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Eine Stripperin, eine Nonne, ein Schauspieler und eine Adelige ‒ vier Menschen, die sich nicht kannten, die nie zuvor etwas voneinander gehört hatten, die aber plötzlich aus ihrem bisherigen Leben ausbrachen und grauenvolle Morde begingen! Irre, wahnsinnige Taten ohne Motiv! So jedenfalls sah es die Polizei. Mein Chef jedoch, Sir James Powell, ahnte, dass eine schwarzmagische Macht im Spiel war, und er beauftragte Suko und mich damit, das Rätsel der vier Morde zu lösen. Und so setzen wir uns auf die Spur der Grabstein-Clique!
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Seitenzahl: 171
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Die Grabstein-Clique
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9678-2
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.
Der Kampf gegen die Mächte der Finsternis ist seine Bestimmung.
Die Grabstein-Clique
von Jason Dark
Eine Stripperin, eine Nonne, ein Schauspieler und eine Adelige – vier Menschen, die sich nicht kannten, die nie zuvor etwas voneinander gehört hatten, die aber plötzlich aus ihrem bisherigen Leben ausbrachen und grauenvolle Morde begingen! Irre, wahnsinnige Taten ohne Motiv! So jedenfalls sah es die Polizei. Mein Chef jedoch, Sir James Powell, ahnte, dass eine schwarzmagische Macht im Spiel war, und er beauftragte Suko und mich damit, das Rätsel der vier Morde zu lösen. Und so setzen wir uns auf die Spur der Grabstein-Clique!
Die schreckliche Bluttat, für die niemand eine Erklärung fand, ereignete sich nach der Frühmesse.
Bis zu diesem Zeitpunkt war alles normal verlaufen.
Was hätte auch den Tagesablauf im Kloster stören sollen? Alles war geregelt. Um fünf Uhr standen die Nonnen auf. Da Nonnen auch Menschen sind, kamen die einen gut aus dem Bett, die anderen weniger gut, aber es gab keine, die liegen geblieben wäre, denn der Besuch der Frühmesse war Pflicht.
Sie begann stets um sechs Uhr und dauerte eine Stunde, danach wurde das Frühstück eingenommen.
Auch Clara Montero stand auf. Sie gehörte zu denen, die eigentlich immer gut aus dem Bett kamen, an diesem Morgen allerdings war es nicht so. Da spürte sie einen dumpfen Druck im Kopf, gleichzeitig hatte sich ihr Herzschlag beschleunigt, die Beine waren schwer geworden, und die Füße schienen mit Blei gefüllt.
Mit schweren Gliedern ging sie auf das schmale Fenster ihres kleinen Zimmers zu und schaute hinaus.
Ihr Blick fiel in den Garten. Die Sonne war bereits aufgegangen, und ihre Strahlen dampften den Tau der Nacht von den Blumen und Blättern weg.
Ein wunderschönes, ruhiges, sehr stimmungsvolles Bild breitete sich vor den Augen der etwa vierzigjährigen Frau mit den dunkelblonden Haaren und dem feingeschnittenen Gesicht aus, aber sie hatte dafür keinen Blick, denn sie hatte das Gefühl, als würden Schatten durch den Garten tanzen, fratzenhafte Gebilde mit den Gesichtern des Teufels, wie man sie auf alten Holzstichen sah.
Clara erschrak. Sie schluckte, sie hustete und trat vom Fenster so hastig weg, als läge draußen ein fernes und gleichzeitig menschenfeindliches Land.
Sie nahm auf der Bettkante Platz, schüttelte den Kopf und stellte fest, dass sie schweißgebadet war. Auch das war bei ihr ungewöhnlich. Wenn sie am Morgen aufstand, fühlte sie sich sonst immer sehr wohl und freute sich auf die kommenden Stunden des Tages.
Das war heute nicht so.
Minutenlang blieb sie sitzen und lauschte dem Klopfen ihres eigenen Herzschlags. Mit diesem Tag stimmte einiges nicht. Clara fand keine Erklärung dafür, aber es war so, als habe etwas von ihr Besitz ergriffen, das sie nicht kannte.
Etwas Fremdes, Unheimliches …
Sie fühlte sich nicht nur körperlich unwohl, sondern auch seelisch, und dies gefiel ihr immer weniger. Das körperliche Unwohlsein konnte bekämpft werden, das seelische wog ihrer Meinung nach schwerer.
