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10 gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band!
Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern aus den Jahren 1978 - 1989 und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Tausende Fans können nicht irren - über 640 Seiten Horrorspaß garantiert!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 481 - 490. Jetzt herunterladen und losgruseln!
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Seitenzahl: 1367
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2015 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Vicente B. Ballestar
ISBN: 978-3-7517-8319-4
https://www.bastei.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
https://www.sinclair.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
John Sinclair 481
John Sinclair – Die Serie
Im Schlund des Dreitöters
John Sinclair 482
John Sinclair – Die Serie
Die mörderischen City-Gnome
John Sinclair 483
John Sinclair – Die Serie
Der Yeti ist da!
John Sinclair 484
John Sinclair – Die Serie
Die Rächerin aus Aibon
John Sinclair 485
John Sinclair – Die Serie
Whisper – der Staubgeist
John Sinclair 486
John Sinclair – Die Serie
Der unheimliche Shaolin (1. Teil)
John Sinclair 487
John Sinclair – Die Serie
Im Tempel des Drachen (2. Teil)
John Sinclair 488
John Sinclair – Die Serie
Die Mumie und der Totengott
John Sinclair 489
John Sinclair – Die Serie
Der Rächer des Schwarzen Tods
John Sinclair 490
John Sinclair – Die Serie
Höllen-See
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Contents
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
»Verdammt, Gospodin, das ist die Hölle! Schlimmer kann auch sie nicht sein!« Orgenkin starrte in die Tiefe, die sich plötzlich verändert hatte.
Aus dem dunklen Grau der Lava und Felsen war ein glühendes Rot geworden, ein Fanal, ein höllisches Auge, in dem es gloste und toste. Es sah aus wie eine geleeartige Masse mit dunklerem Zentrum, wo es pulsierte, zuckte und dampfte.
Aber die drei Soldaten im Hubschrauber behielten die Nerven, besonders Jawalkow, der bärtige Pilot. Er und die beiden anderen gehörten zu einer Elite-Einheit, die vorgeschickt waren, um ein bestimmtes Gebiet im Kaukasus zu überfliegen, in dem sich angeblich unerklärliche Dinge ereigneten.
Offizielle Stellen wussten auch nicht viel. Man war auf Zeugenaussagen angewiesen, Berichte von Bergbauern, die vom Teufel und seinen Ungeheuern gesprochen hatten, von einem Weg mitten in die Hölle oder in eine andere Welt.
Der KGB hat seine Augen und Ohren überall. Als die Gerüchte nicht verstummten und sich sogar noch verdichteten, hatten Gebietskommissare die Vorfälle bis nach Moskau gemeldet, und dort waren sie auf dem Schreibtisch eines bestimmten Mannes gelandet, der sofort reagiert und kraft seines Amtes diese Spezial-Einheit aus drei hervorragenden Männern zusammengestellt hatte.
Nun waren sie unterwegs.
Man hatte ihnen kein genaues Ziel sagen können. Sie sollten nur ein bestimmtes Gebiet überfliegen, was sie auch taten. Es konnte Zufall und gleichzeitig Schicksal sein, dass sie die Stelle gefunden hatten, von der gesprochen worden war.
Der Hubschrauber war relativ klein und wendig. Sicherheitshalber hatte man ihn noch mit einem Zusatztank versehen, denn keiner von ihnen wusste genau, wie lange die Flugzeit noch andauerte.
Orgenkin und Tarbow starrten von verschiedenen Seiten aus in die Tiefe. Der Tag wollte sich schon verabschieden. Die graue Fahne der Dämmerung kroch über den Himmel, produzierte längere Schatten, sodass sie ihr Ziel deutlich ausmachen konnten.
Das hatten die drei noch nicht gesehen. Okay, im Kaukasus gab es Vulkane, manche von ihnen waren noch tätig, aber nicht an dieser Stelle, und man konnte den unter ihnen ablaufenden Vorgang auch nicht unbedingt mit einem Vulkanausbruch vergleichen.
Es war eher ein Brodeln, ein Glosen und ein gleichzeitiges Lauern, als würde noch etwas passieren.
Sie fanden es auch als unnormal, dass aus dem Krater kein Rauch hochstieg. Die Fläche wirkte wie ein breites Auge oder ein übergroßes Spiegelei.
Jawalkow, der Pilot, hatte die Befehlsgewalt übernommen. Auch er trug, wie seine beiden Kollegen, Kampfkleidung und deutete an, dass er tiefer gehen wollte.
Die anderen Männer waren damit einverstanden.
Spannung zeichnete ihre Gesichter. Sie waren es gewohnt, keine Angst zu zeigen, das hatte man ihnen jedenfalls eingetrichtert. Situationen waren da, um gemeistert zu werden, und auch jetzt verloren sie nicht die Nerven, obwohl ihnen unheimlich zumute war.
Langsam sank der Hubschrauber dem Zentrum entgegen. Er stand praktisch über dem dunkelroten Spiegelei, das sich noch immer bewegte, aber keinen Rauch absonderte.
Orgenkin hatte den Auftrag, sich Notizen zu machen. Der Zettel war auf einem Klemmbrett befestigt, und der Russe beschrieb genau das, was sie zu sehen bekamen.
Angeblich waren aus dem Krater Monster aufgetaucht. Schreckliche Gestalten mit furchtbaren Gesichtern und Köpfen. Ein Zeuge hatte sogar von einem Wesen mit drei Schädeln gesprochen.
Ob es stimmte, konnte niemand mehr sagen, der Zeuge war kurz danach gestorben.
»Ich sehe nichts!«, rief Tarbow. »Keine Monster, keine Gesichter. Ihr vielleicht?«
Er bekam eine negative Antwort. »Wie sieht es mit der Hitze aus?«, wollte Orgenkin wissen.
Da der Hubschrauber ein Außenthermometer besaß, fühlte sich der Pilot angesprochen. »Keine Erhöhung der Temperatur!«, meldete er.
»Das ist doch nicht möglich!«
»Stimmt aber.«
»Dann ist das nicht normal, dort unten!«, mischte sich Tarbow ein.
»Glaube ich auch«, sagte Orgenkin.
»Ich gehe noch tiefer!«
Die zwei anderen Männer nickten nur. Ihre Spannung nahm zu. So etwas hatten sie noch nicht erlebt. Bei einem normalen Vulkanausbruch hätte es einen Temperaturanstieg geben müssen. Was sie aber hier erlebten, dafür gab es keine Erklärung. Da gloste ein Feuer, das keine Hitze entwickelte. Wo gab es so etwas?
Auch als sie tiefer gingen, zeigte das Thermometer keine Erhöhung an.
Die Lavamasse unter ihnen drehte sich, als würde jemand in ihr herumrühren. Es hatten sich auch dicke Schlieren gebildet, die den Weg beschrieben. Sie waren dunkler als das Rot im Zentrum, und gerade dieses Zentrum hatte es den Männern angetan, weil sie glaubten, dass sich dort etwas abspielen musste. Wenn innerhalb des Kraters eine Gefahr lauerte, dann nur dort.
»Wie weit ist die Entfernung bis zum Grund?«, fragte Orgenkin.
»Zwanzig Meter nur.«
»Das ist nicht viel.«
»Genau.«
Über ihnen drehten sich die Rotorblätter, unter ihnen gloste die Hölle …
Tarbow entdeckte es zuerst. Er stieß einen Fluch aus, bevor er sagte: »Da ist doch was!«
»Wo?«
»Im Zentrum!«
Die Männer schauten genau hin. Noch immer glühte es in einem dunklen Rot, aber darin und dicht unter der Oberfläche zeichnete sich tatsächlich etwas ab.
»Da schwimmt jemand!«, sagte Orgenkin.
Normalerweise hätten die zwei anderen Soldaten über die Bemerkung gelacht, dazu war diesmal nicht der richtige Zeitpunkt. Bei dem, was sie hier erlebten, war alles möglich.
»Und was paddelt dort?« Tarbow nahm es noch auf die leichte Schulter.
»Kann ich nicht erkennen. Können wir noch tiefer, Jawalkow?«
»Ja, aber ich …«
»Versuch es doch.«
Der Pilot war gut. Seine Prüfungen hatte er mit Auszeichnungen abgelegt. Zudem galt er als Mensch, der eine Lage richtig einschätzen konnte, war also nicht übermütig, sodass er andere dabei in Gefahr brachte. Auch jetzt spielte er sein gesamtes Können aus, als er den Hubschrauber behutsam in die Tiefe gleiten ließ und die Distanz noch einmal um die Hälfte verkürzte.
»Tiefer möchte ich nicht gehen!«
»Ist schon klar, Gospodin.« Orgenkin hing an der Scheibe und schüttelte leicht den Kopf. »Bei allen Wölfen Sibiriens und Geistern des Kaukasus, das habe ich noch nicht erlebt. Das ist ja furchtbar. Ich … ich begreife es einfach nicht.«
»Wieso?«
»Da unten sehe ich Gesichter.«
»Mach keinen Quatsch!«
»Ja, verdammt. Aber keine Gesichter von Menschen. Das sind Monstren, sage ich euch.« Zwar schauten auch Tarbow und Jawalkow auf die Oberfläche, aber sie erkannten nur die Unruhe innerhalb der dicken, sirupartigen Flüssigkeit.
»Drei Köpfe!«, keuchte Orgenkin. »Verdammt, ich sehe tatsächlich drei Schädel!«
»Was denn?«
»Ein Mensch, eine Ratte und ein …« Er lachte schrill, bevor er weitersprach. »Und ein Krokodil.«
»Du bist …« Das Wort verrückt blieb Tarbow im Halse stecken, denn nun sah er auch.
