Die Taste für die letzte Zahl hatte sie noch nicht berührt, als etwas geschah, das sie fast bis in den Wahnsinn trieb.
Der rote Hörer veränderte sich. Der Kunststoff in ihrer Hand wurde zu einer widerlich weichen Masse, die zwischen ihren Fingern hervorquoll.
Wie zäher Sirup sah das Zeug aus, das über ihren Handrücken rann, die Uhr bedeckte und zwischen Haut und Ärmel verschwand.
Mit einem Schrei auf den Lippen fuhr Isabella Norton herum. Sie schüttelte den Kopf, ihre rotbraunen Haare flogen, und sie hörte den unheimlichen Besucher lachen, bevor er fragte: »Wollten Sie nicht telefonieren, Isabella?«
Hohn! Der reine Hohn sprach aus diesen Worten. Der Kerl wusste genau, dass es nicht ging. Irgendetwas hatte den Apparat zerstört, er war nur noch eine weiche, warme Masse, die man kneten konnte.
»Was ist da geschehen?«, hauchte sie. »Verflucht, wie ist das möglich?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich der Teufel bin, Gnädigste!«
Pfeifend saugte Isabella die Luft ein. »Den Teufel gibt es nicht!«, schrie sie. »Verdammt, das ist eine Erfindung! Es gibt keinen Teufel! Hören Sie auf!«
»Sie müssen es ja wissen.« Der Besucher blieb gelassen. »Wollen Sie noch eine Kostprobe?« Er kam langsam näher.
»Nein!«, keuchte Isabella. »Nein, auf keinen Fall. Hauen Sie ab, verschwinden Sie! Ich … ich …«
»Wirst du mir gehören?« Er war jetzt so nahe herangekommen, dass Isabella Norton nicht mehr ausweichen konnte, denn sie stieß mit der Hüfte gegen ihren Schreibtisch.
Der Mann stand dicht vor ihr. Sein Blick bohrte sich in ihre Augen, und dann hob er die Arme an.
Die Frau spürte seine Hände an ihrer Taille. Sie trug eine weiße Bluse aus Baumwolle und einen pechschwarzen Rock.
Kalte Hände besaß der Mann. Sie glitten höher und näherten sich ihrer Brust.
Isabella vereiste innerlich. Sie stellte sich auf Abwehr ein, ihre Hände hatte sie gedreht und die Ballen auf den Schreibtisch gestützt. So weit wie möglich beugte sie sich zurück, und sie spürte seine Finger jetzt auf ihren Brüsten.
Nicht dass sie prüde gewesen wäre, nein, das auf keinen Fall, aber diese Anmache ekelte sie an. Was nahm dieser Kerl sich überhaupt heraus, und er grinste sie dabei noch lüstern an.
Mit routinierten Bewegungen ließ er seine Hände über ihren Körper gleiten. Er drückte sie immer weiter zurück, und Isabella spürte, wie ihr dunkler Wickelrock an der rechten Oberschenkelseite aufklaffte.
Die Frau konnte sich nicht mehr halten. Jetzt würde sie von dem Kerl auf den Rücken gelegt werden.
Und das an einer belebten Straße, dachte sie. Es passierten doch Menschen das Eckgeschäft mit der großen Schaufensterscheibe, und sie schauten auch in das Geschäft, aber Hilfe bekam sie nicht.
Sie ruckte weiter zurück. »Lassen Sie mich los!«, keuchte sie. »Sie … Sie tun mir weh …«
Der Mann lachte nur. Er hatte seinen Mund geöffnet, und Isabella glaubte, einen Schwefelgeruch wahrzunehmen, der über die Lippen des Mannes wehte.
Etappenweise rückte sie mit den Händen zurück. Und plötzlich lag ihr rechter Handballen auf etwas Hartem aus Metall.
Sie wusste sofort, dass es eine Schere war. Eine lange Stoffschere mit sehr scharfen Spitzen.
Wenn alles nichts half, dann …
Automatisch riss sie ihr Knie hoch, als der Mann sie noch weiter nach hinten drücken wollte.
Und sie traf.
Er hätte jetzt schreien müssen. Jeder an seiner Stelle hätte geschrien, nicht dieser Besucher. Er starrte die Frau nur an, während er sie losließ und zurückging.
Tief holte sie Luft. Sie fühlte sich von einem Druck befreit, drängte ihren Oberkörper vor und hielt plötzlich die Schere in der rechten Hand. Beide Schenkel lagen zusammen, sie bildeten eine Linie, und Isabella Norton hob den rechten Arm.
»Wenn du nicht verschwindest, du Bastard, dann steche ich zu!«, zischte sie, wobei sie sich selbst über die Worte wunderte, die aus ihrem Mund drangen.
»Du willst mich töten?«, höhnte der Mann.
»Bei Gott, ich tu’s!«
»Lass das Wort aus dem Spiel!«, erwiderte der Typ und warf sich urplötzlich vor.
Damit hatte Isabella Norton nicht gerechnet. Sie konnte nicht so schnell weg, und sie hielt zudem noch die Schere in der rechten Hand. Der andere machte auch keinerlei Anstalten, auszuweichen, und das Unglück war nicht mehr aufzuhalten.
Er fiel nicht nur gegen sie, sondern auch gegen die Schere in ihrer Hand.
Tief drang die zweckentfremdete Waffe in den Körper des Mannes.
Isabella Norton ließ die Schere so heftig los, als wäre sie glühend geworden. Dann drückte sie mit den Knien den Oberkörper des Mannes nach hinten, der auf den Rücken fiel und liegen blieb.
Die Schere steckte in seiner Brust.
»Mörderin!«, flüsterte die Frau, »ich bin eine Mörderin., Niemand wird mir glauben, dass es ein Unfall war, niemand … « Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht und begann zu weinen …
*
In Hongkong war sie geboren worden und auch aufgewachsen, doch in London fühlte sie sich am wohlsten. Vor allen Dingen deshalb, weil sie mit ihrem Partner, dem Inspektor Suko, zusammenlebte und sie in der Millionenstadt schon zahlreiche Freunde gefunden hatte.
Die Rede ist von Sukos Freundin Shao, der bildhübschen Chinesin mit den langen Haaren.
Zu ihren gemeinsamen Freunden gehörten die Conollys. Sheila, Bill und der kleine Johnny. Shao und Sheila verstanden sich prächtig, sie verbummelten so manchen Nachmittag in der Stadt und schauten in zahlreiche Geschäfte hinein, denn Sheila Conollys Interesse an Mode war groß. An diesem Spätnachmittag im März hatten die beiden Frauen schon einiges hinter sich und waren auch mit Tüten beladen, als sie sich in einem kleinen Bistro-Café zum Ausruhen niederließen.