Auch an Klöstern waren die technischen Errungenschaften und der Komfort nicht vorbeigegangen, so hatte auch dieses Kloster vor drei Jahren Duschen und Bäder bekommen, die die Gemeinschaftsanlagen abgelöst hatten.
Zum Zimmer gehörte ebenfalls ein Bad. Clara Montero hoffte, unter der Dusche ihr Unwohlsein wegspülen zu können.
Sie atmete tief durch, stand auf, ignorierte den Schwindel und schwankte ins Bad. Es war sehr klein. Eine Dusche und eine Toilette hatten jedoch noch Platz gefunden sowie ein Handwaschbecken, gegen das die Nonne stieß, als sie sich drehte.
Für einen Moment zuckten ihre Lippen, dann riss sie sich zusammen und zog ihr beigefarbenes Nachthemd aus. Sie ließ schon die Dusche an, wartete, bis das Wasser heiß genug war, und stieg dann unter die Strahlen, die auf ihre kurz geschnittenen Haare rauschten. Mit einer Hand zog die Nonne den Vorhang zu. Sie wollte schließlich keine Überschwemmung im Bad hinterlassen.
Der Vorhang bestand aus einem imprägnierten Stoff und schimmerte milchig. Wer von draußen gegen ihn schaute, konnte höchstens die Umrisse der duschenden Person wahrnehmen, mehr auch nicht.
Clara Montero genoss die Dusche. Sie wusch ihre Haare und fühlte sich gleich viel besser. Aus Gründen der Sparsamkeit stellte sie das Wasser ab und seifte sich ein. Als sie das Wasser anstellen wollte, erstarrte Clara.
Auf einmal kehrte wieder alles zurück. Die Angst, das Gefühl, beherrscht zu werden, denn hinter dem Duschvorhang sah sie wieder die tanzenden Schatten.
Wie schon im Garten …
Sie schluckte, atmete durch den Mund, starrte gegen den Vorhang, an dessen Außenseite sich die dunkleren Schatten bewegten, sehr hektisch sogar, in einem Rhythmus, der die gesamte Dusche umfing.
Was war das für ein Schatten? Woher kam er? Er war zunächst draußen im Garten gewesen, das hatte sie genau gesehen, und jetzt bewegte er sich lautlos, aber hektisch an der Außenseite des Duschvorhangs entlang.
Das wollte ihr nicht in den Sinn.
Die Nonne fror wieder.
Diesmal nicht vor Kälte, jetzt war es die Angst, die ihr dieses Gefühl vermittelte. Sie kroch in ihr hoch, sie war wie Gift, das ihren Körper ausfüllte, und Clara hörte sich selbst stöhnend atmen. Sie wagte es nicht, nach dem Vorhang zu fassen und ihn zur Seite zu zerren, aus Angst, dass ein Dämon den Weg in ihr Bad gefunden haben konnte, um ihr Leben zu zerstören.
Sie wollte ein Kreuzzeichen schlagen, doch selbst das schaffte sie nicht, denn ihre Arme waren auf einmal schwer wie Eisen.
Noch etwas anderes kam hinzu. Clara hasste das Kreuzzeichen auf einmal. Sie wollte es nicht mehr, sie …
Die Schatten verschwanden. Noch einmal tanzten sie wie irre über den Vorhang, um sich einen Moment später endgültig aufzulösen.
Scharf stieß die Nonne die Luft aus. Ihre Augen brannten, nicht, weil Schaum hineingedrungen wäre, es war einfach die Furcht, die dieses Gefühl verursachte.
Gleichzeitig begann das Jucken auf ihrem Körper, das der allmählich trocken gewordene Schaum hinterließ. Es zeigte ihr auch an, dass sie das Zeug so rasch wie möglich abspülen musste, und Sekunden später rauschte wieder das Wasser auf sie herab.
Sie duschte länger als gewöhnlich, und als sie das Wasser abstellte, da verließ sie das Becken auch nicht sofort, sondern öffnete den Vorhang zunächst spaltbreit, um in das kleine Bad zu schauen.
Niemand war da.
Kein Schatten, keine Gestalt – nichts.
Sie war allein.
Hoffnung kehrte zurück. Es konnte ja sein, dass sie sich alles das nur eingebildet hatte, aber überzeugt war sie davon nicht. Wie in Trance trocknete sich die Nonne ab.
