John Sinclair Sonder-Edition 154 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 154 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Wir fanden die Gebeine im Keller eines Lagerhauses. Tonnenweise Menschenknochen - bleich, glatt, abgenagt.
Wer konnte mit dieser makabren Ladung etwas anfangen? Wir forschten nach, und die Spur führte uns zu einem Kosmetik-Konzern. Was wir dort erfuhren, war so schrecklich, dass es den meisten Menschen auf Anweisung oberster Stellen vorenthalten wurde. Wichtig war einzig und allein, dass die Industrie boomte. Und dafür benötigte sie Unmengen an Knochen.
Zuständig für die Beschaffung: Crimsdyke und Maren, zwei Ghouls der allerschlimmsten Sorte ...


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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Leichentanz

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Leichentanz

von Jason Dark

Wir fanden die Gebeine im Keller eines Lagerhauses. Tonnenweise Menschenknochen – bleich, glatt, abgenagt.

Wer konnte mit dieser makabren Ladung etwas anfangen? Wir forschten nach, und die Spur führte uns zu einem Kosmetik-Konzern. Was wir dort erfuhren, war so schrecklich, dass es den meisten Menschen auf Anweisung oberster Stellen vorenthalten wurde. Wichtig war einzig und allein, dass die Industrie boomte. Und dafür benötigte sie Unmengen an Knochen.

Zuständig für die Beschaffung: Crimsdyke und Maren, zwei Ghouls der allerschlimmsten Sorte ...

Exakt an der Grenze der großen Grabfläche blieb Joanna Leginsa stehen, weil sie plötzlich einen dicken Kloß im Hals spürte. Das kam nicht von ungefähr, denn dieser Kloß kündigte etwas an, das ihr überhaupt nicht behagte – Unheil!

Unheil auf einem Friedhof, der im letzten Licht des schwindenden Tages aussah, als wollte er sich mit seinen zahlreichen Grabsteinen und Kreuzen unter einer grauen Decke verstecken.

Die vierundvierzigjährige Frau zwinkerte mit den Augen. Hinter den Brillengläsern sahen ihre Augen groß aus und konnten je nach Laune manchmal freundlich oder böse blicken.

Zu diesem Zeitpunkt aber lag Angst in ihnen. Etwas stimmte nicht mit diesem Gräberfeld.

Joanna Leginsa kannte sich aus. Sie besuchte den Friedhof öfter. Sie hatte diesen Tick und dachte immerzu daran, dass die Menschen, die in diesem Gräberfeld verscharrt worden waren, keine Lobby mehr hatten. Um diese Gräber kümmerten sich weder Verwandte noch Bekannte der Toten. Grabsteine waren willkürlich gesetzt worden, manch einer kennzeichnete drei oder vier Gräber auf einmal, und unter dem Rasen lagen unzählige bleiche Knochen. Armengräber, die niemand pflegte. Ganz am Ende des großen Feldes gab es noch eine freie Parzelle. Dort verscharrte man auch in diesen Tagen noch Leichen.

Nicht dass Joanna Leginsa die Gräber gepflegt hätte, aber sie sah es einfach als ihre Pflicht an, hin und wieder nachzuschauen, wie diese letzten Ruhestätten immer weiter verrotteten. Dann schrieb sie Beschwerdebriefe an die Ämter oder ging selbst dorthin, wo sie den Mitarbeitern schon als Beschwerdeziege bekannt war.

Auch Joanna hatte ihren Mann verloren. Im Falkland-Krieg hatte er sein Leben lassen müssen. Sein Grab war das Meer. In der Flammenhölle eines brennenden Patrouillenbootes war er mit untergegangen.

Der Boden war mit Rasen bedeckt. Kein gepflegter Teppich, sondern mehr ein grünes Feld, auf dem Unkraut ungestört wuchern konnte. Es gab keine normalen Wege zwischen den Grabreihen, der oder die Besucher mussten über den Rasen gehen, dessen Gras dicht war und weich wie ein Teppich.

