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Sie war perfekt und genau die Frau, von der jeder Mann träumte. Es gab nichts an ihr auszusetzen - bloß, sie war nicht echt. Sie war ein Geschöpf des Teufels, und unter ihrer glatten Haut verbarg sich ein wahres Uhrwerk, angetrieben von der dunklen Magie der Hölle.
Schon einmal hatte der Teufel ein solches Kunstgeschöpf erschaffen. Das war Cigam, der in Altea eine Schwester bekommen hatte. Gemeinsam gingen die beiden nun nach Prag. Ihr perfider Plan: Die Stadt des Golem zu einer Hochburg des Satans zu machen ...
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Seitenzahl: 189
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Cigams Sündenfall
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Cigams Sündenfall
von Jason Dark
Sie war perfekt und genau die Frau, von der jeder Mann träumte. Es gab nichts an ihr auszusetzen – bloß, sie war nicht echt. Sie war ein Geschöpf des Teufels, und unter ihrer glatten Haut verbarg sich ein wahres Uhrwerk, angetrieben von der dunklen Magie der Hölle.
Schon einmal hatte der Teufel ein solches Kunstgeschöpf erschaffen. Das war Cigam, der in Altea eine Schwester bekommen hatte. Gemeinsam gingen die beiden nun nach Prag. Ihr perfider Plan: Die Stadt des Golem zu einer Hochburg des Satans zu machen ...
Die Frau stand vor der Tür und schaute sich um!
Es war ihr nicht anzusehen, ob ihr diese auf elegant und vornehm getrimmte Bar gefiel. In ihrem glatten, von keinem Fältchen getrübten Gesicht rührte sich nichts. Nicht mal die Lippen zuckten. Die Augenbrauen wirkten wie gemalt, und ihre Nase sah aus, als wäre sie künstlich geschaffen worden. In den Höhlen lagen sehr dunkle Augen mit farblosen Pupillen. Das lange, rötlichschwarze Lockenhaar umschmeichelte ihr Gesicht, doch auch diese Flut schaffte es nicht, ihr einen weichen Ausdruck zu verleihen. Das Gesicht blieb kalt, glatt und eben völlig emotionslos.
Die Frau tat nichts, sie schaute nur. Der Betrieb hielt sich in Grenzen. Pärchen hockten in den weichen Sesseln, wobei wohl keines der Paare miteinander verheiratet war. Die Mädchen waren allesamt jung und sahen toll aus. Sie wirkten keineswegs ordinär, sondern machten die männlichen Gäste auf eine Art und Weise an, dass diese sich durchaus wie gute Freunde fühlen konnten.
Und Freunde zahlen für Freunde gern.
Da die Frau im Schatten stand, wurde sie zunächst nicht gesehen. Für sie war das wichtig. Sie musste sich einen Eindruck verschaffen, bevor sie ihre eigentliche Aufgabe in Angriff nehmen wollte.
Sie trug ein dunkles Kleid, das sehr eng geschnitten war. Der tiefblaue Stoff glänzte seidig, er hob sich von dem nicht geschlossenen hellen Mantel kontrastreich ab. Der Ausschnitt des Kleides war rund, normal, die Frau zeigte keinen Körper und auch nicht viel Bein, denn der Saum umspielte die Knie der perfekt gewachsenen Beine. Gerade weil sie so dezent angezogen war, strömte ihr Körper einen unwiderstehlichen Sex aus.
Besonders war das zu erkennen, wenn sie ging. Dann geriet auch der Stoff des Kleides in Bewegung und strich über die Haut wie eine Liebkosung. Es war nun schwer vorstellbar, dass diese Person unter dem Kleid noch etwas trug.
Sie hatte lange genug an der Tür gestanden, um sich den Weg zur Theke genau einprägen zu können. Die Drei-Mann-Combo hatte eine Pause eingelegt. Aus den Lautsprechern drang zwar leise Musik, aber niemand bewegte sich auf der Tanzfläche, die von unten her in zahlreichen Farben beleuchtet wurde und aussah wie ein bunter Kreisel, dessen Farben bei jeder Drehung wechselten.
