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Es begann so harmlos. Ein völlig normaler Wandertag. Auch John Conolly befand sich unter den Kindern. Eine Fahrt in die Vergangenheit, in die Geschichte Englands - und in ein Gebiet, das niemand betreten sollte.
Der Busfahrer missachtete die Warnung. Er starb als Erster. Plötzlich war die Welt anders geworden. Schüler und Lehrer veränderten sich. Eine geheimnisvolle Mauer erschien. Die Trennung zu einer anderen Zeit.
Johnny Conolly und zwei seiner Freunde überkletterten sie. Was sie erwartete war schlimmer als der Tod ...
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Seitenzahl: 183
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Die Brut hinter der Mauer
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Lightspring/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8051-4
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.
Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung.
Die Brut hinter der Mauer
von Jason Dark
Es begann so harmlos. Ein völlig normaler Wandertag. Auch John Conolly befand sich unter den Kindern. Eine Fahrt in die Vergangenheit, in die Geschichte Englands – und in ein Gebiet, das niemand betreten sollte.
Der Busfahrer missachtete die Warnung. Er starb als Erster. Plötzlich war die Welt anders geworden. Schüler und Lehrer veränderten sich. Eine geheimnisvolle Mauer erschien. Die Trennung zu einer anderen Zeit.
Johnny Conolly und zwei seiner Freunde überkletterten sie. Was sie erwartete, war schlimmer als der Tod …
Je mehr sich die beiden Männer ihrem Ziel näherten, umso schlechter wurde das Wetter.
Zuerst verschwand die Sonne. Dann überzog eine bleigraue Farbe den Himmel, aus dem sich hin und wieder Dunstschleier abspalteten, als wollten sie den Boden allein erreichen. Dazu kam es nicht. Auf der Strecke fanden sie zusammen und verdichteten sich zu Nebelstreifen, die, langen Tüchern gleich, in das einsame Tal glitten.
Sie passten in diese menschenleere Einsamkeit hinein, in der es so gut wie keine Straßen gab, dafür ein sumpfiges Gelände, wilden, fast urwaldähnlichen Bewuchs, Flächen mit hohem Gras und Büschen, an deren Zweigen sich Unkraut festklammerte. Die weiten einsamen Hügel sahen manchmal wie lange Schatten aus – als hätte der Teufel seine Zunge ausgestreckt.
Ein tristes, ein ödes Land, das auch eine gewisse Romantik ausstrahlte. Dafür hatten jedoch die beiden Männer keinen Sinn. Sie hofften nur, dass ihr Transporter bis zum Ziel durchhielt.
»Scheiße, auch noch Nebel!« Richmond fluchte. Er wischte mit dem Handrücken über seine Lippen. Das tat er immer, wenn er wütend war. Man hatte ihm den Spitznamen Stier gegeben, weil er von bulliger Gestalt war und auch einen Stiernacken besaß.
»Ist doch egal.« Turkey, sein Mitfahrer, lachte. »Der Job wird gut bezahlt, alles andere stört mich nicht.«
»Du brauchst auch nicht zu fahren.«
Turkey, ein kleiner Fettwanst, lachte. »Soll ich dich ablösen?«
»Nein, ich will lebend ankommen.«
»Dann beschwer dich nicht.«
Die Männer kannten sich schon seit Langem. Sie galten als zuverlässig in der Branche. Ihnen ging der Ruf voraus, dass sie es schafften, selbst dem Teufel eine Ladung Kohlen in die Hölle zu schicken, wenn die Bezahlung stimmte.
Billig waren sie nicht. Ihre Auftraggeber rechneten auch nicht damit. Wenn sie einen Job vergaben, war der meist heiß, und sie brauchten Männer, die keine Fragen stellten.
Turkey und Richmond wussten auch jetzt nicht, was sich in den Fässern auf der Ladefläche befand. Ein gefährlicher Inhalt musste es sein. Nicht ohne Grund hatten sie die Fässer mit doppelt gespannten Eisenbändern sichern müssen.
