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Astarte, Aschera, Anat ‒ drei Namen hatte die grausame Göttin aus vorbiblischer Zeit. Ich hatte schon mehrmals von ihr gehört, war ihr jedoch nie begegnet. Dann aber gab es in London zwei Tote, und die Spur dieses Falles führte nach Jordanien, zu einem Berg, den die Einwohner dort ebenfalls Anat nannten. Hier sollte sie wieder erwachen, die schreckliche Himmelsgöttin, und wie ich dann erfuhr, war sie einstmals die Braut des Spuks.
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Seitenzahl: 177
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Die Braut des Spuks
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9279-1
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
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www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.
Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung.
Die Braut des Spuks
von Jason Dark
Astarte, Aschera, Anat – drei Namen hatte die grausame Göttin aus vorbiblischer Zeit. Ich hatte schon mehrmals von ihr gehört, war ihr jedoch nie begegnet. Dann aber gab es in London zwei Tote, und die Spur dieses Falles führte nach Jordanien, zu einem Berg, den die Einwohner dort ebenfalls Anat nannten. Hier sollte sie wieder erwachen, die schreckliche Himmelsgöttin, und wie ich dann erfuhr, war sie einstmals die Braut des Spuks!
Ich hatte ein ungutes Gefühl!
Woran es genau lag, hätte ich nicht zu sagen vermocht, denn eine Gefahr drohte mir nicht. Zwar hatte die Dunkelheit den Tag bereits vertrieben, doch es war noch nicht sehr spät, und manche Menschen hockten noch in ihren Büros und arbeiteten.
Auch die Gegend war nichts Besonderes. Wohn- und Geschäftshäuser, ein kleiner Park, dahinter ragte der Turm einer Kirche in die Höhe. Genau dort wollte ich hin.
Nicht in den Turm, sondern in die Kirche. An einen anderen Ort hatte sich der Mann, der mich sprechen wollte, nicht hingetraut. Ich wusste nur, dass er Scott Wilson hieß und einen Pfarrer als einzigen Menschen eingeweiht hatte.
Der Pfarrer hatte das Treffen zwischen Wilson und mir vermittelt.
Den Rover hatte ich etwas entfernt abgestellt, weil es dort eine Lücke in der langen Autoschlange gab. Ich war den Rest der Strecke zu Fuß gegangen und musste einen kleinen Park umrunden. Über London lag eine klare und sehr kalte Nacht. Ein Hochdruckgebiet mit Kern im Osten hatte diese Kälte nach Westeuropa gebracht, und die würde sich nicht so schnell vertreiben lassen. Auch tagsüber blieben die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt.
Ich schritt durch den Park. Es gibt Leute, die bei Anbruch der Dunkelheit diese Orte meiden. Oft genug lauerten hier irgendwelche Typen, die auf einen schnellen Überfall aus waren. Auch ich war innerlich angespannt. Den Kragen der Jacke hatte ich hochgestellt.
Starr umstanden mich die Bäume. An den Zweigen hing kaum ein Blatt. Auf ihrer Rinde schimmerte das Eis.
Jemand lachte.
Ich blieb stehen, denn ich sah zwei Frauen, die dick eingemummt aus einem Seitenweg kamen und Flaschen in den Händen hielten.
Sie sahen aus wie Gespenster, als sie betrunken auf mich zuwankten und mich ansprachen.
Ich ging einfach weiter. Diese Worte gehörten nicht zu meinem Repertoire.
»Ashole!«, schrien sie mir noch nach, bevor sie schimpfend weitergingen.
Die Kirche wurde angestrahlt. Mehrere Scheinwerfer schickten ihr Licht gegen die breite Vorderfront, zu der eine ebenfalls breite Treppe hochführte.
Ein prächtiges Bauwerk der Gotik mit hohen Rundbogenfenstern, die vereist waren. Die mächtig wirkende Eingangstür war geschlossen. Über ihr erhob sich das Bauwerk in all seiner Mächtigkeit, und ich blieb für einige Sekunden stehen, um diesen Anblick in mich aufzunehmen.
Im Gegensatz zur Kirche kam ich mir klein vor. Wer sie anschaute, der konnte erkennen, wie machtvoll der Glaube doch war. Ein Fels in der Weltenbrandung, und auch mich überkam Ehrfurcht.
Sehr langsam stieg ich die Stufen hoch, die mit Sand bestreut waren, damit niemand ausrutschte, denn an den Rändern schimmerten kleine Eisflächen.
