John Sinclair - Sammelband 1 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair - Sammelband 1 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Dieser Sammelband enthält die Folgen:

Folge 630: Das Tengu-Phantom

Folge 631: Die Bluteulen

Folge 632: Syndikat der toten Augen

Folge 634: Ein Höllenjob für Bill I

Folge 635: Das Grab der Sinclairs

Folge 636: Das Blut der schwarzen Priester

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Seitenzahl: 792

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Tengu-Phantom

Die Bluteulen

Syndikat der toten Augen

Ein Höllenjob für Bill

Das Grab der Sinclairs

Das Blut der Schwarzen Priester

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Vicente Ballestar – Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-8387-0286-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Das Tengu-Phantom

Wir werden gewinnen, denn die Schmach, die unser Volk erlitten hat, darf nicht ungerächt bleiben. Wir werden uns auf unsere alten Werte besinnen, auf die Traditionen, auf die Mystik, auf die Magie und die Götzenkunde. Wir werden all denen die Stirn bieten, die unser Land und unser Volk lächerlich gemacht haben. Und dann werden wir über sie kommen wie ein mächtiges Gewitter, das die Welt mit Blitz und Donner von seinen Feinden reinigt!

Aus der Präambel des Clubs der weißen Tauben

Der Blick der Gastgeberin war besorgt. Er paßte nicht zu dem Partylärm, der aus dem großen Haus heraushallte, eine Mischung aus Stimmen, Musik, Trinksprüchen und Gläserklirren. »Und du willst uns tatsächlich schon verlassen, Ellen?«

Ellen Crawford nickte. »Ja, Sybill. Ich habe es meinem Mann versprochen und es dir auch vorher gesagt.«

»Natürlich.« Sybill Rain strich ihr silbrig gefärbtes Haar zurück. »Es wäre trotzdem schön, wenn du noch geblieben wärst.«

»Vergiß nicht die Drohungen.«

»Nimmst du sie sehr ernst?«

Ellen Crawford schaute sich nach dieser Frage ängstlich um, als suchte sie in der Dunkelheit des Parks nach einem Killer. Da standen nur die Limousinen der Gäste. Die Fahrer lehnten an den Wagen und langweilten sich. Das Licht der nachträglich installierten Laternen warf milchige Schleier in die dunkle Nacht. »Deshalb fahre ich auch früher, Sybill.« Sie räusperte sich. »Außerdem hat mir Winston dazu geraten.«

»Schade, daß er nicht mit auf die Party kommen konnte.«

»Es tut mir auch leid. Du kennst seine Geschäfte.« Ellen lächelte und reichte Sybill die Hand. »Ich habe mich trotz allem gut amüsiert. Es werden auch wieder bessere Zeiten kommen.«

»Meinst du?«

»Es ist einiges in Bewegung gesetzt worden. Die Landschaften verändern sich. Politisch als auch wirtschaftlich. Du wirst sehen, die Chancen stehen gut.«

»Und dein Mann mischt mit?«

»Natürlich. Er hat den Blick. Er weiß, wie man der Konkurrenz begegnet.«

Sybill lachte leise. »Macht es dir etwas aus, wenn ich dir einen Fahrer mitgebe?«

»Mir? Wieso?«

»Du brauchst nicht mit deinem Wagen fahen. Ich nehme einen vom Haus.«

»Weiß nicht«

»Ich zumindest würde mich beruhigter fühlen, und du würdest es ebenfalls sein, Ellen.«

Ellen Crawford nickte. »Okay, du hast mich überredet.«

»Dann warte einen Moment. Ich werde Jack holen.«

Sybill verschwand und ließ eine trotz des Pelzmantels fröstelnde Ellen Crawford zurück. Sie hätte nicht zu der Party gehen sollen. Ihr Mann hatte es ihr nahegelegt, aber da waren eben die Freunde, die sie nicht im Stich lassen wollte, und sie war zu der Fete gegangen, mit dem Versprechen, sie früh zu verlassen, was auch stimmte, denn bis zur Tageswende waren es noch zwei Stunden. Für richtige Fetengänger keine Zeit, um zu verschwinden. Die letzten Gäste waren sowieso erst vor einer Stunde gekommen.

Ellen rauchte eine Zigarette. Sie blies die Wolken gegen den Dunst, der lautlos durch den Park schwebte. Vierzig war sie vor einem Monat geworden, aber sie hatte noch nie so große Angst verspürt wie in den letzten Tagen.

Der Druck nahm ständig zu.

Ellen ließ den Rauch durch die Nase strömen. Sie zwinkerte mit den Augen. Der Partylärm kam ihr so entfernt vor, obwohl sie nur wenige Schritte gehen mußte, um das Zentrum zu erreichen. Wieder schweiften ihre Gedanken ab, und sie dachte an die Drohungen, die sie erreicht hatten.

Es war furchtbar gewesen.

Eine tote Taube, die von einem Pfeil durchstochen worden war, hatte man ihr zugeschickt. Blut auf hellem Gefieder. Es hatte einen makabren Kontrast hinterlassen.

Sie schnippte die Zigarette weg, als sie Sybills Stimme hörte, die Begleitung eines dunkelhaarigen Mannes erschien, der die Kluft des Fahrers trug.

Jack war noch jung, sein Lächeln wirkte strahlend, als er sich vor Ellen verbeugte.

»Er wird dich sicher heimbringen, Ellen.«

»Danke, Sybill.« Die Frauen umarmten sich, dann ging Sybill wieder zu ihren Gästen zurück.

Jack sprach die Zurückgebliebene an. »Ich kann den Wagen holen, Mrs. Crawford …«

»Nein, ich gehe mit. Die paar Schritte werden mir guttun.«

»Wie Sie wünschen.«

Sie schritt neben dem jungen Fahrer her. Die Wege, die den großen Park durchzogen, waren gepflegt. Gärtner sorgten dafür, daß alles in Ordnung gehalten wurde.

Die Feuchtigkeit blieb. Am Ende des Grundstücks lag ein kleiner Teich. Dort bildeten sich die Schwaden, die der Wind durch das parkähnliche Gelände trieb.

Zur Verfügung stand unter anderem ein stahlgrauer Mercedes 190. Neben dem Fahrzeug blieb Jack stehen. In der Nähe zeichneten sich die Umrisse eines Pavillons ab. Pflanzen wuchsen an seinen Holzlatten hoch. Nur der Eingang lag frei. Aus ihm drangen eindeutige Geräusche. Welches Pärchen sich dort vergnügte, wußte Ellen nicht.

Jack hatte es ebenfalls vernommen. In seinem Gesicht regte sich nichts, als er Ellen die Tür aufhielt.

»Bitte sehr, Madam.«

»Danke.« Sie stieg ein und wischte eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ellen sah noch gut aus, Trotz ihrer vierzig Jahre war ihr Körper straff. Falten kannte sie nicht, ihr Lächeln wirkte jugendlich, und das mahagonifarbene Haar umrahmte als natürliche Lockenpracht ihr rundliches Gesicht mit dem herzförmigen Mund. Im Außenspiegel wischte für einen Moment ihr Gesicht entlang. Ellen stellte fest, daß sie müde Augen besaß; ihre Hände zitterten.

Woran lag es? An den Drohungen, die sie erhalten hatte? Das konnte möglich sein. Auch wenn Winston, ihr Mann, darüber gelächelt hatte, wußte sie doch, daß er tief in seinem Innern anders darüber dachte.

Für einen Moment schloß sie die Augen, bevor sie sich in die Polster zurücksinken ließ. Der Wagen fuhr, sie merkte es kaum. Ellen hatte das Gefühl, auf einem Boot zu stehen, das sie hineintrug in eine andere Welt, wo es weder Sorgen noch Ängste gab.

Erst als sie das Grundstück verlassen hatten, öffnete sie wieder die Augen.

Die Fahrbahn lag dunkel vor ihnen. Ein schwarzer Kanal, über den nur das Licht der Scheinwerfer huschte. Ein geisterhafter Teppich, der auch die Ränder nicht ausließ, und Buschwerk zu fahlen, dünnen Totenarmen degradierte, die wirkten, als wollten sie nach irgendwelchen Gegenständen fassen, obwohl diese nicht vorhanden waren.

»Sorry, Madam, aber ich habe Sie noch nicht nach ihrer Adresse fragen können.«

»Tut mir leid.« Ellen Crawford schlug leicht gegen ihre Stirn. »Dann gab sie die Anschrift durch. Sie wohnte ebenfalls in einem Nobelvorort der Millionenstadt, im Süden Belgravias. Belgravia war ein Paradies für Millionäre, für Leute, die es sich gutgehen lassen konnten. Hier gab es keine Armut, hier kannte man nur die Sorgen, wie man sein Geld vermehrte.

Jeder, der hier lebte, besaß genügend Platz, um sich ausbreiten zu können. Niemand hockte aufeinander, aber es gab auch die große Einsamkeit hinter den Mauern der Häuser, die die einen mit Alkohol, die anderen mit Drogen bekämpften.

Das wußte Ellen auch, Sie und ihr Gatte waren davon allerdings verschont geblieben.

Noch etwas kam hinzu.

Am späten Abend und in der Nacht wirkte diese Gegend wie ausgestorben. Nur hin und wieder rollte ein Wagen durch die ruhigen Straßen, wo auch wenige Laternen standen.

Die meisten Lichtinseln befanden sich in den Gärten und strahlten die hinter Bäumen und Buschwerk liegenden Häuser an, wobei die Grundstücke noch durch Mauern oder Zäune geschützt waren.

