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10 gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band!
Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern aus den Jahren 1978 - 1989 und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.
Tausende Fans können nicht irren - über 640 Seiten Horrorspaß garantiert!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 501 - 510. Jetzt herunterladen und losgruseln!
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Seitenzahl: 1344
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2015 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2024 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © Vicente B. Ballestar
ISBN: 978-3-7517-8321-7
https://www.bastei.de
https://www.luebbe.de
https://www.lesejury.de
https://www.sinclair.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
John Sinclair 501
John Sinclair – Die Serie
Die Mord-Clique
John Sinclair 502
John Sinclair – Die Serie
Die Disco-Hexe Tessy
John Sinclair 503
John Sinclair – Die Serie
Adelige Blutsauger
John Sinclair 504
John Sinclair – Die Serie
Lorna, die Löwenfrau
John Sinclair 505
John Sinclair – Die Serie
Der japanische Geist
John Sinclair 506
John Sinclair – Die Serie
Das unheimliche Grab
John Sinclair 507
John Sinclair – Die Serie
Die Lady mit dem Schädeltick
John Sinclair 508
John Sinclair – Die Serie
Morganas wilde Meute
John Sinclair 509
John Sinclair – Die Serie
Ein Gehängter kehrt zurück
John Sinclair 510
John Sinclair – Die Serie
Der Leichenzug
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Contents
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
Alicia blieb stehen und bekam es plötzlich mit der Angst zu tun, obwohl sie die unregelmäßigen Schritte kannte.
So ging nur einer: Caspar Richberger, der Blinde. Er zog das linke Bein nach. Im Haus verzichtete er meist auf seinen Stock, so auch jetzt, denn das harte Aufschlagen des Stockendes vernahm Alicia nicht zwischen den Schritten.
Alicia hatte die Schritte schon oft gehört, überhaupt erkannte sie alle sechs Bewohner des Hauses an ihren Schritten. Diesmal aber empfand sie das Geräusch als störend, wenn nicht als beängstigend. Es hallte durch die verschwommene Düsternis des Flurs. Niemand hatte das Licht eingeschaltet. – Draußen regnete es. Ein kühler, grauer Sommertag neigte sich seinem Ende entgegen. Längst hatte die Dämmerung ihren Schleier über das Land gelegt, in wenigen Minuten würde es finster sein, und dieses Zwielicht störte Alicia irgendwie …
Den Grund konnte sie selbst nicht sagen. Es war mehr das Gefühl. Alicia bezeichnete sich als sensibel. Sie arbeitete gern mit Menschen zusammen, kam auch mit den drei Ehepaaren ausgezeichnet zurecht und wurde von ihnen trotz ihrer zweiundzwanzig Jahre voll akzeptiert.
Sie wusste selbst nicht, was sie zu diesen Schritten sagen sollte. Eigentlich hätte sie dem Blinden entgegenlaufen müssen, um ihn die Stufen der Treppe hochzuführen. Er nahm nie den alten Gitteraufzug, eine Marotte von ihm.
Doch Alicia blieb stehen. Sie hielt sich vor einer offenen Nebentür auf, die in die große Küche führte, wo die Mahlzeiten zubereitet wurden. Die Köchin hatte schon längst Feierabend. Wer jetzt noch etwas essen wollte, bediente sich selbst.
Die Schritte des blinden Mr. Richberger näherten sich der Treppe. Ja, er würde nach oben in seine Wohnung gehen, wo Diana, seine Frau, bestimmt schon sorgenvoll auf ihn wartete.
Auch hörte sie ihn atmen. Es war mehr ein Stöhnen. Mr. Richberger war kurzatmig, an seiner Stelle wäre Alicia nicht die Treppe hochgegangen und hätte den Lift benutzt.
Richberger gehörte zu den starrsinnigen Typen. Er musste seinen Weg gehen und ließ sich durch nichts und niemand davon abbringen. Wie leicht konnte er in der Dunkelheit stolpern und sich bei dem Sturz etwas brechen.
Nein, das durfte Alicia nicht zulassen. Als sie sich entschlossen hatte, das Licht einzuschalten, da befand sich Mr. Richberger bereits auf der Treppe.
Auch dort besaß er seinen typischen Gang. Immer sehr langsam und tastend. Wenn er sich am Geländer festhielt, setzte er auch gleichzeitig einen Fuß hart auf. Dieses Geräusch und sein Nachgreifen mit den Fingern am Handlauf waren synchron.
Alicia ließ ihn drei Stufen gehen. Erst dann löste sie sich aus ihrer lauschenden Haltung und lief zum Lichtschalter.
Es war ein altes Haus mit großzügig angelegten Fluren und Räumen. Hinter der Eingangstür begann eine kleine Halle. Sogar zwei Säulen stützten hier die Decke, von der als Lampe ein großer Kronleuchter herabhing. Der strahlte plötzlich auf. Das Licht der Lampen brach sich in den gläsernen Tropfen, die von den Armen des Kronleuchters herabhingen. Die Diele wurde bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet, aber auch die breiten Stufen der nach oben führenden Treppe wurden von dem Licht überflutet.
Caspar Richberger stand schon auf der vierten Stufe. Er hielt sich nicht am Geländer fest, sondern hatte sich in die Nähe der Wand gedrückt, wo die Stufen etwas breiter waren.
Das sah Alicia erst, als sie sich der Treppe bis auf eine bestimmte Distanz genähert hatte. Verwundert blieb sie an deren Fuß stehen und schaute gegen den Rücken des Blinden, der seinen rechten Fuß wieder anhob und die nächste Stufe betrat.
Alicia wollte ihn ansprechen und hatte den Mund bereits geöffnet, als sie etwas sah.
Auf dem hellen Holz der Stufen erkannte sie dunkle Flecken. Die Flüssigkeit war nach unten geklatscht und hatte sich beim Aufprall sternförmig verteilt.
Dunkle Flüssigkeit – rot aussehend. Das konnte nur eines bedeuten, und Alicia wusste auch sofort Bescheid.
Blut!
Ihre rechte Hand fuhr hoch, sie presste den Handballen gegen die Lippen und schaute auf den Rücken des Blinden. Der hatte sie nicht gehört, er ging weiter, und es tropfte auch auf die nächste Stufe, die er betrat. Das Mädchen hörte das Aufklatschen. Sie sah, wie der Tropfen zerplatzte und löste die Hand von den Lippen. Langsam sank der Arm nach unten. Scharf musste sie Luft holen, bevor sie den Blinden dann überhaupt ansprechen konnte. »Mr. Richberger, Sie bluten ja!«
Der Blinde blieb stehen, kaum dass Alicia seinen Namen aussprach. Er sah so aus, als würde er den Worten lauschen, um sich zu vergewissern, dass es tatsächlich eine bekannte Stimme gewesen war, die ihn da angesprochen hatte.
»Mr. Richberger, Sie …«
»Was ist, mein Kind?« Er sprang die restlichen Stufen hoch.
»Sie bluten.«
»Ach, wirklich?« Richberger trug wie immer einen dunkelbraunen Mantel, seinen Hut und ein weißes Hemd. Man sah ihn nur selten im Anzug nach draußen gehen.
»Ja.«
Der Blinde begann zu lachen. Erst leise, dann immer lauter, und Alicia bekam eine Gänsehaut. »Sie können doch sehen, Mädchen, nicht wahr?«, fragte er, als das Lachen abbrach. »Sie sind nicht so blind wie ich.«
»Ja, das schon.«
»Dann müssten Sie erkennen, dass nicht ich es bin, der hier blutet. Wirklich nicht.«
»Wer ist es dann?«
»Er!«
Nach diesem Wort drehte sich Richberger um. Sogar ziemlich schnell für einen Blinden. Sein Mantel war nicht zugeknöpft. Er klappte ihn sogar mit der freien Hand an einer Seite auf.
Alicia konnte erkennen, was er darunter verborgen hatte.
Es war ein kleiner Mensch, ein Liliputaner, und der war tot. Das Blut sickerte aus seiner Brustwunde …
*
Alicia wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie stand da, hatte die Augen weit aufgerissen, spürte die Kälte von den Zehenspitzen bis in den Kopf hochschießen und merkte, dass sie von einer Hitzewelle abgelöst wurde, die genau umgekehrt lief.
»Blute ich?«, vernahm sie die Stimme des Blinden.
Sie sagte nichts. Kalkweiß war Alicia geworden. Sie schwankte, drückte sich zur Seite und bekam den Handlauf des Geländers zu fassen, sodass sie sich an ihm abstützen konnte. Gleichzeitig erfasste sie der große Schwindel. Die Treppe, der Blinde, auch der Tote, das alles drehte sich vor ihren Augen, wobei ihr zusätzlich noch übel wurde und sie die Übelkeit durch tiefes Einatmen kaum unterdrücken konnte.
Erst als der Blinde sie zum zweiten Mal angesprochen hatte, wurde ihr bewusst, dass sie gemeint war. »Also, Alicia, Sie machen sich unnötige Sorgen. Ich blute wirklich nicht.«
»Ja, das habe ich … das habe ich jetzt gesehen.«
»Wie schön.«
»Aber …«
»Was ist denn mit aber?«
»Der Tote, den Sie halten.« Ihr Arm schwenkte hoch. Den Zeigefinger hatte sie ausgestreckt, um auf die Leiche zu deuten. »Er ist doch tot – oder nicht?«
»Natürlich ist er tot.«
»Und Sie haben ihn …?«
Caspar Richberger lachte. »Ja, ich habe ihn, wenn du das meinst. Aber ich habe ihn nicht allein, verstehst du?«
»Das hat er wirklich nicht!«
Alicia schrak zusammen, als sie hinter sich die Frauenstimme vernahm. Auch ohne sich umzudrehen, wusste sie sofort, wer sich in ihrem Rücken angeschlichen hatte.
