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10 gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band!
Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern aus den Jahren 1978 - 1989 und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Tausende Fans können nicht irren - über 640 Seiten Horrorspaß garantiert!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 281 - 290.Jetzt herunterladen und losgruseln!
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Seitenzahl: 1414
Veröffentlichungsjahr: 2022
Jason Dark
John Sinclair Großband 29
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
Er war die lebende Legende und erschien aus dem Dunkel der Zeiten!
Shimada!
Dieser Name verbreitete Furcht und Schrecken, und selbst ranghohe Dämonen zitterten vor ihm, sogar Xorron. Denn Shimada war in der Lage, ihn zu besiegen. Außerdem wollte Shimada selbst Herr über Zombies und Ghouls werden …
Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen RomanheftausgabeBastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG© 2015 by Bastei Lübbe AG, KölnVerlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian MarzinVerantwortlich für den InhaltE-Book-Produktion:Jouve
ISBN 978-3-8387-3042-4
www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.dewww.bastei.de
In den uralten japanischen Mythen und Legenden nannte man ihn das blaue Auge. Und wie eine geheimnisvolle unergründliche Pupille schimmerte auch die Oberfläche des kleinen Sees.
Seine Tiefe war unermeßlich. Niemand hatte sie bisher ausgelotet, und in den Schriften hieß es, dass der See direkt zu Emma-Hoo, dem Teufel, in die Jigoku, die Hölle, führen würde.
Überall gab es diese Zugänge, war es nun ein See, ein alter Schrein, ein Berg oder eine geschnitzte Tür.
Das Land war prall gefüllt mit geheimnisvollen Dingen, die Generationen von Göttern geschaffen und auch zurückgelassen hatten. Und die Menschen wussten dies. Sie akzeptierten es, brachten den Stärkeren Opfer oder flohen, wenn sie sich nicht mit ihnen arrangieren wollten.
Das blaue Auge lag dort, wo der Wald nicht mehr so dicht und die Berge nicht mehr so hoch waren. Es galt als Geburtsstätte für Wesen aus der Hölle. Manchmal wurde auch ein grausamer Samurai aus der Jigoku entlassen, aber das war nicht sehr oft.
Ein seltsames Wasser füllte den unergründlichen Schacht. Wenn der Wind über die Oberfläche fuhr, wurde es nicht einmal bewegt, sondern blieb glatt wie ein Spiegel.
Es geriet nur in Bewegung oder in Wellen, wenn etwas Unheimliches geschah.
Und das passierte in der Tiefe.
Meist ereignete sich dies in der Nacht, wenn ein blasser Mond am Himmel stand. Sein seltsamer Schein warf einen langen Streifen über das Land, erreichte auch den kreisrunden See und gab der Oberfläche einen fahlen Schein.
Sie leuchtete jetzt heller, und wer genau hinausschaute, konnte über ihr einen feinen Dunst sehen. Dünner Nebel, der ebenfalls das große Ereignis ankündigte.
Da kam etwas …
Es wurde in den Tiefen des blauen Auges geboren, in der Unergründlichkeit eines seltsamen Gewässers, das eine Verbindung zwischen der Welt und dem Jenseits darstellte.
Es kam in die Höhe. Für einen Moment verdunkelte sich die Oberfläche noch stärker. Sie wurde fast schwarz, bevor der fahle Mondstrahl sie in ein gläsern wirkendes Grau verwandelte.
Im Innern des Schachts brodelte und blubberte es. Ein stummer Vorgang war zu vernehmen, nur das Wasser geriet dort in Bewegung, und etwas ballte sich dort zusammen.
Ein Klumpen …
Keiner konnte sagen, aus welchem Material er bestand, er war auf jeden Fall da und erinnerte an Schleim, der im Wasser trieb.
Träge schwamm der Klumpen dahin. Er schaukelte. Hätte jemand von oben in das »Auge« hineingeschaut, er hätte nicht sagen können, wie tief der Schacht war und in welcher Höhe sich der seltsame Klumpen befand, der manchmal Ähnlichkeit mit einer Qualle aufwies.
Mal blieb er auf der Stelle, mal drückten ihn andere Kräfte in die Höhe, dann sank er wieder nach unten, aber in die Höhe wurde er stärker und auch weiter getrieben.
Er hatte Zeit, durchmaß die Strecke fast gemessen und wurde mit jedem Meter, den er der Oberfläche entgegenstieg, auch größer.
Hatte er zuvor in eine geöffnete Hand hineingepasst, so brauchte man nun zwei Hände, um ihn zu umfassen. Und noch immer besaß er die Form einer Qualle. Man konnte ihn auch mit einem mit blauer Tinte gefüllten Wattebausch vergleichen, der geschoben wurde.
Er drehte sich auch dabei. Die Oberfläche musste er bald erreicht haben, und plötzlich, während einer dieser Drehungen, war es genau zu sehen.
Nicht nur eine auf seltsame Art und Weise entstandene Qualle trieb herbei, sondern auch zwei Augen.
Ja, in der Masse befanden sich Augen. Kugelrunde, seltsam gläsern wirkende Sehwerkzeuge. Verschwommen und dennoch blank.
Augen …
Wo kamen sie her? Wer hatte sie geschaffen?
Wie sagten die Legenden noch? Das blaue Auge führt in die Hölle. Und was aus ihm herausstieg oder hervorquoll, war auch in der Hölle geboren.
So die alten Geschichten.
Also musste der quallenartige Gegenstand, der sich immer weiter der Oberfläche näherte, ebenfalls aus der Hölle stammen.
Ein teuflischer, dämonischer Gruß von Emma-Hoo!
Höher und höher stieg er. Er näherte sich der Oberfläche, über der sich der Dunst ein wenig verdichtet hatte und inzwischen zu einem Nebel geworden war.
Die Schwaden bewegten sich. Sie krochen über den glatten Spiegel, als wären sie mit tausend dünnen Fingern versehen und würden in das blaue Wasser hineinstoßen.
In der Tat geschah etwas Seltsames!
Nichts rührte sich in der Umgebung des blauen Sees. Er lag förmlich in einer Totenstille eingebettet. Kein Windhauch wehte von den Hügeln. Kein Vogellaut unterbrach die Stille, und die Natur um den See herum schien den Atem anzuhalten.
Jede Pflanze, jeder Baum, jeder Grashalm spürte genau, dass etwas Neues geboren wurde.
Und auch der See reagierte.
Auf der so spiegelglatten Oberfläche bildeten sich Kreise. Als hätte jemand einen kleinen Stein auf sie geworfen, und die Kreise, auch Wasserringe, breiteten sich aus. Zuerst nicht größer als eine Hand, dann wuchsen sie und liefen dem Rand entgegen. Zunächst waren es nur wenige, vielleicht ein Dutzend, aber sie summierten sich, wurden schneller, produzierten Wellen, rannten und kabbelten, sodass es schien, als wollte ein kleiner Wellenring den anderen einholen und sich auf ihn werfen.
Schneller und schneller drehten sich die Kreise. Sie wurden zu einem Wirbel, der stark rotierte. Dieser Wirbel drang tiefer, sodass sich der Beginn einer Spirale bilden konnte.
Und sie stieß in die Tiefe!
Das Wasser schäumte. Ein Trichter wurde geboren. Zu Beginn so breit wie der kreisrunde See, danach spitz in die Tiefe hineinstoßend.
Wie ein Pfeil war dieser Trichter. Eine lange Lanze, die sich drehte, wirbelte und auch den seltsamen Klumpen erfasste, ihn ebenfalls in den Wirbel mit hineinzog, zuerst in die Tiefe zerrte, dann Schwung holte und mit einem gewaltigen Stoß in die Höhe beförderte, wobei er sich blitzschnell der Oberfläche näherte und wie von einem kreisrunden Maul ausgespien wurde.
