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10 gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band!
Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern aus den Jahren 1978 - 1989 und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Tausende Fans können nicht irren - über 640 Seiten Horrorspaß garantiert!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 491 - 500. Jetzt herunterladen und losgruseln!
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Seitenzahl: 1381
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2015 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Vicente B. Ballestar
ISBN: 978-3-7517-8320-0
https://www.bastei.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
https://www.sinclair.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
John Sinclair 491
John Sinclair – Die Serie
Der Blutjäger
John Sinclair 492
John Sinclair – Die Serie
Die Wölfin von Rom
John Sinclair 493
John Sinclair – Die Serie
Janes Umkehr (1. Teil)
John Sinclair 494
John Sinclair – Die Serie
Hexen-Polterabend (2. Teil)
John Sinclair 495
John Sinclair – Die Serie
Teufelsspuk und Killer-Strigen
John Sinclair 496
John Sinclair – Die Serie
Das Knochenhaus
John Sinclair 497
John Sinclair – Die Serie
Söldner aus Atlantis
John Sinclair 498
John Sinclair – Die Serie
Die Totentänzerin
John Sinclair 499
John Sinclair – Die Serie
Garingas Fluch (1. Teil)
John Sinclair 500
John Sinclair – Die Serie
Der Dunkle Gral (2. Teil)
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Contents
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
»Ricky, verdammt, halte mich fest!« Alex Faust brüllte es seinem Partner zu und merkte gleichzeitig, dass unter seinem rechten Fuß das Gestein nachgab. Mit dem linken hing er schon über dem Abgrund, gehalten wurde er von einem Seil, das Ricky Schneider, hoch über ihm stehend, hielt.
Alex’Schrei war zu einem hundertfachen Echo geworden, das von den Wänden der domartigen Höhle widerhallte.
In diesen Laut hallte Rickys Frage. »Kannst du noch?«
»Kaum.«
»Versuche alles.«
»Ja, verflucht!« Alex biss die Zähne zusammen. Er suchte mit dem linken Fuß Halt, er hing im Seil, über sich hatte er die Haken in den Fels geschlagen. Durch die Ösen wurde das Seil geführt, aber auch dort hörte er es knirschen …
Alles gab allmählich nach.
Und wieder trat er ins Leere. Dann brach plötzlich der Fels unter dem rechten Fuß. Alex Faust sackte in die Tiefe, genauer gesagt, ins Seil, das ihn hielt. So pendelte er vor der senkrecht nach unten führenden Felswand und sah den Lichtkreis über das Gestein tanzen. Die Lampe befand sich in seinem gelben Schutzhelm.
»Willst du oder kannst du weitermachen, Alex?«, wollte sein Freund wissen.
»Es geht nicht. Der Fels ist nicht hart genug. – Wir müssen es an einer anderen Stelle versuchen.« Er hatte bei der Antwort den Kopf in den Nacken gelegt, um in die Höhe zu schauen. Seinen Freund Ricky sah er nicht. Nur den hellen Punkt der Helmlampe.
»Dann ziehe ich dich hoch.«
»Ja, aber vorsichtig.«
»Wird gemacht!«, rief Ricky Schneider.
Die beiden jungen Männer waren nicht zum ersten Mal unterwegs im Höhlenlabyrinth der Schwäbischen Alb. Sie waren Hobby-Forscher, interessierten sich für die Urzeit und für Dinge, die dort entstanden waren. Man konnte als Fachmann aus dem Gestein einiges herauslesen, und auf ihre Funde waren die beiden besonders stolz.
An dieser Stelle allerdings konnten sie nicht weiterklettern. Sie wussten auch nicht genau, wie tief die Höhle war, nur eines stand fest. Auf ihrem Grund befand sich Wasser.
»Du kannst jetzt ziehen!«, schrie Alex.
»Und die Sicherungen?«
»Werden hoffentlich halten!«
»Ja, ich drücke dir die Daumen. Versuche nur, dich irgendwann abzustützen.«
»Klar.«
Alex Faust wusste, dass er sich auf seinen Freund Ricky verlassen konnte. Bei diesem Hobby musste man das einfach. Sie waren beide keine Anfänger und hatten schon zahlreiche Höhlen im In- und Ausland durchforscht. Aber die deutschen Höhlen waren für sie immer noch am interessantesten.
Alex spürte, wie sich das Seil straffte, als sein Partner daran zog. Er selbst bewegte sich nicht. Nur seinen eigenen keuchenden Atem vernahm er und das leise Knirschen.
Rutschte ein Haken aus dem Fels?
Er hatte sich die Frage kaum gestellt, als es geschah. Das Knirschen nahm an Lautstärke zu, etwas rieselte auf seinen Kopf. Staub und kleinere Steine, dann plötzlich sackte er durch.
Alex konnte nicht anders, er musste einfach schreien. Die Wucht trieb ihn nicht nur in die Tiefe, ein Drall schleuderte ihn gleichzeitig nach vorn, gegen den Fels, und er hatte keine Chance, sich abzustützen.
Alex spürte den Schmerz. Sein Gesicht stand in Flammen. Das scharfe Gestein hatte die Haut an seiner rechten Wange aufgeschlitzt. Blut strömte hervor, und das nicht allein aus dieser Wunde. Ein scharfer Gesteinssplitter hatte seine linke Hand aufgeschnitten, weil der Handschuh verrutscht gewesen war.
»Was ist denn, Alex?« Ricky war besorgt. Er hatte das Durchsacken natürlich auch bemerkt.
Alex gab keine Antwort. Er schwebte zwischen Wachsein und Ohnmacht. Aus der Wunde quoll das Blut, rann an seinem Gesicht entlang und sammelte sich seitlich des Kinns, von wo es in dicken Tropfen in die Tiefe fiel. Die beiden Männer hörten es nicht aufklatschen, das Blut schien irgendwo aufgefangen zu werden.
Niemand wusste, was dort unten in der Tiefe lauerte, aber es war etwas, das nur darauf wartete, menschliches Blut zu bekommen. Die Tropfen klatschten in einen gewaltigen, versteinerten Rachen …
*
Die beiden Männer schafften es. Alex Faust konnte seine ersten Schmerzen überwinden und erwachte aus seiner Lethargie auf dem Weg in die rettende Höhe.
Der Pfad war nur schmal. Er reichte aus, um den beiden Männern Platz zu bieten. Ricky Schneider zog seinen Freund und Partner in die Höhe und half ihm auch, über die Kante auf den schmalen Pfad zu klettern, wo sich beide auf den Boden legten und sich zunächst einmal ausruhten. Sie atmeten heftig und keuchend.
»Alles klar?«, fragte Ricky.
»Nein, mein Kopf.«
»Den kriegen wir wieder hin. Ich lege dir einen Notverband an, dann verschwinden wir.«
»Ist gut.«
Ricky Schneider arbeitete schnell und geschickt. Keiner dachte mehr an die Tiefe, die sie hatten erkunden wollen, aber dort unten tat sich etwas.
Es war Leben entstanden …
Unheimliches, furchtbares Leben. Etwas, das lange tot gewesen war, hatte Blut zu trinken bekommen. Ein immenser Schatten, ein Unheil, das sich bewegen konnte.
Davon ahnten die beiden Freunde nichts. Ricky Schneider hatte Alex inzwischen verarztet. Sie konnten aufbrechen. Bis zum Ausgang war es nicht weit, das würden sie immer schaffen.
Trotzdem musste Alex gestützt werden, die Schwäche hatte sich in seinem gesamten Körper ausgebreitet. Mit zitternden Beinen bewegte er sich neben seinem Freund her. Es wurde noch einmal schwierig, als sie den Schacht hochkletterten, um ins Freie zu gelangen. Aber auch das brachten sie hinter sich.
Die Sonne ging bereits unter. Sie stand als blutroter Ball am Himmel. Alex schaute hinein. Dabei lachte er. »Dass ich sie noch einmal wiedersehen würde, daran hätte ich nicht gedacht.«
Schneider schlug ihm auf die Schulter. »So schnell stirbt man nicht, mein Junge.«
»Na, ich weiß nicht.«
»Komm, wir fahren in den Ort und nehmen einen zur Brust, wenn dich der Arzt untersucht hat. Das haben wir verdient – oder?«
»Und wie.«
Diesen Vorsatz setzten die beiden Höhlenforscher auch in die Tat um. Dabei ahnten sie nicht, dass sie durch ihr Verhalten etwas in Gang gesetzt hatten, das wie eine Lawine anrollen sollte.
Blut auf Stein. Leben zu toter Materie.
So hatte es ausgesehen. Doch manchmal irrten sich die Experten. Da konnte aus dem Tod Leben entstehen. Ein Leben, das nur in der Nacht existierte, aber doppelt so schrecklich war.
Und als die Dunkelheit sich über das Land gelegt hatte, drang es aus den Tiefen der Höhle an die Oberfläche, wo es wie ein monströser Schatten in den tintigblauen Himmel stieg, schrille, hohe Schreie ausstieß und davonflog.
Der Blutjäger war erwacht …
*
Eva Leitner stoppte ihren Polo auf der Anhöhe und stieg aus. Es war windig wie immer, still wie immer, der Himmel sah aus wie immer, eigentlich war alles so wie immer.