Ich war die einsame Gestalt in der Nacht. Wirkte wie der verlorene Sohn, der den Weg zurückgefunden hatte. Eigentlich hätte ich mich freuen müssen, in den Schutz der Kirche treten zu können, aber dieses verflixte Gefühl wollte nicht weichen.
Es war da, es erzeugte einen Druck in meinem Magen, es schnitt mir durch den Körper und schürte die Unruhe. Der Pfarrer hatte sehr drängend gesprochen, auch die Worte Besessenheit und Exorzismus erwähnt, mehr aber nicht. Auf Nachfragen hatte er nur geschwiegen und schließlich gemeint, dass ich mir den Mann doch einmal selbst anschauen sollte.
Der Pfarrer wollte mich an der Tür erwarten, doch draußen stand er nicht. Ich drehte mich noch einmal um und schaute die breiten Stufen hinab.
Kalt und leer war die Gegend. Der Park war schweigend wie ein altes Kunstwerk. Es wehte kaum Wind, nur dumpf drangen die abendlichen Verkehrsgeräusche an meine Ohren. Jenseits der Bäume rollten die Fahrzeuge vorbei. Die Lichter der Scheinwerfer waren nicht mehr als huschende Reflexe in einer tiefgrauen Finsternis.
Die Tür – schon mehr ein Portal – hatte eine mächtige Klinke. Auch auf dem Eisen hatte die Kälte eine dünne Eisschicht gebildet.
Ich drückte sie nach unten, sie klemmte ein wenig, dann half mir jemand von innen, und ich hörte die Stimme des Mannes, bevor ich ihn selbst sah.
»Kommen Sie herein, Mister Sinclair.«
Das musste der Pfarrer sein. Demnach hatte er sein Versprechen gehalten und gewartet.
Ich räusperte mich und schob mich in den schmalen Windfang hinter der Tür, der in dämmriges Licht getaucht war. Der Pfarrer war schon älter. Er trug dunkle Kleidung, und auf dem Kopf wuchs weißes Haar, das er nach vorn gekämmt hatte. Die glitzernden Augen in dem runden Gesicht musterten mich prüfend.
Ich lächelte. »Bin ich pünktlich?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Manchmal schon.«
Er holte Luft und schaute in das lange Kirchenschiff, in dem die Notbeleuchtung brannte und ansonsten Kerzen ihren geisterhaften Schein abgaben.
Die Flammen brannten ruhig. Der große Altar lag im Dunkeln. Dies hier war eine der wenigen katholischen Kirchen im Großraum London, obwohl sie ökumenisch genutzt wurde, was ich wiederum gut fand.
Kleine Altäre standen an den Seiten. Vor mir fiel das runde Taufbecken auf.
Ich ging ein paar Schritte zur Seite, wo auf einem großen Tablett zahlreiche weiße Kerzen standen, die Bittgänger angezündet hatten. Das Licht erreichte eine hinter den Kerzen aufragende Marienstatue, die den Kopf schief gelegt und die Hände vor der Brust gekreuzt hatte. Auf dem weichen Gesicht lag ein mildes Lächeln.
Der Pfarrer folgte mir. Meine Schritte waren verstummt, seine hörte ich überlaut auf dem Steinboden. Als er stehen blieb, drehte ich meinen Kopf nach links.
Ich wollte etwas sagen, doch er kam mir zuvor. »Ich weiß, wer Sie sind, Mister Sinclair, und womit Sie sich beschäftigen. Lassen Sie es sich gesagt sein, das Böse lauert überall.«
»Das weiß ich.«
Er kam noch näher heran. Seine Lippen schimmerten bläulich, als hätte er es mit dem Herzen. »Auch hier, Mister Sinclair. Auch hier lauert das Böse.«
»Sie meinen in der Kirche?«
»Ja.«
Seine direkte Antwort hatte mich ein wenig erschreckt, da ich Kirchen bisher als einen Hort angesehen hatte, zu dem die Macht der Finsternis keinen Zutritt hatte. Ich schwieg für einen Moment und schaute dabei zu Boden.
»Überrascht, Mister Sinclair?«
»Eigentlich schon. Wie meinten Sie das?«
»Es ist hineingetragen worden. Ich habe es genau gespürt, aber es kommt nicht frei. Dieser heilige Ort hält es zurück. Noch, Mister Sinclair, aber ich befürchte Schlimmes.«
Seine Erklärungen waren mir zu allgemein, deshalb fragte ich: »Hat das Böse auch einen Namen?«
»Ja.«
»Scott Wilson?«
Er nickte.
