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Die Waffe war etwas Besonderes. Sie lag versteckt in den Eisregionen der Arktis. Nur ein besonders mutiger Mensch war in der Lage, sie zu finden.
Zwei Männer machten sich auf den Weg, um das Zauberschwert zu finden: Yakup Yalcinkaya und ich.
Nur mit dieser Waffe konnte Shimada, der Ninja des Teufels, besiegt werden. Viele schon hatten versucht, das Schwert zu finden. Sie waren gescheitert.
Wir fanden die Waffe. Doch der Preis war zu hoch ...
Die Schwert-Legende
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Seitenzahl: 184
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Die Schwert-Legende
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Vincente Ballestar/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7964-8
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.
Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung.
Die Schwert-Legende
von Jason Dark
Die Waffe war etwas Besonderes. Sie lag versteckt in den Eisregionen der Arktis. Nur ein besonders mutiger Mensch war in der Lage, sie zu finden.
Zwei Männer machten sich auf den Weg, um das Zauberschwert zu suchen: Yakup Yalcinkaya und ich.
Nur mit dieser Waffe konnte Shimada, der Ninja des Teufels, besiegt werden. Viele schon hatten versucht, das Schwert zu finden. Sie waren gescheitert.
Wir fanden die Waffe. Doch der Preis war zu hoch …
Die Toten schrien!
Oder wimmerten ihre Seelen nur so erbärmlich, als würde ein Sturmwind durch die Löcher eines alten Gemäuers wehen und sich in den Spalten und Ritzen fangen?
Es waren schlimme, leise, dennoch grauenhafte Schreie, die sich in das Hirn des Ruhenden brannten.
Die Schreie brachten eine Botschaft, eine Warnung. Sie wollten den Liegenden aufrütteln und dafür sorgen, dass er keine Ruhe mehr fand. Der Körper lag gestreckt auf dem einfachen Lager, äußerlich ruhig, innerlich jedoch unter Druck stehend, denn das Geträumte zeichnete sich auf dem Gesicht des Mannes ab. Nicht das Bild, nur die Qualen, die er im Schlaf durchlitt.
Da zitterte der Mund, da perlte Schweiß auf der breiten Stirn und dem dunkelblonden Haar. Die Wimpern zuckten, die Lider flatterten. Manchmal drang über die Lippen ein leicht pfeifendes Geräusch, wenn der Mann ausatmete.
Im Schlaf durchlebte er einen Schrecken, der in den Tiefen seiner Seele geboren wurde und der ihn peinigte wie eine Folter. Die Schreie verwehten allmählich, stattdessen erschienen Bilder vor seinem geistigen Auge.
Sie schälten sich aus einer tiefen, dunklen Schüssel hervor, drangen wie lange, schwarze Nebelbänder an die Oberfläche und formierten sich zu einem unscharfen Bild.
Eine weite Szenerie. Kalt, weiß, schneebedeckt, mit gewaltigen Bergen im Hintergrund. Vögel schwebten über die Fläche hinweg. Große, schwarze Tiere, eine Mischung aus Adlern und Raben, so jedenfalls kamen sie dem Träumenden vor.
Die Vögel wirkten wie Boten des Schreckens und der Finsternis. Aus einer anderen Welt stammend, waren sie in diese reale hineingetaucht, um auf die Suche nach irgendwelchen, für den Schlafenden nicht erkennbaren Dingen zu gehen.
Manchmal jagten die Vögel pfeilartig dem schnee- und eisbedeckten Erdboden entgegen, pickten mit ihren langen Schnäbeln in Löcher oder Spalten und holten ihre Beute hervor. Da hingen dann lange, blutige Fetzen aus ihren Schnäbeln wie flatternder Stoff. Die Vögel stiegen wieder in den Himmel, öffneten die Schnäbel weit, sodass die Fleischstücke hineingleiten konnten.
Ihr Fluggebiet war begrenzt. Sie zogen ihre Kreise über einem ganz bestimmten Gebiet der eisbedeckten Landschaft, doch den wahren Grund für dieses Verhalten konnte der Schlafende nicht erkennen.