Nur bei Eva nicht. Denn seit vier Jahren kam sie zum ersten Mal wieder zurück in ihren Heimatort. Sie presste den Staubmantel enger gegen ihren Körper, weil der Wind böig geworden war und das braunrote Haar in die Höhe wirbelt. Auf ihr Gesicht legte sich eine Gänsehaut. Eva fror plötzlich, dennoch wollte sie nicht kneifen und das tun, was sie sich vorgenommen hatte.
Die alte Bank stand dort auch noch am Wegrand. Eva ließ sich auf der grüngestrichenen Sitzfläche nieder und schaute auf den kleinen, in einer Talmulde liegenden Ort.
In den letzten vier Jahren hatte sich dort einiges getan. Eine neue, breitere Straße war entstanden. Am Südhang sah sie eine Reihe von Einfamilienhäusern. Westlich davon befand sich eine große Baugrube. Dort würden weitere Häuser entstehen. Da hatten die Bauern sicherlich einiges an Land verkaufen können.
Der Kirchturm reckte sich in der Dorfmitte gen Himmel. Er lief spitz zu. Auf ihm hockte ein Wetterhahn, der bisher allen Stürmen auf der Alb getrotzt hatte. Die Äcker sahen braun aus, saftgrün leuchteten die Wiesen. Auf einigen von ihnen blühten kleine Blumen und gaben ein buntes Muster.
Auch der Wald zeigte ein frisches Grün. Besonders die Blätter der Birken schickten einen Maigruß zu der einsam sitzenden, fünfundzwanzigjährigen Frau hinüber.
Eva zündete sich eine Zigarette an, rauchte und dachte nach. So schön es aussah, so geregelt das Leben hier ablief, das war nicht mehr ihre Welt. Sie hatte den Ort vor vier Jahren verlassen und war ins Ausland gegangen. London hatte gelockt. Was sie dort tat und wie sie ihr Geld verdiente, wusste keiner der Verwandten. Sie glaubten, dass Eva Leitner einen Posten im Ministerium innehatte.
Die Wahrheit würde sie niemandem sagen.
Ihr Blick verschleierte sich, als sie den Friedhof sah, der mit seiner Ostseite an das Gelände der Kirche grenzte.
Dort war ihr Ziel.
Sie schaute auf die Uhr. Die Beerdigung ihrer Schwester sollte erst am frühen Nachmittag stattfinden. Eva war viel zu früh eingetroffen. Als sie die Nachricht von Karins Tod bekommen hatte, war sie geschockt gewesen. Karin war nur drei Jahre älter als sie. Sie hatte vor Gesundheit gestrotzt, und jetzt lebte sie nicht mehr.
Tot, vorbei …
Wie sie ums Leben gekommen war, wusste Eva nicht, aber sie würde es erfahren. Sie selbst glaubte an einen Unfall, jedenfalls konnte sie sich nicht vorstellen, dass Karin eines natürlichen Todes gestorben war.
Eva hatte ihren Plan. Bevor sie zu ihren Verwandten ging, wollte sie die Tote noch einmal sehen. Im Ort war es immer so gewesen, dass man die Verstorbenen in einem kleinen Raum nahe der Trauerhalle aufbewahrte, damit Verwandte und Freunde Abschied nehmen konnten.
Das hatte Eva auch vor.
Sie trat die Zigarette aus, setzte sich in den Polo und fuhr wieder an. Bewusst hatte sie nicht die Bundesstraße genommen, sie wollte vorher nicht auffallen.
Der grüne Polo rollte den schmalen Weg hinab ins Tal. Vorbei an Wiesen, Scheunen und kleinen Bauernhäusern. Wer auf dem Feld arbeitete, sah den Wagen zwar, erkannte aber nicht, wer ihn lenkte. So gelang es Eva Leitner, ungesehen ihr Heimatdorf zu erreichen. Ein wehmütiges Lächeln durchzuckte ihr Gesicht, als sie in die schmalen Straßen hineinfuhr und auch die alte Schule sah, die sie als Kind besucht hatte. Auch jetzt tobten die Kinder auf dem Schulhof. Sie hatten Pause und erholten sich vom Unterricht. Sogar ihren alten Lehrer sah sie noch. Wie immer stand er auf der Mitte des Schulhofes, beobachtete die Kinder und aß sein Butterbrot. Nur sein Haar war schlohweiß geworden. Sie hätte gern angehalten und ihm einen guten Tag gewünscht, aber sie wollte nicht von ihrem Plan abweichen.
Vielleicht später.
An einer Kreuzung hielt sie an. Die war noch immer so unübersichtlich. Zwei Frauen kamen ihr auf dem rechten Gehsteig entgegen. Sie trugen Einkaufstaschen, warfen einen Blick in den Wagen, und Eva konnte schnell anfahren. Sie wollte nicht, dass man sie erkannte. Schließlich hatte sie im Ort als das schwarze Schaf gegolten. Ihr Lebenswandel hatte nicht so recht gepasst, und einige waren froh gewesen, als sie das Dorf verließ. Man durfte eben nicht zu hübsch sein und Männern den Kopf verdrehen, wenn man zudem noch als Frau allein ins Wirtshaus ging.
Eine Ampel gab es inzwischen auch. Sie zeigte Grün, und Eva fuhr den Bogen um den Dorfbrunnen, auf den die Bewohner so stolz waren.
Die Straße zum Friedhof war noch immer mit Kopfsteinen gepflastert. Rechts lag das kleine Rathaus, ein nettes Häuschen, in dem alles mit schwäbischer Gemütlichkeit zuging.
Soeben verließ der Bürgermeister das Haus und wandte sich nach rechts dem Gasthaus zu. In der Ratsschänke war jeden Mittag für ihn ein Tisch reserviert. Dort aß er dann mit den Honoratioren des Ortes und trank ein oder zwei Viertele.
So war es, so würde es immer bleiben …
Eva rollte an der Kirche vorbei. Wie immer war der Platz vor dem Gotteshaus blitzsauber. Da lag kein Blatt und kein Ast. Der helle Kies glänzte.
Die alte Friedhofsmauer war aus dicken Steinen errichtet worden. Sie würde auch in 500 Jahren noch stehen. Ranken wuchsen am Gestein hoch. Sie klammerten sich in den Spalten und Ritzen fest und wuchsen hoch bis zur Mauerkante.
Eva wusste, wo die Leichenhalle lag, am Ende des Friedhofs, wo auch die Mauer aufhörte und sich das Tor befand, das früher nie abgeschlossen war.
Auch heute noch. Beide Hälften standen offen, und Eva lenkte ihren Polo auf den kleinen Vorplatz.
Die Leichenhalle hatte ein neues Dach bekommen, ansonsten sah sie aus wie immer. Gebaut aus rötlichen Steinen, deren Fugen in einem dunklen Grau schimmerten.
Abgeschlossen würde die Leichenhalle nicht sein. Wie früher. Eva schritt auf die Tür zu und spürte den Klumpen, der in ihrem Magen lag.
Je näher sie ihrem Ziel kam, umso dicker wurde er. »Verdammt«, flüsterte sie, »du hast dir doch vorgenommen, nicht zu heulen, und jetzt kommt es über dich.« Weil sie ein Brennen verspürte, wischte sie sich über die Augen.
Bevor sie die Türklinke nach unten drückte, schaute sie sich noch einmal um.
Nein, es war niemand da, der sie beobachtete. Soeben kam die Maisonne durch. Sie schickte ihre warmen Strahlen auf die Erde.
Entschlossen betrat Eva Leitner die Leichenhalle. Sofort fiel ihr der Geruch auf, den sie auch noch von früher her kannte. Es stank nach Bohnerwachs, nach alten und auch frischen Blumen, nach Kränzen und nach Tod.
Sie mochte es nicht, aber sie konnte jetzt auch keinen Rückzieher mehr machen.
Niemand hatte sie gehört. Jedenfalls zeigte sich keiner. Dabei wusste sie, dass Franz, der Totengräber und Leichenwäscher, sich eigentlich immer hier aufhielt. Er wohnte auch in einem kleinen Anbau und fühlte sich bei den Toten wohl.
Er war damals schon ziemlich alt gewesen, vielleicht lebte er auch nicht mehr.
Eva Leitner lauschte dem Echo ihrer Schritte nach, als sie durch den Gang schritt. Rechts von ihr stand ein braunes Holzpult. Ausgebreitet lag auf ihm ein große Blatt Büttenpapier, auf dem die Kondolierenden ihre Namen eintragen konnten.
Eva blieb stehen. Das Blatt war dicht beschrieben worden. Viele Bewohner des Ortes hatten sich eingetragen. Als Eva den in einer kleinen Rille liegenden Kugelschreiber nahm, zitterte ihre Hand. Das änderte sich auch beim Schreiben nicht.
Reiß dich doch zusammen! fuhr sie sich selbst an und warf ihre Haare zurück.
Mit schleppenden Schritten ging sie weiter. Die große Doppeltür vor ihr führte direkt in die Leichenhalle. Dort wollte sie nicht hin, die Tür links daneben war wichtiger.
Der Klumpen im Magen hatte sich verdichtet. Eva war fast so bleich wie eine Tote. Für einen Moment dachte sie daran, einfach kehrtzumachen und wegzufahren, doch sie riss sich zusammen und drückte die kühle Metallklinke nach unten.
Die Tür schwang auf.
Kerzen brannten. Es waren vier an der Zahl, und sie rahmten den dunklen Sarg ein. Ansonsten brannte in dem fensterlosen Raum nur die Notbeleuchtung.
