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Der Tod aus dem Norden
von Jason Dark
Die Wikinger greifen an!
Nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart!
Ein Jahrhundertsturm tobt über Westeuropa und sucht auch den englischen Küstenort Seabrake heim! Und in den tosenden Orkanwolken am Himmel erscheint ein Drachenschiff der Nordmänner, die gekommen sind, um wie in alten Zeiten Schrecken und Grauen zu verbreiten!
John Sinclair und Suko wollen das Geheimnis der wilden Horde lüften! Doch dann wird der Geisterjäger in die grausame Epoche der Wikinger entführt!
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Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Der Tod aus dem Norden
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: fotokostic/iStockphoto
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8480-2
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.
Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung.
Der Tod aus dem Norden
von Jason Dark
Die Wikinger greifen an!
Nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart!
Ein Jahrhundertsturm tobt über Westeuropa und sucht auch den englischen Küstenort Seabrake heim! Und in den tosenden Orkanwolken am Himmel erscheint ein Drachenschiff der Nordmänner, die gekommen sind, um wie in alten Zeiten Schrecken und Grauen zu verbreiten!
John Sinclair und Suko wollen das Geheimnis der wilden Horde lüften! Doch dann wird der Geisterjäger in die grausame Epoche der Wikinger entführt!
Die Hölle hatte ihre Pforten geöffnet!
Westeuropa erlebte einen Orkan, wie lange nicht mehr. Einen Jahrhundertsturm, der mit seiner zerstörerischen Wucht nicht nur das Meer zu turmhohen Wellen aufpeitschte und Schiffe in höchste Seenot brachte, er wütete auch an Land wie ein Raubtier, das sich vom Himmel auf die Beute gestürzt hatte.
Aus wechselnden Richtungen fegte der Orkan heran. Meist aus Westen kommend, hoch über dem Atlantik aufgebaut, um sich dann gegen die Britischen Inseln zu werfen.
Er kannte keine Gnade. Erbarmungslos schlug er zu, riss Schornsteine von den Häusern und Bäume um. Er wütete in Waldbeständen und hinterließ dort ebenso Chaos wie in Städten und Dörfern.
Es gab Tote. Eine Familie starb in ihrem Fahrzeug, als dieses unter einem vom Sturm umgerissenen Baum begraben wurde.
Auf dem Meer sah es nicht anders aus, dort schien die Welt in einem gewaltigen Krachen, Donnern und Tosen unterzugehen. Himmelhohe Gischtwolken verdeckten die Sicht an der Küste. Schiffe, die nicht in die schützenden Häfen geflohen waren, wurden zu Spielbällen der Wellen, die sie gegen die Felsen und Klippen warfen.
Bei einem derartigen Orkan verkrochen sich die Menschen in ihren Häusern. Da warteten sie zitternd und betend ab, dass der Kelch noch einmal an ihnen vorüberging.
Viele Familien verloren ihr Hab und Gut. Der Orkan deckte die Dächer der küstennahen Häuser ab, aber er wütete auch tiefer im Landesinneren, wo er Schneisen in die Natur riss.
Ein Ende war nicht abzusehen. Er konnte fünf Stunden, zehn Stunden oder noch länger anhalten. Nur die älteren Menschen erinnerten sich an einen ähnlichen Orkan und erzählten, wie es damals gewesen war.
Nach draußen wagte sich kaum jemand, abgesehen von den Angehörigen der Rettungstrupps. Wer eben konnte, blieb zu Hause. Diejenigen, die in oberen Stockwerken wohnten, in den Wohnsilos der Großstädte, spürten, die die Häuser schwankten und hörten den Sturm trotz der geschlossenen Fenster wie ein schauriges Orgelkonzert.
Wie gesagt, wer eben konnte, blieb zu Hause.
Wir nicht.
Suko und ich waren unterwegs, wir hatten London verlassen und fuhren im Dienst-Rover Richtung Süden. Mit seinem BMW hatte Suko nicht fahren wollen. Der stand sicher in der Tiefgarage. Sogar das Meckern über den Dienst-Rover unterließ er und hockte leicht grinsend neben mir, weil er wohl an sein Fahrzeug dachte.
