John Sinclair Sonder-Edition 149 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 149 E-Book

Jason Dark

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Legenden, Sagen, Märchen und sogar eine Oper gab es über sie. Viele träumten von ihrer Schönheit und ihrem Reich unter Wasser. Zu Gesicht bekommen hatten Undine aber nur die allerwenigsten Menschen. Undine - Dieser Name bedeutete Sehnsucht und Liebeserklärung zugleich.
Doch Menschen sind gierig. Sie wollen alles, und sie wollen alles nur für sich: Undine wurde unbarmherzig gejagt. Mein Freund Bill Conolly nahm die Spur dieser Jäger auf, und in Irland konnten wir die Freunde des Wassers, wie sie sich nannten, schließlich stellen. Da aber waren die Jäger bereits eingedrungen in das Reich der Undine, und sie hatten auch getötet. Drei Kräfte nahmen nun den Kampf auf: Die Natur, Undine und wir ...


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 191

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Undines Rache

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Undines Rache

von Jason Dark

Legenden, Sagen, Märchen und sogar eine Oper gab es über sie. Viele träumten von ihrer Schönheit und ihrem Reich unter Wasser. Zu Gesicht bekommen hatten Undine aber nur die allerwenigsten Menschen. Undine – Dieser Name bedeutete Sehnsucht und Liebeserklärung zugleich.

Doch Menschen sind gierig. Sie wollen alles, und sie wollen alles nur für sich: Undine wurde unbarmherzig gejagt. Mein Freund Bill Conolly nahm die Spur dieser Jäger auf, und in Irland konnten wir die Freunde des Wassers, wie sie sich nannten, schließlich stellen. Da aber waren die Jäger bereits eingedrungen in das Reich der Undine, und sie hatten auch getötet. Drei Kräfte nahmen nun den Kampf auf: Die Natur, Undine und wir ...

»Runter mit dem Kopf!«, schrie Bill Conolly, und er hatte mir die Warnung wirklich im allerletzten Augenblick gegeben. So flach lag ich jetzt, dass ich spürte, wie die harten Planken des Schlauchboots meine Rippen malträtierten, als das Boot, wie von einem Katapult geschleudert, plötzlich voranschoss.

Ich blickte zum Bug, der buchstäblich abhob. Wasser schoss über die wulstige Bordwand und klatschte mir mitten ins Gesicht. Bills Warnung aber hatte weniger mit dem Wasser zu tun gehabt als mit den tiefhängenden Zweigen der Bäume, die wie starre, starke Arme nach uns und dem Boot griffen, das von dem schäumenden, gurgelnden und schmatzenden Wasserlauf, mitgerissen wurde. Gegen diese Kraft waren Mensch und Maschine machtlos, und wir waren gezwungen, uns den Fluten zu ergeben.

Abenteurer-Urlauber mochten so etwas vielleicht zu schätzen wissen. Doch ich hätte mich an diesem kalten Vorfrühlingstag lieber in einem warmen Bett wiedergefunden, als, tief im Herzen der Republik Irland, durch einen engen Wasserkanal zu rasen.

Nach einer gewissen Zeit – ich lag noch immer –, drehte ich zum ersten Mal den Kopf. Die Zweige und Äste bildeten zusammen mit dem nicht eben blauen Himmel einen einzigen, vorbeihuschenden Mischmasch, nur ab und zu unterbrochen von einigen hellen Flecken, deren Bedeutung ich mir aussuchen konnte.

Ich zog die Beine an. Dabei stießen meine Knie gegen das Gepäck, das gut vertäut mit uns auf die Reise gegangen war. Dann sah ich meinen Freund Bill. Er hockte am Heck. Ebenfalls in nasser Kleidung, doch auf seinem Gesicht lag ein beinahe impertinentes Grinsen. Wahrscheinlich freute er sich über meinen Ärger. Jetzt winkte er mir sogar zu und rief gegen das Tosen des Wassers an. »Macht doch Spaß, nicht?«

»Soll ich lachen?«

»Ich hatte dich gewarnt. Der Trip wird keine Spazierfahrt. Das hatte man mir vorher schon gesagt.«

»Wie schön. Manche Menschen lügen ja auch.«

»Nicht meine Bekannte.«

»Schöne Bekannte hast du«, beschwerte ich mich, wollte noch etwas hinzufügen, aber das Boot sackte plötzlich nach unten weg wie ein schwerer Stein.