Etwas flog durch die Luft. Es war dunkelblau, mit zwei gläsern wirkenden Kreisen darin, und es klatschte mit einem satten Geräusch nahe des Seeufers an Land.
Dort blieb es liegen!
Eine Masse, die zuckte, zitterte und pulsierte. Manchmal wurden die Augen größer, dann schienen sie von einer nicht sichtbaren Kraft nach vorn gedrückt zu werden, um die quallige, weiche Masse verlassen zu können.
Aber sie blieben kleben!
Zu fest waren die Augen mit der seltsamen Masse verwachsen, und sie drehten sich jetzt um sich selbst, weil sie die nähere Umgebung in Augenschein nehmen wollten.
Ein Glotzen, ein Starren, ein Schauen. Vielleicht die erste Suche nach Opfern, aber da gab es nichts in der unmittelbaren Umgebung, das sich dafür eignete.
So blieb es ohne Nahrung und stumm liegen.
Nur die Augen beobachteten. Kalte, blaue Kreise, Pupillen ohne Gnade, leblos und dennoch mit einem seltsamen Glanz oder unheimlichen Feuer versehen.
Ein starres Schauen, ein Glotzen, das auf den düsteren Himmel gerichtet war.
Die Stimme kam aus dem Nirgendwo. Sie sprach mit dem, der aus der unheilvollen Tiefe des blauen Sees gestiegen war.
Und das quallenförmige Lebewesen reagierte. Es veränderte seine Gestalt und streckte sich.
Zunächst wurde es lang, rutschte über den Boden und nahm ungefähr die Form und die Größe eines ausgewachsenen Menschen an.
So blieb es liegen, wobei sich die beiden blauen Augen im oberen Teil befanden.
Es lauschte.
Bis die Stimme erklang, und sie drang ebenfalls aus dem Nichts. Sie konnte aus dem See dringen als auch aus der Höhe des Himmels hinunterschallen.
Sie war da, erfüllte den Umkreis und sprach mit den blumenreichen Worten eines uralten Dialekts.
»Der du in der Tiefe des blauen Auges geboren wirst, bleibst fortan der Hüter meiner Macht und gehorchst nur dem, der dich erschaffen hat. Du wirst die Zeiten sehen, du wirst die Menschen beobachten. Manchmal hältst du dich zurück, dann wiederum sollst du eingreifen und Angst und Schrecken verbreiten. Sie werden dich fürchten lernen und dir schon bald einen Namen geben wollen. Der Unbesiegbare oder der Höllengeist. Das alles wird dich nicht kümmern, denn den richtigen Namen, den habe ich, dein Erschaffer, für dich ausgesucht. Wenn jemand Namen erfindet, dann nur Emma-Hoo, Fürst der Hölle. Und ich habe lange nachgedacht, um dir den richtigen zu geben. Meine Wahl ist auf Shimada gefallen!«
Nach diesen Worten war es still. Als das Wesen jedoch den Namen Shimada hörte, da pulsierte seine blaue Masse plötzlich, und die Augen wurden noch größer.
Und wieder erklang die Stimme. Diesmal einem gewaltigen Donnern gleich, das über das Land rollte und irgendwo in der Ferne als Echo verhallte. Jeder Buchstabe war deutlich zu vernehmen, und der gesprochene Satz klang wie ein Schwur, der die Zeiten überdauern sollte.
»Du bist ein Stück von mir, und so habe nur ich das Recht, dir Befehle zu erteilen. Du bist Shimada, Samurai des Emma-Hoo. Aber ich gebe dir auch noch einen zweiten Namen. Mann der tausend Masken oder der Unfassbare …«
Wieder verhallte die Stimme, während das Wesen nach wie vor nahe des Sees am Boden lag. Es hatte gehört, es würde gehorchen. Emma-Hoo konnte sich auf ihn verlassen. Und Zeit spielte für ihn keine Rolle. Was machte es schon, wenn Tausende von Jahren vergingen. Für Emma-Hoo war es nicht einmal ein Tropfen im Meer der Ewigkeit …
*
»Sie wollen dich schon wieder, Sayana«, sagte die blonde Fanny und band ein Handtuch über ihren nackten Körper.
»Wieso?« Die zierliche Japanerin schaute auf.
Fanny klopfte eine Zigarette aus der Packung und hob die Schultern. »Kann ich auch nicht verstehen. An dir ist doch nichts dran. Aber der Chef hat gesagt, du sollst kommen.« Sie blies den Rauch in Richtung Ventilator, der auch keine Kühlung in das stickige Hinterzimmer dieser miesen Peep-Show-Bude brachte.
Sayana erhob sich. Sie trug einen roten Mantel aus dünnem Stoff. Den ließ sie von ihren Schultern gleiten, als sie auf die schmale Tür zutrat und sich dann zu ihrem Arbeitsplatz begab, wobei ein Lächeln über ihre Lippen zuckte.
Es erreichte die Augen nicht. Sayana hatte es sich längst abgewöhnt, Spaß an der Sache zu finden. Es war ein Job, der sie fertigmachte. Nicht körperlich, sondern seelisch. Sich auf der Scheibe zu drehen wie ein Ausstellungsstück, ein nacktes Objekt, dabei lüstern und gierig betrachtet zu werden, das hielt kaum jemand aus. Daran ging auch die stärkste Frau kaputt.
Sie schüttelte sich, aber sie hatte Glück, denn sie brauchte nicht auf die große Scheibe, sondern war zu einem Einzelkunden bestellt worden. Er hockte in der Kabine, während sie durch eine Glasscheibe von ihm getrennt war und tanzte. Tanzen wurde es genannt, weil es der harmloseste Ausdruck war. Tatsächlich aber glich dies einer schlimmen Erniedrigung, die ärger war als Betteln.
Aber betteln brachte zumeist kein Geld. In der Peep-Show zu arbeiten, war zwar moralisch widerlich, aber »der Rubel rollte«. Alle Mädchen verdienten gut, wenn sie sich produzierten, und bekam jemand einen Sonderjob wie Sayana, so brachte dies immer noch ein paar Scheine mehr.
Es war eine winzige Kabine. Dazu stickig, nach Schweiß und auch nach billigem Parfüm riechend.
Der Kunde stand an der anderen Seite der Scheibe. Die kleine Japanerin konnte ihn sehen, seine Gestalt, die Konturen und darüber etwas Helles, sein Gesicht.
Was mochte er für ein Typ sein?
Sayana überlegte sich dies immer, während sie automatisch ihre einstudierten Bewegungen durchführte. War es ein Familienvater, der sich in der Mittagspause Appetit holen wollte? War es ein Spanner, ein Mensch mit einem seltsamen Verhältnis zum Sex, oder war es jemand, der einfach nur nackte Frauen sehen wollte?
Schade, dass die Gesichter zumeist zu verschwommen waren. Sayana hätte sie gern gesehen.
Dieser Kunde stand starr.
Bewegte sich überhaupt nicht. Wie ein Denkmal kam er dem Mädchen vor, und so etwas hatte sie auch noch nicht erlebt. Der machte nichts, andere klopften hin und wieder gegen die Scheibe. Sie bewegten auch ihren Mund, formten obszöne Worte oder machten eindeutige Bewegungen mit ihren Händen. Internationale Zeichen, die jeder verstand.
Das alles war sie gewohnt, deshalb wunderte sich die Zwanzigjährige mit den müden, aber auch harten Augen einer doppelt so alten Frau, dass all dies bei diesem Kerl nicht zutraf.
. Der warf ihre gesamte Statistik durcheinander.
So cool dachte sie, während sie automatisch die Bewegungen durchführte und sich auch daran erinnerte, dass sie bald Feierabend hatte. Morgen war ihr freier Tag, den würde sie genießen. Spazierengehen, ein wenig bummeln, die Schaufenster in der King’s Street anschauen …
Ihre Gedanken stockten.
Der Kerl hatte sich noch immer nicht gerührt.