Weiß waren die Wände gestrichen worden. Der Fußboden bestand aus rötlichen Steinplatten. Eine zweite Tür führte von hier aus ebenfalls in die Leichenhalle.
Mit sehr kleinen und vorsichtig gesetzten Schritten näherte sich Eva Leitner dem offenen Sarg. Die Kerzen standen am Kopf- und am Fußende der letzten Ruhestätte. Noch konnte Eva ihre Schwester nicht sehen, sie musste näher herantreten. Ihre Knie waren weich geworden. In diesen Augenblicken überkam sie der Schmerz, und sie hielt die Tränen auch nicht mehr zurück. Sie verschleierten ihren Blick. Dann presste Eva noch die Hände vor das Gesicht. Es dauerte eine Weile, bis sie sich erholt hatte. Als sie sich endlich überwand und in den offenen Sarg schaute, stand sie bereits dicht daneben.
Eva senkte den Blick.
Da lag Karin, ihre Schwester.
Man sagte oft, dass Tote aussehen, als würden sie schlafen. Diesen Eindruck bekam auch Eva. Karin schien sich nur zum Schlafen niedergelegt zu haben. Ihr Haar war sorgfältig frisiert worden. Es umrahmte den Kopf wie eine Gardine, die im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt worden war.
Vom Gesicht her ähnelten sich die beiden Schwestern ein wenig. Auch Karin hatte volle Lippen, die jetzt so blass wirkten, als hätte sie jemand in das Gesicht hineingezeichnet.
Das weiße Totenhemd zeigte auf der Brust einige Stickereien. Eva wunderte sich darüber, dass Karins Hände nicht gefaltet auf dem Körper lagen, sondern eingeklemmt waren zwischen Hüfte und Sargrand. Und noch etwas wunderte sie.
Karins Augen waren geöffnet!
Eva konnte in die dunklen Pupillen schauen, zwei starre Kreise ohne jeglichen Glanz. Die Gesichtshaut glänzte, wie mit Öl eingerieben.
Es kostete Eva viel Überwindung, die Hand auszustrecken und mit dem Finger die Wange ihrer Schwester zu berühren. Sie spürte die Kälte der Haut, ein Zeichen des Todes.
. Dabei sah sie anders aus als die Toten, die Eva in ihrem Leben schon gesehen hatte.
Wie schön war Karin, fast wie ein Engel …
Eva ging um den Sarg herum und schaute sich Karin von der linken Seite her an.
Jedes Detail wollte sie registrieren, doch als ihr Blick den Hals der Toten traf, schrak sie zusammen.
Dort befand sich die Verletzung.
Man hatte versucht, sie zu überschminken, das war nicht so recht gelungen. Die Wunde kam trotzdem durch. Sie war ziemlich tief, als wäre der Hals mit einer Sense bearbeitet worden. War Karin vielleicht deshalb gestorben?
Eva überkam eine große Nervosität. Sie bewegte ihre Hände, sie spürte Kälte über ihren Rücken rieseln, die Beine begannen zu zittern, und sie dachte an Mord.
Ja, es gab keine andere Möglichkeit. Jemand musste ihre Schwester umgebracht haben.
»Meine Güte, Karin!«, stöhnte sie, trat zurück und begann wieder zu weinen.
Deshalb bemerkte sie nicht, dass die Eingangstür langsam geöffnet wurde und ein Mann den Raum betrat. Er war ziemlich alt, blieb auf der Schwelle für einen Moment stehen, schaute auf die trauernde, junge Frau und sagte dann: »Du bist auch gekommen, Eva?«
*
Die junge Frau hatte die Worte gehört. Ihre Hand sackte vom Gesicht weg nach unten. Zuerst konnte sie wegen des Tränenschleiers nicht viel erkennen, das legte sich sehr bald, und sie sah Franz, den Totengräber, auf der Schwelle.
»Du?«, fragte sie.
»Ja, ich.« Franz nickte und kam langsam näher. Er ging gebeugt. Die Spuren des Alters hatten ihn gezeichnet. Sein Gesicht war noch immer gebräunt. Furchen durchzogen es wie bei einem Acker, aber die Augen blickten klar. Er trug noch seine Arbeitskleidung. Einen dunkelblauen Overall, den er über seinen Pullover gestreift hatte. Das graue Haar wuchs bis auf beide Ohren, und unter den Sohlen seiner dicken Schuhe knirschte bei jedem Schritt der feine Sand.
Er blieb einen Schritt vor Eva stehen, schaute aber nicht auf sie, sondern in den Sarg.
»Wie … wie geht es dir?«, fragte Eva, weil ihr nichts anderes einfiel.
»Ach, man lebt.«
»Und sonst?«
Franz winkte ab. Er besaß schwielige Hände. Unter seinen Fingernägeln klebte dunkle Graberde. »Reden wir nicht von mir, lieber von dir und deiner Familie. Sie hat der Tod schwer getroffen. Man rechnet mit deinem Kommen. Was sagten die anderen?«
»Ich war noch nicht bei ihnen. Zuerst wollte ich meine Schwester allein sehen.«
»Das ist verständlich.«
Eva Leitner wunderte sich darüber, dass der Totengräber sie so seltsam prüfend anschaute. Sie fragte auch nach dem Grund.
»Du bist noch hübscher geworden, kleine Eva.«
»Das meinst du doch nicht.«
Franz hob seine knochig wirkenden Schultern. »Da hast du recht, das wollte ich auch nicht sagen.«
»Sondern?«
»Ist dir nichts aufgefallen? Bei deiner Schwester, meine ich.«
Eva wischte letzte Tränen aus den Augenwinkeln. »Wieso? Was hätte mir auffallen sollen?«
»Du hast sie doch gesehen.«
»Ja.«
»Und auch die Wunde.«
»Sicher.« Eva überkam eine gewisse Hektik. »Sag ehrlich, Franz, hat man sie umgebracht?«
Der Totengräber schaute die junge Frau eine Weile an. »Es ist etwas kompliziert«, erwiderte er dann.
»Wieso?«
»Glaubst du, dass es Tote gibt, die gar nicht tot sind und nur so aussehen?«
Eva dachte über die Frage nach. Plötzlich kam ihr die Luft in dem Raum stickig vor, sie schien sich immer mehr zu verdichten. Die junge Frau hatte das Gefühl, in einer Zelle zu stehen, sie spürte die Kälte im Nacken und gleichzeitig Hitzewellen durch ihren Körper rasen. »Was war das nur für eine Frage, Franz?«
»Ich habe sie nicht ohne Grund gestellt. Hast du den Begriff von einem untoten Leben schon einmal gehört?«
»Ja, natürlich …«
Franz legte einen Finger auf seine schmalen Lippen und meinte dann: »Ich möchte dir gern etwas zeigen, Mädchen. Komm mit.« Er umfasste ihren Arm. Eva nahm wahr, dass er nach Friedhofserde roch.
»Schau dir ihren Hals an. Die linke Seite ist interessant.«
»Das habe ich schon.«
»Und was meinst du?«
»Ich habe das Gefühl, dass man sie ermordet hat. Jemand hat sie umgebracht, nicht?«
Franz schaute Eva ernst an. »Ja, so kann man es auch sagen, obwohl es nicht stimmt. Derjenige, den ich nicht kenne, hat sie in die Tiefe eines Schattenreichs gezogen.«
»Ich … ich begreife das nicht, Franz. Was soll das alles?«
»Dann will ich es dir sagen.« Der Totengräber hatte den Arm nicht losgelassen. »Deine Schwester ist tot, und trotzdem lebt sie. Sie ist nicht so tot wie eine normale Leiche. Man kann sie als untot bezeichnen. Ich habe mir die Wunde an ihrem Hals genau angesehen. Da kam mir schon der Verdacht.«
»Na und?«
»Ich will es klar sagen. Deine Schwester, Eva, ist gestorben und dabei zu einem Vampir geworden!«
*
Andere Leute brachen zusammen, wenn sie solche oder ähnliche Nachrichten erfuhren. Nicht aber Eva Leitner. Sie blieb steif stehen, nur hatte sie das Gefühl, allmählich fortzuschweben und hineinzugleiten in andere Sphären.
Die Worte des Totengräbers klangen noch in ihren Ohren nach. Ihre Schwester war ein Vampir, eine Untote, eine Wiedergängerin, ein Wesen, das sich, glaubte man der Legende, vom Blut anderer ernährte.
Aber Vampire gab es nicht! Oder? Sie schaute Franz an und sah sein ernstes Gesicht. Nein, der machte ihr nichts vor. Wenn er das sagte, konnte ein Körnchen Wahrheit daran sein.
»Woher weißt du …?«
Er winkte ab. »Es war nicht nur das Mal an ihrem Hals, ich habe auch andere Spuren entdeckt. Deine Schwester hat nicht immer als Tote hier im Sarg gelegen. In der Nacht ist sie aufgestanden und über den Friedhof gegeistert. Ich habe sie selbst gesehen. Sie ging wie ein Gespenst, und sie stieß krächzende Laute aus, die sich hungrig anhörten, wenn du verstehst.«
»Nein.«
»Hungrig nach Blut.«
Jetzt nickte sie. »Ja, Vampire brauchen Blut. So habe ich es gehört und gelesen.«
»Und es stimmt.«
Die nächste Frage wollte Eva kaum über die Lippen. »Hat sie … hat sie es denn bekommen?«
»Ich weiß nicht, ob sie im Ort war. Ich glaube es nicht, denn dann hätte ich etwas gehört.«
Eva schaute wieder auf die Tote. Der Schauer bei ihr blieb. »Und du bist dir sicher?«
»Ja!«, flüsterte Franz.