Sie schritt auf die Tanzfläche, um sie zu überqueren und sich anschließend an der Theke niederzulassen.
Nach vier Schritten, den Rand der Tanzfläche hatte sie noch nicht erreicht, wurde sie zum ersten Mal richtig wahrgenommen. Ihr Auftreten glich tatsächlich dem einer Diva oder eines großen Filmstars, denn plötzlich überkam die Gäste das große Aha- und Oho-Erlebnis. Besonders die Männer saßen plötzlich still auf ihren Plätzen und vergaßen ihre Begleiterinnen.
Sie alle gehörten quasi zu den Stammgästen, aber einen derartigen Auftritt hatten sie noch nie erlebt. Jede Bewegung sprühte vor knisternder Erotik. Einigen Gästen standen die Münder offen, andere schwitzten leicht, und jeder gierte danach, diese Superfrau in die Arme schließen zu können.
Ein dicker Mann im weißen Dinnerjacket winkte eines der Serviermädchen heran. Die Kleine trug Stöckelschuhe, eine kurze, schwarze Flatterhose und ein weißes Seidenshirt. Ein rotes Herz war darauf abgebildet.
»Ja, Sir ...«
Der fette Knabe neigte sich zur Seite. Er legte seine Hand vor den Mund, damit die Worte nur von der Bedienung verstanden werden konnten. »Sag mal, Süße, wer ist das?«
»Sir, ich habe keine Ahnung.«
»Erzähl doch nichts! Hat der Chef die eingestellt, um sie uns als Überraschung zu präsentieren?«
»Nein, Sir, die ist neu. Ich sehe sie heute auch zum ersten Mal, das müssen Sie mir glauben.«
Der Mann winkte beinahe wütend ab, und das Serviermädchen zog sich wieder zurück.
Der Dicke war noch nicht zufrieden. Er wandte sich an seine Gespielin, deren Haar wie Silber glänzte. Auch sie musste passen, niemand hatte die Frau bisher in der Bar gesehen.
Das störte die Unbekannte wenig. Es machte ihr überhaupt nichts aus, dass sie angestarrt wurde. Auch weiterhin ging sie ihren Weg und hatte die Tanzfläche längst erreicht.
Unter ihr drehte sich das Licht. Bei jeder Umdrehung wurden die Farben neu gemischt, und sie trafen auch die über ihnen stehende Gestalt, sodass sie immer wieder anders »inszeniert« wurde, mal dunkelbunt, mal heller. Die Farbmuster glitten lautlos an ihrem Körper hoch, um ihn nachzuzeichnen.
Sie schien sich jedes Mal in ein anderes Wesen zu verwandeln. Die Gäste hatten Vorstellungen von Schlangen oder Spinnenfrauen, aber niemand sprach darüber. Alle spürten sie das Besondere dieser Person, die ihnen wie ein Wesen aus einer anderen Welt vorkam.
Die Unbekannte schaute weder nach rechts noch nach links. Sie ging nur ihren Weg und steuerte dann zielsicher die Bar an. Dahinter stand Fernando Diaz, der Chef, ein heißblütiger und glutäugiger Spanier, der als Weiberheld ebenso bekannt war wie für seine immerwährende Bräune, die ihn aussehen ließ, als würde er jeden Tag mindestens zwei Stunden in der Sonne liegen. Das tat Diaz aber natürlich nicht, er benutzte vielmehr ein Solarium und die entsprechenden Cremes.
Er war der Chef der drei Barmädchen, aber die hatte er in diesem Augenblick vergessen. Er konnte nur die fremde Frau ansehen, die zu ihm kommen würde, und der schmale Bart auf seiner Oberlippe bewegte sich wie ein zuckender Finger, ein Zeichen dafür, dass er nervös war. Zweimal strich er mit der rechten Handfläche über das schwarz gefärbte Haar, bei dem die grauen Strähnen dennoch immer wieder durchkamen, und unter den Achselhöhlen bildete sich Schweiß. Sein Deo musste jetzt zeigen, ob es den Versprechungen der Werbung gerecht werden würde.
Diaz hatte seine Hände flach auf die polierte Theke gelegt. So konnte er wenigstens ein Zittern vermeiden. Diese Frau brauchte keine Barbeleuchtung, um top auszusehen, sie war einfach heiß.