Sayana war darüber fast sauer. Was ihr noch nie passiert war, das geschah jetzt.
Ihr Ehrgeiz wurde angestachelt.
Der Mann hatte nach ihr verlangt,. dann musste sie es doch schaffen, ihn anzumachen.
Sie konnte sich gut bewegen. Besaß einen geschmeidigen Körper, war durchtrainiert, und sie war auch stolz auf diesen Körper. Kein Fett, sondern nur glatte Haut und darunter Muskeln, die kräftig, aber dennoch nicht zu ausgeprägt waren.
Sie tat Dinge, um die sie manche Stripperin beneidet hätte. Und es waren eindeutige Posen und Gesten, mit denen sie den Mann locken wollte, aber so sehr sie sich auch anstrengte, der Mann hinter der Glasscheibe reagierte nicht.
Ihn machte auch die rötliche Beleuchtung nicht an, denn dieses Licht goss von zwei Seiten seine Kegel auf die tanzende Frau. Sie wurde eingehüllt, umfangen, und das Licht glich einem nicht spürbaren Mantel, der alles an ihr bedeckte.
Den Mann interessierte es nicht.
Er stand da und starrte.
Sayana tanzte jetzt dicht an der Scheibe. Er sollte alles an ihr genau sehen, vielleicht reagierte er dann, doch sie hatte sich getäuscht.
Nichts konnte diesen Besucher reizen.
Die Japanerin schob sich wieder zurück. Sie wusste selbst nicht, weshalb sie plötzlich an ihre Eltern denken musste. Ihre Mutter war Chinesin gewesen, der Vater stammte aus Japan, deshalb konnte man Sayana als einen Mischling bezeichnen.
Die Eltern lebten nicht mehr. Sie waren bei einem Brand umgekommen, und ihre Tochter hatte es gelernt, sich allein durchs Leben zu schlagen.
Sie hatte schon überall gejobbt, aber das meiste Geld verdiente sie als Tänzerin, auch wenn sie innerlich daran allmählich kaputtging.
Die Zeit war bald um. Nie waren ihr die Minuten länger vorgekommen als diesmal. Als Signal würde ein Licht aufflackern, für sie das Zeichen, die Box zu verlassen.
Noch leuchtete es nicht. Es blieb ihr vielleicht noch eine halbe Minute. Was sie bisher nicht geschafft hatte, würde ihr jetzt auch kaum gelingen, aber sie konnte nicht früher weggehen. Beschwerden über die Mädchen endeten für diese meist mit Schlägen und Tritten. Da kannten die Aufpasser der Show kein Pardon. Und sie kontrollierten auch, ob sich die Tänzerinnen Mühe genug gaben, denn es gab innerhalb der Szene eine große Konkurrenz.
Und dann passierte es!
Plötzlich merkte sie den Ansturm. Es war kein körperlicher Treffer, obwohl er sie wie ein Schlag erreichte, der sich über die gesamte Fläche ihrer unbekleideten Gestalt ausbreitete.
Für einen Moment kam sie tatsächlich aus dem eingeschlagenen Tanzrhythmus, stand für eine Sekunde starr und dachte wieder an das, was man mit ihr gemacht hatte.
Man beeinflusste sie!
Da waren Gedanken in ihrem Kopf. Fremde Gedanken, die sie ansprachen, obwohl sie keine Antwort geben konnte. Sie lockten, sie forderten, aber die Frau wehrte sich dagegen.
Völlig unmotiviert schüttelte sie den Kopf. Die langen schwarzen Haare flogen, fielen nach vorn und legten sich wie ein dünner Schleier über ihre kleinen Brüste.
»Sieh her!«
Es war ein Befehl. Sie wollte nicht, aber sie konnte nicht anders, denn die Stimme übte auf sie diese faszinierende und gleichzeitig suggestive Wirkung aus.
Deshalb stierte sie den Kunden an!
Sie glaubte daran, dass er es gewesen war, der ihr diesen Befehl gegeben hatte, obwohl er kein Wort gesagt hatte, sondern nur gedankliche Order gab.
Sie schaute zu ihm.
Und da sah sie ihn zum ersten Mal deutlicher.
Nein, nicht ihn, sondern seine Augen.
Zwei waren es. Wie bei jedem normalen Menschen. Als ihr dieser Vergleich in den Sinn kam, musste sie lachen. Konnte man diesen Besucher überhaupt als einen Menschen bezeichnen? Wohl kaum, denn er besaß keine menschlichen Regungen. Er hatte nichts gezeigt. Weder Freude, ein Lächeln noch eine Geste.
Nichts …
Bis auf die Augen!
Kalt und unbarmherzig war der Blick. Dazu stechend und alles durchdringend wie ein Laserstrahl. Auch Sayana fühlte durch diesen seltsamen gedanklichen Strahl ihr Gehirn regelrecht angebohrt, sodass ihre eigenen Gedanken ausgeschaltet wurden und sie sich allein auf das Augenpaar konzentrierte.
Killeraugen!
Ja, das war es!
Augen, die morden konnten und immer größer wurden. Dies geschah in einer kurzen Zeitspanne, sie schienen plötzlich zu explodieren, zu blauen, kalten Sonnen zu werden, und im nächsten Augenblick bekam die Japanerin die Wirkung voll zu spüren.
Sie schrie auf!
Es war der Schmerz, der sie so reagieren ließ. Ein stechender Schmerz, und jedes blaue Lichtteilchen, das die Kabine ausfüllte, schien auf ihrer Haut zu stechen und wie ein kleines Messer in ihren Körper eindringen zu wollen.
Es war grauenhaft.
Das Licht war da. Ein Monster, nicht greifbar und dennoch alles verschlingend.
Es fraß die nackte Frau!
Niemand sah ihren Todeskampf, er war zu schrecklich, und nicht einmal Schreie drangen aus ihrem Mund.
Sie blieb stumm und starb lautlos.
Die Gestalt mit den blauen Augen aber verschwand. Sie löste sich kurzerhand auf, denn sie hatte ihre Zeit genau eingehalten, da in der kleinen Box in diesem Augenblick die Lampe hektisch aufflackerte.
Die Show war zu Ende.
Und dies im wahrsten Sinne des Wortes …
*
»Wo ist Sayana?« Der hühnenhafte Kerl zischte die Frage durch die Zähne und schaute die drei im Aufenthaltsraum hockenden Mädchen unter seinen dichten Brauen scharf an.
Fanny übernahm die Antwort. »In der Kabine. Sie ist geholt worden, das weißt du doch.«
»Klar, aber die Zeit ist um.«
»Dann wird sie ja kommen.«
»Sie hätte schon da sein müssen«, knurrte der Mann. »Zeit ist Geld, verdammt. Die soll wieder auf die Scheibe.«
»Bisher ist noch Lilly drauf.«
»Und dann gehe ich«, meldete sich eine Rothaarige mit leiser Stimme.
»Meinetwegen.« Der Mann winkte ab. Aus seinem Gürtel schaute der Griff eines Schlagstocks hervor. Er benutzte ihn nicht nur bei den Mädchen, auch bei aufmüpfigen Kunden. »Also, wo ist sie?«
»Soll ich sie suchen?«, fragte Fanny.
»Ja, tu das. Ich habe die Box von außen schließen lassen.« Der Kerl stülpte die Unterlippe vor. »Wenn ich die zwischen die Finger kriege, setzt es was«, versprach er.
Fanny wollte abschwächen. »Vielleicht ist ihr schlecht geworden«, sagte sie.
»Das kann sie sich bis nach der Schau aufsparen. Wir zahlen hier für Leistung, und ihr habt sowieso schon sehr lange Pausen. Das gibt es woanders nicht.«
Fanny hätte ihm gern eine entsprechende Antwort gegeben, aber sie ließ es bleiben, denn sie wollte nicht noch einmal den verfluchten Schlagstock spüren.
Der Mann wartete.