Ellen gähnte, der Fahrer konzentrierte sich auf seinen Job. Er war froh darüber, nicht zu weit fahren zu müssen, denn er wollte sich noch den Spätfilm anschauen, den ein Privatsender über den Kanal schickte, eine Mischung aus Action und heißem Sex, wie ihm von einem Bekannten gesagt worden war.

Alles lief normal, alles sah normal aus. Keiner von ihnen hatte einen Grund, mißtrauisch zu sein, bis zu dem Augenblick, als sich alles radikal änderte.

Woher die Gestalt gekommen war, hatten weder Jack noch Ellen sehen können.

Jedenfalls war sie plötzlich da, und sie stand mitten auf der Straße wie ein schwarzes Phantom.

Ellen Crawford erschrak zutieft. »Halten Sie an!« rief sie. »Mein Gott, wer ist das?«

Auch Jack wußte keine Antwort. Der dachte sofort an Killer, an Räuber, an Menschen, die anderen auflauerten, und er dachte an seine Gaspistole, die er bei sich trug.

Die Gestalt ging nicht zur Seite. Wenn Jack nicht bremste, würde sie von der Fahrbahn geschleudert.

Er wäre unter Umständen durchgefahren, wenn er allein im Wagen gesessen hätte. In diesem Fall aber mußte er auf seinen Passagier Rücksicht nehmen.

»Bitte, Jack!« Ellen kam sich vor wie auf dem Elektrischen Stuhl. So ähnlich mußte es einem zum Tode verurteilten ergehen, der dort seine letzten Sekunden erlebte.

Jack blieb ruhig. Er nagelte das Bremspedal in die Tiefe. Die Fahrbahn war trocken, zeigte höchstens an den Seiten ein paar feuchte Flecken, und der Mercedes – ausgerüstet mit ABS – stand sehr gut.

Aber auch der andere stand!

Im Licht der Scheinwerfer wirkte er einfach furchtbar. Von seinem Gesicht war nichts zu erkennen, denn eine Ledermaske lag wie eine zweite Haut über den Zügen. Nur zwei Schlitze für die Augen waren freigeblieben, und sie funkelten eisig.

Auch der übrige Körper war von einer dicht anliegenden Ledermontur bedeckt, bis auf die gewaltigen, muskulösen Arme, die freilagen und einen bleichen Schimmer zeigten, als gehörte die Haut einer Fünf-Tage-Leiche.

Daß diese Gestalt Böses im Schilde führte, war dem Fahrer klar. Er sah es zudem als Fehler an, angehalten zu haben. »Wir hätten nicht stoppen dürfen!« flüsterte er.

Ellen holte zweimal Luft. »Wollen Sie ihn überfahren?«

Jack nickte. »Wäre am besten.«

»Aber das …«

Er ließ die Frau nicht ausreden. »Der wird uns vernichten, Madam, glauben Sie mir!«

Nach diesem Satz fielen Ellen wieder die Drohungen ein. Die weiße Taube, von einem Pfeil durchbohrt. Blut auf den hellen Gefieder, jetzt dieser Mann mit der Ledermaske.

Hatte man es auf sie abgesehen?

»Dann fahren Sie, Jack!«

Der Motor lief noch, während sich die dunkle Gestalt nicht rührte. Jack hätte am liebsten Vollgas gegeben. In Anbetracht der neben ihm sitzenden Person nahm er Rücksicht.

Jack fuhr langsam an.

Der Kühlergrill und auch die Stoßstange hatten den Wagen noch nicht berührt, jetzt hätte der in Leder Gekleidete eigentlich zurückgehen müssen, er tat es nicht.

»Das … das gibt's doch nicht!« keuchte Ellen, die wie versteinert auf ihrem Sitz hockte. »Der geht nicht weg. Dieser Mann muß lebensmüde sein, der ist wahnsinnig.«

»Nein, Madam, der weiß genau, was er will.« Jacks Stimme zitterte leicht. Er sprach es nicht aus, doch er fühlte, daß sich beide in Lebensgefahr befanden.

Ein Mensch wie dieser kannte kein Erbarmen, der war gekommen, um zu töten.

Plötzlich sackten seine Arme nach unten. Sie stießen brutal der Kühlerhaube entgegen. gespreizte Finger lagen zusammen mit den Handflächen auf dem Blech.

Dann drückte er zu.

Jack und Ellen trauten ihren Augen nicht, als sie das Furchtbare sahen. Dieser Mann besaß tatsächlich die Kraft, das Blech der Kühlerhaube einzudrücken.

Ein Wahnsinn – und warum tat er das?

Sie hörten das Reißen, es knirschte. Löcher mit gezackten Rändern entstanden innerhalb der Haube, seine Finger griffen hinein, er bekam irgend etwas zu fassen und riß es hervor.

Kabel hingen wie dunkle Schlangen zwischen seinen Fingern. Der Motor lief nicht mehr, und der Unbekannte schleuderte das Zeug irgendwohin.

»Sie müssen was tun, Jack!« Die Frau erkannte ihre eigene Stimme kaum wieder.

Jack tastete bereits nach seiner Pistole. Nur eine Gaspistole, mehr nicht. Wie gern hätte er sich eine Maschinenpistole gewünscht, um diesen Kerl aus dem Weg zu räumen.

Jack nickte. »Vielleicht sollten Sie den Wagen verlassen und einfach wegrennen, Madam.«

»Wohin denn?«

»Nur weg.«

»Nein, da bin ich …«

»Bitte, Madam!«

Sie schüttelte den Kopf, weil sie von den Aktionen des Unbekannten abgelenkt wurde.

Er hatte seinen rechten Arm angehoben und die Hand zur Faust geballt. Dann schlug er zu. Jack und Ellen zuckten zusammen, als sie sahen, wie dieser Mensch die restliche Motorhaube mit nur einem Schlag zertrümmerte. Der Wagen vibrierte, das Zittern lief auch durch die Scheiben, die noch im Rahmen hielten, aber dann griff der Unheimliche erst richtig zu.

Er bückte sich und hob den Mercedes an. Einfach so, als hätte er eine Obstkiste hochgehoben.

Ellen konnte nicht einmal schreien. Sie war unfähig, kippte zurück, der Gurt hielt sie, und einen Augenblick später ließ der Mann das Fahrzeug wieder los.

Es rammte nach unten.

Beide Menschen wurden von dem Aufprall durchgeschüttelt. Ellen hatte sich zur Seite gedrückt und geduckt, als würden Hände über ihr schweben, die zuschlagen wollen.

Dann kam er selbst

Er ging nach rechts, öffnete die Fahrertür. Nein, er öffnete sie nicht, er riß sie einfach ab, und zum erstenmal spürte Ellen den eisigen Hauch des Todes …

***

Von dem blieb auch Jack nicht verschont. Er gehörte zu den Menschen, die wußten, wenn sie verloren hatten. Dennoch versuchte er es, zog seine Gaspistole, ohne abzudrücken, denn der Mann mit der Ledermaske war schneller.Er packte den Mann an beiden Knöcheln. Seine Hände waren wie Schraubstöcke. Eisern drückte er zu, dann zerrte er Jack aus dem Wagen, obwohl der Fahrer noch vom Gurt gehalten wurde. Der andere schleifte ihn schräg unter dem Gurt hindurch, und Jack schoß irgendwohin nur nicht gegen die Augenschlitze der Gestalt, dem einzigen Ziel.

Er fiel nach draußen.

Wie aus weiter Ferne hörte er Ellen Crawford schreien, dann packten Hände wie Eisenklammern zu und hoben ihn hoch. Plötzlich sah er den Wagen unter sich.

Der Unheimliche ließ nicht los. Seine Kraft war nicht nur gewaltig, sie war gleichzeitig überirdisch und unmenschlich. Wie mächtig, bewies er in den nächsten Sekunden.

Zuerst schrie der Fahrer noch, das hörte auch Ellen. Urplötzlich aber verstummte der Schrei. Sie schielte nach rechts, sah einen Schatten durch die Luft fliegen und im Straßengraben landen, wo sich dieser Schatten, es war Jack, nicht mehr erhob.

Er hatte ihr geraten zu fliehen. Das mußte sie einfach versuchen. Ellen wollte die Tür auf ihrer Seite aufstoßen, diese aber klemmte, und sie kam nicht raus.

Der Maskierte griff zu.

Er packte nicht sie, er wollte den Wagen und schaffte es tatsächlich, ihn anzuheben.

Ellen kippte gegen den Fahrersitz. Mit dem Hinterkopf stieß sie gegen den Lenkradring. Der Aufprall war hart, Sterne funkelten vor ihren Augen, doch im Vergleich zudem, was folgte, war er gar nichts.

Die Frau kam sich vor wie auf einem mörderischen Kreisel oder Karussell. Sie wußte in den nächsten Sekunden nicht, wo oben oder unten war. Dieser Kreisel hielt sie gepackt, er schien ihr die Kraft aus dem Körper zu saugen. Sie wurde herumgeschleudert, sie konnte nur mehr schreien und hatte den Eindruck zu fliegen.

Sie flog tatsächlich …

Der Maskierte hatte es geschafft, den Wagen anzuheben. Er drehte sich halb um die eigene Achse, dann schleuderte er ihn weg.

Ellen Crawford hockte inmitten dieses Gefängnisses aus Blech und Glas.

Dann kam der Aufprall.

Es war furchtbar. Die Frau hatte das Gefühl, als würde die Welt um sie herum zerplatzen. Sie wußte nicht mehr, ob sie schon tot war, sie hörte jemand schreien, wobei ihr einfiel, daß sie es war, die so schrecklich brüllte.

Dann rutschte der Wagen auf dem Dach liegend über den Straßengraben hinweg.