Sie hatte sich einen Hocker direkt vor Diaz ausgesucht und war der einzige Gast an der halbkreisförmigen Theke.
Bei jedem anderen Gast hätte Diaz längst sein bekanntes Verführerlächeln gezeigt, hier aber verspürte er eine noch nie erlebte Hemmung. Er wusste, diese Frau würde nicht auf sein Lächeln hereinfallen, und hielt sich lieber zurück.
Sie nickte ihm zu.
Er dachte über dieses Nicken nach. So nickte eigentlich nur eine Königin, und ihm fiel der Begriff ›huldvoll‹ ein. Ja, so hatte sie ihn gegrüßt. Irre, aber wahr.
»Was kann ich für Sie tun?« Verdammt, er schimpfte sich innerlich selbst aus, weil er seine eigene Stimme nicht mehr erkannte.
»Die Karte.«
»Sehr wohl.« Diaz griff nach unten, wo die Getränkekarte lag, und reichte das kleine, in Leder gebundene Büchlein herüber.
Sie bedankte sich mit einem Nicken, schlug eine Seite auf, schaute aber kaum hin und bestellte einen Wodka. »Aber einen Doppelten, bitte«, fügte sie hinzu.
»Natürlich, gern.« Diaz holte die Flasche hervor. Er war routiniert, in diesem Augenblick jedoch kam er sich vor wie ein Lehrjunge, denn als er den Wodka in das Glas rinnen ließ, zitterte seine Hand, und das Glas lief über.
Er ärgerte sich.
Das Blut stieg in seinen Kopf, aber er konnte nichts dagegen machen. Zum Glück schaffte er es, das Glas halbwegs sicher auf die Theke zu stellen.
Die Frau nickte. Ihre schlanken Finger schoben sich schlangengleich über den Rand der Theke hinweg und umfassten das kleine Glas. Diaz sah, dass die Nägel in einem sanften Grün lackiert waren, aber nur am kleinen Finger. Bei den anderen Nägeln verstärkte sich die Farbe, und sie endete mit einem satten Grün auf dem Daumennagel.
Die Frau hob das Glas an, sie probierte erst, dann leerte sie es mit dem zweiten Schluck. Spätestens jetzt hätte Fernando Diaz jede andere Frau angesprochen, hier traute er sich nicht und schaute stattdessen zu, wie sie das Glas absetzte.
Die Unbekannte hob den Kopf und starrte Diaz an. Dieser Blick irritierte ihn, weil ihn noch nie jemand so angesehen hatte. Er konnte diesen Blick nicht beschreiben, er war leer und gleichzeitig prall gefüllt, aber er hätte auf keinen Fall sagen können, welches Gefühl dahintersteckte.
Wahrscheinlich nichts, und plötzlich kam ihm ein Vergleich in den Sinn. Die Augen sahen künstlich aus, als wären sie kleine, halbrunde Metallplättchen, die jemand anstelle der Pupillen auf die Hornhaut gesetzt hatte.
»Gut?« Er kam sich nach dieser Frage selbst blöd vor, aber die Frau hob nur die Schultern.
»Noch einen?«
»Nein!«
Erst jetzt fiel dem Barkeeper die Stimme auf. Auch sie hatte einen künstlichen Klang, wie die eines Roboters. Es war überhaupt keine Modulation zu hören gewesen, und die Unsicherheit des Mannes verstärkte sich immer mehr.
Er versuchte krampfhaft, dem Blick der Person auszuweichen, und schielte mal über die eine, dann über die andere Schulter des weiblichen Gastes hinweg. Dorthin, wo die Gäste saßen und nichts anderes taten, als ihn und die Frau zu beobachten.
Sie redeten auch nicht miteinander. Obwohl noch leise Musik klang, kam es dem Mann so vor, als wäre eine Glocke des Schweigens über die Bar gestülpt worden. So etwas hatte Fernando Diaz noch nicht erlebt, und er schüttelte sich, was ihn erneut ärgerte.