Zahlreiche Männer drehten sich um, als die Frauen das Lokal betraten. Sie waren auch zu unterschiedlich. Die eine blondhaarig, die andere schwarz und exotisch anzusehen. Ein krasser Gegensatz, und doch passten sie irgendwie zusammen.
Sheila schlüpfte aus ihrer Jacke. Ein Ober kam und nahm sie ihr ab. Auch Shao wurde von ihrer Jacke befreit, danach ließen sich beide Frauen an einem runden, weiß gestrichenen Tisch nieder und stellten die Pakete auf den dritten freien Stuhl.
Shao und Sheila streckten die Beine aus. Sie atmeten erst einmal tief durch.
»Das tut gut«, stöhnte Sheila. »Meine Güte, haben wir einen Marsch hinter uns.«
»Da sagst du was.«
Der Kellner kam und fragte nach den Wünschen. »Kaffee«, sagte Sheila und schaute Shao dabei an. »Du auch?«
»Gern.«
»Also zwei Kannen.«
»Auch etwas zu essen?«
»Später vielleicht.«
»Gut, wie Sie wünschen.« Der Kellner verschwand wieder.
Das kleine Lokal lag günstig. In der Nähe befanden sich zahlreiche Geschäfte, unter anderem auch Boutiquen, Läden mit Kunstgewerbe-Artikeln, Porzellan-Geschäfte und Buchläden.
Zudem lag alles nahe der berühmten King’s Road und nicht weit vom Chelsea Antique Market entfernt.
»Wohin willst du denn jetzt noch?«, fragte Shao, als der Kellner den Kaffee gebracht hatte. Die schwarze Brühe wurde in hohen, weißen Tassen serviert und dampfte.
Sheila nahm einen Schluck, bevor sie die Antwort gab. »Nur noch bei Isabella vorbeischauen.«
»Und wer ist das?«
»Isabella Norton führt eine Boutique. Sie hat immer sehr schicke Sachen. Ich habe mir dort eine Bluse zurücklegen lassen, die wollte ich eigentlich anprobieren und abholen.«
Shao verzog die Mundwinkel. »Müssen wir da sehr weit laufen?«, fragte sie.
Sheila blieb ernst bei der Antwort. »Mit einem Taxi können wir nicht fahren.«
»Weshalb nicht?«
»Weil sie ihr Geschäft genau gegenüber hat.« Sheila lachte und strich ihren locker fallenden Pullover glatt. Shao aber drehte sich nach rechts und schaute durch die Scheibe. Es war ein trüber Tag in London. Bis zum Mittag hatte es Nebel gegeben, und auch jetzt fuhren die Wagen mit Licht. Obwohl es noch nicht dunkel war, spiegelten sich die Scheinwerfer bereits in den Scheiben der Schaufenster und erschwerten die Sicht.
Auch Sheila drehte sich. »Das ist der Eckladen mit dem schmalen Parkstreifen vor dem Eingang.« Sie nahm noch einen Schluck.
»In dem Laden war ich noch nie.«
»Na ja, ich bin auch nur durch Zufall darauf gekommen. Du weißt, dass ich mich mal für Mode interessiert habe und selbst einmal ein Geschäft eröffnen wollte, aber das ging ja in die Hose.«
»Wegen Lady X, nicht wahr.«
»So ungefähr«, gab Sheila zu.
»Hast du den Plan eigentlich völlig aufgegeben?«, fragte die Chinesin.
Sheila behielt die Tasse in beiden Händen und schaute Shao über den Rand an. »Na ja«, gab sie zurück. »Eigentlich nicht. Aber wenn ich an den Stress und die Hetze denke, die so eine Ladenkette mit sich bringt, dann schrecke ich davor zurück.«
»Du kannst dir ja gute Geschäftsführer und Manager nehmen. Wie bei deinem Konzern.«
Sheila stellte die Tasse ab und bewegte abwehrend beide Hände. »Das kannst du nicht vergleichen, Shao. Mode würde mir Spaß machen, aber ich wäre zu viel unterwegs und müsste Johnny allein lassen.«
»Da hast du recht.«
Sheila lachte. »Also streichen wir vorerst die Modepläne. Ich bleibe weiterhin Käuferin.«
»Essen wir noch etwas?«
»Nein.« Sheila deutete auf ihren Bauch. »Ich muss sowieso abnehmen, aber du kannst dir ruhig etwas bestellen.«
Shao hob die Schultern. »Ich hätte schon Hunger auf ein Sandwich.«
»Nichts wie ran.«
»Haben wir denn Zeit?«
»Klar, Isabella schließt erst in zwanzig Minuten. Wenn sie schon zu hat, klopfe ich eben.«
»Okay.« Shao bestellte und bekam wenig später ihr Sandwich mit Käse. Beide Frauen schenkten Kaffee nach und kamen richtig ins Klatschen. Sie sprachen vor allen Dingen über ihre Männer, beschwerten sich manchmal gegenseitig, weil sie zu wenig zu Hause waren, und als Shao auf ihre Uhr schaute, erschrak sie.
»Was ist los?«, fragte Sheila.
»Du wolltest doch pünktlich …«
Sheila lachte. »Das hatte ich ganz vergessen. Ist der Laden denn schon dicht?«
»Er wird wohl gerade geschlossen.«
Sheila schaute durch die Scheibe. »Licht brennt noch«, sagte sie. »Und ich glaube, da ist auch ein Kunde im Laden. Spielt auch keine Rolle. Isabella nimmt es sowieso nicht genau mit den Ladenschlusszeiten.« Sie winkte dem Kellner und bat um die Rechnung.
Shao zog bereits ihre Steppjacke über und brachte Sheilas mit. Zusammen mit den Tüten verließen die beiden Frauen das Bistro-Lokal und kümmerten sich nicht um die anmachenden Worte der Männer, an deren Tischen sie vorbeigingen.
Da es in der unmittelbaren Nähe keine Ampel gab, mussten die beiden Frauen eine Lücke im Verkehrsstrom abwarten, um die Straße überqueren zu können.
Das kostete abermals zwei Minuten.
Im Laufschritt schafften sie es schließlich.
»Wir werden noch mal sportlich!«, rief Shao prustend und warf ihre lange Haarflut zurück.
»Klar, denn wer rastet, der rostet.« Sheila ging voraus, und die Chinesin folgte ihr.
Nur noch ein paar Schritte waren sie von der Boutique entfernt, als sie, wie vor eine Wand gelaufen, stehen blieben. Ihre Augen wurden groß, und Shao flüsterte schreckensbleich: »Das darf doch nicht wahr sein …«
*
Ich habe gemordet!