Die Frau befand sich allein auf dem Feld. Schritt für Schritt durchwanderte sie es. Die Augen hinter der Brille bewegten sich. Ununterbrochen suchte sie nach irgendwelchen Merkmalen, die eine Meldung wert gewesen wären, aber seit dem letzten Besuch hatte sich hier nichts verändert. Die Augusthitze war etwas gewichen, weil die herannahende Dämmerung die Sonne vertrieben hatte. Sie war dabei, sich zurückzuziehen und hatte den Himmel mit roter Farbe überzogen.

Plötzlich knickte die junge Frau um.

Ein leiser Schrei drang über ihre schmalen Lippen. Ein Zeichen des Erschreckens. Für einen Moment bewegte sie sich wie eine Marionette, bei der einige Fäden gerissen waren.

Ein Loch im Boden!

Damit hatte sie nicht gerechnet und auch nicht rechnen können, denn bei ihrem letzten Besuch – sie nahm immer denselben Weg – war dieses Loch noch nicht vorhanden gewesen.

Mrs. Leginsa war stehengeblieben. Das Bein hatte sie wieder zurückgezogen. Dabei war sie ein Stückchen aus dem Schuh gerutscht, der nun an ihrem Fuß baumelte. Sie zog ihn ganz aus, untersuchte den Fuß und stellte fest, dass ihm nichts geschehen war. Sie würde völlig normal weiterlaufen können. Aber weshalb war sie umgeknickt? Hatte hier jemand in der Zwischenzeit dieses Loch gegraben?

Joanna schaute sich genau die Umgebung an. Nein, gegraben hatte niemand. Das hätte sie gesehen, denn im Laufe der Zeit hatte sie genügend Erfahrungen bekommen. Dieses Loch musste anders entstanden sein, von unten her, also aus der Tiefe des Erde, wo eine große Kraft gewirkt haben musste.

Das fasste sie nicht.

Trotz allem war sie eine resolute Frau, sonst hätte sie auch nicht einen derartigen Gefallen an Friedhofsspaziergängen finden können.

Ihr Blick wanderte nach vorn. Das Gräberfeld war da. Es hatte sich nicht verändert. Da standen die alten, grauen Steine, auch die Büsche am Ende des Areals waren noch da. Sie wurden von Niedrighölzern überwuchert, davor aber war alles ziemlich flach gewesen.

Jetzt nicht mehr ...

Das Gelände hatte sich irgendwie doch verändert. Einem normalen Besucher wäre das nie und nimmer aufgefallen, Joanna Leginsa aber hatte den Friedhof schon sehr oft besucht. Keine Veränderung blieb ihr verborgen. Eine innere Stimme warnte sie sogar davor, weiterzugehen, aber darauf hörte sie nicht.

Die Veränderungen waren nicht besonders groß. Man musste sich schon auskennen, um sie zu sehen. Da eine Mulde, dort ein kleines Loch, wo die Erde aufgewühlt war, dann wieder ein kleiner Hügel – das wollte ihr nicht in den Kopf. Wenn jemand auf diesem Feld gearbeitet hätte, wäre ihr die Veränderung logisch erschienen. Aber sie sah kein Werkzeug und auch keinen dieser Wagen, wie sie von Friedhofsgärtnern benutzt wurden. Nein, hier war etwas ganz anderes passiert.

Die einsame Besucherin machte sich Sorgen. Wenn sie den Friedhof besuchte, trug sie stets flache Schuhe. Sie hatte oft Ärger mit ihren Füßen, Laufen war nicht ihre große Stärke.

Der Wind wehte ihr jetzt ins Gesicht und brachte Wärme mit. Stickige Wärme, die auch ungewöhnlich roch.

Normalerweise roch Joanna das Gras und am liebsten dann, wenn es frisch geschnitten war. An diesem Geruch konnte sie sich nicht satt riechen, er war für sie Balsam, ein herrliches Stück Natur.

