1,99 €
Babylon in Hongkong
Dieser Fall ging vor allem Suko an die Nieren. Er erhielt in London einen mysteriösen Brief, der angeblich von seinem Vater stammte. Den hatte Suko, der in einem chinesischen Kloster aufgewachsen war, nie kennengelernt, und eigentlich hätte er längst tot sein müssen.
Die Botschaft lockte meinen Partner und mich nach Hongkong, jener brodelnden asiatischen Metropole, in der sich das alte China und die moderne Welt vereinen ‒ und wo ein grausamer Geheimbund auf uns lauerte ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 181
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Babylon in Hongkong
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Vicente Ballestar/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8172-6
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Babylon in Hongkong
von Jason Dark
Dieser Fall ging vor allem Suko an die Nieren. Er erhielt in London einen mysteriösen Brief, der angeblich von seinem Vater stammte. Den hatte Suko, der in einem chinesischen Kloster aufgewachsen war, nie kennengelernt, und eigentlich hätte er längst tot sein müssen.
Die Botschaft lockte meinen Partner und mich nach Hongkong, jener brodelnden asiatischen Metropole, in der sich das alte China und die moderne Welt vereinen – und wo ein grausamer Geheimbund auf uns lauerte …
Suko band den Knoten des Handtuchs dicht über seinem Bauchnabel fest, wollte die Spindtür schließen und blieb plötzlich stehen.
Etwas störte ihn.
Nicht die Ruhe innerhalb der Umkleidekabine, auch nicht das Schimpfen des Bademeisters draußen, der sich mit einigen Halbwüchsigen angelegt hatte, und ebenfalls nicht das gelbliche Licht, das nur spärlich durch die dicken Glasbausteine an der Westseite des Baues sickerte. Es war ein heftiges Atmen, das ihn aufhorchen ließ.
Es hörte sich an, als würde ein Mensch keuchen, der einen langen Lauf hinter sich hatte.
Suko rührte sich nicht. Sein trainierter Instinkt, gepaart mit einem hellwachen Verstand, sagte ihm, dass er in den nächsten Sekunden eine Überraschung erleben würde.
Er wollte die Spindtür wieder aufziehen, um die Beretta aus dem Schrank zu holen, überlegte es sich aber anders, weil das Geräusch der sich öffnenden Tür den anderen unter Umständen hätte warnen können.
So wartete er ab. Er schlüpfte nur aus den Badelatschen, denn barfüßig hatte er einen besseren Halt, wenn es darauf ankam. Sein Spind war der Letzte in der langen Reihe.
Dann sah er ihn.
Er tauchte am Ende der schmalen Spindreihe auf. Ein noch junger Mann, ziemlich nachlässig gekleidet. Um die Stirn trug er einen blassen Reifen, und er hatte langes pechschwarzes Haar.
Hatte er gekeucht?
Der junge Mann schaute sich vorsichtig um. Er wischte die feuchten Handflächen am Stoff der Jeans ab, bevor er Suko anstarrte.
Suko entspannte sich, weil er keine Waffe bei dem Ankömmling entdecken konnte.
Er ließ ihn herankommen. Als der Schmalschultrige die Distanz um die Hälfte verkürzt hatte, sprach Suko ihn an. »Wollen Sie zu mir, Mister?«
»Sind Sie Suko?«
»Seit meiner Geburt.«
Der andere lachte. »Geburt ist gut.«
»Und wie heißen Sie?«
»Nennen Sie mich einfach den Namenlosen. Ich habe vergessen, wie ich heiße.«
Suko grinste schief. »Namenlos, haben Sie gesagt? Wissen Sie, ich habe es mir zum Prinzip gemacht, mit Namenlosen nicht zu sprechen.«
»Kann sein.«
»Dann verschwinden Sie …«
»Nein, nein, Sie verstehen mich falsch.« Der junge Mann streckte den Arm aus. »Mit mir werden Sie reden müssen, Suko. Ich habe Ihnen nämlich etwas zu übergeben.«
»Was?«
Der Junge gab nicht sofort eine Antwort. Wieder schaute er sich um, als hätte er Furcht davor, überrascht zu werden.