»Aber was willst du tun?«
Der Totengräber verzog den Mund. Gleichzeitig bildeten sich auf seiner Stirn noch mehr Falten. »Weißt du nicht, was man tun muss, um Vampire von ihrem Leiden zu erlösen?«
Doch, das wusste sie, auch wenn Eva keine Antwort gab. »Nein, nein!«, keuchte sie und ging fast bis zur Wand zurück, wo sie stehen blieb und den Kopf schüttelte. »Das kann nicht wahr sein. Du willst sie doch nicht etwa pfählen?«
Franz holte tief Luft. »Bleibt mir denn eine andere Möglichkeit? Ich bin gekommen, um deine Schwester zu pfählen, Mädchen. Danach werde ich den Sarg verschließen und niemandem mehr erlauben, einen Blick auf die Tote zu werfen. So sieht mein Plan aus, und so führe ich ihn auch durch. Jetzt weißt du Bescheid.«
Eva Leitner nickte, ohne dass sie es selbst merkte. Sie war völlig durcheinander. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken, und sie dachte an all das Schauerliche und Gruselige, das sie schon als Kind über Vampire gehört und auch gelesen hatte.
Aber in Wirklichkeit?
»Gibt es denn keine andere Möglichkeit? Ich meine, man könnte den Sarg verschließen, ohne dass sie gepfählt wird.«
»Ja, das ginge.«
»Und weshalb …?«
»Mädchen, ich habe über Vampire viel gelesen und weiß auch von ihren Kräften. Sie erwachen in der Nacht, auch wenn Friedhofserde über ihnen liegt. Und sie besitzen gewaltige Kräfte. Vielleicht würde sie sogar ihren Sarg zerstören können. Auch wenn ihr dies nicht gelingt, müssten wir immer damit rechnen, dass jemand kommt und sie aus dem Grab hervorholt.«
»Wer denn?«
»Derjenige, der sie zum Vampir gemacht hat. Der seine Zähne in ihren Hals geschlagen hat, um ihr Blut zu trinken. Ihr Leit-Vampir, wenn ich das mal so sagen darf.«
Eva ließ den Kopf sinken, sie stöhnte. Sie war gekommen, um ihrer Schwester Lebewohl zu sagen, und jetzt geschah so etwas.
»Hast du mich verstanden, Eva?«
»Ich versuche es.«
»Es gibt jemand, der deine Schwester zu einem Vampir gemacht hat«, flüsterte Franz. »Und dieser Jemand ist frei. Begreifst du das? Er kann in jeder Nacht zuschlagen und sich noch andere Opfer holen. Durch Zufall habe ich eines entdeckt, und ich werde ihm den ewigen Frieden zurückgeben. Das ist meine Pflicht.«
Sie nickte, obwohl sie nicht davon überzeugt war. Dann aber fragte sie: »Wer kann meine Schwester zu einem Blutsauger gemacht haben?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hast du nichts gesehen, als sie über den Friedhof schlich?«
»Nein.«
»Keinen Hinweis.«
Franz hob die Schultern und ließ gleichzeitig seine Hand unter dem Overall verschwinden. Eva nahm die Bewegung zwar wahr, doch sie dachte bereits an etwas anderes. Ihre Gedanken glitten zurück nach London, wo sie lebte. Sie war eigentlich immer auf dem laufenden, und sie hatte einige Male einen Namen gehört und auch gelesen.
John Sinclair!
Ein Polizeibeamter, ein Geisterjäger oder etwas Ähnliches. Vielleicht konnte er …
»Woran denkst du?«, fragte Franz.
Sie winkte ab. »An nichts weiter. Ich … ich komme nur nicht so recht klar. Für mich ist das alles sehr unverständlich, weißt du?« Sie ging wieder vor und blieb dicht neben dem Sarg stehen. Da der Sarg etwas erhöht stand, konnte sie ihre Hände auf den Rand legen, ohne sich tief bücken zu müssen. »Es ist für mich unfassbar, unbegreiflich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ein Vampir sein soll.«
»Willst du den endgültigen Beweis?« Franz trat an Eva heran. Er sah sehr ernst aus.
»Wie meinst du das?«
»Gib genau acht, Mädchen.« Franz beugte sich zur Seite und bückte sich gleichzeitig. Eine Hand näherte sich dem Gesicht der Toten. Die Finger strichen über das Kinn und weiter hinauf, bis sie die Lippen erreicht hatten.
Auf der Oberlippe verharrten sie. »Jetzt kannst du es sehen. Du muss genau hinschauen.«
»Ja, bitte.«
Sehr vorsichtig, als würde er eine Folie irgendwo ablösen, zog der Totengräber die Oberlippe der »Leiche« zurück. Von der Seite her schaute Eva auf die weißgelbe Zahnreihe, aber sie sah plötzlich die beiden längeren Zähne rechts und links aus dem Oberkiefer hervorschauen.
Vampirzähne!
»Siehst du sie?«, flüsterte Franz.
»Du hast recht.«
Er ließ die Oberlippe wieder zurückfallen. »Und das ist kein künstliches Vampirgebiss, Mädchen. Das ist echt! Deine Schwester ist zu einer Blutsaugerin geworden.«
Eva Leitner sagte nichts. Sie schaute nur zu, wie der Totengräber unter seinem Overall den dort verborgen gewesenen Eichenpflock hervorholte. Es war ein knotiges Stück Holz und roch noch frisch. Vorn lief es spitz zu. »Ich habe die Waffe erst heute Morgen hergestellt«, erklärte er mit finster klingender Stimme. »Sie ist genau richtig für eine Blutsaugerin. Ich werde sie ihr dort in die Brust stoßen, wo sich auch das Herz befindet. Du kennst es?«
»Ich habe davon gehört.«
»Willst du zuschauen?«
Die Frage überraschte Eva. »Nein, nein.« Sie ging hastig zurück. »Das bringe ich nicht fertig.«
»Dann warte draußen.«
Eva Leitner schaute den Totengräber an. Er hatte die Spitze des Pflocks auf die Brust der »Leiche« gesetzt und hielt ihn mit der linken Hand fest. Die rechte Faust umklammerte bereits den Stiel eines Hammers. »Es werden wohl drei Schläge reichen. Dann bin ich durch.«
Aus Evas Gesicht war das Blut gewichen. Sie ähnelte jetzt ihrer toten Schwester, nur dass sie eben lebte. »Ich kann nicht in diesem Raum bleiben«, sagte sie. »Ich möchte raus.«
»Dann geh bitte.«
Sie lief mit schlurfenden Schritten auf die Tür zu, öffnete sie, betrat den Gang und lehnte sich dort mit dem Rücken gegen die Wand.
Eva blieb in dieser Haltung. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt, die Augen halb geschlossen. Obwohl sie es nicht wollte, lauschte sie doch den Geräuschen.
Selbst die Wand konnte das Echo der dumpf klingenden Schläge nicht stopfen. Eva zuckte dreimal so hart zusammen, als wäre sie selbst getroffen worden.
Dann vernahm sie den Schrei.
Überlaut, röhrend und gleichzeitig schrill. Er zitterte durch die Totenkammer, klang noch nach, es wurde still.
Eva Leitner hatte das Gefühl, zusammensacken zu müssen. Sie wunderte sich darüber, dass sie es geschafft hatte, noch auf den Beinen zu bleiben.
Zum Glück stützte die Wand sie ab. Von ihrer Stirn rann der salzige Schweiß und konnte von den Brauen kaum gestoppt werden. Sie fragte sich, ob es richtig gewesen war, dass sie die Tat zugelassen hatte. Aber die Beweise waren deutlich genug gewesen.
Die Schritte des alten Totengräbers hörte sie nicht. Dafür vernahm sie, wie die Tür geöffnet wurde. Sie quietschte ein wenig in den Angeln. Franz erschien neben ihr.
»Willst du noch einmal zurück? Dann öffne ich den Sarg wieder.«
»Auf keinen Fall. Ich will sie so in Erinnerung behalten, wie ich sie zuletzt gesehen habe.«
»Es ist auch besser so.« Franz drückte die Tür zu und schloss sie dann auch ab.