Diana Richberger, die Frau des Blinden. Woher sie gekommen war, hatte Alicia nicht sehen können, jedenfalls stand sie hinter ihr, und das Mädchen roch sie. Die Kleidung der Frau stank immer nach Mottenpulver. Dieser Geruch wollte einfach nicht weichen.
Alicia war hin- und hergerissen. Sie wusste nicht, wie sie sich jetzt verhalten sollte. Umdrehen und Alicia anstarren oder sie einfach ignorieren?
Hier war etwas Schreckliches in Szene gesetzt worden. Es hatte einen Mord gegeben, die Polizei musste alarmiert werden und den Fall aufklären, aber das ging wohl so rasch nicht.
Die Gedanken schlugen in ihrem Kopf Purzelbäume. Alicia war überfordert. Flüsternd wurde sie von Diana Richberger angesprochen.
»Möchtest du dich nicht umdrehen, mein Kind?«
»Wieso – ich werde jetzt telefonieren und …«
»Tatsächlich?«
Allein der Klang dieser Stimme peitschte ein Furchtgefühl in Alicia hoch. Diana Richberger wusste genau, was sie da sagte, und das Mädchen konnte einfach nicht anders, als dem Befehl der alten Frau nachzukommen.
Auch Diana sah aus wie immer. Sie trug ein violettes Kleid mit einem breiten schärpenartigen Kragen. Die Frisur saß perfekt. Der Friseur hatte die grauen Haare etwas heller gefärbt und sie gelockt. Grau wie das Haar waren auch die Augen in dem etwas hageren Gesicht mit den beiden Nasenfalten, die bis zum Kinn reichten und den schmalen Mund wie zwei Striche einrahmten.
Ja, sie sah aus wie immer.
Nur etwas störte.
In der rechten Hand hielt Diana Richberger ein machetenartiges und schon waffenscheinpflichtiges Messer. Sie bewegte die Klinge leicht hin und her, sodass sie vom Licht gestreift wurde und sonderbare Reflexe warf.
Alicia sah nur die Klinge. Gleichzeitig spürte sie die Kälte auf ihrem Rücken. Sie kam sich vor wie ein Eisblock. Auch in ihren Adern floss kein Blut mehr, sondern kaltes Wasser.
Plötzlich störte sie auch die Stille. Nein, das war mehr als ein Stören. Diese fast absolute Stille flößte ihr Angst ein. Selbst das Atmen des Blinden hörte sie nicht mehr.
»So ist das also, Mädchen«, sagte Diana.
»Was ist so?«
Die Frau lächelte hämisch. »Du hättest nicht so neugierig sein sollen, jetzt bist du eine Zeugin.«
Alicias dunkle Augen nahmen an Größe zu. »Ich … ich verstehe«, sagte sie leise.
»Es tut mir ja leid für dich«, erklärte Diana Richberger, ohne jedoch Mitleid in ihrer Stimme erkennen zu lassen. »Es tut mir wirklich leid, aber es gibt keine andere Möglichkeit für uns. Begreifst du das? Wir können einfach keine Zeugen gebrauchen. Was hier geschehen ist und noch geschehen wird, darf nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Du hättest in der Küche bleiben sollen, dann wäre alles klar gewesen.«
»Sie wollen noch einen Mord auf Ihr. Gewissen laden?« Alicia wunderte sich, dass sie überhaupt reden konnte.
Diana lachte. »Gewissen?«, fragte sie. »Was ist das denn, ein Gewissen?«
Alicia hob die Schultern. Jetzt wusste sie nichts mehr zu sagen. Diana aber bewegte ihre rechte Hand. Die flache Messerseite bekam einen hellen Lichtglanz.
»Schade für dich, Kindchen …«
Lauf doch weg! hämmerte es in ihrem Kopf. Verflixt, lauf doch einfach weg. Du musst nur verschwinden. Du bist schneller als sie. Die Polizei wird es schon …
Mitten in Alicias panikartige Gedanken verlöschte das Licht!
Damit hatte das Mädchen nicht gerechnet. Jetzt hätte Alicia noch die Chance gehabt, die breite Eingangstür zu erreichen, durch die Finsternis aber war sie einfach überrascht worden.
Nicht Diana Richberger.
Vor Alicia erschien sie als Schatten, aus dem sich etwas Langes, Glänzendes hervorhob, das für einen Moment über ihr schwebte und dann nach unten raste.
Die Dunkelheit war gnädig. Sie verschluckte die fürchterliche Szene. Ein schweres Ächzen klang durch die Diele, dazwischen ein leises Wimmern, dann war es still.
Totenstill …
*
»Jedenfalls habe ich mich sehr gefreut, wieder einmal bei euch sein zu dürfen«, sagte Lady Sarah Goldwyn und streckte noch einmal die Beine aus. Sie saß in einem bequemen Ohrensessel und lächelte vergnügt vor sich hin.
»Du willst doch nicht schon gehen?«, fragte Ellie Godfrey.
»Doch.«
»Das kannst du uns nicht antun«, widersprach auch James Godfrey, Ellies Mann.
»Ich bin euch schon lange genug auf die Nerven gefallen.«
James beugte sich vor. »Aber doch nicht du, Sarah. Wir freuen uns, dass wir uns nach so langer Zeit wieder gesehen haben. Nicht wahr, Ellie?«
»Und wie.«
Sarah Goldwyn hob die Schultern. »Wenn ihr beide so nett auf mich einredet, kann ich eigentlich nicht nein sagen. Gut, ich trinke noch eine Tasse Tee.«
»Das ist wunderbar.« James stemmte sich hoch. Er war ein hagerer, älterer Mann mit einem knochig wirkenden Gesicht und einer vorspringenden Nase. Das weiße Haar wuchs schütter auf seinem Kopf. Seine abstehenden Ohren konnte man als ein prägnantes Zeichen werten. Die braunen Augen wirkten manchmal etwas müde, auch sein Gang war nicht mehr der eines Jünglings. Beim Laufen drückte James Godfrey stets den Rücken etwas nach vorn. Er besaß große Hände mit langen, knochigen Fingern. Die dunkelbraune Hausjacke hatte er nicht geschlossen. Sie schwang beim Gehen auf, als hätte ein Vogel seine Schwingen ausgebreitet.
James verschwand in der Küche. Er war für den Tee zuständig und bezeichnete sich selbst als Fachmann.
Die Frauen blieben zurück. Ellie Godfrey gehörte zu den unscheinbar aussehenden Personen. Sie war ziemlich klein, hatte ein liebes Gesicht und schmale, lustige Augen. Sie trug eine lange, weinrote Strickjacke, die bis über ihre Hüften glitt. Der dunkle Rock wäre Lady Sarah etwas zu trist gewesen, sie liebte noch immer eine gewisse helle Kleidung.
Als sie das verschmitzte Lächeln der Ellie Godfrey sah, schüttelte sie den Kopf. »Und ihr fühlt euch tatsächlich hier in diesem Haus wohl, meine Liebe?«
»Ja.«
»Das verstehe, wer will, ich jedenfalls nicht.«
Ellie hob die Schultern. »Schau dich um, Sarah. Diese Räume, die Einrichtung hier, die hohen Fenster, das alte Haus, das hat alles Atmosphäre. Wir kennen es von früher. Ich wollte nie in eines der neuen Häuser ziehen, wo eine Wohnung aussieht wie die andere. Diese Uniformität haben wir hier nicht.«
»Kommt ihr denn mit den anderen beiden Ehepaaren zurecht?«
Ellie nickte heftig. »Und ob wir zurechtkommen, Sarah. Die Richbergers und die Wouks sind nett. Wir kannten uns schon vorher, bevor wir beschlossen, gemeinsam in dieses Haus zu ziehen. Wir helfen uns gegenseitig. Wir sechs sind eine verschworene Gemeinschaft.«
»Wenn du das so siehst.«
»So muss man es sehen, Sarah. Auch haben wir unsere Möbel mitbringen können. Wir bewohnen hier eine Vier-Zimmer-Wohnung, das ist sogar noch die kleinste, und wir haben nicht das Gefühl, in einem Altersheim zu stecken und abgeschoben worden zu sein.«
»Ja, das kann ich dir nachfühlen.«
»Deshalb wird man uns aus diesem Haus auch hinaustragen müssen. Es geht uns blendend.«
»Ich sehe es dir an, Ellie.«
»Und was ist mit dir, Sarah? Ich hörte, dass du nicht mehr allein bist. Du hast dich vorhin nicht so recht ausgelassen.«
»Bei mir wohnt eine Freundin.«
»Die ich nicht kenne.«
»Nein, es ist noch eine junge Frau, keine aus unserer Jugend. Sie heißt Jane Collins.«
»Und sie hält es mit dir aus?«
»Sicher. Weshalb nicht?«
»Dann habt ihr bestimmt das gleiche Hobby.«
»Nun ja, ich will mal sagen, dass es Jane nicht abschreckt, womit ich mich beschäftige.«
Ellie Godfrey hatte auf das besondere Hobby der Lady Sarah angesprochen. Es war nicht nur besonders, sondern ausgefallen und außergewöhnlich, denn die alte Dame interessierte sich für alles Okkulte und Unheimliche. Nicht umsonst hatte sie den Spitznamen Horror-Oma bekommen. Es gab kaum jemand, der auf diesem Gebiet mehr wusste als Lady Sarah. Sie war informiert über Bücher, Filme und bezog zahlreiche Fachzeitschriften, die sich mit diesem Thema auseinandersetzten. Das Dach ihres Hauses war ausgebaut als Video-Raum und gleichzeitig auch als Grusel-Bibliothek. Aber nicht nur in der Theorie wusste Lady Sarah Bescheid. Zum Leidwesen ihrer Freunde hatte sie oft genug selbst mitgemischt und sich dabei auch mehrmals in Lebensgefahr begeben. Bisher war alles gut gegangen.