Dieser eine Satz brannte wie eine Anklage in ihrem Gehirn. Immer wieder. An nichts anderes konnte Isabella Norton denken. Sie stand bewegungslos auf dem Fleck, hielt den Kopf gesenkt und starrte mit leeren Blicken auf den Toten.
Die Knie waren ihr weich geworden. In den Augen brannte es, doch es wollten keine Tränen kommen. Der Gedanke an eine polizeiliche Untersuchung machte ihr zu schaffen. Sie dachte auch an die Folgen, die schlimm sein konnten.
Verhör – Gerichtsverhandlung – Verurteilung.
Was würde man ihr geben? Zehn Jahre, zwanzig? Wenn sie diese Zeit hinter sich hatte, war sie eine völlig gebrochene Frau. Es fiel ihr schwer, den Blick von der leblosen Gestalt zu wenden und in Richtung des Schaufensters zu sehen. Hatte es Zeugen für diesen Vorfall gegeben? Bisher nicht. Jedenfalls konnte sie niemand entdecken, der am Fenster stand, um seinen Blick in das Innere des Ladens zu werfen. Sie war allein mit der Leiche.
Und plötzlich kam ihr eine Idee. Gelesen hatte sie in manchem Krimi, dass Mörder ihre Opfer des Öfteren verschwinden ließen. Sie verbrannten sie oder warfen sie in einen Fluss.
Dieser Gedanke kam Isabella ebenfalls, und sie erschrak sogar darüber. Es rieselte kalt ihren Rücken hinab, ihr Herzschlag hämmerte wieder hart und fordernd, und sie dachte daran, dass sie den Toten in den Keller schaffen musste.
Erst einmal …
»Ja!«, hauchte sie und nickte entschlossen. »Ja, ich mache es. Ich will meine Existenz nicht aufs Spiel setzen. Es wird mir keiner glauben, dass es Notwehr war, ich kenne die Gerichte. Ich …« Sie unterbrach sich selbst und drehte sich um.
Zum Keller hinunter führte eine Wendeltreppe mit Holzstufen. Der Raum unten war nicht sehr groß. Isabella Norton hatte ihn als Lager eingerichtet. Dort waren die eingekauften Stoffe und Tücher aufbewahrt, die sie bei Bedarf an ihre Näherinnen weiterleitete. Diese Damen schneiderten ausschließlich nach den Entwürfen der Boutiquebesitzerin.
Einen Vorhang musste sie zur Seite ziehen. Er deckte die Treppe zum Verkaufsraum hin ab.
So rasch es ging, lief sie die Stufen hinab. Ihre hohen Absätze störten dabei ein wenig, zudem war sie aufgeregt und wäre fast gefallen. Es gab im Keller zwei Räume, das Stofflager und eine kleine Küche.
An der Hinterseite des Hauses existierte auch noch eine Außentreppe. Sie mündete in einen Hof, an dem die Rückfronten zahlreicher Geschäfte lagen. Es gab auch Einfahrten zur Straße hin. In der Nacht wollte sie die Leiche im Jaguar verstauen und mit dem Wagen an ein einsames Stück der Themse fahren.
Isabella betrat den größeren Kellerraum. Sie machte Licht und schaute sich um. So offen wollte sie die Leiche nicht liegen lassen. Auf dem Boden lagen Stoffreste. Sie sah auch einen großen Karton. Er war ebenfalls mit Stoffen und Wolle gefüllt. Beides räumte sie zur Seite, um Platz für die Leiche zu schaffen.
Als sie dies hinter sich hatte, lief sie die Treppe wieder hoch. Ihr Atem hatte sich beschleunigt. Schweiß lag auf ihrem Gesicht und rann ebenfalls den Rücken hinab.
Vor ihr lag eine Aufgabe, die sie am meisten fürchtete. Sie musste den leblosen Körper nach unten schaffen. Dabei schüttelte sie sich, als sie daran dachte, aber es gab keine andere Möglichkeit.
Isabella Norton ließ die Treppe hinter sich. Mit Schrecken fiel ihr ein, dass sie nicht abgeschlossen hatte. Wenn jetzt noch ein Kunde gekommen war, dann …
Wie vor eine Mauer gerannt, blieb sie stehen. Ihre Augen weiteten sich ungläubig, denn das, was sie zu sehen bekam, durfte nicht wahr sein.
Der Tote war verschwunden!
*
Hatte sie beim ersten Mal noch voller Entsetzen auf der Stelle gestanden und die Leiche angestarrt, so begann sie plötzlich zu lachen. Ja, sie lachte, und es hörte sich irre an, dieses Gelächter, das sie ausstieß. Sie schüttelte dabei den Kopf, die langen Haare flogen, und sie schlug mehrmals die Hände vor ihr Gesicht.
»Verrückt!«, flüsterte sie. »Das ist völlig verrückt.« Langsam ließ sie die Arme sinken. »Ich habe keinen erstochen, es gibt keine Leiche, das alles war ein Traum, Einbildung, Halluzination.« Um sich selbst zu bestätigen, nickte sie.
Aber war es das wirklich?
Einen Moment später begann sie wieder zu zittern. Da stoppte ihr Lachen, und das Gesicht veränderte sich. Die Augen hatte sie weit aufgerissen, die Zunge fuhr über die spröden Lippen, und eine heiße Welle schoss in ihrem Innern hoch.
Nein, die Leiche war keine Einbildung gewesen. Sie hatte dem Kunden die Schere in den Leib gestoßen. Zudem musste auf dem Boden Blut zu sehen sein.
Isabella bückte sich, schaute genauer hin und sah kein Blut. Der Teppichboden war sauber. Sie entdeckte keinen einzigen Flecken.
Das bereitete ihr Angst. Ihr Gesicht verzog sich, und sie sah aus, als wollte sie jeden Moment anfangen zu weinen.
Keine Einbildung! Nie war sie das gewesen. Die Leiche hatte dort gelegen, wo sie jetzt stand, daran gab es nichts zu rütteln.
Und nun?
Sie schaute zur Tür, als würde sie von dort eine Antwort bekommen. Aber da tat sich nichts. Alles blieb still. Sie wusste auch nicht, ob jemand gekommen war und die Leiche weggeschafft hatte …
Wieso eigentlich Leiche?
Vielleicht war der Mann gar nicht tot gewesen und hatte dies nur gespielt.
Auf einmal begann sie zu lachen und nickte. So ähnlich musste es gewesen sein. Klar, er war nicht tot gewesen, hatte sie reingelegt und war einfach gegangen.
Ein dumpfes Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Sie schaute nach rechts und sah hinter einem der fahrbaren Ständer etwas auf dem Boden liegen und blitzen.
Eine Schere.
Die Mordwaffe!
Jemand hatte sie dorthin geworfen. Einer, der sich versteckt hielt, und das konnte nach Isabellas Meinung nur der angeblich Tote gewesen sein.
