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Als die fünf Grufties es mit der Angst zu tun bekamen, wandten sie sich an Suko und mich. Sie berichteten von einer geheimnisvollen Gespenster-Gruft mitten in London, die als Stützpunkt des Teufels galt und von sogenannten Satanisten bewacht wurde.
Wir glaubten den Grufties. Ein Fotograf brachte uns auf eine heiße Spur. Und was wir dort erlebten, war so schrecklich, dass ich es nie mehr in meinem Leben vergessen werde ...
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Seitenzahl: 174
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Die Gespenster-Gruft
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0482-3
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Die Gespenster-Gruft
von Jason Dark
Als es die fünf Grufties mit der Angst zu tun bekamen, wandten sie sich an Suko und mich. Sie berichteten von einer geheimnisvollen Gespenster-Gruft, und das mitten in London. Das aber war längst nicht alles. Von Satanisten war zudem die Rede, und sogar der Teufel höchstpersönlich habe seine Aktien im Spiel, hieß es.
Wir glaubten den Fünf. Was wir dann aber erlebten, übertraf alle unsere Befürchtungen und war so schrecklich, dass ich es niemals vergessen werde …
Tagsüber war es nicht nur heiß, sondern auch schwül gewesen. Gegen Abend hatten sich dunkle Gewitterwolken drohend zusammengezogen. Es hatte stark geregnet, das Wasser war auf den feuchten Boden geklatscht, hatte einige Flächen sogar überschwemmt.
Nun stieg die Feuchtigkeit in dicken Nebelschwaden hoch, die wiederum lautlos über das Land wallten und die Hügel, die Täler, die kleinen Dörfer und auch den alten Friedhof umschlossen.
Hier hatten sie eine besondere Dichte, sodass Grabsteine und Kreuze bald nicht mehr zu sehen waren. Sie malten sich höchstens noch als Schatten ab. Hin und wieder schauten die hohen Bäume aus dem grauen Dunst hervor, als wollten sie irgendwen grüßen.
Stille lag über dem Areal. An einigen Stellen roch es auch nach Rauch.
Die Feuchtigkeit hielt sich, die Wärme auch, im Dschungel hätte es nicht schlimmer sein können.
Walter Cohn mochte dieses Wetter nicht. Er war Friedhofswärter, Gärtner und Totengräber in einer Person. Er gehörte zu den Menschen, die hier schon lange lebten und sich auch nicht fürchteten, denn die Toten taten den Lebenden normalerweise nichts zuleide.
Wie gesagt, normalerweise …
Walter hatte kalten Tee getrunken und war durch den schmalen Flur auf die Haustür zugegangen. Wie immer knarrte sie, als er sie öffnete.
Die Kühle des Hauses ließ er hinter sich und ging zwei Schritte vor, um in der nebligen Waschküche stehenzubleiben.
Der Nebel war einfach überall.
Er verteilte sich auf dem Friedhof, kroch an den Baumstämmen hoch, drückte sich gegen die Kronen der Bäume, schwamm auf dem Boden wie Wasser … und schien tausend Hände zu haben, mit denen er in die Spalten und Ritzen hineinfasste, so als solle noch die kleinste Lücke ausgefüllt werden.
Er beherrschte diese Welt, und das wusste auch Walter Cohn. Nebel machte ihm prinzipiell nichts aus. Er fürchtete sich auch nicht vor der anderen Stimmung, die der Dunst brachte. An diesem Abend jedoch dachte er anders darüber.
Man hatte ihm mitgeteilt, dass sie kommen würden. Er wusste nicht, wer sie genau waren, kannte keinen von ihnen persönlich, nur unter dem allgemeinen Begriff waren sie ihm bekannt.
Sie nannten sich Satanisten!
Er schluckte zweimal, als er über diesen Begriff nachdachte. Satanisten waren schlimm, furchtbar, grausam, sie liebten den Teufel, sie verehrten ihn, sie beteten ihn an, und das wiederum konnte Walter Cohn nicht begreifen.
Er wollte auch nicht darüber nachdenken, er hoffte nur, dass es leere Drohungen waren. Er hatte ihnen nicht das Tor geöffnet und glaubte, das Richtige getan zu haben. Sie sollten draußen bleiben, er wollte sie nicht auf seinem Friedhof haben, wo es angeblich spukte, wie ihm zwei Grufties berichtet hatten.