Das große Badetuch ließ sie um den Körper geschlungen, als sie zurück in ihre Zelle ging und die Nonnentracht überstreifte.
Sie dachte dabei nicht, sie starrte nur gegen die helle Wand, aber dort tanzte der Schatten nicht.
Zuletzt setzte sie die Haube auf. Darauf legte sie immer besonderen Wert, die Haube musste perfekt sitzen. Mit einer Klammer befestigte Clara sie an den Haaren.
Das alles erledigte sie an diesem Morgen ohne Freude, es war ihr plötzlich lästig, und sie stellte auf einmal sogar ihr gesamtes Leben infrage.
Seltsam, darüber erschrak sie nicht einmal.
Zehn Minuten vor dem Beginn der Frühmesse war sie fertig. Ein schlichter Holzschrank beherbergte ihre persönlichen Dinge, unter anderem auch die Bibel und das Gesangbuch.
Von denen ließ sie die Finger. Sie hatte es versucht, sie in die Hand zu nehmen, aber sie zuckte zurück, als hätte sie sich daran verbrannt.
Gütiger Himmel, was war nur los mit ihr?
Dann hörte sie draußen die Schritte, und sie wusste genau, was geschah.
Gleich würde Helena anklopfen, damit sie gemeinsam den Weg zur Frühmesse gingen.
»Ja, ich komme gleich«, sagte Clara, als sie das Klopfen hörte. Sie riss sich zusammen und hoffte, dass ihrer Stimme nicht anzuhören war, in welch einem Zustand sie sich befand.
Keiner sollte etwas merken, keiner! Mit diesem Problem musste sie allein fertigwerden.
Dann verließ sie die Zelle. Draußen stand Helena. Sie war jünger als Clara, hatte ein frisches Gesicht mit einem noch mädchenhaften Zug. Ihre blauen Augen strahlten, sie lächelte mit blitzenden Zähnen. »Ist das nicht ein herrlicher Tag, Clara? Dafür kann man dem Herrgott nur danken.«
»Sicher.«
»Also ich freue mich darüber.« Die junge Nonne lief einige Schritte vor, und Clara folgte ihr langsam.
☆
Mit zahlreichen anderen Schwestern betraten sie die Kapelle, wo der Bittgottesdienst abgehalten wurde. An diesem Morgen leitete ihn die Äbtissin.
Jede Schwester hatte ihren Platz. Clara saß in der ersten Reihe, also im Blickfeld der Äbtissin. Heute war ihr das überhaupt nicht recht, und sie fühlte sich überhaupt nicht wohl in der Kapelle.
Wenn sie kniete, stöhnte sie auf. Die Worte der Gebete bereiteten ihr fast körperliche Schmerzen. Die Wände der Kapelle waren für sie brutale Drohungen, die irgendwie auf sie zukamen, um sie mit ihrer gewaltigen Kraft zu zerdrücken.
Clara erlebte einen Horror wie nie zuvor. Der kalte Schweiß brach ihr aus, sie flüsterte einige Worte, die mit Gebeten nichts zu tun hatten. Als sie kniete, hatte sie das Gefühl, als würden Nägel in ihre Knie getrieben.
Diese Frühmesse glich einer Folter.
Auf einmal schwankte sie sogar, wurde von den neben ihr betenden Schwestern gehalten und auch gefragt, was sie hätte.
»Nichts«, flüsterte Clara. »Es ist nichts …« Sie wollte mit niemandem darüber reden. Nicht, dass sie etwas gegen ihre Mitschwestern gehabt hätte, aber von ihnen konnte keine ihren Zustand begreifen, und sie begriff ihn selbst nicht.
Es war zu ungewöhnlich, und es war über sie gekommen wie ein harter Schlag. Clara wusste, dass sich von nun an ihr Leben verändert hatte. Es würde nicht mehr in denselben Bahnen ablaufen. Da war eine Kraft in sie hineingefahren, die für diese radikale Veränderung gesorgt hatte.
Oder war die Kraft schon immer in ihr gewesen?
Hatte sie tief in ihrer Psyche gelauert, und hatte es nur eines gewissen Anstoßes bedurft, um sie hervorkommen zu lassen?
Die Kapelle lag in einer gewissen Düsternis. Sie kam Clara vor wie ein übergroßes Grab.