Der Traum zeigte ihm nur die weiße Weite dieser so menschenfeindlichen Landschaft.
Und doch musste es Leben geben. Unter dem Eis, im Boden oder dort, wo sich die Vögel aufhielten.
Der Traum nahm an Deutlichkeit zu. Die Botschaft verdichtete sich. Im Unterbewusstsein wusste der Schlafende bereits, dass diese Weite eine große Rolle in seinem Leben spielen würde. Etwas tat sich dort, war für ihn eminent wichtig.
Im Schlaf verfolgte er den Flug der Vögel. Die schwarzen Todesboten ließen sich durch nichts aufhalten. Die Ruhe glich einem majestätischen Schauspiel, das sich schließlich immer mehr auf einen Punkt oder Ort hin verlagerte.
Auch der Schlafende konnte »sehen«.
Zuerst war es nicht mehr als ein dunkler Fleck in der Weite der Eiswüste. Allmählich jedoch bekam es Konturen. Nicht nur Breite und Länge entstanden, es schob sich auch in die Höhe.
Ein Berg?
Wenn ja, dann hatte es die Kälte bei ihm nicht geschafft, ihn vollständig mit Eis zu bedecken. Nur an den Rändern schimmerte das gefrorene Wasser manchmal wie blaue Augen, die müde in den Himmel zu starren schienen.
Diese Szene »erlebte« der Schlafende immer intensiver. Die Botschaft war an Deutlichkeit nicht mehr zu übertreffen. Der Mann auf dem einfachen Bett konnte plötzlich erkennen, um was es sich bei dem Gegenstand in der Einsamkeit der Eiswüste handelte.
Es war eine graue Pyramide aus auf- und übereinandergeschichteten Steinen, die von den schwarzen Totenvögeln bewacht wurde. Unten sehr breit gebaut und an den Rändern ausufernd, sich nach oben hin verengend, sodass sie an ihrem Ende eine Kappe aus Steinen bildete. Das flache Gestein war so aufeinandergeschichtet worden, dass sich Lücken hatten bilden können, wobei eine besonders groß ausfiel.
In ihr steckte der Gegenstand, der wie ein einsames Zeichen inmitten der Eiswüste wirkte.
Schlank ragte er aus der Spitze der Steinpyramide hervor. Das kalte Licht spiegelte sich matt auf dem Gegenstand, dessen Griff aussah, als sei er mit Blattgold überzogen worden.
Ein Griff in Form eines Kreuzes, eben ein Schwertgriff. Und genau dieser Gegenstand steckte zu mehr als zwei Dritteln seiner Größe innerhalb der Steinpyramide. Es war nicht nur irgendein Schwert, es war das Schwert, die Waffe, auf die es ankam.
Urplötzlich erwachte der Schlafende. Er setzte sich auf, ein Schrei wehte aus seinem Mund.
Erschreckt und wissend zugleich.
Ja, der Traum hatte es ihm verdeutlicht. Plötzlich wusste er Bescheid.
Es war das Schwert der Sonnengöttin Amaterasu!
☆
Yakup Yalcinkaya senkte den Kopf und presste die Hände gegen die Wangen. Er blieb auf dem harten Lager sitzen, der Traum war einfach zu intensiv gewesen, um mit ihm so einfach fertig zu werden. Yakup wusste genau, dass ihm die Sonnengöttin Amaterasu eine Botschaft hatte zukommen lassen wollen.
Es ging um ihre Waffe!
Sie allein konnte es schaffen, die lebende Legende Shimada aus dem Weg zu räumen. Nur sie und keine andere.
Yakup wusste dies. Immer wieder hatte er versucht, das Schwert zu finden. Bisher war es ihm nicht gelungen, das Versteck herauszufinden, nun wusste er Bescheid.
Seine Hände sanken nach unten, der Körper streckte sich. Hochaufgerichtet hockte er auf der Bettkante und dachte über den Traum nach. Seine Lippen bewegten sich dabei, sehr leise, nur für ihn hörbar sprach er den Namen des Schwertes aus.
