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Manche Vögel überflogen den Berg nur in großer Höhe, weil sie instinktiv spürten, dass dort unten etwas Schreckliches lauerte. Andere waren mutiger und landeten zunächst, starteten dann aber rasch wieder und ließen sich nicht mehr blicken. Tief in seinem Innersten verbarg der Fels etwas. Unter unzähligen Tonnen von schwerem Gestein lauerte der Schrecken. Das unsagbar Böse, ein Vermächtnis aus der Urzeit, ein grausames apokalyptisches Wesen - der Blut-Pirat ...
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Seitenzahl: 179
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Der Blut-Pirat
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar / Norma
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0483-0
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Der Blut-Pirat
von Jason Dark
Manche Vögel überflogen den Berg nur in großer Höhe, weil sie instinktiv spürten, dass dort unten etwas Schreckliches lauerte. Andere waren mutiger und landeten zunächst, starteten dann aber rasch wieder und ließen sich nicht mehr blicken. Tief in seinem Innersten verbarg der Fels etwas. Unter unzähligen Tonnen von schwerem Gestein lauerte der Schrecken. Das unsagbar Böse, ein Vermächtnis aus der Urzeit, ein grausames apokalyptisches Wesen – der Blut-Pirat ...
»Wenn du im Auto rauchst, kündige ich dir die Freundschaft«, sagte Suko. Er schielte auf meine Hände, die mit der Zigarettenschachtel spielten, aber das war auch alles. Es befanden sich noch drei Stäbchen darin, und die ließ ich stecken. Die Schachtel verschwand wieder in meiner Jackettasche. Suko nickte, wobei er wieder ein freundlicheres Gesicht machte, obwohl wir bereits zwei Stunden im Wagen hockten, ohne dass sich in der Umgebung etwas getan hatte.
Zumindest nichts, was uns zum Eingreifen gezwungen hätte. Liebespaare gingen uns nichts an, die ließen wir in Ruhe, und es gab zahlreiche in dieser Gegend, denn es war eine Lust, die Temperatur in einer derartig lauen Sommernacht zu genießen, in der sich der Sternenhimmel in einer beinahe schon südländischen Pracht zeigte – und das im Norden von London, in einer idyllischen Gegend mit Feldern, Wäldern und gesunder Luft.
Diese Gegend hatte sich auch die Firma TRANS EX ausgesucht, um hier ihre angeblich saubere Industrieanlage zu bauen. Es war eine Forschungsstätte, wie wir wussten, und die unterteilte sich in zwei Komplexe. In einen hermetisch abgeriegelten Bereich und in einen zweiten, in dem nur harmlose Dinge aufbewahrt wurden.
Wie Blut, zum Beispiel!
Ja, es stimmte. Diese Firma machte Geschäfte mit dem Blut der Menschen. Hier wurden Spenden gelagert, weiterverkauft und auch auf Krankheiten wie AIDS untersucht. Dabei ging es um normales Blut, aber auch um Plasma, und damit wiederum begannen die Probleme der Firma.
Es waren in der vergangenen Zeit einige Blutkonserven gestohlen worden. Zu viele, um darüber hinwegzusehen, und niemand wusste, was mit den gestohlenen Konserven geschehen war. Es hatte die unterschiedlichsten Meinungen und Ansichten gegeben. So waren einige Beamte davon ausgegangen, dass die Blutkonserven für einen vielfach überhöhten Preis ins Ausland verkauft worden waren, aber das war, wie gesagt, nur eine Meinung. Es gab auch eine andere.
Und die vertrat unser Chef, Sir James Powell.
Er hatte sich etwas ausgedacht. Will Mallmann, der Vampir, der sich auch Dracula II nannte, lag Sir James noch immer wie ein dickes Geschwür im Magen. Er wusste ja, dass Vampire Blut brauchten, um existieren zu können, und da konnte es seiner Meinung nach durchaus sein, dass Mallmann versuchte, auch an Blutkonserven heranzukommen.