»Du kannst mir einen Gefallen tun!«
Die Stimme der Frau riss ihn aus seinen Gedanken. »Ja bitte, was wünschen Sie?«
Kurzes Überlegen und gleichzeitig ein Abschätzen des Mannes, wobei sich ihre glattrasierten Augenbrauen etwas in die Höhe schoben. »Ich will deinen Chef sprechen.«
Er nickte. »Den ... ähm ... wen wollen Sie sprechen?« Seltsamerweise brachte er es nicht über sich, die Person zu duzen.
»Den Boss!«
»Das geht nicht.« Eine Sekunde später bereute er die Antwort schon, denn die Person schaute ihn an, als wollte sie ihn hypnotisieren. In ihren Augen tanzte ein kaltes Licht, das ihm ein starkes Unbehagen einflößte.
»Warum geht das nicht?«
Jetzt hätte er eigentlich standhaft bleiben müssen. Diaz schaffte es nicht. Er wich aus und meinte: »Ich kann ja mal nachhören, was Sache ist, Lady. Viele Hoffnungen kann ich Ihnen aber nicht machen. Das müssen Sie mir glauben.«
Sie nickte irgendwie gottergeben. »Ja, versuchen Sie es.«
Diaz brauchte sich nur umzudrehen. Er tat es langsam. Bevor er den Hörer abnahm, wollte er sich eine Ausrede zurechtgebastelt haben. Es war unmöglich, den Boss zu stören. Der drehte durch, wenn dies passierte. Dafür kannte ihn Diaz gut genug. Es gab eben gewisse Regeln, an die sich die Angestellten halten mussten.
Die Unbekannte konnte nicht sehen, wie er den Hörer abnahm. Er tippte drei Tastenfelder und tat wenig später so, als würde er mit jemandem sprechen. Er gab sich zehn Sekunden, die ihm verflixt lange vorkamen. Danach drehte er sich aufseufzend um und hob gleichzeitig bedauernd die Schultern.
»Nichts?«, fragte die Frau mit ihrer kalten Stimme.
»So ist es.«
Sie leckte kurz über ihre Lippen. Diaz sah die Zunge. Sie schimmerte wie feuchtes, graues Metall. »Ich wollte auch nicht mit diesem Frank Rawlins reden, sondern ...«
»Moment, er ist der Chef!«
»Für Sie vielleicht. Für mich ist er nur eine Marionette. Es gibt da noch einen anderen.«
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
»Lügen Sie nicht!«, zischte die Frau. »Es gibt jemand. Und ich kenne auch seinen Namen.«
»Tatsächlich?«
»Costello. Logan Costello, Mister.«
Fernando Diaz hatte in den letzten Sekunden einen großen Teil seiner Sicherheit wiedergefunden. Das änderte sich nach den Worten radikal. Nicht dass er Furcht gehabt hätte, aber den Namen aus dem Mund dieser Person zu erfahren, glich beinahe einer Gotteslästerung. Costello war so etwas wie ein Gott in der Londoner Unterwelt.
Ein Mafia-Gott zumindest. Er hielt die Fäden in den Händen. Mit seinen Leuten kontrollierte er ein gewaltiges Imperium, das sich nicht allein auf London beschränkte, sondern viel weiter reichte. Der Südwesten der Insel stand unter seiner Kontrolle, und seine Verbindungen erstreckten sich bis ins Ausland. Gerade in letzter Zeit hatten seine Aktivitäten noch einmal zugenommen. Da hatte nicht nur Italien auf dem Plan gestanden, sondern neuerdings auch der Osten. Polen und Russland waren Märkte.
Costellos Macht wuchs, und ausgerechnet diesen Mann wollte die Besucherin sprechen.
»Unmöglich«, flüsterte Diaz, obwohl er eigentlich nichts hatte sagen wollen.
»Was ist unmöglich?«
»Dass Sie ihn sprechen.«
»Sie kennen Costello aber?«
»Ja, sein Name ist mir nicht unbekannt, aber für einen normal Sterblichen ist es unmöglich, an ihn heranzukommen. Ich weiß nicht, welcher Teufel Sie geritten hat, hierherzukommen und mir dies ins Gesicht zu sagen.«
»Teufel ist gut«, murmelte sie.