Solange die Dinger verschlossen blieben, würden die beiden alles transportieren und niemals über die Fracht nachdenken. Schon eher ärgerten sie sich über die äußeren Umstände, denn sie rollten hinein in die nebelverhangene, einsame Talschüssel.
Bisher waren sie ohne Licht ausgekommen. Nun ging Richmond das Risiko ein und schaltete die Lampen ein.
Das gefiel seinem Partner nicht. »He, was ist, wenn man uns beobachtet?«
»Würdest du dich freiwillig hier aufhalten?«
»Das nicht.«
»Na bitte. Hier sind wir am Arsch der Welt, und wer kriecht da schon hinein?«
Turkey grinste nicht einmal. Er schaute aus dem Seitenfenster. Der Weg, über den die großen, tiefprofiligen Reifen schmatzten, gefiel ihm nicht. Er besaß keine Befestigung, war matschig und mit braunem Gras bewachsen. Es sollte noch schlimmer kommen, denn in dem Tal breitete sich ein Sumpfgebiet aus.
Sie wollten bis an den Sumpf heranfahren und dort ihre Ladung loswerden.
Sogar eine Karte hatte man ihnen mitgegeben. Die Strecke war von Hand eingezeichnet worden, der Auftraggeber persönlich hatte sich darum gekümmert und verlangt, dass sie die Aufzeichnungen später verbrannten. Richmond und Turkey hatten, ohne zu fragen, zugestimmt. Sie waren es gewohnt, nicht nachzuhaken. Hauptsache, die Kohle stimmte.
Der Nebel war mit dem in London nicht zu vergleichen; er blieb schleierhaft und war nicht sehr dicht, was die Männer etwas aufatmen ließ.
Richmond lachte scharf. »Da hat der Teufel mal wieder seine Hand über uns gehalten. Du siehst, Turkey, wer mit dem Satan pokert, der kann sich auf ihn verlassen.«
Turkey hatte ein Bein gegen das Armaturenbrett gestemmt. »Na ja, beim Pokern kann man auch verlieren.«
»Aber wir doch nicht, Junge. Wir sind stark, wir sind nicht nur besser, wir sind die Besten.« Richmond war gut drauf. Er schaltete einen Gang höher und gab wieder Gas. Der Wagen ruckte an. Die Reifen wühlten sich durch den weichen Boden, leicht schwankte er mit seiner Ladefläche, die Fässer schabten gegeneinander, aber sie kippten nicht.
Turkey zündete sich eine seiner billigen Zigarren an. Der Tabak stank, als hätte jemand alte, schweißdurchtränkte Socken verbrannt. Selbst Richmond, der nicht verwöhnt war, was reine Luft anging, bestand darauf, dass Turkey ein Fenster öffnete.
Kühle Luft strömte in das Fahrerhaus und vermischte sich mit dem Gestank der Zigarre. Die Nebel waren wie Schleier, die sich an den Rahmen festklammerten. Rechts von ihnen standen die Bäume dichter. Besonders hoch waren sie allerdings noch nicht.
Den Sumpf konnten sie ebenfalls schon sehen. Er breitete sich an der anderen Seite aus. Eine gewaltige Fläche, in den Farben Grün und Grau schimmernd. Bedeckt mit Inseln oder ölig glänzenden Pfützen, die an Augen erinnerten.
»Schau mal auf die Karte, Turkey, der Sumpf liegt dort. Weit brauchen wir nicht mehr zu fahren.«
Turkey faltete das Papier auseinander. Er studierte es einige Sekunden und nickte. »Du musst auf die beiden Baumstümpfe achten, Richmond, die gleich erscheinen werden.«
»Wann?«
»Weiß ich auch nicht.«
»Okay.« Richmond ging mit Gas, Kupplung und Bremse jetzt vorsichtiger um, denn er hatte das Gefühl, als würde der Wagen an bestimmten Stellen wegschwimmen.
Wenn sie die beiden Baumstümpfe passiert hatten, mussten sie weiter bis zu einer kleinen Lichtung, und dort konnten sie die Ladung endlich löschen.