Eva sah das Gesicht des Totengräbers. Er zeigte einen gequälten Ausdruck. Die Spitze des Eichenpflocks zeigte rote Schlieren. Einige Spritzer hatten sich auch auf der Brust des Overalls verteilt. Franz schüttelte den Kopf. »Es ist mir nicht leichtgefallen, das kannst du mir glauben, aber ich musste es tun.«
»Und was willst du jetzt machen?«
»Ich bin ein alter Mann, Kind. Aber was ich tun muss, das weiß ich. Vielleicht wird es die letzte Aufgabe in meinem Leben sein. Ich muss den eigentlichen Vampir jagen.«
»Du weißt doch nicht, wer es ist.«
»Stimmt. Jede Nacht werde ich Wache halten und meinen Eichenpflock griffbereit haben. Wenn er kommt, bin ich gewappnet.«
Eva Leitner hatte kaum zugehört, weil sie sich mit ihren eigenen Gedanken beschäftigte. »Ich bleibe nicht bis zur Beerdigung. Du kannst den anderen ja sagen, dass ich hier gewesen bin. Außerdem habe ich mich eingetragen. Bestelle meinen Eltern bitte Grüße und den anderen Verwandten ebenfalls.«
»Wo willst du hin?«
»Zurück nach London. Ich fliege von Stuttgart aus.«
»Ist das eine Lösung, Kind?«
Sie lächelte schmerzlich. »Nein, Franz, es ist keine Lösung. Es ist feige, ich müsste dich eigentlich unterstützen, aber ich verspreche dir, zurückzukommen. Wenn es möglich ist, schon in den nächsten Tagen.«
Franz begriff nicht so recht. »Was willst du dann vorher noch in der Fremde?«
»Mit einem Mann reden.«
»Deinem Freund oder Ehemann?«
»Nein, ich kenne ihn noch nicht. Aber ich bin sicher, dass ich ihn kennenlernen werde, und ihr auch.«
»Soll er dir dann helfen?«
»So ist es, Franz. Wenn es einer schafft, dann er.«
Der Totengräber lachte spöttisch. »Wie heißt denn dieser Wunderknabe aus London?«
»Ein Wunderknabe ist er bestimmt nicht. Aber sein Name lautet John Sinclair …«
*
Auch wenn zahlreiche Laserlichtblitze den Raum zu einem grell illuminierten Kasten machten, so erkannte ich die Haarfarbe des Animiergirls, das vor mir stand, trotzdem.
Die Kleine trug den Schnitt eines Skinheads, hatte die Borsten aber rot gefärbt und einen dünnen Metallreifen um ihre Stirn geschlungen, an dessen Seiten kleine Anhänger bis in Höhe der Ohren hingen. Es waren die zwölf Symbole der Tierkreiszeichen, und sie klimperten bei jeder Bewegung.
Auch sonst war das Mädchen außergewöhnlich gekleidet. Es trug schwarze Nylonstrümpfe mit einer dicken Naht an den langen Beinen und ein Korsett aus weichem Leder, dessen oberer Rand ihre beiden gut geformten Brüste höher schob. Auf den hochhackigen Pumps hätte ich nicht stehen können, sie aber hatte sich lässig vor mir aufgebaut und ein Bein sogar angezogen, sodass ihre linke Wade gegen das rechte Schienbein gedrückt wurde. Dabei rauchte sie eine Zigarette, die in einer silbrig glänzenden Spitze steckte.
Ich saß an einem kleinen, runden Tisch ziemlich in der Ecke, hatte einen Whisky-Soda vor mir stehen und schaute zu, wie sie mir eine Rauchwolke ins Gesicht blies.
»Allein?«
»Ja.«
Sie lächelte. »Nicht mehr lange.« Mit einer grazilen Bewegung nahm sie neben mir Platz und rückte mir dabei dicht auf die Pelle. Ich mochte ihr Parfüm nicht und auch nicht ihr unechtes Lächeln. Sie besaß ein Puppengesicht, in dem der Mund besonders stark auffiel.
»Was darf ich mir bestellen, Süßer?«
»Alles, was du willst.«
Ihr fiel fast die Zigarettenspitze aus der Hand. »Ehrlich? Oder hast du mich angelogen?«
»Nein, bestell dir, was du willst.« Ich deutete nach vorn. »Das ist ein öffentliches Lokal. Hier kann jeder trinken, was er gern möchte. Oder nicht?«
»Moment mal, Süßer, so habe ich das nicht gemeint.«
»Wie denn?«
»Du sollst mir einen ausgeben.«
»Ach so ist das. Nein, das ist nicht drin. Bei meinem kleinen Gehalt und der Familie …«
Sie schnellte hoch wie eine Spirale, die vom Gegendruck befreit worden war. Ihr Gesicht verzerrt sich. »Du Arsch«, sagte sie im lockeren Hafenslang. »Ich kann mich selbst ver …«
Ich legte meinen Zeigefinger auf die Lippen. Sie verstummte tatsächlich und rauschte in Richtung Bar ab.
Ich hockte ja nicht ohne Grund in diesem Anmachschuppen, der auf den skurrilen 1 Namen »Blondie« hörte. Wahrscheinlich deshalb, weil einige Poster der verstorbenen Filmdiva Marilyn Monroe an den Wänden hingen und bereits vergilbt waren.
Das Lokal gehörte zu den teureren Schuppen. Es existierte seit zwei Jahren, und freiwillig saß ich hier auch nicht, um meinen Whisky auf Spesen zu trinken.
Mich hatte eine gewisse Eva Leitner bestellt, die mich unbedingt sprechen wollte. Sie hatte etwas von Vampiren erzählt und davon, dass jemand gepfählt worden war. Wie die Frau oder das Mädchen aussah, wusste ich nicht. Ich hoffte, dass sie bald erscheinen würde und mich nicht zu lange warten ließ.
Wer Eva Leitner war und als was man sie hier beschäftigte, hatte ich noch nicht erfahren. Viel Auswahl gab es nicht. Sie konnte als Animiergirl arbeiten oder hinter der Bar stehen. Vielleicht auch als Stripperin. Hin und wieder trat eine auf.
Zehn Minuten hockte ich schon auf meinem Platz. Getan hatte sich nichts. Ich konnte die Gäste beobachten, die an den Tischen hockten oder die Plätze an der Bar eingenommen hatten. Kein Gast war allein. Die Mädchen kümmerten sich intensiv um die erlebnishungrigen Männer.
Ich nippte am Whisky, der nicht zu den großen Sorten zählte, dafür aber groß im Preis war, stellte das Glas wieder ab und streckte die Beine aus. Fünf Minuten wollte ich Eva Leitner noch geben. Wenn sie bis dann nicht gekommen war, wollte ich nachfragen, wo sie steckte.
Auch in der folgenden Zeit blieb alles normal, sah man mal davon ab, dass eine gazellenschlanke Tänzerin sich langsam entblätterte.
Sie machte das sehr geschickt und zeigte auch gute tänzerische Qualitäten. Mit sicheren Bewegungen schälte sie sich aus einem roten Tüllkostüm. Die Fetzen warf sie in die Luft. Es dauerte eine Weile, bis der leichte Stoff zu Boden oder zwischen die zuschauenden Gäste fiel.
War das vielleicht Eva Leitner?
Ich wollte nicht so recht daran glauben und hielt eines der Mädchen fest, als es dicht an mir vorbeistrich.
Sie stammte aus Asien und war recht klein. »Ja?«, fragte sie und bekam ihr lockendes Lächeln.
»Ich möchte zu Eva Leitner.«
»Die arbeitet beim Chef. Ist so etwas wie …« Die Asiatin verzog ihre Lippen. »Ja, Sekretärin, sagt man wohl. Die ist über das Bett des Kerls hochgekommen.«
»Und wie heißt der Mann?«
»Cecil Carny, auch C. C. genannt. Reicht Ihnen das?«
»Danke und wie.«
»Ich trinke übrigens Champagner«, sagte sie im Wegschweben und drehte ihr beachtliches Hinterteil.
»Dann Cheerio!«, rief ich ihr noch nach, als ich mich erhob. Das halb volle Glas ließ ich stehen. Außerdem war ich leicht sauer. Das hätte mir Eva auch sagen können. Dann wäre ich direkt zu ihrem Chef gegangen.
Klar, die Abkürzung C. C. war mir schon ein Begriff. C. C. kannte in der Londoner Unterwelt eigentlich jeder, und auch uns Polizisten war er bekannt. Er gehörte zu den Typen, denen man nichts beweisen konnte, die ihre Finger aber in zahlreichen schmutzigen Geschäften hatten. Rauschgift, Prostitution, Falschgeld.
Ich arbeitete mich zur Bar vor, wo es ziemlich dunkel war. So aber konnte ich wenigstens den rot erleuchteten Pfeil an der Wand sehen, dessen Spitze auf eine Tür im Hintergrund wies.
Dort ging es zu den Toiletten und gleichzeitig zu den Privaträumen. Ich öffnete, betrat einen Gang, der mit Musik ausgefüllt wurde und sah eine Treppe.
Sie führte nach oben in Cecil Carnys Privaträume. In der ersten Etage hatte jemand ein Stoppschild an die Wand gepinselt, das dem Unbefugten den Zutritt untersagte.
Ich sah mich in diesem Fall als befugt an und ging weiter. Im Kino werden Leute wie ich stets von bulligen Leibwächtern aufgehalten, mir passierte das nicht, und ich war auch froh darüber. Dafür hörte ich heftige Stimmen.
Ein Mann brüllte, und eine Frau schrie noch lauter dazwischen. Die Tür hinter der sie sich befanden, zeigte einen warmen, braunen Anstrich und besaß zusätzlich eine golden glänzende Messingklinke, die ich nicht berührte.
Dafür legte ich mein Ohr an das Holz.
Soeben schrie die Frau wieder los. »Du kannst mir nichts verbieten, Cecil. Ich bin mein eigener Herr. Wenn ich nach Germany fahren will, dann fahre ich.«
»Aber nicht jetzt.«
»Doch, verdammt!«
»Nein, das lasse ich nicht zu. Wir haben einiges am Hals. Die Abrechnungen müssen gemacht werden.«
»Rechne deine Nutten doch selbst ab, Mensch!«
Nach dieser Antwort wurde es ruhig. Gefährlich ruhig, wie ich eingestehen musste.
