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Samhain ist das keltische Halloween: In dieser Nacht, so besagt die Legende, kriechen die Toten aus ihren Gräbern und in die Betten der Schlafenden, um sich an den Lebenden zu wärmen.
Auch in der irischen Ortschaft Kimberly wurde das "Fest der Köpfe" einmal im Jahr gefeiert, doch diesmal hatte es im Vorfeld zwei mysteriöse Todesfälle gegeben. John Sinclair, der Geisterjäger von Scotland Yard, sollte sie aufklären ‒ und war auf einmal spurlos verschwunden!
Sein Freund und Partner Suko machte sich auf nach Irland, um herauszufinden, was John widerfahren war ‒ und fuhr direkt in die keltische Zombie-Hölle!
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Seitenzahl: 176
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Das Fest der Köpfe
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9281-4
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.
Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung.
Das Fest der Köpfe
von Jason Dark
Samhain ist das keltische Halloween: In dieser Nacht, so besagt die Legende, kriechen die Toten aus ihren Gräbern und in die Betten der Schlafenden, um sich an den Lebenden zu wärmen.
Auch in der irischen Ortschaft Kimberly wurde das »Fest der Köpfe« einmal im Jahr gefeiert, doch diesmal hatte es im Vorfeld zwei mysteriöse Todesfälle gegeben. John Sinclair, der Geisterjäger von Scotland Yard, sollte sie aufklären – und war auf einmal spurlos verschwunden!
Sein Freund und Partner Suko machte sich auf nach Irland, um herauszufinden, was John widerfahren war – und fuhr direkt in die keltische Zombie-Hölle!
»Nolan«, sagte Mary Quint. »Nolan, ich mag es nicht, wenn ich in fremden Hotelbetten liegen muss. Du etwa?«
Der Mann gab keine Antwort.
»He, Nolan, ich habe mit dir gesprochen. Auch wenn wir fast dreißig Jahre verheiratet sind, kannst du sehr wohl mit mir reden. Das gehört sich einfach so.«
Nolan schwieg noch immer.
Mary Quint atmete tief. »Schläfst du schon, Nolan? Bist du tatsächlich schon eingeschlafen …?«
Der Mann blieb ruhig.
Seine Frau wusste nicht, ob sie sich ärgern sollte. Eigentlich war es eine Unverschämtheit, wie sie von ihrem Mann behandelt wurde. Der wollte einfach nicht mit ihr sprechen, obgleich er sicher noch nicht eingeschlafen war. Sie hätte sonst die ruhigen, tiefen Atemzüge gehört, aber er lag einfach da und ignorierte sie. Das ärgerte Mary sehr.
»Ich frage dich jetzt zum letzten Mal, Nolan, willst du mir eine Antwort geben oder nicht?« Sie grinste innerlich, denn diese Frage war raffiniert gestellt worden. Jetzt musste er ja aus sich herausgehen und irgendetwas sagen.
Doch Nolan blieb stumm …
Mary erstickte fast an ihrer Wut. Was bildete sich dieser verdammte Kerl eigentlich ein? Er überging sie einfach. Er tat so, als wäre sie nicht vorhanden. Er spielte den Unbeteiligten, er wollte von ihr nichts wissen, sie zu einem Wutanfall provozieren.
Mary schaute gegen die Decke. Die war nicht zu sehen, kaum zu erahnen. Die verdammte Dunkelheit in diesem miesen Hotelzimmer passte ihr ebenfalls nicht. Sie hatte nicht weggewollt. Schließlich war es Nolans Bruder gewesen, der seinen Geburtstag feierte. Nur seinetwegen waren sie mit der Fähre rübergefahren.
Jetzt stellte er sich so an.
Sie setzte sich hin. Das Blut war in ihren Kopf geströmt. Sie merkte den Druck. Schmerzen verspürte sie zwar nicht, aber der Druck ärgerte sie.
Eigentlich trug Nolan daran die Schuld. Nur weil er es nicht für nötig hielt, auf eine normale Frage eine normale Antwort zu geben.
Sie drehte den Kopf. Das Fenster war klein. Auch dahinter lauerte die Dunkelheit. Es war nichts zu hören. Die dumpfe Stille des Zimmers kam ihr vor wie die Enge in einer verdammten Todeszelle.
Sie brauchte Luft, auch Licht, und sie wollte endlich mit Nolan, ihrem Mann, reden.