»Drei Köpfe und ein Körper. Der … der sieht aus wie ein Baumstamm. Mann, ich werde irre.«
Jawalkow blieb als Einziger ruhig. Er schaltete die Kameras an. »Wir werden es fotografieren.«
»Gut.«
Der Pilot schoss die Aufnahmen blitzschnell hintereinander und ließ einen ganzen Film durchlaufen, damit sie der Zentrale den Beweis liefern konnten.
Orgenkin gab noch einmal die Beschreibung durch. Ratte, Mensch und Krokodil.
»Das ist Wahnsinn!«, keuchte er. »Das ist ein verdammter Wahnsinn! So etwas glaubt uns niemand.«
»Wir werden ihnen die Beweise auf den Tisch legen!«, knirschte Tarbow.
»Genau.«
»Und dann sollen die in der Zentrale weitersehen. Das muss ein Monster sein. Vielleicht ist es tausend und mehr Jahre alt. Es hat überlebt, stellt euch das vor …«
Sie sagten nichts mehr, waren voll konzentriert, bis der Pilot erklärte, dass der Film durchgelaufen war.
»Dann ab zum Stützpunkt!« Orgenkin atmete schnaufend aus und drehte sich wieder um.
Aber das klappte nicht.
Es dauerte einige Sekunden, bis die drei Männer begriffen, was ihnen widerfahren war. Der Pilot sagte es zuerst. »Verflucht noch mal, der Hubschrauber gehorcht mir nicht mehr.«
»Wieso?«, fragte Tarbow.
»Ich kriege ihn nicht hoch.«
»Das gibt’s doch nicht.«
»Doch.«
Zu dritt starrten sie auf die Elektronik der Instrumententafeln, die vor ihnen lagen. Es war einfach nichts zu machen. Die Instrumente gehorchten nicht mehr. Zwar drehten sich über der Maschine die Rotorblätter, aber es tat sich nichts mehr.
Die drei Männer waren blass geworden und verloren noch mehr Blut aus ihren Gesichtern, als sie feststellen mussten, dass ihre Maschine sich trotzdem in Bewegung setzte.
Nur eben in die entgegengesetzte Richtung.
Es zog sie nach unten!
»Tu was, Jawalkow!«, rief Orgenkin laut.
»Scheiße, was denn? Ich kriege den Eimer nicht mehr hoch. Da zieht uns was runter!«
»Und was?«
»Keine Ahnung. Vielleicht eine magische Kraft, die wir nicht erkennen können.«
»Das gibt es doch nicht!«
»Hier wird dir das Gegenteil bewiesen!« , erwiderte der Pilot. Er versuchte alles, nur hatte er keinen Erfolg damit. Unerbittlich sank die Maschine tiefer, als würde ein großes Gewicht an ihren Landekufen hängen.
»Und was machen wir?«, rief Tarbow.
»Nichts mehr, gar nichts. Wir bleiben einfach so, wie wir sind, zum Henker!«
»Und fallen in die Brühe!«
»Wahrscheinlich.«
Orgenkin fuhr mit der Hand über seinen Hals. »Verdammt, es ist nicht gerade das Wahre, von einem Krokodil gefressen zu werden!«, ächzte er. »Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass ich einmal so enden würde.«
»Es kann auch eine Ratte sein!«, bemerkte Tarbow. »Groß genug ist ihr Maul ja.«
Die drei Köpfe schwammen und zitterten noch immer dicht unter der Oberfläche. Ihre Mäuler waren weit aufgerissen, sogar das des Menschen in der Mitte.
Vielleicht war er sogar der Anführer dieses dreischädeligen Monstrums. Für die Agenten durfte dies kaum eine Rolle spielen. Sie hingen praktisch in den unsichtbaren Fesseln und konnten nichts dagegen tun, dass sie noch tiefer sanken.
Die andere Kraft war eben unerbittlich!
Jawalkow schaute auf den Höhenmesser. »Das sind noch zwei Meter, Freunde, dann haben wir es hinter uns.«
»Vielleicht können wir aussteigen!«, schlug Orgenkin vor.
»Und dann?«
»Durch die Brühe schwimmen und dann an den Wänden hochklettern, auch wenn die glatt aussehen.«
»Ich weiß es nicht.«
Die Männer schwiegen. Sie dachten darüber nach, wie sie sich retten konnten.
Jawalkow meldete sich wieder. »Wir haben Kontakt!«, meldete er. »Wir haben Kontakt.«
»Dann raus!« Tarbow öffnete den Ausstieg an seiner Seite. Er schaute nicht, was seine Kollegen taten, er wollte die Maschine verlassen, weil sie ihm vorkam wie ein Sarg.
An der Außenseite kletterte er in die Höhe, um auf das Dach des Hubschraubers zu gelangen.
Tief duckte sich Orgenkin, damit er nicht von den Blättern erwischt wurde. Sie hätten ihn sonst in Stücke gerissen.
Flach lag er auf dem Bauch und schaute seitlich auf die rote Flüssigkeit, in der die drei widerlichen Gesichter schwammen. Sehr deutlich konnte er den dunkelgrünen Krokodilschädel erkennen. Daneben befand sich die schreckliche Fratze, und an der anderen Seite wuchs der Rattenschädel aus der Schulter.
Ein Bild des Schreckens, und ein verdammt gefährliches, denn plötzlich griff der Krokodilschädel an.
Er schnellte aus der feurigen Masse, klatschte noch gegen den Hubschrauber und riss sein Maul weit auf.
Orgenkin wollte sich zurückziehen. Er war viel zu langsam. Das Krokodil erwischte ihn.
Zuerst biss es sich an seinem Arm und an der Schulter fest. Der Russe brüllte wie noch nie in seinem Leben. Die Schmerzen rissen ihn fast in die Bewusstlosigkeit, aber die gnädige Ohnmacht wollte einfach nicht kommen.
Jawalkow und Tarbow sahen in sein verzerrtes Gesicht und starrten auch auf das weit geöffnete Maul des Krokodils, das den Mann einfach schluckte.
Tarbow trommelte mit beiden Fäusten auf seine Oberschenkel. Dabei schrie er, während sein Kollege, der Pilot, nichts sagte. Er starrte aus dem Hubschrauber nach draußen. Sein Gesicht war aschfahl geworden, und er merkte kaum, dass der Hubschrauber an Höhe verlor.
So etwas konnte es nicht geben, aber es war trotzdem vorhanden. Und sie würden ihr Leben verlieren.
Von Orgenkin war schon nichts zu sehen. Nur noch die lange Krokodilschnauze bewegte sich.
»Habe ich geträumt?«, keuchte Tarbow. Er wurde vor Angst geschüttelt. »Verdammt, Gospodin, habe ich das alles geträumt, oder ist es Wirklichkeit gewesen? Sag doch was!«
»Du hast es nicht geträumt.«
»Wann sind wir dran?«
»Ich weiß es nicht!«
Tarbow schlug seinem Kollegen auf die Schulter. »Willst du denn gar nichts tun? Flieg doch weg!« Er schlug mit beiden Händen auf die Schultern des Piloten.
»Es geht nicht.«
»Lass mich mal.«
»Nein!«
»Ja, verdammt, ich kann das auch.« Tarbow war nicht mehr zu halten. Er stieß Jawalkow mit einem zielsicher angesetzten Karateschlag vom Sitz. Der Pilot lief blau an, riss den Mund auf und ächzte röchelnd, bevor er zur Seite kippte und Tarbow dabei hastig die Gurte löste.
»Ich werde hier wegkommen!«, schrie er. »Ich werde es allen zeigen. Ich will nicht krepieren!«
Seine Augen glänzten fanatisch, die Mundwinkel zuckten, er packte das Steuer, weil er die Maschine in die Höhe reißen wollte.
Dazu kam es nicht mehr. Das Monstrum hatte sich zur Seite bewegt. Diesmal war es der widerliche Rattenschädel, der vor der Maschine aus der dunkelroten Brühe schnellte.
Tarbow schrie. Sein Schreien ging unter im Brechen und Splittern des Glases, als die Scheibe vor ihm brach und der Rattenschädel freie Bahn hatte.
Wie ein Geschoss drang er in das Innere des Hubschraubers!
Tarbow lebte genau noch drei Sekunden, dann hatte ihn die Ratte getötet. Der Russe starb und wusste nicht einmal, warum.
Noch lebte Jawalkow. Der Schlag seines Mitstreiters hatte ihn nur paralysiert. Aber er konnte sich nicht rühren und bekam das Grauen zum Glück nicht mit.
Völlig erledigt hing er zwischen Sitz und Ausstieg. Er merkte nicht einmal, dass der Hubschrauber langsam in der dunkelroten Brühe versank.
Sie schluckte ihn wie ein Sumpf.
Eine Chance hatte keiner der drei Männer jemals gehabt …
*
In der Moskauer Zentrale des KGB liefen sämtliche Fäden dieser gewaltigen Spionage-Organisation zusammen. Hier saßen die Männer, die oft mehr Macht besaßen als die ranghöchsten Polit-Kommissare.
Seit einigen Monaten hatte sich in der UdSSR etwas geändert. Der Vorsitzende wollte einen liberaleren Kurs steuern. Bei vielen alten Genossen lief er mit seinen Vorstellungen auf Eis. Sie sahen ihre Pfründe gefährdet. Die jüngeren, intellektuellen und auch intelligenteren Genossen wussten genau, dass der alte Schlendrian nicht so hatte weitergehen können. Das Land wäre sonst in eine wirtschaftliche Katastrophe geschlittert, und das wiederum hätte das Volk aufhorchen lassen.