Jane Collins wohnte zwar bei ihr, als Beschützerin im weitesten Sinne konnte man die junge Frau nicht bezeichnen. Sie, die ehemalige Hexe, war gezeichnet worden. Die schwarzmagische Seite hatte an ihr furchtbare Rache genommen.
Tagsüber besaß Jane Collins kein Gesicht mehr, sondern einen bleichen Totenschädel. Erst bei Anbruch der Dunkelheit wechselte dies, da wurde sie wieder normal.
Aber das sagte Lady Sarah der Bekannten natürlich nicht. Es reichte, wenn die Godfreys über ihr Hobby informiert waren.
»Also ich würde bei dir Angst bekommen«, gab Ellie zu. Sie schüttelte sich. »Zwischen all diesen Dingen zu wohnen, ist wirklich nicht jedermanns Sache.«
»Ich lebe doch normal. Bei mir stehen keine Skelette herum, da stecken keine Kerzen in Totenschädeln, ich fühle mich einfach wohl. Und was mein Hobby angeht, so ist es außergewöhnlich, aber es erhält mich jung, was in unserem Alter natürlich wichtig ist.«
»Da sagst du was, Sarah.«
»Habt ihr denn auch ein Hobby?«
Ellie Godfrey runzelte die Stirn. »Ich möchte mal sagen, nicht direkt. Unser Hobby verteilt sich mehr auf die drei Ehepaare, die hier wohnen. Wir sitzen oft am Abend mit den anderen beiden zusammen und diskutieren. Es hat sich schon zu einer Philosophie gemausert. Wir reden praktisch über alles. Die Vergangenheit, die Gegenwart, und wir machen uns auch Gedanken über die Zukunft.«
»Denkt ihr darüber positiv?«
»Ja.«
»Das ist gut«, sagte Sarah Goldwyn. »Das ist sogar sehr gut. Es gibt nicht viele Menschen unseres Alters, die mir diese Antwort gegeben hätten. Die meisten haben resigniert.«
»Das hätten wir wohl auch, wenn wir nicht eine so nette Gemeinschaft gefunden hätten. Wir verstehen uns ausgezeichnet und fürchten uns auch nicht vor der Zukunft. Wir sprechen oft darüber, was danach kommt.«
»Du meinst nach dem Tod?«
»Ja.«
»Das ist natürlich schwer«, sagte Lady Sarah überlegend. »Es gibt da verschiedene Theorien. Der christliche Glaube …«
Ellie winke fast unwirsch ab. »Nein, diese Philosophie nicht. Eher umgekehrt.«
»Wie meinst du das denn?«
»Ich denke so an die Reinkarnationstheorien, wenn du verstehst, was ich meine?«
»Nur unvollkommen, das gebe ich gern zu.«
»Spielt auch keine Rolle. Es ist eben das Geschwätz alter Menschen, sage ich dir.«
»Nun ja, auch ich habe mich mit diesen Dingen beschäftigt. Ich finde es interessant, was du da sagst. Sehr viel habe ich darüber gelesen, vielleicht könnte ich eure Diskussionsrunde mit meinem Wissen irgendwann einmal befruchten.«
»Das wäre zu überlegen. Ich müsste allerdings erst die anderen Ehepaare fragen, was sie davon halten.«
»Das versteht sich.«
James Godfrey kam mit dem Tee. Er hatte das Getränk in einer alten Kanne gekocht. »Soll ich noch neue Tassen holen?«, fragte er, als er die Kanne auf ein Porzellanstövchen stellte, in dem eine Kerze brannte, die den Tee warm hielt.
»Nicht meinetwegen«, erklärte Lady Sarah. »Ich trinke ihn auch aus der benutzten Tasse.«
»Wir ebenfalls.«
»Darf ich dann einschenken?«
»Gern, James.« Lady Sarah kannte die Godfreys schon aus früheren Jahren, als sie noch verheiratet gewesen war. Sie hatte drei Männer überlebt und von ihnen stets ein kleines Vermögen hinterlassen bekommen. Das Geld war gut angelegt, es brachte Zinsen, doch Lady Sarah hockte nicht auf den Scheinen. Sie spendete viel für soziale Zwecke, blieb aber stets im Hintergrund, weil ihr Name nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte.
Die kleine Porzellankanne verschwand fast zwischen den großen Händen des Mannes, als er die dünnen Tassen füllte. Der Tee besaß ein außergewöhnliches Aroma, das Lady Sarah als verlockender Duft in die Nase stieg.
»Er ist ausgezeichnet«, lobte sie den Teekocher James.
»Das ist auch eine Spezialität von mir. Frische Milch habe ich auch mitgebracht.«
»Danke.«
Lady Sarah rührte den Tee um. Sie schaute dabei in die Tasse und hob auch ihren Blick. Da bemerkte sie, dass sich die Godfreys zunickten, als hätten sie etwas vor ihrer Besucherin zu verbergen. Ihre Gesichter hatten dabei einen verschwörerischen Ausdruck angenommen.
Die Horror-Oma zeigte sich etwas irritiert, fragte aber nicht weiter, auch deshalb, weil die Gesichter der beiden Godfreys sehr rasch wieder normal aussahen.
Auch James hatte wieder seinen Platz eingenommen. Die Drei bildeten ein Dreieck. Gemeinsam hoben sie ihre Tassen an. »Ja, dann bedanke ich mich noch für euren freundlichen Empfang. Es war wirklich ein netter Nachmittag.«
»Auch uns hat es gefreut, dich wieder einmal zu sehen«, erklärte Ellie Godfrey. »Ich hoffe, dass du auf den Geschmack gekommen bist und uns jetzt öfter besuchst.«
»Mal sehen, wie es meine Zeit zulässt.«
Ellie lachte. »Das musst du gerade sagen, Sarah.«
»Ich bin viel beschäftigt. Heute Abend werde ich mir noch einen neuen Film anschauen.«
»Einen Gruselstreifen?«
»Ja und nein. Es ist mehr eine Dokumentation über rätselhafte Dinge in dieser Welt.«
»Was gehört dazu?«, fragte James.
»Stonehenge, die alten Pyramiden in Ägypten und Mittelamerika, dann die neuen Entdeckungen auf dem Mars, alte Schriftrollen …«
»Auch der Teufel?«
Lady Sarah lächelte. »Ich verstehe nicht. Wie kommst du denn überhaupt darauf?«
»Nur so.«
Die Horror-Oma nahm einen Schluck Tee. »Wirklich nur so?«, hakte sie nach.
»Ja. Schließlich gehört der Teufel doch auch zu den rätselhaften Dingen dieser Welt – oder nicht?«
»Das ist in der Tat wahr. Ich glaube auch daran, dass man ihn nie richtig begreifen wird.«
James Godfrey schabte seine Tasse auf dem Untersetzer hin und her. »Ich will das nicht so unterschreiben. Vielleicht beginnt mal eine Zeit, wo die Menschen tatsächlich lernen, den Teufel zu begreifen. Ich jedenfalls hätte nichts dagegen.«
Unter dem Tisch stieß Ellie ihren Mann heimlich an. Lady Sarah hatte es trotzdem gesehen, gab aber keinen Kommentar und machte sich ihre Gedanken. Wenn sie nicht alles täuschte, schienen sich die Godfreys schon öfter über dieses Thema unterhalten zu haben.
Irgendwie hatte sie das Gefühl, als Störenfried zu wirken. Sie war schon zu lange geblieben, deshalb trank sie die Tasse auch ziemlich hastig leer, zudem versickerte ihre Unterhaltung allmählich. »So«, sagte die Horror-Oma, »jetzt habe ich euch aber genug aufgehalten. Ich werde mich mal wieder auf den Heimweg machen.«
Die Godfreys hatten nichts dagegen. »Soll ich dir noch ein Taxi herbeitelefonieren?« , fragte James.
»Nein, ich gehe ein paar Schritte zu Fuß, das tut gut. Unterwegs winke ich mir dann einen Wagen herbei.«
»Wie du möchtest.«
Lady Sarah griff nach ihrem Stock, den sie immer mitnahm, wenn sie unterwegs war.
James war in der Diele verschwunden. Mit der grünen dünnen Kostümjacke aus Leinen kehrte er zurück und half Lady Sarah galant in das Kleidungsstück hinein.