Grufties waren harmlos.
Satanisten nicht!
Walter Cohn rieb seine Hände gegeneinander und ging wieder zurück ins Haus. Er war ein hagerer Mann von dreiundvierzig und lebte allein. Es lag nicht daran, dass er kein Interesse an Frauen gehabt hätte. Nur wollte keine einen Totengräber ehelichen und schon gar nicht in sein Haus auf dem Friedhof ziehen, obwohl man es in dem Gebäude durchaus aushalten konnte. Die Miete war sehr niedrig, und an die Umgebung konnte man sich ja gewöhnen. Wenigstens hatte Walter das getan.
Noch immer starrte er in den Nebel. Ein graues Tuch ohne Löcher hing über dem Gelände. Wer sich hier nicht auskannte, würde sich unweigerlich verlaufen. Da hätte selbst Walter Cohn Mühe gehabt, sich zurechtzufinden.
Er drehte sich um und stieß die Haustür auf. Das Wetter war nichts für ihn. Er schwitzte und dachte daran, dass es bald dunkel werden würde. War das ihre Zeit? Würden sie dann kommen und über ihn herfallen. Walter wusste nicht, wie groß die Gruppe der Satanisten war, doch in der letzten Zeit bekannten sich immer mehr junge Erwachsene zu diesem Kreis. Das wusste Cohn, denn er hatte hin und wieder Berichte im Fernsehen verfolgt.
Sie flößten ihm Furcht ein.
Er ging in die Küche. Seine Gedanken drehten sich um Waffen. Er besaß weder eine Pistole noch ein Gewehr. Wozu auch? Die Toten taten keinem Menschen etwas zuleide.
Er zog die Schublade des Küchenschranks auf. Die Möbel waren alt, seine Schwester hatte sie ihm überlassen, als sie sich eine neue Küche zugelegt hatte.
Die Messer lagen vor ihm.
Küchenmesser von unterschiedlicher Größe. Mal mit schmaler, dann wieder mit breiter Klinge. Mal mit einer kleinen Säge versehen, dann wieder geschliffen.
„Nein!“, sagte er und rammte die Schublade wieder zu. „Das ist Unsinn, damit machst du dich nur verrückt!“ Walter verließ die Küche. Sein Weg führte ihn ins Bad. Unterwegs merkte er, dass er die Füße immer nur vorsichtig aufsetzte, als wäre er ein Fremder im eigenen Haus. Er kam sich überhaupt nicht mehr sicher vor, alles um ihn herum schien sich gegen ihn verschworen zu haben.
Im Bad schaute er in den Spiegel.
Walter sah ein längliches Gesicht, dessen Haut eine sommerliche Bräune zeigte. Auf der Oberlippe wuchs ein Bart, und die Kontaktlinsen fielen kaum auf. Dafür die dunklen Ringe darunter. Ein Zeichen, dass er sich nicht gut fühlte, und in der Tat kreisten seine Gedanken immer wieder nur um das eine.
Kamen sie? Oder kamen sie nicht?
Er schluckte, beugte sich vor und trank einen Schluck Wasser aus den hohlen Händen. Den Rest spritzte er in sein Gesicht. Als er nach dem Handtuch griff, um sich abzutrocknen, hörte er das Läuten des Telefons. Es stand im Flur auf einem kleinen Bord, das durch zwei Winkeleisen an der Wand befestigt war.
Er blieb stehen und wusste plötzlich, dass dieser Anruf nichts Gutes zu bedeuten hatte. Ein kalter Schauer rieselte über seinen Nacken und fand den Weg nach unten.
Hingehen, abheben oder einfach das Klingeln ignorieren? Er ging hin. Es konnte durchaus sein, dass der Anruf wichtig war, und nach dem fünften Klingeln hob er ab.
Eine fremde Stimme sprach ihn an. „Ah, du bist ja doch da“, hörte er die Stimme am anderen Ende sagen.
Walter Cohn wusste sofort, dass er die Stimme des Anrufers noch nie gehört hatte, doch er ordnete sie sofort richtig ein. Er versuchte, sich hart und sicher zu geben. „Was wollen Sie? Wer sind Sie?“, fragte er den Satanisten.