Im nächsten Augenblick bekam ich es knüppeldick. Eine Woge brach über das Boot herein. Ich hatte meinen Kopf zufällig gedreht und glaubte, in eine gebogene Glaswand zu schauen, bis mich die Gischt mit einem gewaltigen Schwall überflutete. Sie riss mir die nur locker aufgesetzte Kapuze vom Kopf. Im Nu waren die Haare klatschnass.

Das Boot hatte sich wieder gefangen, Bill ebenfalls, er lachte. Und ich war jetzt noch wütender.

Im Hochsommer hätte ich mich über die Abkühlung gefreut, nicht aber zu dieser Jahreszeit, wo der Winter nicht wusste, ob er nun bleiben oder sich verabschieden sollte.

Wieder beschleunigte das Boot, machte beinahe einen Satz nach vorn. Die Wassermassen umgurgelten und umschäumten uns. Es hörte sich an, als wären unzählige Dämonen dabei, ihr unseliges Leben mit letzten, rasselnden Atemzügen auszuhauchen.

Wir kippten nicht mehr, wir blieben auf einer relativ glatten Fläche, das Wasser wirbelte auch nicht mehr so schnell. Es floss ruhiger, nur traute ich dem Frieden noch nicht. »Jetzt fehlt nur noch ein Wasserfall, und das Abenteuer ist perfekt.«

»Den haben wir hinter uns«, lachte Bill.

»Wieso?«

»Wir kippten hinein. Wie auf einer Wildwasserbahn in einem Freizeitpark.«

»Wie schön. Wo ist der Ausgang?«

»Schau dich um, John. Du hast die freie Auswahl.«

Ich warf Bill, als ich mich aufrichtete, einen meiner messerscharfen und tödlichen Blicke zu. In den folgenden Sekunden blickte ich mich um und musste eingestehen, dass mein Freund recht behalten hatte.

Welch eine Landschaft! Ich atmete tief durch, als ich auf die Flussmündung schaute. Dunkelgrün schimmerte das Wasser im Sonnenlicht.

Ein See, nicht zu groß, auch nicht zu klein. Ufer, die dicht bewachsen waren. Das war schon ein kleines Paradies am Wasser und schien noch nicht von allzu vielen Menschen entdeckt worden zu sein.

Der See breitete sich wie ein großes Auge aus. Im Hintergrund erhoben sich die Berge, über denen ein rauchfarbener Himmel lag, von zarten Wolkenschleiern durchzogen. All dies machte das Bild nur umso perfekter.»Na, was sagst du?«

Ich schaute zur Seite. Bill hatte es sich bequem gemacht. Noch brauchte er den Außenborder nicht anzustellen, die Strömung reichte aus, um uns auf den See zu schieben.

»Toll, wie im Paradies.«

»Das ist es auch.«

»Ja.« Ich lachte, und das klang nicht gut. »Nur kann ich mir nicht vorstellen, dass du ausgerechnet mich in ein Paradies geführt hast, nicht du, mein Freund.«

»Stimmt auffallend. Du hast ja die Fotos gesehen.«

»Sie können auch lügen.«

»Glaube ich nicht.«

Ich holte ein Tuch aus meiner Jeanstasche und wischte mir die Nässe aus dem Gesicht. Anschließend konnte ich das Tuch auswringen, so nass war es geworden.

Wir glitten noch immer über das Wasser hinweg, das sich in eine ruhige Fläche verwandelt hatte. Dicht unter der Oberfläche schwammen Algen, vermischt mit Wassermoos und Laub.

Aus südlicher Richtung blitzten einige Sonnenstrahlen auf und verfingen sich auf der Oberfläche. Wo sie das Wasser trafen, sah es aus wie mit Gold gepudert.

»Wo liegt das Hotel?«, fragte ich.

»Du kannst es nicht sehen. Ziemlich tief im Wald. Aber wir werden noch unseren Spaß bekommen«, erklärte Bill. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. Seine Augen zeigten eine für ihn ungewöhnliche Härte, die Bilder hatten ihn geschockt.

