John Sinclair Sonder-Edition 104 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 104 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

"Sie mögen doch die Schweiz", begann mein Chef, Sir James, das Gespräch.
"Natürlich."
"Dann holen sie dieses Mädchen hier aus einem Internat am Genfer See."
Er zeigte mir ein Foto, ich sah es mir an und war entzückt. Die Kleine war knapp zwanzig und sah wunderschön aus.
"Was hat sie getan?", fragte ich.
Sir James druckste herum. "Eigentlich nichts. Ihr Vater ist ein hohes Tier. Er hat Angst vor einem Attentat und will den besten Schutz für seine Tochter."
Ich fragte nicht weiter. Hätte ich es mal getan, denn das Internat in der Schweiz entpuppte sich als eine magische Hölle, in der ein Mord-Phantom seine blutige Spur zog ...

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Seitenzahl: 180

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Geheimauftrag Phantom

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Vicente Ballestar/Norma

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8052-1

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.

Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung.

Geheimauftrag Phantom

von Jason Dark

»Sie mögen doch die Schweiz«, begann mein Chef, Sir James, das Gespräch.

»Natürlich.«

»Dann holen Sie dieses Mädchen hier aus einem Internat am Genfer See.«

Er zeigte mir ein Foto, ich sah es mir an und war entzückt. Die Kleine war knapp zwanzig und sah wunderschön aus.

»Was hat sie getan?«, fragte ich.

Sir James druckste herum. »Eigentlich nichts. Ihr Vater ist ein hohes Tier. Er hat Angst vor einem Attentat und will den besten Schutz für seine Tochter.«

Ich fragte nicht weiter. Hätte ich es mal getan, denn das Internat in der Schweiz entpuppte sich als eine magische Hölle, in der ein Mord-Phantom seine blutige Spur zog …

Leicht und trotzdem sicher führte der Zeichner den Bleistift über das weiße Papier. Auf der hellen Fläche entstand in einem dünnen Grau eine Skizze. Bald waren die ersten Bäume zu erkennen: Ein Wald entstand. Der Betrachter des Bildes hatte den Eindruck, in den Wald hineinblicken zu können. Ein Weg, den der Künstler geschaffen hatte, bot sich dazu förmlich an.

Fertig war das Werk noch nicht. Vor dem Finale spitzte der Künstler noch einmal den Bleistift. Es war wie ein Atemholen.

Wieder näherte sich die Spitze dem Papier. Sie huschte noch einmal über die Fläche hinweg, ohne sie jedoch zu berühren. Etwas unkonzentriert, als könnte sich die Hand nicht entscheiden, wo sie nun weitermalen sollte. Ob über den Bäumen, davor oder zwischen ihnen. Da war noch die Lücke, der Weg, der tief in den Wald hineinführte.

Genau in der Mitte setzte die Spitze leicht auf. Eine samtene Berührung, nicht einmal ein Schatten war zu erkennen, dann entstand der erste Strich.

Bald waren die Umrisse eines langhaarigen Mädchens zu erkennen, das vor irgendwas wegrannte.

Sie hatte Angst, und das nicht ohne Grund.

Hinter ihr war jemand her. Eine Gestalt, die Ähnlichkeit mit einem Gespenst besaß.

Ein unheimlicher Verfolger, ein Phantom, ein Schatten, der darauf lauerte, dass ihm jemand über den Weg lief. Bewaffnet war er mit einem langen Messer. Die schwarze Klinge fiel besonders auf.

Claudine spürte die Finger des jungen Mannes auf ihren nackten Brüsten. Dafür war sie jedoch nicht in der Stimmung, deshalb protestierte sie: »Nein, bitte, nicht mehr, ich muss weg, wirklich. Ich bekomme sonst Ärger.«

»Den muss man in Kauf nehmen.«

»Nein, die Sitten sind streng. Sie sind …« Die Finger wanderten weiter. Claudine kannte sich aus. Wenn sie sich jetzt nicht losriss, kam sie überhaupt nicht weg.

