John Sinclair Großband 52 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Großband 52 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

10 gruselige Folgen der Kultserie zum Sparpreis in einem Band!

Mit über 300 Millionen verkauften Romanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen verkauften Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horror-Serie der Welt.
Begleite John Sinclair auf seinen gruseligen Abenteuern aus den Jahren 1978 - 1989 und ziehe mit ihm in den Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit. Erlebe mit, wie John Sinclair zum Schrecken der Finsternis wurde und die Serie Kultstatus erreichte.

Tausende Fans können nicht irren - über 640 Seiten Horrorspaß garantiert!
Dieser Sammelband enthält die Folgen 511 - 520. Jetzt herunterladen und losgruseln!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 1325

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Jason Dark
John Sinclair Großband 52

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2015 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2025 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © Vicente B. Ballestar

ISBN: 978-3-7517-8322-4

https://www.bastei.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

https://www.sinclair.de

John Sinclair Großband 52

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

John Sinclair 511

John Sinclair – Die Serie

Fenster der Angst

John Sinclair 512

John Sinclair – Die Serie

Hard-Rock-Zombie

John Sinclair 513

John Sinclair – Die Serie

Sandra und die Mördermaske

John Sinclair 514

John Sinclair – Die Serie

Macumbas Totenhöhle

John Sinclair 515

John Sinclair – Die Serie

Schreie aus dem Werwolf-Brunnen

John Sinclair 516

John Sinclair – Die Serie

Monster-Kirmes

John Sinclair 517

John Sinclair – Die Serie

Mr. Todds Killerspiele

John Sinclair 518

John Sinclair – Die Serie

Höllenparadies (1. Teil)

John Sinclair 519

John Sinclair – Die Serie

Das Auge von Atlantis (2. Teil)

John Sinclair 520

John Sinclair – Die Serie

Ich jagte das Hexen-Trio (1. Teil)

Guide

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Contents

John Sinclair – Die Serie

John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.

Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.

Fenster der Angst

O Gott! Nein, bitte nicht! Ich bin nicht tot! Ich lebe noch! Ich … ich … hört ihr mich denn nicht? Ihr könnt mich doch nicht begraben! Das geht nicht, nein …«

Julia glaubte, die Sätze zu schreien. Tatsächlich tosten sie nur durch ihr Gehirn wie die Teile eines Mosaiks, die sich zu einem Bild des Schreckens zusammensetzten.

Von den beiden Männern hörte sie keiner. Es waren abgerissene Gestalten, die eine traurige Aufgabe zu übernehmen hatten. Sie mussten das Mädchen einsargen.

Erst achtzehn Jahre war die Kleine jung. In der Blüte ihrer Jugend hatte es sie erwischt!

Ein Unfall sagte man. Aber es gab Menschen, die mehr wussten, angeblich mehr wussten.

»Tot ist tot«, sagte einer der Männer und schaute sich im Raum um. Es war nicht mehr als ein Verlies, in dem es scheußlich roch.

Doch der Sommer war vorbei. Längst hatte der Herbst Einzug gehalten. Die Blätter fielen von den Bäumen und bildeten auf dem Boden eine zweite Schicht.

Der Raum gehörte zur Leichenhalle. Durch einen schmalen Gang konnte man ihn erreichen. Er besaß nur ein Fenster, dessen Scheibe verschmutzt war. Unter der Decke klebten die Spinnweben wie dickes Garn. Die Wände waren schmutzig und ebenfalls beklebt.

»Die »tote« Julia lag auf einem einfachen Holztisch. Nach jedem Benutzen wurde er gewaschen. Direkt über dem Tisch und dicht unter der Decke schaukelte die Laterne.

Die Ölfunzel gab ein weiches Licht, dessen Reflexe auch über das Gesicht des Mädchens huschten. Trotz seiner Starre war zu erkennen, dass es sich bei Julia um ein hübsches Mädchen handelte. Julia besaß etwas traurige, melancholisch wirkende Züge. Ihre Augen waren groß, in ihnen war die Trauer zu lesen, selbst jetzt, wo sie »gestorben« war.

Die beiden Bestatter waren Gelegenheitsarbeiter. Ihre Arbeit gehörte zu den Tätigkeiten, die niemand gern verrichtete. Man musste schon lange suchen, um Männer zu finden, die sich vor Toten nicht fürchteten oder ekelten.

Hank Boone tat diese Arbeit schon seit Jahren. Ansonsten hing er in den Gasthöfen herum und schlug sich durch kleinere Betrügereien durchs Leben. Ihm machte so leicht niemand etwas vor.

Der Anblick des Mädchens rührte ihn irgendwie. Sein Kumpan war erstaunt, als er sah, dass Boone mehrmals um die Leiche herumging und sie dabei betrachtete.

Er besaß wässrige Augen. In der unteren Hälfte des Gesichts wuchs ein dichter Bart. Seine Kleidung stank nach verfaultem Laub, zudem war sie feucht.

»Was hast du denn?«

Boone blieb stehen. »So jung noch«, sagte er. »Die Kleine hätte auch meine Tochter sein können.«

Der zweite Mann lachte rau. »Deine Tochter? Darf ich mal grinsen?«

»Wieso?«

»So etwas hättest du doch nicht fertiggebracht.«

»Halts Maul.«

»Die kommt in den Sarg, und damit hat sich die Sache. Ich weiß überhaupt nicht, weshalb du dich aufregst.« Der Sprecher bohrte in der Nase und kam dabei näher. »Wo willst du anfassen? Oben oder an den Beinen?«

»Ich nehme die Schultern«, sagte Boone.

»Gut, dann bringen wir es hinter uns.«

Der Sarg stand neben dem Holztisch, auf dem Julia lag. Es war eine schlichte Totenkiste, aus rohen Brettern zusammengenagelt. Zwischen ihnen existierten Lücken, als sollte noch Sauerstoff in den Sarg fließen, damit das Mädchen atmen konnte.

Aber Tote atmen nicht.

Und doch war es bei Julia anders. Sie war nicht tot, auch wenn es so aussah. Sie lebte, man hätte sie als scheintot bezeichnen können, und als Scheintote sollte sie auch begraben werden.

Furchtbar …

Julia spürte sogar die knochigen Finger, als Boone sie unter den Achseln anfasste und anhob.

Der andere hatte ihre Fußgelenke ergriffen. Er atmete lauter als sonst, eine Schnapsfahne wehte über den Körper der »Leiche«.

»Hast du sie?«

»Ja«, sagte Boone.

Beide Männer hoben sie vom Tisch. Obwohl die Laterne brannte, war es in der Leichenhalle kalt und düster. Hier herrschte nur ein Gesetz. Das des Todes. Der Sensenmann hatte sein Erbe hinterlassen, unsichtbar schwebte er zwischen den Wänden.

Sie brauchten mit ihrer Last nur wenige Schritte zu gehen, um Julia in den Sarg legen zu können. Der Deckel lag neben dem Unterteil, das nicht ausgepolstert war. Wer kein Geld besaß, der wurde auch entsprechend beerdigt. Man legte ihn in die raue Totenkiste, klappte den Deckel darüber – fertig.

Julia trug ein Leichenhemd. Auch dieses Gewand bestand aus dem billigsten Stoff, der aufzutreiben gewesen war. Man hatte das Hemd nur flüchtig zusammengenäht. Der Stoff würde sehr bald verwesen, vielleicht noch schneller als der Körper.

Julia bekam alles mit.

Wieder »schrie« sie. Es waren Schreie, die nur sie hörte, die in ihrem Kopf nahezu explodierten. Man hatte nicht einmal ihre Augen geschlossen. Weit standen sie offen und blickten durch das Fenster in den dämmrigen Tag.

Ein typischer Novembertag. Grau, düster, mit Nieselregen durchsetzt, der aus tiefhängenden Wolken fiel. Alles war feucht und klamm. Blätter torkelten traurig dem Erdboden entgegen. Manche Bäume waren schon kahl, andere besaßen noch ihr buntes Laub. An diesen Tagen wurde es nie richtig hell. Da kam die Dunkelheit, ohne dass von ihr groß Kenntnis genommen wurde.

. »Verdammt!« Boones Kollege fluchte, weil ihm ein Holzsplitter in den Finger gefahren war. Er hatte am Handgelenk eine kleine Wunde hinterlassen. Der Mann leckte das Blut ab.

»Was hast du denn?«

»Ich habe mich gestochen. Widerlich, diese Särge, dieses billige Zeug, verdammt.«

»Du wirst auch keinen besseren bekommen, wenn du den Löffel mal abgibst«, sagte Boone.

»Mir geben sie gar keinen.«

»Was dann?«

Boones Kollege grinste. »Ich kriege nur zwei Griffe angeschraubt …«

»Mehr hast du auch nicht verdient.«

»Halt die Klappe, Boone. Nimm lieber den Deckel und drück ihn drauf. Ich will hier nicht versauern.«

Boone wollte sich schon bücken, als dumpfe Schläge durch den kleinen Raum hallten. Von außen her hatte jemand an die Tür geschlagen.

Die beiden Männer schauten sich an. »Was ist das?«, fragte Quiller, der dabei an seiner kleinen Wunde lutschte. Er war groß und hager.