Sehr bald schon entdeckte Richmond das Zeichen. Die Baumstümpfe sahen braun aus. Der Vergleich mit abgetrennten Armen kam ihm in den Sinn. Turkey faltete die Karte zusammen und seufzte beruhigt. Für ihn war die Sache schon gelaufen.
»Weißt du eigentlich, was wir transportieren?«, fragte er nach rechts rüber.
»Nein, und ich will es auch nicht wissen.«
Turkey lachte. »So kann man auch durchs Leben kommen.«
»Klar, was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Bisher haben wir immer gut kassiert.«
Turkey knetete seine lange Nase. »Ob es sich um Gift handelt?«
»Kann sein.«
»Damit kannst du viel versauen, weißt du das?«
Richmond hob die Schultern. »Klar doch. Aber wen stört das? Dich etwa?«
»Manchmal schon.«
»Mich nicht. Seit wann bist du so empfindlich.«
Turkey schob die Unterlippe vor, ohne dass ihm die Zigarre aus dem Mund fiel. »Du hast auch keine Kinder, Richmond, ich denke manchmal an die Zukunft, wenn du verstehst. Wo soll das noch hinführen, wenn alle so denken wie wir?«
Richmond kicherte. »Das denken die ja nicht. Zum Glück, wir sind eben die Ausnahmen.«
»Ganz schön pervers, was du da gesagt hast.«
»Nein, realistisch.« Richmond schlug mit seiner schwieligen Pranke auf den Lenkradring. »Und jetzt lass mich mit deinem Gesabber in Ruhe, ich muss mich konzentrieren. Das Gelände wird immer beschissener, das wirst du auch merken, wenn du zurückfährst.«
Turkey schnippte den Rest der Zigarre aus dem Fenster, was seinen Kollegen sichtlich beruhigte. Dennoch fragte er: »Sagen deine Frau und die Kinder nichts, wenn du das Zeug qualmst?«
»Ich muss im Garten rauchen.«
»Aha.«
»Du kennst doch meine Alte, die hat Haare auf den Zähnen. Vor der haben wir alle Angst.«
»Schick sie mal mit auf Tour«, schlug Richmond grinsend vor und erntete dafür einen Blick aus verdrehten Augen. Das wollte Turkey nun doch nicht.
Sie bewegten sich am Rand des Sumpfgeländes entlang. Und sie entdeckten die eingezeichnete Lichtung. Es war mehr eine Zunge mit kleinen Erhebungen, die sich wie eine Halbinsel in das Sumpfgelände schob und aussah, als würde sie das Gewicht des Lastwagens durchaus ertragen können.
»Da sind wir ja«, sagte Richmond. Er kurbelte am Lenkrad. Mit beiden Händen fasste er in die Speichen, als er es nach links drehte. Wieder wühlten sich die Reifen durch, hinterließen lange, krumme Spuren.
»Wunderbar!«, freute sich Turkey.
Richmond konzentrierte sich stark. Er durfte nicht zu weit fahren, hielt an, gab wieder Gas, wobei sich Turkey wunderte, denn er hatte bereits die Wagentür aufgestoßen.
»Bleib sitzen, ich wende noch.«
Richmond zeigte in den beiden folgenden Minuten, dass er ein guter Fahrer war. Auch auf der kleinen Halbinsel bekam er den Wagen herum.
Mit der Ladefläche stand er schließlich zum Sumpfgelände hin. »So, jetzt kann es losgehen.«
Zugleich verließen die Männer den Wagen. Ihre halbhohen Stiefel verschwanden fast im hohen Gras. Gemeinsam schnürten sie die Plane auf, die die Ladung verdeckt gehalten hatte. Danach öffneten sie die hintere Ladeklappe. Als sie nach unten kippte, bekamen sie freien Blick auf die Fläche.
»Da sind ja die Schätzchen«, sagte Richmond.