Ich schaute mich um. Die Bänke standen leer vor mir. Geometrisch exakt geordnet, bildeten sie einen Platz für die Gläubigen, wo sie sich besinnen oder in Gebete versinken konnten. Es konnte Einbildung sein, mir fielen jedoch die Schatten auf, die sich über die Figuren und die Bilder des Kreuzwegs an den Wänden gelegt hatten. Manchmal kamen sie mir vor, als wäre ihnen durch die Schatten ein finsteres Leben eingehaucht worden.
»Suchen Sie es, Mister Sinclair?«
Ich verzog die Mundwinkel. »Eigentlich suche ich Scott Wilson, doch den kann ich nicht entdecken.«
»Er ist aber hier. Er wollte in einen der Beichtstühle gehen. Dort wartet er.«
Ich runzelte die Stirn. »Das Böse sitzt in einem Beichtstuhl, Hochwürden? Ist das nicht etwas ungewöhnlich?«
»In der Tat, aber er wollte es so. Möglicherweise ist es für ihn eine seelische Geißelung. Das ist nur eine Annahme, so genau weiß ich das nicht.« Der Pfarrer seufzte schwer.
»Er wollte mit mir reden. Deshalb würde ich vorschlagen, dass Sie mich zu ihm bringen. Danach sehe ich weiter.«
»Selbstverständlich, Mister Sinclair, kommen Sie.«
Er ging vor, und ich folgte seinen schleppenden Schritten. Wir umrundeten die rechte Bankseite und hielten uns dicht an der Wand, wo ich mir die Bilder des Kreuzwegs anschaute.
Die Farben waren dunkel und noch mehr nachgedunkelt, ein Beweis dafür, dass die Bilder bereits viele Jahre alt waren. Heute malte man heller und freundlicher.
Auch der alte Beichtstuhl gehörte den längst vergangenen Zeiten an. Er stach von der helleren Wand ab wie ein mächtiger Klotz. Von beiden Seiten konnte man ihn betreten. Zuerst musste ein Vorhang zur Seite gezogen werden.
»Wo ist er?«
Der Pfarrer deutete auf den Mittelteil. »Setzen Sie sich dort, wo ich sonst sitze, wenn ich die Beichte abnehme, dann können Sie mit ihm sprechen.«
»Danke.«
»Soll ich warten?«
Ich lächelte. »Das ist Ihre Entscheidung, Hochwürden. Mir ist es egal. Falls es Ihnen nicht zu kalt wird …«
»Ich bin diese Temperaturen gewohnt.« Er hielt mich fest und sprach mit eindringlicher Stimme weiter. »Denken Sie daran, Mister Sinclair, dieser Mann ist kein normaler Mensch, das weiß ich. Er trägt das Böse in sich.«
»Woran haben Sie das eigentlich gemerkt?«
»An allem. An seiner Haltung, an seinem Benehmen, an seinen Worten, und er schaffte es nicht, mir in die Augen zu schauen. Sein Blick irrlichterte, er war nervös. Es war nicht so, wie man es sich vorstellt, wenn jemand beichten will.«
»Das wollte er ja nicht.«
»Stimmt. Der Druck ist nur ungeheuer. Er hat schwere Probleme.«
Der Pfarrer zog sich zurück. Er ging so weit, bis er die Bankreihe erreicht hatte, kniete sich dort nieder und flüsterte mir noch zu, dass er für uns beten wollte.
Das hörte sich an, als würde bald etwas passieren. Als wäre die dunkle Gewitterwolke schon nahe bei uns.
☆
Ich war auf diesen Scott Wilson gespannt. Gehört hatte ich noch nie von ihm, aber das passierte mir öfter. Es riefen mich Menschen an, die mit mir reden wollten, weil sie ein Problem hatten, mit dem sie allein nicht zurechtkamen.
Es ging zudem immer um die Kräfte des Bösen, um Dämonen oder Schwarze Magie.
Ich schob den Vorhang zur Seite und sah die Bank, die ein dunkles Polster hatte.
»Da sind Sie ja, Mister Sinclair.« Die Stimme erreichte mich als zittriges Flüstern.