Das stieß Suko sauer auf. »Was ist mit Ihnen, Meister? Weshalb schauen Sie sich um?«
»Ich … ich habe so ein Gefühl.«
»Werden Sie verfolgt?«
»Eigentlich dachte ich, sie abgeschüttelt zu haben. Aber jetzt …« Er räusperte sich. »Ist auch egal. Ich bin nur der Überbringer, mehr nicht. Mehr will ich auch nicht sein.«
»Was wollen Sie mir geben?«
Der Namenlose atmete tief durch. »Eine Nachricht, mehr nicht. Ich habe den Brief bekommen und …«
»Wer ist der Absender?«
»Ihr …«
Weiter kam der junge Mann nicht. Plötzlich entstand hinter ihm, genau dort, wo die lange Reihe der Spindschränke aufhörte, eine Bewegung. Etwas pfiff durch die Luft, und Suko sah, wie der Bote zusammenzuckte, dann nach vorn stolperte und ihm entgegenfiel.
Suko streckte instinktiv beide Arme aus, um den jungen Mann aufzufangen.
Er schaute in ein teigig-blasses Gesicht, in starre Augen und sah einen dünnen Blutfaden aus dem linken Auge sickern. Der Bote gab kein Lebenszeichen von sich. Eine Hand steckte noch immer unter der dünnen Jacke, die aus Lederimitat war. Dem Jungen war nicht mehr zu helfen. Ein Pfeil hatte ihn genau am Hinterkopf erwischt.
Suko ließ ihn zu Boden gleiten. Das alles war innerhalb weniger Sekunden geschehen, aber der Mörder hatte sich bereits zurückgezogen.
Suko riss die Beretta aus dem Spind, fuhr herum – und lag plötzlich flach, als er wieder dieses verdammte Geräusch vernahm.
Am Ende der Reihe sah er den schwarzen Gegenstand, der um die Spindecke geschoben worden war. Diese mörderische Waffe, die tödliche Pfeile verschoss.
Suko hörte, wie der Pfeil an den Vorderseiten der Schränke entlangratschte.
Aber auch Suko kam zu keinem gezielten Schuss, denn der Killer befand sich bereits auf der Flucht. Er war dorthin gelaufen, wo sich die großen Baderäume befanden.
Ein kaltes Lächeln kerbte Sukos Lippen, als er daran dachte. Dort bei den Baderäumen gab es zwar viel, nur eben keinen zweiten Ausgang, durch den der Killer hätte entwischen können …
☆
Ich lag bis zum Kinn im heißen Wasser. Durch die aufsteigenden Dampfschwaden musterte ich rechts und links der Wanne die gelblichen Trennwände, die dem Gast so etwas wie ein Gefühl von Geborgenheit und Alleinsein in diesem ansonsten großen Raum geben sollten. Der Dampf stieg nicht nur in die Höhe, er hatte auch einen besonderen Geruch.
Suko hatte mir von diesem chinesischen Badehaus schon seit Tagen vorgeschwärmt und es mir so schmackhaft gemacht, dass ich einfach nicht Nein hatte sagen können und mit ihm hingegangen war.
Nur hatte er sich nicht blicken lassen und mich schon vorgeschickt. Ein Typ mit der Figur eines Catchers hatte mich freundlich lächelnd zu meiner im Boden eingelassenen Wanne gebracht und mir die verschiedenen Essenzen gezeigt, die das Badewasser angeblich zu einer Wohltat machen sollten. Entschieden hatte ich mich für ein gelbgrünes Zeug, das die Haut angeblich reinigte wie drei Saunagänge und sie zudem geschmeidig und weich wie ein Babypopo machte.