Wir wussten nicht viel. In dieser einsamen Gegend war etwas passiert, das es eigentlich nicht geben durfte, das einer Weltsensation gleichkam, vorausgesetzt, man wusste nichts von der Existenz des Landes Aibon. Und wer war darüber schon informiert?

Bill und ich gehörten zu dieser kleinen Elite. Wenn alles stimmte, was wir uns ausmalten, dann konnten wir hier den Beweis dafür finden, dass Legenden und Märchen oftmals der Wahrheit entsprachen.

Unser Boot glitt noch immer dahin. Nur wesentlich langsamer, höchstens im Schritttempo. Ich nickte Bill zu. »Wenn dieses Hotel im Wald und in der Nähe des Sees liegt, dann hätten wir auch mit dem Wagen hinfahren können.«

»Hätten wir.«

»Und warum haben wir es dann nicht getan?«

»Sagte ich es dir nicht bereits?«

»Kann sein.«

»Noch mal, John. Es ist ausgebucht.«

»Wie schön für den Besitzer. Ausgerechnet um diese nicht gerade warme Jahreszeit.«

»Man will eben unter sich sein.«

»Wer denn?«

»Die Freunde des Wassers. So nennen sie sich schließlich. Die Vollkommenen möchten sie gerne werden. Eins sein mit der Natur, und dafür nehmen sie gewisse Dinge in Kauf.«

Genau das war der Punkt oder das Problem. Über die gewissen Dinge wollten wir mehr erfahren. Bisher hatten sich nur Gerüchte ausgebreitet, was die Ernährung dieser Naturfreunde anging, und diese Gerüchte hatten mich nicht eben froh werden lassen. Bill Conolly erging es nicht anders. Auf die erste Begegnung mit den Freunden des Wassers war ich wirklich gespannt.

Noch war alles so, wie man es sich vorstellt. Postkarten-Idylle, die wundersame Einsamkeit, wo die Seele des Menschen einfach ungestört durchhängen konnte.

Auch ich hatte die rasende Fahrt den Strom und den Wasserfall hinunter beinahe schon vergessen und gönnte meinen Augen den Genuss der wunderschönen Landschaft, die einfach unberührt aussah, sodass ein Vergleich mit dem Paradies wirklich nicht abwegig war. Wenn Bill jetzt den Außenborder anwarf, würde das sehr stören, dachte ich.

Er tat es nicht. Stattdessen löste er zwei Paddel aus der Vertäuung, ein Pfiff durch die Zähne erregte meine Aufmerksamkeit, und als ich mich drehte, drückte er mir ein Paddel in die Hand. »Recht so, John?«

»Sehr sogar.«

»Dann leg mal den Riemen auf die Orgel. Wenn du ins Schwitzen gerätst, trocknest du schneller.«

»Danke für den Rat. Ich frage mich nur, wohin wir paddeln sollen.« Ich bewegte meinen Arm im Halbkreis. »Der See ist ziemlich groß. Wir können es uns aussuchen.«

Bill Conolly deutete mit dem Daumen nach steuerbord. »Wir paddeln nach rechts, falls dir dieser Begriff geläufiger ist.«

Ich verzog die Mundwinkel. »Der entgegengesetzte gefällt mir ehrlich gesagt besser.«

»Das kannst du halten, wie du willst. Wir müssen jedenfalls in diese Richtung.«

»Okay, du bist der Chef.«

Bill seufzte. »Wenn das meine Frau doch auch mal sagen würde, wäre ich richtig happy.«

»Ich kann es ihr mal vorschlagen.«

»Leider wird sie auf dich nicht hören.«

Unsere lockere Unterhaltung schlief ein, denn wir konzentrierten uns auf das Paddeln, und wir bewegten uns dabei wirklich nicht langsam, sondern zogen die Paddel kräftig durch, sodass das Ufer rasch näher rückte.

Hatte ich es beim ersten Hinsehen nur als grüngraue Wand eingestuft, so schälten sich jetzt Einzelheiten hervor. Die Bäume wuchsen bis an das Wasser heran, umgeben von dichtem Gestrüpp, Schilf und auch Gras. Eine Chance, dort an Land zu gehen, entdeckte ich nicht. Und auch das seltsame Hotel, von dem Bill gesprochen hatte, war nicht zu sehen. Kein Dach schimmerte durch das Grün der Bäume.