Dahinter standen Bäume.

Mächtige Ulmen, noch kahl, nur an den Spitzen mit dem ersten Grün versehen.

Die erlebten nicht mehr, daß ihre Blätter aufgingen. Eine gewaltige Feuerlohe stieg aus dem Wrack hervor, ein Flammenfanal, ein Horror und Chaos aus Rauch, Feuer und Tod!

Der Schein geisterte über die Fahrbahn, vermischt mit pechschwarzem stinkenden Rauch.

In ihn hinein tauchte der Maskierte. Es sah so aus, als wollte er über die Straße rennen.

Auf der Mitte stoppte er, blieb stehen, ballte die Hand zur Faust und rammte den Arm in die Luft.

Das Zeichen des Sieges!

Dann verschwand er so schnell und lautlos, wie er gekommen war!

***

Es paßte mal wieder alles zusammen!Aus London waren wir verspätet abgefahren. Unser Ziel lag im Westen, genauer der Flughafen Heathrow. Eine Schnellstraße führte hin, aber wie es Schnellstraßen so an sich haben, sind sie des öfteren verstopft. Hier war es nicht anders. Kurz vor dem gewaltigen Komplex mußten wir stehenbleiben.

Suko, der neben mir saß, stöhnte und schüttelte den Kopf.

»Was willst du? Ist wie immer.«

»Da hätte uns der Alte auch früher Bescheid geben können.«

»Wem sagst du das!«

Suko hatte ein Stichwort geliefert. Während ich einer übergroßen, allmählich landenden Maschine nachschaute, dachte ich an das kurze Gespräch mit Sir James.

Er habe uns zum Airport geschickt, wo wir einen Mann abholen sollten, der aus Japan kam, ein gewisser Isanga. Er gehörte zur japanischen Polizei und gleichzeitig zur Regierung, mehr hatte uns Sir James auch nicht sagen können.

Ein Bild gab es nicht, wir würden ihn kaum erkennen, und er sollte ausgerufen werden.

Das war alles.

»Japan!« sinnierte ich laut. »Was kann damit alles zusammenhängen, Suko?«

»Eine Menge jedenfalls.«

»Dämonen, Götzen, Susanoo …«

»Amaterasu und Shao«, zählte Suko weiter auf.

»Tatsächlich?«

Er nickte. »Du wirst es kaum glauben, aber ich denke die ganze Zeit an sie.«

»Wenn sie tatsächlich mit im Spiel sein sollte, weshalb hat sie sich dann so zurückgehalten?«

»Das weiß ich nicht. Aber ich werde sie fragen.«

Vor uns setzte sich die Lawine aus Blech in Bewegung. Der Stau war nicht durch einen Unfall zustandegekommen, sondern weil ein Lkw einen Schaden erlitten hatten. Er hing am linken Straßenrand fest, der Fahrer lamentierte mit zwei Polizisten und war kreidebleich im Gesicht. Wahrscheinlich würden sie ihm etwas ans Zeug flicken können.

Heathrow heißt der Flughafen, aber er ist trotzdem mehr als ein Airport. Er ist eine Welt für sich, eine Insel auf der Insel, ein gewaltiges Areal von Gebäuden, Türmen, Hallen und Bahnen.

Ich kannte den Airport einigermaßen, war aber sicher, daß auch ich mich verlaufen würde.

Und ich dachte daran, daß auf meinen Fahrten zum Flughafen schon öfter etwas passiert war. Daß wir magische Überfälle erlebt hatten, was diesmal wohl nicht der Fall sein würde, denn wir kamen unserem Ziel immer näher.

Die Bahn teilte sich. Verschiedene Ab- und Ausfahrten führten zu bestimmten Zielen.

Wir mußten zum Komplex, der sich Ankunft nannte. Auch hier stauten sich die Wagen, bevor sie eine Chance bekamen, auf einen der großen Parkplätze zu fahren.

Da wollten wir nicht hin. Ich bog in einen schmalen Seitenkanal aus grauem Beton ein, um dorthin zu fahren, wo normalerweise kein Wagen abgestellt werden durfte.

Ein Wächter hielt uns auf, der neben einer heruntergelassenen Schranke stand.

»Haben Sie sich verfahren?«

Ich kurbelte die Scheibe nach unten und ließ ihn einen Blick auf meinen Ausweis werfen.

»Wo wollen Sie hin?«

»Wir wollen nur gut parken, Mister. Lassen Sie die Schranke hoch. Okay?«

»Nur keine Eile.« Er bewegte sich im Schneckentempo, was mich wiederum ärgerte.

Wir waren schon zu spät. Hoffentlich irrte dieser Mr. Isanga nicht durch die Hallen. Unter der hochschwingenden Schranke rollte ich hinweg. Sie wäre beinahe noch über das Dach des Fahrzeugs geschrammt. Der Wächter schaute uns wütend und kopfschüttelnd nach.

Die Parkfläche endete dicht vor einem Gebäude mit großen Fenstern. In den hellen Scheiben spiegelte sich die Märzsonne, die seit einigen Tagen die Stadt London und Teile des Landes mit ihrem warmgoldenen Schein überflutete. Allerdings sollte das schöne Wetter bald vorbei sein, denn schon für den Abend waren erste Schauer angesagt worden.

Ich fand eine Lücke nahe des Eingangs. In diesem Bau, das wußte ich, war der Sicherheitsbereich untergebracht, dementsprechend wurden wir auch begrüßt.

Wieder Kontrolle, dann sagte ich einen Namen, und der Portier oder Wächter telefonierte mit Captain Miller.

»Er wird gleich erscheinen.«

»Sagen Sie, ist die Maschine aus Tokio schon gelandet?«

Der Mann mit der Mütze und der grauen Kleidung schaute mich an, als hätte ich ihn etwas Schlimmes gefragt. »Woher soll ich das denn wissen?«

»Es hätte ja sein können.«

»Tut mir leid, ich weiß nichts.«

»Schon gut.«

Captain Miller kam. Schneidig, schmalhüftig und verwegen. So kam mir der Kollege von der Sicherheitsabteilung vor. Er begrüßte uns und lächelte eisig.

»Ich habe Sie schon erwartet.«

»Sorry, aber der Verkehr.«

»Gut, Sie haben Glück. Die Maschine aus Tokio hat sich ebenfalls verspätet.«

Ich deutete gegen die Decke. »Dann kreist sie noch?«

»Ja, sie wartet auf ihre Landeerlaubnis. Der Luftraum ist mal wieder etwas voll.«

»Wo können wir den Passagier treffen?« erkundigte ich mich.

»Sollten wir ihn nicht ausrufen lassen?«

»Das schon, aber wir wollen allein mit ihm reden.«

»Ich stelle ihnen einen Raum zur Verfügung, keine Sorge. Ich lasse ihn ausrufen und abholen.«

»Ja bitte.«

»Haben Sie Informationen, wann der Clipper landen wird?« fragte Suko.

»Keine genauen. Es kann sich nur um Minuten handeln.«

Aus den Minuten wurden mehr als fünfzehn. Suko und ich standen hinter dem Fenster und schauten hinaus, wo wir einen Teil des Rollfeldes überblicken konnten.

Über den grauen Beton floß ebenfalls das Licht der Märzsonne. Es war unnatürlich für diese Jahreszeit, und manche Menschen saßen schon mit freien Oberkörpern in ihren Gärten.

Erst die Stürme, dann die Hitze, die Natur spielte mit den Menschen Katz und Maus.

»Kaffee?« fragte Miller.

»Aus dem Automaten?«

Der Captain schaute Suko an. »Ha, woher sonst?«

Mein Freund winkte ab. »Dann schütten Sie das Zeug lieber in den Abfluß.«

»Haben Sie beim Yard besseren? Ich kann mich nicht erinnern.«

»Unsere Sekretärin kocht den besten Kaffee der Welt.«

Miller grinste. »Und die hat nicht zufällig vor, bei Ihnen zu kündigen?«

»Bestimmt nicht«, gab Suko zurück.

Wir konnten die Maschine nicht sehen, aber Captain Miller bekam per Telefon Nachricht, daß die Maschine aus Tokio sicher aufgesetzt hatte. Er nickte uns zu. »Geschafft.« Sein Kommentar hörte sich an, als hätte er den Clipper selbst geflogen.

Uns war bekannt, daß Mr. Isanga aus der Traube der Pasagiere herausgepflückt werden würde. Ich gab ihm nicht mehr als zehn Minuten, dann würde er hier erscheinen.

Nach genau elf Minuten kam er. In Begleitung zweier Männer betrat er das Büro. Die Sicherheitsbeamten salutierten und machten Meldung. Miller nahm sie nickend entgegen.

Ich konzentrierte mich auf Mr. Isanga. Er war ein vom Wuchs her kleiner Mensch, trug eine farblose Brille, die in seinem Gesicht kaum auffiel und hatte das dunkle Haar in der langen Hälfte nach hinten gekämmt, während es in der kürzeren zur Seite fiel. Sein Gesicht sah harmlos aus. Er lächelte wie viele Japaner und verbarg hinter diesem Ausdruck seine Gedanken.

Überraschend kräftig war sein Händedruck. Den schmalen Koffer hatte er neben sich gestellt, und wir fragten ihn, ob wir sofort zum Yard fahren sollten.

»Eigentlich möchte ich erst mit Ihnen reden.«

»Das können Sie auch während der Fahrt.«

Auf seiner glatten Stirn erschien ein Faltenmuster. »Sind Sie mir sehr böse, wenn ich auf diesen Vorschlag nicht eingehe?« erkundigte er sich leise.