Sie traute sich nicht, sich zu bücken, um an der Unterseite des fahrbaren Ständers durchzuschauen, denn dann hätte sie die Füße der Person sehen können, die unter Umständen an der anderen Seite lauerte.
Schritte!
An der gegenüberliegenden Seite des Ständers klangen sie auf. Sie waren leise, kaum zu hören, schleichend und gleichzeitig über den Teppichboden schabend.
Isabella erstarrte fast vor Angst. Obwohl sie den Mann noch nicht wieder gesehen hatte, war sie sicher, dass es sich nur um den Totgeglaubten handeln konnte.
Und er kam …
Er würde sich rächen, würde die Schere nehmen …
Plötzlich war er da. Wie ein schneller Schatten huschte er heran und um den Ständer herum, sodass sich die beiden auf Körperlänge gegenüberstanden.
Sie starrten sich an.
Blicke bohrten sich ineinander. Isabella wünschte sich weit weg. Fort von hier, auf einer Insel, wo niemand sie hörte, sah oder störte. Aber das war nicht möglich. Sie musste dem »Toten« Tribut zollen und blieb stehen.
Allmählich weiteten sich ihre Augen, und sie starrte dorthin, wo die Schere getroffen haben musste. Eigentlich hätte sie Blut sehen müssen. Dick und rot musste es doch aus der Stichwunde quellen, aber da war nichts.
Nur ein Loch im Anzug, wo die aneinandergelegten Schenkel der Schere getroffen hatten. Sie schüttelte sich vor Entsetzen. Nach Erklärungen zu suchen, war unnötig, sie fand sowieso keine, aber sie konnte auch nicht so ohne Weiteres diesen Menschen, der eigentlich tot sein sollte, akzeptieren, und sie fragte mit kaum zu verstehender Stimme: »Wer … wer sind Sie, Mister?«
Der Schwarzhaarige lächelte. »Ich sagte Ihnen bereits, ich bin der Teufel. Und den Teufel kann man nicht so leicht umbringen, meine Liebe. Hast du verstanden?«
»Erklären Sie mir den Trick, erklären Sie mir …«
»Kein Trick. Der Teufel hat so etwas nicht nötig. Und ich will dich, Isabella, dich allein, denn ich habe ein Auge auf dich geworfen. Du wirst mir gehorchen, denn der Teufel bekommt alles, was er sich einmal vorgenommen hat.«
»Nein, das werde ich …« Isabella Norton erstarrte und unterbrach abrupt ihren Satz, als sie sah, was ihr dieser Mann plötzlich antat. Es war das Schlimmste, was er machen konnte, und er tat es auf eine wirklich satanische Art und Weise.
Der Mann hob ein wenig den rechten Arm und schnippte lässig mit den Fingern. Das Geräusch, das dabei entstand, lenkte die Blicke der Frau auf die Hand des Mannes, und sie sah plötzlich eine Feuerzunge zwischen den Fingern aufflackern.
Feuer in einem Geschäft wie dem ihren. Das war der absolute Horror, der Albtraum eines jeden Ladenbesitzers, und die Flamme tanzte auf den Fingern des Mannes, wobei sie sich zuckend wie ein kleiner Teufel von einer Seite zur anderen bewegte und die Frau ihren Blick nicht von ihr lassen konnte.
Dann wanderte sie.
Als hätte sie einen unhörbaren Befehl bekommen, schwang sie durch die Luft und fand zielsicher ihren Weg, den vollbepackten Kleiderständer.
Isabella konnte nicht einmal schreien. Sie sah nur die Flamme, die innerhalb einer Sekunde von der Handspannengröße zu einem fauchenden Flammenpaket wurde. Augenblicklich setzte sie die Kleidung in Brand.
Als hätte jemand mit einem Schweißbrenner über die Bügel gestrichen, so standen plötzlich sämtliche Kleider in Flammen, warfen ein wild zuckendes Muster und fauchten so hoch, dass sie fast mit ihren Spitzen die Decke berührten.
»Nun?« Die Stimme des Teufels klang spöttisch. »Was sagst du dazu? Kennst du das Feuer?«
Isabella Norton starrte gebannt auf die tanzende Feuerwand. Sie konnte es einfach nicht fassen, nicht begreifen, dass so etwas möglich war. Und sie spürte nicht einmal Hitze, denn es war ein Feuer, das zwar zerstörte, aber nicht abstrahlte.
Und es blieb begrenzt.
»Höllenfeuer!«, sagte der Mann lachend. »Höllenfeuer!« Er drehte sich, schnippte abermals mit seinen Fingern, und aus der Hand schoss eine weitere Flammenzunge. Sie fand ihren Weg zum Teppich, den sie sofort in Brand setzte.
Da loderte die Säule hoch, und der dunkel gekleidete Mann streckte seinen linken Arm aus, legte die Finger aneinander und senkte die Hand, damit er den Flammen seinen Willen aufdiktieren konnte.
Sie breiteten sich nicht weiter aus, sondern blieben als eine Säule stehen, die Isabella an ein in die Länge gezogenes Ei erinnerten, das auf dem Fleck tanzte.
Sie war starr und stumm vor Entsetzen. So etwas konnte sie einfach nicht begreifen, das ging über ihre Kraft.
Zwei Säulen tanzten vor ihr und hinter dem Rücken des Mannes, während die Kleider auf dem Ständer ebenfalls noch brannten, aber keinen Rauch absonderten.
»Nun?«, fragte der Teufel, »wie gefällt dir das?«
Isabellas Gesicht verzerrte sich. Die Augen schienen aus den Höhlen springen zu wollen, sie schüttelte den Kopf, öffnete ihren Mund, und bevor der gellende Schrei ihre Kehle verlassen konnte, schnippte der Teufel ein drittes Mal mit seinen Fingern.
Diesmal hatte er sich Isabella als Opfer ausgesucht.
Es war ein langer Feuerschweif, der auf die Frau zuwaberte und dabei sehr schnell wurde. Er tanzte über den Boden, sprang plötzlich dicht vor ihren Füßen in die Höhe und ergriff im Nu ihre gesamte Gestalt, sodass er sie umhüllte wie einen Mantel.
Isabella Norton stand tatsächlich in hellen Flammen. Sie hatte die Arme hochgerissen, wurde von den zuckenden und feurigen Zungen umtanzt, die rotgelb schimmerten und dabei wie Glas wirkten, denn die Gesichtszüge der Frau waren noch deutlich zu erkennen.
Sie erinnerten an eine in purem Schrecken erstarrte Maske!
Der Teufel aber lachte. »Ich kriege dich, Isabella, ich habe dich nicht umsonst ausgesucht, denn ich bin dein Herr und Meister …«
Im selben Augenblick erklang hinter ihm eine Glocke, denn die Tür wurde aufgestoßen …
*
In der Boutique brannte es!