Ich kniete mich hin. »Normalerweise bin ich ein Mensch, der Versprechen einhält, Mister Wilson. Also, wo liegt Ihr Problem?«
»Das ist nicht so einfach.«
»Ich habe Zeit.«
»Erst muss ich wissen, ob mich der Pfarrer nicht reingelegt hat. Ob Sie es wirklich sind.«
»Soll ich Ihnen meinen Ausweis zeigen?«
»Darum bitte ich.«
Okay, wenn er es unbedingt wollte. Ich holte die Hülle hervor und bewegte mich dabei bewusst langsam, weil ich mein Gegenüber genauer betrachten wollte. Es war nicht einfach, denn Licht drang so gut wie keines in den Beichtstuhl, nicht mehr als der Restschein einer abgedunkelten Lampe, und zudem befand sich auch ein Holzgitter zwischen uns.
Trotzdem sah ich das dunkle Haar und das Gesicht, dessen Haut ziemlich bleich wirkte. Auch der flackernde Blick seiner Augen fiel mir auf. Dieser Mensch hatte Probleme, und es bereitete ihm Mühe, normal zu atmen. Was da aus seinem Mund drang, war mehr ein Keuchen.
Ich hielt den Ausweis aufgeklappt vor das Holzgitterfenster. »Können Sie bei dem Licht lesen?«
»Schlecht.«
»Warten Sie, ich leuchte.«
»Nicht, kein Licht!« Er sprach, als hätte er vor der Helligkeit Angst. »Ich … ich schaffe es auch so, Sinclair.«
»Okay, wie Sie wollen.«
Er betrachtete den Ausweis, dann nickte er.
»Zufrieden?«
»Sehr.«
»Dann können wir ja zur Sache kommen. Sie haben mich rufen lassen, ich bin hier. Was ist Ihr Problem?«
Meine letzte Frage ließ ihn lachen. »Mein Problem, Sinclair? Sagen Sie nicht so etwas. Das ist nicht allein mein Problem, das ich mit mir herumschleppe. Es ist das Problem zahlreicher Menschen, wenn Sie verstehen, Mister Sinclair.«
»Nein.«
Er wandte mir das Gesicht zu. Viel mehr konnte ich trotzdem nicht erkennen. Seine breiten Lippen bewegten sich kaum, als er sprach. »Ich habe das Böse erlebt, Sinclair. Ich und andere Menschen. Wir alle sind davon infiziert worden. Etwas Furchtbares bahnt sich an.«
»Was?«
Er stöhnte auf. »Wenn ich das wüsste, Sinclair, wenn ich das wüsste …«
Fast hätte ich gelacht. »Jetzt machen Sie mal einen Punkt. Sie haben mich kommen lassen, um mir etwas zu erzählen, und ergehen sich in Andeutungen. Das ist mir einfach zu wenig, Mister Wilson. Verstehen Sie?«
»Schon, nur kann ich Ihnen nicht viel dazu sagen. Es ist einfach so. Ich weiß es, ich kann es nicht erklären. Ich will Sie aber warnen.«
»Das Böse hat viele Gesichter, doch ursächlich hängt alles mit dem Teufel zusammen.«
Bei dem Wort Teufel schrak er zusammen. Ich dachte schon, auf dem richtigen Dampfer zu sein, da aber schüttelte Wilson den Kopf. »Nein, das ist es nicht.«
»Nicht der Teufel?«
»Genau.«
»Was dann, Mister Wilson?«
»Es sitzt viel tiefer, es ist älter, es ist einfach nicht fassbar …«
»Was ist älter als der Teufel? Ich habe mich mit ihm beschäftigen müssen und kenne eigentlich nichts, was vor dem Teufel war, also vor der großen Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse, als es zum ersten Kampf kam. Beide sind geblieben. Luzifer auf der einen und Gott auf der anderen Seite, wenn ich das mal so pauschal sagen darf.«
»Ja, ja, ich weiß.«
»Aber?«
»Da ist noch etwas anderes, das mit unserem Glauben und Gut und Böse nichts zu tun hat. Es ist ebenfalls uralt, und es ist dabei, sich bemerkbar zu machen. Ich habe es gespürt, ich und andere.«
»Wie spürten Sie es?«
»Es drang in mich ein. Es ergriff von mir Besitz. Es veränderte mich innerlich. Es hat mein Blut gefressen, Mister Sinclair. Ich bin ein anderer geworden.«
»Da kann ich nichts zu sagen, wir sind uns ja noch nie begegnet. Wollen Sie mir keine Einzelheiten erzählen. Ich kann nur dann eingreifen, wenn ich weiß, worum es geht.«
Er wartete mit seiner Antwort. Es war still, nur sein heftiges Atmen hörte ich.