Auch beim KGB gab es die Alten, die Festeingesessenen, denen der Reformkurs nicht passte, aber sie mussten sich fügen. Zu den Beamten, die dem Vorsitzenden zustimmten, gehörte ein Mann namens Wladimir Golenkow, seines Zeichens Oberst und ein sehr verdienstvoller Agent, der nicht nur auf der Parteischiene dachte.
Er wusste, dass es Dinge gab, über die er mit seinen normalen Kollegen nicht sprechen konnte. Einige Fälle hatte er schon erlebt und hinter sich gebracht, unter anderem im fernen Sibirien die Werwolf-Elite gejagt oder die schwebenden Leichen damals in Prag.
Stets war er dabei mit einem Mann aus dem Westen zusammengetroffen, einem Beamten von Scotland Yard namens John Sinclair. Dieser Sinclair und der Russe hatten sich gut verstanden. Wenn sie agierten, konnte sich der eine auf den anderen verlassen. Sie hatten es gelernt, sich gegenseitig zu schätzen und waren schon so etwas wie Freunde geworden.
Beim KGB bekam Golenkow wenig Unterstützung. Man akzeptierte ihn und ließ ihn auch in Ruhe, mehr aber geschah nicht. Die offiziellen Stellen wollten nicht wissen und nicht wahrhaben, dass es Dinge gab, die rational nicht zu erklären waren, das passte einfach nicht in ihr kommunistisches Weltbild.
Golenkow wusste es besser. Und er ließ sich nicht beirren. Er hatte seine Kollegen mittlerweile soweit bekommen, dass sie ihn unterrichteten, wenn es irgendwo in der gewaltigen Sowjetunion zu Vorfällen kam, die einfach nicht in das Schema passten.
Dann reagierte er.
So wie in dem Fall aus dem Kaukasus, als sich die Gerüchte um ein Monster, das in einem Lavagebiet leben sollte, verdichteten. Golenkow hatte erst gezögert, dann aber drei Agenten losgeschickt, die der Sache nachgehen sollten.
Und diese drei waren ebensowenig wieder zurückgekehrt wie der Hubschrauber. Er schickte ein Suchflugzeug los. Die Maschine kehrte zurück, der Pilot hatte hervorragend scharfe Aufnahmen von dem Gebiet geschossen, aber nichts entdeckt.
Keinen Krater, keinen brodelnden Lavasee, nur das Gestein des Kaukasus.
Nach dieser Meldung hatte sich das unangenehme Gefühl bei Wladimir Golenkow verdichtet. Mehr als einmal raufte sich der hochgewachsene und immer etwas kantig wirkende Russe seine blonden Haare, aber zu einem Ergebnis kam er nicht. Er war schließlich soweit, dass er die drei Agenten abschrieb.
Wladimir Golenkow zählte sich nicht zu den menschlichen Robotern. Sein Gewissen plagte ihn, weil er die Schuld am Tod der drei Männer trug.
Aber wie sollte er das ändern, wo es keine Spuren gab? Er hatte sich mit höhergestellten Dienststellen in Verbindung gesetzt, auch mit dem Innenminister gesprochen, doch der hatte ihn nur angeschaut und gegrinst.
»Genosse Golenkow. Sie können mir doch jetzt nicht mit diesen Problemen kommen, wo sich unser gewaltiges Land am Beginn eines Umbruchs befindet.«
»Ja, das sehe ich.«
»Na bitte.«
»Und was soll ich tun?«
Der Innenminister hob nur die Schultern. »Ich weiß, wer Sie sind und welche Erfolge Sie bisher erreicht haben. Tun Sie Ihr Bestes, Genosse. Sie werden die Sache schon in den Griff bekommen.«
»Habe ich freie Hand, Genosse Innenminister?«
»Hatten Sie das nicht immer?«
Golenkow lächelte. »Ja, das stimmt. Nur könnte es sein, dass ich Hilfe benötige.«
»Soll ich dem Verteidigungsminister Bescheid geben, damit er Ihnen eine Armee zur Verfügung stellt, die das fragliche Gebiet durchkämmt und jeden Felsen umdreht?«
Die Antwort war als Scherz gemeint, nur fasste Golenkow sie nicht so auf. »Das wäre nicht einmal die schlechteste Lösung«, erwiderte er und fuhr schnell fort, als er das erschreckte Gesicht seines Gegenübers sah. »Aber oft ist weniger mehr.«
»Sie haben also einen Plan«, kürzte der Innenminister ab.
»Ja. Ich brauche deshalb wahrscheinlich Hilfe. Allerdings aus dem Ausland. Sie verstehen?«
Wie immer zeigte sich der Außenminister gut informiert. »Sie denken da an Ihren Freund aus London?«
»Genau, Genosse Minister. An John Sinclair.«
Der Innenminister nickte schwer. »Es ist nicht einfach, hier zuzustimmen.«
»Wieso? Was haben Sie gegen John Sinclair?«
»Persönlich nichts. Er hat unserem Land schon manchen Dienst erwiesen. Nur passt es mir eigentlich nicht, dass wir immer fremde Hilfe in Anspruch nehmen müssen, wenn es um bestimmte Vorfälle geht. Sie verstehen, Genosse.«
»Ja, das ist mir klar. So groß Russland auch ist, wir haben leider keinen Geisterjäger John Sinclair.«
»Und wie steht es mit Ihnen, Wladimir?«
»Vielleicht werde ich das einmal.«
Der Innenminister lächelte. »Wenn ich Sie ja nicht kennen würde, Genosse, wäre ich jetzt enttäuscht und hätte Sie Ihres Postens enthoben.«
»Dann stimmen Sie zu?«
»Ja, holen Sie Ihren Freund.«
Golenkow lehnte sich zufrieden zurück. »Welche Vollmachten geben Sie mir?«
»Wie immer.«
Golenkow lächelte und erhob sich. »Ich danke Ihnen. Ich danke Ihnen sehr, Genosse Minister. Und ich bin zuversichtlich, dass John Sinclair und ich es schaffen werden.«
»Das erwarte ich auch von Ihnen.«
Damit war Wladimar Golenkow entlassen. Vor der Tür atmete er tief durch. Auf seiner Stirn lag ein kühler Schweißfilm. Die Gespräche mit dem Minister wurden immer dann etwas kritisch, wenn die Erfolge, die man erwartet hatte, nicht eintrafen.
Wladimir hatte seinen schwarzen Dienstwagen auf dem Innenhof des Ministeriums abgestellt. Nachdem er die Kontrollen passiert hatte, atmete er auf und fuhr zu seiner Dienststelle. Dort griff er zum Telefon und hoffte, seinen Freund John Sinclair in London zu erreichen.
Beim ersten Versuch kam er nicht durch. Er wollte einige Minuten warten, doch das Klingeln des Telefons lenkte ihn zunächst ab. Seine Sekretärin meldete ihm einen Anruf. Eine gewisse Panja Orgenkin wollte ihn sprechen.
Wladimir war noch zu sehr in Gedanken, sodass er nicht sofort schaltete. »Wer ist die Frau?«
»Sie sagte mir, dass Sie den Namen Orgenkin kennen würden.«
Jetzt fiel es ihm ein. Orgenkin war einer der drei verschwundenen Männer. »Ja, natürlich, stellen Sie bitte durch.«
Wenig später hörte er die dünne, etwas zittrig klingende Stimme der Frau. »Bin ich mit Wladimir Golenkow verbunden?«
»Das sind Sie.«
»Sie kennen meinen Mann?«
»Natürlich.«
»Er hat einmal Ihren Namen gesagt. Ich sollte mich mit Ihnen in Verbindung setzen, wenn ich in Schwierigkeiten gerate. Mein Mann ist ja nun nicht zurückgekehrt, deshalb …«
»Wir werden ihn noch finden.«
»Ich weiß nicht so recht. Darum geht es im Augenblick auch nicht, verstehen Sie?«
»Nicht ganz.«
»Ich will es Ihnen sagen. Ich möchte, dass Sie zu mir kommen.«
»Welch ein Grund liegt an?«
»Das kann ich Ihnen am Telefon nicht erklären. Aber es gibt hier Dinge, die Sie sich einfach anschauen sollten, finde ich. Sie müssen es wissen, ob Sie Zeit finden …«
»Wo wohnen Sie?«
Er bekam die Adresse. Sie lag in einem der südlichen Moskauer Außenbezirke.
»Ich werde Sie besuchen.«
»Und wann?«
»Das müsste heute noch klappen. Sagen wir, am frühen Nachmittag? Ist Ihnen das recht?«
»Ja, gern.«
»Dann sehen wir uns.«
»Ich warte.«
Wladimir legte kopfschüttelnd auf. Er wurde nicht so recht schlau aus diesem Anruf. Nicht dass er ihn aus dem Konzept gebracht hätte, aber es war schon ungewöhnlich, dass die Gattin eines vermissten oder möglicherweise toten Agenten ihn anrief und zu sich bestellte. Einen Grund aber musste sie gehabt haben.
Golenkow war gespannt. Sein eigentliches Vorhaben hatte er jedoch nicht vergessen.
Wieder versuchte er, London zu erreichen. Und diesmal klappte es tatsächlich …
*
Abbé Bloch würde blind bleiben!