Diaz ignorierte ihre Antwort. Mit einem blütenweißen Tuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn und beugte sich nach vorn. »Wissen Sie was? Der Wodka geht auf meine Kosten. Rutschen Sie vom Hocker und verschwinden Sie, bitte! Das ist alles, was ich Ihnen noch raten kann.«
Die Frau reagierte kaum. Sie blieb sitzen, hob die Augenbrauen an und fragte dann: »Sie glauben nicht, dass Sie einen Fehler begangen haben, wenn Sie mir das vorschreiben?«
»Das war ein Rat, kein Fehler.«
»Ich denke darüber anders.« Sie schaute ihn kalt an. Diaz fröstelte. Er ahnte, dass etwas auf ihn zukommen würde, aber er wusste nicht, was es war. Etwas stimmte mit dieser Person nicht, und auch deren nächste Frage erschreckte ihn. »Halten Sie mich für normal sterblich?«
Diaz wollte grinsen. Es misslang. Nur mehr die Lippen bewegten sich zuckend. »Wie bitte?«
»Halten Sie mich für normal sterblich?«
»Ja, verdammt! Was sonst?!«
Die Frau nickte und sagte: »Dann geben Sie mal acht, mein Lieber. Schauen Sie genau hin.«
Den Gefallen wollte er ihr noch tun. Er überlegte, mit welchem Trick sie jetzt wieder herausrücken würde, und er sah, wie sie ihren rechten Arm anhob. Daumen und Zeigefinger hielt sie etwas abgespreizt. Mit beiden fasste sie an eine bestimmte Stelle ihrer Stirn. Dicht unter dem Haaransatz, an der rechten Seite.
»Schauen Sie genau hin!«
Diaz schaute hin. Und er hatte das Gefühl, einen perfekten Horror-Film zu erleben. Er tauchte hinein in ein Szenario des Schreckens, denn das, was er jetzt zu sehen bekam, das glich einem irrwitzigen Alptraum.
Die Frau hatte ein Stück Haut zwischen die Finger geklemmt. Sie schob und zog es von ihrem Gesicht weg. Sie schuf eine kleine Lücke, in der das graue Räderwerk einer Mechanik schimmerte ...
»Oh Gott«, sagte der Barkeeper nur, »oh Gott ...«
✰
Genau die gleichen Worte benutzte ich auch, als ich in der großen Duschkabine neben der Frauenleiche stehenblieb und auf sie niederschaute. Suko hielt sich neben mir, die Männer der Mordkommission waren zurückgetreten und hatten sich abgewandt. Die dünnen Plastikhandschuhe über ihren Händen schimmerten wie eine hauchzarte Eisschicht auf rosigem Fleisch.
Die Frau lag auf dem Rücken. Der Raum hier gehörte zu einem städtischen Freibad, doch das interessierte uns nur am Rande. Die Frau war für uns einfach wichtiger.
Sie war tot.
Darauf kam es uns aber – so schlimm dies auch sein mochte – nur in zweiter Linie an. Es ging uns darum, wie sie gestorben war, und nur deshalb hatte man uns geholt.
Sie hatte keine Haut mehr!
Ja, es war so. Man hatte ihr die Haut vom Körper gezogen. Aber hier erlebten wir nicht den Film ›Das Schweigen der Lämmer‹, sondern eine fürchterliche Wirklichkeit, in die wir an diesem herrlichen Frühlingstag brutal hineingestoßen worden waren.
Eine Putzfrau hatte die Tote entdeckt.
Das Bad selbst war an diesem Vormittag geschlossen, erst am Mittag hätte es seine Pforten geöffnet, und nun dies.
Ich atmete und hatte trotzdem den Eindruck, keine Luft zu bekommen und nur den Kloß zu vergrößern, der sich in meinem Innern festgesetzt hatte. In meinem Kopf spürte ich ein dumpfes Gefühl, als hätte mir jemand vor kurzem noch gegen den Schädel geschlagen. Dass meine Beine und auch die Hände zitterten, konnte ich nicht vermeiden, und der Schweiß lief mir in kleinen Bächen in den Nacken. Er war wie kaltes Öl, das sich auf meiner Haut festgesetzt hatte.