»Baden Sie auch darin?«, hatte ich gefragt.
»Ja.«
»Dann müssten Sie die doppelte Menge nehmen, bei so viel Haut.«
Der Knabe war beleidigt gegangen, ich hatte die Packung ins Wasser geschüttet und sollte mich, was die Reklame auf der Außenseite versprach, fühlen wie im siebten Himmel.
Die Ansichten über den siebten Himmel sind wohl unterschiedlich. Ich merkte nur, wie das Zeug meinen Kreislauf anregte.
Eine typische Badehausatmosphäre umgab mich. Dazu gehörte in erster Linie Dampf.
Nicht nur aus meiner Wanne, in der ich ziemlich tief lag, dampfte es, auch die anderen, sodass sich die verschiedenen Gerüche miteinander mischten, bevor sie durch eine Absauganlage verschwanden.
Nebel, wohin ich schaute.
Wenn neue Badegäste erschienen, sahen sie aus wie geisterhafte Gestalten, die über die Fliesen schlichen. Hin und wieder hörte ich gedämpfte Stimmen oder das Klatschen nackter Füße auf den Fliesen.
Ansonsten hatte ich meine Ruhe im warmen Wasser, das durch einen Zu- und Ablauf ständig auf Temperatur gehalten wurde, sodass ich hin und wieder von dem Gel nachkippen musste.
So begeistert, wie Suko von dieser Badeanstalt war, so locker sah ich das. Wenn ich unbedingt schläfrig werden wollte, konnte ich auch bei mir zu Hause Wasser einlassen, mich ausstrecken und abwarten, bis mir die Augen zufielen.
Soweit war es hier schon beinahe gekommen. Die Müdigkeit drang in meinen Körper, wobei ich den Eindruck nicht loswurde, dass es an den Füßen begann und immer höher kroch.
Allmählich ärgerte ich mich über Suko. Wir hatten keinesfalls davon gesprochen, dass der eine den anderen allein lassen sollte. Die Nachbarwanne rechts von mir war nämlich für meinen Freund und Partner reserviert worden. Man kannte ihn hier und hatte uns beide mit großer Freundlichkeit empfangen, was wohl mehr an Suko lag als an mir.
So blieb mir weiterhin nichts anderes übrig, als auf meinen Freund zu warten und mir auszudenken, mit welchen Bemerkungen ich ihn empfangen würde, wenn er erschien.
Ich veränderte meine Liegehaltung etwas, presste die Beine zusammen und drückte sie in die Höhe, sodass meine Zehenspitzen wie ein kleines Kunstwerk aus dem Wasser hervorschauten.
Ich grinste, als ich an die Plastikente oder das Schiffchen dachte, das mir jetzt noch fehlte. Ich schloss die Augen, hob beide Arme aus dem Wasser, winkelte sie an und stützte mich an den Wannenrändern ab, wo auch die beiden großen Badetücher bereit lagen.
Da geschah es!
Den Anfang hatte ich nicht richtig mitbekommen, wahrscheinlich waren mir die Augen zugefallen. Ich konnte auch geträumt haben, jedenfalls bekam ich das Ende mit, und das sah für mich wenig gut aus.
Aus den Schwaden vor mir erschien eine Gestalt, ziemlich kräftig gebaut. Urplötzlich war sie da, stand neben dem Wannenrand und hob einen Fuß. Ich wollte noch schreien: »Sind Sie wahnsinnig!«, als ein Schatten über meinem Kopf erschien, etwas Hartes brutal auf meinen Schädel drückte und die angesetzten Worte in einem Blubbern erstarben, denn der Druck des Fußes hatte mich blitzschnell unter Wasser getaucht.
In den folgenden Augenblicken geschah nichts. Ich war wie erstarrt, hatte die Augen weit geöffnet und starrte in die graugrüne Brühe, die mich umfloss.