Davon hatte sich unser Chef nicht abbringen lassen und so lange auf uns eingeredet, bis wir zugestimmt hatten.
Suko und ich fahndeten also nach den Blutdieben.
Zusammen mit dem Werkschutz sollten wir mithelfen, sie zu stellen, und ihnen dann die entsprechenden Fragen stellen. Ein Job, der unheimlich viel ›Spaß‹ machte, denn wir schlugen uns schon die zweite Nacht um die Ohren.
Für drei Nächte hatten wir zugestimmt, und damit war Sir James auch einverstanden gewesen.
Der oder die Diebe waren nach einem gewissen Rhythmus vorgegangen. Zweimal zuschlagen, dann zehn Tage Pause. Wieder zuschlagen, wieder eine Pause und so weiter.
In dieser Nacht hätten sie nun eigentlich kommen müssen. Das Wachpersonal war alarmiert und einsatzbereit, sollte aber nicht eingreifen, sondern uns die Diebe überlassen. Wie sie es geschafft hatten, in den Komplex einzudringen, hatte die Wachtruppe bereits herausgefunden. Die Diebe hatten sich Nachschlüssel besorgt.
»Wer stiehlt schon Blut?«, fragte Suko.
Ich verdrehte die Augen. »Frag mich das nicht noch mal. Ich weiß es nicht.«
Doch Suko ließ nicht locker. »Vielleicht ein Irrer oder Wallmanns Schergen?«
»Wo ist da der Unterschied?«
»Ha, ha ...«
Ich schaute auf die Uhr. Die Tageswende lag fast zwei Stunden zurück. Um diese Zeit hatten sich selbst die letzten Liebespaare wieder zurückgezogen, uns gehörte die Nacht und auch die Einsamkeit, die allerdings durch die Scheinwerfer am Zaun des Fabrikgeländes gestört wurde. Die Männer der Wachmannschaft waren gut verteilt. Sie würden die Täter ungehindert ein- und auch wieder rauslassen, aber nur bis zu einer bestimmten Stelle. Dort sollten sie dann von uns erwartet werden.
Falls alles klappte ...
Die Minuten strichen dahin. Ich hatte Kaffee mitgenommen. Er schwappte in einer Thermoskanne, die mittlerweile halbleer war. Als ich Suko einen Becher anbieten wollte, winkte mein Freund ab. »Die Brühe ist mir zu kalt und zu bitter.«
»Ansprüche hast du auch noch?«
»Klar doch.«
»Okay, wie du meinst.« Ich schraubte den Verschluss ab, zog dann den Korken hoch, lauschte dem dabei entstehenden ›Plopp‹ und goss etwas von der dunklen Brühe ein.
Obwohl Suko mich beobachtete und auf eine Reaktion wartete, gab ich keinen Kommentar. Aber er hatte recht, das Zeug schmeckte wirklich bitter.
»Ein Genuss?«, fragte er.
»Toll.«
»Hast du den nicht gekocht?«
»Ja, das habe ich, und ich habe mich dabei an die Regeln einer Glenda Perkins gehalten.«
»Nun ja, Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Das kann sich auch bei dir nur noch bessern.«
Ich wollte eine entsprechende Antwort geben, kam aber nicht mehr dazu, denn das Funkgerät quäkte so laut, dass es schon störend wirkte. Ich reagierte schneller als Suko, nahm es an mich und meldete mich.
Zuerst hörte ich nur ein Kratzen, dann murmelte irgendjemand etwas, das nicht mir galt, doch bald hatte er sich so weit unter Kontrolle, dass er sich melden konnte.
»Sir ...?«
»Ja, hier Sinclair.«
»Wir haben hier etwas gesehen.«
»Die Diebe? Sind sie da?«
»Das wissen wir nicht, aber komisch ist es schon. Wir haben einige Bewegungen gesehen, die wir nicht identifizieren können.«
Suko, der mitgehört hatte, schüttelte den Kopf und zog die Augenbrauen hoch. Auch ich wusste nicht, was der Sprecher meinte und bat ihn, genauere Informationen preiszugeben.