Ich möchte mir eine Beschreibung ersparen. Wie die arme Frau aussah, kann sich wohl jeder vorstellen, aber wir waren vom Fach und konnten uns auch nicht einfach wegbeamen. Wir mussten uns der schrecklichen Realität stellen.
Ich regte mich nicht. Suko, der neben mir stand, sagte auch nichts. Ich hörte nur seinen schnaufenden Atem und bemerkte, dass auch er von diesem Anblick stark getroffen worden war. Wir hätten jetzt eigentlich reden müssen, das schafften wir aber nicht. Uns kam einfach kein Wort über die Lippen.
Fliegen umschwirrten die Leiche.
Das einzige Geräusch, das uns störte, denn die Kollegen der Mordkommission verhielten sich ruhig. Selbst ihr Chef, der an der Tür stand. Er war ein Freund von uns und hatte sofort gemeint, dass dies ein Fall für uns wäre.
Der Mann hieß Tanner, stand im Range eines Chiefinspectors und war bekannt dafür, dass er seinen alten Hut nie abnahm. Auch wir hatten ihn nur selten ohne gesehen. Selbst in dieser nach Blut riechenden Duschkabine hatte er ihn aufbehalten.
Er wartete, bis wir uns einen ersten Eindruck gemacht hatten, und ich las ich in seinen Augen etwas, das ich bei ihm nicht kannte – es war die reine Verzweiflung.
Tanner, der Mann, der zahlreiche Berufsjahre auf dem Buckel und schon viel erlebt hatte, war ratlos. Nahezu dumpf starrte er uns an und sah, dass wir die Schultern hoben.
»Gehen wir?«, fragte er.
Ich nickte. Wir mussten die Tote mit Tanners Leuten allein lassen. Eine Aufgabe, um die ich die Kollegen nicht beneidete. Wir wussten noch nicht, wer sie war, nach ihrer Kleidung wurde noch gesucht, aber das würde sich alles später herausstellen.
Der Chiefinspector drehte sich um und öffnete die Tür. »Kommt mit«, sagte er nur.
Wir folgten ihm in den Dusch- und Saunabereich. Es gab keine Fenster, das künstliche Licht kam mir grell und bösartig vor.
Tanner deutete nach vorn. Auch ohne ein Wort zu sagen, wussten wir, wohin er wollte. Man hatte hier Ruhezonen eingerichtet, das heißt, es standen Tische und Stühle an den breiteren Stellen im Gang, wo sie niemand störten. Ein großes Bad ohne Menschen kann komisch wirken. Und diese Leere und auch das Schweigen wollte mir einfach nicht gefallen. Ich schaute zu, wie Tanner sich setzte, den Hut aber nicht abnahm. Er starrte ins Leere und schien nicht wahrzunehmen, dass auch wir die Stühle heranrückten und ihm gegenüber unsere Plätze einnahmen.
»Irgendwie bin ich froh, dass es mich erwischt hat und keinen jungen Kollegen. Der hätte ja den Glauben an diese Welt völlig verloren und womöglich alles hingeschmissen, und ich hätte es ihm nicht mal verdenken können.« Tanner schüttelte den Kopf. »Es ist einfach furchtbar, versteht ihr? Es ist grauenhaft, so etwas sehen zu müssen. Da lobe ich mir einen Mord, der einfach und glatt ist, obwohl sich das zynisch anhören mag. Verdammt noch mal, in welch einer Welt leben wir eigentlich?«
Er hatte diese Frage nicht gestellt, um eine Antwort von uns zu kriegen. Suko und ich hätten es ihm sowieso nicht sagen können. Es war eine Welt des Schreckens, besonders der Teil, mit dem wir zu tun hatten. Manchmal fragten wir uns, ob es überhaupt noch Steigerungen gab zu dem, was wir schon erlebt hatten, aber es gab sie, wie wir hier hatten sehen können. Schon einmal waren wir mit einem ähnlichen Fall konfrontiert worden. Da hatten wir in Monte Carlo eine Voodoo-Witwe gejagt. Doch diese Sache war längst abgeschlossen. Jemand hatte hier eine neue Seite im Buch des Grauens aufgeschlagen.