Und sie überwand sich. So heftig stemmte sie sich hoch, dass sie mit der Schulter beinahe gegen das Kinn des jungen Mannes knallte, der hastig zurückzuckte.

»He, was hast du denn?«, beschwerte er sich.

Claudine schwang die Beine herum. »Tut mir leid, aber es geht nicht anders. Ich muss weg.« Die nackten Füße schlüpften in die weichen Stoffschuhe. Mit der rechten Hand griff sie zu ihrem ärmellosen T-Shirt und streifte es über.

Claudines Freund hatte seinen Platz ebenfalls verlassen und auf einer umgestülpten Bierkiste Platz genommen. Er hatte sie bemalt und beklebt. In seiner Wohnung fand sich viel selbst Hergestelltes, und er schaffte es immer wieder, den Kram an die Touristen zu verkaufen, die über die Märkte von Ascona und Locarno schlenderten.

Er schaute zu, wie Claudine ihr Stirnband umlegte. Damit bändigte sie die braune Haarflut. »Wann sehen wir uns wieder?«

»Ich rufe dich an.«

Der junge Mann lachte. »Das hast du schon oft gesagt.«

»Und immer gehalten.«

»Klar, nur konnte ich mich darauf nicht verlassen. Weißt du, ich habe zu lange gewartet, dabei hätte ich die Abende auch anders verbringen können.« Er grinste sie mit schneeweißen Zähnen an. »Du verstehst, was ich meine, Claudine?«

Ihr Gesicht verschloss sich. »Ja, ich weiß Bescheid. Du denkst an andere Mädchen?«

»Möglich.«

Sie ging zur Tür, öffnete sie, hielt die Klinke fest und drehte sich noch einmal um. Wütend und mit Tränen in den Augen trat sie mit dem rechten Fuß auf. »Dann … dann … geh doch zu den anderen Mädchen! Verschwinde doch, du … du …«

»That’s life …«

»Mit mir nicht, nicht mit mir.« Claudine ließ die Türklinke los und rannte weg. Sie hatte es geahnt, dass die Verbindung nicht mehr lange halten würde, so etwas spürte man, aber auf diese kalte Art und Weise abgeschoben zu werden, passte ihr überhaupt nicht.

Das Mädchen stolperte die schmale Treppe hinab. Die Haustür war nicht abgeschlossen. Danach musste sie achtgeben, denn zwischen der Tür und der in den Hang gebauten Steintreppe befand sich nur mehr ein schmaler Zwischenraum.

Claudine kannte den Weg. Sie war ihn oft genug gegangen, viel zu oft, wie sie sich jetzt eingestehen musste. Sie hätte schon eher Schluss machen sollen. Blind war sie gewesen, so verdammt blind. Ihr Vater hatte sie immer vor Typen wie diesen Marktverkäufern gewarnt.

Die Stufen der Treppe waren hart, ziemlich uneben und an einigen Stellen sogar glatt. Nach fünfzehn Schritten hatte sie die Treppe hinter sich gelassen und fand sich auf dem schmalen Gehsteig der Küstenstraße wieder.

Der See lag ruhig da. Nicht einmal der übliche Wind war aufgekommen. Die Luft drückte. Schwerer Blütenduft schwängerte sie. Rosen und buschiger Oleander bildeten rot-weiße Hecken, über die wie breite Flügel die langen, schmalen Finger der Windmühlenpalmen zitterten.

Dieses Ascona war ein herrlicher Flecken Erde. Ein Ort, den der liebe Gott in einer guten Laune erschaffen hatte. Hinzu kamen die Berge und natürlich der Lago Maggiore, der lange See, der wie eine ausgestreckte Zunge zwischen den hohen bewaldeten Bergen lag.

Lichter bildeten an gewissen Uferstrecken kompakte, funkelnde Inseln, die wie Sternenhaufen schimmerten. Weiter oben, an den Flanken der Berge, verloren sich die hellen Punkte. Dort blinkte nur hin und wieder ein Licht, als wollte es darauf hinweisen, dass auch dort noch Menschen wohnten.