»Ich danke dir.«
»Keine Ursache. Manchmal bin ich noch ein Kavalier der alten Schule. Wie früher, weißt du noch, wenn dein Mann die Gesellschaften gegeben hat und der Adel eingeladen war. Herrje, waren die vornehmen Leute oftmals betrunken.«
»James – bitte«, sagte seine Frau. »Darüber spricht man nicht. Das behält man für sich.«
»Ja, entschuldige. Ich dachte eben nur an die alten Zeiten. Ist ja nicht tragisch.«
Lady Sarah reichte Ellie die Hand. »Vielen Dank für den netten Nachmittag und auch den angebrochenen Abend. Ich habe mich bei euch sehr wohl gefühlt.«
Ellie lächelte warmherzig zurück. Sie umfasste Sarahs Finger mit beiden Händen. »Wir freuen uns, dass es dir bei uns ein wenig gefallen hat. Endlich kam der Besuch zustande.«
»Ja, wo wir beide in London wohnen. Beim nächsten Mal seid ihr an der Reihe. Ich rufe euch an.«
»Gern.«
Die Horror-Oma wollte sich auch von James verabschieden, der schüttelte den Kopf. »Nein, Sarah, ich begleite dich noch nach draußen.«
»Das ist nett, aber nicht nötig, James. Ich finde den Weg auch allein.«
»Dann bis zum Fahrstuhl.«
»Meinetwegen.«
James öffnete der Horror-Oma die breite Wohnungstür und hielt sie auch offen, damit Sarah vor ihm den Flur verlassen und auf den Gang treten konnte.
Das alte Haus war sehr breit gebaut worden. Auf jeder Etage wohnten zwei Familien, sie störten sich kaum, weil die Räume jeweils an den Enden des Ganges lagen.
Unten lebte nur das Personal. Da befand sich aber die große Halle, in der sich die sechs Hausbewohner oft trafen, im Winter um das Kaminfeuer saßen und über gewisse Dinge diskutierten.
Der Fahrstuhl unterbrach den Gang ungefähr in der Mitte. An der Decke brannten flache Rundlampen. Sie gaben einen warmen Schein. »Wird Zeit, dass es mal wieder wärmer wird«, sagte James. »Erst die Hitze, jetzt diese Kühle, das ist nicht gut.«
»Da hast du recht.« Lady Sarah war vor dem Fahrstuhl stehen geblieben und schaute durch das Gitter.
»Die Kabine ist unten«, sagte James. »Ich hole sie dir hoch.« Er drückte auf einen bestimmten Knopf. Schon sehr bald wurde die Stille des Hauses von einem heftigen Rattern unterbrochen. Der Fahrstuhl schien sich nur widerwillig in Bewegung setzen zu wollen. Er rappelte und ratterte der ersten Etage entgegen, dass einem angst und bange werden konnte. Lady Sarah kannte diese alten Dinger. Sie gefielen ihr besser als die modernen Liftkabinen, die kalt waren und ohne Flair.
Die große Kabine besaß eine Gittertür, die von James Godfrey aufgezogen wurde. »Bitte einsteigen, die Lady«, sagte er und verbeugte sich linkisch.
»Danke.«
Lady Sarah ging vor. James schloss die Gittertür, als die Horror-Oma sich umdrehte. Sie kam sich jetzt vor, wie in einem Käfig eingesperrt, hinter dem James stand und ihr zum Abschied noch einmal heftig zuwinkte. »Auf bald dann.«
»Ja, gern.«
Sarah wusste genau, wo sie drücken musste, um den Fahrstuhl in Bewegung zu setzen. Unter der braunen, hölzernen Decke brannte eine Kugelleuchte, die eine Reinigung hätte vertragen können, weil der Fliegendreck sie von außen beklebt hatte. Das Rattern beim Start machte Lady Sarah nichts aus, trotzdem wollte sie sich aus einem Sicherheitsgefühl heraus, festhalten.
Sarah Goldwyn hatte den Gitterstab kaum umfasst, als sie zwischen dem Metall und ihrer Handfläche etwas Glitschiges spürte. Sie ekelte sich, eine Gänsehaut bildete sich auf ihrem Rücken, und sie nahm die Hand schnell wieder weg.
Es war hell genug, um sehen zu können, was sich auf der Fläche befand und in was sie hineingefasst hatte.
Eine dunkle, sirupartige Flüssigkeit hatte sich schlierenartig auf ihrem Handteller verteilt.
Dunkel wie Blut!
Die Horror-Oma schluckte. Plötzlich war der Spürsinn in ihr erwacht. Wie kam ausgerechnet Blut an den Gitterstab? Doch nicht einfach so, das musste einen Grund gehabt haben.
Plötzlich war ihr überhaupt nicht mehr wohl. Wenn sie ehrlich gegen sich selbst war, so hatte sie dieses große, alte Haus nie gemocht. Es war ihr vom ersten Augenblick des Betretens irgendwie unheimlich gewesen. Sie hätte keinen konkreten Verdacht äußern können, es war nur ein Gefühl gewesen. Trotz der hoch liegenden Decken besaß dieses Haus ein bedrückendes Flair.
Und jetzt das Blut …
Fast wäre Lady Sarah noch gefallen, als der Aufzug hielt. Der Ruck war ziemlich heftig gewesen. Sie musste sich noch einmal festklammern, diesmal an einer anderen Stange, auch ohne Blut.
Sarah Goldwyn stieg noch nicht aus, obwohl eine innere Stimme sie davor warnte, länger in diesem Gebäude zu bleiben. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, führte sie es auch durch, dabei nahm sie auf sich selbst und die eventuell drohenden Gefahren keine Rücksicht.
Sie suchte den Boden der Kabine ab. Wenn das Blut an der Stange geklebt hatte, dann musste es auch nach unten geronnen und sich als Flecken auf dem Boden ausgebreitet haben.
Sie schaute genau hin und glaubte, nicht weit von der beschmierten Stange entfernt, einen dunklen Fleck zu sehen, der nicht zum Holz des Bodens passte.
Sie bückte sich, fühlte mit den Fingerspitzen nach. Der Tropfen war schon eingetrocknet und nicht so ohne Weiteres als Blut identifizierbar. Für Sarah jedoch war es Blut.
Dass sie es gefunden hatte, dafür musste es einen Grund geben, den Sarah herausfinden wollte. Sie suchte sehr genau nach, stieß auch die Tür auf und verließ die Kabine.
In der großen Halle fand sie nichts. Der Boden war frisch gewischt und gebohnert worden.
Über ihr hing ein großer Kronleuchter. Keine Birne brannte dort. Nur Wandleuchten gaben Helligkeit, die allerdings für eine gründliche Untersuchung nicht ausreichte.
Lady Sarah stand vor der Kabine und überlegte, was sie unternehmen sollte. Weiter im Haus bleiben und es untersuchen oder einfach hinausgehen und denken, es wäre nichts geschehen?
Es gab noch eine dritte Möglichkeit. Sie konnte wieder hoch zu den Godfreys gehen und ihnen berichten, was sie entdeckt hatte. Ungewöhnlicherweise nahm sie von dieser Alternative Abstand. Sie wusste selbst nicht genau warum, es war wohl ein tiefes Misstrauen, das sie plötzlich überkommen hatte, auch vor den Godfreys.
Zwischen diesen Wänden stimmte etwas nicht. Alles sah so normal, fast harmlos aus, aber es gab trotzdem Dinge, die nicht zu fassen oder zu begreifen waren, die praktisch dazwische lauerten und bei Sarah Goldwyn das ungute Gefühl aufkommen ließen, das sich verdichtete und die Horror-Oma daran denken ließ, eventuell in einer Falle zu stecken.
Es war wohl ihr Schicksal, stets in Fälle hineinzustolpern, an denen andere Menschen vorbeigingen.
Sie dachte darüber nach, dass drei Ehepaare in diesem Haus wohnten. Das waren sechs Personen. Wenn diese sechs zusammenhielten und gegen sie standen, hatte sie keine Chance.
Aus diesem Grunde beschloss Sarah, das Haus zu verlassen. Sie wollte mit Jane Collins oder John Sinclair über ihre Vermutung reden und dann nachhaken.
Die Horror-Oma ging auf die breite Eingangstür zu. Sie musste durch die große Halle schreiten. Mal lief sie auf einem weichen Teppich, dann wieder auf dem normalen Holzboden, wo sie sich vor dem Echo ihrer eigenen Schritte fürchtete.
Es war alles so anders geworden. Dieses Haus gefiel ihr überhaupt nicht mehr. In seinem Innern war es kalt, ohne Wärme, es kam ihr vor wie ein Labyrinth.
Sarah drehte sich auch nicht mehr um, als sie die Tür erreichte und die Hand auf die Klinke legte. Sie drückte sie herunter, wollte die Tür aufziehen und stellte fest, dass sie es nicht schaffte. Die Haustür war verschlossen.
Man hatte sie in eine Falle gelockt!
*
Das wurde Sarah Goldwyn schnell klar, und ihr Herzschlag beschleunigte sich plötzlich. Dass sie eine starke Angst bekommen hätte, davon konnte sie nicht ausgehen. Nur wuchs die Unruhe in ihr. Wenn die Haustür auch verschlossen war, so würde es ihr trotzdem gelingen, den Bau zu verlassen. Sie dachte an die Fenster, deren Scheiben sie mit ihrem Stock einschlagen konnte.
Noch war es nicht soweit.
Lady Sarah drehte sich um. Sie tat dies so rasch wie möglich, weil sie das Gefühl hatte, beobachtet zu werden.
Da war niemand.
Sie schaute in die außer ihr menschenleere Halle, sah die Sessel vor dem Kamin plaziert, die Türen im Hintergrund der Halle, die breite Treppe, die Teppiche, aber keines der Ehepaare, die in diesem Gebäude wohnten.