Turkey musste lachen. »Schätzchen ist gut. Das könnte konzentriertes Gift sein, verdammt!«
»Sei nicht so pingelig.« Richmond kletterte bereits auf die Fläche. In einer Klammer steckte eine Blechschere, mit der er die Bänder durchtrennen wollte, was nicht so einfach war, denn sie schnellten oft genug zurück wie harte Arme.
Richmond war ein Profi. Er bekam auch mehr Geld als Turkey, nur wusste das der andere nicht. Der hörte die singenden und klatschenden Geräusche, die beim Durchtrennen der Stahlbänder entstanden. Richmond arbeitete schnell und geschickt.
Es waren genau zwölf Fässer, die sie in den Sumpf kippen sollten. Noch standen sie ruhig, und Turkey überlegte, was sie wohl beinhalteten.
Es kam eigentlich alles infrage. Angefangen von Dünnsäure über noch giftigere Chemikalien bis hin zu Atomabfall, der überhaupt nicht roch und trotzdem derart gefährlich war, dass sich Turkey davor fürchtete.
»Alles klar!«, meldete Richmond von der Ladefläche her. »Du kannst den Kipper einstellen.«
»Okay.« Turkey stieg wieder ins Fahrerhaus, wo sich der Hebel für die Hydraulik befand.
Richmond stand nun draußen und gab ihm ein Zeichen. Sie waren gut aufeinander eingespielt, da ging eigentlich nichts schief. Auch die Hydraulik arbeitete perfekt. Der leichte Ruck, der durch den Wagen ging, das Brummen des Motors, als die beiden Stempel in die Höhe gedrückt wurden, und dann das übliche Rumpeln, mit dem sich die ersten Fässer in Bewegung setzten, um über die Ladefläche zu rutschen.
Es dauerte nicht lange, dann kippten die ersten auf den weichen Boden. Andere Fässer rumpelten hinterher, während die Ladefläche sich noch weiter aufrichtete.
Turkey reckte den Kopf aus dem Fenster und rief: »Alles in Ordnung?«
»Ja, du kannst kommen.«
Turkey sah, als er neben Richmond stand, dass einige der Fässer schon bis über den Sumpfrand gerollt waren und bereits in der weichen Masse einsanken.
Der Sumpf schien aus tausend Armen und Händen zu bestehen, die sich schlangengleich um die Fremdkörper legten und diese schluckten. Die Fässer gehörten nicht mehr zu den neusten. An einigen Stellen zeigten sie schon Rostflecken. Diese Tatsache veranlasste Turkey zu einer Bemerkung. »Lange werden die auch nicht mehr halten, glaube ich.«
»Was kümmert es uns?«
Turkey räusperte sich, ansonsten enthielt er sich einer Antwort.
Zusammen mit seinem Kumpan machte er sich an die Arbeit, nicht ohne vorher die dicken Arbeitshandschuhe übergestreift zu haben.
Sie arbeiteten schnell, geschickt und routiniert. Mit wuchtigen Stößen trieben sie die weiter vom Sumpfrand entfernt liegenden Fässer an und rollten sie in den Brei, auf dem sie erst noch schwammen, bevor sie schmatzend verschlungen wurden.
Das letzte Fass rollte Richmond durch Fußtritte bis an den Rand. Es war mittlerweile dämmrig geworden. Die graue Düsternis hatte sich in die Nebelwolken hineingeschoben und verschlechterte die Sicht noch mehr. Wer die beiden Männer aus größerer Distanz beobachtete, hätte kaum erkennen können, was sie trieben. Zudem hatte Turkey noch die Scheinwerfer des Wagens gelöscht.
Mit einem letzten Tritt verschwand das Fass im Sumpf.
»Geschafft!«, sagte Richmond, zog die Handschuhe aus und schleuderte sie zielsicher auf die Ladefläche, die nach dem Abkippen wieder heruntergelassen worden war.
Turkey tat es ihm nach. Er bekam mit, wie sein Kollege grinste. »Was hast du?«
»Ich denke gerade an die Bezahlung! Die wird gut sein.«
»Ich denke auch daran!«, meldete sich eine harte Stimme im Rücken der beiden Männer.