Das schnaufende Geräusch vernahm ich sogar durch die Tür. Jemand hatte tief Luft geholt. »Okay, Baby, okay. Du hast wohl vergessen, wer dich aus der Scheiße gezogen hat, als dir dein Kaff in Germany zu klein wurde und du hier gelandet bist. In meinem Klub hast du angefangen zu arbeiten, auf sehr niedriger Ebene. Ich habe dich hochgehievt …«
»Dafür hast du auch etwas bekommen.«
»Klar, du bist mit mir ins Bett gestiegen. Das hätte ich auch mit jeder anderen machen können.«
»Dreckskerl.«
Nicht nur der harte Dialog war typisch, auch das folgende Klatschen. Der Mann hatte zugeschlagen. Ich hörte einen leisen Schrei und hielt es für angebracht, auf der Bühne zu erscheinen, um das Drama als dritte Person ein wenig zu beleben. Ich stieß die Tür auf. Die beiden bemerkten mich im ersten Augenblick nicht. Die Frau hockte mit angezogenen Beinen und geduckt im Sessel. Ihr war die Angst anzusehen. Von ihrem Gesicht konnte ich nicht allzu viel erkennen, die rotbraune Haarflut floss über Wange und Nacken. Zudem hatte sie die Hände schützend erhoben.
Der Mann vor ihr trug einen taubenblauen Smoking. Er war kompakt gebaut, das Haar zeigte silbergraue Fäden. Er hatte Hände wie Baggerschaufeln und sehr dicke Finger, auf denen selbst die großen Ringe klein wirkten.
Ich sah sein Profil, Die kräftige Nase wirkte wie ein grober Klotz. »Du fährst nicht!«, schrie er wieder.
»Wetten doch?«
Diese beiden Worte hatte ich gesprochen. Zuerst wollte C. C. es kaum glauben. Er blieb gebückt stehen, schüttelte dann den Kopf, strich über sein Haar und fuhr erst dann blitzschnell herum.
Ich lächelte ihn kalt an.
Ich wusste nicht, ob er mich kannte oder erkannt hatte. Jedenfalls reagierte er übersauer. Tief holte er Luft. Seine Augen wurden zu kleinen Eisbrocken.
»Raus!«, keuchte er und wies an mir vorbei zur Tür. »Verschwinde, du Hundesohn. Raus!«
»Nein …«
Diese Antwort hatte er nicht erwartet. Neben ihm im Sessel regte sich inzwischen die Frau mit den rotbraunen Haaren. Sie setzte sich hin und zog die Jacke ihres eleganten Leinenkostüms ein wenig glatter. »Mr. Sinclair?«
»Sehr richtig.«
»Da sind Sie gerade zur rechten Zeit gekommen.« Sie zeigte mir ihre rechte Wange, die allmählich dunkelrot wurde.
Unser kleiner Dialog hatte C. C. ein wenig aus der Fassung gebracht. Sein bulliger Schädel ruckte vor. »Ihr … ihr kennt euch?«, flüsterte er mit rauer Stimme.
»Beinahe!« Ich schaute zu, wie sich seine gewaltigen Pranken schlossen. »Ach so ist das!«, flüsterte er. »Ein Komplott, wie? Trotzdem werden Sie verschwinden, Junge, oder ich werfe Sie eigenhändig raus.« Er wollte auf mich zustürmen und bekam große Augen, als er sah, mit welch einer Geschwindigkeit ich meine Waffe zog und ihn in die Mündung schauen ließ.
»Keinen Schritt weiter!«
Er blieb auch stehen, fing sich sehr schnell und verzog die dicken Lippen zu einem Grinsen. »Hör zu, mein Junge, hier kommst du lebend nicht raus, wenn ich es nicht will.«
Eva Leitner hatte sich erhoben. Sie strich lässig ihre Haarflut zurück. »Willst du tatsächlich einen Bullen umlegen, C. C.?«
»Wieso?«
»Er ist ein Bulle.« Sie nahm ihre Handtasche aus rot eingefärbtem Lackleder. »Und ich bin mit ihm verabredet gewesen.« Sie ging in einem Halbkreis auf die Tür zu, um mir nicht in die Schusslinie zu laufen. »Und noch etwas, C. C., ich habe in diesem Augenblick gekündigt. Such dir eine andere, die du von unten hochziehen kannst. Meinetwegen an den Haaren, du Kerl.«
Cecil Carny war erschüttert. »Aber wieso denn?«, keuchte er. »Das … das kannst du doch nicht machen.«
Ich ging rückwärts. »Ja, sie hat geschmissen, C. C. Pech für Sie, nicht?« Dann zog ich die Tür zu. Noch auf der Treppe hörten wir beide ihn furchtbar toben.
»Wenn der seine Anfälle bekommt, ist er unberechenbar«, flüsterte Eva und schüttelte sich.
Ich drehte mich um, als Carny die Tür aufriss. Er holte wieder Luft, weil er schreien wollte, ich aber legte einen Finger auf meine Lippen und winkte noch mit der Beretta.
Er wurde ruhig und zog sich zurück.
»Folgen wird er uns wohl nicht«, bemerkte meine Begleiterin und sagte: »Ich bin übrigens Eva Leitner.«
»Das habe ich mir gedacht.«
Sie lachte. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen, aber C. C. wollte mich nicht gehen lassen.«
»Schlägt er Sie öfter?«
»Es war das zweite Mal. Ein drittes Mal wird es nicht mehr geben, Mr. Sinclair.«
»Das meine ich auch.«
Wir hatten inzwischen die untere Etage erreicht. »Müssen wir durch das Lokal?«, fragte ich.
»Nein, kommen Sie.« Eva zog mich am Arm. Sie ging vor mir her auf eine Hintertür zu, den Schlüssel besaß sie. Eva öffnete und schob mich auf einen Parkplatz.
»Hier steht mein Wagen.«
»Und meiner auch«, sagte ich.
»Gut, wo fahren wir hin?«
»Das ist mir egal.«
»Dann zu mir.«
»Klar.« Sie ging vor und drehte sich dabei noch einmal zu mir um. »Ich habe übrigens schon gepackt«, erklärte sie. »Die Reise kann morgen losgehen.«
»Sie sprachen von Germany.«
Heftig nickend gab Eva Antwort. »Genau, und Sie werden mich begleiten, Mr. Sinclair.«
»Sie sind ziemlich forsch.«
Neben einem Honda Accord blieb sie stehen und schloss die Fahrertür auf. »Das muss man sein. Oder sind Sie nicht zuständig für Vampire?«
»Doch …«
»Na bitte.« Mehr sagte sie nicht, stieg in den Wagen, hämmerte die Tür zu und startete.
Ich war gespannt, was mir diese Frau zu bieten hatte. Couragiert war sie ja, daran bestand kein Zweifel. Zudem hatte sie von Vampiren gesprochen, die irgendwo in Germany aufgetaucht sein mussten. Seltsam, dass Kommissar Mallmann, mein deutscher Freund, davon noch nichts gehört hatte.
Leider mussten wir uns durch den Londoner Abendverkehr quälen. Wo Eva Leitner wohnte, wusste ich nicht, bekam aber große Augen, als sie in meine Richtung fuhr, sogar zu dem Hochhaus, in dem ich meine Wohnung hatte. Wohnten wir etwa im selben Haus, ohne uns bisher begegnet zu sein? Ein Wunder wäre es nicht gewesen. In diesen gewaltigen Betonkästen kennt oft einer den anderen nicht. – Eva fuhr weiter zum Nachbarhochhaus. Sie stellte ihren Wagen auf einem Außenplatz ab, ich parkte drei Parktaschen daneben.
Sie lachte mich beim Aussteigen an. »Da staunen Sie, wie?«
»Tatsächlich. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass Sie hier leben würden.«
»Ich habe Sie schon ein paar Mal gesehen. In Ihrem Haus ist auch genug passiert.«
»Das können Sie wohl sagen.«
»Fühlen Sie sich trotzdem wohl?«
»Man gewöhnt sich daran.« Wir standen inzwischen vor dem erleuchteten Eingang. Der Portier hatte uns gesehen. Er ließ die Tür per Knopfdruck aufgleiten.
Sein Gruß war freundlich bis devot. 2 Mich beobachtete er dabei ziemlich scharf.
Zum ersten Mal in meinem Leben befand ich mich in dem Nachbarhochhaus. Es sah alles so aus wie bei mir. Sogar die Fahrstühle waren die Gleichen. Und das Apartment der Deutschen glich dem meinen aufs Haar.
Hoch lebe die Uniformität!
Die Wohnung bildete eine Ausnahme. Man sagt den Deutschen nach, dass sie ihre Häuser und Wohnungen sehr nett und gemütlich einrichten. Auch hier war es der Fall.
Möbelstücke, sehr spärlich nur verteilt, passten zum Teppichboden. Die Farben waren hell, bis auf das violette Regal, in dem zahlreiche Schallplatten standen. Es enthielt zudem noch die Hi-Fi-Anlage. »Sie können schon Platz nehmen.« Eva deutete auf einen der pumpigen Sessel, die einen groben Leinenüberzug besaßen. »Wollen Sie etwas trinken?«
»Wenn Sie einen besseren Whisky hätten als den, den ich in der Bar bekommen habe …?«
Sie lachte aus dem Nebenzimmer, in dem sie verschwunden war. »Den habe ich, einen Moment noch.«
Nach zwei Minuten kehrte sie zurück. Sie hatte die Kostümjacke abgelegt, trug jetzt nur noch den Rock und die hochgeschlossene, weit geschnittene, rote Bluse mit dem Stehkragen, die in der Farbe zu ihrer Handtasche passte.