Die anderen Mädchen sagten nichts. Sie hielten die Köpfe gesenkt, als würden sie sich wegen ihrer Blöße vor dem Kerl schämen. Der ließ seine Blicke über die Körper der Mädchen wandern. Die Rothaarige gefiel ihm, und er beschloss, sie am Abend mit in seine Bude zu nehmen. Sie fehlte nämlich noch in seiner Sammlung. Während der Wartezeit bewegte er seine dicken Finger. Manchmal schloss er sie zur Faust, dann öffnete er sie wieder, zog an jedem Finger, und es knackte widerlich.
Fanny hatte die Tür zum Gang hin nicht geschlossen. Die Wartenden konnten ihre Schritte hören, als sie zurückkam. Auf dem Hinweg waren sie noch forsch gewesen, doch nun klangen sie seltsam schlapp, zögernd und unregelmäßig.
Ohne dass ihnen jemand einen Befehl gegeben hätte, schauten sie zur Tür. Sie hörten auch würgende Geräusche, ein Schluchzen, danach ein Schaben, als würde eine Hand über die Wand fahren.
Etwas war geschehen!
Das merkte auch der Aufpasser. Für einen Moment spürte er den unangenehmen Druck in seinem Magen. Er presste die Lippen zusammen, spürte die fragenden Blicke der anderen Mädchen auf sich gerichtet und schoss förmlich in die Höhe.
In diesem Augenblick betrat Fanny den Raum!
Sie hatte sich auf eine erschreckende Weise verändert. Zwar trug sie bis auf die hochhackigen Schuhe nichts an ihrem Körper, aber das Gesicht war grauenhaft verzerrt. Es hatte eine grünliche Farbe angenommen, die Lippen zitterten, die Augen waren weit aufgerissen, und sie atmete keuchend und stoßweise.
»Was ist denn los?«, schrie der Aufpasser.
Er bekam keine Antwort. Fanny starrte durch seine Gestalt hindurch. Ihr Blick war gläsern.
»Rede!«
»Sayana, sie ist … sie ist …«
»Was ist sie?«
»Tot!«
Das Wort war ein Schrei, und er traf die Wartenden wie ein gewaltiger Schlag. Sie duckten sich zusammen, ihre Gesichter wurden ebenso bleich wie das von Fanny, während die Münder aufklappten, aber kein Laut aus ihnen hervordrang.
Sie konnten es einfach nicht fassen. Zu schlimm, zu schrecklich und unbegreiflich war diese Nachricht.
»Tot?«, hauchte der Aufpasser.
»Ja, tot …«
»Wo denn?«
»In der Box!«
Der Mann verzog das Gesicht, als wollte er anfangen zu weinen. Jetzt war das eingetreten, vor dem er sich stets gefürchtet hatte. Ein Todesfall in seiner Show. Das war schlimm, unbegreiflich. Er dachte daran, dass er nur ein kleines Rädchen im Getriebe war, denn die Mafia kontrollierte dieses Geschäft, und hinter ihr stand ein Name, der Furcht verbreitete.
Logan Costello.
Plötzlich sprang der Mann vor. Sie nannten ihn Sugar, aber er war nicht weich wie Zucker, sondern hart wie Stahl. Das merkte Fanny sehr bald, als seine zehn Finger sich in das Fleisch ihrer Schultern gruben und sie durchgeschüttelt wurde.
»Hast du dich nicht getäuscht? Ist sie wirklich tot?«
»Ja, ja, ja!«
»Und wie ist sie umgekommen?« Er sprühte Speichel in ihr Gesicht. Sie merkte es nicht einmal. »Hat man sie erschossen oder erstochen? Was ist los?«
»Nicht erschossen und auch nicht erstochen. Sie ist … verbrannt!«
Aus Sugars Mund drang ein fauchender Laut. Mit dem einer Katze zu vergleichen.
»Verbrannt?«, hauchte er.
Fanny nickte.
Sugar ließ sie los, schleuderte sie zur Seite und tauchte in den Gang. Die Mädchen warteten zitternd. Fanny ging zu ihrem Platz und nahm eine Zigarette. Dabei schaffte sie es nicht einmal, das Stäbchen anzuzünden, so sehr zitterten ihre Hände.
Eine Kollegin gab ihr Feuer.
Sie rauschte, hustete und würgte. Auch dann noch, als Sugar zurückkehrte. Sein Gesicht war ebenfalls grau, und der brutale Typ hielt eine Hand vor seinen Mund gepresst.
»Die Bullen«, flüsterte er, »wir müssen die Bullen holen. Nie in seinem Leben hatte er gedacht, diesen Satz einmal freiwillig zu sagen …
*
Wir standen da und wussten nicht, was wir sagen sollten, weil alles so unfassbar war.
Vor uns lag etwas, das einmal ein Mensch gewesen war. Ein junger Mensch, eine Frau mit Wünschen, Träumen und Hoffnungen. Was war von ihr zurückgeblieben?
Suko sprach es aus. »Nichts als ein blauer Klumpen«, flüsterte er. »Verdammt, John.«
Dieses Wort hatte ich schon des öfteren in den letzten Minuten gehört. Es war auch zum Verdammen, einfach grauenhaft, schlimm und kaum in Worte zu fassen.
»Da, sehen Sie selbst, Sinclair«, sagte der Kollege von der Mordkommission. »Und jetzt sagen Sie mir …«
Ich ließ ihn nicht aussprechen. »Das kann ich ebensowenig wie Sie.«
»Schön, dass Sie es zugeben.«
Suko bückte sich. Er hatte sich an unserem Gespräch nicht beteiligt. Wir standen in der engen Tanzbox, in der es nach Schweiß und Parfüm roch. Wie in einem Käfig kam ich mir vor, eingeschlossen, hineingepfercht, einfach unwürdig.
Ich musste mich schütteln. Man hatte uns gerufen, weil die Kollegen vor einem Rätsel standen, das auch durch Zeugenaussagen nicht gelöst werden konnte.
Da war ein japanisches Mädchen in die Box gegangen, um für einen Kunden zu tanzen. Als die Zeit um war, wunderten sich einige Leute, dass die Tänzerin noch nicht zurückgekehrt war. Man schaute nach und fand nicht Sayana, sondern einen blauen Klumpen, der einmal ein Mensch gewesen war.
Scheußlich.
Aber warum gerade dieses Mädchen? Über diese Frage dachte ich nach, während Suko die Tote genauer untersuchte. War es vielleicht ein Zufall gewesen, dass es ausgerechnet sie erwischt hatte? Daran wollte ich eigentlich nicht glauben. Es gibt ja ungemein viele Zufälle im Leben. Sie treten öfter auf, als man denkt, aber bei Aktivitäten dämonischer Wesen glaubte ich nicht an Zufälle. Und dass hier bei diesem Mord unnatürliche Dinge mit im Spiel gewesen waren, davon war ich fest überzeugt, und das konnte mir keiner widerlegen.
Was also tun?
Ich schaute auf Sukos Finger. Die Spitzen glitten über den Körper, und sie drangen auch ein.
»Ist die Masse sehr weich?«, fragte ich.
Mein Partner nickte. »Ja. Ich würde sie fast mit einem Ghoul vergleichen.«
»Aber es steckt keine Lebensenergie in ihr, oder siehst du das anders?«
»Nein, sie ist tot.«
Es lag auf der Hand, dass dieser Fall an uns ging. Ich wusste auch schon, wie wir unsere Nachforschungen beginnen würden. Da die Tänzerin nicht ohne Motiv ermordet worden war, mussten wir in ihrem Leben und ihrer Vergangenheit herumsuchen. Vielleicht entdeckten wir da einen Hinweis.
Und noch etwas kam hinzu. Der Chef der Mordkommission hatte es mir zugeflüstert. Dieser dreckige Pornoladen gehörte offiziell einem Engländer, doch hinter ihm stand ein ganz anderer. Jemand, der eine Organisation befehligte.