Wir wussten es alle, auch er selbst war informiert worden, und er hatte sein Schicksal mit Fassung getragen. Nur wollte er nicht, dass wir an seinem Krankenbett sitzenblieben, obwohl er sich noch in Gefahr befand, wie der Anschlag des Mordengels von London drastisch gezeigt hatte. 1
Nun, den Mordengel gab es nicht mehr, aber der Mann, der hinter dem Anschlag steckte, Vincent van Akkeren, würde nicht aufgeben. Zudem besaß er in dem Kind-Dämon Baphometh eine dämonische Rückendeckung, die nicht zu verachten war.
Der Abbé wollte einige Tage in Ruhe gelassen werden, um über seine Zukunft nachdenken zu können. Jedenfalls hatte er schon angedeutet, dass er auf keinen Fall in London bleiben wollte. Südfrankreich war seine Heimat, sie würde er nicht verlassen.
Wir hatten mit Sir James, unserem Chef, über dieses Problem gesprochen. Auch der Superintendent war der Ansicht, dass wir dem Abbé den freien Willen lassen sollten.
»Wir dürfen ihm auf keinen Fall das Gefühl geben, dass er zum alten Eisen gehört. Sie verstehen?«
Das war uns beiden klar.
Sir James nickte zuerst Suko, dann mir zu. »Einer von Ihnen sollte jedenfalls immer in London bleiben, solange sich der Abbé in der Klinik befindet. Wenn etwas auf uns zukommt, kann man Monsieur Bloch schützen. Das sind wir ihm einfach schuldig.«
Wir widersprachen nicht.
Der Superintendent lächelte. »Ein akuter Fall liegt wohl nicht an, deshalb würde ich vorschlagen, dass Sie sich um van Akkeren kümmern. Sie müssen seine Spur aufnehmen. Möglicherweise hält er sich in London oder Umgebung auf.«
»Das ginge eventuell über die Rocker«, meinte Suko.
Damit hatte er einen guten Vorschlag unterbreitet. Vier Rocker hatten auf der Seite des Mordengels gestanden und ihn unterstützt. Alle vier waren mit dem Leben davongekommen, nur Jilette, den Doppel-Zombie, hatte es erwischt.
»Wie hieß der Anführer noch gleich?«, fragte Sir James.
»Ricky.«
»Ja, genau. Vielleicht können Sie über ihn an van Akkeren herankommen.«
Ich war skeptisch. »Van Akkeren ist schlau. Der wird Ricky kaum mehr gesagt haben, als notwendig war.«
»Das meine ich auch, Sir!«, stimmte Suko mir zu.
»Aber irgendwo müssen wir beginnen.«
Er hatte recht. Zudem befanden sich die Rocker in Untersuchungshaft beim Yard. Wir brauchten nur einige Etagen tiefer zu fahren. Nach einer Stunde saßen Suko und ich uns in unserem Büro gegenüber und schauten uns ziemlich sauer an. Das Gespräch mit dem Rockerchef hatte nichts ergeben. Anscheinend wusste er nichts. Vielleicht wollte er auch nichts sagen. Er gab nur zu, den Namen van Akkeren zu kennen. Das Geld hatte er per Post erhalten, den Auftrag ebenfalls.
»Wenn van Akkeren seinen Namen bekannt gibt, scheint er sich sehr gut zu fühlen«, bemerkte Suko.
»An Selbstsicherheit hat er noch nie gelitten«, stand ich meinem Partner bei.
Wir kannten beide den Grusel-Star, der als Mensch beinahe schlimmer war als der Teufel.
Unser weiterer Dialog wurde durch das Klingeln des Telefons unterbrochen. Ich saß näher am Apparat und hob auch ab. Nach wenigen Sekunden hellte sich meine Miene auf.
»Wladimir Golenkow, du alter Tundra-Tiger. Gibt es dich auch noch im fernen Russland?«
»Und wie es mich gibt.«
»Was ist denn los? Haben sich Dämonen in den Kreml eingeschlichen, um ihn zu besetzen?«
»Nein.«
»Dann bin ich beruhigt.«
»Aber um Dämonen geht es.«
»Wieder um Werwölfe?«
»Diesmal nicht, glaube ich. Der Fall brennt mir auf den Nägeln, obwohl ich noch nicht weiß, um was es eigentlich genau geht. Jedenfalls hat es schon drei Tote gegeben.«
»Das ist weniger schön.«
»Du sagst es, John. Und deshalb rufe ich an. Ich möchte dich bitten, nach Moskau zu kommen und mich hier zu unterstützen. Die offizielle Genehmigung des Innenministers liegt vor. Wir können also schalten und walten, wie wir wollen.«
»Moskau im März? Bei euch ist noch Winter.«
»Wir bleiben auch nicht hier. Der Kaukasus lockt uns. Und dort ist bereits Frühling.«
»Das hört sich schon besser an. Ich setze mich sofort mit Sir James in Verbindung. Du weißt ja, die Hierarchie …«
»Die Kosten übernehmen wir.«
»Da muss Sir James einfach zustimmen.«
Suko hatte mitgehört, legte seine Stirn in Falten und nickte. »Moskau«, sagte er, wobei seine Stimme ein wenig betrübt klang. »Das hört sich gut an.«
»Ist es vielleicht auch, aber der Kaukasus ist noch besser.«
»Dann weiß ich ja, wer in London bleibt und ein Auge auf den Abbé hält.«
»Bist du deswegen sauer?«
»Nein. Ich glaube, dass mein Job ebenso wichtig ist.«
»Das finde ich auch.«
Zehn Minuten später saß ich wieder Sir James Powell gegenüber. Er hatte sich daran gewöhnt, dass wir mittlerweile international arbeiteten und nickte, als ich ihm Golenkows Wunsch unterbreitete. »Ja, John, ich habe nichts dagegen. Reisen Sie in die Sowjetunion. Sie haben ja dort schon Ihre Erfahrungen gesammelt.«
»Das meine ich auch …«
Ich rief Wladimir Golenkow zurück und gab ihm die Landezeit der Maschine durch.
»Dann also bis morgen. Ich freue mich, John.«
»Tja, ich auch. Und stell den Wodka kalt.«
»Darauf kannst du dich verlassen.«
*
Panja Orgenkin wohnte in einer der wenigen Vorstädte Moskaus, die man nicht durch Hochhäuser verschandelt hatte. In dieser Gegend gab es noch individuelle Wohnqualität, auch wenn viel durcheinander gebaut worden war. Keiner der Nachbarn wäre auf die Idee gekommen, dass zwischen ihnen ein Spitzenagent des KGB lebte. Das war Orgenkin tatsächlich. Er gehörte zu den Topleuten und einer Spezialeinheit an, die den amerikanischen Elitetruppen gleichkam.
Und jetzt war er verschwunden.
Einfach weg, wie vom Erdboden verschluckt. Das konnte Wladimir Golenkow noch immer nicht fassen. Darüber grübelte er nach, und er fragte sich immer wieder, was Panja wusste.
Hoffentlich nicht zu viel, denn ihr Mann war zusätzlich noch Geheimnisträger und hatte eine Art Eid leisten müssen.
Die Reifen des Dienstwagens wühlten sich durch Eis und Schnee.
Die Straßen waren im Schachbrettmuster angelegt worden, da fanden sich auch Fremde leicht zurecht. Rasch war in einer Seitenstraße das Eckhaus gefunden. Die Sonne stand tief und blendete, deshalb setzte Golenkow die dunkle Brille auf.
Vor dem Haus ließ er den Wagen ausrollen. Er stieg noch nicht aus und schaute sich das Gebäude an.
Das Dach war weit vorgezogen, sodass es über der Eingangstür Schutz bot. An den Dachrinnen hingen noch Eiszapfen, und auf dem Dach lag eine blasse Schicht aus Schnee und Reif. Das Gebäude sah sehr stabil aus. Vor dem Eingang breitete sich eine Holzveranda aus. Sogar eine Bank stand unter der Tür. Im Sommer musste es hier wunderbar sein.
Golenkow stieg aus. Vor seinen Lippen dampfte der Atem. Er war froh, die gefütterte Lederjacke übergezogen zu haben. Hier draußen war es kälter als in der Moskauer Innenstadt.
Bevor er die Tür erreichte, wurde sie schon von innen geöffnet. Die gleiche Stimme begrüßte ihn, die er schon vom Telefon her kannte. »Kommen Sie bitte, Genosse Golenkow.«
»Danke.« Der Agent trat seine Füße auf der Matte und ging in das Haus. Es war alles so bürgerlich, so völlig harmlos. Wieder musste er anerkennen, dass sich Orgenkin eine ausgezeichnete Tarnung ausgesucht hatte.
Er schloss die Tür und sah Panja Orgenkin neben einer Holzikone stehen, die an der Wand hing, wo es hoch in die obere Etage ging. Auf der schmalen Treppe hatte die Frau sogar noch Platz für einige Blumentöpfe gefunden.
Sie war ungefähr 30, ziemlich stabil, hatte dunkelbraunes Haar, das einen strengen Schnitt zeigte und ihr eher hartes Gesicht nicht gerade weicher aussehen ließ. Die Augen blickten ziemlich kühl. Die weiße Bluse sah wie frisch gestärkt aus, der enge, blaue Tuchrock spannte sich um die ausladenden Hüften und endete weit unter den Knien. Über die Bluse hatte sie eine ebenfalls blaue Strickjacke gestreift, deren drei Knöpfe geschlossen waren.
