John Sinclair Sonder-Edition 147 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 147 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Einer jagte die Bande der Schwarzen Henker wie ein Bluthund die Beute: Richter Jerome T. Harker. Aber die Gangster drehten den Spieß um. Sie entführten den Richter und köpften ihn.
Doch Harker kehrte zurück. Als Kopfloser und mit einer Machete bewaffnet geisterte er nun durch London - und hinterließ dabei eine lange Blutspur.
Das machte die Sache endgültig zu einem Fall für uns. Und für Suko und mich sollte die Jagd auf den kopflosen Rächer zu einem wahren Höllentrip werden ...


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Seitenzahl: 182

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Impressum

Der kopflose Rächer

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Ballestar / Norma

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0829-6

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Der kopflose Rächer

von Jason Dark

Einer jagte die Bande der Schwarzen Henker wie ein Bluthund die Beute: Richter Jerome T. Harker. Aber die Gangster drehten den Spieß um. Sie entführten den Richter und köpften ihn.

Doch Harker kehrte zurück. Als Kopfloser und mit einer Machete bewaffnet geisterte er nun durch London – und hinterließ dabei eine lange Blutspur.

Das machte die Sache endgültig zu einem Fall für uns. Und für Suko und mich sollte die Jagd auf den kopflosen Rächer zu einem wahren Höllentrip werden ...

Seit Tagen schon lag in Brenda Tradlins Augen der leere Blick der Trauer. Sie konnte den Tod ihres Chefs noch immer nicht fassen. Ein derartig vitaler Mensch, der mitten im Leben gestanden hatte. Dreiundfünfzig Jahre war doch kein Alter.

Ihre Arbeit am Gericht würde sie behalten, doch jeder Schritt würde sie in der ersten Zeit an den Verstorbenen erinnern.

Brenda dachte daran, Urlaub zu nehmen. Allerdings wäre das jetzt der falsche Zeitpunkt. Auch im Urlaub würde sie den Richter wohl kaum vergessen können.

Vor seinem Büro blieb sie stehen. Es war ungewöhnlich ruhig. Kein Klappern hochhackiger Absätze, keine Stimmen, nur die abendliche Leere und das kalte Licht der Kugellampen, das sich auf dem glatten Boden spiegelte.

Reiß dich zusammen! befahl sie sich. Alles im Leben hat einmal ein Ende. Warum zittere ich denn? Sie lachte nervös, als sie den Arm hob und gegen die Bürotür klopfen wollte.

Die alte Gewohnheit eben ...

Das Schild mit dem Namen ihres toten Chefs hing noch immer dort. Die schwarzen Buchstaben hoben sich deutlich vom matten Untergrund ab.

JEROME T. HARKER

Nicht mehr und nicht weniger. Keine Berufsbezeichnung, kein Schnickschnack, aber dieses Schild stimmte. Es gab in seiner Schlichtheit eigentlich das Wesen des Verstorbenen wieder.

Die Frau schüttelte sich, als sie die Klinke nach unten drückte. Wie immer klemmte die Tür etwas. Selbst diese Tatsache packte Brenda in die Schublade ihrer Erinnerungen.

Sie betrat das Büro. Den Kopf hielt sie gesenkt und schaute auf den graugrünen Teppichboden. Sie war diesen Weg nicht sehr oft gegangen, normalerweise betrat sie das Büro durch die Seitentür des Sekretariats.

Heute nicht.

Er war ja nicht mehr da.

Doch, er war da!

Er saß hinter seinem Schreibtisch. Brenda sah ihn im Licht der Lampe überdeutlich.

Er trug sein braungraues Jackett, darunter das weiße Hemd mit dem Stehkragen und der korrekt gebundenen Fliege. Seine Arme lagen auf dem Schreibtisch, die Hände waren leicht gekrümmt, als wollten sie den Besucher näher bitten.

Es war wie immer.

Oder fast wie immer.

Nur etwas fehlte bei Jerome T. Harker!