Wie Hammerschläge erwischten uns die Böen. Sie schüttelten den Rover durch. Uns kam es vor, als würden wir in einem tanzenden Kessel auf dem Jahrmarkt sitzen, aber nicht in einem verhältnismäßig sicheren Fahrzeug auf vier Rädern.
Die Geräuschkulisse war kaum zu beschreiben. Es heulte, orgelte und pfiff. Dazwischen erklang immer wieder ein lautes Rauschen, wenn mit einer gewaltigen Macht die Bäume gepackt und gebogen wurden.
Auch unser Wagen wurde nicht verschont. Äste und Zweige prallten gegen die Karosserie und hinterließen Lackschäden.
Eigentlich hatten aber auch wir einen Schaden, dass wir bei einem derartigen Unwetter noch in Richtung Küste fuhren. Aber Job ist Job.
Es ging um ein verdammt heißes Thema: Mord, Spuk und geisterhafte Gestalten, die als Wilde Horde über einen Landstrich hergefallen waren.
Diese Wilde Horde war bekannt aus alter Zeit. So hatte man vor Jahrhunderten die Wikinger genannt, die auf ihren weiten Reisen die Länder brutal überfallen und dort schlimm gewütet hatten.
Ja, es ging um Wikinger. Aus dem Sturm hervor waren sie erschienen, hatten sich am Himmel gezeigt als gespenstische Erscheinungen und sich dann überfallartig auf die Erde gestürzt.
Eigentlich nicht zu Glauben, doch die Todesopfer waren ein deutlicher Beweis. Man hatte uns Bilder gezeigt, die mir auf den Magen geschlagen waren. Da braute sich etwas Fürchterliches zusammen. Wir mussten unbedingt diesen Horror stoppen.
Unser Ziel war die Südküste. Ein Streifen zwischen Hastings und Folkstone, wo der Kanal England von Frankreich trennt. Dort wütete der Sturm besonders heftig, und wir erlebten es nun am eigenen Leib mit.
Den Motorway hatten wir verlassen müssen. Obwohl wir tagsüber fuhren, kam es uns vor, als würden wir in die Dämmerung eines frühen Abends rollen. Der Himmel zeigte ein Muster, das kaum zu beschreiben war. Mal nachtschwarz, mal heller, wobei sich alle Grautöne ineinander mischten. Dazwischen schimmerte es an manchen Stellen schwefelgelb, als hätte ein gewaltiges Monster seinen höllischen Atem ausgeblasen.
Wolken fegten über das Firmament, waren aber kaum als solche zu erkennen. Auf uns wirkten sie wie mächtige Felsblöcke, die der Wind in unterschiedliche Höhen verteilte.
Wir sprachen nur wenig miteinander. Während ich mich auf den Verkehr konzentrierte, behielt Suko die Umgebung im Auge. So manches Mal beugte er sich nach vorn und zur Seite, um aus dem Fenster in den Himmel zu schauen.
Suko und ich fuhren durch eine kaum bewaldete Gegend. Dafür erwischte uns der Orkan mit seiner elementaren Wucht. Ich musste mich anstrengen, um den Rover überhaupt auf der Straße zu halten. Die Scheinwerfer entsandten lange Lichtbahnen und tauchten die Umgebung in einen gespenstischen Schein.
Ab und zu öffnete der Himmel seine Schleusen. Dann rauschte Regen nieder und trommelte fast waagerecht auf das sturmgepeitschte Land, und die Tropfen trommelten gegen die Scheiben und die Karosserie unseres Wagens.
Menschen sahen wir nicht. Dafür zwei Fahrzeuge, die im Graben lagen. Autos, die es von der Fahrbahn gedrückt hatte. Die Fahrer waren nicht zu sehen.
Wir mussten in die Nähe von Folkstone. Der Ort, ungefähr zehn Meilen östlich, wurde von den mörderischen Sturmböen fast überschwemmt.
Telefonleitungen waren zusammengebrochen. Trotzdem hatte uns die Nachricht erreicht, dass Schiffe von der immensen Wucht der Wellen gegen das Land geschleudert worden und dort zerbrochen waren.