Logan Costello, der Mafioso!
Von ihm wussten wir natürlich einiges. Er hatte mit der Mordliga paktiert, gehörte zu den Günstlingen der Hölle, und ich hätte wer weiß was darum gegeben, ihm endlich das Handwerk legen zu können. Leider war uns dies bisher nicht gelungen.
Suko kam wieder hoch. Auf seinem Gesicht las ich die Ratlosigkeit. »Hast du einen Verdacht?«
Er leistete sich ein schmales Lächeln. »Ich weiß nicht so recht. Vielleicht können uns die Chemiker oder die Biologen mehr darüber sagen, wenn sie den Gegenstand untersuchen.«
Gegenstand war die richtige Bezeichnung. Einen Menschen hatten wir hier nicht vorliegen. Man konnte beinahe an eine Materieumwandlung denken.
Es hätte keinen Sinn gehabt, sich noch lange hier aufhalten zu wollen, deshalb verließen wir die Box. Man hatte den Showbetrieb natürlich eingestellt, dennoch hatten sich zahlreiche Menschen vor dem Haus versammelt. In Windeseile musste es sich herumgesprochen haben, was hier passiert war.
Gern hätte ich mich mit dem eingesetzten Chef des Ladens unterhalten, der allerdings war nicht greifbar. Rechtzeitig genug hatte er sich aus dem Staub gemacht. Wahrscheinlich informierte er im Moment seinen großen Gönner Costello.
So mussten wir uns an den Aufpasser halten, der auf den schönen Namen Sugar hörte.
Mit seinen Mädchen zusammen hockte er im Aufenthaltsraum. Die Girls hatten sich etwas übergezogen, und Sugar sah aus wie ein Schläger aus der finstersten Hafengegend. Massige Schultern, gewaltige Muskeln, die das Streifenhemd fast zu sprengen drohten. Seine weiße Hose zeigte ebensolche Flecken wie der Hemdkragen, und das schwarze Haar glänzte ölig.
Als Suko und ich den Raum betraten, wandten sich uns die Blicke der Anwesenden zu. Der Inspektor schaute auf den hockenden Sugar und machte ihm mit einer Handbewegung klar, dass er sich erheben sollte.
Sugar stand auf.
Suko ging zu ihm und hielt plötzlich den Gummiknüppel in der Hand, der zuvor im Gürtel des Mannes gesteckt hatte. Mein Freund bog die Waffe durch und schaute Sugar an. »Sind das seine Argumente?«
Der Kerl schwieg, und mein Freund stellte den Mädchen fast die gleiche Frage. Er wechselte nur das dritte Wort aus und sagte seine statt deine.
Eine Antwort bekam er trotzdem nicht. Die Tänzerinnen pressten die Lippen zusammen und schwiegen.
»Dann eben nicht«, sagte Suko, steckte die Schlagwaffe ein und bedeutete Sugar durch ein Nicken, dass er sich wieder setzen konnte.
Schwer ließ sich der Aufpasser fallen.
Dann stellten wir unsere Frage. Suko und ich wechselten uns dabei ab, und wir ließen die Mädchen und den Mann nicht zur Ruhe kommen. Alle gerieten ins Schwitzen. Nach dem Verhör waren wir so schlau wie zuvor.
»Woher kam sie?« Ich wechselte das Thema.
»Wie?«, fragte Sugar.
»Stell dich nicht so dumm an. Jeder Mensch hat eine Vergangenheit. Sayana wird doch sicherlich mit der einen oder anderen darüber geredet haben.«
»Mit mir nicht«, antwortete der Schläger.
»Und wie steht es mit euch?«, wollte Suko von den Tänzerinnen wissen.
Eine Blonde meldete sich. Sie hieß Fanny und hatte auch die Tote entdeckt. »Mit mir hat sie mal geredet.«
»Dann raus mit der Sprache.«
»Aber nicht viel«, schwächte sie gleich ab und trank den Whisky aus ihrem Glas. »Ihr Vater war Japaner, die Mutter Chinesin. Beide leben nicht mehr. Sie kamen bei einem Brand um.«
»Weiter«, forderte Suko sie auf.
»Mehr weiß ich nicht.«
»Das ist mager, Fanny, sehr mager. Ich glaube Ihnen nicht. Sie wollen uns doch nicht weismachen, dass sie nicht mehr aus dem Leben Ihrer Kollegin wissen?«
»So ist es aber.«
»Was hat sie vorher gemacht?«
»Keine Ahnung. Vielleicht ist sie auf den Strich gegangen. Irgendwie hatte sie bei den Kerlen Chancen, deshalb ist sie ja auch von einem geholt worden.«
»Und über diesen Kunden hätten wir gern mehr gewusst!« Ich wandte mich mit dieser Frage an Sugar.
Der stierte mich an und schüttelte langsam seinen kantigen Schädel. »Den habe ich nicht gesehen.«
»Schauen Sie sich die Kundschaft nicht an?«
»Nein, nur wenn die Typen Ärger machen.«
»Er hat doch eine Box bestellt, eine Einzelkabine, die …«
»Wir haben nur Einzelkabinen.«
»Ja.« Ich nickte. »Wenn Sie das so sehen, habe ich mich vielleicht falsch ausgedrückt. An wen muss man sich wenden, wenn man eine Einzeltänzerin beschauen will?«
»An die Kasse.«
»Und wer seitzt da?«
»Ich hole die Frau.« Sugar wollte aufstehen. Wir hatten etwas dagegen und schickten Fanny.
Die kam mit einer älteren Frau zurück, deren Körper einem Fass ähnelte. Bei jedem Schritt wackelten die Speckfalten in ihrem Gesicht.
»Was ist denn?« Nicht nur ihre Figur war außergewöhnlich, die Stimme ebenfalls. Sie klang rau, als hätte die Frau mit Whisky und Reißnägeln gegurgelt.
»Die Bullen wollen was von dir wissen, Rosa!«, sagte Sugar.
»Schon wieder?«
»Es ist ein Mord passiert«, stellte ich klar. »Jede Aussage ist wichtig. Ihre vielleicht ganz besonders.«
»Ich weiß nichts und habe auch nichts gesehen.«
»Auch nicht den Mann, der sich das japanische Mädchen bestellt hat? Das musste er doch bei Ihnen – oder?«
»Klar, den habe ich gesehen.«
»Beschreiben Sie ihn!«
»Kann ich nicht.«
»Wieso nicht?«
»Merken Sie sich jedes Gesicht?« Rosa schaute mich an. Auf ihren Speckfalten an den Wangen glänzte der Schweiß und die Schminke. Da konnte auch Puder nichts mehr retten.
»Nein, das nicht. Wenn ich allerdings so einen außergewöhnlichen Job hätte wie Sie, dann …«
Rosa winkte ab. »Was ist am Kassieren schon außergewöhnlich? Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich nichts gesehen habe. Mittags herrscht hier immer Hochbetrieb. Da kommen die Bürohengste, um in der Pause mal einen Blick zu riskieren. Ich kann euch nichts sagen, und wenn ihr mich durch die Mangel dreht.«
»Das hatten wir nicht vor. Wie ist es denn mit der Toten? Kannten Sie ihr Vorleben?«
»Nein!«
Da mischte sich Fanny ein. »Moment mal, Rosa hat Sayana mal nach Hause gebracht.«
»Na und?«
»Sie kennen zumindest die Adresse.«
Rosa plusterte sich auf. »Was hat das denn mit ihrem Tod zu tun?«
»Wo wohnte sie?«, fragte Suko.
»Auf der anderen Flussseite. Nahe dem Waterloo Bahnhof. Die hatte da eine Bude in einem Abbruchhaus. Hinten im Hof. Ziemlich mies.« Wir bekamen auch die genaue Adresse.
»Und was haben Sie bei ihr gemacht?«, hakte Suko nach.