»Ich freue mich, Genosse Golenkow, dass Sie gekommen sind.«
»Das war selbstverständlich.«
»Nicht immer reagieren die Leute von der Zentrale so.«
»Sie scheinen schlechte Erfahrungen gemacht zu haben.«
»Das nicht gerade.« Sie lächelte knapp. »Aber es kann ja nicht alles geheim bleiben. Bitte, kommen Sie mit.«
Panja Orgenkin führte den KGB-Mann in einen kleinen Wohnraum, der noch im Erdgeschoss lag. Das Zimmer war mit älteren Möbelstücken eingerichtet. Die Couch war wuchtig. Der Stoff zeigte ein Muster aus großen Blumen, die allerdings schon verwaschen wirkten. Auf der Kommode stand ein Foto des Hausherrn. Sessel und Fernsehapparat waren ebenfalls vorhanden, außerdem ein Schrank und zwei Bilder, die als Motive die fast grenzenlose Weite des russischen Landes zeigten.
Durch zwei kleine Fenster schaute man in den Garten, wo das Geäst der Obstbäume eine Schicht aus Rauhreif und dünnem Eis trug.
Die beiden hatten sich an den Tisch gesetzt. »Möchten Sie etwas trinken, Genosse?«
Wladimir wehrte dankend ab. »Nein, ich habe auch nicht sehr viel Zeit. Wenn Sie mir sagen würden, was Sie auf dem Herzen haben …«
Panja fasste es mit einem Satz zusammen. »Ich glaube nicht mehr daran, dass mein Mann noch lebt.«
»Wieso?«
Sie hob die Schultern. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«
Golenkow beugte sich vor. »Aber es gibt keine Beweise, dass es anders sein könnte.«
Panja schaute ihn aus ihren dunklen Augen an. »Was ist für Sie wahrscheinlicher? Tod oder Leben?«
»So dürfen Sie mir die Frage nicht stellen. Ihr Mann war kein gewöhnlicher Mensch. Er arbeitete an Aufgaben, die nur für Spezialisten geeignet sind. Er konnte, wenn es sein musste, dem Teufel die Großmutter stehlen, wenn Sie verstehen.«
»Sicher. Nur hat er sich bei seinem letzten Fall einfach zu viel vorgenommen.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Er hat sich immer gemeldet. Ich weiß einfach, dass er tot ist.«
»Um etwas zu wissen, braucht man Beweise.«
Panja Orgenkin hob die Schultern. »Vielleicht habe ich so etwas Ähnliches auch.«
Golenkow zeigte seine Überraschung nicht. Er blieb gelassen und gab die Antwort lächelnd. »Dann sind Sie schlauer als ich, meine Liebe.«
»Das kann sein.«
»Und wie sehen diese Beweise aus? Hat sich Ihr Mann bei Ihnen gemeldet?«
Die Frau ließ sich Zeit, bevor sie antwortete. »So könnte man es auch oder nicht sagen.«
»Jetzt machen Sie mich neugierig.«
»Das habe ich mir gedacht.« Panja schaute den KGB-Mann scharf an. »Welch einen Auftrag haben Sie ihm gegeben?«
»Darüber kann ich nicht sprechen.«
Sie schlug mit der flachen Hand auf den Holztisch. »Das sollten Sie aber, Genosse Golenkow. Ich habe nämlich den Eindruck, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.«
»Wie meinen Sie das genau?«
»Wie ich es Ihnen gesagt habe. Sie haben ihn zu einem Todeskommando abkommandiert.«
»Es war nur ein Flug.«
»Dann führte er eben in die Hölle!«, erwiderte Panja mit einer Stimme, die Wladimir erschreckte.
Er blieb trotzdem gelassen. »Sie sollten allmählich mit der Wahrheit herausrücken, was Sie genau meinen, Panja. Ich will hören, ob Sie etwas von Ihrem Mann erfahren haben. Das ist wichtig.«
Die Frau stand ruckartig auf.
Wladimir blieb sitzen. »Soll ich gehen?« , fragte er, »oder weshalb sind Sie aufgestanden?«
»Sie können bleiben. Ich will mit Ihnen woanders hin.«
Golenkow erhob sich. »Befindet sich das Ziel innerhalb des Hauses?«
»Ja.«
Sie ging schon vor, ohne sich noch einmal umzudrehen. »Nicht dass ihm die Frau suspekt gewesen wäre, aber seltsam kam sie ihm schon vor. Es konnte am Verschwinden ihres Mannes liegen, aber nicht nur, daran glaubte er fest. Da musste irgendetwas anderes dahinterstecken. Panja Orgenkin gab ihm gewisse Rätsel auf.
Im Flur blieb sie stehen und schaute zurück, ob ihr Golenkow auch folgte. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas.«
»Ja, gehen Sie vor.«
Hintereinander schritten sie die Treppe hoch. Vorbei an den Blumenkübeln gingen sie. Dann nahmen sie die Wendeltreppe. Oben öffnete sich ebenfalls ein schmaler Flur. Er war nachträglich tiefer gelegt worden, sodass er in einen Anbau hineinführte, den Panja bis zum Ende durchschritt und vor einer hellen Kieferntür stehen blieb. Sie öffnete noch nicht, legte die Hand nur auf die Klinke und drehte sich zu dem KGB-Agenten um.
»Wir haben hier ein Bad anlegen lassen. Mein Mann hat es in seiner freien Zeit geschaffen.«
»Ja, er ist ein guter Bastler.«
Panja legte die Stirn in Falten. »Ist?«, fragte sie. »Nein, war.«
»Was wissen Sie?«
Die Frau lächelte karg. »Alles und eigentlich gar nichts«, erklärte sie.
»Das nehme ich Ihnen nicht ab.«
Sie hob nur die Schultern, drehte sich wieder um und öffnete die Tür zum Bad.
Wenig später betrat auch Golenkow einen Raum, der viereckig angelegt worden, ziemlich geräumig und schwarzweiß gefliest war. Eine Badewanne, eine Toilette und eine Dusche bekam er zu sehen. Gegenüber der Wanne befand sich eine Wand, die fast zur Gänze von einem dreigeteilten Spiegelschrank eingenommen wurde.
Die beiden seitlichen Türen waren kleiner als die in der Mitte. Vor dem Schrank blieb Panja Orgenkin stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Und nun?«, fragte Golenkow.
»Was sehen Sie hinter mir?«
»Einen Spiegel.«
»Sehr richtig.« Sie schaute plötzlich wissend, und ihre Mundwinkel zuckten. »Dieser Spiegel sieht völlig normals aus. Er ist es auch, wie ich finde. Schauen Sie her.« Sie drehte sich nach rechts und öffnete das Seitenteil. Dann trat sie zur Seite, sodass Golenkow in den Schrank blicken konnte.
Zahnpasta, Bürsten, ein Deo, Haarspray, es war ein völlig normaler Inhalt.
»Genug gesehen, Genosse Golenkow?«
»Sicher.«
Panja ging bis zur anderen Seite des Schranks und öffnete diese. »Darin befindet sich auch nichts Besonderes, bis auf ein paar Kämme und Haarbürsten.«
»Das sehe ich.«
Sie schloss die Spiegeltür wieder. »Kommen wir zur Mitte«, sagte sie und blieb so stehen, dass nicht sie nach dem Öffnen in den Schrank schauen konnte, sondern er.
Mit einem Ruck zog sie die Tür auf.
Wladimir Golenkow zuckte unwillkürlich zusammen, als er in die viereckige Öffnung oder das Loch starrte.
Der Spiegel war der Eingang zu einem tiefen Schacht. Möglicherweise befand sich auch nur ein schwarz angestrichenes Mauerwerk oder eine Wand dahinter. So genau war das nicht festzustellen.
»Was soll das?«, fragte er.
»Kommen Sie näher, Genosse Golenkow!« , flüsterte Panja. »Kommen Sie ruhig näher.«
»Und dann?«
»Schauen Sie hinein.«
»Da ist doch eine Wand.«
»Probieren Sie es.«
Golenkow brauchte nur zwei Schritte zu gehen, um vor der Öffnung stehen zu bleiben. Schon jetzt spürte er, dass es keine Wand war, die den Abschluss bildete.
Luft drang ihm entgegen, kalte auf der rechten und warme auf der linken Seite.
Obwohl er vor der Schwärze stand, die keinerlei Sicht zuließ, hatte er den Eindruck, in eine unendliche und nicht mehr meßbare Ferne zu sehen. Vielleicht hineinzuschauen in die Tiefe einer Dimension, die nicht mehr fassbar war. Hinter sich hörte er die Stimme der Frau. Panja sprach sehr leise. »Und sie sagte: »Sie wollen doch wissen, wo sich mein Mann befindet, Genosse Golenkow. Er ist vor Ihnen in der Tiefe des Jenseits …«
*
Wladimir Golenkow rührte sich nicht. Er dachte noch über die Worte der Frau nach und konnte nur den Kopf schütteln. Die Tiefe des Jenseits, nein, das wollte er nicht wahrhaben, sie legte ihn rein, sie wollte ihm etwas vormachen – andererseits aber war es so unwahrscheinlich auch nicht, denn Golenkow glaubte mittlerweile Dinge, die er vor wenigen Jahren noch für unmöglich gehalten hatte.
Und waren die drei Männer nicht auch spurlos verschwunden, als hätten sie sich aufgelöst?
»Haben Sie meine Worte gehört, Genosse Golenkow?«, fragte Panja. »Er ist in der Tiefe des Jenseits.«
Wladimir trat einen Schritt zurück. Er hob den Arm und wies mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Öffnung. »Und Sie sind der Meinung, dass sich das Jenseits dort befindet, wo eigentlich die normale Innenausstattung des Schrankes hätte sein müssen?«
»Ja, so ist es.«
Er drehte sich um und schloss die Tür. Der völlig normale Spiegel befand sich wieder vor ihm. »Woher nehmen Sie das Wissen, so etwas zu behaupten?«
»Ich weiß es.«
»Einfach so?«
»Nein, das nicht. Jemand hat es mir gesagt. Und zwar jemand, der es wissen muss.« Panja verließ ihren Platz und setzte sich auf den Wannenrand.