»Weiß ich nicht. Der Pfarrer?«

»Nee!« Quiller schüttelte den Kopf. »Der hat hier nichts zu suchen. Er will später kommen.«

Wieder hämmerte jemand gegen die Tür. Dreimal wurde geschlagen. Danach klang eine Frauenstimme auf, die kaum von der eines Mannes zu unterscheiden war. »Macht auf, ihr beiden Kerle! Los, öffnet schon, ihr versoffenen Leichenfledderer!«

Quiller verzog das Gesicht, als hätte man ihm Zitronensaft in den Hals gekippt. »Weißt du, wer das ist?«

»Klar. Die Frau des Totengräbers. Die alte Wilma Davies.«

»Was kann die wollen?«

»Keine Ahnung!«

»Soll ich öffnen?«

Boone nickte. »Ja, geh hin.«

Quiller schlich auf die schmale Tür zu. Sie war auch nicht sehr hoch. Ein normal gewachsener Mensch musste schon den Kopf einziehen, wenn er die Kammer betrat.

»Was willst du denn, Wilma?«

»Öffne, du Idiot!«

»Da kann ja jede kommen.«

»Ich will sie noch mal sehen. Hoffentlich habt ihr den Sarg noch nicht geschlossen.«

»Nein!«

»Dann lass mich endlich rein!«

Quiller warf Boone einen fragenden Blick zu. Erst als sein Kumpan nickte, öffnete er.

Für Wilma Davies ging es nicht schnell genug. Sie öffnete so kraftvoll, dass Quiller von ihr getroffen wurde. Er taumelte, wobei er sich lautstark darüber beschwerte.

»He, du alte Vettel, hast du es so eilig?«

»Halt die Klappe, du Hirnloser.«

Quiller lachte. »Mit dir möchte ich auch nicht verheiratet sein. Dein Mann hat nicht nur einen saumäßigen Beruf, sondern auch eine alte Schlampe zur Frau.«

Wilma fluchte nur. Sie nahm von Quiller und Boone keine Kenntnis. Mit trippelnden Schritten näherte sie sich dem Sarg.

Die Jüngste war sie nicht mehr. Hinzu kam die dunkle Kleidung, die sie noch trug. Der Rock reichte bis auf die Knöchel. Beim Oberteil wusste man nicht zu sagen, ob es sich dabei um ein Hemd oder um einen Pullover handelte. Das Kopftuch machte ihr Gesicht noch schmaler, als es eigentlich schon war. Ihre Haut sah verlebt aus, auch wenn sie jetzt durch das Laufen in der frischen, kühlen Luft leicht gerötet war. Der Mund wirkte verkniffen. Die kleinen Augen blickten lauernd und oft genug auch böse. Im Ort ging das Gerücht um, dass Wilma Davies eine der letzten Hexen war und ihren Mann Pernell nur deshalb geheiratet hatte, um nahe bei den Toten zu sein.

Neben dem Sarg blieb sie stehen.

»Und jetzt?«, fragte Boone.

Wilma Davies gab keine Antwort. Ihr Blick war starr auf die Tote gerichtet. Dabei zuckten die Lippen. Es hatte den Anschein, als wollte sie mit dem Mädchen sprechen, sie ließ es bleiben, grinste nur scharf und rieb ihre Hände.

»Könnt ihr mich für einen Moment mit ihr allein lassen?«, fragte sie zischelnd.

»Das geht nicht«, sagte Boone schnell.

Wilma zuckte hoch. »Weshalb nicht?«

»Weil es verboten ist. Wir sind für Julia Ashley verantwortlich. Wir haben dafür zu sorgen, dass sie in den Sarg gelegt wird.«

»Das habt ihr getan?«

»Ja, wir werden ihn noch schließen.«

Wilma lachte leise, bevor sie ihre rechte Hand in die Tasche des langen Rocks schob. Als Faust zog sie sie wieder hervor, öffnete sie, drehte die Hand so weit nach rechts, damit der Lichtschein auf die Fläche fallen konnte.

Schmutz hatte sich in die Haut gegraben, doch nicht so stark, als dass er das Funkeln hätte überdecken können.

Funkeln, wie Gold …

Quiller staunte. »Was ist das?«

Die Frau lächelte krächzend. »Gold, du Idiot. Das ist ein Goldstück, verstehst du?«

»Ja, das sehe ich.« Er rieb sein knochiges Kinn, warf Boone einen fragenden Blick zu und schüttelte den Kopf.

»Gehört es dir?«, fragte Boone. Er trat auf die Frau zu.

»Klar doch.« Sie schloss die Hand wieder zur Faust. »Nicht mehr lange, meine ich. Ihr könnt das Goldstück haben«, flüsterte sie und schaute die beiden dabei an. »Es gehört euch, versteht ihr? Ich will es gar nicht mehr.«

»Du hast es gestohlen, wie?«, fragte Boone.

»Nein. Ist das nicht egal?«

Boone hob die Schultern. »Ich glaube nicht, dass es echt ist.«

»Probier es aus!«

Boone zögerte noch. Als Wilma Davies einige Male nickte, überwand er sich und schaute es prüfend an.

Auch Quiller kam näher. »Was ist?«, fragte er. »Will sie uns reinlegen, oder ist es echt?«

»Das ist echt, glaube ich.«

»Natürlich. Denkt ihr, ich will euch reinlegen?«

»Das würde dir auch schlecht bekommen«, gab Quiller drohend zur Antwort.

Die Frau des Totengräbers winkte nur ab. Dann kam sie wieder zur Sache. »Was ist jetzt? Wollt ihr das Goldstück nun haben, oder nicht? Los, sagt was!«

»Nimm es schon!«, zischelte Quiller. Er war gierig, das war auch seinen Augen anzusehen.

»Nichts ohne Preis«, sagte Boone. »Was müssen wir dafür tun?«

Wilma hob die Schultern. »Eigentlich nichts. Fast gar nichts. Ihr braucht mich nur mit Julia allein zu lassen.«

»Mit der Toten?«, staunte Quiller.

»Siehst du noch eine andere Person?«

»Was hast du vor?«

Wilma ging auf Boone zu. »Ich möchte von ihr Abschied nehmen, verstehst du?« Sie streckte den linken Zeigefinger aus und tippte gegen die Brust des Mannes. »Mehr nicht. Nur von ihr richtig Abschied nehmen. Schließlich habe ich sie gekannt.«

Boone hustete. »Das ist mehr als komisch.«

»Meine Sache.«

»Sag doch ja, verdammt!« Quiller war aufgeregt. »Soviel haben wir noch nie bekommen.«

»Und ich werde niemandem etwas davon sagen«, erklärte Wilma Davies.

Boone hielt das Goldstück. Seine andere Handfläche wischte er an der Hose ab. Ihm war unwohl zumute. Eine innere Stimme warnte ihn. Er überlegte, suchte nach dem Trick, der dahintersteckte, nur fand er keinen. »Wie … wie nimmt man denn Abschied?«

»Das ist meine Sache.«

»Zieh das doch nicht in die Länge.« Quiller trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Das ist die Gelegenheit. Von dem Geld saufen wir uns einen Monat lang die Hucke voll.«

Boones Misstrauen blieb zwar, dennoch nickte er und zeigte sich somit einverstanden.

Wilma atmete auf. »Du hast einen guten Entschluss gefasst, Boone. Einen sehr guten sogar.«

»Das werden wir noch sehen.«

»Ganz bestimmt sogar.« Sie deutete auf die Tür. »Nicht länger als fünf bis zehn Minuten. Ihr könnt warten, bis ich rauskomme. Das ist ein Königslohn.«

»Oder ein Judaslohn«, murmelte Boone, als er schon zur schmalen Tür zuschritt. Er war auch als Erster draußen, blieb unter den Ästen einer blattlosen Buche stehen und schüttelte einige Male den Kopf.

»Was hast du denn?«

»Quiller, ich sage dir was. Wir hätten sie nicht allein lassen sollen. Die Alte hat etwas vor. Sie ist eine Hexe.«

»Und ich bin der Teufel!«, geiferte Quiller, bevor er laut auflachte und damit einige Vögel erschreckte, die flatternd in den dunstigen Himmel stoben …

*

Wilma Davies hatte erreicht, was sie wollte. Sie war mit der »Toten« allein. Einer Person, von der sie viel wusste, mehr als alle anderen.

Sie schlich auf den Sarg zu, blieb so dicht daneben stehen, dass ihre Fußspitzen das Holz fast berührten. Dann nickte sie. »Da liegst du nun, verdammte Hure!«, keuchte sie. »Jung warst du, sehr jung – und schön. Viel schöner, als ich es gewesen bin. Aber ich habe gewonnen, Julia Ashley, und du hast verloren. Als Tote liegst du hier im Sarg. Alle denken, dass du tot bist, aber ich weiß es besser. Wir beide wissen es besser.« Sie kicherte. »Hast du schon die Qualen gespürt? Hast du jedes Wort mitbekommen, das gesprochen wurde? Hast du gefühlt, wie man dich hochhob und in die Totenkiste legte, du elendes Miststück? Mein Mann hat sogar geweint, als er von deinem Tod hörte. Dieser Idiot hat geweint. Um dich, um eine kleine Hure. Du hast ihn umgarnt, diesen Trottel. Nun ja, das wird es nicht mehr geben, denn ich habe mich gerächt. Ich, Wilma Davies, die Hexe. Ja, in gewissem Sinne bin ich eine Hexe. Ich kenne die Kräuter, die man braucht, um einen Trank brauen zu können. Ich kenne alles, ich habe es an dir ausprobiert.«

Sie hatte gesprochen, ohne Luft zu holen. Jetzt trat sie zurück und strich über ihr Gesicht. Sie musste sich die Kehle freiräuspern. Es machte ihr Spaß, mit der Scheintoten allein zu sein, und sie kniete sich jetzt an der rechten Seite des Sargs nieder.