Sein Kopf!

Brenda Tradlin schrie, schrie und schrie – bis sie von einer Ohnmacht erlöst wurde und umfiel ...

Erinnerungen

Wie so oft war es ein harter Tag gewesen, und wie so oft hatte sich wieder einmal alles auf den Freitag konzentriert. Dabei hatte sich Jerome T. Harker vorgenommen, einmal pünktlich das Gericht zu verlassen, um in sein Landhaus zu fahren. Doch das war ihm wie so oft nicht gelungen. Zusammen mit seiner Sekretärin, Brenda Tradlin, hatte er noch einige Akten durcharbeiten müssen, und beide hatten sich anschließend gefreut, auf den Sachverhalt gestoßen zu sein, der ungemein wichtig war. Sie hatten die Beweise gefunden, jetzt konnten sie einer der gefährlichsten Banden Londons etwas ans Zeug flicken und sie ausheben.

Der Richter war ein Tüftler, der am Ball blieb, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Er wollte nicht an die kleinen, sondern an die großen Fische herankommen. Fleißig arbeitete er die Akten durch und bereitete sich sorgfältig auf die Prozesse vor. Die Täter sollten überführt und bestraft werden. Und das sollte bei diesem Fall nicht anders sein.

Es war bisher noch gar nicht zu einer Anklage gekommen, die Polizei hatte nicht mal zugegriffen. Aber man war im Begriff eine Falle vorzubereiten für den Chef der schwarzen Henker, Mac Maschke

Harker gab den Gangster nicht mehr als zwei Wochen. Dann würden die Kollegen zuschlagen können.

»Fahren Sie noch in Ihr Landhaus?«, erkundigte sich Brenda, als sie das Gericht verließen.

»Ja, das werde ich.«

»So allein?«

Harker hob die Schultern. »Was wollen Sie machen, Brenda? Meine Frau ist vor zwei Jahren gestorben. Das sitzt noch tief, wissen Sie? Jeden Abend muss ich daran denken.«

»Verstehe, Sir.«

Sie gingen gemeinsam auf den Parkplatz, der um diese Zeit ziemlich leer war. Wochenendwetter war das nicht, was der Himmel bot, zeigte er sich doch arg bedeckt. Es würde Regen geben und natürlich Wind, doch das war für Oktober auch nicht ungewöhnlich.

Der Richter reichte ihr die Hand. »Ja, Brenda, dann machen Sie es mal gut. Wir sehen uns am Montag.«

»Auch Ihnen ein schönes Weekend, Sir. Ich hoffe nur, dass Sie sich nicht zu viel Arbeit mitgenommen haben.«

»Nein, nein, nur Kleinigkeiten.«

Brenda lächelte noch einmal, drehte sich um und ging. Sie ärgerte sich ein wenig darüber, dass ihr Chef zwar nett und freundlich war, ihrer Ansicht ruhig noch etwas netter hätte sein können. Schließlich war die Frau mittlerweile seit zwei Jahren tot.

Was nicht ist, kann ja noch werden, dachte sie und setzte sich in ihren Wagen.

Der Richter hatte seinen Jaguar schon gestartet. Er liebte diesen alten Wagen, und solange das Auto noch fuhr, sah er keinen Grund, ihn zu verkaufen.

Der Moloch London schluckte nun den Jag in dem für die Marke typischen British Racing Green. Harker wusste, dass es seine Zeit dauerte, bis er den abendlichen Verkehr hinter sich gelassen haben würde.

Um sich zu entspannen, legte er eine Kassette ein. Musik von Vivaldi, die auch seine Frau so gern gehört hatte. Als er an sie dachte, überkam ihn wieder eine sanfte Trauer. Obwohl es schon zwei Jahre her war, setzte sich bei dem Gedanken an sie noch immer ein Kloß in seinem Hals fest, und er spürte auch den Druck hinter seinen Augen. Hinzu kam die Musik, die seine Einsamkeit nicht vertrieb, sondern ihm nur noch deutlicher bewusst machte, in welch einer Leere er sich nach Dienstschluss bewegte.