Claudine war zu Fuß zu ihrem Freund gegangen. Sie hatte nicht sehr weit zu laufen. Etwas außerhalb des Ortes, in Richtung Italien, lag das Internat, von allen nur Castello genannt, weil es aus einer Zeit stammte, wo man noch so gebaut hatte. Ein altes Gebäude, durch private Gelder restauriert, ein Schmuckstück etwas oberhalb des Sees, umgeben von Tennisplätzen und anderen Sportanlagen. Man hatte den benötigten Platz dafür dem Berg geraubt …

Die Innenstadt lag links von diesen Anlagen. Bei diesem Wetter schlief noch niemand. Da spielte sich das Leben auf den Piazzas, den zahlreichen kleinen Plätzen ab, da wehten Musik und Gesang durch die Gassen, vermischt mit dem Wirrwarr der Stimmen und der Gerüche, die aus den offenen Küchenfenstern der kleinen Grottos und Osterias wehten.

Ein Leben, das auch Claudine liebte. Sie wäre gern hingegangen, doch es gab im Internat gewisse Regeln, die sie einhalten musste. Pünktlichkeit war angesagt. Wer unpünktlich war, musste mit einer Strafe rechnen, da kannte die Rektorin kein Pardon.

Wie sie wirklich hieß, wusste kaum jemand, alle nannten sie nur Madame Sousa. Die Mutter musste Französin gewesen sein, der Vater Tessiner. Und Madame Sousa verschaffte sich Respekt, nicht durch schwere Züchtigungen, wie man es aus den alten Internaten kannte, nein, sie liebte das Wort, den reinen Spott, den Hohn, mit denen sie die Mädchen drangsalierte und fertigmachen konnte, wenn es nötig war.

Um den normalen Weg parallel zum Ufer zu nehmen, reichte ihr die Zeit nicht mehr. Wer sich länger im Internat aufhielt, der kannte schon sehr bald die Schleichwege, die den Hang hinaufführten und kaum zu entdecken waren.

Schmale Pfade, die sich durch die Vegetation schlängelten, die mit Blütenduft erfüllte Tunnels waren, einsam in der Nacht und auch tagsüber kaum frequentiert.

Die Luft war schwer. Wenn Claudine einatmete, glaubte sie, den Blütenstaub zu schmecken.

Ein schwerer Duft, der den Mund und die Atemwege ausfüllte.

Zunächst war der Weg noch steinig. Rechts und links wuchsen die Büsche sehr dicht an den Weg heran. Nicht nur einmal streiften Blätter ihr Gesicht, es waren auch Zweige da, die nach ihren Schultern griffen und über ihre Arme fuhren. Insekten hatten sich zusammengeballt. Manchmal stürzten sie sich auf das Opfer, wenn Claudine durch die summenden und zuckenden Haufen lief.

Schwach schimmerte die dunkelblaue Fläche des Himmels durch die Lücken. Wenn Claudine den Kopf nach hinten legte, sah sie die Sterne in ihrem funkelnden Glanz.

Sie hatten ja ungemein viel Platz, um sich auf der weiten Fläche des Himmels auszubreiten.

Ein herrliches Bild, das sie vom Fenster ihres Zimmers oft genug genossen hatte.

In dieser Nacht konnte sich Claudine daran nicht erfreuen, und schuld war einzig und allein ihr Freund. Abgeschoben hatte er sie, einfach zur Seite gedrückt, als wäre sie kein Mensch, sondern nur ein Stück Holz. Mein Gott, was war sie dumm gewesen.

Claudine war stark erregt.

Sie dachte ausschließlich an ihren Freund und kümmerte sich nicht um die Umgebung, die einen waldartigen Charakter hatte.

Den Weg kannte sie. Er führte zuerst steil bergauf, dann flachte er etwas ab.