»Sie haben recht, Mister Sinclair. Ich … ich muss es Ihnen berichten, denn Sie sind der richtige Mann. Es geht um viel, um große Veränderungen. Das alles habe ich erfahren.«
»Und diese Veränderungen sind … negativ?«
»Negativ?« Er öffnete den Mund, versuchte zu sprechen und würgte die Worte aus der Kehle. »Negativ ist kein Ausdruck. Sie … sie sind einfach … grauenhaft! Sie sind kaum zu beschreiben.«
Auf einmal zuckte er. Es sah so aus, als würde jemand an ihm zerren. Er bewegte den Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen. Worte vernahm ich nicht mehr, dafür schlimme würgende Laute.
Er ruckte nach vorn, der Mund blieb weiterhin offen. Das Würgen veränderte sich etwas, es ging über in ein tiefes Stöhnen.
Ich wollte zu ihm hin, um ihm zu helfen, da geschah es.
Bisher war sein Mund für mich nicht mehr als ein dunkles Loch gewesen, doch in der Tiefe dieser Öffnung brodelte es plötzlich. Da stieg etwas aus dem Körper hoch, was beileibe keine unverdaute Nahrung war, sondern eine tiefschwarze Färbung hatte.
Es sah aus wie Teer …
Und dann brach es aus dem Mund. Ein gewaltiger Strom einer dicken, schwarzen Flüssigkeit. Ein stinkender Sirup, einfach widerlich. Das Zeug wollte nicht aufhören, es klatschte vor ihm auf den Boden. Mir kam es vor, als würde der Mann seine veränderten Eingeweide auswürgen. Ein schlimmes, schauriges Bild, bei dem ich nicht länger zuschauen wollte. Blitzschnell verließ ich den Beichtstuhl.
Auch der Geistliche war aufgestanden. Er stand allerdings noch in der Bank und schaute mich verständnislos an. Ich gab ihm keine Erklärung, sprintete zur Mitte des Beichtstuhls und riss die Tür dort auf.
Scott Wilson war zusammengesunken. Der Kopf hing nach vorn und sah aus, als würde er jeden Moment abfallen. Nichts floss mehr aus seinem Mund. Er war ganz still.
Zu still …
Ich hatte meine kleine Lampe hervorgeholt und schickte den Strahl gegen den Boden des Beichtstuhls.
Dort lag das Erbrochene.
Widerlicher, schwarzer, stinkender Schlamm oder Schleim. Er roch ätzend und verbrannt zugleich, und über der Fläche tanzten dünne Schwaden. Das alles hatte Scott Wilson ausgewürgt, was für mich ein Rätsel war.
Mit der rechten Hand berührte ich seine Schulter. Der Mann fiel mir entgegen.
Da wusste ich Bescheid.
Scott Wilson lebte nicht mehr!
☆
»Ist er tot?«
Ich hörte hinter mir die Stimme des Geistlichen und deutete ein Nicken an. »Ja, er ist tot, Hochwürden, und er ist in dieser Kirche hier gestorben. Unter dem Schutz des Allmächtigen, aber der hat nicht gereicht. Etwas war in ihm, etwas Furchtbares steckte in seinem Körper, von dem er mir berichten wollte, aber nicht mehr dazu kam.« Ich trat einen Schritt zur Seite. »Da, schauen Sie hin, Hochwürden. Sehen Sie ihn sich genau an, und schauen Sie auf die Lache.«
Der Pfarrer schlug ein Kreuzzeichen, bevor er meinem Wunsch nachkam. Er stand wie festgewachsen auf der Schwelle, sein Gesicht veränderte sich nicht. Es wirkte wie gemeißelt, nur seine Augenlider flatterten, darunter aber blieben die Pupillen starr, als wäre er ebenfalls gestorben. »Wenn Sie jetzt eine Erklärung von mir wollen, Mister Sinclair, die kann ich Ihnen nicht geben.«
»Das glaube ich Ihnen sogar.«
Er ging zitternd zurück, die rechte Hand spielte mit den Perlen eines Rosenkranzes. »Hier«, sagte er. »Ausgerechnet an dieser geweihten Stätte. Wie kann so etwas geschehen? Wie ist es dem Bösen gelungen, hier einzudringen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Irrtum, Herr Pfarrer, das Böse ist nicht direkt eingedrungen. Es lag einzig und allein an der Person Scott Wilson. Es steckte bereits in ihm, so wie Sie es gesagt haben. Er wusste sich keinen anderen Ausweg, als sich in die Kirche zu flüchten, um hier mit mir reden zu können.«
Der Geistliche nickte. »Ich habe ihn nicht gekannt. Es kann Zufall gewesen sein, dass er sich ausgerechnet meine Kirche ausgesucht hat.«
»Da könnten Sie durchaus recht haben, Hochwürden.«
Der Pfarrer tat mir leid. Er sah aus, als wäre für ihn eine Welt zusammengebrochen. Seine Kirche als Schauplatz eines unerklärlichen Verbrechens.