»Das kann ich schlecht.«
»Warum?«
Eine kurze Pause. Wieder das Flüstern, dann klang die Stimme erneut auf. »Es gab Bewegungen, in der Dunkelheit, verstehen Sie, Sir?«
»Noch nicht.«
Sein Atem war zu hören. »Die Bewegungen sind nicht identifiziert worden. Einige Kollegen haben von großen Vögeln gesprochen, groß wie Geier oder Adler.«
»Was Sie nicht sagen«, murmelte ich. Meine Stimme klang überhaupt nicht spöttisch oder lustig, denn was dieser Mann mir soeben mitgeteilt hatte, war zumindest Suko und mir bekannt. »Haben Sie noch mehr erkennen können? Zum Beispiel, wohin die Vögel geflogen sind?«
»Nein, mehr nicht. Es ist trotz des Scheinwerferlichts doch sehr dunkel in der Luft.« Er räusperte sich. »Nun ja, ich wollte Ihnen nur Bescheid geben, mit den Blutdieben wird das wohl nichts zu tun haben, denke ich.«
»Das kann sein.«
»Wir werden uns wieder melden.«
»Das können Sie ruhig«, sagte ich. »Aber auch wir werden unseren Standort ändern und nicht mehr so weit entfernt warten. Wir fahren näher an das Ziel heran.«
»Soll ich das Tor öffnen lassen?«
»Noch nicht.«
»Sie denken daran, dass die Diebe gewarnt werden können?«
»Immer, Mister, doch ich denke auch an etwas anderes. Aber lassen Sie das nur meine Sorge sein.«
»In Ordnung, Sir.«
Suko betrachtete mich mit Skepsis. »Du bist heute auch nicht der allernetteste Mensch.«
»Ich habe nie behauptet, sehr nett zu sein. Wer das sagt, muss sich geirrt haben. Was hätte ich sagen sollen? Dass wir einen Verdacht auf Vampire haben? Die hätten uns ausgelacht. Diesen Blut-Raub nehmen sie noch hin, ihn jedoch mit Vampiren in Verbindung zu bringen, das kannst du ihnen nicht erzählen. Nicht jeder reagiert darauf so gelassen wie wir.«
Ich hatte den Zündschlüssel gedreht und den Rover gestartet. Wie ein schwerbeladenes Schiff schob er sich aus der Parklücke hervor und schwankte über eine Bodenerhebung.
Wir hatten freie Sicht auf das Industriegelände, und mein Freund Suko suchte den Himmel ab. Er hatte seinen Kopf aus dem Fenster gestreckt, die warme Nachtluft umfing sein Gesicht und drang ins Wageninnere.
Ich fuhr langsam. Meine Gedanken drehten sich. Irgendwo brachte ich sie immer mit Mallmann zusammen. Warum eigentlich?
Gleichzeitig drückte sich eine andere Ahnung hoch. Sie war wie eine finstere Wolke, eine Bedrohung, der wir nicht ausweichen konnten. Lag es am Wetter, dass ich so ungewöhnlich reagierte, oder einfach daran, dass uns möglicherweise ein harter Job bevorstand?
Suko setzte sich wieder normal hin. »Ich habe weder einen Vampir noch einen Vogel gesehen.«
»Glaubst du denn, dass sich die Leute etwas eingebildet haben?«
»Nein, das nicht.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter, John. Wir lassen es einfach darauf ankommen.«
Ich drehte am Lenkrad und steuerte die normale Straße an. Kurz vor dem Fabrikgelände standen Scheinwerfer, die ihr Licht auf das graue Asphaltband schickten.
Stopp- und Warnschilder fielen uns ebenfalls auf. Man wollte keine ungebetenen Gäste haben.
Aber die waren schon da.
Was sonst hätten die knatternden Geräusche bedeuten können? Es waren Schüsse ...