Bevor Lady Sarah zu härteren Maßnahmen griff oder sich an die Godfreys um Hilfe wandte, wollte sie zusehen, das Haus aus eigener Kraft zu verlassen.
Bestimmt gab es noch einen Hinterausgang, von dem Sarah hoffte, dass der nicht verschlossen war.
Sie schritt quer durch die Halle, passierte dabei den Aufzug und erreichte eine dicke Bohlentür, die ebenfalls verschlossen war. Bei dem zweiten und dritten Hinterausgang erlebte sie das Gleiche. Für Lady Sarah stand jetzt endgültig fest, dass man sie bewusst eingesperrt hatte.
Nur den Grund konnte sie sich nicht vorstellen. Weshalb sollten die Menschen, die zu ihren Bekannten zählten, sie einschließen? Sarah konnte sich beim besten Willen keinen Grund vorstellen. Es sei denn, man wollte etwas von ihr.
Sie trat zurück und dachte daran, dass ihr jetzt tatsächlich nur die Scheiben blieben. An die Godfreys wollte sie sich nicht mehr wenden, die steckten bestimmt mit den anderen Ehepaaren unter einer Decke und hatten eine ganze Menge zu verbergen.
Lady Sarah hatte sich umgedreht und ging wieder zurück. Es war am besten, wenn sie das Fenster direkt neben der Tür nahm. Dann war sie gleich vorn im Park und konnte bis zur Straße durchlaufen.
Die Horror-Oma befand sich etwa in Höhe einer der beiden Säulen, als sie die Schritte vernahm.
Sie kamen die Treppe hinab. Sie hörte das Aufschlagen der Sohlen und Absätze, dicht danach ein Schleifen, als würde jemand einen Fuß hinter sich herziehen.
Und die Schritte nahmen an Lautstärke zu. Die noch nicht sichtbare Person musste sich die Treppe hinabbewegen.
Lady Sarah blieb hinter der Säule. Sie wollte sich so spät wie möglich zeigen. Möglicherweise verließ die Person das Haus, dann musste sie die Tür öffnen, und das war dann die Chance der Horror-Oma.
Sie konnte genau heraushören, wann der Unbekannte die Treppe verlassen hatte. Jetzt befand er sich in der großen Halle. Ging er tatsächlich auf die Tür zu?
Lady Sarah peilte um die viereckige Säule. Ihre Blickrichtung war gut, sie konnte die Gestalt sehen.
Es war ein Mann. Er trug einen Hut auf dem Kopf, einen braunen Mantel, hielt einen Stock umklammert und wirkte, als wollte er ausgehen. Etwas störte Sarah.
Das waren die dunklen Brillengläser. Sie verdeckten die Augen des Mannes, wie es nur die Brille eines Blinden vermochte.
Blind?
Sarah Goldwyn erinnerte sich plötzlich daran, dass ihre Freundin Ellie von einem im Haus wohnenden Ehepaar berichtet hatte, bei dem der Mann blind war.
Ihr fiel sogar der Name des Paars ein. Der Mann musste Caspar Richberger sein.
Er ging nicht bis zur Tür, sondern blieb in Höhe der breiten Sitzgruppe stehen. Dabei hielt er den Kopf etwas angehoben, als wollte er in den Raum hineinlauschen.
Hatte er möglicherweise etwas von Lady Sarah bemerkt? Man sagt Blinden ja nach, dass sie ein besonderes Gespür für gewisse Dinge besitzen. Sie konnten nicht sehen, dafür aber umso besser fühlen und auch Strömungen wahrnehmen.
Jetzt drehte er den Kopf in Sarahs Richtung. Zuerst zuckte die Horror-Oma zurück, dann schalt sie sich eine Närrin und trat aus ihrer Deckung hervor.
Sie bemühte sich dabei, sehr leise zu sein und so wenig Geräusche wie möglich zu verursachen, der blinde Mann hatte sie dennoch bemerkt, denn er schaute in ihre Richtung.
»Wer ist da?«, fragte er und schwenkte seinen Stock.
»Mein Name ist Sarah Goldwyn«, erklärte die Horror-Oma und schritt näher auf den Blinden zu. »Sind Sie Mr. Richberger?«
»Ja, der bin ich. Aber was machen Sie hier als Fremde?« Seine Stimme klang ungeduldig.
»Ich komme hier nicht heraus.«
»Was heißt das?«
»Es ist abgeschlossen. Ich meine, sämtliche Türen hier unten sind verschlossen.«
Im Gesicht des Blinden bewegte sich zunächst nichts. Dann hatte Lady Sarah den Eindruck, als würde über seine Lippen ein knappes Lächeln huschen. Danach hörte sie die Antwort. »Ja, es passiert öfter, dass abgeschlossen ist.«
»Würden Sie mir vielleicht die Tür aufschließen?«
»Nein!«
Lady Sarah lachte unecht. »Weshalb nicht? Was habe ich Ihnen getan? Weshalb schließen Sie mir nicht den Eingang auf? Ich möchte wieder nach Hause, Ich habe die Godfreys besucht.«
»Das weiß ich.«
»Wie schön. Dann wissen Sie sicherlich auch, dass ich nicht länger bleiben möchte. Schließlich ist es schon Abend.«
»Ich werde Sie jedenfalls nicht aus dem Haus lassen«, erklärte der blinde Mann.
»Schön, ich sehe ein, dass Sie es nicht können, wenn Sie keinen Schlüssel haben. Dann holen Sie am besten die Godfreys, damit die mir aufschließen. Oder sagen Sie ihnen Bescheid. Ich habe lange genug hier herumgestanden und möchte endlich weg.«
»Niemand wird Sie weglassen!« Der Mann sprach noch in Lady Sarahs letzten Satz hinein.
»Wieso das nicht?«
»Weil Sie bleiben werden. Hier bei uns.« Der Blinde lachte meckernd. Er hob seinen Stock an. Es sah aus, als wollte er ihn wie eine Lanze gegen Lady Sarah benutzen, sodass diese sich gezwungen sah, einen kleinen Schritt zurückzutreten.
»Sie sind ja nicht ganz bei Sinnen!«, beschwerte sich Sarah. »Wenn mich hier niemand aus dem Haus lassen will, sehe ich mich gezwungen, eine Fensterscheibe einzuschlagen. So einfach ist das.«
»Sie werden nichts einschlagen.«
»Wollen Sie mich daran hindern?«
»Ja.«
Sarah Goldwyn, die wahrlich nicht auf den Mund gefallen war, wusste in diesen Augenblicken nicht, was sie noch erwidern sollte. Diese Antworten empfand sie als reine Unverschämtheit, als Provokation. Der Blinde ließ es tatsächlich darauf ankommen. Nicht nur er, wahrscheinlich steckten die anderen fünf Hausbewohner unter einer Decke, die Godfreys eingeschlossen.
Das gefiel der Horror-Oma überhaupt nicht. Sie hielt bereits nach einem Gegenstand Ausschau, mit dem sie die Scheibe zertrümmern konnte, als der Blinde seine Forderung noch einmal deutlich unterstrich. Diesmal mit seinem Stock.
Aus ihm wurde eine Waffe.
Er schwang ebenso hoch wie sein Arm. Auf einen Knopfdruck am Griff schoss plötzlich aus der Öffnung ein langes, spitzes Messer hervor!
Wenn Richberger tatsächlich nicht sehen konnte, musste er ein unwahrscheinlich gutes Gefühl für Entfernungen besitzen, denn die Klingenspitze berührte fast Lady Sarahs Kinn. Vielleicht eine Fingerdicke davon war sie entfernt.
»Am besten wäre es jetzt für Sie, nichts zu tun, Mrs. Goldwyn. Gar nichts. Nicht einmal mit den Wimpern zu zucken.«
Sarah schluckte. Sie war blass geworden. Auf der Stirn glitzerten kleine Perlen aus Schweiß. Sie störte nicht so sehr das Messer, noch etwas anderes gefiel ihr nicht. Dieser Mann kannte sich sehr gut aus. Und er hatte ihren Namen so flüssig ausgesprochen, als hätte er ihn schon vorher gehört und nicht erst vorhin durch sie.
Hatte man ihr vielleicht eine heimtückische Falle gestellt? Wenn ja, dann waren die Godfreys auch daran beteiligt. Aber was hatte sie ihnen getan? Nichts. Nach Jahren hatten sie sich wiedergesehen. Lady Sarah war von dem Ehepaar eingeladen worden.
Bestimmt hatten die Godfreys sich vorher über Sarah informiert. Sie mussten wissen, mit welchen Dingen sie sich beschäftigte und dass auch Jane Collins bei ihr wohnte. Jane war ein Schwachpunkt. Die Hölle hatte versucht, ihre Dienerin zurückzuholen. Gelungen war es dem Teufel und seinen Schergen nicht, dennoch würde die andere Seite nie aufgeben und alles daransetzen, Jane und auch Sarah Goldwyn irgendwie zu treffen, was bei beiden auch mit dem Tod enden konnte.
Sarah schaute gegen die runden Gläser der dunklen Brille. Was dahinterlag, konnte sie nicht erkennen. Das Glas wirkte, als wäre es mit schwarzer Farbe bepinselt worden.