»Was sollen wir denn jetzt tun?«
»Nun, Sie werden sich damit abfinden müssen, dass es einige Aufregungen gibt. Ich muss meine Kollegen herholen. Mir geht es auch um die Masse, die Scott Wilson ausgebrochen hat. Ich werde sie analysieren lassen. Möglicherweise finden wir da einen Hinweis, Hochwürden. Wo kann ich telefonieren?«
»In der Sakristei. Dort befinden sich auch die Verwaltung und das Büro der Pfarrsekretärin.« Er sah so aus, als wollte er noch etwas sagen, überlegte es sich jedoch anders, drehte sich um und ging vor mir her.
Wir brauchten den Altar nicht zu passieren, denn unser Ziel war eine kleine Nische, die von einer braun gestrichenen Tür begrenzt wurde.
Der Priester öffnete sie. Ein schmaler Flur tat sich auf. Der Geistliche machte Licht und öffnete eine der drei Türen.
Ich betrat ein normales Büro, das sich nur von anderen deshalb unterschied, weil an der Wand ein Kreuz hing.
Auf einem Schreibtisch stand ein Telefon. Der Pfarrer knipste noch die Schreibtischleuchte an, deren Schein auf den Apparat fiel. »Bitte, bedienen Sie sich, Mister Sinclair.«
»Danke.«
Ich würde die Nachtschicht erreichen, denn beim Yard wurde rund um die Uhr gearbeitet.
Wie immer waren die Kollegen nicht gerade begeistert. Ich hörte sie stöhnen, hatte aber kein Mitleid. Man wunderte sich nur über den Tatort.
»Wirklich in einer Kirche, Sinclair?«
»Ja. Und kommt so rasch wie möglich.«
»Klar, wir fliegen.«
Der Geistliche hatte aus einem schmalen Aktenschrank eine Flasche Whisky und zwei Gläser geholt. »Ich gehe doch recht in der Annahme, dass Sie auch einen Schluck trinken werden, Mister Sinclair?«
»Gern.«
Hochwürden genehmigte sich wenig später einen Doppelten. Sein Gesicht war durch Sorgenfalten geprägt. Er verstand die Welt nicht mehr.
»Sagen Sie, Mister Sinclair. Jetzt, da Sie etwas Abstand gewonnen haben, wissen Sie da eine Erklärung?«
»Leider nicht.«
»Aber Sie sind der Fachmann.«
Ich stellte das Glas weg. »Scott Wilson hat nur allgemein geredet. Bevor er auf den Punkt kommen konnte, starb er.«
»Wovon hat er denn gesprochen?«
»Vom Bösen.«
Das Gesicht des Pfarrers bekam einen etwas ängstlichen Ausdruck. »Etwa vom Teufel?«
Ich schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. »Das ist es ja eben, nicht vom Teufel.«
»Wenn er das Böse meint, dann frage ich mich natürlich, was schlimmer ist als der Teufel.«
»Da haben Sie recht, Hochwürden. Ich habe auch darüber nachgedacht und bin zu keiner Lösung gekommen. Ich kann da wirklich nur raten und vermuten.«
»Was vermuten Sie denn?«
»Nach dem, was er gesagt hat, gehe ich davon aus, dass es tief im Reich der Mythologie liegen muss. Da müsste man ansetzen. Etwas Uraltes, Vorbiblisches.«
»Himmel. Sie gehen aber weit zurück.«
»Erfahrungen, Hochwürden. Denken Sie zum Beispiel an den alttestamentarischen Götzen Baal und diesen schrecklichen Kult, der um ihn herum getrieben wurde. Das hat einen Zugang bis in unsere Zeit gefunden. Ich habe Menschen kennengelernt, die ihm dienten, auch heute noch, Hochwürden.«
»Da komme ich nicht mit. Ich habe nicht gelernt, so zu denken.«
»Das ist auch völlig normal.«
Er hob die Schultern. »Wie wollen Sie denn eine Spur finden, die zu den alten Götzen und diesen Irrlehren führt?«