Shao und Sheila sahen es, als sie über die Straße rannten.
Die Chinesin wollte stehen bleiben, was bei diesem Verkehr lebensgefährlich gewesen wäre, und Sheila gelang es soeben, die Freundin mitzureißen.
Sie torkelten vorbei an den bremsenden Fahrzeugen, wanden sich an Kühlerschnauzen entlang und liefen Zickzack. Dass Sheila dabei eine Tüte verlor, störte sie nicht, sie dachte nur an die Flammen in der Boutique und vor allen Dingen an Isabella Norton, die von beiden gesehen wurde.
Endlich hatten sie die andere Straßenseite erreicht, sprangen auf den Gehsteig und hetzten auf die Eingangstür zu.
Auch andere Passanten hatten das Feuer bemerkt, doch niemand machte Anstalten, etwas zu unternehmen. Die Leute waren nur stehen geblieben und gafften.
Sheila stieß als Erste die Tür auf. Ein Luftzug entstand, fuhr hinein in das Feuer, wirbelte die Zungen noch einmal hoch, aber breitete sie nicht aus.
Das Feuer blieb begrenzt!
Eigentlich hätte ihnen die Hitze entgegenfauchen müssen. Dass dies nicht geschah, wunderte beide Frauen, doch sie konnten sich darum nicht mehr kümmern, die Boutique-Besitzerin war jetzt wichtiger.
Sie hatte ebenfalls das Feuer erwischt.
Hinter der Tür blieben beide für einen Moment stehen. Sie sahen auch den Mann, der sich innerhalb des Ladens aufhielt und ihnen seinen Rücken zudrehte.
Plötzlich wandte er sich um.
Die nächsten Aktionen geschahen in Bruchteilen von Sekunden. Sheila und Shao glaubten für einen winzigen Moment, in eine rot glühende Teufelsfratze zu schauen, mit mörderischen Augen, einer hohen Stirn, aus der zwei Hörner wuchsen, dann war das Bild verschwunden.
Und nicht nur das.
Auch der Mann war nicht mehr zu sehen. Wo er gestanden hatte, fauchte es auf, eine gelbgrüne Rauchwolke war zu sehen. Sie wurde den Frauen entgegengeweht, und beide glaubten, den beißenden Schwefelgeruch wahrzunehmen.
Dann war alles vorbei.
Und auch das Feuer gab es nicht mehr.
Sheila und die Chinesin hatten das Gefühl, in einem Vakuum zu stehen. Da waren sie vor Sekunden noch völlig geschockt gewesen, hatten in Feuer gestarrt und sahen nun ein normales Geschäft vor sich.
Keine Flamme loderte mehr. Alles war wieder klar. Oder doch nicht? Auf einem Ständer, der mit zahlreichen Kleidern gut gefüllt war, gab es nichts mehr.
Nur noch Asche.
Und Bügel, deren Kunststoff durch die Flammen zu weichen Gebilden geworden war.
Kein Rauch, kein Qualm, das Feuer schien überhaupt nicht dagewesen zu sein.
Doch auf dem Boden sahen sie einen dunklen Fleck. Wo die Flammensäule getanzt hatte, war der Teppich verbrannt. Er zeigte ein tiefschwarzes Loch.
Und Isabella Norton?
Sheila kannte die Frau. Sie ging auf Isabella zu, die sie kaum wahrnahm. Die Frau hatte die Arme fallen lassen und starrte ins Leere. Ihr Blick war kaum als solcher zu bezeichnen. Die Augen wirkten verdreht, und Isabella Norton stand dicht vor einem Zusammenbruch.
Sheila ließ die Tüten fallen. In diesen Momenten bekam sie schreckliche Angst. Hier war etwas geschehen, das sie mit normalen Maßstäben nicht messen konnte. Irgendwelche nicht kontrollierbaren Kräfte hatten eingegriffen und zugeschlagen.
Sheila Conolly schritt auf Isabella zu. Sie kannte Augenblicke wie diese, und sie wusste, dass Menschen in den Stresssituationen so gut wie nicht anzusprechen waren. Es waren die Sekunden kurz vor dem Zusammenbruch.
Als Sheila die Frau mit dem langen rotbraunen Haar berührte, zuckte die nicht einmal zusammen. Nichts bewegte sich in dem Gesicht, wo die Wimperntusche ebenso verlaufen war, wie die Schminke auf den Wangen und der Stirn.
»Kommen Sie«, sagte Sheila. »Ich bringe Sie zu einem Stuhl.«
Sie wusste nicht, ob Isabella die Worte verstanden hatte. Jedenfalls ließ sie sich widerstandslos zur Seite führen und auch zum Schreibtisch dirigieren, wo Sheila die Boutique-Besitzerin auf den alten Holzstuhl drückte.
Steif wie eine Puppe blieb Isabella sitzen.
Shao kam herbei. Das Gesicht der Chinesin drückte schwere Sorgen aus. Sie zeigte sich bedrückt und fragte: »Ist alles in Ordnung mit ihr?«
»Ich weiß es nicht.« Sheila warf der steif dasitzenden Isabella einen Blick zu. »Auf jeden Fall steht sie unter einem Schock!«
»Ja, das sieht man.«
Shao hatte die Worte kaum ausgesprochen, als Isabella anfing zu reden. Ihre Stimme war tonlos und signalisierte den Zustand, in dem sie sich befand.
»Es war der Teufel!«, erklärte sie roboterhaft. »Der Teufel hat mich besucht …«
Sheila und Shao schauten sich an. Beide bekamen nach diesen Worten eine Gänsehaut. Die Chinesin hob die Schultern. »Glaubst du ihr?«, flüsterte sie.
Bevor Sheila eine Antwort geben konnte, redete Isabella. Auch sie hatte Shaos Worte verstanden und sagte: »Der Teufel war es, nur der Teufel. Er will mich holen, er braucht mich und meine Seele, das hat er mir deutlich gesagt.«
Sheila brachte ihre Lippen dicht an das Ohr der Chinesin. »Erinnere dich an den Mann.«
»Der sah mir nicht wie der Teufel aus.«
»Und als er sich umdrehte?«
»Du meinst das komische Gesicht?«
»Genau.«
Shao zog die schmalen Augenbrauen zusammen. »Das habe ich auch gesehen, aber da von einem Teufel zu sprechen, wäre doch ein wenig vermessen, meine ich.«
»Dann gib mir eine andere Erklärung.«
»Der Flammenschein muss sein Gesicht gerötet haben.«
Sheila nickte. »Möglich. Nur – wie kommt es, dass er so plötzlich verschwunden ist? Ich habe ihn nicht aus dem Raum laufen sehen. Daran würde ich mich erinnern.«
»Ja, ich auch. Vielleicht ist er …« Shao wusste keine Worte mehr und schwieg.