Durch meine Arbeit hatte ich im Laufe der Zeit einen Sinn für Gefahren entwickelt. Bei dieser Fahrt versuchte ich, diesen Sinn zu testen und mich zu konzentrieren. Manchmal ist eine Gefahr zu ahnen, zu spüren. Sie weht dann heran, kitzelt die Sinne. In diesem Fall blieb ich davon unberührt.

Aber nur davon!

Etwas anderes umgab mich. Zuerst wusste ich nicht, wie ich es beschreiben sollte. War es ein Zauber, ein Flair?

Ich tauchte immer wieder mein Paddel ein, lauschte dem leisen Klatschen. Tropfen wirbelten hoch. Sie funkelten im Sonnenlicht wie Glas. In der Ferne lag ein leichter Dunst über dem Wasser, als würde sich in ihm eine geheimnisvolle Insel verstecken. Ansonsten bildete das Sonnenlicht ein helles Dach, es blendete mich. An manchen Stellen schimmerte das Wasser des Sees sehr hell, an anderen wiederum war es tiefgrün und geheimnisvoll.

Ein Gewässer, das vielleicht Rätsel in seiner Tiefe hütete. Es passte in diese märchenhaft und unberührt wirkende Landschaft, die einfach vergessen schien.

Sie passte auch zu dem, was wir vorhatten. Denn sollte sich unser Verdacht erhärten, gab es hier in dieser märchenhaften Gegend eine Verbindung zu einem ebenso märchenhaften Land – Aibon nämlich.

Das Wasser kräuselte sich an der Oberfläche nur leicht. Es wehte kaum Wind. Die Luft spannte sich wie ein weicher Bogen, und es wurde wärmer. Hier kam der Frühling schon ziemlich früh, die Sonne meinte es gut, die Luft roch frisch, und unser Boot schien über dem Wasser zu schweben.

Eine Fahrt ins Paradies. Ich lächelte, als ich daran dachte, und das Lächeln verging mir, als mir klar wurde, wie leicht so ein Paradies auch zur Hölle werden konnte.

Im Bereich des Ufers nahm das Wasser eine dunklere Tönung an. Hier hatten sich Moos, Algen und Tang zu dunklen Schleiern vermischt, die an unserem Boot vorbeitrieben. Und als ich auf die Oberfläche des Paddels schaute, hatte das Holz einen grünen Schimmer bekommen.

Mächtige Bäume gerieten in mein Blickfeld. Sie waren alt, und auch hier galten die Gesetze des Stärkeren. Wer es von den Bäumen nicht geschafft hatte, sich auszubreiten, wurde unterdrückt, bekam nicht mehr genug Licht und starb irgendwann ab. Manche waren zusammengebrochen oder lagen quer.

Wir tauchten die Blätter nur ab und zu ein, ansonsten kümmerten wir uns mehr um einen Anlegeplatz. Irgendwann musste sich doch mal eine Lücke auftun.

Ich schaute auf die treibenden Blätter, die kleinen Zweige und Äste, während ich Bill fragte: »Hattest du nicht etwas von einem Steg gesagt, mein Lieber?«

»Das hatte ich.«

»Wo finden wir den?«

»Kann ich dir nicht sagen.«

»Dann müssen wir weiterpaddeln und suchen.«

»Das kräftigt die Muskeln.«

»Da hast du es doch nötiger als ich.«

»Mach weiter, Sklave!«

In dieser Umgebung, wo fast alles gleich aussah, war es natürlich schwer, sich eine Stelle zu merken. Der Steg brauchte auch nicht weit in den See hineinzuragen. Er konnte durchaus versteckt liegen. Die Typen, die hier etwas vorhatten, waren nicht darauf erpicht, sich unbedingt irgendwelchen Zeugen zu zeigen.

Etwas wischte zitternd vor dem Bug entlang. Es sah aus wie ein Aal, ich sah es leider ziemlich spät, schaute noch einmal hin und glaubte, dass sich an der Vorderseite etwas auseinandergefächert hatte, um dann in der Tiefe zu verschwinden.

Wie Haare, dachte ich.

Haare? Aber Fische haben keine Haare. Wobei ich bei dem Begriff Fisch wieder ins Grübeln kam, aber nicht näher darüber nachdenken wollte, die Praxis sollte uns mehr bringen.