Wie von der Tarantel gestochen, fuhren sie herum.
Vor ihnen stand eine Gestalt. Dunkel gekleidet, von Nebelschwaden umwabert, einen ebenfalls dunklen Hut tief in die Stirn gezogen. Die Gestalt wirkte wie ein Geist, der aus dem Sumpf gestiegen war, um zu töten.
Sie selbst hätte die beiden Männer nicht so stark erschreckt. Es war vielmehr das Ding, das die Gestalt mit beiden Händen festhielt. Sie kannten sich nicht besonders bei Waffen aus, aber dieser lang gestreckte und dennoch klobig wirkende Gegenstand erinnerte sie fatal an ein Schnellfeuergewehr …
☆
Turkey hob als Erster die Hände. Er konnte es nicht fassen, deshalb blieb er stumm und stellte keine Fragen. Zwar versuchte er, unter den Hutrand zu schauen, da war aber nichts zu erkennen, weil die Krempe einen zu langen Schatten warf.
Richmond atmete zischend aus. Im ersten Augenblick hatte er an einen Bullen gedacht, doch die traten anders auf. Sie zeigten sich in ihren Uniformen und nicht so gespensterhaft grau.
Das musste ein anderer sein. Aber was wollte er von ihnen in dieser gottverlassenen Gegend? Sie überfallen oder sie für ihr Tun zur Rechenschaft ziehen? Vielleicht war der Knabe ein besonders radikaler Umweltschützer, der mit der Waffe gegen die Verseucher vorging. So etwas sollte es ja geben, Richmond hatte davon gelesen.
»Was ist denn, Mister? Sind Sie zufällig hier, oder haben Sie sich an unsere Fersen geheftet?«
»Nicht zufällig!«
Richmond bekam große Augen, als er die Stimme hörte. Die war ihm bekannt. Mit diesem Kerl hatte er schon gesprochen, wenn auch nicht von Angesicht zu Angesicht, möglicherweise am Telefon, und da kam eigentlich nur einer infrage.
Er wollte es ganz genau wissen. »Sind Sie zufällig Mister …?«
»Keine Namen!« Die harte Stimme unterbrach Richmond. »Hier werden keine Namen erwähnt!«
»Ja, schon gut. Aber was wollen Sie von uns? Ich weiß, wer Sie sind. Ich habe Sie erkannt.«
»Das war nicht schwer.«
Richmond grinste schief. »Und weshalb sind Sie erschienen und bedrohen uns mit der Waffe?«
»Weshalb wohl?«
Beide Männer brauchten nicht lange, um den Sinn der Frage zu begreifen. Nur konnten sie es nicht fassen, dass der Mann ihnen indirekt angedroht hatte, dass ihr Weg hier zu Ende war.
Auch Turkey fand die Sprache wieder. »Hören Sie mal, Mister. Sie wollen uns doch nicht erschießen?«
»Doch, das will ich.«
Turkey wunderte sich, dass er noch eine Frage hinterherschieben konnte. »Weshalb denn? Was haben wir Ihnen getan?«
»Ich kann keine Zeugen gebrauchen.«
Da musste Richmond plötzlich lachen. »Sie sind gut! Keine Zeugen, das ist Quatsch. Hören Sie, es gibt kaum Personen, die derart vertrauenswürdig sind wie wir. Haben Sie verstanden? Wir sind diejenigen, denen Sie vertrauen können. Von uns wird niemand etwas erfahren, da können Sie sagen, was Sie wollen.«
»Das ist mir egal. Hier geht es um andere Dinge, um viel größere.«
»Okay, okay, es ist ein Gift …«
»Nicht irgendeines«, wurde Richmond unterbrochen. »Ihr habt etwas ganz Besonderes transportiert, auf das ihr eigentlich stolz sein könnt. Wirklich, sehr stolz. Das hat noch niemand vor euch geschafft, noch niemand sage ich.«
»Wir wissen doch nicht, was sich in den Fässern befindet. Da können wir nichts verraten.«
»Stimmt. Aber«, der Mann hob seine Stimme etwas an, »euch ist der Ort bekannt, wo die Fässer liegen. Wenn ein bestimmtes Ereignis eintritt, werdet ihr euch wieder erinnern, denn dieses Ereignis bleibt nicht ohne Aufsehen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Es ist auch gut so. Ich darf mich noch einmal bei euch bedanken, dass ihr es geschafft habt. Es war nicht einfach, genau die Stelle zu finden. Herzlichen Dank!«
Richmond und Turkey schauten sich an. Die kalte Höflichkeit des Sprechers hatte ihnen Furcht eingejagt. Vielleicht blickten sie sich einen Moment zu lange ins Gesicht, so sahen sie das tanzende Mündungsfeuer nicht, dem der Tod folgte.