Dann bewegte ich mich. Ich wollte weg mit dem Kopf von der verdammten Schuhsohle, wollte auftauchen, um Luft zu holen, aber der andere reagierte bereits. Er bekam mein nasses Haar zu fassen und riss mich zusammen mit einem Schwall Wasser hoch. Ich öffnete den Mund, atmete keuchend und heftig, während der Kerl, der links neben mir hockte, meinen Kopf so weit wie möglich zurückdrückte und dann etwas Kaltes gegen meinen Hals presste: die Mündung einer Waffe.
»Wenn du dich rührst, bist du tot, Mann!«
☆
Träumte ich? War ich wach? Gaukelte mir die Fantasie etwas vor? War es schon soweit, dass ich durchdrehte?
Nichts von dem stimmte. Ich hockte im warmen Wasser, der Unbekannte links neben mir, und am Hals drückte die Mündung der Waffe ziemlich schmerzhaft in meine dünne Haut.
In solchen Situationen ist es am besten, wenn man die Ruhe behält.
So tat ich zunächst einmal nichts und lauschte nur dem heftigen Atem des mir unbekannten Mannes. Seine Kleidung roch nach Teer. Jedenfalls strömte sie einen ähnlichen Geruch aus.
Als ich versuchte, den Kopf zu drehen, verstärkte sich der Druck.
Ich überlegte verzweifelt, ob dieser Angriff auf mich Zufall war oder ob dahinter irgendein Plan steckte.
Der Typ schien nicht gerade zu den Leuten zu gehören, die ihre Nerven unter Kontrolle hatten. Er war mächtig aufgeregt, nicht eiskalt, was mir überhaupt nicht gefiel. Derartige Typen drehten leicht durch, die schossen, ohne zu fragen, da brauchte bei ihnen nur ein Muskel zum falschen Zeitpunkt zu zucken.
Gesehen wurden wir nicht. Natürlich gab es genügend Besucher. Die jedoch waren mit sich selbst beschäftigt.
Es war eine ungewöhnliche Waffe, mit der man mich bedrohte. Sie sah aus wie ein normaler Revolver, aber der Lauf und die Mündung waren doch anders gearbeitet, hinzu kam eine breite, kompakt wirkende Trommel, anders als bei einem normalen Revolver.
»Darf ich fragen, was das soll?«, flüsterte ich.
»Das wirst du schon früh genug merken. Lass nur deinen Kumpan kommen.«
»Geht es um ihn?«
»Sicher.«
»Was hat er denn angestellt?«
»Hör zu, ich an deiner Stelle würde hier nicht so dumm reden. Ich kill euch beide, wenn es darauf ankommt.«
»Das glaube ich Ihnen sogar. Wirklich, Sie haben tatsächlich Mut und sind …«
»Da ist er!«
Der Knabe hatte mich unterbrochen, denn Suko war im Gang erschienen.
»He, komm her!«
Suko hörte den Befehl. Er drehte sich nach rechts. Jetzt konnte er in die primitive Kabine hineinschauen, aber noch nicht sofort sehen, was sich bei mir tat. Zu dicht war der Dampf, der auch immer noch Nachschub bekam.
»John …?«
»Dein Freund hockt neben mir, und es geht ihm verdammt mies, wenn ich abdrücke. Komm her und schau es dir an. Aber denk nicht einmal an Dummheiten.«
Mein Partner schob sich heran. Er trug nur ein Handtuch um die Hüften. Der andere musste ihn beim Verlassen der Umkleideräume überrascht haben.
»Nette Freunde hast du, Suko, wirklich.«
»Ich kenne den Killer nicht.«
»Killer?«
»Ja, sein Opfer liegt im Umkleideraum. Du wirst es kaum glauben, John, er hat ihn vor meinen Augen erschossen.«
Mir wurde komisch. Wenn das stimmte, sah es auch für mich bitter aus. Da würde der andere nicht zögern, abzudrücken und meinen Kopf voll Blei zu pumpen. »Ich hab keine Schüsse gehört.«
»Das konntest du auch nicht. Seine Kanone verschießt Pfeile oder Stahlnägel. Eine verdammt heimtückische Art, jemand vom Leben in den Tod zu befördern, mein Freund.«
»Halt dein Maul!« Der Killer war sauer. Gleichzeitig schien er nervös zu werden.