»Wie schön du noch bist, du kleine Hure, wie schön! Hast die Kerle verrückt gemacht, aber meine Rache war stärker. Man wird dich lebendig in die kalte Erde einlassen. Du wirst im Sarg liegen und langsam ersticken. Zuerst aber kommt die Angst. Gleichzeitig mit ihr auch der Hunger und der Durst. Du wirst in deiner Verzweiflung anfangen, dein Leichenhemd anzuknabbern. Das kennt man von anderen Scheintoten, deren Särge später geöffnet wurden. Aber zu spät …«

Sie schnellte fast hoch und kicherte über den Sarg hinweg. Dann ballte sie die Hände zu Fäusten, blieb stehen und suchte das Gesicht der Julia Ashley ab, ohne darin ein Zeichen von Leben zu finden. Es war tatsächlich so starr wie das einer Toten.

»Und weißt du was? Ich werde an deiner Beerdigung teilnehmen. Morgen wollen sie dich begraben. Sogar neben der Kirche, wie es sich gehört. Alle werden kommen und trauern, nur ich werde mich freuen wie ein kleines Kind. Und jetzt, du kleines Biest, ziehen wir einen Schlussstrich unter dein Leben.«

Nach diesen Worten bückte Wilma Davies sich und hob den dünnen Sargdeckel hoch.

Triumphierend hielt sie ihn mit beiden Händen fest. Sie räusperte sich die Kehle frei, damit ihr Lachen klar und deutlich über die Lippen drang. Danach beugte sie sich vor und ließ den Sargdeckel auf dem Unterteil nieder.

Ein leises Schaben entstand, als sie ihn so zurechtrückte, dass er auch fugendicht schloss.

Das gelang ihr.

Sie stellte sich aufrecht hin. Ihr Nicken zeigte Zufriedenheit an. »Niemand wird dich sehen, du kleines Biest«, sagte sie mit hasserfüllter Stimme. »Du wirst niemanden mehr verführen. Dafür aber langsam, sehr langsam sterben. Ja, stirb wohl, Julia …«

Es war ihre Abschiedsrede gewesen. Nach diesen Worten drehte sich Wilma Davies um und ging auf die Tür zu. Sie wollten die Leichenkammer endgültig verlassen.

Boone und Quiller hatten das Knarren der Tür gehört. Sie drehten sich um und sahen Wilma über die Schwelle treten.

»Alles in Ordnung?«, fragte Boone.

Die Frau nickte. »Ja, alles. Ich habe euch sogar eine Arbeit abgenommen und den Sargdeckel geschlossen.«

»Tatsächlich?«

»Natürlich.«

»Hast du sonst noch etwas getan?«

Wilma schüttelte den Kopf. »Nur Abschied genommen«, flüsterte sie. »Nur Abschied.« Sie starrte die beiden noch einmal an, die inmitten der dünnen Dunstschwaden standen und aussahen wie Gespenster. »Es bleibt unter uns. Zu niemandem ein Wort, verstanden?«

»Du kannst dich auf uns verlassen«, versprach Quiller.

»Das will ich auch hoffen.«

Für Wilma Davies war die Sache erledigt und ausgestanden. Sie ging davon, ohne ihren beiden Helfern noch einen Blick zu gönnen. Quiller und Boone fühlten sich trotz des Lohns unbehaglich. Sie gaben es nur nicht zu. Ihre Blicke sagten genug.

Boone ging noch einmal zurück. Der Sarg stand so auf dem Boden, wie sie ihn auch verlassen hatten. Nur etwas hatte sich verändert. Jetzt befand sich der Deckel darauf.

»Mich würde trotzdem interessieren, was sie mit der Toten angestellt hat, als wir draußen warteten«, sagte Quiller.

Boone drehte sich um. »Lieber nicht. Das sind Dinge, die uns nichts angehen. Wenn morgen die Beerdigung ist, bin ich nicht dabei. Da fahren wir weg und tauschen das Gold gegen Geld.«

»Einverstanden!«

Boone hämmerte die Tür zu. Für ihn war die Sache erledigt …

*

Es war Nachmittag, der Himmel zeigte auch an diesem Tag sein düsteres Grau, und durch die fast stehende Luft drang das dünne Bimmeln der Totenglocke.

Sie rief die Menschen zum Friedhof.

Julia Ashley wurde zu Grabe getragen. Ein achtzehnjähriges Mädchen, das so plötzlich gestorben war. Eine Person, die im Ort nicht einmal mehr Verwandte hatte. Sie war irgendwann gekommen und bei den Davies’geblieben. Ein Pflegekind, das von Wilma erzogen und auch ausgenutzt worden war. Ein Aschenputtel, das trotzdem zu einer Schönheit erblühte, worüber die Frau sich geärgert hatte. Später war dieser Ärger in Hass umgeschlagen, das jedoch wussten nur wenige.

Pernell Davies, zum Beispiel, ein bärenstarker, schweigsamer Mann. Er hatte Julia verführt, es war nicht umgekehrt gewesen. Nur hatte Wilma davon Wind bekommen.

Pernell Davies, der Totengräber, ahnte zwar, dass seine Frau hinter dem Tod des Mädchens steckte, nur konnte er ihr überhaupt nichts beweisen, was ihn wiederum ärgerte. Eigenhändig hatte er das Grab für Julia geschaufelt, ein viereckiges Loch im Boden, nahe der Kirche, deren graue Mauern den Toten den nötigen Schutz gaben.

Um das Loch hatten sich die Trauergäste versammelt. Viele waren es nicht. Einige Leute aus dem Ort, die sich freigenommen hatten. Der Pfarrer hatte seine Rede bereits gehalten. Er schaute Pernell Davies an, der direkt vor dem Grab stand und den Kopf gesenkt hielt.

»Willst du die erste Schaufel Erde werfen?«, fragte der Geistliche den Totengräber.

Davies schaute hoch und über den Pfarrer hinweg. Er sah aus, als wäre er mit seinen Gedanken ganz woanders. Sein Blick glitt gegen die mächtigen Bäume auf dem Friedhof. Zwischen dem Astwerk und den Stämmen hing traurig der Dunst.

Der November war nun mal der Totenmonat. Und das zeigte er den Menschen auch.

»Was ist nun, Pernell?«

Davies räusperte sich, bevor er sprechen konnte. »Ja, ich werde es machen.«

»Dann bitte.«

Der Totengräber brauchte nur einen halben Schritt nach rechts zu gehen, um den Lehmhaufen zu erreichen. Darin steckte das Spatenblatt; der Stiel schaute wie ein langer Finger hervor.

Als Pernell ihn umklammerte, zitterte seine Hand. Es überkam ihn wie eine Lawine. Er musste plötzlich an das Mädchen denken. Er sah sich und Julia in der Schlafkammer, im Wald, auch in der alten Hütte bei den Feldern, und er hatte sich selten so glücklich gefühlt, ebenso wie sie. Die beiden waren eine verschworene Gemeinschaft gewesen.

»Na, traust du dich nicht, du Hengst?«

Davies schrak zusammen. Er hatte nicht gehört, dass seine Frau an seine Seite getreten war. Sie stand so dicht bei ihm, dass sie sich fast berührten.

»Was willst du?«

»Auch Erde hinabwerfen. Schließlich hat die Kleine jahrelang bei uns gelebt.«

»Ja, und du hast ihr die Hölle bereitet.«

»Dafür du den Himmel, nicht?«

Pernells Finger umklammerten den Schaufelstiel so hart, als wollte er ihn zerbrechen. Am liebsten hätte er seiner Frau das Blatt um die Ohren gehauen, er beherrschte sich. Es waren zu viele Zeugen da, deren Blicke sich auf das Ehepaar gerichtet hatten.

Die meisten im Ort wussten, dass sie sich nicht besonders verstanden. So etwas konnte einfach nicht geheimgehalten werden. Im Dorf redete jeder über jeden.

Davies zog die Schaufel hervor. Er war ein schwerer Mann, ein etwas düster wirkender Typ, der stets gebeugt ging, als hätte er unter einer schweren Last zu tragen.

Seufzend atmete er ein. Die kleine Schaufel war mit der schweren, feuchten Erde bedeckt. Eine knappe Drehbewegung reichte. Die Erde rutschte vom Schaufelblatt und landete mit einem dumpfen Laut auf dem Sargdeckel, der unter dem plötzlichen Druck erzitterte.

Er brach nicht. Die Erde rutschte rechts und links zu Boden, und Wilma umfasste den rechten Arm ihres Mannes. »Gib die Schaufel her, jetzt bin ich an der Reihe.«

Pernell gönnte seiner Angetrauten keinen Blick, als er sich umdrehte. Sie hielt die Schaufel jetzt.

»Bitte«, sagte der Pfarrer. Wie alle anderen Trauergäste fror er auch in der Kühle.

»Natürlich.«

Die hexenhafte Frau stach das Schaufelblatt seitlich in den Lehmhaufen, zog es mit der Ladung wieder hervor und schleuderte die schwere Erde in das Grab, wo sie abermals polternd auf dem Deckel landete.

Auch sie rutschte ab. Sehr langsam, als hätte jemand an der Zeit manipuliert.