Schwere Luft umgab sie wie ein Vorhang. Claudine schwitzte, die Haut glänzte wie eingerieben. Hin und wieder schreckte sie schlafende Vögel hoch, die wegflatterten.

Das Mädchen war nur mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, an eine Gefahr dachte es nicht.

Die war jedoch vorhanden!

Hinter ihr war plötzlich, aus der Kurve heraus, der Schatten mit dem Messer aufgetaucht.

Ein unheimlicher Todesbote, der nicht zu hören war, auch keine Hindernisse kannte, denn er huschte einfach um die Dinge, die sich ihm in den Weg stellten, herum – oder etwa hindurch?

Der Schatten war vorhanden, das Messer ebenfalls. Eine Verbindung, bestehend aus Geist und Materie, gefährlich für die Person, die nichts ahnte.

Claudine dachte an das Internat, an die verfluchte Strenge der Madame Sousa, die auf die Gefühle der Schülerinnen keine Rücksicht nahm und strikt nach ihrem aufgestellten Plan vorging. Was interessierte diese Frau schon Liebe oder Verliebtsein? Diese Vokabeln hatte sie gestrichen oder erst gar nicht in sich aufgenommen.

Der Weg wurde enger und kurvenreich, mit einem Untergrund, der Claudine vorkam wie klebriger Teer. Doch es war die Feuchtigkeit, die wie ein Film aus Moos und Flechten auf dem Weg lag.

Der Schatten holte auf.

Geschmeidig, lautlos. Er war ein Phantom, eingepackt in seine schwarzblaue Grausamkeit und mit dem Messer, dessen Klinge hin und wieder auf Claudines Rücken zielte.

Links von ihr wuchs eine Mauer bis dicht an den Weg. Dahinter lag ein kleiner tropischer Garten, sehr dicht bewachsen. Die Zypressen, die Palmen und auch die schräg über die Mauer hinweg und krumm wachsenden Kakteen fingen den Schein der Gartenlaternen auf. Claudine konnte nichts sehen, sie wurde nicht gesehen.

Das Phantom sah sie.

Und es war da!

Claudine spürte es. Nicht den Körper, nein, es war der Hauch, der unangenehm kalt gegen sie fuhr und ihren Hals wie ein Tuch umspannte, als wollte er würgen.

Sie blieb stehen. Auf einmal klopfte ihr Herz wie rasend. Es lag nicht am langen Ansteigen, das Klopfen war einfach da, es meldete die Gefahr. Sie wollte herumfahren. Der Boden war jedoch zu glatt. Mit dem rechten Fuß rutschte sie nach rechts weg. Leider so heftig, dass sie es nicht mehr schaffte, sich festzuklammern.

Claudine kippte, sie fiel gegen die Mauer.

Plötzlich waren die Schmerzen da. Am Hals und auf der rechten Gesichtshälfte.

Mehrere Stacheln gleichzeitig bohrten sich in ihre Haut. Es waren Stacheln, die von dem gekrümmten Arm einer Kaktee stammten, der über die Mauer hinwegragte.

Sie war mit dem Gesicht dagegen gefallen. Aus kleinen Wunden strömte das Blut. Sie wollte es wegwischen. Auf halbem Weg kam ihre Hand zur Ruhe. Da hatte sie die Gestalt gesehen.

Ein dumpfes Etwas, ein grausamer Schatten, bewaffnet mit der mörderisch schwarzen Klinge.

Die war schlimmer als die Stacheln der Pflanze, viel schlimmer, grausam, tödlich …

Sie spürte den Schmerz, der ihr alle Sinne raubte, und auch das Leben. Claudine taumelte noch nach vorn, hinein in den kalten Todeshauch. Hinter sich, wo der Garten jenseits der Mauer lag, hörte sie ein Lachen. Hell, so verdammt lebendig.

Das Mädchen fiel nach vorn, schlug auf die Knie auf und fiel dann ganz um.

Sie glitt hinein in den weichen Untergrund, in diese Schmiere.

Dann war es vorbei.

Für immer vorbei.