Der Nebel schluckte die harten Schussgeräusche teilweise. Die Männer hatten keine Chance.
Sie schrien nicht einmal, als die Geschosse sie erwischten und zurückschleuderten. Beide starben lautlos.
Turkey fiel direkt in den Sumpf, der noch mit seinem leblosen Körper spielte, ihn für eine Weile auf der Oberfläche schwimmen ließ, bevor er zupackte und ihn in die Tiefe zerrte, aus der es normalerweise kein Entrinnen gab.
Richmond lag am Rand. Er war auf den Rücken gefallen. Seine untere Gesichtshälfte war nicht mehr vorhanden. Die Augen lagen wie Glaskugeln in den Höhlen.
Der Fremde legte die Waffe zur Seite und packte den Toten unter den Achseln. Dann schleifte er ihn bis zum Rand, hob ihn hoch und schleuderte den Körper in den Sumpf. Er klatschte wie eine Puppe auf und wurde sofort in die Tiefe gezogen.
Der Mörder blieb auf dem Fleck stehen. Er schob nur seinen Hut etwas zurück, als würde ihn die Krempe bei klarer Sicht zu sehr stören.
»Pech für euch«, sagte er, »gewaltiges Pech, aber ihr seid trotzdem gut gewesen.« Mit diesen zynischen Abschiedsworten drehte er sich um und begann mit dem zweiten Teil seiner Arbeit.
Er wollte alle Spuren verwischen, und dazu gehörte auch der Lastwagen. Auf keinen Fall sollte er hier gefunden werden, das hätte gewisse Leute nur auf gefährliche Spuren gebracht. Die Zeit würde sowieso kommen, wo in diesem einsamen Tal die Hölle ausbrach. Der Mörder nahm sein Gewehr mit und legte es neben sich auf den Beifahrersitz. Dann startete er, der Zündschlüssel steckte noch. Er hatte zuvor danach geschaut.
Er wollte den Wagen, so wie er war, in den Sumpf fahren. Der wiederum fraß alles in sich hinein und schwieg.
Der Weg war frei. Relativ schnell und bei offener Fahrertür rollte der Mann an den Rand der kleinen Landzunge heran. Bevor die vorderen Räder darüber hinwegkippen konnten, sprang er ab.
Sicher landete er im weichen Gras und konnte sich sogar auf den Beinen halten. Selbst seinen dunklen Hut hatte er nicht verloren. Er blieb stehen und schaute zu, wie der Lastwagen langsam nach vorn kippte, als hätte jemand Steine an seine Achse gehängt.
Wieder war der Sumpf unersättlich. Immer tiefer zog es den Wagen. Was der Sumpf einmal hatte, ließ er nicht los. Darüber schwebten lautlos die Nebelschleier.
Zuerst verschwand das Fahrerhaus. Blubbernd drang das graugrüne Wasser durch die offenen Scheiben, füllte den Innenraum aus und machte ihn sehr schwer.