Plötzlich wurde Wilma Davies leichenblass. Sie sah etwas, sie schaute gegen und in den Sarg.

Ja, er war durchlässig geworden. Es gab den Deckel noch, und unter ihm lag sie, die Scheintote.

Deutlich erkannte Wilma ihr blasses Gesicht, das seinen mädchenhaften Zug noch nicht verloren hatte. Sehr traurige Augen lagen in den Höhlen wie in zwei Betten, und mit diesen Augen geschah etwas Unheimliches.

Zuerst bewegten sie sich, als wollten sie blinzeln und Wilma eine geheime Botschaft übermitteln. Dabei verdunkelten sich die Pupillen, sie bekamen mehr Farbe, die sich immer weiter verteilte und sehr bald die gesamten Augen ausfüllte.

Dunkel und flüssig.

Es war wie Sirup, der immer mehr Nachschub bekam, sodass die Augenhöhlen es nicht fassen konnten.

Die Flüssigkeit quoll über.

Sie verteilte sich auf der Haut unter den Augen und rann über das bleiche Gesicht.

Sternförmig verteilten sich die schmalen Rinnsale. Erst jetzt, wo es den Kontrast zwischen den Farben gab, konnte Wilma Davies erkennen, um was es sich dabei handelte.

Es war Blut!

Ja, aus den Augen quoll Blut. Die Scheintote weinte blutige Tränen.

Ein Bild, das selbst eine brutale Person wie Wilma Davies nicht kaltließ. Sie hatte die Arme heben wollen, um den Lehm in die Tiefe zu schleudern, stattdessen löste sie die linke Hand vom Stiel des Spatens und wischte über ihre Augen.

Dieses furchtbare Bild des im Sarg liegenden Mädchens brannte sich in ihrem Gedächtnis ein.

Nur sie sah es.

»Bitte, Mrs. Davies, überwinden Sie sich und erweisen Sie Ihrem Pflegekind den letzten Gruß«, sprach der Pfarrer in die Stille hinein. »Andere werden das auch noch tun.«

»Ja, ja …« Kurz und abgehackt stieß Wilma die beiden Worte hervor. Übernervös und hastig verneigte sie sich, wobei sie kurz danach die Schaufel zur Seite schleuderte, sich umdrehte und fast davongerannt wäre. Im letzten Augenblick riss sie sich zusammen.

Zitternd blieb sie unter dem Geäst eines Baumes stehen. Wilma war hochrot im Gesicht. Ihr Herz hämmerte, im Kopf spürte sie einen starken Druck. In diesem Augenblick hatte sie den Eindruck, dass mit dem Tod des Mädchens nicht alles zu Ende war.

Julia war nicht mehr scheintot. Sie konnte die Nacht nicht überstanden haben. Sie war zu einer echten Leiche geworden und gleichzeitig zu einer Toten, die blutige Tränen weinte.

Mit der rechten Faust schlug sie gegen die Rinde am Stamm und hörte die Stimmes ihres Mannes.

»Gewissensbisse, Wilma?« Der Klang war lauernd, irgendwie wissend. Sie vernahm noch das Knirschen unter seinen Sohlen, als er einen Schritt vorging.

Dann spürte sie seinen Atem, der warm über ihren Nacken glitt. »Geh!«, keuchte sie. »Hau endlich ab, du Lüstling!«

»Keine Vorwürfe, Wilma. Wer hier in der Schuld steht, müsste dir doch bekannt sein.«

»Verschwinde!«

»Was macht dein Gewissen, Frau? Weshalb hast du dich so seltsam benommen, als du in das Grab geschaut hast? Gab es dort etwas Besonderes zu sehen, Wilma?«

»Ja, einen Sarg. Und darin lag dein Liebchen. Aber jetzt ist es tot!«, zischte sie. »Es ist tot, verstehst du? Tot und tot …«

»Nicht so laut, Wilma. Die anderen brauchen das doch nicht zu hören. Es wird sowieso geflüstert.«

»Na und?«

»Weißt du überhaupt, was die Leute sagen? Was sie sich erzählen?«

»Ich will es nicht wissen.«

»Das kann ich mir denken. Bis später dann, Wilma. Ich habe ein gutes Gewissen.« Leise lachend ging der Totengräber davon und ließ seine Frau allein zurück.

Ich habe auch ein gutes Gewissen hatte sie sagen wollen. Es war ihr nicht über die Lippen gekommen. Nein, die hatte kein gutes Gewissen. Sie hatte Angst. Eine bittere, hündische Angst. Über ihrem Kopf lag eine Wolke, ein drohender Schatten. Er hatte sich dort zusammengebraut und würde auf sie niederdrücken.

Erst nach einer Weile drehte sich die Frau um. Man kondolierte bei ihr nicht, dafür bei Pernell. Der wiederum stand neben dem Pfarrer. Die beiden sprachen leise miteinander.

Manchmal schauten sie zu Wilma hinüber. Sie konnte diese Blicke einfach nicht länger ertragen, machte kehrt und lief über den schmalen feuchten Weg auf das Tor des kleinen Friedhofs zu, das offenstand. Obwohl sie darüber hinwegsah, bekam sie den Eindruck, als würde sich etwas in ihr Blickfeld schieben.

Das Gesicht der Julia Ashley, aus dessen Augen blutige Tränen über die bleichen Wangen rannen.

Erst jenseits der Mauer atmete sie auf. Sie stand jetzt im Schatten der Kirche, deren Turm alles andere überragte. Er stach in den grauen Novemberhimmel. Saatkrähen umschwirrten ihn und krächzten dabei voller Freude.

Was Pernell tat, kümmerte sie nicht. Sie wollte nach Hause und vorerst niemanden sehen.

Die Davies’wohnten nahe des Friedhofs. Es war nur ein Katzensprung zur Arbeitsstelle, wie Pernell stets zu sagen pflegte. Das alte Haus war baufällig. Den kleinen Anbau hatte Pernell erst vor zwei Monaten errichtet. Dort bewahrte er sein Werkzeug auf.

Im Sommer, wenn die Büsche Blätter trugen und auch die Bäume nicht kahl waren, konnten sie den Friedhof nicht sehen. Im Herbst und im Winter aber fiel ihr Blick vom Fenster aus auf die Grabsteine und Kreuze, die den Friedhof zeichneten.

Es war ein schauriges Bild, das Wilma einfach nur als schrecklich empfand.

Früher hatte es ihr nichts ausgemacht. Nach dem Tod des jungen Mädchens sah alles ganz anders aus.

Sehr viel anders …

Sie schloss mit zitternden Händen die Tür auf und tauchte in den muffigen Flur.

Die Zimmer zweigten erst in der schmalen Diele ab, die sich an die Stufen einer Treppe anschloss.

Sie ging in den Wohnraum, wo der Ofen noch Wärme abstrahlte. Durch das kleine Sichtfenster konnte sie die glühenden Kohlen sehen und hatte das Gefühl, als spiegelte sich das Gesicht des Mädchens darin wider.

»Nein, verdammt, du bist tot!«, brüllte sie und drehte sich so heftig um, dass sie dabei einen Stuhl zu Boden schleuderte.

Sie ließ sich schwer in den alten Sessel mit der durchgesessenen Sitzfläche fallen. Dahinter stand immer eine Flasche mit selbstgebranntem Kräuterschnaps. Wilma zeichnete sich dafür verantwortlich. Sie holte die Flasche hervor, entkorkte sie und rieb mit dem Handballen über den Rand der Öffnung. Den quietschenden Geräuschen lauschend, starrte sie dabei in die Düsternis des Raumes.

Wilma hockte im Sessel wie eine gemalte Figur. Furcht umkrallte ihr Herz. Die Angst war da, sie ließ sich nicht vertreiben, und sie drang immer höher.

Wilma trank.

Der scharfe Kräuterschnaps rann in ihre Kehle und tiefer dem Magen entgegen, wo er kein Gefühl der Entspannung brachte, wie sie es gern gehabt hätte. Sie hatte das Gefühl, als würde er sich dort verdichten und langsam fest werden.

Einige Tropfen rannen noch über ihre Unterlippe und am Kinn entlang, weil sie die Flaschenöffnung zu hastig vom Mund weggerissen hatte. Sie hustete. Dabei traten ihr die Augen aus den Höhlen. Dagegen half ein zweiter Schluck.

In der Tat vertrug sie den besser, blieb auch weiterhin im Sessel hocken und streckte nur die Beine aus.

»Ich … habe trotzdem gewonnen!«, keuchte sie. »Ich habe gewonnen, da kannst du machen, was du willst, du kleine Hure. Ich schwöre dir, dass ich gewonnen habe. Du bist tot, du wirst dich auflösen. Du wirst bald nur mehr Staub sein, aber ich, ich werde leben. Ja, ich werde leben.« Sie setzte die Flasche wieder an und trank den dritten Schluck.

Der wärmte besser durch, und er vertrieb auch den verdammten Kloß in ihrem Magen.

Sie rutschte mit den Füßen hin und her, knetete dabei ihre Finger, schluckte einige Male, winkte mit einer müden Bewegung ab und begann zu kichern.