✰
Plötzlich war unsere Lethargie verschwunden. Wenn jemand schoss, tat er das nicht grundlos. Wir hatten uns auf die Geräusche konzentriert und festgestellt, dass es mehrere Salven gewesen waren, die die Stille zerschnitten hatten.
Suko schaute mich an. »Vogelschießen?«, fragte er spöttisch.
»Kann sein.« Der Rover schoss vor, denn ich hatte ihm Gas gegeben. Ich schaltete auch das Fernlicht ein. Die langen, blauweißen Streifen vermischten sich mit dem Licht der Lampen vor dem Tor und hinterließen dort einen kalten Glanz. Einzelheiten fielen uns auf. Das Tor bewegte sich jetzt zur Seite, damit wir freie Fahrt auf das Fabrikgelände hatten, über das bewaffnete Gestalten huschten.
Es wurde nicht mehr geschossen. Ich wollte nicht so recht daran glauben, dass es die Blutdiebe gewesen waren, die sich das kurze Feuergefecht geliefert hatten, und auch Suko war meiner Meinung.
»Da steckt etwas anderes dahinter«, sagte er und wies auf einen Mann, der im Scheinwerferlicht erschien und mit beiden Händen winkte.
Wir stoppten. Ich löschte das Licht, schaltete den Motor ab und stieg aus. Suko stand schon draußen. Ich hörte, wie der Wachmann mit ihm sprach.
»Wir ... wir mussten schießen.«
»Auf wen?«
»Da waren Schatten.«
Der Mann war noch verstört. Er strich über sein Gesicht und hob die Schultern. Ich empfand die Luft als unangenehm schwül, wie kurz vor einem mächtigen Gewitter. Man schwitzte schon beim Denken. Auch mir klebte die Kleidung am Körper.
»Ich ... wir alle haben sie über uns gesehen. Diese Riesenvögel«, stammelte der Mann.
Unwillkürlich schauten wir zum Himmel hoch. Er war zwar nicht mehr so blank wie vor einer Stunde, weil sich Wolkenfetzen vor die Gestirne geschoben hatten, aber die fliegenden Schatten sahen wir nicht. Wenn es tatsächlich Vampire gewesen waren, dann hielten sie sich gut versteckt. Ich wollte auch nicht zu sehr in Details gehen und die Leute hier nervös machen.
Andere Wachtposten waren gekommen. Ihre Gesichter sahen im Kunstlicht der Scheinwerfer blass aus. Immer wieder schauten die Männer gen Himmel. Schließlich kam auch der Chef der Wachtruppe.
Er hieß Hogan und war ein Mann in unserem Alter. Mir fielen seine dichten Augenbrauen auf, die ungewöhnlich schräg standen.
»Gut, dass Sie hier sind.«
»Was ändert das?«, fragte ich.
»Nicht viel, aber es gibt uns etwas mehr Sicherheit.« Er spielte mit den Knöpfen an seiner Uniform. »Wir sind eigentlich darauf gedrillt, Diebe zu fangen. Die Firma hat uns ausgebildet und bezahlt gut, aber was hier passiert ist, damit komme ich nicht zurecht.«
»Sie sprechen von den Schatten.«
»Ja, Mister Sinclair, von den großen Vögeln.« Er schaute wieder nach oben und duckte sich dabei. »Wir haben für ihre Existenz keine Erklärung. Es ist alles so ungewöhnlich, so anders. Ich habe mich mit meinen Leuten unterhalten. Einige meinten, dass die Vögel künstlich wären und den Dieben als Ablenkungsmanöver dienten. Andere sprachen von Segelflugzeugen. Ein ehemaliger Kollege von Ihnen, der jetzt bei uns arbeitet, war der Meinung, dass sich ein Drachenflieger über das Gelände hinwegbewegt hätte. Also da kommt einiges zusammen, aber was richtig ist, weiß keiner.«
»Weshalb wurde geschossen?«, fragte Suko.
Hogan zeigte zum Himmel. »Weil sie wieder da waren. Auf einmal huschten sie über das Gelände hinweg. Sie waren sehr groß und bewegten sich ziemlich schnell.«
»Schneller als eine Kugel?«
»Wir wissen nicht, ob wir getroffen haben.«
»Waren es mehr als zwei?«, fragte ich.