Das passte mir natürlich nicht. Ich warf Suko heimlich einen fragenden Blick zu. Leider konnte ich wegen des Dampfes die Antwort nicht von seinen Augen ablesen, aber der Killer musste einen Grund gehabt haben, dass er nach dem Mord nicht geflohen war und hier auf Suko gewartet hatte.
Ich sprach ihn leise an und wählte meine Worte sehr behutsam. »Hören Sie zu, Mann. Was wollen Sie eigentlich von uns? Können Sie mir das verraten?«
»Nichts von dir.«
»Da bin ich beruhigt.«
»Aber du bist mein Pfand. Ich weiß, dass ihr zusammengehört. Ich will den Brief.«
Mit allem hatte ich gerechnet, aber da kam ich nicht mit. Er wollte einen Brief?
»Habe ich richtig gehört?«, fragte ich Suko. »Oder bin ich schon so alt …«
»Nein, du hast richtig gehört!«, flüsterte der Killer, der neben mir hockte. Seine Waffe klebte noch immer an meiner Haut. »Ich will den Brief von ihm haben. Von deinem Freund da vorn.«
Ich räusperte mich. »Rück ihn doch raus, Suko, dann hat die arme Seele Ruhe.«
»Siehst du ihn?«
»Nein.«
Der Killer neben mir stieß einen wütenden Laut aus. »Leg mich nicht rein, Suko, du hast den Brief! Du musst ihn haben.«
»Willst du mich untersuchen?« Suko spreizte die Hände vom Körper. »Wer sollte mir denn einen Brief gegeben haben? Weshalb hätte ich ihn mit ins Bad nehmen sollen? Ich lasse die Post zumeist im Büro. Tut mir leid, ich kann dir nicht helfen.«
»Der Bote hat ihn gebracht!«
»Ach, so ist das?« Suko nickte. »Jetzt weiß ich Bescheid. Nur ist der Bote nicht mehr am Leben. Er hat es auch nicht geschafft, mir den Brief oder die Botschaft zu übergeben.«
Der Killer dachte nach. Für ihn war es nicht so gelaufen, wie es eigentlich hätte laufen sollen, was ihn wiederum ärgerte und aus dem Konzept brachte. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Ich spürte förmlich, wie es in ihm arbeitete und er nach einer Lösung suchte.
Sekunden verstrichen. Als ich tief einatmete, presste er die Waffe noch härter gegen meinen Hals. »Mach nur keinen Unsinn, sonst fließt Blut.«
»Keine Sorge, ich denke nur nach. Aber du solltest das auch, Meister. Es gibt keinen Brief …«
»Doch, es gibt ihn! Dann hat ihn noch der Tote. Und du, Suko, wirst ihn holen, ganz einfach.«
»Dazu müsste ich zurückgehen.«
»Klar, mach das. Ich bleibe inzwischen bei deinem verfluchten Freund hier. Der sitzt so gern in der Wanne, es scheint ihm Spaß zu machen. Er soll noch länger darin bleiben. Ich warte genau eine Minute. Wenn du bis dahin nicht zurück bist, ist er tot.«
»Okay, ich habe verstanden.«
»Und noch etwas. Ich will den Brief geschlossen überreicht bekommen. Nicht öffnen. Hüte dich davor, ihn aufzuschlitzen, dann passiert mit Sinclair das gleiche.«
Suko nickte. »Keine Sorge, Killer. Wir sind beide nicht lebensmüde. Bis gleich.« Er ging rückwärts und verließ die kleine, vorn offene Kabine.