»Darf man erfahren, wer es war?«
Sie nickte und gab sich sehr gelassen. »Ja, es war mein verschollener Mann.«
Golenkow lachte. »Und das soll ich Ihnen glauben?«
»Natürlich.«
»Nein, tut mir leid.« Er schüttelte den Kopf. »Sie wollen doch nicht sagen, dass Ihr Mann aus dem Jenseits mit Ihnen gesprochen hat? Oder sehe ich das verkehrt?«
»Überhaupt nicht. Es war so.«
»Bitte weiter.«
»Mein Mann lebt nicht mehr, Genosse Golenkow. Er lebt jedenfalls nicht mehr so, wie ich es mir vorstelle. Er hat sich aus dem Jenseits gemeldet, hat mir Bescheid gegeben und hat mir auch erklärt, wer dafür verantwortlich ist, dass er sich dort befindet.« Ihr rechter Arm schnellte vor, und der Zeigefinger ebenfalls. »Nämlich Sie, Genosse. Sie tragen dafür die Verantwortung.«
»Er hatte einen Job.«
»Den Sie ihm gegeben haben.«
»Das streite ich nicht ab. Dennoch ist dies für mich zweitrangig. Nehmen wir einmal an, hinter diesem Spiegel liegt tatsächlich so etwas wie ein Tor zum Jenseits, dann würde es mich interessieren, wie es dorthin gekommen ist?«
»Das weiß ich nicht.«
»Wissen Sie eigentlich, wo Ihr Mann verschwunden ist? Wo ihn sein Auftrag hinführte?«
»Nein.«
»In den Kaukasus. Das ist einige Tausend Kilometer von hier entfernt. Sie wollen mir weismachen, dass dies der Zugang …« Golenkow schwieg plötzlich, weil er wusste, dass er auf diese Art und Weise nicht weiterkam.
»Es ist aber eine Tatsache, Genosse, an der Sie nicht rütteln können. Ich habe Ihnen den Beweis geliefert. Wenn Sie wollen, können Sie hineinsteigen.«
»Ins Jenseits?«
»Mir ist es egal, wie Sie es nennen. Meinetwegen auch Schacht oder so.« Ich habe den Spiegel geöffnet und schaute in den Schacht oder so.«
»Ich komme da nicht mit. Fangen wir noch mal von vorn an. Ich habe den Spiegel geöffnet und schaute in den Schacht, habe aber niemanden gesehen, auch nicht Ihren Mann. Wenn er dort wäre, hätte ich ihn entdecken müssen.«
»Vergessen Sie nicht die Dunkelheit.«
»Und Sie wollen ihn trotzdem gesehen haben?«
»Gehört auch.«
»Er hat sich bei Ihnen gemeldet? Wie ist das möglich?«
»Ich rief ihn.«
»Und wie kamen Sie dazu?
»Ich öffnete den Schrank und spürte mit einem Mal, dass sich dort etwa tat. Ich merkte, dass dort nicht allein die Schwärze lauerte. Da war noch etwas anderes, das ich schlecht beschreiben kann. Man muss es einfach fühlen. Man muss eine ›Antenne‹ dafür haben.«
»Die besitzen Sie?«
»Ja.«
Wladimir deutete auf den Spiegel. »Dann bitte ich Sie, mir dies einmal zu zeigen.«
»Deshalb habe ich Sie kommen lassen, Genosse Golenkow. Sie sollen selbst erleben, in welch eine Lage Sie meinen Mann gebracht haben. Sie haben ihn in den Tod geschickt. Ja, er ist tot, aber trotzdem lebt er auf eine gewisse Art und Weise. Ist das nicht ungewöhnlich?« Panja starrte ihn fast staunend an.
»Im Prinzip schon.«
»Dann gehen Sie bitte der Sache auf den Grund. Öffnen Sie den Spiegel und rufen Sie den Namen meines Mannes. Einen anderen Rat kann ich Ihnen nicht geben.«
Der Russe überlegte. Er schaute sich Panja noch einmal an, dachte über all ihre Erklärungen nach und kam zu dem Entschluss, dass er es nicht mit einer Verrückten zu tun hatte. Die musste tatsächlich etwas gesehen haben. Zudem war das Verschwinden der drei Männer mehr als ungewöhnlich.
Aber er hatte noch Fragen. »Seit wann existiert dieser Schacht denn schon?«
»Es sind einige Tage her.«
»Vorher war alles normal?«
»Ja, erst als mein Mann so plötzlich verschwand, baute sich der Zugang auf.«
Wladimir nickte. Er fasste an den kleinen Griff rechts an der Scheibe und zog die mittlere Spiegeltür dann mit einem heftigen Ruck auf. Noch immer wollte er nicht so recht daran glauben, dass es tatsächlich ein Tunnel war, der dahinter begann, doch auch beim zweiten Mal schaute er in die tiefe Schwärze hinein, die als Schacht in die Unendlichkeit zu führen schien.
Den Verschwundenen sah er nicht. Wladimir wollte es genau wissen. Er fragte nach einer Taschenlampe.
»Die habe ich«, erklärte ihm die Frau. »Nur wird Sie Ihnen nicht viel nützen.«
»Ich hätte sie trotzdem gern.«
»Gut.« Sie öffnete einen kleinen Wandschrank neben der Dusche und holte eine flache Lampe hervor.
Wladimir nahm sie entgegen, schaltete sie ein und leuchtete in die Finsternis. Wohl war ihm nicht zumute. Er spürte, dass in dieser tiefen Dunkelheit etwas lauerte, das ihm nicht geheuer war. Man konnte dem Bösen einen Namen geben, man konnte es auch lassen. Das, was im Schacht lauerte, besaß keinen Namen.
Es war einfach da.
Der Russe drehte die Lampe so, dass er in die Tiefe hineinleuchten konnte.
Nur sah er nichts.
Es wäre normal gewesen, wenn der Lichtschein einen Tunnel in die Schwärze geschnitten hätte, das war hier nicht der Fall. Schon nach einer Armlänge Entfernung wurde der Strahl regelrecht aufgesaugt, als wäre er nicht mehr vorhanden.
Der Russe bekam eine trockene Kehle.
Panja Orgenkin hatte ihn beobachtet. Er hörte hinter sich ihr leises Lachen. »Nun, habe ich Ihnen zu viel versprochen, Genosse? Diese Dunkelheit ist nicht nur ungewöhnlich, sie ist das Jenseits.«
Er drehte sich wieder um. »Möglicherweise haben Sie sogar recht. Nur Ihren Mann habe ich nicht gesehen. Und wen das Jenseits einmal hat, den lässt es nicht wieder los. So haben wir es doch gelernt, oder nicht?«
Panja Orgenkin lächelte sphinxhaft. »Kann es auch in der anderen Welt nicht Ausnahmen geben?«
»Möglich. Und Sie meinen, hier eine solche Ausnahme gefunden zu haben?«
»So ist es.«
»Dann zeigen Sie mir bitte, wie ich mit Ihrem Mann in Kontakt treten kann. Machen Sie es mir vor!«
»Das wollte ich.« Sie wedelte mit der Hand. »Bitte, lassen Sie mich vorbei.«
Golenkow schuf ihr Platz. Das Lächeln behielt sie bei, als sie dicht vor der Öffnung stehen blieb und sich auch noch nach vorn beugte, sodass sich ihr Kopf schon innerhalb des unheimlichen Schachts befand. Bevor sie rief, holte sie noch einmal tief Luft. Wladimir sah, dass sich die Jacke auf ihrem Rücken spannte.
Dann hörte er ihre Stimme. Panja rief den Vornamen ihres Mannes.
»Igooorr …!«, brüllte sie. Und wieder. »Igooorr …!«
Wladimir stand dicht hinter ihr. Er war gespannt, ob und wie sie eine Antwort bekam.
Zunächst tat sich nichts. Der Ruf hatte sich zu einem Echo ausgeweitet, das in der Tiefe des Schachts verhallte. Eine Antwort bekam die Frau nicht.
Aber sie gab nicht auf. Nach wie vor blieb sie am Schacht stehen und versuchte es immer wieder.
Und dann hörten beide etwas.
Es war ein ferner Schrei, der ihnen entgegenbrandete. Hastig drehte sich Panja um. Ihre Augen leuchteten in einem seltsamen Glanz. »Ja, er ist es. Ich habe ihn gehört.« Sie fasste Wladimir an die Schulter und schüttelte ihn durch. »Kommen Sie, schauen Sie selbst nach. Sie können in den Schacht sehen. Rufen Sie auch. Ich will Ihnen sagen, er ist es. Sprechen Sie mit ihm …«
Panja war völlig aus dem Häuschen, doch der KGB-Mann ließ sich nicht beirren und warf seine Vorsicht auch nicht über Bord. Vorsichtig trat er an die Schachtöffnung, sah aber nichts, nur weiterhin die dicke Schwärze.
»Rufen!«, flüsterte Panja hinter ihm. »Sie … Sie müssen auch seinen Namen rufen, sonst erscheint er nicht.«
Das tat Golenkow, und er hörte, wie seine Stimme in der Unendlichkeit zu verklingen schien.
Noch einmal rief er.
Plötzlich geschah es!
Aus der Schwärze und auch aus dem Jenseits erschien Igor Orgenkin vor ihm.