Es hatte einen bestimmten Namen bekommen. Die Japaner nannten es Kusanagi-no-tsurugi, das Schwert, das Gras schneidet. Es war die Angriffswaffe der Göttin gewesen, den Fächer hatte sie hingegen als Abwehrwaffe benutzt.
Sie besaß das Schwert nicht mehr. Sie war in das Dunkle Reich gestoßen worden, wo ihre Macht Grenzen gefunden hatte. Ihre Gegner, zu denen Shimada, der Samurai des Satans oder die lebende Legende gehörte, waren stärker gewesen als sie, und auch der Sturmgott Susanoo hatte einiges zu ihrer Verbannung beigetragen.
Das Schwert allerdings war nicht in die Hände ihrer Feinde gefallen. Wer es versteckt hatte und an welchem Ort genau, das wusste niemand. Nur Yakup hatte es im Traum gesehen.
In einer Wüste aus Eis, in einem menschenfeindlichen Gebiet, hatte es seine Heimat gefunden.
Yakup erhob sich.
Er war ein hochgewachsener Mann, mit einem Körper, den man als ideal bezeichnen konnte. Ein Kämpfer durch und durch, ein Ninja, ein Meister auf diesem Gebiet, obwohl er kein Japaner war, sondern Türke und in einem Kloster in den Bergen östlich von San Francisco lebte. Breite Schultern, schmale Hüften, ein kantiges Gesicht mit sonnenbrauner Haut und einer Haarfarbe, die so gar nicht zu ihm passen wollte. Ebenso wenig wie die strahlend blauen Augen unter den ebenfalls hellen Brauen.
Yakup trug ein dunkles Hemd, das bis über seine Hüften fiel. Die dunkle Hose passte ebenfalls dazu. Er wirkte in dieser Kleidung wie ein lebender Schatten.
Das alte Kloster wurde nicht nur von ihm bewohnt. Yakup hatte in den letzten Jahren so etwas wie eine Ninja-Schule eingerichtet. In den Räumen bildete er die Männer aus und brachte ihnen nicht nur die Technik des Kampfes bei, er sorgte auch dafür, dass die innere Einstellung stimmte, denn in einem gestählten Körper musste ein positiver Geist leben. Es ging ihnen nicht um die Gewalt, sie waren friedlich. Wurden sie aber angegriffen, dann schlugen sie auch zurück.
Das hatte Yakup in der Vergangenheit mehr als einmal beweisen müssen, vor allen Dingen in der Zeit, als Jane Collins, die Detektivin, bei ihm gewohnt hatte.
Sie hatte sich einsam gefühlt, und sie war wieder zurück nach London zu John Sinclair gegangen. Dort lag ihre Welt, und nur dort fühlte sie sich wohl.
Ihr Weggehen hatte Yakup schwer getroffen, doch er hatte sich daran gewöhnt und es mit Würde getragen.
Der Ninja verließ seine schlichte Liegestatt. Überhaupt gab es in dem Kloster keinen Prunk. Alles war schlicht eingerichtet worden, angefangen bei den Trainingsräumen bis hin zu den Kammern, die als Schlafstätte dienten. Vor einem schmalen Fenster blieb Yakup stehen. Er dachte über die Stimmen nach, die er gehört hatte. Es waren Schreie gewesen, und er wusste, wer sie ausgestoßen hatte.
Noch unter den offiziellen Kellerräumen und nur erreichbar durch einen Schacht lagen die Toten, die Vorgänger, die Gründer des Klosters. Beerdigt und hingelegt in einem Baum, dessen Geäst die Leichen hielt. Sie waren es, die sich aus dem Jenseits gemeldet hatten, ihre geisterhaften Stimmen hatten Yakup die Träume geschickt, und er wusste, dass es nicht grundlos geschehen war.
Das Fenster war nicht geschlossen. Von der Bucht, nicht sichtbar für ihn, wehte der kühle Nachtwind. Er drang über die Kuppen der Berge hinweg, glitt durch die Täler und Canyons und erreichte das Gesicht des Kämpfers.