Ich schaute dem Unterwassertier nach, entdeckte aber leider nicht mehr einen Schattenriss.

Es war verschwunden.

Rechts von uns bildete der Wald ein undurchdringliches Etwas. Etwas ragte ins Wasser hinein. Es sah aus wie das Ende einer verfaulten Kiste. Für einen Baumstamm war es zu eckig. Es musste der Steg sein.

Ich drehte mich um, wollte etwas sagen, doch Bill Conolly kam mir zuvor. Er hatte bereits den Arm gehoben. »Schon gesehen. Wir können gleich anlegen.«

Das brachten wir schnell hinter uns. Der auf Pfählen ruhende Steg war so hoch, dass wir das Schlauchboot darunter schieben konnten und es vertäuten.

Wir ließen unsere Ausrüstung erst mal an Bord. Auf dem weichen Holz des Stegs standen wir uns gegenüber und schauten uns an. Bill grinste leicht. Dann sagte er: »Okay, wir sind hier.«

»Willkommen in der Freiheit!«

»Nicht im Paradies?«

Mein Freund schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er und strich sein braunes Haar zurück. »Ich denke nicht. Das Paradies ist anders.«

»Vermisst du die Äpfel?«

»Nicht mal.« Bill drehte sich um. Er wurde plötzlich ernst. Er sah aus wie jemand, der fror. Ich ließ ihn in Ruhe, denn ich kannte den Reporter. Wenn etwas war, würde er schon mit der Sprache herausrücken, und ich täuschte mich nicht. »Dir ist bei unserer Fahrt nichts aufgefallen, denke ich.«

Ich hob die Schultern. »Was sollte mir aufgefallen sein, abgesehen von einem großen Fisch, den ich als solchen aber gar nicht akzeptieren möchte?«

»Ja, schon gut. Ich denke da an etwas anderes.«

»Sag schon.«

Bill räusperte sich, verengte die Augen etwas und schaute auf den Waldrand. Er war doch kahler, als er aus der Entfernung ausgesehen hatte. Es lag daran, dass die Bäume kaum Blätter hatten, die würden sich erst in einigen Wochen entfalten, doch Knospen und gewisse Blüten in einem hellen, saftigen Grün hatten sich bereits entfaltet. »Ich werde einfach den Eindruck nicht los, John, dass man uns beobachtet hat.«

»Wer und von wo?«

»Aus dem Wald heraus.«

»Menschen?«

»Ja.«

»Woran hast du sie erkannt?«

»Erkannt habe ich sie gar nicht.« Bill lachte über sich selbst. »Ich weiß, es ist eine saudumme Antwort, aber ich sah hin und wieder etwas aufblitzen, als wäre der Strahl der Sonne auf einen hellen Gegenstand gefallen, auf ein Stück Glas, das durchaus die Optik eines Feldstechers hätte sein können.«

»So ist das ...«

»Ja. Ich habe es nicht nur einmal festgestellt. In gewissen Rhythmen tauchte es immer wieder auf, und es hat mir wirklich nicht gefallen, glaub es mir.«

»Man weiß also Bescheid.«

Er nickte.

»Wer?«

Bill drehte sich zu mir um. »Das ist nicht schwer zu erraten. Ich denke an die Gäste des Hotels.« Er deutete auf den Wald. »Es muss hier in der Nähe sein.«

»Wir werden es uns ansehen.«

»Warte noch«, sagte er, als er sah, dass ich mich in Bewegung setzen wollte. »Weißt du eigentlich, wo wir uns befinden?«

»Erstens auf einem Steg, zweitens am Wasser und drittens in Irland«, erwiderte ich. »Und das alles relativ weit im Süden.«

»Stimmt.«

»Aber du bist nicht zufrieden, das sehe ich deinem Gesicht an.«

»Bin ich auch nicht. Mein Informant, ein Natur-Reporter und Naturbursche, hatte für dieses Gebiet einen anderen Namen.«

»Nämlich?«

»Undines Reich!«

Bill hatte sehr langsam gesprochen, auch leise, als hätte er Angst davor, von jemand anders außer mir gehört zu werden.