Mary nickte, obwohl ihr Mann es nicht sehen konnte. »Gut, Nolan, du hast dich entschieden. Du hast dich entschieden, nicht mit mir zu reden. Auch ich habe mich entschieden. Ich werde aufstehen, meinen Koffer packen und verschwinden. So einfach ist das. Hast du gehört, Nolan?«
Der Mann schwieg …
Da war sie es leid. Mary schwang herum, die Füße berührten den kalten Fußboden, ihr Arm bewegte sich nach rechts, wo der kleine Nachttisch stand. Dort befand sich die Lampe. Der Schalter leuchtete wie ein grüner Punkt.
Sie drückte ihn.
Das Licht war so anders. Völlig normal, trotzdem anders. Vielleicht lag es auch an der plötzlichen Helligkeit. Sie hatte einfach zu lange in der Dunkelheit gelegen.
Es gab zwei Lampen, aber das Licht der einen reichte schon aus. Der Schirm war so gerichtet, dass er auch das andere Bett beleuchtete.
Da lag Nolan.
Sie legte sich wieder zurück, drehte sich dann zu ihm um und stützte sich halb hoch.
Mary wollte ihn sehen, sie wollte …
Er sagte wieder nichts. Er lag da und hatte das Bettlaken bis zum Hals hochgezogen. Seine Wange sah so gelb und verblichen aus, fast wie die Haut einer alten Leiche.
Der Kopf lag auf dem Kissen wie ein Fremdkörper, abgehackt vom Körper.
Ein Kopf, ein Gesicht, Züge, die …
Mary fasste es nicht. Nolan sah fürchterlich aus. Sein Mund stand offen, die beiden Kiefer schienen sich verhakt zu haben. Die Haut war so unnatürlich, spannte sich scharf, war wächsern.
Dann die Augen …
Aufgerissen, Panik im Blick, der trotzdem so fürchterlich leer war und kein Gefühl mehr zeigte.
Sie würgte. Plötzlich wusste sie Bescheid. Sie hätte ihn noch zehn Stunden lang fragen können, er hätte keine Antwort gegeben. Er würde nie mehr antworten, denn Nolan Quint war tot.
Erst Sekunden später fing Mary an zu schreien!
☆
»Bring deinem Großvater das Essen, Matthew!«
»Wo ist er denn?«
»Auf dem Feld. Er will durcharbeiten und hat keine Zeit, um eine Pause einzulegen.«
»Er hätte das Essen auch mitnehmen können«, maulte der Vierzehnjährige.
»Bring es ihm. Nimm dir an deinem Großvater ein Beispiel. Du lungerst hier nur herum.«
»Es sind Ferien, Mum.«
»Das sagen die Faulen immer.« Sie gab ihm die Leinentasche. »Hier, nimm sie.«
Matt wusste, dass er fahren musste. Es ärgerte ihn besonders an diesem Tag, der nicht zu den schönsten zählte. Der Himmel sah aus wie graues Blei, das sich immer tiefer drückte. Aus den Wolken nieselte der Regen wie ein feiner Schleier. Hielt man sich länger im Freien auf, durchnässte er jedes Kleidungsstück.
Das Feld lag am Rand der Ortschaft, etwa eine Meile entfernt. Der Großvater hatte aus ihm im letzten Jahr einen Garten gemacht, eine Lebensaufgabe für den Rest seiner Tage. Seit seine Frau verstorben war, war er zum Eigenbrötler geworden. Nicht mal die Familie konnte ihn aufheitern. Mit Matt, dem Enkel, kam er gut aus. Die beiden so unterschiedlich alten Menschen wirkten oft wie Verschwörer. Außerdem hatte ihn der Großvater so manches Mal in Schutz genommen, wenn Matt wieder etwas angestellt hatte.
Matt ging. In der Tasche wurde das Essen in einem Spezialtopf warmgehalten. Er holte den Regenumhang und streifte ihn über. Das Zeug fühlte sich an wie eine Haut aus Gummi.
Der Nieselregen hatte seinem alten Rad einen matten Glanz gegeben. Matt stieg in den Sattel, den Leinenbeutel hatte er auf dem Gepäckträger festgeklemmt.
Die Strecke kannte er im Schlaf. Die Häuser sahen aus, als würden sie sich unter den Wolken immer tiefer zusammenducken. Von dem weiten Himmel über Irland konnte er höchstens träumen, zu sehen war da nichts.
Eigentlich war Kimberly ein schmuckes Städtchen, doch ein Wetter wie dieses machte alles gleich.