Yakup blieb stehen und wirkte wie jemand, der dem Wind nachlauschen wollte.
Er schaute in den nächtlichen Himmel, wo hell funkelnde Sterne ihm Grüße zuschickten, wo der Mond wie eine Gondel stand und wirkte, als hätte man sie aus der Schwärze herausgeschnitten.
Die Luft war klar in dieser Nacht, und sie war erfüllt von einem geheimnisvollen Raunen und Wispern, voll von einer Botschaft, die über weite Entfernungen getragen wurde.
Yakup überkam der Eindruck, als hätten sich ihm Welten geöffnet, als wären Grenzen zu anderen Dimensionen verschwunden, damit die metaphysischen Kräfte sich freie Bahn verschaffen konnten.
Es war eine Nacht, die den sensiblen Menschen gehörte. Wo sie fühlten, tasteten, nach Botschaften aus dem All lauschten und wussten, dass die nicht fassbaren Dinge in die realen übergingen und sich zu einem Wirrwarr vereinigten.
Yakups Augen verengten sich. Er stand wie ein Denkmal vor dem Fenster und rührte sich nicht. Sein Blick streifte in die Weite des Himmels, er spürte auf dem Rücken den gelinden Schauer und das Herzklopfen.
Da war etwas für ihn bestimmt. Nicht allein der Traum, es gab eine Sache, die er nicht erklären konnte, die jedoch vorhanden war. Möglicherweise eine Gefahr.
Yakup senkte den Kopf und schaute in die Gärten des Klosters.
Sie umgaben den Bau mit seinen alten wuchtigen Mauern wie eine schützende Landschaft. Die Ninjas ernährten sich autark, das heißt, sie lebten von dem, was sie in ihren Gärten anbauten. Das Wasser der unterirdischen Quellen wurde in Gräben geleitet, zur Bewässerung der Felder.
Die Wege zwischen den Feldern wirkten wie mit dem Lineal gezogen. Hin und wieder bewegten sich dort Gestalten, die sich manchmal kaum von der Finsternis abhoben.
Es waren die Wächter, die um das Kloster patrouillierten. Sicher konnten die Männer nie sein. Es hatte Banden gegeben, die das Kloster angegriffen hatten, gefährliche Kämpfe mit mörderischen Samurais und japanischen Yakuza-Killern, die sich zur Elite der ostasiatischen Mafia zählten.
In der letzten Zeit allerdings hatten sie Ruhe gegeben, so lagen relativ stille Monate hinter den Ninjas.
Einer der Wächter erschien lautlos, als er um einen kleinen Vorbau herumging.
Er war bewaffnet. Aus seiner Nackenscheide schaute der Griff des Ninjaschwerts hervor. Im Gürtel steckten zwei Messer und in einer kleinen Tasche die Shuriken, die Wurfsterne, die nur von Meistern ihres Fachs beherrscht wurden.
Der Wächter blieb plötzlich stehen. Eigentlich hätte er seinen Weg fortsetzen müssen. Dass er nicht mehr weiterging, musste einen Grund haben. Yakup, der alles beobachtete, spannte sich. Sein sportlich gestählter Körper wirkte plötzlich wie ein Drahtgeflecht, das jeden Augenblick zerreißen konnte.
Etwas kroch seinen Rücken hinab. Der Speichel sammelte sich in seinem Mund zu einer klebrigen Lache. Nicht grundlos war der Wächter stehen geblieben.
Ahnte er eine Gefahr?
Yakup wollte ihn schon ansprechen, als der Mann unter ihm weiterging. Jetzt mit noch vorsichtigeren Schritten und sich immer wieder umschauend.
Aus seiner Höhe zischte Yakup dem Bruder etwas zu. Der hatte ihn schon beim ersten Mal gehört. Er drehte sich auf der Stelle und schaute an der Klostermauer hoch, wo sich die Gestalt des Türken im offenen Fenster abzeichnete.