»Nein, warum?«

Dann lassen Sie uns lieber jetzt reden. Unter sechs Augen, wenn ich bitten darf.«

Ich sah den Captain an, der die Lippen zusammenkniff. »Mein Büro kann ich Ihnen nicht zur Verfügung stellen.«

»Sie werden doch einen anderen Raum haben.«

»Ja.«

»Geben Sie uns den.«

»Kommen Sie mit!« schnarrte er. Der Ärger stand ihm im Gesicht geschrieben.

Ich mußte grinsen, als ich ihn weggehen sah. Dieser Kerl gehörte zu den Typen, die keinen über sich wissen wollten und nur ihre eigene Meinung akzeptierten.

In einem kleinen Raum hockten wir schließlich zusammen. Er besaß nur ein schmales Fenster und war überheizt. Es roch muffig, und Miller verabschiedete sich steif.

Mr. Isanga saß auf einem Stuhl. Suko und ich waren nahe der Tür stehengeblieben. Es gab keine weiteren Sitzplätze, und auf dem Tisch wollten wir nicht Platz nehmen.

Ich sprach ihn direkt an. »Weshalb sind Sie zu uns gekommen, Mr. Isanga?«

Seine Antwort riß uns fast um. Mit tonloser, dennoch freundlich klingender Stimme erwiderte er: »Weil ich hier sterben werde, Mr. Sinclair …«

***

Ich glaubte, mich verhört zu haben, und Suko erging es ähnlich, denn wir schauten uns ungläubig an.»Was haben Sie da gesagt?« erkundigte sich mein Freund. Mr. Isanga erlaubte sich ein Lächeln. »Ich werde hier sterben. Das ist so.«

»Und woher wissen Sie das?«

Er schaute mich leicht lächelnd an. »Das kann ich Ihnen nicht genau sagen, Mr. Sinclair. So etwas weiß man eben.« Er sprach ein lupenreines Englisch.

»Intuition?«

»Nicht nur.«

Weder Suko noch ich lächelten über seine Bemerkungen. Beide wußten wir nur zu genau, daß hinter diesen sich schlicht anhörenden Sätzen mehr als nur etwas Dahingesagtes steckte.

»Beweise also?«

»Ja.«

»Und um die geht es Ihnen?« erkundigte sich Suko.

»Richtig. Ich habe sie in Tokio sammeln können, aber relevant sind sie hier für Sie.«

»Inwiefern?«

»Es geht um die Verflechtung der Rassen, um Zerstörung, um Technologien, alte Traditionen und Magie.«

»Das ist uns, ehrlich gesagt, zu allgemein, Mr. Isanga. Können Sie konkreter werden?«

»Gern. Zuvor eine Frage: Welches ist für Sie die gefährlichste Verbrecher-Organisation Japans?«

»Die Yakuza!« antwortete Suko vor mir.

»Wie denken Sie, Mr. Sinclair?«

»Ebenso.«

»Sie irren beide.«

»Also nicht die japanische oder ostasiatische Mafia?«

»Nein, Mr. Sinclair. Die gefährlichste Gruppe ist der Club der weißen Tauben.«

Wir verstanden nur noch Bahnhof, denn davon hatten wir noch nie etwas gehört. Nur gingen wir davon aus, daß der Mann nicht die lange Reise unternommen hatte, nur um uns weiszumachen, daß es einen Club der weißen Tauben gab. Es mußte also mehr dahinterstecken, als wir beide meinten.

»Sie haben nie etwas davon gehört?«

»Nein«, sagte Suko. »Aber wenn Sie meine Ansicht hören wollen, das hört sich nach Frieden an. Die weiße Taube ist schließlich das Symbol des Friedens.«

»Da gebe ich Ihnen recht.«

»Und trotzdem ist dieser Club so gefährlich?«

Er nickte. »Ja, Mr. Sinclair. Dieser Club oder diese Vereinigung ist furchtbar. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß der Begriff Friede aus verschiedenen Perspektiven gesehen werden kann. Der eine will ihn durch Gewalt erreichen, der andere durch den reinen Pazifismus, wieder andere durch Abschreckung und das Gleichgewicht der Kräfte. Das einmal vorweg gesagt.«

»Und wie sehen ihn die Tauben?«

»Sehr egoistisch, sehr traditionell und außerdem sehr magisch und dämonisch.

»Wohl mehr dämonisch – oder?«

»Das läßt sich nicht so einfach behaupten, Mr. Sinclair. Alles gehört zusammen. Die weißen Tauben sind sehr konservativ und nur auf das Land Japan fixiert. Sie lieben alles, was japanisch ist. Sie sind mit den Traditionen verwachsen, verwurzelt, sie denken nur an die Vergangenheit, an die Größe dieses gewaltigen Reiches und an seine Kultur, die für einen Europäer noch immer fremd geblieben und ein Buch mit sieben Siegeln ist. Ein Japaner würde sich einem Europäer nie oder nur höchst selten offenbaren, ein Japaner ist stolz, aber dieser Stolz wurde ihm genommen.«

»Wer nahm ihn?«

»Der Amerikaner warf 1945 die Bomben. Hiroshima und Nagasaki wurden dem Erdboden gleichgemacht, daran sollten Sie denken, das hat unser Volk auch nie vergessen.«

»Stimmt«, sagte ich.

»Hat dieses furchtbare Ereignis denn etwas mit dem Club der weißen Tauben zu tun?« erkundigte ich mich.

»Nur bedingt. Die Mitglieder des Clubs hassen die Amerikaner, aber sie haben sehr gut aufgepaßt und arbeiten im dunkeln. Es ist ihnen gelungen, eine alte Geheimorganisation wieder aufzubauen, der sie diesen Namen gegeben haben. Mächtige Männer gehören der Organisation an, wobei Sie die Yakuza wirklich vergessen können, denn die japanische Mafia arbeitet mit Gewalt, Tod, Einschüchterung und einem gnadenlosen Terror. Das ist schlimm, ich weiß es selbst, aber der Club arbeitet mit den Regeln der alten Traditionen, mit Magie. Sie wissen selbst, wie gefährlich das ist, Mr. Sinclair.«

»Da sagen Sie mir nichts Neues.«

»Und der Club besitzt Gewalt über den schrecklichsten aller Dämonen, den man sich vorstellen kann, den Tengu!«

Da hatten wir es wieder!

Suko und ich verloren die Farbe mit den Gesichtern. Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir Bekanntschaft mit dem einem Tengu gemacht. Wir kannten seine Brutalität, wir hatten seine ungeheure Kraft erlebt und auch, daß er resistent gegen geweihte Silberkugeln war.

»Ich sehe Ihren Gesichtern an, daß Ihnen den Begriff Tengu nicht unbekannt ist.«

»Nein«, gab ich zu.

»Wissen Sie, was ein Tengu ist?«

Ich lächelte. »Nur dann, wenn Sie uns aufgeklärt haben, Mr. Isanga.«

Unser Gast holte tief Atem, bevor er anfing zu sprechen. »Der Tengu ist der allerschlimmste aller uns in Japan bekannten Dämonen. Sie wissen selbst wie vielfältig ihre Zahl ist. Es gibt bei uns schlimme Geschichten über Tengus, die mehr als tausend Jahre alt sind. Sie werden in Zusammenhang gebracht mit schwarzen Totenvögeln. Ihre Seelen setzen sich in diesen Tieren fest, wobei es nicht nur auf Tiere beschränkt bleibt. Ein von einem Tengu besessener Mensch verlieh diesem eine ungeheure Angriffswut und eine kaum zu beschreibende Kraft. Ich habe Tengus erlebt, die in Stücke geschlagen wurden und trotzdem weiterlebten. Sie kommen mit Kugeln nicht gegen ihn an …«

»Kann man ihn nicht mit einem Zombie vergleichen?« fragte ich.

»Nein, Mr. Sinclair. Ein Zombie ist im Gegensatz zu einem Tengu harmlos. Denken Sie daran, daß der Zombie bereits tot ist, der Tengu aber lebt, und es ist ferner unmöglich, ihn töten zu können. Das ist der große und gravierende Unterschied.« Er führte die Hände aufeinander zu. »Ein Tengu, auch wenn er fast tot ist, schafft es immer wieder, sich zu regenerieren. Das ist schlimm, das ist unbeschreiblich, das ist einfach furchtbar. Mir fehlen die Worte.«

Suko nickte ihm zu. »Diese Tengus gibt es also in Japan, wenn ich Sie richtig verstanden habe.«

»Ja, jetzt wieder.«

»Und es gibt sie hier«, flüsterte ich, wobei ich an unsere Begegnung mit diesem Wesen dachte, das meinen Rover und auch Hauswände zertrümmert hatte, als bestünden sie aus Pappe.

»Es ist mir bekannt.«

Wir schwiegen, weil wir uns diese schlimmen Worte erst einmal durch den Kopf gehen lassen wollten. Zudem sahen wir beide den Besuch des Japaners in einem anderen Licht.

»Wir haben ihn zerstören können«, murmelte ich.