Wirklich eine Hölle!
Manchmal kam es mir wie ein kleines Wunder vor, dass wir noch fahren konnten. Aber es änderte sich blitzschnell, als uns der Sturm von der Seite traf.
Diesmal schaffte ich es nicht, den Wagen zu halten. Ich hörte Suko noch fluchen, bevor uns eine unsichtbare Faust mit quietschenden Reifen über die Straße schleuderte.
»Verdammt, der Graben!« Ich hatte meine Wut herausgeschrien, kurbelte das Lenkrad nach links, wobei es mir soeben noch gelang, den Rover zu halten.
Zwar stellte sich der Wagen quer und drehte sich noch einmal, jedoch rutschte er nicht in den Graben, sondern hämmerte mit dem Heck gegen einen starken Mast, an dessen Spitze einmal die Überlandleitung gehangen hatte. Sie war längst zerstört.
Wir standen.
Allerdings nicht still, denn der Orkan rüttelte weiter an unserem Rover, als wollte er das Fahrzeug in die Höhe schleudern.
Ich drehte mich um, schaute durch die Heckscheibe und sah den Mast wie einen langen, starren Finger in die Höhe wachsen.
Suko hatte die gleiche Haltung eingenommen wie ich. »Ich schätze, dass wir raus müssen.«
»Du oder ich?«
»Beide.«
Ich bedachte ihn mit einem schiefen Grinsen. »Wie schön, dann können wir uns wenigstens gegenseitig festhalten.«
»Wollte ich gerade sagen.«
Ich stemmte die Tür auf, denn der Wind drückte genau dagegen.
Suko hatte es besser, kam beim ersten Versuch aus dem Wagen – und wurde vom Sturm regelrecht umgeblasen. Im nächsten Moment fand er sich auf dem Boden wieder. Am Wagen zog er sich auf die Füße.
Ich erreichte das Heck und besah mir den Schaden. Groß war er nicht. Der Sturm hatte den Rover zwar herumgeworfen, aber nur die Stoßstange hing schief.
Wir standen beide gebückt, um dem Wind so wenig Widerstand wie möglich zu bieten.
»Mit dem kommen wir aber noch weiter, John.« Suko hatte sich aufgerichtet und schaute in den Himmel.
Dort bewegten sich die Wolken in einem furiosen Wirbel. Manchmal riss der Wind regelrecht Löcher in die hinein. Wir kamen uns vor, als könnten wir in die Tiefe des Alls blicken.
»Los, lass uns wieder starten«, forderte Suko.
»Mit Rückenwind?«
»Scherzkeks.«
Flach wie ein Brett war das Land hier. Kaum Wälder, keine Ortschaften, nur Felder, hin und wieder ein einzelner Baum, der von der Wucht des Sturms geschüttelt wurde und sich gefährlich bog.
Ich lenkte den Rover wieder auf das schmale graue Band der Straße. Bisher hatten wir tatsächlich Glück gehabt, keine Hindernisse versperrten uns den Weg.
Das richtige Wetter für Wikinger, um über das Land herzufallen und eine blutige Spur zu hinterlassen …
Ich schüttelte über meine Gedanken den Kopf. Welch ein haarsträubender Unsinn – normalerweise. Die echten Wikinger waren längst ausgestorben. Ihre Nachfahren lebten in Skandinavien.
»Bin mal gespannt, ob wir auch Erik den Roten sehen«, meinte Suko.
»Da gab es noch andere Wikinger-Häuptlinge wie Leif und Olaf.«
»Und alle waren sie gleich schlimm.«
»Richtig.«
Suko schüttelte den Kopf. »Es ist sowieso ein Wahnsinn. Ich kann es nicht glauben.«
»Und ich glaube, es wird sich etwas ändern.«
»Wieso?« Suko hatte nicht sehen können, was ich sah, weil er sich mit dem Handschuhfach beschäftigte.
»Sieh mal hoch.«
Sukos Augen weiteten sich, als er durch die Windschutzscheibe nach oben blickte.