»Sie werden jetzt genau das tun, was ich Ihnen sage, Mrs. Goldwyn, erklärte der Blinde. »Auch wenn ich mein Augenlicht verloren habe, ich sehe trotzdem, nur eben auf eine andere Art und Weise. Ich weiß zum Beispiel, dass sich die Spitze meines Messers dicht vor ihrem Hals befindet und ich nur mehr meine Hand nach vorn zu drücken brauche, um sie tödlich zu erwischen.«
»Sie würden mich tatsächlich ermorden?«
»Sicher!«
»Was habe ich Ihnen getan, dass Sie sich mir gegenüber so verhalten? Weshalb hassen Sie mich?«
»Nicht Sie persönlich, Mrs. Goldwyn. Die Umstände haben mich dazu gezwungen.«
»Welche?«
»Man wird es Ihnen später schon erklären.«
Die Horror-Oma hatte genau verstanden. »Dann stecken Sie alle hier unter einer Decke?«
Der Blinde lachte leise. »Wir sind gewissermaßen Verbündete und haben ein Ziel.«
»Darf ich darüber mehr erfahren?«
»Nein, nicht jetzt. Vielleicht später, aber darüber müssen wir noch abstimmen.« Caspar Richberger räusperte sich. »Drehen Sie sich um und gehen Sie bis zum Kamin.«
Lady Sarah entschied sich schnell. Die Bewegung war ihre einzige Chance, noch einigermaßen heil aus dieser Klemme herauszukommen. Sie drehte sich und handelte gleichzeitig.
So schnell und heftig tauchte sie weg, dass ihr schon schwindlig wurde. Richberger bemerkte es. Er stach auch zu, nur traf er nicht mehr. Die Klinge fehlte, sie zupfte nur mehr an Lady Sarahs Jackenärmel.
In den folgenden Sekunden zeigte Lady Sarah, dass auch sie nicht ohne war. Der Stock verwandelte sich in eine Schlagwaffe, und Sarah konnte damit umgehen.
Sie hämmerte ihn schräg gegen den Nacken des Blinden, traf auch, der Mann taumelte zur Seite und bekam den nächsten Treffer mit. Diesmal hatte die Horror-Oma zugestoßen.
Richberger ächzte. Er beugte sich nach vorn. Pfeifend entwich die Luft aus seinem Mund. Die Gestalt zitterte, und Lady Sarah erwischte ihn mit einem dritten Schlag, der Richberger zu Boden schickte.
Ihn hatte sie ausgeschaltet. Der Mann verlor den Hut. Schütteres Haar wuchs zu beiden Seiten des Kopfes. Auch die Brille war verrutscht. Lady Sarah konnte einen Teil der Augen sehen. Innerhalb der Höhlen wirkten sie wie zwei grauweiße Inseln.
Da krachte der Schuss!
Sarah Goldwyn hatte das Gefühl, im Zentrum einer Explosion zu stehen. Sie traute sich nicht mehr, auch noch einen Schritt zu gehen. Die Einschläge der Ladung lagen nicht weit von ihr entfernt, sie hatten ein Stück Teppich und die Holzdielen des Bodens aufgehackt.
An der Treppe aber stand James Godfrey. Mit beiden Händen hielt er eine doppelläufige Schrotflinte umklammert, die genau auf Sarah Goldwyn wies …
*
Vom Boden her lachte der Blinde. Er tastete dabei nach seinem Hut. Sarah bekam dies nur aus dem Augenwinkel mit, ihr hauptsächliches Interesse galt James Godfrey.
»Also doch«, sagte sie.
Godfrey lachte. »Natürlich. Was hattest du denn gedacht?«
»Gedacht nichts«, erwiderte die Horror-Oma. »Ich habe doch nur gehofft, dass es nicht wahr sein würde.«
»Es ist wahr.«
»Ja – leider.«
Der Blinde stand auf. Er keuchte wütend. »Ich würde ihr am liebsten jetzt das Messer in den Rücken jagen.«
»Lass es sein, Caspar.«
»Aber sie hat mich geschlagen – mich!«
»Ich weiß. Vielleicht bekommst du noch deine Chance. Zunächst sind wir an der Reihe.«
Mit dem »wir«, meinte er die Menschen, die sich hinter ihm auf der Treppe verteilt hatten und so wirkten wie eine Schauspielertruppe bei einem Bühnenauftritt.
Auf der zweiten Stufe hielt sich Ellie auf. Auch sie hatte sich bewaffnet. In der rechten Hand hielt sie eine lange Schere. Auf Ellies Gesicht lag noch immer das freundliche Lächeln, sie bekam es einfach nicht weg, das musste ein Geburtsfehler sein, doch auf Sarah wirkte es in diesem Augenblick wie eine Eisdusche.
Die anderen verteilten sich auf den übrigen Treppenstufen. Sie standen auch versetzt zueinander.
Da war einmal ein älterer Mann, der einen schweren Kerzenleuchter festhielt. In seiner Nähe stand eine böse blickende Frau mit einem verkniffen wirkenden Gesicht. Sie hatte sich mit einem langen Schraubenzieher bewaffnet. Aus den Augen dieser Frau strahlte Lady Sarah Hass entgegen.
Die beiden mussten die Wouks sein. Ellie und James hatten Lady Sarah die Namen der Mitbewohner aufgezählt.
Den Schluss dieses Reigens bildete Diana Richberger. Eine an sich gemütlich wirkende Frau mit wohlfrisierten, grauen Haaren. Wäre nur nicht das überlange Messer gewesen, das schon eher einer Machete glich und besser in den Dschungel gepasst hätte.
Sie sprachen nicht. Sie ließen Lady Sarah schauen, beobachten und nachdenken.
Das tat sie auch. Und sie sah ein, dass sie keine Chance gegen diese Übermacht hatte. Sechs alte Leuten hatten sich zu einem verbrecherischen Bund zusammengeschlossen und jede Person sah aus, als würde sie auch vor einem Mord nicht zurückschrecken, wenn es darum ging, ein gestecktes Ziel zu erreichen.
Ellie bewegte sich als Erste. »Du bist intelligent genug, Sarah, um einzusehen, dass du keine Chance hast.« Sie trat neben ihren Mann und blieb dort stehen.
»Ja.« Lady Sarah nickte. Hinter sich vernahm sie das hechelnde Atmen des Blinden. Sie sah es nicht, aber sie konnte sich vorstellen, dass sein Messer wieder auf sie zeigte.
Ellie sprach weiter. »Du glaubst gar nicht, wie wir uns hier alle gefreut haben, dass du unsere Einladung angenommen hast. Das war unsere große Chance.«
»Inwiefern?«
»Das werden wir dir später erklären«, sagte James. »Zuvor möchten wir dir noch etwas zeigen.«
Das letzte Wort wirkte wie ein Startsignal. Die Anwesenden setzten sich in Bewegung und verließen die Treppe. Sie verteilten sich in der Halle und blieben so stehen, dass sie einen großen Halbkreis um Lady Sarah bildeten.
Einer verließ die Reihe. James Godfrey trat der Horror-Oma entgegen, ohne dass die beiden Mündungen der Schrotflinte auch nur einmal an ihr vorbeigezielt hätten.
»Wir werden einen kleinen Spaziergang innerhalb des Hauses unternehmen. Für gewisse Dinge eignen sich alte Keller vorzüglich. Auch wir lieben sie.«
»Wollt ihr mich dort gefangen halten?«
»Zunächst ja.«
»Und dann?«
»Kommt es auf dich an, ob wir dich töten oder noch am Leben lassen, liebe Sarah?«
Mrs. Goldwyn schüttelte den Kopf. »James«, sagte sie leise, »ich verstehe dich nicht mehr. Was ist nur in dich gefahren? Ich weiß nicht, ob ich dich bemitleiden soll.«
»In mich gefahren?« Godfrey hob seine Augenbrauen. »Irgendwie hast du recht. Vielleicht ist es der Teufel!« Er grinste, und seine Augen bekamen einen harten Glanz.
»Es muss der Teufel sein!«
»So ist es. Wir haben uns ihm verschworen, liebe Sarah, und wir haben festgestellt, dass wir noch zu etwas nütze sind und nicht zum alten Eisen gehören. Die Hölle hat uns anerkannt, die Menschen nicht. Deshalb wohnen wir hier und dienen ihm. Wir haben Großes vor, und du wirst uns dabei helfen.«
Lady Sarah stimmte nicht zu und sprach auch nicht dagegen. Sie wollte erst einmal abwarten.
»Du wirst vorgehen. Nimm die zweite Tür dort hinten. Sie führt in den Keller.«
»Gut.« Sarah holte tief Luft. Ihren Stock hatte sie nicht losgelassen. Die rechte Hand hatte sie so hart um den Griff geklammert, dass die Knöchel scharf vorsprangen. Sie war bleich geworden. Manchmal zuckte die dünne Haut auf ihren Wangen.
Natürlich überlegte sie, wie sie aus dieser verfahrenen Lage wieder herauskam. Eine Chance sah sie nicht. Aus eigener Kraft war es unmöglich. Sie richtete ihre Hoffnungen allein auf Jane Collins, die beunruhigt sein würde, wenn Sarah nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder bei ihr eintraf. Glücklicherweise wusste die Detektivin, wohin die Horror-Oma gegangen war.
Aber Jane allein würde auch nicht viel ausrichten können. Wenn sie schlau war, alarmierte sie John Sinclair.