»Was hast du?«
Der Wächter breitete für einen Moment die Arme aus. »Ich weiß es nicht, Yakup, ich kann es nicht fassen. Etwas ist hier in der Nähe. Ich kann es nur fühlen.«
»Gefahr?«
»Vielleicht, doch ich hörte die Stimmen der Toten nicht.« Das Gesicht des Sprechers glänzte bleich im Mondlicht, als er in die Höhe schaute.
Yakup nickte ihm zu. »Ich werde zu dir hinunter kommen. Warte auf mich!«
»Ist gut.«
Yakup zog sich zurück. Er schaute auf die Uhr. Mitternacht war längst vorüber, die erste Morgenstunde ebenfalls. Noch lag die Nacht schweigend über dem Land, dennoch war sie erfüllt von Botschaften und einer nicht zu unterschätzenden Gefahr.
Während des Schlafs legte Yakup die Waffen ab. Nun nahm er sie wieder an sich.
Sein Schwert steckte er in die Nackenscheide, er hängte sich den Beutel mit den Shuriken um, verzichtete allerdings auf seine Messer und auch auf den Bogen.
Vorsichtig öffnete er die Zellentür – nichts anderes waren die Räume – und trat hinaus in den schmalen, kahlen Gang.
Am Ende des Gangs stand eine Gestalt. Hoch aufgeschossen, aber noch jugendlich.
»Ich konnte nicht schlafen, Yakup, es tut mir leid.« Der Junge kam langsam näher und hob wie bedauernd die Schultern.
Er gehörte zu Yakups besonderen Schützlingen. Ali stammte aus Nordafrika, war Waise und hatte sich entschlossen, bei Yakup zu bleiben, um von ihm ausgebildet zu werden. Gemeinsam hatten sie schon einige Gefahren überstanden. Ali war ein sehr gelehriger Schüler, sowohl in der Praxis als auch in der Theorie. Er hatte sich voll und ganz auf seine Aufgabe konzentriert, was Yakup sehr viel Freude bereitete.
»Weshalb kannst du nicht schlafen?«
Ali hob die Schultern. »Ich kann dir den Grund nicht nennen. Etwas ist anders in dieser Nacht.«
»Das spürte ich auch. Hattest du Träume?«
»Nicht direkt. Mehr eine innere Unruhe.« Sein Blick glitt über Yakups Waffen. »Du trägst das Schwert und auch die Wurfsterne? Sind Feinde in der Nähe?«
Der Ninja lächelte schwach. »Das weiß ich nicht, Ali, aber mir ging es fast wie dir. Nur habe ich Botschaften empfangen. Jemand schickte mir einen Wahrtraum.«
»Um was ging es?«
»Um das Schwert der Amaterasu. Um die Waffe, mit der wir Shimada vernichten können.«
Alis Augen glänzten. »Weißt du, wo es sich befindet?«
»Ja, im ewigen Eis. Dort habe ich es gesehen, wie es mit dem Griff aus einer Steinpyramide hervorragte. Es war ein Traum, der sich erfüllen wird, Ali. Davon bin ich überzeugt.«
»Willst du nicht die Krone mitnehmen?«
»Nein, mein Freund, so schlimm ist es nicht.«
Die Krone der Ninja war etwas Besonderes. Man konnte sie als eine Tarnkappe betrachten, denn wer sie trug, wurde unsichtbar.
Es hatte um die Krone wilde Kämpfe gegeben. Asmodis hatte sie ebenso besitzen wollen wie Shimada. Lachender dritter jedoch war schließlich Yakup gewesen, auch wenn ihn der Kampf den kleinen Finger der linken Hand gekostet hatte.
»Soll ich mit dir gehen?«
Yakup lächelte. »Nicht nötig. Draußen werden genügend Freunde sein, die mir zur Seite stehen.«
»Gut, ich schaue vom Fenster aus zu. Und die anderen soll ich auch nicht warnen?«
»Bitte nicht. Lass sie schlafen. Sie haben ihre Nachtruhe verdient. Wenn es zu gefährlich wird, werde ich schon Alarm schlagen.«
»Ja, es ist gut.«
Yakup schob sich an Ali vorbei. Er ging bis zum Ende des Gangs durch und drehte sich dort nach rechts, wo die Stufen einer gewundenen Steintreppe in die Tiefe führten.