Zudem gefiel es ihm nicht, dass er allein im Wagen saß. Er hätte seine Frau Mary liebend gern neben sich auf dem Sitz gehabt. Zum Glück aber musste er sich auf den Verkehr konzentrieren, und die depressive Stimmung verschwand wieder.

Die Fahrt führte ihn in südliche Richtung. Sein Wochenendhaus lag nicht direkt an der Küste, sondern in den Hügeln. So entging er dem Trubel, der sich in Küstennähe abspielte, und konnte noch etwas von der Natur genießen.

Jenseits der Millionenstadt lichtete sich der Verkehr. Noch brauchte er kein Licht einzuschalten, aber die Wolken zogen sich immer mehr zusammen, und bis zum Einbruch der Dämmerung würde es nicht mehr lange hin sein.

Beiläufig sah er sein Gesicht im Rückspiegel. Nach dem Tod seiner Frau waren die Falten noch tiefer und die Haare weiß geworden. Er hatte sie kurz geschnitten, sie standen nun in die Höhe wie das Gras im Garten.

Der blaue Wagen war ihm schon vor einiger Zeit aufgefallen. Einem anderen Menschen wäre es kaum passiert, doch Harker hatte sich angewöhnt, auf seine Umgebung zu achten. Auch Richter lebten gefährlich, und er besonders, weil es sich herumgesprochen hatte, dass er vor den großen Fischen keine Angst zeigte. Immerhin aber ging es ihm noch besser als den italienischen Richtern und Staatsanwälten, die das organisierte Verbrechen bekämpften. Die konnten keinen Schritt mehr ohne Bewachung gehen und schliefen jede Nacht woanders, weil sie sich permanent im Fadenkreuz der Mafia befanden.

Der hellblaue Peugeot beschleunigte plötzlich, glitt an den Jaguar heran und überholte ihn dann.

Harker sah, dass das Fahrzeug mit zwei Männern besetzt war. Viel konnte er von ihnen nicht erkennen. Sie trugen wohl dunkle Jacken, und einer hatte eine flache Mütze auf dem Kopf. Sie wischten an ihm vorbei, aber Harker lächelte kalt. Er war davon überzeugt, dass sie ihn beobachteten.

Wenig später zweifelte er an seiner eigenen Meinung, denn der Peugeot beschleunigte und war bald aus seinem Gesichtsfeld verschwunden.

Harker lächelte und nannte sich einen alten Narren. Er sah überall Gespenster, glaubte, dass ihm jeder auf den Fersen war. Die Zeitungsberichte aus Italien hatten ihn nervös werden lassen. Seine Kollegen lebten dort mehr als gefährlich.

Aber hier war England ...

Dennoch beschäftigten sich seine Gedanken mit den vergangenen Fällen. Bei der Bande der schwarzen Henker blieben sie hängen. Angeführt wurde sie von einem Typ namens Mac Maschke. Woher der Knabe gekommen war, wusste niemand so richtig, er gehörte aber zur Spitze der Unterwelt.

Mit der Mafia und damit mit ihrem Chef Logan Costello hatte Maschke aber nichts zu tun. Er kochte sein eigenes Süppchen, das heißt, er war der Abkocher. Seine Bande lebte von Raub, Erpressung und auch von Mord. Sie nahm sich die kleinen Geschäftsleute vor. Und es spielte keine Rolle, ob jemand einen Gemüsestand auf dem Wochenmarkt betrieb oder sein Geld als Brötchenbäcker verdiente. Überall trieben Maschke und seine Männer ihr ›Schutzgeld‹ ein.

Wer nicht zahlte, dem ging es bei der ersten Warnung schlecht, bei der zweiten noch schlechter. Und eine dritte gab es nicht mehr. Wer sich dreimal geweigert hatte zu zahlen, der zahlte schließlich doch – mit seinem Leben.