Rosa hob ihre dicken Arme. »Sie nach Hause gefahren. Ist das so schlimm? Ich habe eben ein gutes Herz. Zahlt sich wieder nicht aus, wie man sieht.«
»Waren Sie auch in der Wohnung.«
»Ja, auf einen Reisschnaps.«
»Ist Ihnen etwas aufgefallen?«
»Nein.«
»War die Wohnung klein, groß …«
»Beschissen«, erwiderte sie voller Wut. »Nur eins hat mir gefallen, hat mir sogar imponiert, aber das hing nicht mit der Bude zusammen, sondern mit dem Mädchen. Es war die Ahnentafel.«
Ich wunderte mich. »Sayana hatte eine Ahnentafel?«
»Wenn ich’s sage. Ich habe extra danach gefragt und sie dann noch ausgelacht, weil sie sich so ein Ding an die Wand hing. Aber sie ließ sich nicht beirren. Sie sprach von einer großen Ahnenreihe väter- und mütterlicherseits. Auf dieses Ding war sie verdammt stolz und bezeichnete es als ihren kostbarsten Besitz.«
Ich wandte mich an meinen Freund Suko. »Ist das üblich mit diesen Ahnentafeln?«
»Bei manchen schon.«
»Warum bei dir nicht?«, fragte ich leise.
»Weil meine Herkunft im Dunkeln liegt.«
Ich grinste. »So siehst du auch aus.«
»Kann ich jetzt gehen?«, unterbrach Rosa mit ihrer Kratzstimme unser Gespräch.
»Ja. Falls wir Sie noch brauchen, kommen wir auf Sie zurück.«
Rosa verschwand, während ich mich an Sugar wandte. In diesem Augenblick änderte sich die Situation schlagartig.
Wir alle hörten das Klirren und die schrillen Schreie. Die Geräusche drangen aus dem Innern des Baus. Und zwar von dort, wo sich auch die große Scheibe drehte …
Suko und ich hetzten aus dem Raum!
*
Wie ihr Freund Suko, so stammte auch Shao aus China. Sie hatte Suko in Hongkong kennengelernt, als sie noch Feinde waren. Dann jedoch war es zu einer Wandlung gekommen, die man bei beiden mit dem Wort Liebe umschreiben konnte.
Ja, sie hatten sich verliebt. So stark, dass es Shao nichts ausmachte, Suko nach London zu folgen, obwohl er einem so gefährlichen Beruf nachging.
Eine gemeinsame Wohnung hatten sie in dem Haus gefunden, in dem auch ihr bester Freund, der Geisterjäger John Sinclair, wohnte und beide fühlten sich wohl.
Wenn Shao auch oft Angst um ihren Freund hatte, so gab sie das nie so recht zu. Sie wollte nicht, dass Suko in seinen beruflichen Aktivitäten eingeschränkt wurde.
Auch Shao hatte schon einige lebensgefährliche Abenteuer überstanden und bei einem der letzten hatte sie feststellen müssen, dass sie eine besondere Person war.
Als sie in die Klauen des Dämons Susanoo geriet, da war ihr klar geworden, dass sie von Amaterasu, der Sonnengöttin, abstammte und ihr sogar ähnelte.1
Dies war das bisher einschneidendste Erlebnis in ihrem Dasein gewesen, aber auch dies hatte Shao überwunden, wobei sie von Suko die nötige Unterstützung bekommen hatte.
An diesem Morgen war sie einkaufen gewesen. Einige Spezialitäten, die sie nur in besonderen Läden bekam, weil sie aus China eingeführt werden mussten.
Mit ihrer Korbtasche bewaffnet, verließ sie die U-Bahn und strebte zu Fuß der Wohnung zu. Suko hatte ihr versprochen, an diesem Freitag früh zurückzusein, daraus schien allerdings nichts zu werden, denn bei einem Anruf beim Yard hatte Glenda der fragenden Shao erklärt, dass Suko zu einem Einsatz gerufen worden war. Worum es genau ging, wusste Glenda auch nicht, nur dass eine Peep-Show eine Rolle spielte.
Shao war natürlich überrascht. Bisher hatten Suko und John mit diesen Shows nicht viel am Hut gehabt. So etwas fiel in ein anderes Ressort.
Vom Himmel schien die Sonne. Es war wirklich ein Jahrhundertsommer, der Europa in seinen warmen Fesseln hielt.
Shao hoffte, dass sie am Wochenende Zeit hatte, um zum Strand zu fahren.
Dem Wetter angemessen, war Shao gekleidet. Sie trug einen bunten Sommerrock aus dünnem Stoff, der bei Gegenlicht durchsichtig war. Unter dem gelben Sonnentop wippten ihre Brüste lustig bei jedem Schritt, und wenn der Wind in das lange Haar fuhr, dann wehte er es hoch. Es war eine schwarze Pracht.
Es befanden sich nicht sehr viele Männer auf der Straße. Diejenigen, die der Chinesin entgegenkamen, riskierten oft mehr als einen Blick. Für eine Asiatin war Shao ziemlich groß, dazu gut gewachsen, und sie achtete sehr auf ihre schlanke Linie.
Im Haus war es kühl. Zunächst fröstelte sie, als sie die Halle betrat und der Portier in seiner Loge strahlende Augen bekam, als er Shao entdeckte.
»Ist das nicht ein Wetterchen heute?« , rief er.
»Fast zu heiß«, erwiderte Shao lächelnd.
»Mir gefällt es. Zudem sind die Damen dann nicht so hochgeschlossen!«
Shao lachte. »Lassen Sie das nicht Ihre Frau hören.«
»Die ist Gönnerin. Sie sagt immer, du kannst dir den Appetit draußen holen, aber gegessen wird zu Hause.«
»Das meine ich auch.«
Ein Telefon summte in der Loge. Der Portier wurde abgelenkt, und Shao ging zum Fahrstuhl. Sie ließ sich nach oben katapultieren und betrat den langen Gang.
Er war ebenfalls klimatisiert, nur die Wohnungen nicht. In ihnen lastete die Hitze. Shao stöhnte auf, als sie ihr Apartment betrat. Durch das Fenster im Wohnraum schien die Sonne, und Shao ließ schnell die Rollos davor, damit sich der Raum nicht noch stärker aufheizte, als er ohnehin schon war.
Das Einkaufen hatte sie zwar nicht angestrengt, dennoch war sie ins Schwitzen gekommen. Sie zahlte eben den Tribut an die drückenden Temperaturen.
Den Einkaufskorb räumte sie leer, stellte die Dinge in den Kühlschrank und ging ins Bad, um sich abzukühlen. Eine lauwarme Dusche würde jetzt guttun.
Wie immer hatte Suko seinen Rasierapparat liegen gelassen. An und für sich war er ein ordentlicher Mensch, aber den Apparat wegzuräumen, daran würde er sich wohl nie gewöhnen.
Seufzend räumte Shao ihn auf, klappte die Türen des Wandspiegels zu, wollte sich abdrehen, als etwas explodierte.
Es war ein grellgelbes Licht. Versehen mit einem strahlend weißen Kern, und er befand sich genau im Zentrum des anderen Lichts. Das wiederum strahlte Shao aus der Spiegelfläche entgegen..
Sie zuckte zurück, riss instinktiv die Hände vor die Augen und berührte mit den Kniekehlen den Wannenrand.
Sie konnte sich nicht erklären, woher das Licht kam, schaute zum Fenster, weil sie damit rechnete, dass die Strahlen der Sonne durch die Scheiben fielen, aber das war nicht der Fall.
Hinter dem Fenster war es zwar hell, doch die Sonne schien nicht direkt darauf.
Dieses grelle Licht musste eine andere Ursache haben. Das wurde Shao klar, als sie auf dem Wannenrand hockte und die Hände gegen ihre Augen gepresst hielt.