»Tot«, sagt sie dabei. »Du bist tot, du kleine Hure. Du wirst es nicht mehr schaffen, das schwöre ich dir. Ja, das schwöre ich, darauf kannst du dich verlassen.«

Sie wischte über ihr Gesicht, auf dem sich Schweiß gebildet hatte. Dann sprach sie mit schwerer Stimme über das Bild. »Eine Täuschung, es ist eine Täuschung gewesen. Ich habe dich nicht gesehen. Man kann nicht durch einen Sarg schauen. So etwas geht einfach nicht. Das ist unmöglich. Ich habe dich auch nicht gesehen, ich …« Die nächsten Worte gingen unter in einem unverständlichen Brabbeln. Sie fühlte sich plötzlich so müde und abgeschlafft.

Die Flasche rutschte ihr aus den Fingern und kippte am Boden um. Gluckernd rann der Rest des scharfen Alkohols aus und versickerte im Teppich. Im Zimmer breitete sich ein widerlicher Gestank aus.

Davon merkte Wilma Davies nichts, denn sie war inzwischen eingeschlafen und schreckte erst hoch, als jemand sie anfasste und durchschüttelte.

Pernell, ihr Mann, stand neben dem Sessel.

Wilma musste sich erst zurechtfinden. Es dauerte eine Weile. Sie zwinkerte einige Male, lachte danach rau und fragte mit kratziger Stimme: »Na, hast du von deinem Liebchen Abschied genommen?«

»Werde nicht zynisch!«

»Was heißt zynisch. Es ist doch die Wahrheit.«

»Und du bist betrunken.«

Sie schaute hoch und schüttelte den Kopf. »Nein, jetzt nicht mehr. Ich habe auch von unserem Pflegekind Abschied genommen, aber auf meine Art und Weise, verstehst du?«

»Ja«, erwiderte der Totengräber fast stöhnend. »Das habe ich gesehen. Sogar überdeutlich. Du hast sie gehasst, nicht wahr?«

»Sicher. Du hast sie geliebt.«

»Na und?« Er hob die Schultern. Sein Gesicht war rot angelaufen. »Sie gab mir das, was du mir nie gegeben hast!«, sagte er ihr ins Gesicht. »Genau das war es.«

»Aber sie ist tot!«, kreischte Wilma. »Und ich lebe!«

Die Augen des Mannes nahmen einen harten Glanz an. »Man sollte dich wirklich hinterherschicken. Etwas anderes hast du nicht verdient. Nicht einmal vor dem Tod zeigst du Ehrfurcht. Jeder auf dem Friedhof hat es bemerkt. Dein Benehmen ist nicht verborgen geblieben, glaub mir das.«

»Es kümmert mich nicht.«

»Das weiß ich, denn du bist eine Person ohne Gewissen. Wo andere eine Seele oder ein Gewissen haben, da sitzt bei dir ein Stein.«

»Klar.« Sie lachte laut und breitete die Arme aus. »Ich bin auch eine Hexe.«

»Stimmt.«

»Soll ich dich mal verhexen?« Wilma stand auf, schwankte dabei leicht, und Pernell schlug ihre Hände zur Seite. »Verschwinde, geh weg von mir! Lass dich nicht mehr …«

Sie ging abwinkend an ihm vorbei. »Ach, hör auf, du lahmer Bock! Ich gehe jetzt nach oben und lege mich hin.« An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Hast du das Grab schon zugeschaufelt?«

»Das ist schließlich meine Pflicht.«

»Sonst hättest du dich doch neben dein Liebchen legen können.« Sie sprach’s und verschwand.

Pernell Davies wusste nicht, was er auf diese verächtliche Bemerkung erwidern sollte. Er kam darüber nicht hinweg. Seine eigene Frau erstickte an ihrem Hass.

Irgendwann würde er erfahren, wie Julia tatsächlich ums Leben gekommen war. Offiziell war sie an einem Herzschlag gestorben. Zuviel Aufregung, zu viel Arbeit.

Daran glaubte Pernell Davies nicht. Er war der festen Überzeugung, dass seine Frau nachgeholfen hatte.

Dann war es Mord, und der musste gesühnt werden!

*

Wilma Davies hatte mittlerweile das Schlafzimmer erreicht. Es lag in der ersten Etage. Sie und ihr Mann teilten sich den relativ großen Raum, in dem es ziemlich kühl war. Wilma fröstelte.

Es war auch feucht. Flecken an der Decke und an den Tapeten zeugten davon. Zudem fühlte sich das Laken des Oberbetts ebenfalls klamm an. In der Waschschüssel auf der Kommode schwamm noch das Wasser vom Morgen. Es sah grau aus. An den seitlichen Innenrändern der Schüssel hatte sich ein schmieriger Film gebildet.

Die Frau strich über ihre Augen, als sie sich auf die Bettkante setzte. Sie war müde, irgendwie auch benebelt, und sie bekam kaum mit, dass sie sich auszog und ihr Nachthemd überstreifte.

Sehr langsam fiel Wilma zurück. Sie versank mit dem Hinterkopf in dem weichen Kissen, das ihr vorkam wie eine Welle, die über ihrem Kopf zusammenschlagen wollte.

Es war noch nicht Abend, dennoch sehr dunkel im Raum. Durch das Fenster sickerte das graue Licht des Tages. Dunstschwaden zogen wie Tücher draußen vorbei.

Wilma konnte vom Bett aus direkt auf das Fenster schauen. Ihr kamen die Nebeltücher vor, als wollten sie ihr mit langen Dunstarmen Grüße zusenden aus einer anderen Welt.

Im Bett fühlte sie sich wohl. Die dicken Kissen gaben ihr einen gewissen Schutz. Auch wenn es kalt und feucht im Zimmer war, sie liebte das Bett über alles. Sie verkroch sich darin wie der Bär in seiner Höhle.

Ihr Mann kam nicht. Wie sie Pernell kannte, würde er auch nicht neben ihr schlafen. Der war bedient. Wilma hatte ihn eben zu hart und scharf angegriffen.

Er würde sich eben daran gewöhnen müssen, wieder mit ihr allein zu sein. Sein Liebchen konnte er vergessen.

Bei dem Gedanken an die Tote huschte ein Lächeln über ihre Lippen. Ah, wie hatte sie dieses junge Geschöpf gehasst, das den Kerlen den Kopf verdrehte. Der Tod war nach Wilmas Ansicht eine nur allzu gerechte Strafe für Julia Ashley gewesen.

Wilmas Gedanken zerfaserten. Zudem tat der Alkohol seine Wirkung. Sie hatte auch den Eindruck, über den Wolken zu schweben. Das Oberbett spürte sie kaum noch. Sie schwebte davon, kam sich vor wie die langen Dunsttücher vor dem Fenster.

Den Kopf hatte sie etwas schräg gelegt. So konnte sie gegen die Scheibe schauen und beobachten.

Die Bahnen blieben. Aber sie hatten sich verändert. Jetzt trieben sie nicht mehr von einer Seite heran, sie stiegen auch aus der Tiefe und gerieten in rollende Bewegungen.

Zudem waren sie heller geworden, als würden Sonnenstrahlen in die Nebel scheinen.

Wilma verwirrte dieses Bild. Sie konnte sich darauf keinen Reim machen. Gleichzeitig spürte sie tief in ihrem Unterbewusstsein etwas hochsteigen, für das sie nur eine Erklärung hatte.

Furcht …

Angst vor dem Unabwendbaren, vor einem Schicksal, das sie treffen würde und das sich gleichzeitig draußen vor der Scheibe allmählich abzeichnete.

Es waren nicht nur die Schwaden, die sich dort abzeichneten. Etwas kam, etwas stieg hoch, dieses helle Schimmern brachte es mit sich.

Es waren Haare.

Sorgfältig gekämmt und hellblond, dabei in der Mitte gescheitelt.

Wilma glaubte, wahnsinnig zu werden. Hinter der Scheibe zeichnete sich übergroß ein Gesicht ab. Sie sah es nicht ganz, dazu war das Fenster zu klein, der Ausschnitt jedoch reichte ihr.

Es war ihr Gesicht.

Das Gesicht der Julia Ashley, einer Toten!

Und es schwebte vor der Scheibe, als würde es an langen Fäden hängen.

Noch ein Stück glitt es höher, sodass Wilma die Wangen erkennen konnte. Dabei blieb es nicht, auch die Augen schwebten vorbei.

Augen, die bluteten!

Wie schon einmal, als ihr der Blick durch den Sargdeckel gestattet worden war, sah sie auch jetzt die blutenden Augen der blonden Julia, der Toten.

Das Gesicht wanderte nicht mehr weiter. Dafür bewegten sich die Pupillen, sie schauten nicht nur genau in das Zimmer, auch direkt auf Wilma Davies.

Die Frau lag im Bett, ohne sich zu rühren. Sie konnte nichts mehr tun, etwas hemmte sie. Eine würgende Angst hielt unsichtbar ihre Kehle zu, während die Augen auch weiterhin Blutstropfen abgaben, sodass diese über die bleiche Wange liefen.

Rinnsale aus Blut, ein Zeichen des Todes, ein Beweis für ein fernes Grauen.

Der Blick blieb.

Er war schaurig und schrecklich zugleich. Er brannte sich durch die Scheibe an der im Bett liegenden Wilma Davies fest.

Sie fühlte, dass es aus war. Ein Wesen war aus dem Reich der Toten gekommen, um auf ihre Art und Weise Rache zu üben.

Was Wilma auch getan hatte, es war vergessen. Sie wollte schreien, ihren Mann rufen, es war nicht mehr möglich. Etwas lastete auf ihrem Körper und eine ungewöhnliche Kälte stieg in ihr hoch.

So kündigte sich der Tod an, das wusste Wilma. Es war ein alter Volksglaube, den auch sie vertrat.