Nicht als Mensch, als Ungeheuer!
Orgenkin besaß den Schädel eines Krokodils!
*
Es war ja nicht nur das Krokodil, das ihn so erschreckte, denn Wladimir sah nicht den Kopf, dieses gewaltige Ding, das nur aus Schnauze zu bestehen schien und das die Bestie weit aufgerissen hatte. Er schaute genau in den Schlund und sah auch die beiden gefährlichen Zahnreihen, die im Ober-und Unterkiefer wuchsen.
War das Orgenkin?
Golenkow sah das Ungeheuer wie auf einer Filmleinwand, schaute nach rechts und erkannte noch mehr.
Den Riesenschädel einer Ratte!
Ein graues Fell überzog den Kopf. Übergroß wirkten die Ohren, die Augen und natürlich auch die vorgezogene Schnauze, die die Ratte aber noch geschlossen hielt.
Dennoch starrte sie den Russen so an, als wollte sie ihm jeden Moment an die Gurgel springen.
Zwischen dem Ratten- und dem Krokodilskopf befand sich noch ein Dritter.
Ein Menschenschädel. Innerlich schien er zu brennen, denn auch die Haare standen hoch und erinnerten den KGB-Mann an plötzlich erstarrte Flammen. Die Haut zeigte ein feuertiefes Rot, die Augen glänzten weiß, der Mund war geöffnet, sodass der Rachen einen tiefen, auch leicht rötlich schimmernden Schlund bilden konnte.
Das war ein Horror-Gemälde!
Nur gab es zu einem Bild einen gravierenden Unterschied. Dieses Monstrum lebte!
Es war aus der Tiefe der Schwärze aufgetaucht, die Panja als Jenseits bezeichnet hatte, und es sah nicht so aus, als würde es freundliche Absichten hegen.
Innerhalb weniger Augenblicke hatte Wladimir das Bild in sich aufgenommen. Er dachte nicht mehr weiter darüber nach und sah nur noch, wie das Krokodil zuschnappte.
Blitzschnell drehte er sich um, hörte die Frau scharf lachen und sah das Maul übergroß.
Dann klappten die Kiefer zusammen!
Den Kopf des Russen erwischten sie nicht mehr. Golenkow war einfach zu schnell gewesen, doch ungeschoren kam auch er nicht davon, denn die harten Zähen rissen an seiner rechten Schulter entlang und hakten sich im Leder der Jacke fest.
Golenkow warf sich in Richtung Wanne. Im Bruchteil einer Sekunde flutete die Panik in ihm hoch. Er dachte daran, dass diese Bestie auch noch nachbeißen konnte, hatte aber Glück.
Leder und Fütterung rissen. Sein Hemd wurde nicht beschädigt. Durch den eigenen Schwung fiel er zu Boden, raffte sich sofort wieder hoch und schaute auf die Luke, wo er das Maul des Krokodils sah, zwischen dessen Zähnen noch die Lederreste hingen.
Mehr war nicht geschehen …
Und einen zweiten Angriff setzte das Monstrum auch nicht an. Dennoch wollte Golenkow auf Nummer Sicher gehen. Er schnellte schräg in die Höhe und knallte den Spiegel zu. Er konnte sein verzerrtes und schweißüberstörmtes Gesicht im Spiegel erkennen.
Haarscharf war das gewesen. Dieses verfluchte Krokodil hätte ihm beinahe den Kopf abgerissen.
Als er daran dachte, begann er zu zittern, bekam eine trockene Kehle und schaute zu Panja hin.
Die rührte sich nicht. Nur in ihren Augen lag noch immer der außergewöhnliche Glanz.
»Er war es!«, keuchte sie, »er war es …«
Wladimir Golenkow schüttelte den Kopf. »Das kann nicht sein, verdammt! Ich habe zwar einen Menschenkopf gesehen, aber das war niemals Igor Orgenkin.«
»Irrtum!« Die Frau schaute auf den Spiegel. »Ich weiß es besser als du. Viel besser.«
»Nein.«
Es war fast ein verzweifelter Ruf, den der Russe ausstieß. Er wehrte sich nicht, als die Frau auf ihn zuging, ihn packte und durchschüttelte. »Sie können sagen, was Sie wollen. Sie können alles sagen, aber Sie bringen mich nicht von meiner Meinung ab. Er war es, mein Mann. Verdammt, sag, was du mit ihm gemacht hast! Ich will es wissen! Zum Henker! Ich will es endlich wissen!«
Der Russe riss sich los. »Nichts«, flüsterte er. »Ich habe nichts mit ihm gemacht!«
»Das können Sie mir nicht erzählen. Sie gaben ihm doch den Auftrag. Sie schickten ihn ins Jenseits.«
»Moment«, sagte Golenkow und streckte die Hände abwehrend vor. »So einfach ist das nicht. Fangen wir noch mal von vorn an. Sie behaupten, dass dieses Monster Ihr Mann gewesen ist?«
»Ja, ich habe ihn gehört. Ich …« Sie verschluckte sich und sprach erst dann weiter. »Also ich …«
»Vielleicht ist es tatsächlich eine andere Dimension«, sagte Golenkow. »Alles ist möglich. Aber ich weiß genau, dass es Dinge gibt, die nicht stimmen können. Wenn Sie Ihren Mann gehört haben, war es sein Geist, nicht das Monstrum.«
»Klar, so sehen Sie es. Ich aber nicht.«
Er winkte energisch ab. »Lassen Sie das. Eines steht jedenfalls fest. Sie sind hier nicht sicher. Haben Sie verstanden? Sie sind in diesem Haus nicht mehr sicher!«
Wladimir hatte bewusst den Satz wiederholt, weil er sah, dass sich die Frau abwandte. »Nein«, sagte sie. »Alles können Sie mit mir machen. Sie bekommen mich aber nicht hier heraus. Haben Sie gehört? Ich bleibe. Er ist gegangen, er wird auch wieder zurückkehren.«
»Ach, wie schön. Wie denn? Durch den Spiegel etwa?«
»Ja.«
Golenkow wollte es noch einmal wissen. Er ging hin und zog die mittlere Tür auf.
Dahinter lag der normale Einbauschrank. Nicht sehr tief und in drei Fächer unterteilt, die allesamt leer waren.
Allmählich fühlte sich der Agent reif für das Irrenhaus. »Das darf doch nicht wahr sein«, hauchte er. »Verdammt, das ist doch unmöglich. So etwas gibt es nicht.«
»Doch! Er kommt und geht!«
Scharf fuhr Golenkow herum. »Wie meinen Sie das denn schon wieder, Panja Orgenkin?«
Fast locker hob sie die Schultern und strich eine vorwitzige Strähne zurück. »So wie ich es sagte. Mal ist er da, mal nicht. Da versteckt er sich oder hält sich bewusst zurück. Er lässt sich nicht beeinflussen. Mein Mann steuert und lenkt sich selbst.«
»Allmählich merke ich das auch.«
»Habe ich Ihnen zu viel versprochen?« , fragte Panja lauernd.
»Nein, das haben Sie nicht. Ich frage mich nur, weshalb Sie mich geholt haben. Hätten Sie mit Ihrem Wissen über die Dinge nicht glücklicher sein können?«
»Ich wollte sehen, wie Sie reagieren. Sie müssen doch Angst bekommen. Das war mein Ziel. Derjenige, der meinen Mann ins Unglück gestürzt hat, soll Angst bekommen.«
Der Russe schaute in den Spiegel. Er sah dort nur sein normales Gesicht. Nichts wies darauf hin, welch ein Geheimnis die Silberfläche barg. Golenkow atmete durch die Nase ein. »Das hier war nicht mein Erster und auch nicht mein letzter Besuch bei Ihnen, dies kann ich Ihnen versprechen, Panja Orgenkin.«
»Wann werden Sie wieder hier sein?«
»Ich weiß es noch nicht. Nur werde ich beim zweiten Besuch nicht allein kommen. Ich bringe einen Spezialisten mit, der sich dieses Phänomen ansehen soll.«
Die Augen der Frau weiteten sich. »Wer ist es? Ein Funktionär? Noch einer?«
»Keine Sorge. Ein Mann aus dem Westen.« Er nickte Panja zu und verließ den Raum.
Panja Orgenkin sprach nicht mehr. Sie verkniff sich auch einen Abschiedsgruß, blieb an der offenen Haustür stehen und schaute zu, wie der Agent in seinen Wagen stieg.
Golenkow winkte Panja noch einmal zu, bevor er Gas gab. Die helle Fahne am Auspuff stand wie ein kleiner Geist in der Luft, bevor sie zerflatterte.
Panja Orgenkin aber ging wieder in ihr Haus. Sie ballte die Hände zu Fäusten, bevor sie anfing zu lachen. »Sterben soll er – sterben! So wie mein Mann …«
Dann holte sie eine Flasche Wodka aus dem Schrank, setzte die Öffnung an den Mund, trank gierig und bekam anschließend fast einen Lachkrampf.
*
Moskau empfing mich mit strahlendem Sonnenschein, Minustemperaturen und finster dreinblickenden Sicherheits- oder Zollbeamten, die wohl froh waren, wenn Sie Besucher aus dem Westen so richtig filzen konnten.
Ich kannte einen Teil der Stadt, die Gegend um den Roten Platz und den Kreml. Da hatte ich schon Zombies gejagt, und dieser Fall war bis heute noch nicht vergessen. 2
Als das Gepäck vom Rollband lief, drängte sich plötzlich ein hochgewachsener Mann mit blonden Haaren durch die Menge der Zollbeamten.