Es war nie dunkel im Kloster. An den Wänden brannten Talglichter. Sie gaben ihren beruhigenden Schein ab. Zwar wirkte das Kloster wie von der Außenwelt abgeschnitten, elektrischen Strom gab es dennoch und auch ein Telefon, denn manchmal war es sehr wichtig, dass Yakup mit bestimmten Freunden Kontakt aufnahm. Und die wohnten zumeist in Übersee, wie in London.
Er schritt die Treppe hinab. Niemand kam ihm entgegen. In der großen Halle blieb er für einen Moment stehen und schaute sich um. Hier brannte kein Licht. Hinter den Fenstern lag die Dunkelheit der Nacht, hin und wieder unterbrochen vom Reflex eines Lichtfunkens, der von den Sternen stammen konnte.
Auch als Yakup durch die Halle ging, spürte er keine Gefahr. Es war wie immer. Eine dichte, nächtliche Stille lag zwischen den Wänden und schien sich an den dunklen Scheiben der Fenster festkrallen zu wollen. Yakup öffnete die Tür. Er trat hinaus in die Kühle und in den frischen Wind, der ihn umschmeichelte.
Es war April; ein wunderschöner Frühling lag bereits hinter ihnen. Es hatte sogar sommerliche Temperaturen gegeben, in den letzten Tagen jedoch war es wieder abgekühlt.
Der Ninja dachte an seinen Traum. Wieder sah er die Steinpyramide inmitten des ewigen Eises und glaubte sogar, die eisige Kälte zu spüren, die von dieser Landschaft ausging.
Es war nicht die äußere Kälte, die bei ihm einen Schauer hinterließ, sondern die innere. Yakup fühlte sich nicht sehr wohl, keine Mauer schützte ihn mehr. Irgendwo in seiner Umgebung mussten sich die Gefahren verdichtet haben.
Yakup gehörte zu den Menschen, die sich lautlos bewegen konnten. Diese Fähigkeit wandte er jetzt an. Seine Schritte waren kaum zu hören, er schien zu schweben, als er dicht an der Mauer entlangging, um die Gärten zu erreichen, wo der Wachtposten auf ihn wartete.
War diese Nacht anders? Hatte sich tatsächlich etwas verändert? Yakup besaß eine sehr sensible Ader, einen sechsten Sinn für Gefahren. Er lauschte, er horchte nach innen – und spürte plötzlich das Prickeln in den Adern.
Gefahr!
Der Türke ging schneller. Er umrundete einen Komplex, konnte einen Teil der Felder überblicken und hätte längst den Wächter erkennen müssen. Er sah ihn nicht.
Yakup konnte sich nicht vorstellen, dass sich der Mann verborgen hielt. Es musste etwas passiert sein. Seine Unruhe verdichtete sich. Das passte alles zusammen. Zunächst der Traum, dann dieses Verschwinden des Freundes.
Yakup beschleunigte seine Schritte. Er lief an der Mauer entlang, wo sich das Fenster zu seinem zellenartigen Zimmer befand. Über einen schmalen Weg lief er nach links, um urplötzlich abrupt stehen zu bleiben.
Auf dem Boden zeichnete sich eine dunkle Gestalt ab. Sie rührte sich nicht mehr. Den Umrissen nach zu urteilen, konnte es sich nur um einen Menschen handeln.
Der Wächter!
Yakup hatte keinen Zweifel mehr, dass es sich bei dieser Gestalt um den Freund handelte.
Obwohl er nachschauen wollte, ließ er sich Zeit. Sicherheit kam zuerst, und er schaute sich um, ob möglicherweise noch eine Gefahr in der Nähe lauerte.
Das war nicht der Fall. Sosehr er sich auch bemühte, einen Feind konnte er nicht entdecken.