Natürlich brachte sie den Schein sofort mit Schwarzer Magie in Zusammenhang, auch wenn er noch so hell und grell leuchtete. Da war von irgendwoher etwas gekommen, und die Helligkeit konnte sie auch nicht durch ihre Arme schützen, sie drang trotz dieser Deckung an ihre Augen.
Und sie hörte eine Stimme.
Nicht unangenehm, sondern weich, raunend, dennoch bestimmend, als würde sie von einer Herrscherin stammen, die es gewohnt war, Befehle zu geben.
»Shao, Shao …«, vernahm sie ihren Namen. »Ich hoffe, du hörst mich, Shao …«
»Ja, ich höre dich«, murmelte die Chinesin und blieb auf dem Rand der Wanne sitzen.
»Weißt du, wer ich bin?«
»Nein.«
»Dann will ich es dir sagen, Shao. Denke bitte weit zurück! Versuche dich in eine Zeit hineinzuversetzen, die längst in Vergessenheit geraten ist, als Samurais das Land durchzogen und nach gefährlichen Räuberbanden suchten, die die Menschen terrorisierten. Weit vor dieser Zeit, da kämpften die Götter miteinander und auch gegeneinander. Es gab hohe und niedrige Götter, ich gehöre zu ihnen, und aus meinem Geschlecht stammten zahlreiche Menschen, von denen nur eine Person übrig geblieben ist …«
Shaos Atem glich schon einem Rufen, als sie das nächste Wort hervorstieß. »Amaterasu, die Sonnengöttin!«
»Ja, ich bin es tatsächlich!«
Obwohl Shao mit dieser Antwort gerechnet hatte, war sie sehr überrascht.
Amaterasu! Eine uralte Göttin, ein Wesen auf der Seite des Lichts, das einmal die höchste Göttin der japanischen Mythologie gewesen war, bis sie von Susanoo, ihrem Bruder, vom Thron gestoßen wurde und im Dunkel der Dimensionen verschwand.
Aber sie war nicht vergessen worden. Ihre Diener erinnerten sich noch an sie. So war es der Goldene Samurai, der ihr zur Seite stand und ihr eine Rückkehr auf die Erde ermöglichen wollte. Einen Teilsieg hatte er bereits errungen. Es war ihm gelungen, den Fächer der Sonnengöttin an sich zu nehmen, eine sehr mächtige Waffe, nur wusste der Goldene nicht, wo sich Amaterasu genau befand, denn der Weg in die Dunkelheit war dem Goldenen versperrt. Deshalb hoffte er voller Inbrunst, dass es der Sonnengöttin einmal gelingen würde, ihr Reich zu verlassen und die Länder der Finsternis zu vernichten, wozu auch der Fächer beitragen würde, den sie dann bekäme.
Susanoo aber, ihr feindlicher Bruder, gebot über das Wasser. Er hauste in den Tiefen der Dimensionen und des Meeres. Von dort aus lenkte und steuerte er die Dinge, die der Herrscher der Hölle von ihm verlangte. Susanoo war Emma-Hoo treu ergeben. Und manchmal gelang es ihm, durch Risse und Spalten im Zeitgefüge seine Dimension zu verlassen und die Erde mit all seinem Schrecken heimzusuchen.
Das alles wusste Shao und brauchte ihr nicht erst gesagt zu werden. Diese Tatsachen gingen ihr durch den Kopf, als sie auf dem Wannenrand hockte und von der Lichtfülle trotz ihrer Armdeckung geblendet wurde.
»Was möchtest du?«, fragte Shao und zitterte dabei, denn sie konnte sich vorstellen, dass die Göttin aus einem sehr triftigen Grund mit ihr Kontakt aufgenommen hatte.
»Ich will dich warnen, Shao.«
»Susanoo?«
»Nein, nicht direkt. Stell bitte keine Fragen, denn die Zeit ist kurz. Eine Legende, die zwischen dem Reich der Mitte und dem der aufgehenden Sonne pendelte, ist erweckt worden. Diese furchtbare Legende hat einen Namen. Ich sage ihn dir jetzt, und präge ihn dir bitte genau ein, es kann möglich sein, dass er sich auch deiner annimmt. Sein Name lautet: Shimada, Herr der 1000 Masken. Merke ihn dir. S-h-i-m-a-d-a!«
Und Shao, die auf die Worte der Sonnengöttin hörte, sprach den Namen flüsternd nach.
»Ja, so heißt er, Shimada. Und er ist bereits unterwegs, um eine grausame Spur zu legen. Er hat Diener um sich versammelt, denn eins möchte ich dir noch sagen und dich damit auch warnen. Ninja!«
Shao zuckte zusammen.
Sie kannte den Begriff Ninja. Hinter ihm verbarg sich eine mörderische Kampftechnik, und Ninjas waren noch stärker als die alten Samurais. Wenn ein schwarzer Ninja, ein böser also, und ein Samurai aufeinandertrafen, endete der Kampf für den Samurai oft tödlich.
Bisher hatte Shao noch keine Gänsehaut gespürt, nun aber war es soweit. Es lief ihr kalt den Rücken hinab, denn dieser Begriff hatte sie aufgeschreckt.
»Weshalb kommt er?«, flüsterte Shao.
»Ich weiß es nicht genau, meine Liebe, aber ich habe etwas gehört. Es kann ein Gerücht sein, doch ich will nicht so recht daran glauben. Er will die Macht, und er will sich von keinem mehr aufhalten lassen, deshalb sucht er die Herrschaft über Zombies, Ghouls und andere Schreckenswesen. Vor langer Zeit hat Shimada im Land der aufgehenden Sonne gewütet, das will er nun fortführen. Zusammen mit seinen schrecklichen Helfern und Dienern. Es sind Lebende und Zombies darunter. Ghouls und andere Horrorgestalten, deshalb macht euch auf etwas gefasst. Shimada kommt nicht, er ist schon da.«
»Dann müssen wir ihn stoppen!«, rief Shao.
»Ich weiß nicht, ob das jemand kann. Wenigstens kein Mensch, denn er wird sich von einem Sterblichen nicht aufhalten lassen. Vielleicht schafft es der Goldene, doch er ist weit, ich kann ihn nicht erreichen. Deshalb wird Shimada wüten können, und er will auch den vernichten, der ihm in die Quere kommen könnte …«
»Sind es Suko oder John Sinclair?«, fragte Shao zitternd.
»Nein, es ist ein anderer. Nur einer, aber wenn ich dir den Namen sage, wirst du überrascht sein. Welten prallen bei diesen Kämpfen aufeinander, es wird eine grausame Schlacht sein, die sich sowohl auf der Erde als auch in anderen Dimensionen entscheiden kann!«
»Den Namen, bitte!«, flehte Shao.
»Es ist – Xorron!«
Das war eine Überraschung. Oder auch nicht? Shao wusste es nicht, sie hätte es sich eigentlich denken können, denn Xorron konnte man, und das hatte sie den Worten der unsichtbaren Sonnengöttin vernommen, eigentlich mit Shimada vergleichen. Er verfolgte dieselben Ziele wie diese lebende Legende, auch er wollte die Herrschaft über Zombies und Ghouls. Nein, er hatte sie wahrscheinlich. Als letzter der Mordliga war er übrig geblieben, sah man von Lupina einmal ab, und nun war jemand gekommen, der ihm diese Macht streitig machen wollte.
Ein unfassbares Ereignis – und ein grauenvolles, das man mit Mahlsteinen vergleichen konnte, in die Menschen gerieten und aufgerieben werden konnten.
Xorron kontra Shimada!
Wusste er vielleicht von dieser lebenden Legende? Bereitete er sich schon auf den gigantischen Kampf vor?
Das alles waren Dinge, die Shao durch den Kopf schossen und sie völlig verwirrten. Dies merkte auch Amaterasu, und sie sprach Shao Mut zu.