Hinter und neben Clara murmelten ihre Mitschwestern die Gebete. Das ständige Murmeln überkam Clara wie ein Rausch. Aus den zahlreichen Stimmen und Worten bildeten sich Wellen, die gegen die Innenmauern der Kapelle brandeten und dafür sorgten, dass sie sich bewegten wie große Wogen. So jedenfalls kam es Clara Montero vor, wenn sie hinschaute.
Ein Schauer rann über ihren Rücken. Als wäre sie von den Fingernägeln einer Teufelshand gestreift worden.
Wie ein Blitzstrahl zuckte es durch ihr Hirn. Sie dachte wieder an die Schatten.
War es der Teufel gewesen? Hatte er sich verkleidet? Oder hing alles mit dem Foto zusammen?
Ihre Gedanken wurden unterbrochen, weil die Nachbarin sie anstieß. Alle anderen Nonnen hatten sich erhoben, nur Clara war noch auf den Knien geblieben.
Auch sie stand jetzt hastig auf.
Vor ihr stand die Schwester Oberin. Die Frau schien nur Augen für Clara zu haben. Hart schaute sie ihr ins Gesicht. Die Gestalt der Oberin bewegte sich nicht. Sie schien versteinert zu sein, ihr Blick war eisig, das Gesicht ein weißer Fleck unter der Haube. Dann zuckte der Schatten über die Züge hinweg.
Blitzartig, konturenlos.
Clara erschrak.
Sie kannte den Schatten. Zweimal hatte sie ihn schon gesehen. Sie schwankte wieder. Das Gefühl der Angst verstärkte sich noch mehr und presste ihre Brust zusammen.
Sie konnte selbst nicht sagen, wie sie es geschafft hatte, die Messe durchzustehen. Sie tat alles automatisch, es war ihr in all der Zeit in Fleisch und Blut übergegangen, und dann wollte sie einfach nur weg. Die Kapelle so schnell wie möglich verlassen. Keinen mehr sehen, mit keinem reden, sich zurückziehen und …
»Clara?«
Sie hob den Kopf. Die Stimme hatte sie längst erkannt. Die Äbtissin hatte sie angesprochen.
Beide Frauen schauten sich an.
»Clara, ich weiß, dass es dir nicht gutgeht. Ich möchte, dass du zu mir kommst.«
Clara nickte und fragte trotzdem: »Jetzt sofort?«
»Ja, noch vor dem Frühstück. Du kannst auch eine Tasse Kaffee bei mir trinken. Sie wird dir guttun.«
»Vielleicht.«
»Dann komm, bitte.« Die Äbtissin umfasste ihren Arm und zog sie einfach mit.
Clara kam sich wie ein Kind vor, das von der Mutter weggebracht wurde. Natürlich blieb ihr Abgang nicht unbemerkt. Einige Mitschwestern bedachten sie mit mitleidigen Blicken. Sie kannten das Spiel. Wen die Äbtissin so anfasste, um eine gewisse Macht zu dokumentieren, der hatte oft genug eine Strafpredigt zu erwarten.
Sie brauchten nicht sehr weit zu gehen und betraten das Büro der Klostervorsteherin, wo sie auch ihre Besucher empfing. Es war spartanisch eingerichtet. Der Oberin kam es auf den Zweck an und nicht auf das Design. Durch das große Fenster fanden die Strahlen der Sonne ihren Weg und leuchteten den Raum aus. Ein großes Kreuz hing hinter dem Schreibtisch an der Wand. Es war beherrschend, und so sollte es auch sein.
Clara mied den Blick auf das Kreuz. Sie schaute zu Boden und tat so, als müsse sie überlegen.
»Ich koche uns erst einmal einen Kaffee.«
»Ja, Schwester Oberin.«
Clara Montero stand am Fenster. Sie hörte die Frau gehen. Auf dem Steinboden erzeugten ihre Schritte helle Echos, die Clara sehr genau verfolgte.
Die kleine Kaffeemaschine stand auf einer Anrichte. Erst als die Schritte der Oberin verstummten, drehte sich die junge Nonne wieder um. Ihre Vorgesetzte stand in gebückter Haltung vor der Maschine und öffnete die Dose, die Kaffee enthielt.
Clara ging vor.
Sie spürte den Drang.
Den Hass.
Und sie sah die Schere.
Harmlos lag sie auf dem Schreibtisch, denn sie wurde von der Oberin auch als Brieföffner benutzt.