Also mussten Beweise gesammelt werden. So wie es aussah, konnte der Fall bald abgeschlossen werden, und genau auf diesen Prozess freute sich Jerome T. Harker. Er wollte der Öffentlichkeit beweisen, wie man diesen Terror stoppen konnte, und dass Typen wie Maschke keine Chance hatten. Möglicherweise kam dem Prozess sogar so etwas wie eine Vorbildfunktion zu. Und vielleicht würde man ihn später auch auf die Mafia übertragen können

Nein, es war kein blauer Peugeot mehr zu sehen. Auch dann nicht, als der Richter von der Straße abbog und in den Weg hineinrollte, der hoch zu der kleinen Siedlung führte, wo auch sein Haus stand.

Die Häuser konnte man als bessere Blockhütten bezeichnen, die verstreut platziert waren und doch so etwas wie eine Siedlung bildeten. Platz war jedenfalls genug da, und um jedes Haus war ein mehr oder minder großer, parkähnlicher Garten angelegt worden.

Wer im Oktober hierher fuhr, der musste schon zu den Enthusiasten gehören. Die meisten Häuser waren bereits winterfest gemacht worden und sahen verlassen aus, mit ihren heruntergelassenen Rollläden. Auch der nächste Nachbar des Richters war nicht da.

Neben dem Haus stellte Harker nun seinen Wagen ab, nahm Koffer und Aktentasche vom Rücksitz, schloss auf und machte Licht.

Sofort entstand eine andere, eine freundlichere Atmosphäre. Man hatte möglichst wenig Holz, aber viel Glas verbaut. So bestand die Frontseite oberhalb der Haustür aus einem einzigen großen Fenster.

Genau genommen gab es auch nur einen, wenn auch sehr großen Wohnraum. Die Küche und das ›Schlafzimmer‹ waren nicht mehr als enge Kammern, und das Bad mit Dusche, Waschbecken und Toilette viel noch kleiner aus.

Harker stellte die Koffer ab und schnüffelte. Ihm gefiel der Geruch nicht. Die Luft war abgestanden. Danach inspizierte er sämtliche Räume, lüftete durch und zeigte sich zufrieden darüber, dass sich niemand für das kleine Domizil interessiert hatte. Er wusch seine Hände, dachte daran, etwas zu essen, wollte sich aber zunächst umziehen.

Jeans und Pullover, das war die Kleidung, die er am Wochenende liebte.

In der Mikrowelle machte er sich eine kleine Pizza heiß, trank dazu Mineralwasser. Dazu nahm er an seinem Schreibtisch Platz. Der stand im Wohnraum an einer Stelle, von der aus man einen perfekten Überblick und buchstäblich alles im Griff hatte. Nicht nur, dass man Fernseher, Video-Gerät und Stereoanlage in Reichweite hatte. Der Blick konnte auch nach draußen gleiten, wo jetzt allerdings nicht mehr viel zu sehen war. Die Finsternis hatte sich über das Gelände gelegt, und die Lampen im Garten waren noch nicht eingeschaltet.

Die Fernbedienung lag griffbereit. Das Licht hatte Harker bereits gedimmt und eine heimelige Atmosphäre geschaffen, so wie es damals immer war, als seine Frau noch am Leben gewesen war.

Was da über den Bildschirm flackerte, gefiel ihm zwar nicht, er ließ die Kiste aber trotzdem laufen und schaltete nur die einzelnen Programme durch, wobei er sich über die Werbespots ärgerte, denen man als Zuschauer einfach nicht entgehen konnte.Schließlich erwischte er eine Talkshow. Da redeten die Gäste mit dem Moderator über die Ärgernisse der Welt, natürlich ohne dass jemand auch nur im Ansatz eine Lösung hätte anbieten können.

Harker schüttelte immer wieder den Kopf, als er die Argumente hörte. Er als Richter hätte dazu etwas sagen können, doch seine Meinung war nicht gefragt.