»Das haben wir nicht genau mitbekommen. Jedenfalls bewegten sie sich sehr schnell.«
»Und Sie haben nur Schatten gesehen, Mister Hogan? Keine anderen Einzelheiten, an die Sie oder Ihre Männer sich erinnern können?«
»Nein.« Er schaute zu Boden und legte seine Stirn in Falten. »Bis auf eine Beobachtung, die ich allerdings nicht ernst nehmen kann und sie der Phantasie einem meiner Männer zuschreibe.«
»Wir hören.«
»Nun ja ... der ... der Mann hat da von roten Punkten gesprochen. Wie glühende Augen ...«
Ich schaute Suko an und sah sein leichtes Nicken, das keinem anderen auffiel.
»Können wir mit dem Mann ein paar Worte reden?«
Hogan zeigte Erstaunen. »Wieso ...? Warum wollen Sie das? Glauben Sie ihm etwa?«
»Was wir glauben, ist hier zweitrangig. Wir wollen nur keine Möglichkeit außer Acht lassen. Vergessen Sie nicht, dass wir Polizisten sind und uns auch entsprechend verhalten. Jede Beobachtung kann hier wichtig sein.«
»Ja, das sehe ich ein.« Hogan erkundigte sich bei seinen Leuten, wo ein gewisser Peak zu finden war.
Er hatte Innendienst. Als einziger im Moment, denn das Auftauchen der Schatten hatte die Männer nach draußen gelockt. Peak bewachte den Kühlraum, wo auch die Blutkonserven in großen Schränken aufbewahrt wurden.
»Wollen Sie dorthin?«, fragte Hogan.
»Natürlich.«
»Gut, ich gehe vor.«
Suko und ich schlossen uns ihm an. Mein Freund schaute einige Male mit gerunzelter Stirn zur Seite. Er war sich noch nicht im Klaren darüber, wie es weitergehen würde, und er meinte, dass man uns möglicherweise reingelegt hatte.
»Wer denn?«
Er gab die Antwort leise. »Die andere Seite, John. Wer immer sie auch sein mag.«
»Mallmann?«
»Ich denke auch immer an ihn. Er kann seine Helfer geschickt haben. Schade, dass dieser Peak keine Riesenfledermaus gesehen hat.«
»Du willst aber auch alles einfach haben.«
»Manchmal bin ich eben unverschämt.« Er lächelte und stieg hinter Hogan eine breite Treppe hoch.
Ich schaute mich noch einmal um. Auf und über dem Gelände hatte sich nichts verändert. Diese seltsamen Riesenschatten schienen sich die Männer nur eingebildet zu haben.
Hogan hatte die Tür aufgestoßen. In dem breiten Flur brannte nur die Notbeleuchtung. Es war ungemütlich. Hier erinnerte mich alles an eine Klinik, wozu die weißen Wände ebenso beitrugen wie der etwas dunklere Fußboden.
Wir brauchten zum Glück keine Schutzkleidung überzustreifen. Die Blutkonserven wurden in absolut dichten Edelstahlzylindern aufbewahrt, die wiederum in verschlossenen Schränken standen.
Peak, der Wachtposten, saß auf einer Bank. Es wunderte mich, dass er nicht aufstand, denn er musste uns längst gehört und gesehen haben. Auch Hogan fiel dies auf. Er ging plötzlich schneller, blieb neben seinem Mitarbeiter stehen und fluchte.
Als er sich umdrehte, waren wir bei ihm.
»Tot?«, entfuhr es mir.
»Nein, er ist nur bewusstlos.« Hogan deutete auf die Tür. »Dann sind die Diebe wohl schon da.«
Ich zog meine Beretta. »Das kann man wohl sagen.«
Auch Hogan hatte seine Pistole gezogen. Es war die Anspannung, die uns schwitzen ließ. Wir unterhielten uns nur mehr flüsternd, und Hogan schaute sich das komplizierte Türschloss an. »Keine Beschädigungen festzustellen«, meldete er.