Mable Wouk öffnete die Tür. Es war die Frau mit dem Mörderblick und dem Schraubenzieher in der Hand. Als sie sich wieder umdrehte, blieb sie vor Sarah stehen. Halboffen stand der Mund. »Wir kriegen dich noch!«, zischte sie. »Du wirst klein werden, ganz klein.« Sie zeigte es mit Daumen und Zeigefinger an.
»Aber Mable, mach ihr doch keine Angst! Vielleicht wird sie auch bald eine von uns sein. Sei ein wenig freundlicher.« James hatte Mable Wouk angesprochen.
Die aber wollte nicht. »Nein, James, nicht diese Frau. Ich brauche nur in ihr Gesicht und in ihre Augen zu schauen, um erkennen zu können, was mit ihr los ist. Die ist gefährlich, die gibt nicht auf. Die kriegen wir nie hin.«
»Sie ist doch nicht dumm«, widersprach Ellie.
»In diesem Fall ja.«
»Wir werden sehen«, sagte Godfrey. Er schaute zu, wie sich Mable an Lady Sarah vorbeischob. »Öffne die Tür, Sarah.«
Der Horror-Oma blieb nichts anderes übrig, als der Aufforderung nachzukommen. Kaum hatte sie die Tür aufgezogen, als eine Automatik reagierte und Licht den Keller erhellte.
Ein normaler Keller war es nicht. Zwar musste Lady Sarah eine Treppe hinabsteigen, doch die Wände rechts und links zeigten keine weiße Farbe, sie waren mit roten und schwarzen Tüchern verhängt, auf deren Vorderseiten oft genug die Fratze des Teufels durchschimmerte. Das Dreiecks-Gesicht des Höllenfürsten Asmodis.
Lady Sarah schluckte. Jetzt hatte sie den Beweis bekommen, dass die sechs Personen tatsächlich dem Satan huldigten.
»Geh immer weiter!«, wurde ihr zugeflüstert. »Nur keinen Aufenthalt, bitte sehr. Wir wollen dir noch etwas zeigen …«
Lady Sarah ließ die Stufen mit zitternden Schritten hinter sich. Ein ziemlich breiter Gang schloss sich an. Auch seine Wände waren verkleidet, der Boden mit einem dunkelroten, seidig schimmernden Teppich ausgelegt, sodass die Füße darin versanken.
Die Decke hatte man schwarz angestrichen. Ein ungewöhnlicher Geruch schwängerte den Keller. Er war nicht süßlich, aber auch nicht ätzend. Eine Mischung aus beidem. Die Quelle des Geruchs bekam Sarah Goldwyn nicht zu sehen, denn sie musste in einen schmaleren Gang eintreten, an dessen Decke nur eine schmale Lampe brannte.
Der Gang endete vor einer Tür.
»Zieh sie auf!«
Lady Sarah überkam ein Gefühl der Angst und gleichzeitig des Wissens. Sie ahnte, dass sie etwas Schreckliches sehen würde, zögerte noch und spürte die kalte Klinge des Messers an ihrem Hals. Gleichzeitig hörte sie die Stimme des Blinden.
»Mach schon …«
Da zog sie die Tür auf. Das Licht im Gang reichte aus, um auch den kleinen Kellerraum zu erhellen.
Der aus ihm strömende Leichengeruch schlug Lady Sarah auf den Magen. Sie wollte die Augen schließen, konnte es aber nicht. So sah sie die beiden Toten, die nebeneinander lagen.
Ein kleiner Mann, wohl ein Liliputaner, und neben ihm lag ein junges Mädchen.
Beide waren gewaltsam vom Leben in den Tod befördert worden, und ihre Mörder hatten keine Rücksicht gekannt. Sarah brauchte nur an die Waffen zu denken, mit denen die sechs Personen ausgerüstet waren, um zu wissen, welche Mordinstrumente benutzt worden waren.
Es war James, der sie ansprach. »Hast du jetzt bemerkt, dass wir nicht spaßen, liebe Sarah …?«
»Ja …«
»Wie schön. Von jetzt an wirst du genau das tun, was wir dir sagen, alte Freundin …«
*
Der Dunkle Gral!
Ich konnte noch immer nicht richtig begreifen, dass ich ihn tatsächlich gefunden hatte und er sich jetzt in meinem Besitz befand. Eigentlich merkwürdig, denn schon seit Längerem hatte er in meiner Wohnung gestanden, ohne dass ich gewusst hatte, dass es der Dunkle Gral gewesen war. Ich kannte das gute Stück nur als Kelch des Feuers, doch beide waren identisch!
Hinter mir und meinen Freunden Suko und Bill lag ein Abenteuer, das uns zu einem alten Templer-Friedhof geführt hatte und zu einer Kirche, unter deren Mauern der Dämon Garinga hauste, der erst vernichtet werden musste, damit ich an den Dunklen Gral herankam.
Ich hatte es geschafft, mit seiner Hilfe und der des Kreuzes Baphometh zu besiegen und seinen menschlichen Diener van Akkeren zu vertreiben.
Ob Baphometh vernichtet worden war, konnte ich nicht behaupten. Jedenfalls hatte er eine schwere Niederlage einstecken müssen, von der er sich nur langsam erholen würde, wenn überhaupt.
Wenn man so etwas hinter sich hat, wie es bei mir der Fall gewesen war, kommt automatisch das Gefühl und das Bewusstsein, ein neues Kapitel im Buch des Lebens aufgeschlagen zu haben. Bei mir war es so. Zwar würde ich noch viel von den anderen Kapiteln mit in die neuen Abschnitte hineinschleppen, aber der Dunkle Gral würde mir Gebiete erschließen, die für mich Neuland waren.
Er konnte mir Aibons Welt öffnen. Ich dachte dabei auch an das Rad der Zeit, einen sehr wichtigen Faktor im Spiel der Kräfte, da verschmolzen dann Begriffe wie Zukunft, Gegenwart oder Vergangenheit, und mir wurde ebenfalls bewusst, dass ich über die Herkunft des Grals so gut wie nichts wusste.
Ich hatte den Kelch des Feuers damals in einem alten Kloster aufgetrieben, es hatte auch eine Verbindung zwischen ihm und der Kugel der leider verstorbenen Wahrsagerin Tanith gegeben, aber viel mehr war mir auch nicht bekannt.
Und nun stand er vor mir, und ich sah ihn mit völlig anderen Augen an. Noch immer war er ein Kunstwerk. Aus Gold bestehend, mit einer breiten Öffnung, innen und außen handwerklich hervorragend verarbeitet. Glatte Flächen ohne Makel, die innen zu einem Boden zusammenliefen, den ich jetzt sah, ihn aber auch anders kennengelernt hatte, als sich das Gesicht der Tanith darin zeigte.
Er war der Weg zu vielen Dingen, eine Tür, die ich nur aufzustoßen brauchte.
Leider besaß ich noch nicht den richtigen Öffner.
Ich drehte ihn zwischen meinen Händen und dachte daran, wer ihn hergestellt haben könnte. Es war nicht der Gral, wie man ihn aus der Mystik und der Geschichte her kannte. Parcival hatte nach ihm gesucht, weil er glaubte und viele Zeitgenossen damals ebenfalls, dass der Gral das Gefäß gewesen ist, in dem das Blut des Gekreuzigten aufgefangen wurde.
Nein, damit hatte meiner nichts zu tun. Falls es den anderen Gral tatsächlich gab, existierten möglicherweise Verbindungen zwischen den beiden. Darüber brauchte ich mir jetzt den Kopf nicht zu zerbrechen.
Ich sah auch die Zeichen an der Außenseite. Geheimnisvolle Symbole, Zeichen aus einer anderen Zeit, aus einer fernen Epoche. Möglicherweise orientalisch, weil dieses Gebiet als Wiege der Menschheit bezeichnet werden konnte.
Um das alles herauszufinden, benötigte ich viel Zeit, die mir hoffentlich auch gelassen wurde, denn ich durfte nicht vergessen, dass auch andere Personen hinter dieser »Beute« hergewesen waren.
Baphometh und van Akkeren hatten es versucht. Beide waren wieder einmal zurückgeschlagen worden. Aber der Grusel-Star würde sich erholen. Nicht umsonst wollte er die verbrecherische Templer-Gruppe wieder auf den alten Baphometh-Kurs einschwören, den es schon im Mittelalter gegeben hatte.
Dagegen standen die anderen Templer, mit dem leider erblindeten Abbé Bloch an der Spitze, der trotzdem nicht unterschätzt werden durfte, weil er den Würfel besaß und sicherlich durch seine Hilfe auch Kontakt mit dem Gral aufnehmen konnte.
Und ich dachte auch weiter zurück. An einen Mann namens Hector de Valois. Er hatte den Gral angeblich auch gekannt, und ich hatte schon einmal als Hector de Valois gelebt.
Doch der Gral war meiner Ansicht nach älter, viel älter. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass seine Entstehung tief in der alttestamentarischen Zeit lag und ich irgendwann und irgendwo in die gewaltige Einflussspähre eines König Salomo geriet, woran ich ja schon geschnuppert hatte.
Sehr viel lag hinter mir, Abenteuer, die manchmal mehr als unfassbar waren, vieles würde ich als Erbe mit hineinnehmen, aber noch mehr würde vor mir liegen.
So etwas fühlte man einfach.
Wenn man in seiner Wohnung sitzt – dazu noch allein – und über die Dinge nachdenkt, kann es passieren, dass einen Menschen so etwas wie Melancholie überkommt.