»Von wegen keine Wikinger, mein Freund«, sagte ich. »Da sind sie!«
Suko konnte nur nicken.
☆
Wir hatten den Sturm vergessen, denn was wir zu sehen bekamen, fesselte ganz und gar unsere Aufmerksamkeit.
Vor uns war der Himmel aufgerissen, als hätte ihn eine gewaltige Axt gespalten. Der Wind hatte die Wolkenwände wie zwei Teile eines Vorhangs zur Seite gedrückt und damit Platz für ein atemberaubendes Bild geschaffen.
Es stand wie eine gespenstische Projektion am Himmel. Ein gewaltiges und voll ausgerüstetes Kriegsschiff der Wikinger. Mast mit Rahsegel, ein mit Schnitzwerk verzierter Bug, was darauf hindeutete, dass ein König oder Häuptling mitfuhr. Das Heck lief spitz zu, war stark in die Höhe gezogen, und an den Seiten sahen wir zahlreiche Ruderriemen, an denen starke Männer sitzen mussten.
Uns blieb regelrecht die Luft weg, weil wir mit einem derartigen Anblick nicht gerechnet hatten.
Wir entdeckten keine Krieger, nur das Schiff. Es schwebte dort und machte auf uns den Eindruck, als würde es jeden Augenblick vom Himmel auf die Erde fallen.
Suko wischte sich über die Augen, hob die Schultern und meinte: »Eine Halluzination ist es nicht.«
»Da kannst du sicher sein.«
»Was dann? Ist es echt oder …«
»Es ist echt, Suko. Ein Wikingerschiff in den Wolken, das eigentlich aufs Meer gehört.«
»Nicht bei diesem Sturm«, erwiderte Suko nicht ohne Humor. Er schüttelte den Kopf. »Sollte es der Orkan geschafft haben, eine Art Lücke in die Dimensionen gerissen zu haben?«
»Glaube ich kaum. Wenn wir schon davon ausgehen, dass sich eine Art Dimensionspforte geöffnet hat, muss es dafür einen anderen Grund geben. Nur kann ich dir den beim besten Willen nicht nennen.«
Das Schiff mit dem aufgeblähten Segel bewegte sich nicht. Es schwebte dort tatsächlich wie ein Hologramm. Man hätte an einen Scherz denken können, nur war das nicht der Fall, denn es hatte Tote gegeben, und mir kroch bei dem Gedanken eine Gänsehaut über den Rücken.
»Was machen wir?«
Ich hob die Schultern. »Bestimmt nicht entern.«
»Das versuch mal.«
Die weiteren Worte erstickte der Orkan mit seinem tosenden Heulen. Er hatte erneut Atem geholt, brauste heran, schüttelte unseren Rover durch und fuhr in den Himmel, um die Wolken durcheinanderzuwirbeln.
Sie verdeckten das Schiff, schoben sie sich in die Lücke, und plötzlich war das Wikingerschiff verschwunden, und die Lücke hatte sich geschlossen.
Wir hielten mitten auf der Straße. »Ich sehe es als eine erste Warnung«, meinte Suko.
»Für wen?«
»Für uns.«
»Dann rechnest du damit, dass die Krieger uns entdeckt haben.«
»Darauf kannst du wetten, John.«
Ich seufzte. »Okay, fahren wir weiter. Vielleicht setzt es noch zur Landung an.«
»Aber nicht auf der Straße, bitte.«
»Keine Sorge, die ist ihnen bestimmt zu schmal.«
»Der Tod aus dem Norden«, sagte mein Freund. »Hast du gesehen? Das Boot schwebte im Norden am Himmel.«
»Genau da war die Heimat der Wikinger, bevor sie zu ihren Raubzügen aufbrachen, die sie bis an die amerikanische Küste führten.«
»Vergiss Russland und Germany nicht.«
»Stimmt.« Ich startete den Rover. Gegen die Kühlerfront wehte der starke Wind.
»Wie weit noch?«, fragte ich.