»Ja, Mr. Sinclair, aber freuen Sie sich nur nicht zu früh. Der erste Tengu war ein Versuch, mehr nicht. Andere werden kommen, andere sind vielleicht schon da.«

»Worum geht es ihnen denn?«

»Nun, Sie denken nicht für sich selbst. Ich sprach vorhin vom Club der weißen Tauben. Sie wissen, daß sich einige Traditionalisten dort zusammengefunden haben, denen Japan über alles geht. Sie sind die Menschen, die Japan zur ersten Macht auf dieser Welt machen wollen. Sie können die Niederlage des Zweiten Weltkriegs einfach nicht verkraften. Sie sind aber auch Realisten, denn sie wissen, daß sie durch militärische Aufrüstung so etwas nie erreichen können. Die japanische Armee ist nicht die beste, sie wurde bewußt klein gehalten, weil unser Volk auf andere Fundamente baut, die viel tiefer liegen. Sie sind verwurzelt mit der Tradition. Der Geist ist stärker als jede Bombe, Mr. Sinclair, das werden auch Sie wissen.«

»Ja – stimmt.«

»Also wird der Club die Tengus schicken, um die Kontrolle über Europa zu bekommen.«

»Sie reden von der wirtschaftlichen?« hakte Suko noch einmal nach.

»Das versteht sich. Japan soll die Macht auf der Welt werden, und die Weichen sind bereits gestellt. Man hat Verbindungen geknüpft, nicht allein hier in London, auch in anderen Städten werden die Mitglieder des Clubs aktiv, und alles geschieht unter der Hand, als würden sie Gift ausstreuen, das sich wie Hefepilze vermehren kann. Sie erkennen einen Tengu nicht, wenn er es nicht will, aber sie können ihn erkennen, falls er es möchte.«

»Dann könnten Sie theoretisch auch ein Tengu sein?« fragte ich.

»Ja. Aber ich bin es nicht. Ich bin gekommen, um Sie zu warnen und um zu sterben.«

»Durch den Tengu?«

»Möglicherweise, denn ich habe ihn verraten. Ich habe den Club der weißen Tauben verraten, sie können mich nicht mehr am Leben lassen, wenn sie es wissen.«

Ich räusperte mich. »Dann müßten wir den oder die Tengus finden, um das Unheil aufzuhalten.«

»Richtig.«

»Was natürlich schwer sein wird«, meinte Suko. »Können Sie uns verraten, wo wir anfangen sollen?«

»Nein.« Bevor unsere Gesichter Enttäuschung zeigen konnten, sprach er weiter. »Es gibt trotzdem eine Möglichkeit. Ich bin nicht grundlos zu Ihnen gekommen. Der Tengu wird mich als Verräter erkennen und zuschlagen. Ich kann ihm nicht entrinnen. Ich bin Ihr Köder.«

»Ja«, sagte ich leise, »das stimmt wohl. Nur hätte ich gern gewußt, weshalb Sie das für uns tun? Wer sind Sie überhaupt? Welche Rolle spielen Sie in Ihrem Land?«

»Es sind persönliche Motive, Mr. Sinclair.«

»Wollen Sie darüber nicht sprechen?«

Mr. Isanga lächelte schmal. »Wissen Sie, wir Japaner sind es gewohnt, unser Schicksal allein zu meistern. Unsere Probleme sind nicht die der anderen.«

»Es wäre aber wichtig«, sagte auch Suko, »wobei wir Sie nicht drängen wollen, wenn es zu stark in Ihre Intimsphäre hineinreicht.«

Mr. Isanga senkte den Kopf. »Es sind bei mir persönliche Motive. Meine Familie ist von einem Tengu getötet worden, Bitte fragen sie nicht, auf welch eine Art und Weise. Es war sehr schlimm. Wir kommen vom Land und wollten uns der Macht der Tengus nicht beugen. Das haben wir grausam zurückbezahlt bekommen. Meine Schwester starb, die Eltern ebenfalls. Als ich sie fand, brach etwas in mir entzwei, und ich beschloß, die Tengus zu jagen.«

»Dann haben Sie diesen Kreis erforscht?!«

»So kann man es nennen. Ich beschäftige mich bereits jahrelang mit dem Probleme und dem Phänomen.«

»Offiziell?« fragte ich.

»Wie darf ich das verstehen?«

»Können wir davon ausgehen, Mr. Isanga, daß wir Kollegen sind?«

Er dachte über die Antwort nach. »Sagen wir so, Mr. Sinclair, wir oder ich arbeiten für die Regierung.«

»Geheimdienst?«

»Regierung.«

Ich merkte, daß er nicht mehr sagen wollte und fragte auch nicht weiter.

Suko wollte Einzelheiten wissen. »Bisher, Mr. Isanga haben wir nur allgemein über das Problem gesprochen. Daß es jedoch akut geworden ist, beweist uns Ihr Erscheinen hier. Bitte, wie sieht es aus, Mr. Isanga. Mit welch einer Gefahr müssen wir konkret rechnen? Wo halten sich die Tengus auf?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was haben Sie genau vor? Sie müssen doch irgendwo einhaken. Sicherlich haben Sie eine konkrete Spur.«

»Eine Spur schon«, gab er zu. »Ob sie jedoch konkret ist, kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Versuchen Sie es.«

»Ich vermute den Tengu oder die Tengus in einer Schule, die sich in der Nähe von London befindet.«

»Wie bitte?« fragte ich.

»Es ist keine normale Schule mit Kindern, wie Sie vielleicht meinen, Mr. Sinclair. Diese Schule bildet auch keine jungen Menschen aus, nein, die ist mehr ein Trainingslager für Manager, wenn Sie verstehen. Hinter den Mauern dieser Schule werden Manager ausgebildet, da bekommen sie den letzten Schliff.«

»Landsleute von Ihnen?«

»Ja. Die Schule ist gekauft worden. Eine Investition gewissermaßen.«

»Sie wissen, wo wir sie finden können?«

»Kennen Sie Landmoore Castle?«

»Nein«, erwiderte ich.

»Es liegt etwas versteckt. Sie finden es auf dem Land, sehr einsam gelegen, in Wales.«

»Auch das noch.«

»Wie meinten Sie?«

»Schon gut, Mr. Isanga. Wales ist nur sehr groß und auch wirklich sehr einsam.«

»Das läßt sich finden«, meinte Suko.

»Ich kann Ihnen sogar einen Ort nennen, der in der Nähe liegt.« Der Japaner überlegte einen Moment. »Carmarthen.«

»Das ist mir ein Begriff«, sagte ich lächelnd.

»Dann müßten Sie dort hinfahren.«

»Ohne Sie?« fragte Suko.

Mr. Isanga schaute meinen Freund erstaunt an. »Sagte ich Ihnen nicht, daß ich sterben werde?«

»Hier in London oder …«

»Ja hier.«

»Und wann rechnen Sie damit?« erkundigte sich Suko cool, als würde er über das Wetter sprechen.

»Ich weiß es nicht. Mir ist nur bekannt, daß es geschehen wird. Daran kann man nichts ändern. Ich habe mich zu intensiv mit der Erforschung der Tengus beschäftigt. Man wußte, daß ich nicht auf der Seite des Clubs stand, und so etwas fiel eben auf.«

Wir widersprachen nicht, aber wir legten fest, daß wir alles tun würden, um ihn davor zu bewahren.

Da lächelte der Mann aus Ostasien. »Wissen Sie, Mr. Sinclair. Ich freue mich darüber, daß Sie so denken. Aber vergessen Sie bitte nie, mit wem sie es hier zu tun haben. Tengus sind keine Zombies. Sie sind auch nicht doppelt, sondern hundertmal so stark. Das müssen Sie sich immer vor Augen halten.«

»Stimmt, Mr. Isanga. Eine andere Frage hätten wir trotzdem. Wo haben Sie Ihr Zimmer gebucht?«

»Im Hilton.«

Ich nickte. »Am Hyde Park.« Als ich das sagte, dachte ich Jahre zurück, als wir gerade in diesem Hotel einen furchtbaren Fall erlebt hatten, wo magische Pflanzen versuchten, den großen Komplex unter Kontrolle zu bekommen. »Dann gestatten Sie uns, daß wir Sie dorthin begleiten, Mr. Isanga. Über Ihre Sicherheit und Bewachung werden wir uns später kümmern.«

Er stand auf, schaute uns an und schüttelte den Kopf. Ich glaube, daß dies vergebene Liebesmüh ist, Mr. Sinclair. Man kann mich nicht schützen, nicht vor einem Tengu…«

***

Als Manager mußt er hart sein, manchmal sogar unmenschlich, aber es gab auch Stunden der tiefsten Depression, denn die erlebte Winston Crawford jetzt, als er vor dem stand, was einmal seine Frau Ellen gewesen war. Er hatte zweimal kurz hingeschaut. Tränen liefen über seine Wangen. Von Ellen war kaum etwas zu erkennen gewesen. Sie hatte es nicht mehr geschafft, aus dem brennenden Wagen zu entkommen.

»Es ist gut«, sagte der neben Crawford stehende Commissioner. »Decken Sie die Reste wieder zu.« Er legte Winston eine Hand auf die Schulter. »Kommen Sie, wir müssen gehen.«

Crawford ging nicht, er schlich und schlurfte zugleich. Wie er in das Büro des hohen Beamten gelangt war, konnte er nicht sagen. Jedenfalls fand er sich auf einem gepolsterten Stuhl sitzend vor und schaute gegen ein mit brauner Flüssigkeit halbgefülltes Glas, das ihm eine kräftige Hand reichte.

»Trinken Sie das, Mr. Crawford. Manchmal ist der Whisky wie eine verdammt gute Medizin.«

»Danke.« Winston mußte das Glas mit beiden Händen festhalten, damit es ihm nicht entglitt. Er trank, stierte dabei über den Rand des Glases hinweg ins Leere, und der Commissioner erschrak über die Leere in den Augen. Ihm kam es vor, als wäre darin etwas zersprungen. Ein innerer Zustand zeichnete sich dort ab.