An diesem Abend aber nahm sie einen anderen Geruch wahr. Einen, der eher zu einem Friedhof passte. Es war der Geruch von Verwesung, von Fäulnis und von widerlichen Moder.

Dabei mussten die Toten unter der Erde doch längst zerfallen sein, und das bleiche Gebein sonderte bestimmt keinen solchen Gestank ab.

Was also stimmte hier nicht?

Joanna Leginsa schluckte. Sie hatte das Gefühl, diesen Gestank auf der Zunge liegen zu haben. Er setzte sich in ihrem Hals fest, er kratzte, und ihre Schritte wurden immer unsicherer. Schließlich hielt sie an und schaute sich um.

Ohne es zu bemerken, hatte sie die Mitte des großen Gräberfeldes erreicht. Umgeben von den alten, grauen, verwitterten Steinen kam sie sich plötzlich verloren vor, als hätte man sie hineingezogen in eine andere Welt.

Der Boden interessierte sie besonders. Er hatte sich nicht verändert. Nach wie vor war er von einem dichten Rasen bedeckt, er war weich, hügelig, und sie entdeckte darauf einen Grabstein, dessen Position sie stutzig machte.

»Das gibt es doch nicht«, flüsterte sie. Erst in der letzten Woche war sie genau an dieser Stelle gewesen. Da hatte sie den Grabstein auch gesehen, aber da hatte er noch nicht so schief aus der Erde geragt, als könnte er jeden Augenblick umkippen.

Plötzlich war der Wind kalt geworden. Oder kam diese Kälte aus ihrem Innern?

Joanna Leginsa zitterte. Angst hatte sie vor diesem Friedhof nie gehabt, schließlich gehörte er zu ihren Lieblingsplätzen. An diesem Abend jedoch stieg das Grauen in ihr hoch, und ihr fielen alte und unheimliche Geschichten ein, die sich die Leute über Friedhöfe erzählten. Von irgendwelchen bösen Ungeheuern, von lebenden Leichen, wie sie hin und wieder in den TV-Filmen gezeigt wurden, die am späten Abend liefen, aber das war doch alles Unsinn.

Der Wind strich durch ihr Gesicht. Sie drehte den Kopf.

Der Geruch war geblieben. Das Gras neigte sich zur Seite, als der Wind darüber hinwegstrich. Es wollte sich vor den stärkeren Kräften der Natur verbeugen. Irgendwo raschelte welkes Laub.

Mit plump gesetzten Schritten ging sie weiter, denn der Boden war weich, zu weich, und plötzlich war da das Loch. Sie hatte es zuvor nicht sehen können, denn es war durch eine dünne Grasdecke verborgen gewesen. Erneut sackte die Frau ein, und über ihre Lippen drang ein leiser Fluch. Auch hier war die Erde aufgewühlt. Nicht weit von einem breiten Grabstein entfernt, auf dessen Vorderseite jemand irgendwelche Buchstaben gekritzelt hatte, die aber wohl mit den hier liegenden Toten in keinem Zusammenhang standen.

Sie zerrte ihren Fuß aus dem Boden. Gras und feuchte Erde klebten in Höhe des Knöchels fest. Sie brauchte nur wenige Schritte, um den Grabstein zu erreichen, und dort klammerte sie sich mit beiden Händen an der oberen Kante fest.

Joanna Leginsa atmete tief durch. Sie hatte das Gefühl, sich selbst aus der feuchten Friedhofserde gezogen zu haben, und sie schmeckte Blut im Mund, da sie sich auf die Lippe gebissen hatte.

Nach wie vor war sie die einzige Person auf dem einsamen Gräberfeld. Der Friedhof lag in London, aber die Frau kam sich jetzt vor, als hätte man sie auf einen anderen Stern gebeamt. Alles war so fremd geworden, nichts Vertrautes mehr.