Matt kürzte ab. Er nahm die Feldwege, die leider schlammig waren. Große Pfützen verteilten sich dort. Auf dem kleinen Hügel lag der Friedhof. Grabkreuze und Steine erinnerten den Vorbeifahrenden daran, dass sich auch sein Leben irgendwann dem Ende näherte. Aber Matt war noch jung. Das Sterben interessierte ihn nicht. Es war einfach zu weit weg.
Den Tod der Großmutter hatte er kaum mitbekommen. Er war bei einer Tante in Dublin gewesen und während der Beerdigung auch noch dort geblieben.
Der Regen wehte ihm ins Gesicht. Matt fluchte wütend. Dieser Sprüh nässte einfach alles durch. Er fand jede Lücke, die Hose war sehr bald ein feuchter Lappen in Höhe der Beine, die auch vom Spritzwasser der Pfützen erwischt wurden, wenn er hindurchfuhr.
Er rollte weiter. Trat kräftig in die Pedale. Er wollte es schnell hinter sich bringen.
Die Häuser blieben zurück. Keine Gartenzäune grenzten die Grundstücke mehr ein. Gärten, Wiesen und Felder wechselten sich ab.
Er musste nach links abbiegen. Nicht weit entfernt wuchsen mächtige Bäume. Sie bildeten praktisch die Grenze zum Garten des Großvaters.
Matt musste hart in die Pedale treten, der Untergrund war einfach zu weich geworden. Er fand die Lücke zwischen den Bäumen. Danach sah er das nasse Gitter. Es bestand aus Draht, der zu einem Zaun zusammengeflochten war. An ihn lehnte er das Rad.
Dass sich sein Großvater nicht im Garten aufhielt, hatte er sich denken können. Bei diesem Wetter hielten sich nur Irre im Freien auf – und Typen wie er.
Matt nahm den Leinenbeutel. Das kleine Tor stand offen. Dahinter schnitt der Weg den Garten in zwei Hälften. Rechts wuchs das Gemüse, auf der linken Seite das Obst. Beide Felder endeten dort, wo das Haus stand. Eine Laube, eine Hütte. Aus Holz und alten Steinen errichtet. Der Großvater hatte sie selbst gebaut.
Die Tür fehlte noch. Aber Fenster hatte er bereits besorgt und sie eingesetzt.
Matt trat bewusst laut auf, er pfiff, damit er gehört wurde. Eigentlich hätte der Großvater jetzt erscheinen müssen, das tat er immer, aber an diesem Tag hielt er sich zurück. Es brannte auch kein Licht in der Laube. Wer es hell haben wollte, musste sich auf Ölleuchten und Kerzen verlassen. Strom war Luxus.
Eine Tür gab es nicht, dafür einen alten Vorhang. Der Regen hatte ihn nass und schwer gemacht. Der Junge musste Kraft aufwenden, um ihn zur Seite zu ziehen.
»He, Grandpa, ich bin es …«
Es blieb still.
»Bist du nicht da?« Matt betrat die Laube, in der es düster war. Noch trauriger als draußen.
Da standen die beiden Korbsessel, die alte Couch, der Tisch. In der Ecke lehnten Spaten und Schaufeln an der Wand. Daneben standen die klobigen Gartenschuhe des alten Mannes.
Er selbst war nicht zu sehen.
Neben einem Sessel blieb Matt stehen. Sein linkes Nasenloch zuckte, ein Zeichen, dass er nervös war.
Nur nervös, oder hatte er auch Angst?
Er wusste es nicht. Komisch war es schon. Eigentlich hätte der Großvater schon auf ihn warten müssen, denn er liebte es, das Essen pünktlich einzunehmen.
Es gab nicht nur den einen Raum. Ein kleiner Anbau, der sich wie ein dickes Geschwür an die Laube presste, war ebenfalls noch vorhanden. Für ihn hatte der Großvater eine Tür gefunden.
Matt hob die Schultern und ging auf das rechteckige Stück Holz zu, das immer schief in den Angeln hing. Die Tür hatte eine schwere Klinke. Matt drückte sie nach unten.
Die Tür schleifte, sie hakte, fast wäre sie ihm entgegengefallen.
»Scheißtür …«
Eine Sekunde später erstarben ihm die Worte auf den Lippen. Da hatte er einen Blick in den kleinen Raum geworfen. Er schaute direkt in das Gesicht seines Großvaters.
Der alte Mann hockte auf dem Boden. Der Kopf war ein wenig nach links gesunken. Die Haut sah künstlich und wächsern aus. Ebenso wie die beiden Augen.