»Soll ich euch fragen, ob ihr eine Erklärung habt?«
»Nein«, sagte Suko.
Ich hob nur die Schultern. Mit leiser Stimme sagte ich. »Jetzt könnte ich einen Schluck vertragen.«
Tanner hob bedauernd die Schultern. »Im Wagen habe ich die Flasche für alle Fälle. Soll ich sie holen?«
»Später.«
»Okay.« Er stützte sein Kinn auf die Hand und wurde sehr schweigsam, was wir von ihm kaum kannten. Dieser Fall ging uns allen an die Nieren, und wir wussten nicht einmal, wo wir den Hebel ansetzen sollten. Die Frau war auf fürchterliche Art und Weise umgekommen, das allein war schon schlimm genug, aber wer sagte uns denn, dass sie die einzige Person war oder bleiben würde. Diese düsteren Zukunftsaussichten bereiteten mir eine echte Bedrückung.
»Warum?«, fragte Tanner. »Was will jemand mit der Haut eines Menschen anfangen.«
»Vielleicht will er sie transplantieren«, vermutete Suko.
»Wozu?«
»Ich weiß es nicht. Einen neuen Menschen erschaffen, wie es Dr. Frankenstein getan hat. Die Geschichte kennt ja wohl jeder. Variationen davon gab es in der Vergangenheit auch zur Genüge, und nicht nur auf der Kinoleinwand. Auch wir haben unsere Erfahrungen damit sammeln können. Aber mehr kann ich nicht sagen, wirklich nicht.«
»Leider.« Tanner nickte nur.
»Was ist denn mit der Frau, die die Tote gefunden hat? Konntest du mit ihr sprechen?«
»Nein, John, das war nicht möglich. Sie stand unter einem ungeheuren Schock.« Er streckte die Beine aus. »Wir haben sie in ein Krankenhaus bringen müssen. Wie lange es dauert, bis wir sie befragen können, das steht jetzt noch nicht fest.«
»Gab es noch andere Zeugen?«
Tanner schüttelte den Kopf.
»Und wer die Frau sein könnte, weiß auch niemand.«
»So ist es, Suko. Wir versuchen, ihre Kleidung zu finden. Es ist ja möglich, dass der Killer sie nicht mitgenommen hat. Meine Leute werden die Umkleidekabinen durchsuchen und sofort Bescheid geben, wenn sie etwas gefunden haben.«
Die Kabinen lagen auf derselben Etage, aber auf der anderen Seite dieses Bereichs. Es roch dort nach Chlor und anderen Mittelchen, die zur Reinigung des Wassers verwendet wurden. Ich fühlte mich wie von einem unsichtbaren Dunstvorhang eingehüllt.
Aus der Ferne hörten wir Stimmen. Türen schlugen. Jemand pfiff schrill und falsch. Wahrscheinlich wollte er sich Mut machen. Ich strich über meine Stirn, doch auch diese Bewegung konnte den Apparat der Gedanken nicht in Bewegung setzen. Da gab es eine Mauer oder eine Gummiwand, die nicht durchbrochen werden konnte. Ich zumindest blieb immer an ihr hängen und kam keinen Schritt weiter.
Ich wusste nicht, wie wir den Fall anpacken sollten und ob er überhaupt in unsere Kategorie fiel. Doch so etwas hatte uns einfach zu interessieren. Wir waren es Tanner schuldig, dass wir ihn bei seinen Recherchen unterstützten.
Er malte mit dem Zeigefinger Figuren auf die Tischplatte. »Was ist, wenn wir nicht weiterkommen?«, murmelte er.
»Wie meinst du das?«
»Ganz einfach, John. Wenn wir keine Spur finden. Müssen wir dann warten, bis so etwas noch einmal geschieht?«
»Ich wünsche es uns nicht.«
»Stimmt, ich auch nicht. Doch so ganz ausschließen dürfen wir das wohl nicht.«
»Ja, da hast du recht.«
»Eben.«
Suko dachte optimistischer. »Wenn wir die Kleidung des Opfers finden, wissen wir mehr. Ich hoffe nur, dass sich dort noch ein Ausweis befindet. Dann wäre die Spur heiß.«