Ich entspannte mich ein wenig und konnte mich auch wieder auf die Geräusche der Umgebung konzentrieren, die gedämpft an meine Ohren drangen. Was mir widerfahren war, hatte niemand bemerkt. Die Menschen kümmerten sich innerhalb des Badehauses um sich selbst, die anderen waren da Nebensache.
»Wer hat den Brief denn geschrieben?«, fragte ich und schaute auf den Dampf, der dickschwadig und feucht auf der Oberfläche umherkroch.
»Du wirst es nie erfahren!«
»Aber er ist wichtig, oder?«
»Halt dein Maul, Sinclair. Wenn ich den Brief habe, werde ich verschwinden, und ihr könnt mich vergessen. Ist das klar? Hast du das verstanden?«
»Fast, Killer, fast. Du hast nur eines vergessen. Du hinterlässt einen Toten. Das zwingt uns, etwas dagegen zu unternehmen.«
»Lieber einen als drei.«
»Dann willst du uns auch …?«
»Klar, klar, wenn es sein muss. Ich werde euch killen. Es ist mir egal. Es geht um viel. Und wenn ich dabei draufgehe, spielt das auch keine Rolle. Die Sache allein zählt.«
»Sie muss gewaltige Ausmaße haben, wenn ich dich so reden höre. Ist es gefährlich?«
»Und tödlich, Sinclair. Man soll keine schlafenden Hunde wecken. Wenn doch, darf man sich nicht wundern, wenn man gebissen wird. Aber was erzähle ich dir da? Du müsstest es selbst am besten wissen. Nimm einen Rat an: Kümmere dich um die Probleme hier, aber lass uns in Ruhe. Das gilt auch für deinen Freund.«
Ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen. »Das begreife ich nicht. Ich soll euch in Ruhe lassen, aber ich weiß nicht mal, mit wem ich es zu tun habe.«
»Je weniger ihr wisst, umso besser!«
Inzwischen hatte ich längst bemerkt, dass der Killer Chinese war. Aus London? Die Londoner Chinesen sprachen ein anderes Englisch. Sie hatten sich in der Zwischenzeit an unseren Slang gewöhnt, den ich bei dem Killer vermisste. Er redete so wie ein Chinese, der aus dem Heimatland kam.
Bevor ich ihn danach fragen konnte, wurde er wieder unruhig. »Die Minute ist um!«, flüsterte er scharf. »Sie ist vorbei, und es hat sich nichts getan. Sinclair, kannst du dich auf deinen Freund nicht mehr verlassen?«
»Er wird den Brief erst suchen müssen.«
»Er soll sich hüten, ihn zu lesen! Falls er es doch tut, seid ihr tot.«
Innerhalb der Schwaden erschien eine Gestalt, die sich nicht umgezogen und noch immer das Handtuch um die Hüften geschlungen hatte.
Es war Suko. Er kam. In der rechten Hand hielt er noch immer seine Pistole, in der linken den Brief. Wenn ich es recht erkannte, hatte Suko ihn nicht geöffnet.
»Ist er das?«, fragte er und kam noch einen Schritt näher, sodass er fast den unteren Wannenrand erreichte, bevor der scharfe Ruf des Waffenträgers ihn stoppte.
»Ja, das ist er.«
»Gut, ich habe ihn nicht geöffnet.«
Der Chinese nickte. Im Moment kam er mir unsicher vor. Offenbar suchte er nach einer Lösung, wie er an den Brief herankommen konnte, ohne dass er sich der Gefahr aussetzte, von uns überrumpelt zu werden.
Auch ich war gespannt, was er tun würde.
So gut es ging, schielte ich nach links, wo ich einen Teil seines schweißüberströmten Gesichts sah. Seine Haut war dunkel. Das Haar hatte sich mittlerweile vollgesogen, es klebte wie eine schwarze, ölige Schicht auf seinem Kopf.