Ein Lachen folgte. Dann die Frage: „Weißt du das wirklich nicht, Totengräber?“
„Nein.“
„Ich gehörte zu deinen Freunden. Aber wir sind nicht mehr deine Freunde. Du hattest uns versprochen, das Tor zu öffnen, damit wir den Friedhof ohne Schwierigkeiten betreten können. Wir haben uns leider in dir geirrt. Du hast das Tor nicht geöffnet, und so etwas mögen wir überhaupt nicht.“
„Der Friedhof ist um diese Zeit geschlossen!“
„Nicht für uns, Walter, nicht für uns! Weißt du denn nicht, wer wir sind?“
Er schwieg.
„Na, was ist? Rede endlich!“
„Bleibt mir vom Hals!“, keuchte er und warf den Hörer auf den Apparat. Er stieß einen Knurrlaut aus, schüttelte den Kopf, ballte die Hände zu Fäusten und fragte sich im selben Augenblick, ob er nicht falsch gehandelt hatte.
Schweiß perlte über sein Gesicht. Er wusste plötzlich, dass sie ihn nicht vergessen hatten, dass sie kommen würden, und er überlegte, was er dagegen tun konnte.
Die Polizei anrufen und den Leuten erklären, dass irgendwelche Satanisten finstere Beschwörungen auf seinem Friedhof durchführen wollten? Die Ordnungshüter hätten ihn nur ausgelacht. Außerdem hatten sie andere Dinge zu tun.
Er war allein.
Was konnte ihm noch helfen?
Da brauchte Walter gar nicht so lange zu überlegen. Es war am besten, wenn er sich zurückzog. Die Flucht war hier keine Feigheit, sondern lebensnotwendig.
Also nichts wie weg!
Er holte seine Jacke, nahm noch die Papiere aus der Schublade und schloss die Haustür von innen ab. Wenn er schon verschwand, dann durch den Hinterausgang.
Walter Cohn überlegte, wie sich die Satanisten wohl verhalten würden, wenn sie das Haus menschenleer fanden. Er war ein Mann, der zwar täglich mit dem Tod konfrontiert wurde, dem Gewalt jedoch fremd war. Er lehnte sie ab, er mochte sie nicht, er hasste sie, und er hasste Menschen, die Gewalt ausübten.
Den Satanisten traute er zu, dass sie durchdrehten und seine Einrichtung zertrümmerten. Sie würden ihre ganze Wut daran auslassen. Zurück blieb dann nur mehr Kleinholz.
Egal, was auch passierte, er konnte und wollte hier keine Sekunde länger bleiben.
Die wichtigsten Dinge trug er bei sich. Das Licht schaltete er aus. So legte sich die Dunkelheit wie eine finstere Glocke über das Haus. Er dachte an den Angriff und versuchte, sich auszurechnen, wie lange es wohl dauern würde, bis die Satanisten den Weg bis zum Ziel zurückgelegt hatten.
Es kam immer darauf an, von wo sie angerufen hatten. Vielleicht sogar aus der Nähe, vor dem Friedhofstor standen ja einige Telefonzellen.
Er lief rasch auf die Hintertür zu. Das Licht brauchte er nicht. Er bewegte sich fließend durch die Dunkelheit und sah den Ausgang wie einen gezeichneten Schatten vor sich hochwachsen.
Cohns Herz klopfte schneller. War er erst einmal aus dem Haus, würde er den Satanisten entwischen, denn auf dem Friedhof kannte er sich aus wie in seiner eigenen Brieftasche.
Die Tür hatte noch einen Knauf. Als er ihn berührte, war ihm, als hätte er Eis angefasst.
Er öffnete.
Ging einen Schritt.
Die Dunkelheit waberte ihm entgegen, doch einen zweiten Schritt schaffte er nicht mehr.
Aus dem Schatten an der linken Seite löste sich blitzschnell eine Gestalt.
Ein Fremder, ein Satanist!
Genau der versperrte ihm den weiteren Weg!
Walter Cohn hatte den Eindruck, laut zu schreien. Er unterlag einem Irrtum. Zwar drangen Geräusche aus seinem Mund, mit Schreien hatten die aber nichts zu tun. Nur ein schweres Keuchen war zu vernehmen.
Zuerst hatte er noch in die Höhe geschaut, das allerdings ließ er sofort wieder bleiben. Er schlug den Blick nieder, spürte Kälte über seinen Körper rieseln, bekam auch kaum mehr Luft und hörte ein Lachen.