Matt spürte Panik, die in ihm aufstieg. Er hoffte, dass sie ihn wegtragen würde, einfach irgendwohin, aber sie tat es nicht. Er blieb stehen und starrte in das starre, kantige Gesicht. Die wenigen weißen Haare verteilten sich unordentlich auf dem Kopf. Wie Spinnweben, durch die jemand gekämmt hatte, ohne sie in eine Reihe legen zu können.
Etwas würgte in ihm hoch. Sein Gefühl sagte Nein, der Verstand sprach vom Gegenteil.
Tot! Er ist tot!
Wie Schreie klangen die beiden Begriffe in seinem Innern nach. Zum ersten Mal sah er einen Toten aus der Nähe.
Dann drehte er sich um. Matt merkte gar nicht, was er tat. Er verließ die Hütte, er ging weiter, er weinte, sein Magen brannte, und das Feuer stieg hoch in seine Kehle.
Irgendwo im Garten musste er sich übergeben, was er kaum mitbekam. Er vergaß auch sein Rad und rannte schreiend auf Kimberly zu …
☆
Samhain – das Fest, an dem die Toten zurückkehren, um sich an den Lebenden zu wärmen …
So beschrieb es die alte keltische Überlieferung, und damit hatte ich mein Problem, das ich lösen sollte.
Ein neuer Fall, ein Fall, der mich nach Irland geführt hatte, der mich tiefer in das Land hineinbringen sollte, an einen bestimmten Ort mit dem Namen Kimberly.
Zum Fest der Köpfe!
Ich schüttelte den Kopf, als ich daran dachte. Dann schaute ich gegen das leere Glas neben mir.
»Noch einen Schluck, Mister?«
»Ja, gern.«
Die dralle Maid hinter dem Tresen füllte das Glas mit einer gelben Limonade.
Ich nickte ihr zu, ohne sie zu bemerken. Es war ein Fall, der mir überhaupt nicht gefiel. Auch Sir James hatte mich nur ungern aus London weggehen lassen. Ich fuhr praktisch einem Gerücht nach, dem Fest der Köpfe, der Toten, die es in der Kälte ihrer Gräber nicht aushalten konnten. Sie wollten in die Betten der Lebenden, sich an den warmen Körpern wärmen.
Irrsinn …
Natürlich wusste ich, dass es Zombies gab. Oft genug hatte ich mit diesen Wesen meine Schwierigkeiten gehabt, aber Samhain, das war für mich so weit weg, so keltisch, versickert in grauer Vorzeit.
Ich trank die Limo. Sie war kalt und milderte das Kratzen in meiner Kehle.
Eigentlich hätte ich hier gar nicht sitzen dürfen, denn mein Zeitlimit war überschritten. Ich hatte einfach nicht weiterfahren können, die Pause musste ich haben. Ich hatte sie auf eine halbe Stunde begrenzen wollen, doch inzwischen war schon die doppelte Zeit vergangen.
Dabei wusste ich nicht einmal genau, wo ich saß. In irgendeinem Pub am Rande der Straße. Ich war müde gewesen und hatte anhalten müssen. Ein Pub, in dem kaum Betrieb herrschte, der auch im Innern düster war, wo die Decke von alten, dunklen Balken gehalten wurde und der Boden mit Sägemehl bestreut worden war.
Hinter der Theke stand die Wirtin. Drall, vollbusig, mit Haaren, die streichholzkurz geschnitten waren. An der blauen Jeansbluse standen die beiden obersten Knöpfe offen. Etwas darunter spannte sich der Stoff.
Im Hintergrund saßen vier Männer zusammen und unterhielten sich. Einmal hatte einer von ihnen ein altes irisches Lied gesungen. Eine wehmütige Melodie, verwoben mit einem Text, der von einer besseren Welt nach dem Tod erzählte.
Es war nicht viel los in dieser einsamen Gaststätte, in die sich ein Fremder höchstens verirrte.