Dann verschwand der Waffendruck von meinem Hals. Ich konnte es nicht glauben, weil es so plötzlich geschah. Ich saß bewegungslos in der Wanne, während er die Mündung nun auf Suko gerichtet hielt. Sie zielte genau auf seinen Kopf.
»Na, komm schon, gib ihn her …«
»Wie soll ich das machen? Ihn auf den Boden legen, damit du ihn dir nehmen kannst?«
»Das ist gut, danke.« Der Killer nickte, während ich noch immer schielte und plötzlich erkannte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Der Mörder saß in der Hocke, und wer in der Hocke sitzt, der hat keinen festen Stand. Schon der leichteste Stoß kann ihn aus dem Gleichgewicht bringen.
Ich musste schnell sein, mehr als schnell.
Mein Ellbogen reichte auch, damit hämmerte ich zu. Es war ein harter und hinterlistiger Stoß, der ihn erwischte und aus dem Gleichgewicht brachte.
Plötzlich kippte er nach rechts, schoss nicht einmal, und ich wollte aus der Wanne, als ich Sukos blitzschnelle, schattenhafte Bewegung sah, wie er nach hinten griff und mir zuschrie: »Bleib unter Wasser, John!«
Ich tauchte.
Was geschah, bekam ich nicht mit, aber Suko reagierte hervorragend. Er hielt die Beretta noch in der Hand und riss sie hoch, während der Killer noch auf den feuchten Fliesen lag, zwar abdrückte, aber gegen die Decke schoss.
Suko schrie ihn an, die Waffe fallen zu lassen, aber der Killer kümmerte sich nicht darum, sondern schwenkte sie herum.
Da schoss Suko.
Er musste es tun, wenn er nicht selbst getroffen werden wollte, und er hatte gesehen, wie tödlich diese Stahlpfeile waren.
Seine Kugel traf den Killer im Liegen. Der versuchte trotzdem, seinen Oberkörper in die Höhe zu bekommen. Als er das nicht schaffte, wollte er seinen rechten Arm anheben und die Waffe auf Suko richten.
Auch das gelang ihm nicht.
Mit einem letzten Keuchen auf den Lippen brach er zusammen, und sein aus der Wunde sickerndes Blut bildete auf den Fliesen unter ihm rosafarbene Schlieren, als es sich mit dem Wasser vermischte.
Ich war wieder aufgetaucht, warf die Haare zurück und wischte mir das Wasser aus dem Gesicht. Mit offenem Mund holte ich Luft, schaute wieder nach links über den Wannenrand und sah Suko, wie er sich bückte und den Mann untersuchte.
Im Hintergrund liefen Badegäste und Personal zusammen. Der Schuss hatte die Menschen aufgeschreckt.
Ich saß noch in der Wanne, als Suko den Kopf schüttelte. »Da ist nichts mehr zu machen, John, ich habe ihn einfach zu gut getroffen.«
»Wir wissen also nicht, wer er ist?«
»Noch nicht.« Suko untersuchte die Kleidung nach irgendwelchen Ausweispapieren.
Ich verließ die Wanne und wickelte mich in mein Handtuch. Noch mehr Menschen waren zusammengelaufen. Der Geschäftsführer drängte sich vor. In seinem schwarzen Anzug wirkte er wie ein Pinguin unter nackten Vögeln, als er auf uns zukam, stehen blieb und beide Hände gegen sein Gesicht schlug.
»Das ist doch nicht möglich! Ein Toter!«
»Ja«, sagte ich, »und im Umkleideraum liegt noch einer. Bitte sorgen Sie dafür, dass nichts angerührt wird, und rufen Sie die Polizei. Das heißt, die Mordkommission. Sagen Sie unsere Namen beim Yard, dann weiß man dort Bescheid.«
»Natürlich, Sir.«
Man kannte Suko hier, wusste von seinem Job und ging davon aus, dass auch ich beim Yard beschäftigt war.