Nichts ging mehr. Er steckte fest.
Dicht vor ihm stand die Gestalt. Nicht größer als ein normaler Mensch. Cohn aber kam sie vor, als würde sie wie ein Monstrum in den Himmel wachsen. Sie hätte auch aus diesem dunklen Etwas über ihm herabgefallen sein können.
Wie der Fremde genau aussah, das konnte er nicht erkennen. Er hörte ihn nur flüstern. Es war eine widerliche Stimme, die ihm entgegenschwang und dabei trotz der geflüsterten Worte zu einem Dröhnen wurde. Es traf ihn wie eine Anklage.
„Du hast uns missachtet, Walter! Du hast einfach nicht getan, was wir von dir verlangten, und das finden wir überhaupt nicht gut. Du bist ein Verräter, Walter. Wir haben gedacht, mit dir zusammenarbeiten zu können, das aber hast du dir selbst verdorben.“
Was sollte er sagen? Ihm fehlten die Worte. Durch den Kopf wirbelten die Gedanken. Sollte er diesem Kerl erklären, dass er sich nicht schuldig machen wollte? Er war kein Mensch, der bei irgendwelchen Verbrechen mitmischte. Er wollte seinen Weg gehen, und dabei sollte es bleiben. Die Satanisten waren für ihn Verbrecher, obwohl er nicht wusste, mit welchen Dingen sie sich genau beschäftigten.
Mit dem Teufel, mit dessen Beschwörung. Vielleicht wollten sie auch einen Friedhof als Umwelt haben, um die Toten zu erwecken, wie man es früher in den Filmen gesehen hatte. Das alles war gut möglich, aber noch reine Spekulation.
Der Satanist stieß seine Faust vor. Er hatte genau gezielt und traf Cohn an der Brust. Er flog zurück, verlor für einen Moment die Kontrolle über seinen Atem, bis er gegen die Wand prallte. Mit dem Fuß kickte er noch eine Blumenvase um, die allerdings nicht zerbrach, weil sie schon auf dem Boden gestanden hatte.
Der Satanist folgte ihm in den Flur. Die Tür ließ er offen, so sicher fühlte er sich. Natürlich war er nicht allein gekommen. Diese Leute gehörten zu einer Gruppe.
Walter Cohn blieb auch weiterhin an der Wand gelehnt stehen und rang nach Atem. Sein Herz klopfte schnell, er hatte eine Hand fest auf seine Brust gepresst. Die Lippen zuckten, aber er sagte nichts und schaute die Gestalt an, von der er kaum etwas erkennen konnte, weil sie sich nicht von der Düsternis im Flur abhob. Sie wirkte auf Walter wie ein Motorradfahrer, der sich von Kopf bis Fuß in seine Lederkleidung eingepackt hatte.
„Komm hoch, wir brauchen dich noch!“
Walter hörte die Worte. Sofort lag ihm eine Frage auf der Zunge. Wofür würden sie ihn brauchen? Leider fand er nicht den Mut, die Frage zu stellen, aber es würden sicherlich schlimme Dinge sein, von denen er sich noch keine Vorstellung machen konnte.
Als er wieder geradestehen konnte, hatte ihn der Satanist erreicht. Dicht vor Walter war der Fremde stehengeblieben. Er sonderte einen Geruch ab, den Walter nicht mochte. Dieser Gestank nach alter Erde schlug ihm auf den Magen, und er schüttelte sich.
Aus kalten Augen schaute ihn der andere an.
„Du wolltest verschwinden, nicht wahr?“
Cohn schluckte. Um seinen Hals hatte sich plötzlich Stacheldraht gewickelt, der entsetzlich kratzte. Was sollte er dazu sagen? Es stimmte ja, nur konnte er dies nicht zugeben. Fieberhaft suchte er nach einer Ausrede – und sie fiel ihm auch ein. Ob sie überzeugend war, konnte er allerdings nicht sagen. So stammelte er etwas davon, dass er nach Luft hatte schnappen wollen, um anschließend das Tor für die Satanisten zu öffnen.
Der Kerl vor ihm schüttelte den Kopf. Er glaubte ihm nicht, das stand fest. Cohn sah auch nicht, ob er lächelte, er konnte das Gesicht nicht erkennen, denn es sah aus wie eine schwarze Maske. Sicherlich hatte der Mann es geschwärzt, mit Asche oder irgendeiner Paste, sodass nur seine Augen hervorstachen. In ihnen leuchtete das Weiße.