Suko schaute auf die Karte. »Nicht mehr als sieben, acht Meilen. Dann sind wir an der Küste.«
»Okay.« Ich gab wieder Gas. Schon oft hatten wir uns in dieser Gegend aufgehalten, aber das Meer bei einem derartigen Orkan zu erleben, war uns bisher nicht vergönnt gewesen. Da verwandelte sich die See tatsächlich in eine brodelnde Hölle.
Der Regen hatte aufgehört, und wenn das Grau der Wolkendecke aufriss, erfassten unsere Blicke die gesamte Weite des vor uns liegenden Landes.
Seine Formation änderte sich etwas. Es blieb nicht mehr so eben.
Wir schauten zwar auf keine Berge, doch es gab unzählige Hügel, die der Gegend einen Mittelgebirgscharakter verliehen.
Auch Gebäude konnten wir ausmachen. Mehr Schuppen oder Scheunen als Häuser, die dem Sturm schutzlos ausgeliefert waren und dementsprechend aussahen.
Dächer waren zum Teil abgedeckt. Zwei Schuppen waren komplett zerstört. Was übrig geblieben war, verteilte sich in einem großen Umkreis.
Das Haus nahe der Straße stand noch. Seine Mauern bestanden aus dicken Steinen. Darüber befand sich das mit Riet gedeckte Dach, das auch einigermaßen gehalten hatte, aber aussah wie eine zerwühlte Frisur.
Wir wären vorbeigefahren, hätte uns nicht das Licht aufmerksam werden lassen, das hinter den Scheiben tanzte.
»Da wohnt jemand«, sagte Suko.
Ich ging bereits vom Gas und ließ den Rover ausrollen. »Den werden wir uns ansehen.«
»Vielleicht weiß er mehr über die Wikinger.«
Von der Straße führte ein schmaler Weg zum Haus. Er war mit Gras bewachsen, aber auch mit vom Sturm losgerissenen Ästen und Zweigen übersät.
Eine ungastliche Stätte, besonders bei diesem Wetter.
Ich parkte den Rover ein Stück vom Haus entfernt. Wir stiegen aus, duckten uns tief und liefen auf die Haustür zu.
Der Orkan pfiff um die Hausecken, erzeugte Geräusche, die mich an das hohl klingende Pfeifen einer alten Panflöte erinnerten.
Suko schaute durch eines der Fenster. Ich duckte mich tiefer, denn ich wurde von Strohstücken getroffen, die der Sturm aus dem Reetdach löste. Irgendwann würde er das ganze Dach abgedeckt haben.
»Hast du jemanden gesehen, Suko?«, brüllte ich gegen den Sturm an.
»Nein.« Suko kam auf mich zu. Ich war vor der Haustür stehen geblieben, wo sich weder eine Klingel noch ein Klopfer finden ließen. Deshalb öffnete ich kurzerhand die Tür.
Bei dem heftigen Wind hatte ich Mühe, die Klinke zu halten. Dann waren wir im Haus, und ich drückte die Tür hinter uns zu.
»Wenn ihr weitergeht, töte ich euch!«
Mit dieser Begrüßung hatte keiner von uns gerechnet. Die Stimme des Mannes hörte sich an, als verstünde er keinen Spaß. Wir sahen ihn links von uns. Dort befand sich der wohl einzige Raum.
Der Mann hockte an einem Tisch. Im Hintergrund brannten noch einige Kerzen. Der Kamin war kalt.
Er hielt ein Gewehr auf uns gerichtet. Eine alte Jagdflinte, ziemlich schwer. Das schwarze Mündungsloch bewegte sich zitternd, zeigte einmal auf mich, dann auf Suko.
Beide hoben wir sicherheitshalber die Hände.
Der Mann war in der Dunkelheit schwer auszumachen. »Was wollt ihr hier?«
»Wir haben das Licht gesehen«, sagte Suko.
»Na und?«
»Da hatten wir eben das Gefühl, nachschauen zu müssen.«
Wir hörten ihn schwer atmen. »Dann … dann gehört ihr nicht zu denen?«
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich.