»Kann ich mir denken. Der oder die Diebe besitzen Nachschlüssel. Bleiben Sie mal zurück.«
»Wieso? Ich ...«
»Wir sind eingespielt, mein Partner und ich.«
Dem hatte er nichts entgegenzusetzen. Ich schaute Suko an, der nickte und deutete auf die Tür. Der Zeigefinger zielte dabei auf den Knauf, den ich umklammerte.
Langsam drehte ich ihn nach links.
Ich merkte, dass ich schon Kraft aufwenden musste, um die relativ schwere Tür zu öffnen. Alles sollte zudem schnell gehen. Wir wollten nichts dem Zufall überlassen.
»Okay, John?«
»Okay!«
Ich riss die Tür auf. Dabei erwischte Hogans Atem meinen Nacken. Der Chef des Sicherheitsdienstes stand hinter mir. Kein strahlendes Licht drang mir entgegen, nur diese kühle Dämmerung, da der Raum mit einer Klimaanlage ausgestattet war.
Ich stürzte nicht hinein, das überließ ich Suko. Er stürmte vor, dann zur Seite und zielte mit der Waffe in den Raum.
Dann war auch ich über die Schwelle, glitt zur anderen Seite weg, und im selben Augenblick strahlte das kalte Licht der Deckenröhren auf.
Hogan hatte den Schalter gedrückt.
Wir sahen zwei Männer, die fassungslos in unsere Mündungen schauten und die Welt nicht mehr verstanden ...
✰
Die Blutdiebe waren von uns gestellt worden. Herrlich, wie einfach das gewesen war. Richtig super, beinahe wie im Kino, und genau das störte mich. Es war mir zu glatt gegangen. Nicht, dass ich immer nur an die großen Vögel gedacht hätte, da kamen auch noch andere Dinge hinzu. Es war das Gefühl, dass es zu einfach gewesen war, und ich konzentrierte mich jetzt auf die erschreckten Gesichter der beiden Männer.
Sie waren noch jung, etwa zwanzig, und sahen eigentlich nicht aus wie abgebrühte Killer, sondern eher wie geschmeidige Diebe, die sich auf einer gewissen Ebene bewegten und immer nur das taten, was man ihnen auftrug. Aber darin waren sie Profis, denn von der Dunkelheit unterschieden sie sich kaum. Sie trugen schwarze Kleidung und hatten sich Strickmützen über den Kopf gezogen, in die sie Sehschlitze geschnitten hatten.
Beide standen vor den breiten Kühlschränken, in denen die Konserven aufbewahrt wurden. Eine Ledertasche hatten sie schon zur Hälfte mit Konserven gefüllt.
»Jetzt heben Sie mal die Hände hoch, meine Herren!«, sagte ich und winkte mit der Waffe.
Die beiden schauten sich an, flüsterten, dann kamen sie der Aufforderung nach. Sie hatten eingesehen, dass sie hier nichts mehr reißen konnten.
Ich hakte mit der linken Hand die Schelle los und warf sie meinem Freund Suko zu.
Beide Diebe waren noch so überrascht, dass sie an eine Gegenwehr überhaupt nicht dachten. Suko konnte ihnen problemlos die Handschellen anlegen und sie zur Seite dirigieren. Erst dann trat Hogan in Aktion. Er räumte die Konserven wieder in den Schrank ein.
Die Diebe schwiegen. Wie zwei arme Sünder standen sie am Fenster und schauten zu Boden. Ihre Gesichter sahen so blass aus wie mehliger Teig. Sie nagten auf den Unterlippen, und nur ihr Atem war zu hören.
Wütend schaute Hogan die Diebe an. »Was machen wir denn jetzt mit ihnen?«
»Verhören.«
Hogan knetete sein Kinn.