Cohns Worte waren versickert, wie ein schmaler Bachlauf im sandigen Boden. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihm geglaubt worden war, und er wartete auf eine Reaktion. Enttäuscht wurde er nicht, der Satanist sagte: „Es ist ganz einfach, mein Freund. Ich verhelfe dir zu einem Spaziergang, einverstanden?“
Die Frage war sehr überraschend für Walter gekommen. „Wie … wieso?“, stammelte er.
„Wir gehen jetzt weg.“
„Und wohin?“
„Wir bleiben auf dem Friedhof!“
Diese Antwort klang locker, ihre Wirkung aber war es auf keinen Fall. Sie hatte den Friedhofswärter und Totengräber hart getroffen, denn er konnte sich vorstellen, was das bedeutete. Auf dem Friedhof bleiben hieß nichts anderes, als sich in einer schaurigen Umgebung zu bewegen, denn es gab auf dem Gelände Orte, an denen man sich so schrecklich allein fühlen konnte. Besonders in einer Nacht wie dieser.
Cohn hob den Blick. Er hatte Angst in ihn hineingelegt, sogar ein Flehen, doch der Eindringling ließ sich nicht erweichen. Kalt und grausam schaute er auf ihn nieder.
„Was wollt ihr denn?“
„Das wirst du sehen!“ Der Satanist streckte seinen Arm vor. Walter Cohn wollte nicht von der Hand berührt werden. Er schwankte und hatte Mühe, in dieser schwülen, dunstigen Luft zu atmen. Wieder musste er sich an der Wand abstützen, und als der Satanist zur Seite ging, da wusste Cohn Bescheid.
Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er zuletzt mit solchen Zitterschritten gegangen war. Zudem spürte er das Hämmern in seinem Kopf, sein Blut war dick geworden, floss trotzdem durch die Adern und gab Walter Cohn das Gefühl eines ständigen Überdrucks im Körper. Es war kaum auszuhalten.
Die Tür stand offen, sein Blick fiel ungehindert in die graue Schwärze dahinter.
Die hohen Bäume zeichneten sich wie Schattengemälde ab. Davor jedoch entdeckte er kleinere Gebilde. Keine Bäume, sondern Menschen, die bestimmt nicht zu seinen Freunden zählten.
Sie warteten auf ihn und natürlich auf den Satanisten.
Cohn setzte sich in Bewegung.
Sie sagten kein Wort.
Auch ihre Gesichter waren geschwärzt, sodass er nur die Augen sehen konnte. Wie schwebende Ovale kamen sie ihm vor. Beinahe körperlich spürte Walter die Bedrohung, die sie ausstrahlten.
Er blieb stehen.
Hinter ihm ballte der Eindringling die rechte Hand zur Faust. Er rammte sie in Cohns Rücken.
Wieder überraschte ihn der Treffer. Cohn taumelte nach vorn, fiel in die fangbereiten Arme der anderen. Er hatte nicht einmal gezählt, wie viele auf ihn warteten.
Sie hielten ihn fest.
Dann hörte er die Stimme des Anführers, der gleichzeitig die Tür ins Schloss zerrte. „Und jetzt schafft ihn weg …“
☆
An die Hauswand hatte jemand mit dicker schwarzer Farbe einen Totenschädel gemalt. Darunter gruppierten sich Grabsteine, die allesamt schief standen und verwittert aussahen – das jedenfalls hatte der Maler sehr gut geschafft.
Ich las die Sprüche.
„Tod ist wundervoll. Das Grab ruft. Nur im Tod finden wir die Erfüllung. Die Welt versinkt in einem Meer von Trauer. Die Tränen weisen uns den Weg …“
Ich hatte die Sätze leise vor mich hingemurmelt und konnte nur den Kopf darüber schütteln, aber sie passten zu den Leuten, mit denen ich verabredet war.
Da Suko Zeit gehabt hatte, war er mit mir gefahren und saß im Rover. Der Wagen parkte im Schatten, denn über London lag eine Hitze, die eigentlich schon pervers war. Es war nicht allein heiß, es war auch schwül. In Bangkok mochte das normal sein, aber nicht an irgendeinem Ort in Mitteleuropa.