Unten aus dem Haus hörte sie Schritte. Pernell, ihr Mann, ging auf und ab. Er hätte sie als Einziger noch retten können, aber er hörte nicht ihr Ächzen und Würgen.

Minuten dauerte es an.

Wilma starb einen fürchterlichen Tod. Die Abrechnung der Gestalt aus dem Jenseits machte auch vor ihr keinen Halt. Sie wurde immer steifer und rechnete auch damit, dass ihr Bewusstsein sehr bald verlöschen würde.

Das trat nicht ein.

Starr blieb sie liegen. Sie sah, wie das Gesicht verschwand. Zuvor hatte es sich noch einmal hochgeschoben, sodass sie den Mund hatte erkennen können.

Und auf den Lippen das Lächeln.

Sie empfand es als widerlich und gleichzeitig triumphierend, aber sie war nicht mehr in der Lage, etwas zu unternehmen. Ihre Augen besaßen den starren Blick einer Toten, und auch ihr Körper kühlte allmählich ab.

Erst zwei Stunden später öffnete sich die Tür. Pernell Davies blieb wie vom Donner gerührt stehen, als er die reglose, schattenhafte Gestalt seiner Frau in der Düsternis liegen sah.

Er stand zwar etwas vom Bett entfernt, trotzdem erkannte er mit zielsicherem Blick, dass seine Frau nicht mehr lebte. Da hatte Pernell als Totengräber Erfahrung genug.

Auf Zehenspitzen trat er an das Bett. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel. Die Haut war grau geworden. Die Falten darin wirkten wie eingraviert.

Neben dem Bett blieb er stehen. Er prüfte sicherheitshalber nach, ob noch Leben im Körper seiner Frau steckte und legte zwei Fingerspitzen gegen die Stelle am Hals, wo sich die Schlagader unter der dünnen Haut abzeichnete.

Nein, das war nicht mehr zu spüren, seine Frau Wilma hatte das gleiche Schicksal ereilt wie Julia Ashley.

»Irgendwo«, sagte er, »scheint es noch eine Gerechtigkeit zu geben, Wilma.«

Nein, wollte sie schreien. Sie schrie es auch, aber niemand hörte sie. Es waren nur lautlose Gedanken, die sie formulieren konnte. Ihr Mann musste einfach davon ausgehen, eine Tote vor sich liegen zu sehen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Pernell Davies wandte sich ab und verließ das Zimmer. Er konnte keine Tränen vergießen, die Augen brannten nicht einmal, nur seine Gesichtszüge waren hart wie Granit.

Er ging die Treppe hinunter. Andere Leute mussten Bescheid wissen. Sollten sich die Menschen doch die Köpfe über diesen plötzlichen Tod zerbrechen, ihm war alles egal.

Genau zwei Tage später begrub Pernell Davies seine Frau. Und noch immer wusste er nicht, dass er eine Scheintote begrub …

Dies alles geschah im Jahr 1956, in dem auch ein gewisser Kenneth Bright das Licht der Welt erblickte …

*

Wir waren schon einen Abend zuvor eingetroffen, hatten im Ort übernachtet und uns am anderen Morgen zum Frühstück verabredet.

Wir, das waren Glenda Perkins, Suko und ich.

Der Anlass, der uns nach Rippon, einem kleinen Ort in Mittelengland geführt hatte, war ein trauriger. Wir mussten einen Kollegen beerdigen. Ken Bright hatte darauf bestanden, in seinem Heimatort begraben zu werden.

Rippon liegt im Industriegebiet zwischen Liverpool und Manchester. Man bezeichnete diese Gegend auch als das Armenhaus Englands. Ein Landstrich, in dem es einmal eine blühende Industrie gegeben hatte. Davon war nicht mehr viel zu spüren.

Die Fabriken standen leer, die Hallen moderten vor sich hin. Die Menschen vegetierten dahin. Und in dieser Verzweiflung gedieh das Verbrechen.

Besonders hart hatte es die Jugendlichen getroffen. Da war es fast schon verständlich, wenn jemand in dieser ausweglosen Lage nicht immer den Weg des Gesetzes einschritt.

Rippon lag praktisch am Ende des alten Industriegebietes, weit im Osten. Von leer stehenden Fabriken hatten wir nicht viel bemerkt, aber auch so war der Ort arm genug.

Diejenigen, die noch Arbeit besaßen, fuhren nach Manchester oder Bolton. Andere blieben zu Hause und warteten auf bessere Zeiten. Wie auch die Besitzerin des kleinen Hotels, dessen Zimmer sich hinter grauen Mauern verbargen.

Zwar hatte es Duschen gegeben, bei mir jedenfalls funktionierte sie nicht. Ich wusch mich über dem Waschbecken, zog mich an und kam mir in der dunklen Kleidung selbst traurig vor.

Ich hasse diese schwarzen Anzüge, die man zur Beerdigung trägt. Doch irgendwo muss man auch Kompromisse eingehen.

Vor der blinden Spiegelfläche band ich mir die Krawatte, ließ aber den oberen Knopf offen, um mich nicht zu strangulieren. Ein Blick aus dem Fenster sagte mir, dass wir das richtige Beerdigungswetter hatten.

Der November machte seinem Namen alle Ehre. Er hatte den Dunst geschickt, den dünnen Nebel, der auch tagsüber nicht wich und sich gegen Abend noch verdichtete. Dann hing er überall zwischen. Beim Einatmen bekam man den Eindruck, Gas zu trinken.

Ich nahm den Mantel mit, verließ das Zimmer, schloss es ab und ging den düsteren Gang entlang, wobei die Bohlen unter meinen Tritten knarrende Melodien »sangen«.

Auf der Treppe wehte mir der Geruch von gebratenem Speck entgegen. Wenigstens etwas Positives an diesem traurigen Tag. Die Wirtin hatte uns ein gutes Frühstück versprochen.

Im Frühstücksraum saß ein Gast und las in einer Zeitung. Es war Suko, der hochschaute, als er mich hörte.

»Morgen, John.«

»Grüß dich, Alter.« Ich nahm an seinem Tisch Platz, auf dem auch noch ein drittes Gedeck für Glenda stand, die den Weg noch nicht nach unten gefunden hatte.

Sensible Menschen konnten auch innerhalb des Frühstücksraums Depressionen bekommen. Die Tische und Stühle zeigten eine dunkle Farbe. Es waren auch keine weißen Tischdecken vorhanden, die einen Kontrast gebildet hätten, nur Sets lagen an den Plätzen. Die Tapeten besaßen eine graugrüne Farbe und waren von schmalen Fenstern unterbrochen. Die Luft stand im Raum. Ich öffnete ein Fenster und ließ zunächst einmal die kühle Herbstluft in den Raum.

»Das tut gut«, sagte Suko, der am Tisch sitzengeblieben war.

Ich stand am Fenster, schaute nach draußen und sah dabei in eine traurige Landschaft.

Es gibt die sogenannten schönen Herbsttage, wo die Sonne den Nebel auflöste und ihn gleichzeitig wie scharfgeschnittene Streifen aussehen ließ. Zu diesem Bild passte ein Herbstwald mit buntem Laub, einer dicken Schicht Humus auf dem Boden, blattlosen Sträuchern und ein blauer Himmel.

Das Bild, das mir geboten wurde, wäre nicht auf einem Kalenderblatt zur Geltung gekommen. Mein Blick fiel in eine trübe, graue Suppe, die sich so verteilt hatte, dass sie die Umrisse der meisten Gebäude einfach schluckte. Wir wohnten im Ortskern und kamen uns trotzdem vor wie auf einer Insel.

Ich drehte mich wieder um und schloss das Fenster. Die Schwingtür zur Küche schwappte auf, und die Wirtin betrat den Raum. Sie grüßte kurz, bevor sie in ihren Pantoffeln auf Sukos Tisch zuschlurfte, um den Teller mit Schinken und Speck abzustellen.

»Für Sie das gleiche, Mister?«

»Ja.«

»Und was ist mit der Lady?«

Ich hob die Schultern und schritt auf den Tisch zu. »Keine Ahnung. Vielleicht nimmt sie nur Kaffee.«

»Ja, ich bringe Ihnen eine Kanne.«

Sie schlurfte wieder weg. Die Frau trug einen bunten Kittel. Das schwarze Haar schien gefärbt zu sein. Es glänzte, war halblang geschnitten und reichte bis zu den Ohrläppchen.

Ich setzte mich Suko gegenüber.