Und das Phantom verschwand ebenso lautlos, wie es herangehuscht war. Eine Spur blieb zurück.

Blutstropfen, die von der Spitze der Mordwaffe in bestimmten Intervallen nach unten fielen …

Vor mir lag der Tunnel!

Eine Röhre, siebzehn Kilometer lang. Gefährlich und unheimlich, wie mir gesagt worden war. Es gab Menschen, die lieber mit dem Auto über den Pass fuhren, als durch Tunnels.

Nicht ich, denn ich hatte es eilig. Im Rückspiegel sah ich ein letztes Mal die grandiose Bergwelt der Zentralschweiz, dann verengten sich die Fahrbahnen, und schon hatte mich die dumpfe Helligkeit des Tunnels geschluckt.

Jetzt gab es kein Zurück mehr. Der St.-Gotthard-Tunnel hatte auch mich verschluckt.

Der Tunnel! Man konnte den Begriff so stehen lassen. Er war etwas Besonderes, nicht allein wegen seiner Länge, sondern auch wegen der Vorfälle, die sich in ihm abgespielt hatten, und zwar immer an einer bestimmten Stelle.

Nicht einmal sehr weit von der Einfahrt entfernt, wenn man von der Zentralschweiz kam. In Höhe von Kilometer drei.

Dort waren dann die Leute durchgedreht. Es gab welche, die einfach anhielten, aus dem Fahrzeug sprangen, sich an den schmalen Randstein hockten und ihre Verpflegung auspackten, um ein Picknick zu machen. Andere wiederum waren schreiend weggerannt, voller Panik und Angst. Wieder andere hatten gestoppt und einfach nur dagesessen, dumpf und apathisch, mit dem Grauen in den Augen, als hätten sie etwas besonders Scheußliches gesehen.

Man war dem Phänomen auf den Grund gegangen. Vielmehr, man hatte es versucht.

An dieser Stelle waren Messungen vorgenommen worden, die jedoch zu keinem Ergebnis geführt hatten. Dennoch hielt sich die Mär, dass die Geister der beim Bau umgekommenen Arbeiter in der Röhre spuken sollten.

Gerüchte, mehr nicht.

Ich folgte meinem Vordermann, einem Lastwagen, der ziemlich langsam fuhr. Überholen war trotzdem nicht drin. Hätte ich es versucht, wäre ich in die heranhuschenden Lichter des Gegenverkehrs gerast, denn nur zwei Fahrbahnen durchzogen den Tunnel.

Ich schielte nach rechts durch das Seitenfenster des Leihwagens, erkannte die Lichtflecken der Lampen oder die Signale der SOS-Leuchten.

In bestimmten Abständen waren Nischen gebaut worden, wo Fahrzeuge abgestellt werden konnten, die eine Panne gehabt hatten.

Ich fuhr weiter. Im Schatten des Lastwagens, der mir seine giftigen Auspuffgase entgegen stieß.

Kilometer drei!

Ich sah die Markierung, ich erinnerte mich wieder und lauerte darauf, dass etwas geschah.

Es passierte nichts. Wir rollten weiter mit Tempo 60. Der LKW vor mir blies mir weiterhin seine schmutzigen Abgase entgegen, das war alles. Keine Geister, keine Zombies, kein Durchdrehen der Fahrer, der Tunnel hatte seine Schrecken nicht gezeigt. Glatt und sicher kam ich weiter.

Siebzehn Kilometer. Eigentlich eine Kleinigkeit, ein Klacks, eine Strecke, über die man kein Aufsehen macht, über die man nicht einmal redet. Anders im Tunnel.

Da wurden die Kilometer lang, und die Luft verschlechterte sich spürbar. Die Klarheit verschwand, die roten Augen der Heckleuchten vor mir wirkten verwaschen, wie im Nebel.

Die Sicht wurde noch schlechter.

Dumpfe, schwere Schatten füllten die enge Röhre aus, durch die Fahrzeuge auf beiden Fahrbahnen rollten. Ihre eingeschalteten Scheinwerfer sahen aus wie stumpfe Augen.