»Undines«, murmelte ich. »Das klingt sehr interessant.«

»Sagt dir das was, John?«

»Ist eine komisch-romantische Oper von Albert Lortzing.«

»Und weiter?«

»Undinen sind Wassergeister. Zusammen mit den Salamandern, Gnomen und Sylphen – wobei die erste Art für Feuer, die zweite für Erde und die dritte für Luft steht –‍, bilden sie die Gruppe der vier Elementargeister.«

Bill nickte anerkennend. »Du hast deine Hausaufgaben gemacht, Geisterjäger.«

»Scheint so. Was hat das mit uns zu tun?«

»Ich denke, wir sollten uns auf die Undinen konzentrieren. Möglicherweise sogar auf die Undine.«

»Den Wassergeist.«

»Sicher.«

»In dieser Welt?«

»Ich denke schon. Es gibt ja immer wieder Löcher, durch die sie schlüpfen können.«

Bill hatte einen sehr profanen Begriff für ein Dimensionstor gewählt. Im Prinzip hatte er natürlich recht. Es gab Lücken oder Überlappungszonen, wo Aibon und die normale Welt sich trafen. Manchmal bekamen diese Zonen Risse, und so konnte es dann zu einem Aufeinandertreffen verschiedener Welten kommen.

Ich nickte. »Natürlich. Wenn ich mich hier umschaue, dann erinnerte mich einiges an Aibon. Ich habe den Eindruck, als hätte man hier ein Stück vom Paradies der Druiden vergessen.«

»Dafür muss es einen Grund geben.« Bill hatte den Satz mehr als Frage gestellt.

»Ich kenne ihn nicht.«

»Jedenfalls brodelt es hier unter der Oberfläche«, sagte der Reporter. »Auch der Kollege hat dies gespürt. Und als er dieses sensationelle Foto schoss, war ihm klar, dass er mit mir reden muss. Wir müssen die Stelle finden, und sie liegt nicht mal weit vom Anlegesteg entfernt. Da sind die Fallen aufgebaut worden.«

»Dann los!«

Sehr bald schon sahen wir, dass in den Wald von Menschenhand eine Schneise hineingeschlagen worden war, um Platz zu schaffen. Platz für einen Weg, der sich in der Tiefe des Waldes verlor.

Wir konnten uns relativ gut bewegen. Über uns lag das Dach aus Ästen und Zweigen wie ein dunkler Himmel, in den nur hin und wieder Lücken hineingerissen worden waren, um dem Licht der Sonne freien Lauf zu lassen.

Um uns herum war es still.

In dieser Zeit summten nicht mal Mücken, und es gab auch keine Vögel, die mit hellem Singen oder schrillem Geschrei das Dämmerlicht des Waldes erfüllt hätten.

Bill war stehengeblieben. Ich sah ihm an, dass er sich nicht wohl fühlte. »Wir kommen einfach zu weit vom Ufer weg«, sagte er. »Und das gefällt mir nicht. Ich will die Falle sehen.«

»Dann müssen wir in Ufernähe bleiben.«

Wir gingen wieder zurück. Es war schwer, die unmittelbare Nähe des Ufers abzusuchen. Zwar wuchs hier kein hoher Schilfgürtel, aber das Ufer zeigte keine Gleichmäßigkeit. Immer wieder fand das Wasser seinen Weg in schmalen Armen in den Wald hinein, und der Boden in der Nähe wurde feucht und sumpfig.

Etwas fiel uns auf. Jemand hatte an einer gewissen Stelle den Bewuchs gekappt, um freie Bahn zu haben. Wir mussten uns trotzdem ducken. In unserer Nähe klatschten mit leisen Geräuschen die Wellen gegen das Land. Zum Glück war der Bewuchs nicht so dicht, so sahen wir den Draht gerade noch rechtzeitig.

Bill blieb stehen und richtete sich auf. »Verdammt, John, das ist es! Ja, das ist der Käfig.« Er sprach leise. »Wir haben es gefunden.« Mein Freund freute sich wie ein Kind zu Weihnachten. Ich blieb gelassener, weil ich mir denken konnte, dass die Schwierigkeiten jetzt erst beginnen würden.

Wir hatten bisher nur einen Teil dieser Falle gesehen. Vorsichtig schritten wir näher und stellten fest, dass ein regelrechter Korb in den Boden eingelassen worden war. Mit der Öffnung zeigt er zum Wasser hin, dessen auslaufende Wellen in den Korb hineinspülten und eine entsprechende Beute mitbringen konnten.