Neben dem Wächter blieb er stehen. Der Mann lag nicht ausgestreckt. Er hatte die Beine etwas angezogen, als hätte er sich noch im letzten Augenblick abstützen wollen. Auch der Kopf kam ihm vor, als hätte er ihn bewusst in seinen angewinkelten Armen vergraben, um das Gesicht zu schützen.
Yakup, der neben dem Bewegungslosen kniete, berührte das rechte Handgelenk und drückte den Arm weg.
Dann sah er das Gesicht.
Nein, es war kein Gesicht mehr. Wo es sich einmal befunden hatte, schimmerte das rohe Fleisch …
☆
Ein anderer hätte vielleicht geschrien, geheult, getobt und noch mehr getan.
Yakup Yalcinkaya aber blieb unbeweglich sitzen. Nur seine Gesichtszüge verhärteten sich, als hätte jemand kleine Steine unter seine Haut geschoben.
Das Gesicht sah furchtbar aus, er wollte nicht mehr hinschauen, nur stellte er sich die Frage, wer sich dafür verantwortlich zeigte. Wer hatte das Gesicht dieses Menschen dermaßen stark bearbeitet?
Er richtete sich vorsichtig auf, den rechten Arm halb erhoben und angewinkelt, damit seine Hand blitzschnell den Griff der aus der Nackenscheide ragenden Waffe umklammern konnte.
Nichts tat sich.
Nur der Wind wehte vom Meer. Dunkel wie ein gefärbtes Tuch lag über ihm der Himmel. In der Ferne grüßten die Berge. Sie sahen aus wie ein schwarzes Meer, dessen Wellen erstarrt waren.
Und doch lauerte der Tod in der Nähe …
Heimtückisch und grausam hatte er zugeschlagen. Unhörbar, was selbst Yakup ein unruhiges Gefühl bereitete. Sein Blick glitt an der Klostermauer hoch.
Die dunklen Fenster sahen aus wie schmale Eingänge zu Nischen, in denen Tote lauerten.
Die Luft war kühl. Sie schmeckte nach Staub und einer gewissen Frische, die von den Feldern herkam.
Nein, es war keine Gefahr zu sehen. Er ging zwei Schritte zur Seite. Wieder fiel ihm sein Traum ein.
Die Wüste aus Eis, die Pyramide, der Griff des Schwertes, das alles stand plastisch vor seinen Augen.
Dann hörte er ein Geräusch.
Nicht sehr laut, kaum zu identifizieren, als hätte jemand eine Decke über ihm ausgeschüttelt.
Yakup blickte in die Höhe.
Ein Schatten huschte über ihn hinweg.
Auf einmal fiel ihm ein, was er vergessen hatte. Es waren die Vögel gewesen, die als schwarze Todesboten die Pyramide inmitten der Eisfläche umkreist hatten.
Und dieser Schatten war ebenfalls ein Vogel.
Schwarz, mit großen Schwingen, die sich fast träge bewegten. Das Tier glitt an der Klostermauer entlang, als hätte es sich dort ein Ziel ausgesucht.
Tief atmete Yakup durch. Ein Verdacht war in ihm aufgekeimt. Er dachte an das Gesicht des Toten und erinnerte sich an seinen Traum, wo die Vögel mit ihren spitzen Schnäbeln etwas aus der Pyramide hervorgeholt hatten. Passte das nicht zusammen?
Diesmal war der Vogel verschwunden. Er schien in eines der Fenster geflogen zu sein.
Yakup wusste auch, dass bestimmte Tierarten Vorboten des Unheils sein konnten. Aber mit einem Vogel wäre der Wächter bestimmt fertig geworden. Einer besaß längst nicht die Kraft, um ihn zu töten.
Der Gedanke war kaum in ihm aufgeflammt, als er den Sturm hinter sich vernahm.
Ein dumpf klingendes Brausen, als wäre vom Boden her etwas Gewaltiges hervorgestiegen.
Yakup flirrte herum. Da sah er sie.