Über der Schere tanzte plötzlich der Schatten. Aus dem Nichts war er gekommen, und Clara hörte in ihrem Kopf eine Stimme, deren Worte einen Befehl formulierten.
Tu es! Und tue es jetzt!
Dann stand sie vor dem Schreibtisch. Sie brauchte nur den Arm auszustrecken, um die Schere zu erreichen.
Tue es!
Clara tat es. Es wurde ihr gar nicht richtig bewusst. Sie handelte wie unter Zwang.
Die Oberin hatte den Deckel endlich von der Dose abheben können. In ihr befand sich auch der kleine Löffel. Er steckte wie ein Speer im braunen Kaffee.
Die Frau wusste genau, wie viele Löffel sie abmessen musste und konzentrierte sich auf das Zählen.
Clara Montero aber konzentrierte sich auf sie. Und sie hielt jetzt die Schere fest. Ihre beiden Schenkel klemmten dicht zusammen, bildeten eine Linie.
Vor sich sah die den runden Rücken der Oberin, weil die Frau gebückt vor der Maschine stand. Er bot ein sehr gutes Ziel, und über die Lippen der Nonne glitt ein böses Lächeln.
Wieder erschien der Schatten.
Er huschte über den Rücken der Oberin hinweg, ohne dass er von ihr bemerkt wurde.
Aber Clara sah ihn.
Er gab ihr das Ziel vor.
Noch ein Schritt nach vorn, dann blieb sie stehen, holte tief Luft, hob den rechten Arm.
Sie stieß zu. Ihr Gesicht verzerrte sich dabei. Man hätte nicht sagen können, ob sie lächelte oder ob sie die schreckliche Bluttat anwiderte. Die Schere ließ sie im Rücken der Oberin stecken, atmete tief durch und bewegte sich plötzlich sehr schnell.
Obwohl sie zuvor keinen Plan gebastelt hatte, wusste sie genau, was sie zu tun hatte.
Auf leisen Sohlen verließ sie das Zimmer und lief zurück in ihre Zelle. Dort packte sie das Nötigste zusammen.
Während die anderen Nonnen gemeinsam frühstückten, verließ Clara ungesehen das Kloster.
Erst jetzt fühlte sie sich befreit …
☆
»Sie können jetzt gehen, Henry, ich brauche Sie heute nicht mehr«, sagte Lady Anne Forrester und lächelte kantig.
»Sehr wohl«, flüsterte der Butler und zog sich zurück.
»Du bist aber großzügig«, sagte die zweite Frau, eine ältere Dame, die ein cremefarbenes Kostüm trug und von Lady Anne zum Tee eingeladen worden war.
»Er soll sich auch mal einen freien Abend machen.«
»Und? Nimmt er ihn wahr?«
»Kaum.«
»Dann bleibt er im Haus?«
Lady Anne Forrester nahm wieder Platz. Sie schaute über den schmalen Tisch hinweg, an dessen anderem Ende ihre Freundin saß. Zwischen ihnen standen der Tee, die Tassen und die Schale mit Gebäck. »Ja, er bleibt im Haus. Wenn es dringend wird, ist er immer zur Stelle. Keine Sorge.«
»Was heißt Sorge? Ich find es nur etwas witzig.«
Anne Forrester schloss die Augen. Sie konnte die Stimme ihrer Besucherin nicht mehr ertragen. Okay, sie kannten sich schon lange, auch wenn Anne über dreißig Jahre jünger war, aber dieser nörgelige Tonfall schlug ihr allmählich aufs Gemüt. Margret war mit sich und der Welt unzufrieden, denn ihr Leben lief stets nach denselben Riten ab. Jeden Tag ein Five-o-Clock-Tea, das hielt keine aus. Da erstickte man in Konventionen. Als sie die Freundin wieder anschaute, zuckten plötzlich Schatten über den Tisch.
Wieder einmal. Anne zwinkerte. Sie hatte die Schatten schon beim Aufstehen gesehen und gespürt, dass mit ihr eine Veränderung eingetreten war.
Sie hasste plötzlich. Ja, sie verspürte tiefen Hass, obwohl man ihr äußerlich nichts ansah. Da blieb sie gelassen, das blass geschminkte und schöne Gesicht unbewegt. Sie hatte sich die schwarzen Haare zu Locken drehen lassen, die am Nacken herab bis auf ihre Schultern fielen.