So erging es mir. Natürlich hätte ich Suko oder Bill holen können, doch Bill gehörte zu seiner Familie, und Suko hatte gespürt, dass ich an diesem Abend für mich sein wollte. Er störte mich nicht.
Auch der Inspektor hatte seinen Packen zu tragen, denn seine Partnerin Shao hatte einen Weg eingeschlagen, den er noch immer nicht akzeptieren konnte.
Sie war nicht mehr bei ihm und hatte den Weg eingeschlagen, der durch ihr Erbe vorgezeichnet war. Auch Shao musste ihrem Schicksal gehorchen, denn sie war die letzte Nachfahrin der Sonnengöttin Amaterasu.
Ja, es hatte sich viel getan in all den Jahren. Gegner waren erschienen und ausgeschaltet worden. Dafür kamen neue, die Hölle ließ sich immer etwas einfallen.
Aber auch mystische Ereignisse hatten unseren Weg geprägt. Wir hatten andere Dimensionen kennengelernt, uns hatte es in die tiefste Vergangenheit verschlagen, wir hatten Wolfsmagien erlebt, uns mit Vampiren herumgeschlagen und auch Zombies erledigt. Voodoo war für uns kein Fremdwort mehr. Ebensowenig wie die Mystik und die Mythologie des fernen Asiens.
Aber immer waren wir auch an Grenzen gestoßen. Bis hierher und nicht weiter hatte es oft genug geheißen. Jetzt besaß ich den Dunklen Gral und möglicherweise die Waffe, die auch in der Lage war, diese Grenzen einfach einzureißen.
Das Grübeln hatte keinen Sinn, doch es gibt immer wieder Momente, wo der Mensch anfängt, so etwas wie eine Bilanz zu ziehen. An diesem Abend war es bei mir soweit.
Ich lehnte mich zurück und zündete mir eine Zigarette an. Neben mir stand eine Flasche Bier. Zur Hälfte hatte ich sie bereits geleert, den Rest kippte ich jetzt ins Glas und schaute zu, wie die kleinen Schaumblasen allmählich zerplatzten.
Superintendent Sir James Powell, mein Chef, hatte mir vorgeschlagen, einige Tage Urlaub zu machen. Ich hatte weder zugestimmt noch abgelehnt und wollte ihm erst am nächsten Tag Bescheid geben. Wenn ich allerdings aus dem Fenster schaute, verging mir die Lust auf Urlaub. Die Hitzewelle war vorbei. Ein kaltes Atlantik-Tief hatte die sommerlichen Temperaturen in den Keller gedrückt. Dicke Wolken brachten Regen, der vom Wind durch die Straßen gepeitscht wurde, als wollte er damit die Riesenstadt London von allem Unrat reinigen.
In den südlichen Ländern war es heiß. Griechenland stöhnte unter einer selten erlebten Hitzewelle, die schon mehr als 200 Todesopfer gekostet hatte.
Dann lieber im regnerischen London bleiben oder im kühlen Schottland wandern und abends in den kleinen Gasthöfen einkehren, wo es den guten Whisky gab und man den Geschichten der Einheimischen lauschen konnte.
Urlaub in Schottland war nicht einmal schlecht. Ich hätte ihn sogar bei meinen Eltern verbringen können, die in einer herrlichen Gegend wohnten. Die beiden alten Herrschaften würden sich bestimmt freuen.
Auch ich lächelte bei dem Gedanken daran, mich mal zehn Tage von der Mutter verwöhnen zu lassen. Dann allerdings würde ich mit Übergewicht nach London zurückkehren, denn meine Mutter glaubte immer noch, einen Jungen vor sich zu haben, der noch wachsen musste.
Mütter waren eben so. Sie würden sich nie ändern, solange sich die Welt drehte.
Ich schaute auf die Uhr. Ohne Anmeldung konnte ich auch nicht losfahren. Ich musste ihnen zumindest Bescheid geben und auch wissen, ob sie selbst zu Hause waren.
Der Gedanke gefiel mir immer mehr. Es war einfach gut, einmal die ganzen Dinge zurückzulassen, die mich beschäftigt hatte, mal an nichts denken, nur einfach in den Tag hineinleben, lange schlafen, spazieren gehen, wieder schlafen, abends in der Kneipe hocken, auch mal Karten spielen und …
Ich verzog das Gesicht, denn in meine Urlaubsgedanken hinein schrillte der moderne Quälgeist, das Telefon.
Das hatte mir noch gefehlt.
Zuerst wollte ich das Klingeln ignorieren, schaute auch auf meine Uhr, aber es war noch nicht so spät. Ich entschloss mich, aufzustehen und abzuheben.
»Ja bitte«, sagte ich nicht gerade freundlich.
»John – du?«
»Jane.« Ich war überrascht, ihre Stimme zu hören.
»Störe ich?«
»Unsinn, du störst nie.« Das war nicht einfach so dahingesagt, es stimmte tatsächlich. »Was gibt es denn?«
»Ich habe ein Problem.«
»Und welches?«
»Es geht diesmal nicht um mich und mein Gesicht, sondern um Sarah Goldwyn.«
Ich horchte auf. »Was ist mit ihr?«
»Das kann ich dir auch nicht sagen. Jedenfalls mache ich mir um sie Sorgen. Sie ist weggefahren und noch nicht zurückgekehrt. Sarah wollte alte Bekannte besuchen und hätte eigentlich schon zurück sein müssen, sie ist es nicht.«
Ich lachte in den Hörer. »Kindchen, nimm das nicht tragisch. Lady Sarah wird sich verquatscht haben. So etwas passiert häufig. Da würde ich mir keine Gedanken machen.«
»Aber sie ist schon ziemlich lange überfällig. Und da war dann noch der Anruf.«
»Welcher?«
»Der Anrufer hat sich nicht mit seinem Namen gemeldet. Er erklärte mir nur, dass ich zu Hause bleiben sollte. Er würde noch einmal anrufen und mir gewisse Dinge bekanntgeben.«
»Hängen die mit Lady Sarah zusammen?«
»Das weiß ich eben nicht, John. Erwähnt in dieser Richtung hat er jedenfalls nichts. Mein Gefühl sagt mir nur, dass ich sehr vorsichtig sein muss. Es kann alles anders kommen.«
»Was hast du dir vorgestellt?«
»Es ist ja noch nichts passiert, John. Ich wollte nur wissen, ob ich mich auf dich verlassen kann.«
»Immer.«
»Du bist also zu Hause?«
»Ja.«
»Dann werde ich wieder mit dir telefonieren, sollte der Unbekannte noch einmal angerufen haben.«
»Tu das.«
Wir hängten beide ein, und ich zog ein nachdenkliches Gesicht. Was Jane mir da mitgeteilt hatte, konnte natürlich völlig harmlos sein, aber auch der Beginn eines neuen Falles.
Es stimmte. Sarah Goldwyn, die Horror-Oma, war eine verläßliche Person. Wenn sie erklärte, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder zurück sein wollte, dann war sie auch da. Wenn sie sich verspätete, rief sie stets an und erklärte den Grund. Janes Besorgnis war auch für mich verständlich.
Ich nahm das Telefon und stellte es vor mich auf den Tisch. Eigentlich hatte ich noch eine Flasche Bier leeren wollen, das ließ ich zunächst bleiben. Ich musste nüchtern sein, falls sich dieser Fall tatsächlich zu einem solchen entwickelte.
Jetzt wurde mir die Zeit lang. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die lange auf irgendetwas warten können. Meine Nervosität nahm zu, je mehr Zeit verstrich.
Ich schaute auf die Uhr.
Seit Janes Anruf waren schon mehr als fünfzehn Minuten vergangen. Draußen wurde es allmählich dunkel. Die Dämmerung schob sich wie eine gewaltige Wand vor, die den gesamten Himmel einnahm.
Dicke Wolken wirkten wie Ungeheuer, die lauernd über der Riesenstadt an der Themse lagen, als warteten sie auf die große Chance, zuschnappen zu können.
Momentan fiel kein Regen, aber die Straßen glänzten noch nass. In dieser Nässe spiegelten sich unzählige Lichter.
Ohne Vorwarnung schrillte der Apparat. Auf dem Absatz fuhr ich herum, ging die paar Schritte vom Fenster bis zum Tisch und hob ab. Ich brauchte meinen Namen erst gar nicht zu sagen, Jane meldete sich schon vorher.
»John, es ist soweit.«
Am Klang ihrer Stimme erkannte ich, dass sich etwas ereignet hatte. »Was ist passiert?«
Sie schluckte. Ich hörte sie vor der Antwort scharf atmen. »Sie haben Lady Sarah.«
Ich begriff noch nicht. »Wie? Wer hat Lady Sarah?«
»Die … die Leute.«
»Bei denen sie eingeladen war? Ihre Bekannten oder Freunde?«
»So ist es.«
»Aber Jane, das sind Bekannte. Was sollten sie mit Sarah Goldwyn? So wie du gesprochen hast, klingt es, als wäre Sarah entführt worden. Und zwar von ihren alten Freunden.«
Jane Collins lachte mir ins Ohr. »Freunde ist gut, John. Sarah Goldwyn hat das Ehepaar Godfrey jahrelang nicht mehr gesehen, wie sie mir sagte. Da kann sich viel ereignet und verändert haben, glaub mir. Für mich steht fest, dass es eine Falle gewesen ist. Man hat Sarah Goldwyn hineingelockt.«
»Und das weißt du genau?«