Ich sah das Gesicht der Frau vor mir. Es war rund mit aufgeplusterten Wangen. Die Augenbrauen zeigten dieselbe blonde Farbe wie das Kurzhaar. Neugierde leuchtete in ihnen, als sie sagte: »Sie sehen aus wie einer, der Sorgen hat.«
»Tatsächlich?«
»Ja.«
»Das müssen Sie mir näher erklären, Mrs. …«
»Sagen Sie Kate.«
»Okay, ich bin John.«
Kate lachte. »Wer verirrt sich schon hierher?«
Ich hob die Schultern. »Tja, wer? Typen wie ich.«
»Die Dreck am Stecken haben. Ausbrecher, Lebenskünstler, Naturfreunde, Öko-Freaks …«
»Das ist schon eine ganze Menge«, sagte ich, stellte dann eine Frage. »Passe ich denn in die Schablonen der von Ihnen aufgezählten Personen hinein?«
»Das ist es ja eben, John. Sie passen nicht.«
Ich grinste und trank einen Schluck. »Muss ich mich für dieses Kompliment jetzt bedanken?«
»Weiß nicht.« Sie legte den Kopf schief. »Sie sind Engländer, nicht wahr?«
Ich nickte. »Sogar aus London.«
Die Frau winkte ab. »Das ist alles sehr weit weg von uns, John. Wir kümmern uns nicht darum. Wir sind Iren.«
»Ich weiß.«
»Und wir wollen es auch bleiben.«
»Meinetwegen. Ich mag Ihr Land. Es ist herrlich, eine Oase. Ich mag auch die Mentalität der Iren, ihre Lieder, ihre Gesänge. Ich habe nichts dagegen.«
»So reden nicht alle Engländer.«
»Bitte, Kate, lassen Sie uns nicht über Politik reden. Ich werde gleich fahren müssen, dann haben Sie mich vergessen.« Ich rutschte etwas zur Seite. »Eigentlich bin ich schon zu spät dran. Ich wollte vor Anbruch der Dunkelheit dort sein.«
»Wo denn?«
»Kimberly.«
Die Wirtin sagte zunächst nichts. Dann hatte sie zu tun, denn die vier Gäste bestellten Bier. Sie musste am Zapfhahn arbeiten. Ich dachte über ihren Blick nach, der aufgeflammt war, als ich den Namen des Ortes erwähnt hatte. Er schien ihr nicht zu gefallen.
Sie schleppte die Krüge ohne Tablett. Erst jetzt sah ich, dass sie eine schwarze Hose trug, die sich ziemlich spannte.
Ich wusste auch nicht so recht, was mit mir los war. Es konnte an der Frühjahrsmüdigkeit liegen, die mich irgendwie kaputtmachte. Es würde schon einer Qual gleichkommen, mich vom Hocker zu schwingen und loszufahren.
Es gibt ja Tage, wo man nicht so gut drauf ist. Dieser zählte dazu. Nur hätte ich es lieber gesehen, wenn mich dieser Zustand in London erwischt hätte, wo auch mein Bett stand.
Die Wirtin kehrte zurück. An einem Handtuch wischte sie die Hände trocken.
»Haben Sie was gegen Kimberly?« fragte ich.
»Im Prinzip nichts.«
»Aber?«
»Es ist ein alter Ort, ein Kaff. Zwar äußerlich schön anzusehen, aber irgendwie verloren, weil es einfach zu abseits liegt.«
»Der Straßen, meinen Sie.«
»So ist es. Es führt keine Hauptstraße hin.«
Ich gab ihr recht. »Das habe ich schon auf der Karte gesehen. Ich muss trotzdem hin.«
Sie beugte sich vor. Ihr Gesicht war dicht vor dem meinen. Es sah aus wie ein geschminkter Ballon mit Haaren. »Ich will nicht neugierig sein, aber was, zum Teufel, treibt Sie nach Kimberly? Da sagen sich Hase und Fuchs Gute Nacht.«
»Geschäfte.«
Die Frau lachte so laut, dass selbst die Zecher erschraken. Sie hielt schnell eine Hand vor den Mund, um das Lachen zu stoppen. »Das darf doch nicht wahr sein. Geschäfte – Himmel, welche Geschäfte wollen Sie denn da tätigen?«
»Ich verkaufe etwas.«
»Und was?«
»Wollen Sie raten?«
»Würde ich nie schaffen«, erwiderte sie lächelnd.