Der Sessel hinter seinem Schreibtisch war bequem. Harker hatte ihn gekippt und die Beine hochgelegt.

Die Diskussion wollte kein Ende nehmen, er schaltete weiter, sah kurz in einen alten Schwarzweißfilm hinein, der ihn nicht so störte, wie das dumpfe Geräusch, das plötzlich aus dem Hintergrund kam. Ein Geräusch, das aber nicht aus den Lautsprechern der Glotze gekommen war.

Harker schaltete den Ton ab. Auf der Mattscheibe bewegten sich die Gestalten weiter. Sie wirkten lächerlich ohne Ton, aber das kümmerte ihn nicht, denn über seinen Rücken rann plötzlich eine Gänsehaut. Er hatte das unbestimmte Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Wieder fiel ihm der blaue Peugeot mit den beiden Männern ein.

Er stand auf.

Im selben Augenblick geschah es. Die Tür flog auf. Schatten huschten in den Raum, verteilten sich blitzschnell, und Harker zog unwillkürlich den Kopf ein, als der Typ mit dem flachen Mütze die Mündung eines Schnellfeuergewehr auf ihn richtete.

Da wusste der Richter, dass sie ihn hatten!

Harker blieb ganz ruhig, und er wunderte sich darüber. Kein Laut drang über seine Lippen. Wenn er atmete, dann durch die Nase. Er wurde allmählich blasser. Totenblass.

Er schaute sich den Kerl an. Der war noch jung, trug eine braune Lederjacke und enge Röhrenjeans. Sein Gesicht wirkte verkniffen, in den Augen stand ein böses Leuchten.

Der zweite stand nicht still. Er wanderte durch den großen Raum und hielt den Kopf immer so, dass er den Richter gut im Blick behalten konnte.

Der Mann trug einen gut geschnittenen Anzug und darunter einen dünnen schwarzen Pullover mit Rollkragen. Er ging weiter, schaute sich alles an, hatte seine Hände in die Taschen gebohrt, und als er vor der Glotze stehenblieb, tippte er gegen den Bildschirm, bevor er sich langsam umdrehte.

»Wäre doch schade, wenn Sie das hier nicht genießen könnten, Richter.«

Harker blieb auch weiterhin ruhig. »Was wollen Sie?«

»Gute Frage.« Der andere kam näher. Er war sehr schlank und geschmeidig, hatte ein glattes, ausdrucksloses Gesicht, und sein braunes Haar zeigte einen braven Scheitelschnitt.

Der Richter ließ sich nicht täuschen. Er hatte im Laufe der Jahre seine Erfahrungen gemacht und wusste, dass gerade aus einem solchen Holz Killer geschnitzt wurden. Nach wie vor zielte auch die Mündung des Schnellfeuergewehrs auf ihn, wenn auch jetzt aus einem anderen Winkel, weil der Kerl mit der Mütze sich bewegt hatte.

Vor dem Schreibtisch blieb der Schlanke stehen. Beide Männer waren ungefähr gleichgroß und schauten sich über die Tischplatte hinweg in die Augen. Jerome spürte den leichten Schweißfilm auf seinen Handflächen, mehr nicht.

Er lauschte in sich hinein, um herauszufinden, ob er sich in einer tödlichen Gefahr befand, denn manchmal sagte das Unterbewusstsein mehr als das Bewusstsein. Noch war nichts zu spüren. Er glaubte nicht, dass sie ihn umbringen wollten.

»Ich warte auf eine Antwort.«

Der Schlanke nickte. »Ja, kann ich mir denken.« Er schaute sich um. »Nett haben Sie es hier. Ich frage mich, weshalb Sie das hier alles aufs Spiel setzen wollen.«

»Wieso?«

»Nun ja, Sie kümmern sich um Dinge, die Sie eigentlich nichts angehen, Mister.«

»Pardon, aber Sie vergessen meinen Beruf.«

»Nein, das tue ich nicht, überhaupt nicht. Ich finde es gut, dass es Leute wie Sie gibt. Schließlich muss die Gesellschaft von gewissen Parasiten befreit werden.«

»Sehr richtig!«, befand Harker. Er hatte so gesprochen, dass der andere wusste, wer damit gemeint war.