An diesem Tag trug sie ein blaues Kleid, dessen Rock weit schwang und modern geschnitten war.
»Hast du was?«, fragte Margret.
»Nein, warum sollte ich?«
»Du bist so anders.«
»Unsinn, Margret, das bildest du dir ein.«
Die schüttelte den Kopf, wobei ihre geschminkte, faltige Gesichtshaut ebenfalls in Bewegung geriet. »Nein, ich spüre es genau«, sagte sie schmallippig. Sie trank den Tee hastig und verzog dabei das Gesicht. »Es ist einfach nicht mehr so, wie es einmal war, verstehst du? Es ist anders.«
»Wie denn?«
Sie setzte die Tasse ab, hielt sie aber noch mit der linken Hand umklammert. Ihre Finger waren lang und dünn. Die Nägel schillerten in einem zu knalligen Rot, und Anne Forrester kräuselte bei diesem Anblick ihre Lippen zu einem verächtlich wirkenden Lächeln.
Margret war für sie nichts anderes als eine alte Hexe, ein widerliches Weib, eine Schlange, die stets Intrigen spann und andere Menschen fertigmachte.
»Nun ja, meine Liebe. Du bist nicht mehr so locker wie sonst. Du bist eher anders.«
»Das bildest du dir ein.«
Anne wollte etwas entgegnen, doch da zuckte wieder der Schatten über den Tisch. Diesmal nicht so schnell. Ihr schien es, als würde er seine Bewegung unterbrechen und sich in dieser winzigen Ruhepause dermaßen verändern, dass sich aus ihm hervor eine Fratze bildete, die Ähnlichkeit mit einem Zerrbild des Teufels aufwies.
Widerlich, im Prinzip. Aber Anne sah diese Fratze nicht als widerlich an. Sie kam ihr normal vor. Sie war einfach vorhanden, als wollte sie Anne begrüßen.
»Du sagst ja nichts!«
Lady Anne Forrester stand auf. »Ich finde es unfair, von dir beschuldigt zu werden.«
»Nein, das ist eben so.«
»Was meinst du?«
»Andere sagen es auch.«
Anne holte tief Luft. Ein sarkastisches Lächeln zeichnete ihre Lippen. »Was andere sagen, interessiert mich einen Dreck, liebe Margret.«
Die Ältere schnappte nach Luft. Sie wusste zunächst nicht, was sie sagen sollte. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Dann schüttelte sie den Kopf, stieß die Luft durch ihre Nasenlöcher aus und hustete. Endlich konnte sie eine Antwort geben. »Was ist das für ein Ton, Anne? Den kenne ich an dir nicht. Das ist ungeheuerlich, ist das.«
»Aber die Wahrheit.«
Margret räusperte sich. »In einem derartigen Tonfall lasse ich nicht mit mir reden, Anne!« Sie stand ruckartig auf und strich ihren Kostümrock glatt, der sehr eng geschnitten war, aber trotzdem nichts von ihrer Gestalt sehen ließ, denn die Frau war einfach zu mager, bestand nur aus Haut und Knochen.
Anne lächelte nur. Es war ein Lächeln, das ihrer Besucherin offenbar nicht behagte, denn sie flüsterte plötzlich: »Verflixt, du machst mir Angst, Anne. Richtige Angst …«
»Wie das?«
»Dein Lächeln … das ist irgendwie unecht … Es erreicht deine Augen nicht … Es scheint unehrlich.«
»Wie schön. Bist du denn ehrlich?«
»Ja.«
Anne konnte über die Antwort nur bitter lachen. »Das sehen gewisse Personen ganz anders. Du bist ebenso verlogen wie die übrige Tee-Gesellschaft, die sich immer trifft und …«
»Halt jetzt aber den Mund!«
Die Besucherin zitterte. Auf ihrer Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet. Ihre dünnen Lippen waren noch blasser geworden, doch auf den Wangen zeichneten sich hektische, rote Flecken ab. Ein Zeichen ihrer inneren Erregung.
»Ich gehe jetzt!«
»Bitte.«
Margret ärgerte sich über die Worte. Sie hatte erwartet, dass Anne sie zurückhalten würde, aber den Gefallen tat sie ihr nicht. »Und damit ist auch unsere lange Verbindung beendet.«
»Ich kann dich nicht davon abhalten.«