Winston Crawford trank, bis das Glas leer war. Der Polizist nahm es an sich. »Noch einen Schluck?«

»Nein, nicht.« Crawford rieb seine feuchten Handflächen am dunklen Tuch der Hose ab. Er war ein großer Mann mit blondgrauen Haaren, die sich nie richtig kämmen lassen wollten und stets so wuchsen, wie sie es für richtig hielten. Deshalb wirkte Winston Crawford stets wie ein großer Junge und nicht wie jemand, der fünfundvierzig war. Jetzt allerdings sah er um Jahre gealtert aus.

Der Commissioner mußte natürlich Antworten haben, er fragte auch, doch er hörte nichts. Zudem hatte es noch einen zweiten Toten gegeben. Ein Mann namens Jack Bolder war gestorben. Nicht durch das Feuer, sondern durch rohe Kraft. Ihn mußte ein Mensch mit mörderischen Kräften umgebracht haben.

»Ich hätte sie nicht allein auf diese verdammte Party gehen lassen sollen«, flüsterte Crawford mit tonloser Stimme. »Nein, das hätte ich nicht tun sollen. Es ist mein Fehler gewesen, mein verdammter Fehler. Ich bin schuld.«

Der hohe Polizei-Offizier blies die Luft aus. »Wie können Sie so etwas behaupten, Mr. Crawford? Ihre Frau war erwachsen und für sich selbst verantwortlich.«

»Es gab Zeichen.«

Plötzlich war der Beamte ganz Ohr. »Zeichen? Habe ich Sie richtig verstanden?«

»Möglich.«

»Welcher Art?«

Crawford hob den Kopf. Er hatte die kräftigen Finger übereinandergelegt und bewegte die Hände. »Ich glaube nicht, Commissioner, daß es für Sie Bedeutung hat. Dieser Fall, wenn ich ihn mal so nennen darf, steigt in andere Dimensionen hoch.«

»Politisch?«

»Kann sein, muß nicht. Ich denke eher an die wirtschaftliche Seite.« Winston Crawford erhob sich wie ein Greis. Den Kopf hielt er dabei gesenkt. »Er wird schwer sein, die Knäuel zu entwirren, glauben Sie mir.«

»Wir sind da, um Ihnen zu helfen.«

Crawford schüttelte den Kopf. »Ich möchte Sie nicht beleidigen, Commissioner, aber dieser Fall liegt möglicherweise einige Etagen zu hoch für Sie. Er hat etwas mit einem anderen Land, dessen Tradition und dessen Magie zu tun.«

»Magie, sagten Sie?«

»Ja, Sie haben sich nicht verhört.«

Der Polizei-Offizier strich über sein Kinn, wo dunkle Bartschatten schimmerten. »Wenn das so ist, wüßte ich, wie es bei Ihnen weitergeht. Ich habe zwar keine direkte Lösung für Sie, aber ich könnte Ihnen einen bestimmten Weg zeigen.«

»Wohin würde der führen?«

»Zu Scotland Yard.«

»Ist das nicht egal, wer sich darum kümmert?« fragte der Mann mit schwacher Stimme.

»In diesem Fall nicht. Kennen Sie Superintendent Sir James Powell, Mr. Crawford?«

»Ja, vom Namen her. Es kann auch sein, daß ich ihm auf offiziellen Anlässen schon begegnet bin.«

»Das ist gut.«

»Aber was hat er mit Magie zu tun?«

»Einiges. Sir James leitet eine Abteilung, die sich mit okkulten und magischen Phänomenen beschäftigt. Sie ist mittlerweile sehr bekannt geworden, hauptsächlich wegen ihrer Erfolge.«

Winston blieb skeptisch. »Und er sollte mir helfen können? Sind Sie davon überzeugt?«

»Sie sollten es versuchen. Mit irgendeiner Stelle müssen Sie reden, Mr. Crawford. Wenn ich für Sie nicht der Richtige bin, ist es vielleicht Sir James.«

»Nehmen Sie es nicht persönlich …«

Der Commissioner lachte. »Das nehme ich keinesfalls persönlich, Mr. Crawford. Ich werde Sir James zumindest anrufen und ihm von Ihren Problemen berichten.«

Crawford überlegte noch. Schließlich nickte er und gab damit seine Zustimmung.

Während der Polizei-Offizier telefonierte, schaute Crawford aus dem Fenster. Er sah den fließenden Verkehr tief unten und dachte daran, wie leer und sinnlos das Leben ohne seine Frau geworden war. Er und Ellen hatten sich blendend verstanden, doch jetzt …

Es gab eine Möglichkeit, bei ihr zu sein. Er brauchte sich nur den nötigen Schwung zu geben und einfach durch das geschlossene Fenster zu springen. Wenn er unten aufkam, würde er kaum anders aussehen als seine tote Frau. Dann hätte alles ein Ende. Der verfluchte Druck, die Anrufe, einfach alles.

Warum hatte er auch nur zugestimmt, als man ihn um den Job gebeten hatte? Nicht aus finanziellen Gründen, Geld lag genug auf seinen Konten. Es war einfach die Herausforderung gewesen.

Als der Commissioner den Hörer auflegte, holte das Geräusch Winston Crawford wieder zurück in die Realität. Müde drehte er sich um, den Polizisten ansehend, der ihm zunickte.

»Sie haben gehört, was ich mit Sir James besprach, Mr. Crawford?«

»Nein, ich war in Gedanken.«

»Verstehe ich. Die Lage ist klar. Sir James erwartet Sie in seinem Büro.«

»Wann?«

»Sie können sofort zu ihm fahren. Ich werde Ihnen jemand besorgen, der Sie hinbringt.«

»Danke, das ist nett.« Crawford wischte über seine Augen, doch das Bild seiner verbrannten Frau wollte einfach nicht weichen…

***

Die Gondeln hingen an der mächtigen Fassade des Hotels wie große Kästen. Wer hier als Gebäudereiniger einen Job bekommen hatte, mußte zumindest schwindelfrei sein, denn es war nicht jedermanns Sache, in einer derartigen Höhe, die Fassaden und Fenster der einzelnen Zimmer von außen zu reinigen.Leslie Shamrock war schwindelfrei, zudem Junggeselle, erst dreiundzwanzig und ein Bursche, der es mal zu etwas bringen wollte, deshalb sparte er jeden Penny, denn der Traum von einer eigenen Firma sollte für ihn keiner bleiben.

An diesem Tag hatte er schon sehr früh begonnen, eine Pause am Mittag eingelegt, zwei Sandwiches gegessen und einen halben Liter Milch getrunken, bevor er sich in seine Gondel legte, die Augen schloß und sich den wärmenden Strahlen der Sonne hingab.

Pünktlich schlug er wieder die Augen auf, als hätte ein innerer Wecker geklingelt. Sein Kollege und er teilten sich eine Front. Der andere arbeitete weiter rechts, während sich Leslie die linke Breitseite des Hotels vornahm.

Er hatte sich am Vormittag beeilt, konnte es jetzt langsamer angehen lassen und würde die Arbeit zum Feierabend trotzdem verrichtet haben. Er öffnete die kleine Mitteltür der Gondel, hakte sich hinter sie wieder fest und griff nach der Handbedienung, die den Motor startete, damit die Gondel an der Fassade hochschwebte. Mit der Bedienung lenkte er den viereckigen Kasten auch in die verschiedensten Richtungen.

Die Gondel wurde von Haken gehalten. Auf dem Dach war das Führungsgestell befestigt. Bisher hatte Leslie noch keine Furcht vor einem Absturz gehabt. Bei starkem Wind fiel die Arbeit an der Fassade sowieso flach.

Er war etwa zwei Körpergrößen vom Boden entfernt, als sich die Gestalt löste.

Leslie sah den Unbekannten nicht, er merkte nur, wie die Gondel plötzlich Gewicht bekam und anfing zu schaukeln. Instinktiv klammerte er sich fest. Seine Arbeitsutensilien rutschten zur rechten Seite hin. Als Leslie sich drehte, sah er, was geschehen war.

Jemand hatte die Gondel geentert!

Die Augen des Gebäudereinigers weiteten sich, denn die Gestalt sah aus wie aus einem Horrorfilm entsprungen. Sie war in Leder gekleidet, sogar der Kopf wurde von einer Mischung aus Maske und Mütze bedeckt, und nur zwei Schlitze für die Augen blieben frei.

Mächtige, nackte Arme wuchsen aus der Lederweste. Hände, breit und lang. die rechte umklammerte den Griff eines Dolchs. Eine Waffe mit breiter Klinge, die ab der Mitte etwas nach außen gebogen war.

Der Schrei erstickte Leslie Shamrock noch im Hals. Sein Gesicht wurde gelblich. Der andere hatte keinen Ton gesagt, doch Leslie begriff, daß er in Lebensgefahr schwebte.

Der Unbekannte spreizte an der freien Hand die Daumen ab und wies in die Höhe.

Leslie nickte nur. Plötzlich kam ihm der Erdboden so verdammt weit entfernt vor. Die Fahrt, die ihm sonst nicht schnell genug gehen konnte, raste vorbei. Es hatte keinen Sinn, wenn er versuchte, über den Rand zu springen, gesund kam er nie auf. So klammerte er sich fest, den Blick auf die Gestalt gerichtet und dachte auch daran, daß sein Kollege viel zu weit entfernt arbeitete, um ihm helfen zu können.

Leslie atmete durch den offenen Mund. Die Gondel summte in die Höhe. Die blau und weißlich in der Sonne schimmernden Fenster der Hotelfassade huschten vorbei. Er sah keine Umrisse mehr, alles verschwand ineinander, und wenn er nach Westen schaute, erkannte er tief unter sich die weite Fläche des Hyde Parks, wo zahlreiche Spaziergänger das schöne Wetter nutzten.