Der ging nicht darauf ein. »Es gibt so viel Elend in London, Richter. Kümmern Sie sich doch darum!«

»Ich bin bereits dabei.«

Der Mann wiegte den Kopf. Dabei erschien ein säuerliches Grinsen auf seinen Lippen. »So habe ich das wirklich nicht gemeint. Es wäre besser, wenn Sie einen bestimmten Fall vergessen. Geben Sie ihn ab oder lassen Sie ihn ganz fallen.«

»Wovon sprechen Sie?«

»Das wissen Sie genau.«

»Kann sein.«

»Dann brauche ich mehr nicht zu sagen.«

»Ich aber auch nicht.«

Der Elegante lächelte. »Wie schön für uns. Sie haben sich also entschlossen?«

»Das habe ich.«

»Darf ich es erfahren?«

»Ich mache weiter!«

Er hatte laut gesprochen, um zu unterstreichen, dass er sich nicht einschüchtern lassen wollte.

Der Mützenträger hatte bisher nichts gesagt. Plötzlich fing er an zu kichern, wahrscheinlich freute er sich schon auf die Fortsetzung. Sein Kumpan hatte den Kopf gesenkt. Er schaute zum Schreibtisch, wo Schreibutensilien, eine Schere und ein Brieföffner lagen.

Danach griff er ...

Harker sah es. Seine Lippen pressten sich noch mehr zusammen. Der Eindringling hob den Brieföffner. Wie zufällig deutete die Spitze auf den Richter.

»Habe ich mich verhört?«

»Nein, das haben Sie nicht!«

»Okay, dann weiß ich Bescheid. He, Sliccer ...«

»Komme schon.« Sliccer Mützenträger setzte sich in Bewegung und beschrieb einen leichten Bogen, und Sekunden später wusste der Richter, wo der Kerl hinwollte, in seinen Rücken nämlich.

Der Mann roch nach fremdländischen Gewürzen. Er stieß den Lauf seines Gewehres in Harkers Rücken, der diesen Druck nicht erwartet hatte und deshalb nach vorn fiel. Automatisch stemmte er sich mit beiden Händen auf der Schreibtischplatte ab.

Darauf hatte der andere nur gewartet.

Der Brieföffner beschrieb einen Halbkreis nach oben und dann einen nach unten. Er rammte wuchtig in das Holz der Platte, nur mit dem einen Unterschied, dass ihm die linke Hand des Richters im Weg war, der Öffner glatt hindurchstieß und die Hand an der Platte festnagelte.

Zitternd blieb des Werkzeug stecken, und beide Eindringlinge warteten auf den Schrei des Richters.

Aus Jerome T. Harkers Mund drang kein Laut. Nicht einmal ein Stöhnen war zu hören. Dafür breitete sich eine bedrückende Stille aus.

Und noch etwas war unglaublich. Normalerweise hätte aus der Hand eine Blutfontäne schießen müssen. Hier passierte gar nichts. Es sah aus, als wäre der Brieföffner mit seiner Spitze in eine künstliche Hand gerammt worden, die per Fernlenkung bewegt wurde.

»Scheiße!«, flüsterte der Elegante.

»Ich leg' ihn um!«, kreischte der Mützentyp.

»Nein!«

Harker aber lächelte. »War was?«, fragte er, bevor er seine rechte Hand anhob und sie einen Moment später um den Griff des Brieföffners schloss. Mit einem Ruck zog er den spitzen Gegenstand wieder aus dem Holz, schaute ihn sich an, hob die Schultern und legte den Brieföffner wieder an seinen Platz zurück. Kein Blut strömte aus der Wunde, doch in der Hand befand sich ein Loch.