Der Korb war jetzt geschlossen. Man hätte auch sagen können: Die Falle war zugeschnappt. Und in ihr lag die Beute.

»Schau dir das an, John, schau dir das an!«, flüsterte Bill, als er sich hinhockte und durch das Drahtgitter schaute. »Das ... das gibt es nicht, das ist eine Sensation.«

Der Reporter hatte nicht übertrieben. Wer immer die Falle aufgestellt hatte, hatte Glück gehabt. In dem Korb lag ein Wesen zwischen Fisch und Frau ...

Wir waren nicht geschockt, aber überrascht und betroffen. Gleichzeitig verspürten wir Mitleid mit dieser wunderschönen Gestalt, die sich nicht regte, und von der wir nicht wussten, ob sie noch lebte oder schon tot war, möglicherweise vertrocknet.

Sie war klein, nicht größer als ein Kind, aber wesentlich schlanker. Da erinnerte sie schon an einen Fisch. Ein schmales Gesicht, lange, grünlich schimmernde Haare, winzige Brüste, ein schmaler Oberkörper, der ab der Hüfte abwärts in einen geschmeidigen Fischschwanz überging. Eine kleine Meerjungfrau, die es auch hier in einem irischen See gab, und die nun gefangen war.

Bill schüttelte den Kopf. »Das ist kaum zu fassen, das muss ich fotografieren.«

Ich machte ihm Platz, während er die Kamera aus der Tasche holte und drei Bilder aus verschiedenen Perspektiven schoss. Ich konnte derweil meinen Blick nicht von dieser kleinen Gestalt lösen. Immer wieder schwappte Wasser in den Korb und spülte auch so weit vor, dass es den Körper der Nixe benetzte. Er wurde nass gehalten, und deshalb konnte es sein, dass sie noch lebte.

Als Bill fotografierte, hatte ich mich aufgerichtet. Danach bückte ich mich, um mir das Wesen genauer anzuschauen. Ich war davon überzeugt, dass es aus Aibon gekommen war oder dass sich hier in der Einsamkeit ein Stück Aibon gehalten hatte. So unmöglich war das nicht. In alten Zeiten hatte es stärkere und offenere Verbindungen zwischen der normalen Welt und Aibon gegeben. Nicht alles auf unserem Planeten war schon erforscht worden. So gab es auch heute in den dichten Regenwäldern Asiens und Südamerikas noch Orte, die nie vom Fuß eines Weißen betreten worden waren, und wo die Einheimischen noch wie vor Tausenden von Jahren lebten.

Nur war es für uns schwer begreiflich, so etwas in Irland zu finden, einem sogenannten zivilisierten Land.

Bill hatte sich ebenfalls hingehockt. Er strich über seine Wangen. Selbst ich hörte das Kratzen der Stoppeln. »Was machen wir denn jetzt? Holen wir sie raus?«

»Wäre am besten.«

»Und dann geben wir sie wieder ihrem Element zurück und warten darauf, dass jemand erscheint, um die Beute abzuholen.«

»Das habe ich mir auch so vorgestellt.«

Bill lächelte schmal. »Wobei ich von dir noch gern gewusst hätte, was man mit einer Nixe wie dieser anfangen kann? Hast du da vielleicht eine Idee?«

Ich hob die Schultern. »Eher nicht. Ich glaube kaum, dass sie in einem Zoo ausgestellt werden könnte.«

»Eben. Was dann?«

»Darüber zerbreche ich mir jetzt nicht den Kopf. Das ist Theorie, wir sollten schon bei der Praxis bleiben und die Falle öffnen.«

»Zuerst möchte ich sie anfassen.«

»Bitte.«

Die Meerjungfrau lag relativ günstig. Ziemlich dicht an unserer Seite. Bill schob einen Finger durch das Gitter und machte ihn so lang, dass er mit der Kuppe über die Hüfte der Gefangenen hinwegstreichen konnte. Er drückte leicht in das Fleisch hinein und flüsterte: »Es fühlt sich an wie Samt.«

»Eine Undine.«

»Aber nicht die Undine.«

»Wie meinst du das?«