»Noch ist es nicht soweit. Shimada muss sich erst den Weg zu Xorron ebnen, aber er wird seine Spuren hinterlassen, daran kannst du ihn immer erkennen.«
»Was ist das?«
»Wer ihn als Mensch sieht, ist des Todes. Er ist aus einem See gestiegen, der sich das blaue Auge nennt. Behalte diesen Namen gut, denn wenn du in gnadenlose blaue Augen siehst, dann weißt du, dass er vor dir steht. Sie sind nicht wie die Augen des Dämons Belphégor, sondern viel dunkler, weniger kalt, aber erbarmungsloser und auch grausamer, denn diese Augen töten.
Ihre Blicke lassen Menschen zusammenschrumpfen. Und noch eins möchte ich dir sagen: Man nennt ihn auch den Herrn der 1000 Masken. Dies nicht von ungefähr, denn er tritt oft genug verkleidet auf, sodass ihn so leicht niemand erkennt …«
Plötzlich war die Stimme schwächer geworden, und Shao sprang auf. Sie nahm auch die Hände von ihrem Gesicht weg, schaute nach vorn und bekam mit, wie die gleißende Helligkeit innerhalb der Spiegelfläche allmählich verschwand.
Die Sonnengöttin zog sich zurück.
Shao streckte ihre Arme aus. Zwischen ihnen und den gespreizten Händen schaute sie hindurch, sah den Spiegel und rief verzweifelt den Namen der Sonnengöttin.
Noch einmal bekam sie Antwort. »Vorsicht, Shao, ich will dich nicht auch noch verlieren. Gib acht … sehr stark … die lebende Legende … Shimada …«
»Bleib!«, rief die Chinesin. »Bitte …«
»Zu schwach. Die magische Verbindung bricht zusammen. Die Brücke zwischen uns fällt …«
Und kaum war Shao das letzte Wort entgegengeweht, da stand sie wieder inmitten ihrer normalen Welt. Sie sah das Bad, die Dusche, die Vorhänge, das Fenster, die Kacheln …
Nichts wies darauf hin, dass eine uralte Mythologie aus längst vergessener Zeit in die Gegenwart übergegriffen hatte. Doch in dieser Zeit würde man die alten Dinge sowieso nicht begreifen.
Shimada und Xorron!
Diese beiden Namen wirbelten durch Shaos Kopf, als sie mit zitternden Knien das Bad verließ. Sie lief in den Wohnraum und dachte mit Schrecken daran, was passieren würde, wenn sich die beiden Giganten Schwarzer Magie gegenüberstanden. Sollten Menschen zwischen die Fronten geraten, war ihr Tod schon vorprogrammiert. Man musste alles tun, um dieses zu vermeiden.
Das Telefon stand in greifbarer Nähe, und Shao wählte mit flinken Fingern die Nummer von Scotland Yard …
*
Ich war noch nie in einer Peep-Show gewesen und wusste nur aus »Berichten«, wie es dort aussah und zuging. Auf einer kreisenden Fläche produzierten sich die Mädchen und wurden von den Männern angestarrt, die in ihren Kabinen standen. Man musste Geldstücke einwerfen, dann hob sich eine Klappe, und der Blick der gaffenden Kerle war frei.
So einfach lief das.
Die schrillen Schreie waren von den Mädchen ausgestoßen worden. Sie hatten ihren Aufenthaltsraum verlassen. Ich sah die blonde Fanny und konnte über ihre Schulter hinweg auf die Scheibe schauen. Sie befand sich etwas erhöht, war mit einem roten Bezug überzogen worden, und auf ihr standen keine Mädchen, sondern zwei seltsame Gestalten, die aussahen wie Schatten, so schwarz, so huschend, wobei sie mit Schwertern bewaffnet waren und diese gegen die Sichtfenster der Kabinen hämmerten. Deshalb hatten wir auch das Klirren gehört.
Suko und ich stürmten vor.
Mein Partner nahm sich den linken der beiden vor, ich kümmerte mich um den rechten.
Ein Schwert hatte ich nicht, mit dem ich mich hätte verteidigen können, das war auch nicht nötig, denn die beiden Gestalten wieselten davon.
Ich konnte nicht so schnell schauen, wie sie plötzlich verschwunden waren. Wie aufgelöst, sodass wir, wie vom Donner gerührt, dastanden und uns anschauten.
»Habe ich das geträumt?«, fragte Suko.
»Wohl kaum, die waren echt.«
»Verdammt, aber wo kamen sie her?«
Eine gute Frage, auf die ich auch keine Antwort wusste und nur die Glasscherben sah, die auf dem Boden lagen und glitzerten, wenn sie von einem Lichtstrahl getroffen wurden.
»Hast du sie gesehen?«
Suko hob die Schultern. »Sicher, du ja auch.«
»Ich meine genauer.«
»Schwarze Gestalten mit Schwertern. Männer waren es, aber ich sah keine Gesichter.«
»Genau das ist mir ebenfalls aufgefallen«, erklärte ich und dachte nach. »Wieso sahen wir keine Gesichter? Welchen Grund gab es? Kannst du mir das verraten?«
»Nein, vielleicht hatten sie keine.«
»Aber Schatten waren es nicht. Ich meine damit so Wesen wie aus dem Reich des Spuks. Die waren schon existent. Nur – wie konnten sie auf einmal verschwinden?«
»Frag mich was Leichteres«, sagte Suko und setzte zu einem Gang rund um die Scheibe an. Ich blieb in der Mitte hocken. Eines seltsamen Gefühls konnte ich mich nicht erwehren. Schon jetzt empfand ich es als unangenehm, auf dieser Fläche zu sitzen und eingerahmt von den zahlreichen Guckfenstern zu sein, wovon nur einige wenige zerbrochen waren. Das Glas der Scheiben schimmerte matt. Man könnte nicht erkennen, wer dahinterstand.
Ich schaute in die Höhe. An der Decke befand sich ein kleiner Kreis aus Lampen. Sie konnten wahrscheinlich zentral gesteuert werden und ihr Licht nach unten gießen.
Ich dachte noch über die Gegner nach. Zu einem Ergebnis kam ich nicht. Huschende Wesen mit blitzenden Schwertern. Dahinter konnte sich ziemlich viel verbergen, nur auf die richtige Erklärung würden wir wohl so leicht nicht kommen.
Ich sah die Mädchen, die es in ihrem Raum nicht ausgehalten haben und vorsichtig ankamen.
Fanny pickte ich mir heraus. »Kommen Sie doch mal her!«
Sie kam und betrat die Schaufläche. Diesmal zögernd und nicht auf Wirkung bedacht. Den dünnen Mantel raffte sie vor der Brust zusammen, ihr Gesicht wirkte alt und grau.
»Sie haben die Schreie gehört?«, fragte ich sie.
»Ja.«
»Und keinen gesehen?«
»Doch.« Fanny verzog das Gesicht und bekam gleichzeitig eine Gänsehaut. »Das waren Schatten.«
»Von Menschen?«
Die Stripperin dachte einen Moment nach und nickte heftig. »Natürlich von Menschen, die sprachen sogar miteinander. Sie zischten sich etwas zu und schlugen gegen das Glas. Dabei stießen sie so komische Schreie aus. Mir kam es so vor, als wollten sie alles zerstören.«
Ich drehte mich zu Suko um. »Weshalb?«
»Um Spuren zu verwischen«, sagte mein Partner.
»Das ist möglich.«
»Aber welche Spuren?«, fragte Fanny.
»Darüber müssen wir uns den Kopf zerbrechen, nicht Sie«, erklärte ich ihr. »Meiner Ansicht nach hängt dieser Aufwand mit Sayana zusammen.«
»Und mit Costello?«
»Das ist auch möglich.«
»Wer ist das, Costello?«, fragte Fanny.
»Ein Mann«, erwiderte ich und lächelte, das jedoch verging mir, denn auf einmal bemerkte ich den kalten blauen Schein.
»John, die Augen!«, rief Suko.