Auch der Geruch von Teer fiel mir auf den Wecker. Irgendwo hatte eines der flachen Dächer eine Teerschicht bekommen, deren Gestank sich jetzt mit der Schwüle mischte, sodass die Luft noch unerträglicher geworden war.
Menschen sahen wir keine in der Nähe. Dieses ungewöhnliche Haus lag ziemlich abseits. Es war ein flaches Gebäude und stand in einem Viertel Londons, nicht weit weg von der Themse, das noch saniert werden sollte. Aber das Vorhaben war zerplatzt wie eine Seifenblase, denn zwei kanadischen Investoren war das Geld ausgegangen, weil sie sich mit anderen Sanierungen schon übernommen hatten. So blieb zunächst alles, wie es war – was ich auch ganz gut fand.
Suko stieg aus und winkte. „Ich bleibe trotzdem hier.“
„Okay.“
„Dann viel Spaß, Alter.“ Er grinste zu mir herüber. „Und lass dich nicht beerdigen.“
„Keine Sorge, ich kenne mich mit Grufties ein wenig aus. Manchmal können sie liebe Menschen sein.“
„O ja …“
Gelogen hatte ich nicht. In der Tat hatten wir schon mit Grufties zu tun gehabt. Das war in Germany, in Dortmund gewesen, als wir den Höllenfriedhof erlebt hatten.
Ich stand dieser Gruppe von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen eigentlich neutral gegenüber. Meiner Ansicht nach sollte jeder nach seiner Fasson selig werden. Und wem es Spaß machte, der sollte in Trauerkleidung umherlaufen und sich kalkbleich schminken, dabei in der Nacht über Friedhöfe schleichen, sich auf Gräber setzen, über den Tod nachdenken und ihn sich womöglich herbeiwünschen. All das akzeptierte ich – unter einer Bedingung.
Es sollte niemand zu diesem Tun gezwungen werden. Bei den Grufties war das auch kaum der Fall.
In dem flachen Gebäude sah ich zwar Fenster. Deren Scheiben aber waren mit schwarzer Farbe bestrichen worden, sodass niemand in den Bau hineinschauen konnte.
Es blieb mir nichts anderes übrig, als auf die Tür zuzugehen und zunächst einmal zu klopfen.
Dem Echo nach, das meine Schläge hinterließen, bestand die Tür aus Metall.
Schritte hörte ich von innen nicht, aber die Tür wurde trotzdem aufgezogen und schwang schwerfällig herum, wobei sie noch über den Boden schabte.
Nichts war zu sehen – Dunkelheit – aber etwas zu hören – Musik! Schwermütige Klänge, die zu einer Beerdigung oder zu einem Trauerspiel gepasst hätten, natürlich von einer Orgel intoniert. Eine Musik, die ich bereits von meiner ersten Begegnung mit Grufties kannte. Daran hatte sich also nichts geändert.1
Auch die Person, die mir geöffnet hatte, sah ich nicht. Ich schritt also allein in die Finsternis hinein, die mir vorkam wie feuchtheiße, pechschwarze Watte. Nur sehr schwach konnte ich einige Umrisse ausmachen, aber da musste ich schon raten. Die Tür war hinter mir zugefallen, als hätte sich die Öffnung einer gewaltigen Gruft kurzerhand geschlossen.
Ich geriet ins Schwitzen. Im Mund lag ein Geschmack, der mich an Metall erinnerte. Ich kam mir vor wie jemand, der an Eisen gelutscht hatte. Unter meinen Füßen war der Boden hart, auch uneben, wahrscheinlich bestand er aus alten Steinen.
Zunächst einmal wartete ich.
Wieviel Zeit verstrichen war, konnte ich nicht sagen. Wahrscheinlich weniger, als ich dachte, denn in einer derartigen Dunkelheit kommt einem alles länger vor.
Deshalb war ich froh, als ich eine Stimme hörte, wobei ich nicht unterscheiden konnte, ob sie männlich oder weiblich war. Sie klang neutral.
„Willkommen im Reich der Toten, Geisterjäger …“
Ich musste ein Lächeln unterdrücken. Das klang zwar ungewöhnlich, war aber nicht gefährlich. Im Reich der Toten war ich noch lange nicht, und das sollte auch so bleiben.