Ich hatte das Gebläse abgeschaltet, weil ich nicht den Auspuffqualm im Wagen haben wollte. Die Temperatur stieg. Ich geriet ins Schwitzen. Einige Male schimpfte ich leise vor mich hin.

Dann kurbelte ich das Fenster nach unten. Frische Luft drang nicht in den Wagen, dafür etwas kältere, was für den Moment angenehm war. Als der Gestank zu kräftig wurde, drehte ich die Scheibe wieder hoch und verlor mich in meinen Gedanken.

Ich dachte nicht mehr an den Tunnel und an die Fahrerei, sondern erinnerte mich daran, weshalb ich überhaupt in dieser Röhre steckte und nicht in London hockte.

Es war ein Wunsch meines Chefs, Sir James Powell, gewesen. Er hatte mich vor Kurzem in sein Büro geholt und mich so harmlos angesehen, wie ich es schon von anderen Fällen her kannte. Er wusste nie so recht, wie er ein Gespräch beginnen sollte. Auch in meinem Fall hatte er wieder so harmlos angefangen.

»Sie mögen doch die Schweiz, John, nicht?«

»Natürlich.«

»Dann holen Sie dieses Mädchen aus einem Internat in Ascona, direkt am Lago Maggiore.« Ich bekam das Bild eines wunderschönen Mädchens gereicht. Die Kleine mochte um die Zwanzig sein und hieß Angel.

»Was hat sie getan?«, fragte ich.

Sir James ließ sich Zeit mit der Antwort und druckste ein wenig herum. »Sie nichts, doch ihr Vater ist ein hohes Tier in unserer Regierung. Er fürchtet um das Leben seiner Tochter. Genauer gesagt, er hat Angst vor einem Attentat. Er will den besten Schutz für seine Tochter. Sie können bis Zürich fliegen, sich dort einen Leihwagen nehmen, na ja, den Rest der Strecke genießen Sie als Urlaub.«

»Wie schön, Sir James. Nur eben nicht glaubwürdig. Ist sonst noch etwas vorgefallen?«

»Wie meinen Sie?«

»Mit Angel.«

»Nein, John, nicht mit ihr. Eine Mitschülerin wurde ermordet. Die Mädchen in der Schule haben Angst. Ihnen sitzt der Alb im Nacken. Sie fürchten, dass der Killer wieder zuschlagen könnte.«

Ich hob die Schultern. »Was sagt die Polizei?«

»Die ist machtlos, wie ich weiß. Sie können sich selbst erkundigen. Es gibt da einen Kollegen von ihnen, einen gewissen Leutnant Tenero. Er kann Ihnen mehr sagen.«

»Auch über den Mörder, Sir?«

»Nein. Sie haben dem Killer jedoch einen Namen gegeben. Er ist das Phantom. Er taucht auf, mordet und verschwindet, und er hinterlässt keine Spuren.«

»Dann soll ich nicht nur dieses Mädchen heil nach London bringen, sondern auch ein Mord-Phantom fangen?«

»Das wäre optimal.« Über den Schreibtisch hinweg hatte er mir die Hand gereicht. »Ich verlasse mich auf Sie, John.«

»Danke für das Vertrauen, Sir.«

Ein heller Streifen erschien an den Tunnelwänden und holte mich aus meinen Gedanken. Verursacht wurde er nicht durch Scheinwerfer, es war die Helligkeit des Ausgangs, die mir Sekunden später entgegenflutete. Auch verbreiterten sich die Fahrbahnen. Endlich, der Tunnel lag hinter mir.

Ich setzte die Sonnenbrille auf, öffnete wieder das Fenster und ließ die herrliche Luft des Tessins in den Wagen strömen. Airolo hieß der erste Ort hinter dem Tunnel. Die Autobahn führte hindurch und weiter, immer weiter und tiefer in die Landschaft der mächtigen, grauen Steine hinein. In den Wald, in die Hitze und auch hin zu den Flüssen, die zu Tal flossen und in die beiden großen Seen, den Lago Maggiore und den Lago Lugano, mündeten.