Wie viele Stockwerke bereits hinter ihm lagen, wußte er nicht. Bisher hatte er sich noch nicht getraut, den Fremden anzusprechen, auch jetzt mußte er einige Male einatmen, um überhaupt ein Wort hervorbringen zu können.

»Wer bist du?«

Der Maskenmann schüttelte den Kopf. Eine andere Antwort bekam Leslie nicht.

Wind fing sich an der Fassade und wischte den Schweiß von seiner Stirn. Leslie schwitzte nicht, weil es warm war. Es war die Angst, die ihn zeichnete.

Die Gondel schwebte weiter. Sehr gerade, wegen der guten Gewichtsverteilung. Noch immer zielte die Messerspitze auf Leslie. Manchmal warf die Sonne einen Reflex auf die Klinge, dann lief es jedesmal kalt über den Rücken des Gebäudereinigers.

Er wußte nicht, was dieser Mensch vorhatte. Ob es ihm um Leslie oder die Gondel ging, war nicht herauszubekommen. Jedenfalls wartete er noch ab, bis die Klinge blitzschnell vorstieß.

Leslie schrie, sah schon Blut aus seiner Kehle schäumen, als er merkte, daß der Dolch nur seine Haut am Hals berührte.

Mit der freien Hand schlug der Maskenmensch zu.

Ein Schlag wie ein Hammerhieb, dem Leslie nichts entgegenzusetzen hatte.

Er verdrehte die Augen, sackte zusammen, und der Maskenmann nahm sich der Bedienung an.

Innerhalb kurzer Zeit hatte er die Funktionen durchgecheckt und zeigte sich zufrieden.

Er horchte den Motor ab, wobei unter dem dünnen Leder der Gesichtsmaske ein wohliges Knurren hervordrang…

***

Neben der Tiefgarage besaß das Hilton auch einen kleinen Parkplatz vor seinem repräsentativen Eingang, wo ich meinen Dienstrover abstellte und mich sofort mit einem der uniformierten Türwächter konfrontiert sah. Böse schaute mich der Mann an, obwohl er freundlich blieb.»Sie dürfen hier nicht parken, Sir.«

Von Wächtern und Aufpassern hatte ich die Nase voll. »Wetten doch?« fragte ich und zeigte ihm meinen Ausweis.

Er wußte zuerst nicht, was er machen sollte und hob nur die Augenbrauen.

»Sie können lesen?«

»Ja, Sir, Polizei.«

»Richtig. Und Sie persönlich werden auf meinen fahrbaren Untersatz achtgeben. Kapiert?«

»Ja, Sir.«

»Dann ist ja alles klar.« Ich ließ ihn stehen und ging zu Suko und dem Japaner, die bereits auf mich warteten.

»Spielte der Knilch den großen Max?« fragte mein Freund.

Ich winkte ab. »Sagen wir so, er versuchte es. Aber das mißlang mal wieder.«

»Wie schön.«

Sekunden später betraten wir das Hotel, wobei die Tür vor uns zurückschwang.

Es war nicht viel los. Selbst auf den Klavierspieler in der Halle hatte man um diese Zeit verzichtet. Der Klimperonkel würde wohl erst zur Blauen Stunde erscheinen und damit beginnen, die Tasten zu quälen.

Wir gingen zur Rezeption, wo die Hiltongirls nett lächelten und nach unseren Wünschen fragten.

Einen Wunsch hatte nur Mr. Isanga. Sein Zimmer war reserviert worden, er bekam auch den Schlüssel und mußte hoch in den vierzehnten Stock des Gebäudes.

Vor den Aufzügen kam unser Gast noch einmal auf sein spezielles Thema zu sprechen. »Bitte, Sie brauchen sich um mich nicht zu kümmern. Ich fahre nach oben, werde duschen und …«

Suko lächelte ihn an. »Lieber, Mr. Isanga. Wir wollen doch, daß Ihnen hier in London kein Leid geschieht.«

Sein Blick verdunkelte sich. »Ich werde sterben, lassen Sie sich dies gesagt sein.«

»Abwarten.«

Das sanfte Klingeln zeigte uns an, daß der Lift »gelandet« war. Die Tür schob sich auseinander, und wir konnten die breite, mit warmen Stoffen ausstraffierte Kabine betreten.

»Der Tengu kann uns überall erwischen«, sagte der Mann aus Japan. »Auch hier im Lift. Für ihn gibt es keine Hindernisse. Wo er hinwill, kommt er auch hin.«

Ich winkte ab. »Malen Sie den Teufel nicht an die Wand.«

»Das ist aber so.«

Die vierzehnte Etage war bei diesem Tempo schnell erreicht. Dort bimmelte es wieder. Wir verließen die Kabine und befanden uns in einem der langen Hotelflure.

Helle Wände, kleine Nischen darin und braune Türen. Das übliche Schema. Ich bekam bei diesen engen Gängen immer Platzangst, zudem schluckte ein Teppich die Schritte.

Am Ende des Flurs standen zwei Mädchen zusammen und saugten den Boden mit einem großen Staubsauger.

Sie waren bestimmt keine Tengus.

Vor der ensprechenden Tür blieb ich stehen, nahm den Schlüssel und betrat den Raum.

Er war aufgeräumt und leer, von einem Tengu keine Spur. Auch im kleinen Bad erwartete uns niemand.

Vor Suko betrat der Japaner den Raum, sah mein Lächeln und schüttelte den Kopf. »Freuen Sie sich nicht zu früh, der Tengu kann überall sein. Er besitzt nicht nur körperliche, auch geistige Kräfte. Er schafft es, sich auf die Person zu konzentrieren, die er umbringen will. Und er sieht immer anders aus. Man weiß nie, ob er dir plötzlich gegenübersteht und eine Technik anwendet, die bei uns oni heißt.«

Suko schloß die Tür von innen, als ich fragte: »Was ist denn oni?«

Die Antwort gab mein Freund. Oni ist furchtbar. Es ist die Kampfkunst der Dämonen, und sie wird ohne Waffen geführt.«

»Ganz ohne?«

Suko verzog leicht die Mundwinkel. »Die Hände reichen, John. Sie sind manchmal schärfer als Messer.«

Mich überkam plötzlich ein verdammt kaltes Gefühl, das sich im Nacken festsetzte. »Danke, das reicht.«

Mr. Isanga hatte seine Zimmer betreten. Die grelle Sonne strahlte herein, als der Mann die Gardinen aufzog.

Ich hatte mich auf die Bettdecke gesetzt und zum Telefonhörer gegriffen.

»Wen möchten Sie anrufen, Mr. Sinclair? Ich will nicht indiskret sein, rechne jedoch damit, daß es mit mir zusammenhängt.«

»Stimmt.«

»Bitte, Mr. Sinclair.« Er sprach zu mir wie ein Vater zu seinem ungehorsamen Kind. »Nicht wegen mir. Sie brauchen mir keinen Schutz zu besorgen. Wenn es nötig sein sollte, kann ich mich auch allein verteidigen, glauben Sie mir.«

»Mein Blick war skeptisch. »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, oder beherrschen Sie auch die Kunst des oni?«

»Ein wenig.«

Schnaufend atmete ich aus, schaute zu meinem Freund hin, der die Schultern hob. Des Menschen Wille ist bekanntlich sein Himmelreich. Ich würde nicht nach Schutz telefonieren, dafür aber mit meinem Chef sprechen, um ihn von den neuen Vorfällen in Kenntnis zu setzen.«

»Auf Ihren Anruf habe ich gewartet, John.«

»Wieso? Ist was passiert?«

»Ja, ich möchte, daß Sie kommen.«

Den Hörer hielt ich so weit vom Ohr weg, damit auch Suko mithören konnte.

»Was ist der Grund, Sir?«

»Reichen Ihnen zwei Tote?« Er hatte sehr bissig gesprochen. »Eine Frau und ein Mann.«

Ich schluckte. »Wissen Sie Näheres, Sir?«

»Nichts Genaues, John. Ich werde mit dem Ehemann der Toten reden. Was ich an Informationen besitze, hat mir der Commissioner übermittelt. Alles deutet auf eine große Schweinerei hin. Kommen Sie so rasch wie möglich. Wie läuft es bei Ihnen? Ist Mr. Isanga gut angekommen?«

»Das schon, Sir.«

»Wunderbar.«

»Finde ich nicht. Wir werden uns darauf gefaßt machen müssen, es wieder mit einem Tengu zu tun zu bekommen. Sie wissen ja, Sir, schon einmal haben wir …«

»Und ob ich das weiß. Das war also der Grund für Mr. Isangas Kommen: Ein Tengu.« Ich hörte Sir James tief durchatmen. »Es wird nicht einfach sein. Wo sind Sie jetzt?«

»Noch im Hilton.«

»Dann bringen Sie unseren Gast aus Japan mit.«

»Ich werde mich bemühen, Sir.«

Suko richtete sich aus seiner leicht gebückten Haltung auf. »Welche Suppe kocht denn da wieder?«

»Keine Ahnung.« Ich nickte dem Japaner zu. »Unser Chef hat mich gebeten, Sie mit zum Yard zu nehmen. Sie sind damit einverstanden, Mr. Isanga?«

»Ich will nicht unhöflich sein, Mr. Sinclair, aber was sollte ich denn dort?«

»Da sind Sie sicherer, zum Beispiel.«

»Nein.« Er gab die Antwort beinahe vorwurfsvoll. »Sie haben mich nicht verstanden, Mr. Sinclair. Es gibt keinen Weg für mich in die Sicherheit. Glauben Sie mir das endlich. Mein Tod ist beschlossene Sache. Der Club ist hinter mein Geheimnis gekommen. Die weißen Tauben schlagen zurück. Die Tengus sind unterwegs.«

Ich will nicht gerade behaupten, daß ich ein Kenner der japanischen Szene bin, ein wenig allerdings kannte ich mich aus und sah endgültig ein, daß Mr. Isanga mit anderen Maßstäben zu messen war.