Fünf Minuten später war alles vorbei. Da sah der Sumpf aus, als hätte er überhaupt nichts bekommen. Nicht eine Blase zerplatzte mehr. Die Oberfläche lag glatt vor den Augen des Betrachters, der noch einmal zufrieden nickte, sich umdrehte und ein ziemlich langes Stück zurückgehen musste, um seinen versteckt abgestellten Geländewagen zu erreichen. Er stieg in den Japaner, wendete und fuhr ohne Licht davon. Erst später, als er die normale Straße erreichte, schaltete er die Scheinwerfer ein und stellte das Radio an.
Die Musik gefiel ihm. Sie war laut und heizte ein. Er trommelte den Rhythmus mit.
In der ersten Stadt hielt er an und ging in ein kleines Restaurant. Er hatte den Tag über noch nichts gegessen und bestellte sich ein großes saftiges Steak. Er schaute zu, wie beim Einschneiden das dünne Blut herauslief, dachte an seine Tat und lächelte.
Die Zeitbombe war gelegt. Nun brauchte er nur darauf zu warten, dass sie explodierte …
☆
Sheila wusste nicht, dass ich mich mit ihrem Mann Bill Conolly treffen wollte. Der Reporter hatte mir ans Herz gelegt, seiner Frau bitte nichts davon zu sagen, und ich hatte mich natürlich daran gehalten. Schließlich war Bill Conolly mein ältester Freund, und manchmal mussten Männer zusammenhalten.
Es ging zwar nicht um eine Verschwörung, aber Bills Stimme hatte doch sorgenvoll geklungen, sodass ich damit rechnete, irgendetwas zu erfahren, was mit meinem Job als Geisterjäger zu tun hatte.
Lieber wäre mir ein privates Treffen mit einer großen Feier gewesen, aber die waren in der letzten Zeit selten geworden, denn es gab einfach zu viele Probleme, unter denen wir zu leiden hatten.
Wir hätten uns auch bei mir treffen können, aber Bill wollte das Gespräch mit einem kleinen Essen verbinden und hatte mich in ein Lokal eingeladen.
Im Gegensatz zu einer leider immer noch aus Vorurteilen bestehenden Meinung, kann man in London durchaus hervorragend essen. Bill hatte sich in diesem speziellen Fall für ein schweizerisches Lokal entschieden mit dem Namen Wallis.
Das Lokal gab es noch nicht lange, besaß jedoch einen guten Ruf, sodass ich mir eine meiner wenigen Krawatten umgebunden hatte, als ich in den Wagen stieg, um hinzufahren.
An diesem Abend war London zu wie immer, aber ich kannte einige Schleichwege …
Das Wallis besaß an der hinteren Seite einen Parkplatz für Gäste. Klein aber fein.
Bills Porsche stand schon da, und ich klemmte meinen Dienstrover direkt daneben.
Das Lokal selbst betrat ich durch den offiziellen Eingang.
Vor der Tür wölbte sich eine halbrunde Markise, die im Licht der Strahler weiß-beige schimmerte. Über einen schmalen Teppich schritt ich auf die Glastür zu, die ein Portier eilfertig öffnete.
Ich hatte ein elegantes Interieur erwartet, erlag allerdings einem Irrtum. Man hatte teures Eibenholz verwendet. Die hellen Lampen ließen trotz des Lichts eine gewisse Gemütlichkeit und Intimität aufkommen, wozu auch die Nischen beitrugen.
Bill hatte sich bestimmt eine dieser Nischen ausgesucht. Bevor ich nach ihm Ausschau halten konnte und meine Blicke durch das zur Hälfte gefüllte Lokal gleiten ließ, trat eine junge Frau neben mich. Sie trug ein dezentes Kostüm und erkundigte sich, ob ich reserviert hätte.
»Das nicht, aber ich bin verabredet.« Ich schaute sie nicht an, dafür sah ich Bills Winken.
»Mit dem Herrn dort?«
»Sicher.«
»Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen bei uns, Sir.«
»Danke.«
Bill stand auf, als ich an seinen Tisch trat und mir einen Stuhl zurechtrückte. Mein Freund wirkte erlöst, was seine nächsten Worte auch bestätigten.
»Mensch, John, bin ich froh, dass du gekommen bist.«
»Wo brennt es denn?«