Airolo lag rasch hinter mir. Ich wollte zwar zeitig an meinem Ziel in Ascona eintreffen, dennoch spielte ich nicht den Raser. Auf der rechten Spur rollte ich im 100-Kilometer-Tempo dahin und hatte Zeit genug, die Landschaft zu genießen.

Den herrlichen Himmel mit seinem samtenen Blau, in das die Wolken wie hineingezeichnet wirkten. Steil reckten sich die Hänge dem Blau entgegen. Bewachsen mit dichten Laubbäumen, deren Grün hin und wieder durch kleine Dörfer unterbrochen war, die wie Nester an den Felsen klebten. Graue Häuser, Stein war auf Stein gelegt worden, in mühevoller Arbeit dem Berg abgerungen.

Kirchtürme lugten über den flachen Dächern hervor. Die Häuser besaßen kleine Fenster. Man wollte sich gegen die sengenden Strahlen der Sonne schützen.

Die Temperatur stieg. Im Süden des Tessins herrscht Mittelmeerklima, das stellte auch ich fest, als die warme Luft durch die offenen Fenster in meinen Leihwagen blies und mit den Haaren spielte.

Mein nächstes Etappenziel hieß Bellinzona, die Hauptstadt des Tessins. Nur auf diesen Namen schaute ich, wenn mein Blick über die Schilder streifte.

Als die ersten Palmen und Agaven erschienen, war es nicht mehr weit. In Bellinzona Nord verließ ich die Autobahn, die weiter nach Lugano führte, bei Chiasso die Grenze nach Italien überwand und in Richtung Mailand weiterführte.

Auf einer gut ausgebauten Straße fuhr ich an Bellinzona vorbei. Locarno und damit der Lago Maggiore lockten. Kurz vor dem Ort, auf der linken Seite, lag grün und ruhig der Lago. Erste kleine Staus entstanden. Ich sah abermals die typischen Tessiner Steinhäuser. Viele waren versteckt hinter Gärten.

In Locarno kam ich für eine Weile nicht weiter. Dann im Schritttempo, rollte ich am See entlang, wo sich auch die Grande Piazza befand, und sah das Wort Ascona auf die Straße gepinselt. Über eine Umgehungsstraße erreichte ich den weltbekannten, wunderschönen und ziemlich kleinen Ort am Lago Maggiore.

Kurz hinter der Einfahrt fiel mir auf der rechten Seite eine Kirche auf, um die herum ein Friedhof angelegt worden war. Nicht weit entfernt, auf der anderen Straßenseite leuchtete das Schild mit der Aufschrift Polizia. Mir fiel wieder dieser Leutnant Tenero ein, und ich beschloss, vor meiner Weiterfahrt zum Internat mit ihm zu reden.

Auf dem kleinen Platz vor dem Gebäude hielt ich den BMW an.

Ich stieg aus und merkte die heißen Strahlen der Sonne erst richtig. Auch in Ascona herrschte viel Betrieb. Sommerlich gekleidete Menschen flanierten über die Gehsteige und genossen das südliche Flair.

Ich stieß eine schmale Tür auf. Der Flur war kühl und lag im Halbdunkel.

Die zweite, dunkel gestrichene Tür befand sich an der rechten Seite.

Ich klopfte an, öffnete, betrat das Dienstzimmer und schaute in die fragenden, dunklen Augen eines Polizisten, der am Schreibtisch saß und gegen einen sich schnell drehenden Ventilator schaute.

»Gott zum Gruße«, sagte er und schaute mich fast schon vernichtend an. Wahrscheinlich hatte ich ihn in seiner Mittagsruhe gestört.

Ich sprach ein paar Brocken Italienisch, Deutsch besser und erkundigte mich bei dem Beamten, ob er diese Sprache beherrschte.

»Si, ein wenig nur.«