»Kann ich schon anfangen?«

»Sicher.«

Suko schaufelte Ei und Schinken auf Löffel und Gabel. Er salzte noch etwas nach und nickte. »Ja, das schmeckt nicht schlecht. Ich bin angenehm überrascht. Eine gute Grundlage für einen so miesen Tag wie den heutigen.«

»In drei Stunden ist die Beerdigung.«

»Und in vier ist alles vorbei. Dann liegt Ken Bright bereits in der Grube.«

»Du sagst es.«

Suko schluckte Ei und Schinken. Die Wirtin brachte den Kaffee zusammen mit einigen Toastscheiben. »Und dich stört einiges an der ganzen Sache, John.«

»Mir gefällt Kens Tod eben nicht.«

»Herzschlag.«

Ich lachte auf. »Das hat man festgestellt, das sagt man, aber wir kannten ihn doch. Er war fünf Jahre bei uns. Oft genug haben wir mittags mit ihm in der Kantine oder in der Pizzeria gesessen. Ken war ein kerngesunder Bursche. Den warf so leicht nichts um. Der Junge hatte Spaß an seinem Job. Ausgerechnet er soll an einem Herzschlag gestorben sein? Das bei regelmäßigen Körper-Inspektionen, die bei uns durchgeführt werden? Suko, ich will daran nicht glauben.«

»Glaubst du an Mord?«

»Ich weiß nicht.«

»Noch ist Zeit. Du könntest mit dem Arzt sprechen, der die Todesursache unterschrieben hat.«

»Würde es etwas bringen?«

»Weiß ich nicht.«

»Nein, wahrscheinlich hat der Mann das wirklich festgestellt. Aber dem kann man nachhelfen.«

»Denkst du an Mord?«

»Ich schließe es zumindest nicht aus, Suko. Man kann an alles denken, man kann spekulieren. Ken ist hier in seinem Heimatort gestorben, als er einen Besuch bei seinen Eltern machte. Über die genauen Umstände ist wohl niemand informiert.«

»Dann sollten wir mit den Eltern reden.«

»Und das nach der Beerdigung. Ist auch nicht gerade das Wahre, wenn ich ehrlich sein soll.«

»Anders wirst du nichts herausfinden.«

Auch mein Frühstück wurde gebracht. Ich hatte mittlerweile schon eine Tasse Kaffee getrunken. Er schmeckte recht gut. Die Wirtin stellte mir den Teller vor die Nase und dreht sich um, weil Glenda Perkins den Raum betrat.

»Guten Morgen«, wünschte sie mit einer Stimme, die tonlos klang.

Wir drehten uns um. Glenda trug ein schwarzes, figurbetontes Kostüm und auch schwarze Strümpfe. Sie sah ein wenig blass aus, vielleicht hatte sie schlecht geschlafen.

»Was möchten Sie zum Frühstück, Miss Perkins?«, fragte die Wirtin.

»Nur Kaffee und Toast, bitte.«

»Steht schon auf dem Tisch. Guten Appetit.«

Die Frau ging, Glenda setzte sich und strich vergeblich den Rock tiefer. Er gehörte zu den modernen »Minis«, die gerade noch die Knie bedeckten. Zudem war er ziemlich eng geschnitten.

»Gut geschlafen?«, fragte ich.

Glenda schenkte Kaffee ein und schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Wir auch nicht.«

»Das waren schlimme Stunden«, sagte Glenda. »Ich hatte das Gefühl, in einer Zelle zu liegen.« Sie hob die Tasse an und nahm die ersten Schlucke. Danach verzog sie den Mund. »Es war komisch, John. Dann funktionierte meine Dusche nicht.«

»Da können wir uns die Hand reichen«, sagten Suko und ich fast zur gleichen Zeit.

Glenda lächelte. »Wenigstens ist der Kaffee recht gut.«

»Und mein Essen auch«, gab ich zu.

»Guten Appetit.« Glenda griff zu einer Toastscheibe. Sie kratzte die Butter darauf. »Gibt es sonst noch irgendwelche Neuigkeiten?«

»Nichts mehr.«

»Wir sprachen gestern Abend über Kens Tod. Seid ihr auch heute der Meinung, dass er mehr als außergewöhnlich ist?«

»John schließt einen Mord nicht aus!«, sagte Suko schnell.

Ich hob einen Arm. »Moment, mein Freund, so darfst du das nicht sehen. Ich habe mich nur gewundert, dass Ken Bright einem Herzschlag erlegen ist, wo er kerngesund war.«

»Das kann doch passieren«, sagte Glenda. »Außerdem war sein letzter Fall, an dem er gearbeitet hat, wohl nicht so brisant, als dass er einen Mord gerechtfertigt hätte.«

»Ein Mord ist nie zu rechtfertigen.«

»Nun ja, du weißt schon, wie ich es meine, John.«

»Natürlich.« Ich aβ weiter. Beim Kauen dachte ich nach. »Sollen wir vor der Beerdigung noch einmal mit dem Arzt sprechen, der Kens Tod festgestellt hat?«

»Das wäre nicht schlecht«, meinte Suko.

»Dann sollten wir uns beeilen«, sagte Glenda. »Wir wollten vorher noch zur Messe.«

»Klar.«

Suko war mit dem Frühstück fertig. Er wischte seine Lippen ab und stand auf. »Ich erkundige mich mal bei der Wirtin, wo wir den Doktor finden können.«

»Ja, tu das:«

Glenda schaute mich über den Rand der Tasse hinweg an, ohne sie an die Lippen zu setzen. »Du hast wieder dein komisches Gefühl, John, wie ich dich kenne.«

»So ist es.«

»Wer sollte Ken denn umgebracht haben?«

»Was weiß ich?«

»Komm, John Sinclair. Dein Misstrauen ist mir einfach zu groß. Ken arbeitete an keinem brisanten Fall. Und erst recht an keinem, der in diese Gegend deutet. Er hat sich doch mit der Aufklärung von Betrügereien in Spielsalons befasst?«

»Richtig.«

»Das war nicht die Mafia, nur kleine Gauner aus der Szene. Die killen nicht.«

»Damit rechne ich eigentlich auch.«

»Wo suchst du dann das Motiv?«

Ich lächelte Glenda zu, als sie trank und wartete mit der Antwort, bis sie die Tasse wieder abgesetzt hatte. »Was bleibt uns noch?«

»Rippon!«

»Richtig, hier in Rippon.«

Glenda legte die Stirn in Falten. Für mich ein Zeichen, dass sie nachdachte. »Du glaubst wirklich, dass man ihn hier erwischt und umgebracht hat?«

Ich breitete die Arme aus. »Glenda, ich habe nicht von Mord gesprochen. Auch nicht von umbringen. Bitte, du darfst das nicht miteinander verwechseln. Mir ist Kens Tod ebenso ein Rätsel wie dir und Suko. Ich möchte mit dem Arzt sprechen.«

Sie lächelte mokant. »Einem Dorfdoktor?«

»Kennst du hier einen besseren?«

»Bestimmt nicht.«

Suko kehrte zurück. Er setzte sich erst gar nicht. »Alles klar, Leute, ich weiß, wo der Doc wohnt. Er heißt Cisari.«

Wir standen auf. Im Stehen leerte ich noch meine Tasse. Unsere Mäntel hatten wir mit nach unten gebracht. Sie hingen im Vorraum an den Haken. Ich hatte meinen Trench dabei. Suko half Glenda in den chicken dunklen Wollmantel. Sie warf sich noch einen grünen Schal über und schwang ihn zweimal um den Hals.

»Ich werde auch mit zur Beerdigung gehen.« Die Wirtin stand in der Tür zur Küche.

»Kannten Sie Ken Bright?«, fragte Glenda.

»Recht gut sogar.«

»Was war er hier für ein Mensch?«

»Wieso?«, staunte die Frau. »Sie haben doch mit ihm zusammengearbeitet und müssten es eigentlich besser wissen.«

»Das ist schon richtig!«, lächelte Glenda. »Wir wundern uns nur darüber, dass er so plötzlich an Herzversagen gestorben ist. Eigentlich war er sehr gesund.«

»Das stimmt allerdings.«

»Wie kam er um?«

»Ich weiß es nicht. Man hat ihn draußen gefunden. Es waren Kinder, glaube ich. Das kann Ihnen Doktor Cisari aber besser erzählen.« Sie drehte sich abrupt um und verschwand in der Küche.

»Komisch«, sagte Glenda.

»Was ist komisch.«

»Dass sie das Gespräch so plötzlich abgebrochen hat. Als wäre es ihr unangenehm.«

»Schließt du etwas daraus?«

»Als würde sie mehr wissen.«

Ich schaute sie nachdenklich an. »Deine Fantasie geht nicht zufällig mit dir durch?«

»Kann sein, aber ich habe gelernt, auf meine innere Stimme zu hören.« Sie tippte mich an. »Hast du mir nicht immer den Rat gegeben, John?«

»Ich glaube, schon.«

»Eben. Und diese innere Stimme hat mir mitgeteilt, dass hier etwas faul ist. Ich habe den Eindruck, als wollten die Menschen die Beerdigung so rasch wie möglich hinter sich bringen.«

»Wer will das nicht?«, fragte Suko.

»Gehen wir!«, schlug ich vor.

Wir drei besaßen ein ungutes, mulmiges Gefühl, obwohl wir nicht darüber sprachen. Vielleicht reagierten wir auch übersensibel, was die Antworten der Wirtin angingen.

Die Eingangstür war so schmal, dass sie keine zwei nebeneinander hergehende Menschen durchließ. Hintereinander betraten wir das Freie und gingen hinein in eine weißgraue Dunstwelt. Der Nebel lag nicht so dick, als dass er alles verschluckt hätte. Die Häuserfronten auf der gegenüberliegenden Seite wurden von uns noch wahrgenommen, aber der Dunst hing doch vor ihnen wie ein Vorhang, der sich kaum bewegte, weil auch kein Wind durch die Straßen fuhr.

Ich zündete mir eine Zigarette an. Der Rauch vermischte sich mit dem Dunst.

Es war ruhig in Rippon. Die Wagen, die uns passierten, rollten langsam vorbei. Der Nebel schluckte ihre Fahrgeräusche. An tristen Fassaden schritten wir entlang. Häuser, die aussahen wie Höhlen. Man merkte den Menschen die Armut an. Viele Bewohner waren arbeitslos geworden. Sie besaßen einfach nicht mehr die Mittel, um ihre Häuser und Wohnungen zu renovieren. Die Textilindustrie in dieser Gegend hatte einfach einen zu großen Einbruch hinnehmen müssen.