Dafür vernahmen die beiden Frauen das Heulen von Sirenen. Die Feuerwehr kündete ihr Kommen an.
Sheila lief nach draußen. Vor dem Geschäft standen die Neugierigen und gafften durch die Scheiben. Niemand von ihnen traute sich jedoch, das Geschäft zu betreten. Als der rotlackierte Wagen bis zur Hälfte auf den Gehsteig fuhr, schufen sie erst Platz.
Sheila erwartete die Männer des Löschtrupps. Feuer war nicht mehr zu sehen, und so beeilten sich die beiden auch nicht sonderlich, als sie den Laden betraten.
»Hier soll es gebrannt haben«, sagte einer der Männer.
»Das stimmt.« Sheila nickte, »aber es ist alles in Ordnung.«
Sie bekam von den Männern einen undefinierbaren Blick zugeworfen, bevor die beiden in das Innere des Geschäfts gingen. Suchend schauten sie sich um. Dabei schüttelten sie laufend die Köpfe, denn so etwas hatten sie noch nicht erlebt. Und sie sprachen es auch aus. Sie konnten sich nicht erklären, wie ein Feuer auf einem so eng eingegrenzten Raum brennen konnte.
»Ist das die Inhaberin des Ladens?«, wurde Sheila gefragt. Der Mann deutete auf den Rücken der Isabella Norton.
»Ja.«
»Was sagt sie dazu?«
»So gut wie nichts. Sie steht unter einem Schock.«
Der Mann hob die Schultern und stieß seinen Helm in den Nacken, bevor er zu ihr ging.
Er sprach leise auf sie ein. Da es still war, konnten auch Sheila und Shao die Antworten verstehen.
Es waren die Gleichen, die sie auch schon gehört hatten. Isabella sprach nur vom Teufel, der den Brand angeblich gelegt haben sollte. Das passte den Männern natürlich nicht, und sie reagierten dementsprechend sauer.
Einer meinte: »Vielleicht hat sie den Brand sogar selbst gelegt, obwohl ich es mir nicht erklären kann, denn er hat sich nicht ausgeweitet und ist begrenzt geblieben.« Seine Stimme steigerte sich. »Aber wir werden diesem Fall nachgehen und ihn genauestens untersuchen, das verspreche ich Ihnen.«
Isabella Norton ging überhaupt nicht auf den Spruch des Mannes ein. Sie sagte mit tonloser Stimme. »Ich habe ihn getötet. Die Schere steckte in seiner Brust.«
Der Beamte zuckte zusammen. »Welche Schere?«
»Vielleicht meint sie die, die auf dem Boden liegt«, sagte Sheila.
»Nein, auf keinen Fall. Wäre das der Fall gewesen, müssten wir Blutspuren auf der Schere finden. Entdecken Sie etwas?«
Sheila schüttelte den Kopf.
»Na bitte«, sagte der Mann. »Jetzt will sie auch noch eine Mörderin sein. Ich sage Ihnen was. Hätten wir nicht mehrere Zeugen, so würde ich an einen falschen Alarm glauben. Vielleicht läuft auch alles auf einen Versicherungsbetrug hinaus, aber das werden die Nachforschungen ergeben, dessen bin ich mir sicher.« Er winkte seinem Kollegen, nickte den Frauen noch einmal zu und ging.
Wenig später fuhr der Wagen wieder ab.
Isabella Norton hatte ihren Kopf nicht gedreht. Nach wie vor hockte sie an ihrem Schreibtisch und starrte auf die Platte. Der Blick war leer, ohne jegliches Gefühl.
»Isabella«, sagte Sheila Conolly leise. »Isabella, bitte! Hören Sie mich?«
»Ja!«
»Soll ich Ihnen einen Arzt holen?«
Da richtete die Frau sich auf. Sie drehte den Kopf und schaute Sheila an. »Einen Arzt?«
»Gern, ich …«
»Nein, nein.« Sie sprach schnell. »Ich brauche keinen Arzt. Es ist so schlimm, aber ich werde allein damit fertig. Bitte, lassen Sie mich jetzt in Ruhe!«
»Sie haben Schlimmes erlebt«, gab Sheila zu bedenken. »Denken Sie an Ihren Kunden.«
»Es war der Teufel.«
»Was macht Sie denn so sicher?«, wollte Shao wissen.
»Ich habe ihn getötet, und er war nicht tot. Er stand wieder auf, versteckte sich, als ich im Keller war, und dann schlug er das Feuer aus seinen Händen. Und schauen Sie da, der Hörer!«
Die drei Frauen blickten auf das Telefon. »Was ist damit?«, fragte. Sheila.
Isabella Norton schüttelte den Kopf. »Meine Güte«, hauchte sie, »das verstehe ich nicht. Das will in meinen Kopf nicht rein. Ich … ich wollte die Polizei anrufen, und als ich den Hörer in der Hand hielt, schmolz er mir zwischen den Fingern weg …«
Sheila und Shao sagten nichts. Das konnte man glauben, aber auch sein lassen. Sie jedenfalls enthielten sich eines Kommentars.
Sie zuckten jedoch zusammen, als das Summen des Apparates die Stille durchbrach. Isabella Norton schaute auf das Telefon, traute sich jedoch nicht, den Hörer von der Gabel zu nehmen.
»Heben Sie ab«, verlangte Sheila.
»Nein, ich …«
Kurzentschlossen griff Sheila Conolly zu und meldete sich mit einem völlig unverbindlichen »Hallo …«
»Bist du es, Kleine?«
»Ja«, antwortete sie in Isabellas Namen und lauschte auf die Stimme. Vier Worte hatte der Anrufer bisher gesagt, die allerdings ausreichten, um Sheila einen Schrecken einzujagen, denn sie hatte den gnadenlosen Klang genau verstanden.
Dieser Anrufer kannte keinerlei Rücksicht. Der war abgebrüht, kalt und brutal.
»Was wollen Sie?«
»Ich kriege dich, Schätzchen, keine Bange …« Ein wahrhaft höllisches Gelächter folgte, das in einem schaurigen Echo allmählich ausklang. Dann war die Verbindung unterbrochen.
Auch Sheila legte auf. Sie drehte sich zu Isabella um, und die fragte: »War er das?«
»Wen meinen Sie? Er hat seinen Namen nicht gesagt.«
»Ich denke an den Teufel.«
Sheila lächelte. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich bin nicht so sehr davon überzeugt. Der Teufel wird kaum …«
»Hören Sie auf! Ich weiß es besser.«
»Sollen wir nicht doch …«
»Bitte gehen Sie! Ich muss mit meinen Problemen allein fertig werden. Und entschuldigen Sie.«
Man kann einen Menschen nicht zu seinem Glück zwingen. Jeder besitzt einen eigenen Willen. Da sich Isabella Norton nicht in unmittelbarer Gefahr befand, kamen Sheila und Shao dem Wunsch der Frau nach. Sie verließen das Geschäft.