Auf die getroffene rechte Wange hatte sie Schminke verteilt, sodass die Stellen nicht mehr zu sehen waren. Auch Eva nahm einen Whisky. Sie hatte es gut gemeint und uns doppelte eingeschenkt. »Den Schluck können Sie vertragen, Sie brauchen ja nicht mehr zu fahren.«
»Sicher.« Ich hob das Glas. »Auf Ihr Wohl.« Wir saßen uns gegenüber und tranken. Von der Decke hing ein propellerähnliches Etwas aus trübem Glas, eine Lampe. Ihr Licht floss weich in den Raum hinein und verteilte sich dort.
Eva Leitner setzte das Glas ab, lehnte sich zurück und griff nach ihren Zigaretten. »Sagen wir mal so. Trinken wir lieber auf den gemeinsamen Erfolg in Germany.«
Auch ich holte eine Zigarette aus der Schachtel. Zuerst gab ich Eva Feuer. »Sie scheinen ja sehr sicher zu sein, dass ich mitfahren werde.«
Rauchend nickte sie. »Das bin ich auch.«
»Und weshalb?«
Sie wedelte den Qualm zur Seite. »Es geht um Vampire.«
»Echte?«
»Ja. In Germany.«
Ich ließ eine kleine Pause folgen, bevor ich mich wieder an sie wandte. »Da haben Sie mir sicherlich einiges zu berichten.«
»Und ob, Mr. Sinclair.« Hastig trank sie einen Schluck Whisky. »Das sind beileibe keine schönen Dinge.«
»Kann ich mir vorstellen. Vampire sind immer unschön. Ich kenne mich da aus.«
»Gut, hören Sie zu …«
Eva Leitner war eine hervorragende Erzählerin. Sie sprach vor allen Dingen emotionslos, schmückte nichts aus und blieb meiner Ansicht nach bei der Wahrheit. Nur als sie über den Vorgang des Pfählens berichtete, geriet ihre Stimme ein wenig ins Stocken. Danach nahm sie das Glas und trank es leer, goss aber aus der Karaffe sofort nach. »Das hat sich so abgespielt, Mr. Sinclair.«
»Wo war es?«
»In …«
Ich winkte ab. »Okay, das Land kenne ich inzwischen. Aber Germany ist groß.«
»Zwischen Stuttgart und Ulm. Dort liegt ein Gebiet, das …«
»Schwäbische Alb heißt.«
»Sie … Sie kennen es?«
»Ja, ich hatte vor Jahren dort zu tun. Damals ging es auch um Vampire, rote Vampire. Sie entstiegen den Höhlen, die es auf der Alb ja noch in großer Zahl gibt.« 3
»Und? Haben Sie den Fall lösen können?«
»Ja.«
»Schon ein Vorteil. Dann sind Sie genau der richtige Mann für mich. Wie gesagt, ich bin sofort wieder zurückgefahren, ich konnte der Beerdigung einfach nicht beiwohnen, aber die Worte des Totengräbers haben mich misstrauisch gemacht. Er glaubt daran, dass meine Schwester nicht die einzige Untote gewesen ist. Sie muss gebissen worden sein. Von einem Haupt-Vampir, was weiß ich. Den müssen Sie finden, Mr. Sinclair, und zwar sehr schnell. Ich habe über Vampire mittlerweile einiges gelesen. Das ist einfach kriminell und furchtbar. Sollte es sie tatsächlich geben, alles weißt schließlich darauf hin, könnten sich diese Untoten ausbreiten wie eine gewaltige Seuche.«
»Da haben Sie recht. Vorausgesetzt, die Geschichte stimmt.«
Das Temperament brach bei ihr durch. Eva schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sie können mir glauben, es stimmt! Wirklich, Mr. Sinclair. Ich habe mir meine Schwester angesehen. Sie lag im Sarg. Die Oberlippe war zurückgeschoben, und dort sahen wir die beiden weißen Hauer aus dem Oberkiefer wachsen. Es war ein Bild, das ich nie vergessen werde.«
»Ja, kann ich mir vorstellen.«
»Fahren Sie nun mit?«
Ich lächelte schmal. »Was ist, wenn ich mich entschließe, hier in London zu bleiben.«
»Dann sehe ich für die Menschen schwarz«, gab Eva Leitner flüsternd zur Antwort. »Können Sie das verantworten?«
»Es ist nicht einfach. Ich bin kein Privatdetektiv, der einfach losfahren kann.«
»Gut, Sie sind Beamter. Aber Sie werden auch dort eingesetzt, wo es nötig ist. An den Brennpunkten, und ich sage Ihnen, dass es auf der Alb brennt.«
»Sie wollen den Brand dann allein löschen?«
»Ja, wenn es nicht anders geht. Ich hatte in den letzten Jahren kaum Kontakt zu meiner Familie, weil mich London zu sehr in Anspruch genommen hat. Man bekommt irgendwann ein schlechtes Gewissen. So weit ist es bei mir inzwischen. Ich habe mich entschlossen, nach Deutschland zu fahren, was auch geschieht.« Sie benutzte diesmal den Ausdruck in ihrer Heimatsprache.
Die Antwort hatte so geklungen, als wollte sie sich durch nichts und niemand von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Sie griff zur inzwischen dritten Zigarette und schaute mich dabei fragend an.
Ich nippte am Whisky.
»Haben Sie sich entschlossen, Mr. Sinclair?«
»Ja, man kann Sie ja schlecht allein fahren lassen. Und Vampire haben mich schon immer gereizt.«
In ihre Augen trat ein stiller Jubel. »Dann sind Sie also dabei, wenn ich starte?«
»Klar.«
Sie stand lachend auf, kam mit der Handtasche zurück und schleuderte sie auf die Couch, bevor sie die Tasche öffnete. »Das sind die Tickets«, sagte sie und hielt sie hoch. »Zweimal London-Stuttgart. Einverstanden?«
»Sie müssen sich ja sehr sicher gewesen sein«, erwiderte ich lächelnd.
»Man kann Tickets auch zurückgeben«, erklärte sie und schenkte mir noch einmal nach. »Soll ich sagen auf gute Zusammenarbeit?«
»Meinetwegen. Aber ich hätte noch eine Frage.«
»Bitte.«
»Ist in der Zwischenzeit etwas passiert? Sind weitere Menschen zu Vampiren geworden?«
Eva Leitner hob die Schultern. »Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Ich war in den letzten Tagen nicht in Deutschland. Hoffe, dass alles gut gegangen ist.«
Das Telefon schrillte. Eva brauchte nur den Arm auszustrecken, um den Hörer abnehmen zu können. Sie hatte ihn noch nicht ans Ohr geführt, als wir die wütende Stimme eines gewissen Carny hörten. »Wenn du nicht zurückkommst, lasse ich dich holen, Süße. Und zwar von meinen Leuten, die kennst du ja.«
»Haben Sie die Drohung gehört, Mr. Sinclair?«, fragte sie laut dazwischen.
C. C. verstummte.
»Das war’s dann wohl«, erklärte die Deutsche und legte auf. »Soll er sich eine andere Dumme suchen, die seinen Mist mitmacht …«
*
Eigentlich gehörte der Nachteinsatz zur Flugroutine der Soldaten. Dennoch war es stets etwas Besonderes, wenn ein Hubschrauber in der Dunkelheit aufstieg und auch im Finstern gewisse Ziele anvisiert wurden.
Die Besatzung umfasste sechs Männer. Ein Leutnant leitete den kleinen Trupp. Er flog auch. Ihm zur Seite stand ein Oberfeldwebel als Copilot. Die anderen vier jungen Männer waren Zeitsoldaten. Zwei Unteroffiziere, zwei Obergefreite.
Um genau 22 Uhr mussten sie antreten.
Der Fliegerhorst lag im Dunkeln. Es brannte nur die Notbeleuchtung. Hier und da ein paar Laternen, deren Kuppeln ein bläulichweißes Licht abstrahlten.
Der Schein fiel nicht nur auf den Boden, er streifte auch wie ein gelber Hauch den auf der Landebahn stehenden Hubschrauber. Die Maschine war durchgecheckt und aufgetankt worden. Einem Start stand nichts im Wege.
Der Oberfeldwebel hatte antreten lassen. Die vier Soldaten standen in der Rühren-Haltung. Sie warteten auf Leutnant Cramer, ihren Vorgesetzten.
Er war nicht sehr beliebt bei seinen Untergebenen, weil er schnell Karriere machen wollte, und die auf dem Rücken anderer Leute. So etwas ging selten gut.
Noch war er nicht da, das wunderte die Wartenden. Wahrscheinlich hatte ihn der Hauptmann noch zurückgehalten, sonst gab es für Cramer keinen Grund zur Verspätung.
Der Oberfeldwebel spähte zur Offiziersbaracke hin, wo hinter den viereckigen Fenstern gelbliches Licht schimmerte. Manchmal erschienen die Umrisse der Männer in ihren blauen Uniformen, und auch Cramer wurde von ihm gesehen.