»Bier, Kate. Ich muss leider zusehen, dass Bier vom Festland auch auf die Insel kommt. Ich vertrete deutsche, niederländische und auch tschechische Firmen. Sie wissen ja, Marktanteile – EG und so.«
»Aber doch nicht in Kimberly.«
»Irgendwo muss man anfangen.«
»Nein, nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Das glaube ich Ihnen einfach nicht. Auf dem platten Land wird Ihnen niemand auch nur einen Liter abnehmen. Wenn Sie Biervertreter sind, weshalb haben Sie mich dann nicht gefragt?«
»Vielleicht hätte ich das noch getan.«
»Das soll ich Ihnen glauben?«
»Sie müssen nicht, Kate. Außerdem ist Kimberly nicht der einzige Ort. Ich reise herum. Südirland soll sehr durstige Kehlen haben, die sich auch für ein anderes Bier interessieren könnten.«
»Wer sagt das?«
»Die Marketing-Leute.«
Kate winkte ab. »Spinner sind das. Richtige Spinner. Haben keine Ahnung.«
»Sagen Sie denen das mal.«
»Na ja, ich merke schon, dass ich Sie nicht davon überzeugen kann, um Kimberly einen Bogen zu machen. Fahren Sie hin, und sehen Sie, was dort los ist.«
»Ist denn da was los?«
Sie drehte sich von mir weg und hob die Schultern. »Kann sein«, sagte sie mit komisch klingender Stimme.
Ich erinnerte mich wieder daran, wie seltsam sie geschaut hatte, als ich den Namen Kimberly zum ersten Mal erwähnt hatte. Irgendwas schien da nicht in Ordnung zu sein.
Ich trank mein Glas leer und lächelte Kate an. »Was haben Sie eigentlich, Frau Wirtin? Es kommt mir vor, als wäre es Ihnen unangenehm, über Kimberly zu reden.«
»Nein, das ist es nicht.«
»Aber Sie mögen den Ort nicht.«
»Das schon eher.«
»Gibt es einen Grund, den ich wissen müsste?«
»Kennen Sie Samhain?« Sie fragte es leise. Die Gäste sollten nichts mitbekommen.
Ich spielte den Ahnungslosen. »Wie heißt das? Samhain? Habe ich nie gehört.«
»Seien Sie froh, Mister. Seien Sie verdammt froh.«
»Das hört sich ja schlimm an.«
Sie rollte mit den Augen. »Das ist auch schlimm«, erklärte sie. »Furchtbar.«
»Jetzt haben Sie mich noch neugieriger gemacht, Kate. Sie wollen doch nicht, dass ich dumm weiterfahre.«
»Doch – lieber …«
»Hören Sie. Ich fahre so oder so nach Kimberly. Es kommt jetzt auf Sie an, mit welchen Gefühlen ich den Ort betrete. Wenn ich schon etwas weiß, kann ich mich darauf einstellen. So einfach ist das. Was ist in Kimberly los?«
»Der Teufel.«
Ich grinste. »Sitzt der nicht in der Hölle?«
Ihre Augen blieben groß. »Schon, aber manchmal schickt er seine Vasallen. Dann kehren die Toten zurück. Samhain ist ein Fest, ein Fest der Köpfe, und die Nacht, wo die Toten aus den Gräbern kommen, um sich an den Lebenden zu wärmen.«
»Halloween?«
»Richtig. Nur eben keltisch. Eigentlich müsste Samhain am letzten Tag des Jahres sein, so lautet die Überlieferung, aber in Kimberly hat man alles auf den Kopf gestellt. Sie feiern es um diese Zeit. Heute, morgen, übermorgen. Sie sind dafür bekannt, dass sie das Fest in die Länge ziehen. Und da verändert sich das Dorf zu einem Ort des Schreckens. Keine Filmkulisse kann schauriger sein als die Wirklichkeit von Kimberly. Daran sollten sie denken, John.«
Ich holte tief Luft. Über mir pendelte die alte Eisenleuchte. Sie strahlte ihr Licht aus wie einen breiten Fleck, der auch Kates Gesicht berührte, sodass ich die Furcht darin sehen konnte.
»Sie machen mir ja richtig Angst, Kate.«
»Das war nicht meine Absicht, John. Aber Sie wollten die Tatsachen wissen.«
»Natürlich.« Ich nickte. »Da bin ich Ihnen auch sehr dankbar.« Ich schüttelte den Kopf. »Wahnsinn. Hätte nie gedacht, dass ich mal in so etwas hineingeraten würde. Wann beginnt Samhain denn genau?«
»Jetzt!«
»Heute, meinen Sie?«
»Ja. An diesem Tag, an diesem Abend fängt das Fest der Köpfe an. Da sind die Bewohner wie verändert. Kennen Sie den Karneval in Deutschland, John?«
»Ich habe davon gehört.«
»Gut. Da verändern sich die Menschen auch. Da zeigen sie ihr zweites Ich, glaube ich …«
»Und weiter?«