Bevor sie gingen, wandte sich Sheila noch einmal an die Boutique-Besitzerin. »Sie haben meine Adresse, Isabella. Sollte irgendetwas sein, so rufen Sie mich bitte an. Sie können von mir jede Hilfe bekommen.«
Die Frau nickte.
Vor dem Geschäft blieben Shao und Sheila stehen. Sie schauten durch das Fenster und sahen Isabella Norton noch immer wie versteinert hinter dem Schreibtisch sitzen.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Shao leise. »Überhaupt nicht.«
»Glaubst du ihr?«
»Ob es tatsächlich der Teufel war, der ihr einen Besuch abgestattet hat, meinst du?«
Sheila hob die Schultern. »Möglich ist vieles. Wenn nicht sogar alles …«
*
Ich schaute zu, wie das Bier in einem fingerdicken Strahl aus der Flaschenöffnung rann, einen Halbkreis bildete und in das Glas schäumte. Es entstand ein herrliches Geräusch dabei, und meine Augen begannen zu glänzen.
Wir hockten in Sukos Wohnung zusammen und löschten unseren Durst. Bill, Suko und ich.
Dabei warteten wir auf die Frauen, die einkaufen gegangen waren und bald zurückkehren mussten, denn anschließend wollten wir noch essen gehen.
Natürlich drehten sich unsere Gespräche um die Fälle. Besonders der letzte Fall hatte stark an meinen Nerven gezerrt. Suko war nicht dabei gewesen, während die Conollys nur am Rande davon berührt wurden.
Es war um das Kreuz, um eine Nonne und auch um Nadine Berger und einen unheimlichen Wolfszauber gegangen. Dabei hatte nicht nur ich Nadine Berger so vor mir gesehen, wie ich sie von früher her kannte, sondern Myxin und Kara war das Gleiche passiert. Der fremde Zauber hatte den Körper von der Seele getrennt. Zwei voneinander unabhängige Dinge. Zum ersten der Wolf, zum zweiten die Frau. Nur für einen Moment war die für mich sichtbar gewesen, aber diese Zeitspanne hatte bei mir eingeschlagen wie eine Bombe.1
Ich sprach mit meinen Freunden darüber. Wir überlegten gemeinsam, ob es einen Weg gab, Nadines Zustand zu verändern.
»Es wird zumindest sehr schwer sein«, gab Suko zu bedenken. »Ich kann da nicht so recht dran glauben. Wenigstens nicht zu diesem Zeitpunkt. Außerdem habe ich sie nicht gesehen.«
Ich stellte die Flasche weg, und mein Blick wechselte zu Bill Conolly. Auch seine Meinung interessierte mich.
Der Reporter hob die Schultern. »So etwas ist natürlich schwer vorstellbar«, meinte er. »Ich würde mich sehr freuen, wenn man alles wieder rückgängig machen könnte, aber ob das möglich sein wird. Das scheint mir wie bei Jane Collins zu sein.«
Da hatte er einen weiteren wunden Punkt berührt. Auch bei Jane hatten wir es nicht geschafft, sie wieder zu einem normalen Menschen werden zu lassen, trotz unserer Bemühungen. Sie stand uns nach wie vor feindlich gegenüber. Durch ihre Taten hatte sie sich zudem immer weiter von unseren Ansichten entfernt.
Bei Nadine war das anders. Ihr Geist wohnte in einem Wolfskörper, aber sie hatte sich nicht dem Bösen zugekehrt, und das empfanden wir als einen großen Pluspunkt.
»Shao und Sheila kommen«, sagte Suko plötzlich. Er hatte von uns die besten Ohren und hörte das Geräusch an der Wohnungstür.
Wenig später vernahmen auch wir die Schritte der Frauen, und dann standen beide auf der Schwelle.
Die Tüten hielten sie in den Händen. Die Gesichter zeigten eine gewisse Erschöpfung, und Sheila fragte als Erstes: »Wo steckt Johnny?«
Bill antwortete: »Er liegt in Shaos Bett. Der Kleine war einfach zu müde.«
»Dann wird es wohl nichts mit dem Essen«, bemerkte Suko. »Dafür kann uns Shao was kochen.«
Die Frauen betraten das Zimmer und stellten die Tüten ab. Die Chinesin sagte: »Ich habe auch keinen Hunger. Uns beiden ist wohl der Appetit vergangen.«
Das hörte sich gar nicht gut an. Bevor ich nachhaken konnte, fragte Suko bereits: »Ist etwas passiert?«
Shao nickte. »Das kann man wohl sagen.«
»Und was?«
»Wir haben den Teufel gesehen!« Diese Worte sprach Sheila.
Es war eine Antwort, über die man lachen kann. Wir aber lachten nicht. Wenn Sheila das sagte und es sehr ernst meinte, konnte etwas dahinterstecken.
Bill sprang auf. »Ist das nun ein Witz oder …«
Sheila nahm seinen Platz ein und legte beide Hände auf die Sessellehnen. »Es ist kein Witz.«
Ich hielt mein Bierglas in der Hand und trank den Schaumrand ab. »Es wäre wohl am besten, wenn ihr der Reihe nach berichten würdet«, schlug ich vor.
»Natürlich, klar.« Sheila stand wieder auf und legte ihre Jacke ab. Shao hatte ihre bereits weggehängt. »Können wir denn auch etwas zu trinken haben?«
»Was?«, fragte Suko.
»Einen Martini könnte ich vertragen.«
Suko verschwand, um für Sheila das Gewünschte zu besorgen.
Als sie das Glas in der Hand hielt, begann sie zu berichten. Shao stand ihr bei, und uns gelang es, ein Bild von den Dingen zu bekommen, die die beiden Frauen so geschockt hatten.
Wenn ihre Erzählungen auf Tatsachen beruhten, daran zweifelte eigentlich niemand von uns, mussten wir eingreifen. Zudem war es nicht so, dass sich der Teufel nur in seiner Urgestalt zeigte, nein, er war hinterlistig und schlau. Er benutzte zahlreiche Verkleidungen, konnte als schöner Mann auftreten, aber auch als hässliches Wesen, und es gelang ihm immer wieder, die Menschen zu täuschen.
»Asmodis hat etwas vor«, sagte ich, »sonst hätte er sich nicht so offen gezeigt.«
»Und was?«, fragte Suko.
Ich hob die Schultern.