»Die Gestalten, die aussahen wie Wikinger. Verdammt, sie waren hier. Sie haben …« Er konnte nicht weitersprechen. Die Waffe war ihm zu schwer geworden. Zuerst zitterte sie nur, dann schwankte sie und fiel schließlich auf die Tischplatte, über deren Kante sie hinwegrutschte und auf dem Steinfußboden liegen blieb.
Der Mann weinte. Er saß steif am Tisch. Aus seinen Augen flossen die Tränen wie Rinnsale, der Mund zuckte. Dann senkte er sehr, sehr langsam den Kopf und vergrub das Gesicht in den auf dem Tisch liegenden angewinkelten Armen.
Wir schauten uns an. Dieser Mensch musste Schlimmes erlebt haben, dass er so reagierte.
Obwohl draußen der Orkan wütend tobte, kam es uns hier im Haus still vor. Von zwei Seiten näherten wir uns dem Weinenden. Neben ihm stoppten wir.
»Wollen Sie uns nicht erzählen, was geschehen ist?«, fragte ich.
»Nein.«
»Aber …«
»John, komm her.«
Sukos Stimme klang beängstigend ruhig. Ich ging zu ihm.
Auf einem Feldbett lag eine Tote in ihrem Blut!
☆
Die Frau war durch eine mörderische Waffe ums Leben gekommen, wahrscheinlich durch eine Streitaxt. Ich ballte vor Wut die Hände zu Fäusten. Das sah mir nach einem brutalen Überfall der Wikinger aus.
Hinter uns war das Orgeln des Sturms lauter zu hören. Es lag daran, dass eine Leiter zu einer offen Deckenluke hochführte. Der Kerzenschein leuchtete den Raum unter dem Dach zwar nicht aus, reichte jedoch so weit, dass ich das Schreckliche sehen konnte: Am Rand der Luke pendelten zwei Füße!
Ich atmete tief durch, bevor ich Suko anstieß und in die Höhe deutete.
»Mein Gott«, hauchte er nur.
»Ich schaue nach.«
»Okay.« Mein Freund ging zurück zu dem weinenden Mann, um ihn zu trösten und gleichzeitig etwas zu erfahren.
Die Leiter war so stabil gebaut, dass sie mein Gewicht hielt. Dennoch war ich sehr vorsichtig. Im Nacken spürte ich ein Ziehen, so etwas wie eine Warnung vor einer bestimmten Gefahr.
Mit der Beretta in der Rechten schob ich die Hand und meinen Kopf über den Lukenrand, schaute sofort nach links und rechts, nahm aber nur den Geruch des feuchten Strohs und das Jaulen des Windes wahr.
Der Mann hing rechts von mir. Man hatte ihn aufgeknüpft. Sein Gesicht sah schlimm aus, denn in den starren Zügen spiegelte sich noch der Todeskampf wider.
Es kostete mich Überwindung, aber ich fühlte nach der Körpertemperatur. Der Tote war schon kalt, demnach musste er schon eine Weile lang hier oben hängen.
Die Wikinger, die Wilde Horde, die blutrünstige Schar … diese Begriffe jagten mir durch den Kopf. Sie waren gekommen, hatten getötet. Ich dachte an das Schiff und daran, dass wir an Deck keine Krieger gesehen hatten. Sie waren aber da, denn diese Spuren ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.
Mir gefiel die Düsternis hier oben nicht. Das Dach über meinem Kopf bewegte sich. Der Sturm zerrte an dem Riet. Ein paar Lücken hatte er bereits gerissen.
Ich holte die Lampe hervor und leuchtete den Speicher aus. Hier oben standen alte Truhen und Kartons. Sie waren gefüllt mit allerlei Krempel, und auch eine alte Liege entdeckte ich. Daneben stand eine Truhe im spitzen Winkel zur Wand.
Die Truhe bewegte sich plötzlich.
Ich hatte sie nicht angeschoben. Hinter ihr musste jemand hocken. Ich ging einen Schritt zurück, fast bis an den Rand der Luke, und zielte mit der Beretta in Richtung Truhe. Gleichzeitig leuchtete ich hin.
Die Truhe rutschte nicht mehr. Von unten hörte ich Sukos und die Stimme des Fremden. Was sie besprachen, war für mich nicht zu verstehen.