Joanna Leginsa hatte sich gedreht, und so spürte sie den Grabstein in ihrem Rücken. Es war letztendlich egal, in welche Richtung sie schaute, aber sie blieb nun mal in dieser Haltung und merkte, dass sich etwas veränderte.

Äußerlich war noch nichts zu sehen, sie lauschte einfach ihrem Gefühl, und das wiederum sagte ihr, dass sie mit einer Überraschung zu rechnen hatte.

Wie? Wann? Und wo genau?

Es gab auch Überfälle auf den Londoner Friedhöfen. Nur fanden die meistens dort statt, wo die Gräber noch dicht an dicht standen und es keine so großen Lücken gab. Auf diesem Feld war das Gelände einfach zu gut zu überblicken.

Dennoch wuchs ihre Angst.

Joanna bot eigentlich ein Bild für ein Standfoto. Mit dem Rücken gegen den breiten Grabstein gepresst. Dazu kam das mausgraue Kleid mit dem Blümchenmuster, das sie trug. Die blonden Haare waren etwas in Unordnung geraten. Hinter den Brillengläsern bewegten sich ihre Augen auf der Suche nach dieser Bedrohung.

Joanna spürte sie.

Etwas tat sich unter ihr.

Eine Bewegung!

Die Frau hielt den Atem an. Sie wusste mit tödlicher Sicherheit, dass auch sie in diesen Sog hineingezogen würde. Der Kreis des Unfassbaren fing an, sich zu schließen.

Es fiel ihr schwer, die eigene Angst zu überwinden und den Blick nach unten zu senken. Sie schaute jetzt auf die Stelle vor ihren Füßen, dort hatte sie das Vibrieren deutlich gespürt.

Nun nicht mehr.

War es weg?

Sie schaute noch einmal hin. Konzentrierte sich auf jeden Grashalm. Der Wind, gefüllt mit dem faulig-widerlichen Geruch, bewegte die Halme. Er spielte mit ihnen, aber er konnte kaum die Erde aufgewühlt haben. Das musste eine andere Kraft sein. Vielleicht die der hier liegenden namenlosen Toten?

Das war auch Unsinn!

Lebende Tote gab es nur in Horrorfilmen und nicht in der Wirklichkeit.

Nein, nein, hier war einiges anders, das mit Logik nichts zu tun hatte.

Der Gestank nahm zu.

Als unsichtbare Wolke wehte er Joanna von unten her entgegen und nahm ihr die Luft. Sie schluckte, dann muckte ihr Magen auf, und sie konnte das Würgen nicht unterdrücken.

Aber sie blieb stehen, den Blick auf den Boden vor ihr gerichtet. Dort tat sich etwas. Joanna erschrak zutiefst, als sich die Erde plötzlich bewegte. Sie hatte von unten her Druck bekommen. Kleine Stücke lockerten sich, sie wurden in die Höhe geschleudert und fielen wieder zurück, auf den Kopf gedreht, sodass die lehmige Masse oben lag.

Was ging hier vor? Welches Unheil kroch aus dem Friedhofsboden in die Höhe?

Waren es wirklich die Toten oder einfach nur mehrere Maulwürfe, die die Erde aufwühlten?

Joanna Leginsa wusste gar nichts mehr. Sie wollte auch nichts wissen. Aber fand sie auch nicht die Kraft, sich von der Stelle zu lösen und davonzurennen.

Ein Loch war da.

Und aus dem Loch schob sich etwas hervor.

Zunächst ein Geräusch, ein widerliches Grunzen, und zugleich mit diesem Laut verdichtete sich die verdammte Wolke wieder, die so eklig nach verfaultem Fleisch stank. Dennoch schaute sie hin. Sie tat es wie unter einem Zwang. Endlich würde sie die Wahrheit erfahren, obwohl sie es überhaupt nicht wollte, aber das hatte sie nicht mehr zu bestimmen.