»Auf jeden Fall muss es mit dieser Isabella Norton zusammenhängen«, meinte Bill.
Ich wandte mich Sheila zu. »Was weißt du eigentlich alles über sie?«
»Nicht viel, wenn ich ehrlich sein soll. Ich kenne Sie kaum persönlich. Ich war Kundin bei ihr. Sie hat sich eine Nobel-Boutique eingerichtet, weil sie aus zwei Scheidungen finanziell gut herausgekommen ist.«
»Lebt sie allein?«
»Ja, das sagte sie mir mal. Von einem Zusammenleben mit Männern hat sie vorerst die Nase voll, was nicht heißen soll, dass sie einer losen Verbindung abgeneigt wäre.«
»Wohnt sie auch in dem Haus, wo ihr Geschäft liegt?«
»Nein, aber nicht weit weg. Isabella besitzt eine Penthouse-Wohnung in Chelsea. Die Adresse müsste zu finden sein.«
»Wollt ihr denn hin?«, fragte Shao.
Ich nickte. »Nur nichts auf die lange Bank schieben. Wenn es tatsächlich Asmodis war, den auch ihr gesehen habt, dann hat er einen verdammt raffinierten Plan ausgetüftelt und irgend etwas vor, das wir noch im Ansatz ersticken müssen.«
»Wann wollen wir denn los?«, fragte Bill und rieb sich bereits die Hände.
»Du kannst ruhig bei uns bleiben«, erklärte Sheila. »Lass John und Suko allein fahren.«
Bill furchte die Stirn. »Nein«, sagte er dann. »Ich fahre mit. Von euch will Asmodis ja nichts – oder?« Er reckte den Kopf und schaute die Frauen fordernd an.
»Genau«, stimmte ich ihm zu.
»Meinetwegen«, erklärte Sheila und winkte ab. »Tu, was du nicht lassen kannst …«
*
Irgendwie kam ihr die elegante Wohnung vor wie ein Gefängnis. Trotz der großzügigen Scheiben, die an der Südseite einen Blick bis zum Ufer der Themse gestatteten, aber Isabella Norton fürchtete sich. Die Fahrt zur Wohnung hatte sie wie im Traum erlebt. Sie konnte sich überhaupt nicht mehr daran erinnern.
Jetzt stand der braune Jaguar unten in der Garage, und sie hatte bereits den dritten Whisky getrunken.
Zudem war sie bereits umgezogen. Über das weiße Nachthemd mit dem tiefen Ausschnitt hatte sie den dünnen Morgenmantel gezogen. Sie wollte einfach nicht mehr lange aufbleiben, sondern sich die nötige Schwere antrinken, um schlafen zu können.
Whisky war ihrer Ansicht nach besser als Tabletten. Diese Phase hatte sie hinter sich.
Der Teufel hat mich besucht!
Immer wieder tauchte dieser Gedanke in ihrem Hirn auf. Der Teufel, nur der Teufel. Je größer der Abstand wurde, den sie bekam, umso weniger hatte sie Furcht.
Auch der Alkohol spielte eine Rolle. Sie dachte nicht mehr so klar. Ihr Gehirn schien mehr mit einem Schleier aus Watte belegt zu sein, sodass sie ihre Gedanken als dumpf empfand.
Unter ihr lagen die Lichter des Stadtteils Chelsea. Für die Wohnung zahlte sie eine sündhaft teure Miete, was sie nicht weiter störte, denn ihr Geschäft lief gut.
Und sie hatte Freude an dieser Wohnung. Jeder Gast staunte über den Zuschnitt, sie hatte das Lob bisher immer genossen, aber an diesem Abend fiel ihr die Wohnung auf den Geist.
Um noch auszugehen, fühlte sie sich nicht gut genug. Es blieb ihr nur eines – das Bett.
Selten hatte es einen Abend gegeben, an dem sie so früh und allein ihr Schlafzimmer aufgesucht hatte. Diesmal wollte sie es nicht anders. Sie musste sich einfach hinlegen.
Wenn sie die Lampe einschaltete, so warf das Licht einen gedämpften Schimmer. Er fiel auch über das große französische Bett, das mitten im Raum stand. Ansonsten war es mehr ein Wohn-Schlafzimmer, und eine zweite Tür führte ins Bad.
Sie stand offen. Isabella dachte auch nicht daran, sie zu schließen. Müde ließ sie sich auf das Bett fallen. Noch blieb sie sitzen, stützte sich mit einer Hand ab und starrte auf die Wand. Zahlreiche Bilder hingen dort. Zumeist zeigten sie Blumenmotive, einfache Zeichnungen, aber gerade wegen ihrer Schlichtheit besonders interessant. Das leere Glas stellte sie auf einem Nachttisch ab und ließ sich rücklings auf das Bett fallen. Dann kam sie noch einmal hoch, denn sie hatte vergessen, ihren dünnen Morgenmantel abzustreifen.
Auf dem Rücken blieb sie liegen.
War sie vorhin so müde gewesen, konnte sie jetzt nicht die Augen schließen und schaute gegen die Decke. Noch einmal wurden die Ereignisse des vergangenen Tages in ihr hochgespült, und sie dachte abermals an den unheimlichen Besucher.
War er tatsächlich der Teufel gewesen?
Diese Frage quälte sie. Sie hockte wie ein Alp auf ihrer Brust und hinderte sie daran, schnell einzuschlafen. Wie konnte sie es herausfinden, und was hatte dieser unheimliche Besucher überhaupt von ihr gewollt? Wenn der Teufel jemand besucht, das wusste sie aus Märchen, musste er einen Grund haben.
Sie aber hatte nie Kontakt mit dem Satan besessen.
Still blieb sie liegen. In der Wohnung oder im Haus war es nie völlig still. Geräusche vernahm sie immer. Zumeist die des Fahrstuhls.
Aber daran war sie gewöhnt, und bald fielen ihr die Augen zu.
Isabella Norton schlief ein.
Es war ein bleiernes Schlafen, und es hatte mit einem tiefen Fallen begonnen, das kein Ende nehmen wollte, sodass sich Isabella Norton dem Gefühl kurzerhand hingegeben hatte.
Wer diese Frau beobachtete, hätte annehmen können, eine Tote vor sich liegen zu sehen. Der Atem ging flach. Die Brust hob und senkte sich kaum, und in der Dunkelheit des Zimmers leuchtete das Gesicht wie ein blasses Totenantlitz.
Obwohl keine Vorhänge die große Scheibe bedeckten, drangen die Lichter der Stadt nicht bis in das Zimmer. Die Wohnung lag dafür zu hoch.
Eine Stunde verging.
Tief und fest schlief die Frau. Sie träumte auch nicht, man schien sie in einen Schacht gesteckt zu haben, und doch wurde sie vom Satan belauert.