Unser Dienstwagen stand auf dem Hof der Pension. Wer innerhalb der Ortschaft unterwegs war, brauchte keinen Wagen. Er konnte die Wege auch zu Fuß zurücklegen.

Glenda ging rechts neben mir. Sie hatte den Kopf gesenkt und die Hände in den Manteltaschen vergraben. Auf ihrer modernen Kurzhaarfrisur lag ein feuchter Glanz. Es war ziemlich kühl. Ihr Gesicht hatte Farbe bekommen.

»Weshalb schaust du mich an, John?«

»Du hast es bemerkt?«

»Sicher.«

»Ich versuche, deine Gedanken zu erraten.«

»Da gibt es nicht viel zu raten. Sie beschäftigen sich mit Ken Bright. Ich mochte ihn und kann es immer noch nicht begreifen, dass wir ihn nicht mehr treffen werden.« Glenda zog die Nase hoch. »Herzschlag«, sagte sie leise. »Wie kann ein Mensch in so jungen Jahren an Herzschlag sterben? Und einen Herzfehler hatte er nicht. Das wäre bei den Yard-Untersuchungen längst festgestellt worden. Ken muss anders ums Leben gekommen sein. Da Selbstmord ausscheidet …«

»Wir werden diesen Doc fragen, bevor wir uns in wilden Spekulationen ergehen.«

»Die du eigentlich aufgebracht hast, John.«

»Leider. Das bereue ich jetzt. Ich habe euch mit verrückt gemacht.« Ich trat die Zigarette aus und schob die Reste in einen Gully.

Suko ging vor uns her. Am Ende der Häuserzeile bog er nach rechts ab, wo sich eine schmale Gasse auftat, die vor einer Treppe endete. Wir stiegen auch über die mit Moos bedeckten Stufen und erreichten einen winzigen Platz.

Nur ein Haus stand hier. Es war nicht sehr groß. Efeu und andere Ranken umwucherten die Fassade. Das Schild mit dem Namen des Arztes war kaum noch zu erkennen.

Suko klingelte. Sehr rasch wurde die Tür geöffnet. Ein überraschtes Gesicht schaute uns an.

»Bitte …?«

»Scotland Yard«, sagte Suko, stellte uns und sich vor, zeigte seine Legitimation und fragte, ob wir eintreten könnten.

»Ja, hm … ist es dringend? Ich muss zu einer Beerdigung.«

»Da müssen wir auch hin«, sagte ich. »Sie sind Dr. Cisari?«

»Natürlich.«

»Mit Ihnen wollten wir reden.«

»Kommen Sie rein.«

Dr. Cisari trug seine schwarze Hose, ein weißes Hemd und eine schwarze Weste darüber. Die Krawatte hatte er sich noch nicht gebunden. Er war kleiner als wir. Seine italienische Herkunft konnte er nicht verleugnen. Auf dem Kopf wuchs das dünne Haar in schwarzen Strähnen. Es war zur Seite gekämmt worden und berührte die Ohren. Sein Gesicht war rund und faltenlos. Auf mich machte er keinen nervösen, eher einen erstaunten Eindruck. Dieser Mann schien kein schlechtes Gewissen zu haben. Er führte uns in ein kleines Wohnzimmer, in dem es nach kaltem Pfeifentabak roch. Im Raum herrschte Unordnung, wie man sie oft bei Junggesellen erlebt.

»Suchen Sie sich einen Platz.«

»So lange wollten wir nicht bleiben«, sagte Suko. »Es geht uns eigentlich nur um Ken Bright.«

»Er war Ihr Kollege, nicht?«

Wir nickten.

Der Arzt lehnte an einem Sideboard. »Ken ist tot«, sagte er. »Es war ein Herzschlag.« Er breitete die Arme aus. »Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, sorry.«

»Haben Sie auch nach anderen Todesursachen geforscht?«, fragte Glenda Perkins.

»Aber sicher, Lady. Das macht man automatisch. Ich kann Ihnen sagen, dass Ihr Kollege nicht auf gewaltsame Art und Weise ums Leben gekommen ist. Er starb durch Herzschlag.«

»Obwohl er so gesund war«, warf ich ein.

»In der Tat. Ich kannte ihn seit seiner Kindheit. Zwar habe ich Ken später nicht mehr untersucht, doch als Kind war er kerngesund. Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte. Wenn Sie eine zweite Obduktion beantragen wollen, ich habe nichts dagegen. Nichts wies auf einen Mord oder Selbstmord hin.«

»Weshalb war er hier?«, fragte Suko.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ken kam des Öfteren, um seine Eltern zu besuchen.«

»Meist über das Wochenende.«

»Das ist richtig.«

»Und jetzt hatte er sich eine Woche Urlaub genommen«, sagte Glenda. »Wir wissen nichts über die Gründe. Sind seine Eltern vielleicht krank, wollte er sie pflegen, sie besuchen?«

»Nein, die Herrschaften erfreuen sich bester Gesundheit. Für eine Pflege durch den Sohn gab es keinen Grund. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann. Wenn Sie noch den Totenschein sehen wollen, bitte sehr. Ich kann Ihnen …«

»Nein, Mr. Cisari, das erübrigt sich.« Ich bedankte mich bei dem Doktor. »Wir sehen uns dann auf der Beerdigung.«

»Natürlich. Sind Sie auch in der Kirche?«

»Selbstverständlich.«

»Eine Frage habe ich noch«, sagte Suko. »Hatte er noch weitere Verwandte außer seinen Eltern?«

»Ja, Herriet, seine Schwester. Sie ist aus Paris gekommen. Soviel ich weiß, arbeitet sie dort in einem großen Hotel.« Der Doktor stieß sich vom Sideboard ab. »Sie ist schon in Rippon eingetroffen und wohnt bei den Eltern.«

»Danke. Das war nun wirklich alles.«

»Bitte sehr.«

Der Arzt begleitete uns bis zur Tür. Wir verließen mit gesenkten Köpfen das Haus, blieben auf dem Platz stehen und schauten uns an. »Was sagt ihr?«, fragte Glenda.

»Nicht viel«, murmelte ich.

»Das sieht alles sehr normal aus«, erklärte Suko.

»Zu normal?«

Mein Freund hob die Schultern. »Wer kann das schon wissen, John …?«

*

Trotz des über dem Ort liegenden Nebels konnten wir die Kirche nicht verfehlen. Sie bildete das höchste Gebäude, allerdings verschwamm die obere Hälfte des Turms im weißgrauen Dunst.

Noch waren wir nicht in das Gotteshaus gegangen. Auf dem Kirchplatz hielten wir uns auf, etwas abseits der Einheimischen stehend, die unter sich bleiben wollten, in Gruppen zusammenstanden und sich flüsternd unterhielten.

Es gab keinen, der sich nicht bedrückt fühlte. Die Blicke der Menschen zeigten eine gewisse Leere und auch das Nichtbegreifen über den Tod des jungen Mannes.

Ich kannte zwar Kens Eltern nicht, glaubte jedoch, dass sie und ihre Tochter noch nicht eingetroffen waren. Verständlich, dass sie vor dem Gottesdienst keinen Kontakt wollten. Zudem war noch eine Viertelstunde Zeit.

Von der Kirche bis zum Friedhof war es nicht einmal eine Steinwurfweite entfernt. Beides grenzte aneinander und war nur durch eine Steinmauer getrennt, die wiederum von einem eisernen Eingangstor unterbrochen wurde.

Stimmung und Wetter passten zusammen. Der dünne Nebel hielt die Umgebung mit seinem grauen Trauerflor bedeckt. Es gab keinen Gegenstand, den er nicht umwaberte.

Ich hatte auf dem Weg zum Kirchplatz, einen Blick über die Mauer auf den Friedhof geworfen. Die Grabsteine standen dort in Reihen und waren wohlgeordnet. Manchmal entdeckte ich auch die Arme eines Steinkreuzes. Da Rippon nicht so viele Einwohner besaß, war der Friedhof auch entsprechend klein und zudem kaum mit trennenden Hecken oder Buschwerk bewachsen. Die helleren Wege zwischen den Gräbern wirkten wie mit dem Lineal gezogen. Am Ende des Gottesackers stand eine Trauerweide, deren Zweige fast bis zum Boden reichten. Da sie vom Nebel umwabert wurde, bekam sie einen gespenstischen Touch.

Die tuschelnden und flüsternden Gespräche verstummten. Das musste seinen Grund haben. Automatisch schauten auch wir zum Eingang des Kirchplatzes, wo sich das große, offenstehende Tor befand.

Die Familie Bright kam zu Fuß.

In der Mitte ging Mrs. Bright, rechts von der Tochter gestützt, links von ihrem Mann, einer hochgewachsenen Person, dessen Gesicht Ähnlichkeit mit dem seines Sohnes aufwies. Es war starr, in ihm regte sich nichts. Das Gesicht der Mutter war nicht zu erkennen, weil es ein Schleier verdeckte. Dahinter schimmerte ein grauweißer Fleck.

Harriet Bright hielt den Kopf ebenfalls gesenkt. Die Haare wurden von einem Tuch verdeckt. Einige blonde Strähnen fielen ihr in die blasse Stirn.