»Er ist tatsächlich noch beim Alten«, berichtete er den Soldaten.
»Wie lange kann das noch dauern, Herr Oberfeldwebel?«
»Bin ich Jesus?«
»Nein, Herr Oberfeld!«
»Dann fragen Sie nicht so dumm.« Der Mann war ärgerlich, die Stimmung übertrug sich auch auf die Soldaten, und keiner hatte so recht Lust zu diesem Nachtflug, der sie wieder in unbekanntes Gelände führen würde. Dort wurden sie dann abgesetzt und mussten sich bis zu einem bestimmten Punkt durchschlagen.
Sie mussten noch einige Minuten warten, bis sie ihren Vorgesetzten zu sehen bekamen. Er trat aus der Tür und kam mit zügigen Schritten auf die Gruppe zu.
Der Oberfeld ließ die Jungs strammstehen und machte die entsprechende Meldung, die Cramer lässig abnahm. Vor dem Einsatz hielt er noch eine kurze Ansprache.
»Sie wissen, worum es geht, Männer. Ich will, dass alles so exakt abläuft wie bei unserem letzten Einsatz. Nur um eine kleine Korrektur möchte ich Sie bitten. Beim letztenmal haben Sie fast vier Stunden benötigt, um Ihr Ziel anzulaufen, das nur zehn Kilometer vom Ausgangspunkt Ihrer Suche entfernt lag. Das ist mir einfach zu viel, wenn Sie verstehen. Ich will, dass es schneller geht. Kapiert?«
»Jawohl, Herr Leutnant!«, klang es im Chor.
»Gut! Oberfeld?«
»Herr Leutnant!«
»Lassen Sie rühren und die Männer ihre Plätze einnehmen!«
»Jawohl, Herr Leutnant!«
Der Oberfeld gab das entsprechende Kommando. Die Soldaten und Unteroffiziere enterten den Hubschrauber. Jeder hatte seinen bestimmten Platz, den er auch einnahm.
Diskussionen gab es nicht. Die Soldaten wussten, was sie zu tun hatten. Sie trugen ihr Sturmgepäck bei sich und hatten auch die Fallschirme umgeschnallt. Ihre G 3's, die Gewehre, steckten in den entsprechenden Haltern.
Wie immer flog Cramer selbst. Er und der neben ihm sitzenden Oberfeld nahmen Verbindung mit dem Tower des Standortes auf und bekamen die Starterlaubnis.
Mit satten Geräuschen liefen die beiden Motoren warm. Das Echo hallte über den freien Platz und wurden von den Außenwänden der Kasernen zurückgeworfen.
Die Gesichter der tiefer im Hubschrauber sitzenden Soldaten zeigten eine gewisse Gleichgültigkeit. Sie kannten diese Flüge. Später, wenn sie abgesetzt wurden und sich zusammen mit ihrem Oberfeld durchschlagen mussten, wurden sie meist ärgerlich.
Cramer flog in Richtung Südwest, der Schwäbischen Alb entgegen. Da gab es viel Gegend, Berge, Felsen, Hügel und Täler. Allerdings nur wenige Dörfer. Dafür Einsamkeit en masse.
Und eine Autobahn. Stuttgart – Ulm – München. Wobei in der Höhe von Ulm noch die Autobahn nach Kempten abzweigte. Dort war in Richtung Süden auch viel Niemandsland.
Die Soldaten waren aus der Nähe von Stuttgart gestartet. Nur hin und wieder blickte einer von ihnen aus dem Fenster. Unter der Maschine lag die Dunkelheit. Im Innern war es bis auf das Licht der Instrumentenbeleuchtung ebenfalls finster.
Hin und wieder stellte Cramer Kontakt zur Bodenleitstelle her. Für ihn mochte es unterhaltsam sein, für die Soldaten weniger. Sie nahmen davon überhaupt keine Notiz.
Die beiden Unteroffiziere unterhielten sich über eine neue Disco, die auf dem flachen Land entstanden war. Angeblich sollten dort heiße Weiber verkehren, wie einer von ihnen gehört hatte.
»Und wann gehen wir hin?«
»Am nächsten Wochenende?«
»Mist, da habe ich Dienst.«
»Mal sehen.«
Das Gespräch der Männer schlief ein. Unter ihnen lag die Autobahn Lichtstrahlen huschten in beide Richtungen. Die Positionslichter des Hubschraubers schienen ihnen zu antworten.
Einmal waren sie bei einem Einsatz bis kurz vor München geflogen und hatten sich durchschlagen müssen. Das war für ihren Leutnant Cramer ein Spaß gewesen.
Die Zeit verstrich träge. An die Geräusche hatten sich die Soldaten längst gewöhnt. Sie waren für sie nichts Neues mehr.
Nach einer Weile erschien unter ihnen ein großes Autobahnkreuz. Dahinter lag Ulm im Glanz seiner spätabendlichen Lichter. Cramer änderte den Kurs. Er flog nun direkt in Richtung Süden und ein Stück parallel zur Autobahn Ulm-Kempten.
Ihr Ziel lag woanders. Westlich der Autobahn. Exakt flog Cramer diesen Winkel, und schon bald wurde es unter ihnen dunkel. Sie verloren gleichzeitig an Höhe, was die Soldaten wieder aufmunterte, denn jetzt war die Landung nahe.
»Zu weit ist es ja nicht gewesen«, sagte einer der Obergefreiten und reckte sich.
Cramer ging tiefer. Es sah so aus, als wollte er in den Wald hineinfliegen.
Es wäre Selbstmord gewesen, zwischen den dicht stehenden Bäumen zu landen. Man konnte Cramer nachsagen, was man wollte, er war ein guter Pilot. Sicher fand er das Ziel, einen freien Platz, der neben einem kleinen See lag.
Die wirbelnden Rotorblätter schaufelten den Wind ins Gras und drückten die Halme nach unten. Butterweich hatte der Offizier den massig wirkenden Vogel aufgesetzt.
Er selbst blieb sitzen. Der Oberfeld öffnete den Ausstieg. Die Soldaten schnallten sich los und nahmen ihre Gewehre mit.
»Viel Spaß und Erfolg, meine Herren!« , rief ihnen der ehrgeizige Cramer noch nach, bevor der Ausstieg von außen wieder zugehämmert wurde. Geduckt liefen die fünf Männer bis zum Rand des Sees und schauten von dort zu, wie Cramer die Maschine wieder in die Höhe zog. Wie eine übergroße Biene aus Glas und Metall glitt sie davon. Das Echo rollte über die dicht stehenden Baumwipfel hinweg und verklang in der Ferne.
Keiner der zurückgebliebenen Soldaten sah das kalte Lächeln auf Cramers Lippen. Die Aufgabe, die sie in dieser Nacht bekommen hatten, stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten. Sie würden nicht weniger als acht Stunden unterwegs sein.
Cramer lachte, als er daran dachte, wie viel Zeit er noch zur Verfügung hatte. Nicht weit von Ulm entfernt, wohnte jemand, den er gut kannte. Eine Studentin, die hin und wieder als Fotomodell jobbte und sich auch hüllenlos in einer großen Illustrierten hatte abbilden lassen. Sie nannte sich Samantha. Was sie bot, stellte so manches in den Schatten, das Cramer schon geboten bekommen hatte.
Er flog den gleichen Weg zurück, den sie auch gekommen waren. Seine Blicke wechselten ständig. Mal waren sie auf die Instrumente gerichtet, dann wieder glitten sie durch die große Frontscheibe in die Finsternis der Nacht hinaus.
Und in dieser Dunkelheit bewegte sich etwas!
Zuerst war Cramer über die Entdeckung hinweggegangen. Er hatte sie auch als Täuschung angesehen, beim zweiten Mal wurde er aufmerksamer, und beim dritten Mal keimte Misstrauen in ihm hoch.
Dieser Vorgang hoch über dem Boden war schon mehr als ungewöhnlich. Er dachte darüber nach, welche Vögel es in diesem Gebiet gab. Da waren schon einige Raubvögel vertreten. Bussarde und Falken, aber keiner der Vögel besaß die Größe dieses Monstrums. Der Vergleich mit einem schwingenden Teppich fiel ihm ein, den jemand in die Luft geschleudert hatte, und der sich nun von den Aufwinden tragen ließ.
Links von ihm bewegte sich dieser Gegenstand. Sehr weich flog er, hob sich einmal an der rechten, dann an der linken Seite in die Höhe. Das mussten einfach Schwingen sein.
Cramer hockte unbeweglich auf seinem Pilotensessel. Er ärgerte sich darüber, dass seine Handflächen plötzlich so feucht geworden waren. Vielleicht Angstschweiß.
Der Leutnant ließ das Flugobjekt nicht aus den Augen. Noch gab er keine Meldung durch. Sollte sich der Gegenstand seiner Maschine zu sehr nähern, wurde er zu einer Gefahr, dann musste er dem Tower Bescheid geben.
Auf einmal war er verschwunden. So schnell, wie er auch erschienen war. Cramer lachte auf, er war erleichtert. Mit dem Uniformärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn und fuhr dabei auch über die Augen, als wollte er einen Spuk fortwischen.
Vielleicht hatte er sich den fliegenden Schatten auch eingebildet. Manchmal sah man halt Dinge, die nicht vorhanden waren.