Es war Wladimir Golenkow. Er winkte, ich hörte sein Lachen, dann wandte er sich an einen Knaben, der abseits stand.
Der Bursche nahm Haltung an, als Golenkow mit ihm sprach. Anschließend ließ man mich in Ruhe, sodass mich mein russischer Freund in die Arme schließen konnte.
»Na, du siehst noch so aus wie früher, John. Hast dich nicht verändert. Wie frisch aus dem Urlaub.«
»Danke, das Kompliment gebe ich zurück. Ich wusste gar nicht, dass ihr mich zu zweit empfangt.«
»Wieso?«
»Du und Väterchen Frost.«
Er lachte auf. »Ja, mein lieber John, das ist eben so in dieser Stadt. Väterchen Frost wird sich auch so leicht nicht vertreiben lassen. Aber wir merken schon die Sonne. Es ist herrlich in Moskau. Der Schnee ist fast weg.«
»Das hört sich an, als sollte ich hier Urlaub machen.«
»Wegen mir kannst du das.«
Ich hatte längst meinen Koffer genommen und schritt schlendernd neben Wladimir her. »Wie ist es dir ergangen? Was macht Suko, wie geht es Bill Conolly?«
»Sie leben beide noch. Aber Suko hat in der letzten Zeit einen schweren Schicksalsschlag erlitten. Man entführte Shao, seine Partnerin. Sie ist bisher auch nicht wieder aufgetaucht.«
Wladimir erschrak. »Ist sie tot?«
»Nein, das nicht. Vergiss meine erste Antwort. Wir haben sie schon gesehen. Sie war gewissermaßen ein Phantom aus dem Jenseits. Aber das erkläre ich dir später. Wie sieht es hier aus?«
»Nicht gut.«
»Sollen wir noch etwas trinken?«
»Einverstanden.«
Wir gingen dorthin, wo es auch Getränke aus dem Westen gab. Ich bestellte Orangensaft und mixte ihn mit Mineralwasser. Golenkow nahm das Gleiche.
Er begann mit seinem Bericht, der sich sehr fantastisch anhörte, wobei ich aber nicht glaubte, dass auch nur ein Wort von dem gelogen war. Wladimirs Erzählung hörte praktisch dort auf, als er Panja Orgenkin verlassen hatte.
»Was sagst du dazu, John?«
Ich schlürfte mein Getränk und nickte bedächtig. »Von den beiden anderen Agenten hast du nichts gesehen?«
»Das weiß ich nicht. Ich sah diesen Dreiköpfigen. Angeblich war der Krokodilschädel Orgenkow. Gehen wir mal davon aus, dass es stimmt. Dann müssten die anderen beiden Köpfe Jawalkow und Tarbow gewesen sein. So hießen die restlichen Mitglieder der Besatzung.«
»Und wieso?«
»Wenn ich das gewusst hätte, wärst du in London geblieben.«
Ich schaute mich um. Viel Betrieb herrschte nicht. Die kleine Bar war auch wenig gemütlich. Der Mixer gähnte mit der Bedienung, einer drallen Person, um die Wette. Golenkow bekam einen roten Kopf, als ich sagte: »Du hast die drei Männer also in den Tod geschickt.«
»Jetzt fang du nicht auch davon an!« Er schüttelte den Kopf. »Es war ein völlig normaler Auftrag, den ich ihnen gab. Die Leute waren es gewohnt, Kommandos anzunehmen, die nicht ungefährlich sind. Sie wurden auch dementsprechend bezahlt. Die Vorwürfe treffen mich nicht.«
»Sorry, so war es nicht gemeint. Ich wollte auf den Begriff Tod hinaus.«
»Und?«
»Man hat nichts von ihnen gefunden.«
»Nein, und auch nichts von der Maschine. Die ist weg, wie vershluckt. Auch das Gebiet, wo sie verschwunden ist, gibt keine Anhaltspunkte frei. Da sieht alles normal aus.«
»Wo ist das?«
»Im Süden. Kaukasus. Da ist es doch passiert. Von dort trafen die Meldungen ein. Da ging es rund. Da sprach man von Ungeheuern und dem Teufel.«
»Wo kamen die her?«
»Aus einem Krater.«
»Gibt es dort Vulkane?«
»Ja, aber sie sind nicht mehr tätig. Ich hatte ja gedacht, dass wir hinfliegen, doch die Lage hat sich verändert.«
»Du meinst wegen der Frau?«
»Ja!« Wladimirs Stimme klang drängend. »Du musst dir den Spiegel ansehen, John. Das gibt es normalerweise nicht. Das ist der reine Wahnsinn.« Er schüttelte den Kopf. »Ich hätte so etwas auch nicht geglaubt, aber ich sah es mit eigenen Augen.«
»Natürlich.«
Er stieß mich an. »Was bist du so komisch? Irgenwie kommst du mir abweisend vor.«
»Ist das ein Wunder? Ich denke nach. Über dieses Monstrum und auch die Aussagen der Einheimischen. Wo gibt es die Verbindung? Was hat es vor? Auch eine solche Gestalt erscheint nicht zum Spaß so einfach aus dem Vulkan oder der Lava.«
»Das werden wir herausfinden, wenn wir bei Panja Orgenkin sind. Ich habe ihr gesagt, dass ich mit einem netten Besuch zurückkäme.« Golenkow holte Geld aus der Tasche und zahlte.
»Wo steht dein Wagen?« Ich rutschte vom Hocker.
»Nicht weit.«
»Privilegierter Parkplatz, wie?«
»So ist es.«
»Ja, ja, ihr Funktionäre.«
»Tu nicht so, als wäre es bei euch anders.«
»Das habe ich nicht gesagt. Nur wissen die Leute das bei uns und regen sich auch entsprechend auf.«
»Wir sind da eben anders.«
»Hör auf. Bei euch wissen es die Leute auch. Die protestieren zwar nicht dagegen, ärgern sich aber insgeheim doch.«
Der Dienstwagen parkte in einer abgesperrten Zone, die zusätzlich noch bewacht war. Der arme Soldat fror trotz des langen Mantels sicherlich bis in die Zehen. Dann musste er noch grüßen, als wir ihn passierten.
Die Russen hatten etwas an ihrem Flughafen getan. Er war ausgebaut worden und hatte auch noch bessere Zufahrtsstraßen bekommen. Der Verkehr hielt sich in Grenzen. Im Osten liegt der Flughafen, wir aber mussten in den Süden.
»Wie lange brauchen wir?«, fragte ich.
»Etwa eine Stunde.«
»Dann fahr mal schön«, sagte ich und streckte die Beine aus, wobei ich die Augen schloss.
»Willst du schlafen?«
»Sicher.«
»Und ich wollte dir etwas von der Umgebung zeigen.«
»Vielleicht auf der Rückfahrt. Wenn wir in den Kaukasus fliegen, müssen wir sowieso wieder zum Airport. Hast du die Tickets schon bestellt?«
»Noch nicht. Das ist aber kein Problem.«
Ich setzte meine dunkle Brille auf, weil die Sonne blendete, und schlief ein. Als mich Wladimir anstieß, war ich jedoch wieder hellwach.
»Aufstehen, du Penner!«
»Okay, schon in Ordnung.« Ich schaute aus dem Fenster, sah die flachen Häuser und ahnte, dass wir in einem der noch ländlich strukturierten Vororte Moskaus angekommen waren.
Unter den Reifen knirschte noch das Eis. Der Boden zeigte tiefe Spurrillen, wo Schneewasser gefroren war und nur an den Stellen Pfützen bildete, wo die Sonnenstrahlen es aufgetaut hatten.
Die Straße war ziemlich schmal. Am Himmel stand auch weiterhin eine prächtige Spätwintersonne. Ihr Glanz bedeckte Moskau und Umgebung.
»Wie weit noch?«, fragte ich.
»Wir sind schon da.« Wladimir schaltete zurück. »Das letzte Haus auf der rechten Seite. Ich hoffe, du hast angenehm geträumt.«
»Ja, aber nicht von dir.«
»Ich sprach auch von angenehmen Träumen.«
Ich lachte und löste den Gurt, weil der Russe rechts herangefahren war und ich die Tür öffnen konnte. Trotz des Sonnenscheins war es noch kalt. Das merkte ich beim Aussteigen. Nach dem Schlaf fror ich ein wenig.
Die Orgenkins hatten sich das Haus sehr nett gemacht. Im Sommer war es sicherlich eine kleine Oase. Niemand wäre wohl auf den Gedanken gekommen, dass jemand, der hier wohnte, sein Geld durch einen so gefährlichen Job verdiente.
»Panja Orgenkin wird uns sicherlich schon bemerkt haben«, meinte der KGB-Mann.
»Was ist sie für ein Typ?«
Golenkow warf seine blonden Haare zurück, die er gescheitelt trug. »Was ist sie für ein Typ? Das ist schwer zu sagen.«
»Ist sie kooperationsbereit?«
»Ich hoffe es.«
Vor der Tür waren wir stehen geblieben. Golenkow klingelte. Eine Reaktion erfolgte jedoch nicht. Die Frau blieb im Haus.
Wladimir schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, das verstehe ich nicht so recht. Sie weiß Bescheid.«
»Kann ihr etwas zugestoßen sein?«
»Das will ich nicht ausschließen.« Als sich nach dem zweiten Klingeln nichts rührte, griff mein russischer Freund zum Dietrich und schob ihn in das Schloss.
Ein großes Hindernis stellte das Türschloss nicht dar. Golenkow hatte es sehr schnell offen. Wir betraten einen kleinen Flur, in dem es nach Bohnerwachs roch.