»Ich könnte Ihnen mein Büro zur Verfügung stellen ...«
»Das wäre nett.«
»Kommen Sie mit.«
Suko kümmerte sich um die Männer. Wir verließen den Raum, und über Sprechfunk gab Hogan das Ende des Alarms bekannt. Er berichtete, dass wir die beiden Diebe gestellt hatten. Alles war also glattgegangen – zu glatt für meinen Geschmack. Was nicht an den Dieben lag, sondern an den Umständen und natürlich auch an uns.
In Hogans Büro stand eine Kaffeemaschine. Er bot uns eine Tasse an, und diesmal stimmte auch Suko zu. Die beiden Männer saßen mit dem Rücken zur Wand, während wir vor ihnen hockten. Hogan verließ das Büro noch einmal, er wollte sich um den bewusstlosen Mitarbeiter kümmern und dann zurückkehren.
Suko stellte uns vor. Auch jetzt reagierten die beiden Kerle nicht und blieben stumm.
Dann wollte der Inspektor ihre Namen wissen, und die nannten sie uns. Einer hieß Tino Gray, der andere nannte sich Cervio. Er war größer als Tino, sein Haar hatte er grau gefärbt. Wir sahen es, weil Suko ihnen die Mützen von den Köpfen gezogen hatte. Tinos Haar war schwarz. Im Nacken hatte er es zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Sie sahen aus, als würden sie im weitesten Sinne zur Mafia gehören. Aber was sollte die mit dem Raub der Blutkonserven zu tun haben? War die ›Ehrenwerte Gesellschaft‹ in den Handel mit Blut eingestiegen? Ich musste mit allem rechnen, denn die Mafia hatte ihre Finger eigentlich überall und in jedem Geschäft stecken.
»Für wen arbeitet ihr?«, fragte Suko.
Schweigen.
»Ihr habt also keinen Auftraggeber?«
Schulterzucken.
»Mafia?«
Nichts.
Ich schaute auf die blubbernde Kaffeemaschine, während Suko weiterfragte, ohne Antworten zu erhalten.
Als Hogan zurückkam, war der Kaffee durchgelaufen. Die Erleichterung war ihm anzusehen, und er freute sich schon darauf, Informationen zu bekommen. »Was haben sie gesagt?«
»Nichts.«
Hogan schluckte. »Wieso nicht?«
»Nur ihre Namen.« Ich nannte sie ihm, während ich für Suko Kaffee einschenkte und ihm die Tasse brachte. Die beiden Diebe bekamen nichts. Wer schwieg, brauchte auch nicht zu trinken.
Hogan schüttelte den Kopf. »Das verstehe, wer will, aber nicht ich. Warum haben sie nichts gesagt?«
»Wahrscheinlich aus Angst vor ihren Auftraggebern. Wir können uns vorstellen, dass die Mafia dahintersteckt. Haben Sie schon davon gehört, Mister Hogan?«
Er trank einen Schluck. »Mafia im Blutkonservenhandel«, murmelte er. »Also, vorstellen könnte ich mir so etwas, aber ich weiß nicht, ob das einen so großen Profit abwirft, dass es für die verdammte Bande interessant wäre.«
»Damit kennen wir uns leider auch nicht aus, aber wir werden noch dahinterkommen.«
»Meinen Sie?«
»Bestimmt.«
Hogan grinste. »Wissen Sie, Sinclair, ich bin ja nicht schadenfroh, aber mich freut es schon, dass Sie die Dinge jetzt am Hals haben. Für uns ist der Käse damit gegessen, finde ich.«
»Da haben Sie recht.«
»Wollen Sie die Typen sofort mitnehmen oder erst später abholen lassen?«
»Nein, wir nehmen sie mit.«
Er lächelte erleichtert. »Das ist mir auch lieber, wenn ich ehrlich sein soll.«
Verdenken konnten wir es ihm nicht. Auch ich hätte an seiner Stelle so gehandelt. Die leere Tasse stellte ich zurück und baute mich vor den beiden auf. Suko stand neben mir. Sein Gesicht sprach Bände. Er war wütend darüber, dass er nichts erreicht hatte.