Ein Schatten fiel wie bestellt in das Hotelzimmer. Etwas hatte am Fenster die Strahlen der Sonne verdunkelt. Es war eine der Gondeln wie sie von den Gebäudereinigern benutzt wurde.

»Ich hatte kaum hingeschaut, als die Sonne plötzlich explodierte. Erst als ich das Splittern vernahm, wußte ich Bescheid. Da war es schon zu spät.

Aus der verdammten Gondel war der Tengu in den Raum gesprungen, um sich sein Opfer zu holen…

***

Zuerst war Suko an der Reihe. Wer ihn kennt, weiß, daß er ein harter Kämpfer ist, den so leicht nichts erschüttert. Bis auf einen Tengu. Der war so schnell, daß man ihn kaum verfolgen konnte. Die dunkle Gestalt schien das gesamte Zimmer einzunehmen, als sie sprang und Suko ebenfalls das Fliegen lernte.Er krachte in den Schrank hinein, durchbrach die Türen und blieb in den Trümmern liegen.

Ich warf mich dem lebenden Killermonster in den Weg. Daß ich nur einen Tritt abbekam, war mein Glück. Auf Suko wirbelte ich zu und drückte ihn wieder zurück,

Halb benommen waren wir beide. So bekamen wir nur schemenhaft mit, wie der Tengu reagierte.

Er schnappte sich Isanga.

Wir hörten ihn schreien, als er sich wehrte. Zum erstenmal erlebte ich die Kampfkraft des oni, und Isanga setzte tatsächlich nur seine Hände ein. Damit wollte er den Tengu zerstören.

Der aber trug nicht grundlos seine schwarze Lederkleidung. Die gekrümmten Finger rutschten an dem Material ab, und Isanga kassierte den ersten Hieb, der sein Gesicht zerstörte.

Das bekam ich noch mit, dann griff der Tengu zu, hob den Mann an, lief mit ihm auf das zerstörte Fenster zu und warf ihn kurzerhand hindurch. Der Körper flatterte noch über den Gondelkasten hinweg, bevor er in die Tiefe raste.

Für einen Moment blieb der Tengu noch im Raum. Er drehte sich um, starrte uns an.

Wer sich hinter der Maske aus Leder verbarg, konnten wir nicht erkennen. Nur die Augenschlitze blieben frei. Was darin jedoch lauerte, war von einer wilden Boshaftigkeit. Es war grauenvoll, es war einfach der Wille zu töten.

Suko und ich hatten uns auf die Seite gerollt und einigermaßen wieder freigekämpft.

Mit Silberkugeln auf ihn zu schießen, hatte keinen Sinn, das überstand er.

Plötzlich sprang er durch das Fenster, aber auch über die Gondel hinweg.

In diesem Augenblick kam er mir vor wie Batman, nur besaß der Tengu kein Seil, das ihn abfing.

Ich stolperte auf das Fenster zu und fiel fast in die Außengondel, wo der echte Gebäudereiniger am Boden lag und sich nicht rührte.

Der Tengu war gelandet. Zwischen den Bäumen eines schmalen Grünstreifens und auch nicht weit von dem Ort entfernt, wo Mr. Isangas Körper zerschmettert lag.

Allerdings lief der Tengu weiter, räumte Hindernisse brutal aus dem Weg, dann war er weg.

Ich stand oben an der Gondel und hätte heulen können. Alles schwankte vor meinen Augen. Wenn ich in die Tiefe blickte, gewann ich den Eindruck, gegen Wellenberge zu sehen.

Weiche Knie ließen mich zittern. Ich hörte Suko. Er kletterte aus den Trümmern. Seine Bewegungen wirkten matt. Dennoch trat er voller Wut die Kleiderstange aus Messing zur Seite. Sein Gesicht sah lädiert aus. Zwischen Wange und Stirn schimmerte die Haut bläulich. Der Fleck endete in einer Schramme.

»Er ist aus dem Fenster gesprungen, Alter. Einfach so.« Ich starrte Suko an.

»Und Isanga?«

»Der ist tot.«

»Er hat es gewußt«, flüsterte mein Freund und strich über seine malträtierte Stelle am Gesicht. »Der hat genau gewußt, daß er hier in London sterben würde.«

»Dennoch ist er gekommen.«

»Ja, es war seine letzte Pflicht. Er hat uns vor dem Club der weißen Tauben und den Tengus gewarnt. Mehr konnte er nicht tun, John.« Suko setzte sich auf das Bett. Ich will nicht sagen, daß Angst in seinem Blick lag, aber der Ausdruck war auch nicht weit davon entfernt. Vielleicht auch Unbehagen und das Gefühl, ein Verlierer zu sein. »Wenn der besser getroffen hätte, John, wären wir tot.«

»Oni – nicht?«

»Ja, die dämonische Kampfkunst, die allein mit den Händen geführt wird. Sie ist furchtbar.« Suko erhob sich schwankend. »Bisher war sie auf Asien begrenzt, jetzt aber …«

Ich sah, daß er sich zur Tür wandte und hielt ihn mit einem Ruf auf. »Moment noch, hier in der Gondel liegt jemand.«

»Noch ein Toter?«

Suko bekam erst Antwort, als ich den jungen Mann untersucht und aufgeatmet hatte. »Nein, er ist nicht tot. Er lebt, ist nur bewußtlos.«

»Welch ein Glück für ihn.«

Gemeinsam schleppten wir den jungen Mann ins Zimmer, wo er seinen Platz auf dem Bett fand.

Der Hieb hatte auch bei ihm Spuren hinterlassen. Seine linke Gesichtshälfte zeigte eine rotblaue Färbung.

»Wir müssen trotzdem nach unten«, drängte Suko.

Ich warf zuvor noch einen letzten Blick in die Tiefe. Der Vorgang war nicht unbeobachtet geblieben. Zahlreiche Menschen umstanden die Aufschlagstelle. Ihre lauten Stimmen glitten als Echos an der Fassade des Hotels hoch.

Wir nahmen den Lift. Suko sah ziemlich ramponiert aus, auch ich fühlte mich nicht gerade wie frisch aus der Sauna kommend. »Wie geht es dir?«

»Der Kopf ist noch dran, John.«

»Beim nächstenmal wissen wir Bescheid.«

Sukos Blick sah mitleidig aus. »Beim nächstenmal, John? Sag mir, wie du einen Tengu stoppen willst. Das schaffst du nicht.«

»Nur mit Feuer.«

»Aber kein Streichholz.« Suko verließ als erster den Lift. In der Halle herrschte ebenfalls Aufregung. Einer der Geschäftsführer lief mit hochgereckten Armen umher, den Blick immer wieder gegen die Decke gerichtet. Dabei wrang er die Hände.

Wir wußten, wo wir den Toten finden konnten und gingen hin. Mittlerweile war der Ring der Neugierigen noch dichter geworden. Jemand hatte eine Decke über den Japaner ausgebreitet. Wir hörten auch, daß jemand die Polizei alarmiert hatte, ansonsten spitzten wir die Ohren, um auch andere Kommentare mitzubekommen.

Ein Kellner hatte den Tengu gesehen. Er sprach so laut, daß wir es hören konnten.

»Ich sage euch, der ist gesprungen und weggelaufen.«

»Wo kam er denn her?«

Der Kellner deutete in den Himmel. »Von oben. Der … der fiel einfach vom Himmel.«

»Mehr aus dem Fenster, wie?«

»Ja, aber der eine ist tot. Der andere nicht. Der sah aus wie ein Monster. Schwarz, nur die Arme waren hell.«

»Wo ist er denn hingelaufen?« Ich hatte mich nahe an den Sprecher herangeschoben.

Der junge Mann strich sein Haar zurück. »Das kann ich Ihnen sagen.« Er drehte sich um und deutete über die vierspurigen Park Lane hinweg, die an der Ostseite des Parks entlangführte. »In den Park ist er gerannt. Einfach so, über die Straße weg, dann war er verschwunden.«

Ich schaute Suko an, der die Schultern hob. Wir waren beide der Meinung, daß es keinen Sinn hatte, eine große Fahndung nach ihm anzukurbeln. Wenn der Tengu wollte, fand er immer das richtige Versteck, und wenn er sich dabei in die Erde eingrub.

Dann erschienen die Kollegen. Zwei von ihnen kannten uns. Sofort wurden wir angesprochen.

»Ist das Ihr Fall?«

»Ja«, sagte Suko.

»Dann müßten wir den Yard …«

»Bitte, tun Sie das.« Suko sprach mit kraftloser Stimme. So hatte ich ihn selten reden gehört. Der verdammte Tengu mußte ihn ziemlich brutal erwischt haben, wobei er auch an der Psyche meines Freundes gerüttelt hatte.

Auch ich spürte Übelkeit im Magen. An einer der Hotelbars bekämpfte ich das Gefühl mit einem doppelten Whisky. Von dort rief ich auch Sir James an, der den Vorgang schweigend zur Kenntnis nahm und sich nur erkundigte, wann wir eintreffen würden.

»Ist Ihr Besuch schon da?«

»Ja.«

»Halten Sie ihn solange fest.«

»Das werde ich auch, denn es kann sein, daß Sie an den gleichen Fällen arbeiten.«

»Was?«

»Später mehr, John.«