»O Gott, das ist Wahnsinn!«, stammelte der Elegante. Er ging langsam zurück. Er war völlig fertig, so etwas überstieg seinen Horizont, und auch Sliccer schien mit den Nerven am Ende. Für ihn war ebenfalls eine Welt zusammengebrochen.

Nicht so für den Richter. Der räusperte sich und fragte mit leiser Stimme: »Ist noch etwas? Gibt es Probleme ...?« Seine Stimme war voller Hohn und Spott.

Er erhielt keine Antwort. Sliccer stöhnte vor Wut. Er stand neben dem Eleganten. Die Waffe zitterte, aber er schoss nicht.

»Ich warte auf eine Antwort.«

»Wir sehen uns noch.«

»Nun ja.« Harker lächelte. »Das kann sein. Ich wollte Sie alle vor Gericht haben, und ihr Auftreten hat mich in dieser Meinung bestärkt.« Er hob seine linke Hand. »Manchmal hat man eben Pech«, sagte er. »Bestellen Sie einem gewissen Mac Maschke die besten Grüße. Ich werde ihn mir vor den Richtertisch holen. Mit ihm mache ich den Anfang. Andere werden folgen, bis hin zu Costello ...«

Die letzten Worte hörten die beiden Verbrecher nicht mehr. Durch die Hintertür waren sie gekommen, durch die Vordertür flüchteten sie nach draußen ...

»Muss das sein?«, fragte ich meinen Chef, Sir James.

Der nickte. »Ja, es muss sein.«

»Aber die spinnt doch, diese Frau!«

»Kennen Sie Brenda Tradlin?«

»Nein!«

»Dann können Sie auch nicht behaupten, dass sie spinnt. Was sie gesehen hat, das hat sie gesehen, darauf besteht sie, und deshalb werden wir uns ihre Geschichte anhören. Immerhin war sie die persönliche Sekretärin von Richter Jerome T. Harker.«

»Die Sekretärin eines toten Richters.«

»Eines geköpften sogar. Und wie Sie vielleicht aus der Presse wissen, ist sein Schädel niemals gefunden worden.«

»Dafür sein Körper, wie?«, fragte ich mit leisem Spott in der Stimme.

»Ja, Brenda sah ihn.«

Der Superintendent blieb bei seiner Meinung, der ich allerdings nicht folgen konnte. Für mich war das alles das Hirngespinst einer überdrehten Frau, die einfach zu sehr an ihrem Chef gehangen hatte. Dass er zurückkehrte, war wohl ein Wunschtraum, der sich im Laufe der Zeit so manifestiert hatte, dass sie sich meiner Ansicht nach die Erscheinung ihres Chefs eingebildet haben musste. Er sollte als Kopfloser hinter dem Schreibtisch gesessen haben – das wollte mir nun wirklich nicht in den Schädel.

Aber Brenda Tradlin war bei ihrer Meinung geblieben, und sie hatte, nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hatte, alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Fall aufzuklären. So war sie auch zu Sir James gelangt, unterstützt von hohen Justizbeamten, bei denen selbst mein Chef springen musste, wenn er um etwas gebeten wurde.

Wir erwarteten Brenda um die Mittagszeit. Ich hockte in Sir James' Büro, hatte mir aus dem Sekretariat Kaffee mitgenommen.

Endlich meldete uns Glenda Perkins Brendas Ankunft. Wenig später erhoben wir uns, um Brenda Tradlin zu begrüßen. Sie hatte das sichere Auftreten einer Karrierefrau, war etwa vierzig, war bekleidet mit einem grauen Tweedkostüm, zu dem der rote Pullover einen Farbkontrast bildete.

Das blonde, wellige, halblang geschnittene Haar umgab ihr Gesicht. Sie trug eine Brille mit ebenfalls rotem Gestell und hatte die Lippen blass geschminkt. Hinter den Brillengläsern schauten uns hellwache Augen an. Dass sie nervös war, konnte sie nicht verhehlen, denn sie spielte permanent mit dem Bügel ihrer Handtasche.