Der Wind kam ihr kalt vor, als hätte er sich mit Eis gefüllt. Sie wischte fahrig über ihr Haar. An ihrer Handtasche klammerte sie sich fest, wie an einem Rettungsanker.

Dann sah sie etwas Weißes.

Es war länglich, aber auch schmutzig. Ziemlich lang sogar, relativ dick, ein Knochen.

Ein Arm oder ein Bein, sie wusste es nicht. Doch es gab noch etwas Schlimmeres. Der bleiche Knochen war nicht von allein in die Höhe gedrückt worden. Etwas schien ihn zu bewegen. Es war eine Faust und ein Stück Arm, von dem eine widerliche stinkende Flüssigkeit wie ein dicker Leim nach unten tropfte ...

Die alten Räume der Fabrik lagen in der Nähe des Hafens. Dort, wo Spekulanten die historischen Bauten abreißen ließen, um ein neues Geschäftszentrum errichten zu können, in dem sich nur Menschen mit genügend Geld in den Taschen wohlfühlen konnten.

Diese Menschen sollten dort nicht nur arbeiten, sondern auch in Luxus-Apartments wohnen. Alle Bürgerproteste hatten nichts genutzt, es sollte schnell gebaut werden.

Dann aber war der radikale Einbruch erfolgt.

Mit der Wirtschaft ging es bergab. Das Wort Rezession machte die Runde, wenn Manager und Anleger zusammensaßen – was jetzt nicht mehr oft der Fall war, denn die Kapitalgeber waren abgesprungen. Vorläufig würde also nicht gebaut werden.

Die alten Firmen aber hatten die Gebäude längst verlassen. Es gab keine Kontore mehr, es wurde nicht mehr be- und entladen, die Schuppen und Gebäude standen leer und begannen zu verkommen. Eigentlich freuten sich darüber nur die Stadtstreicher und diejenigen, die solche Orte aufsuchten, um ihren fragwürdigen Geschäften nachgehen zu können. Das fing beim Dealer an und endete mit der Straßendirne, die ihre Freier an diesen einsamen Platz.

Suko und ich zählten weder zu der einen noch zu der anderen Kategorie. Wir hatten uns die Gegend nicht freiwillig ausgesucht, sondern auf Grund eines Tipps, den zwei alte Stadtstreicher einem ihnen bekannten Polizisten gegeben hatten.

Es waren Knochen gefunden worden.

Viele Knochen, aber nicht von Tieren, sondern von Menschen, das jedenfalls hatten die beiden Stadtstreicher behauptet. Man hatte ihnen geglaubt worden, denn einer der beiden war »in einem anderen Leben« – so hatte er selbst ausgedrückt –, einmal Medizinstudent gewesen und kannte sich

etwas in Anatomie aus.

Die uniformierten Kollegen selbst hatten nicht nachgeschaut. Nicht etwa aus Furcht, die wurden bei einem anderen Einsatz gebraucht. Es ging um einen Staatsbesuch, und so war die Meldung routinemäßig weitergegeben worden.

Der Zufall spielte auch mit, denn normalerweise las Sir James, unser Chef, die Berichte nicht. Diesmal aber schon, und da wir gerade für ihn greifbar waren, sollten wir uns den Lagerraum näher anschauen.

Suko war ebenso skeptisch wie ich, und wir hätten uns auch etwas anderes an diesem Sommerabend im August vorstellen können, als durch einen Keller zu stromern und nach Knochen zu suchen.

Um des lieben Friedens willen stimmten wir aber zu und waren dorthin gefahren. Leider hatte sich unsere Fahrt etwas verzögert. So waren wir erst beim letzten Licht des Tages eingetroffen und hatten den Rover in der Nähe der Lagerhalle geparkt.

Es war keine Gegend, die uns zusagte. Auch bei Tageslicht nicht. Hier war alles grau, und der große Vogel der Verrottung schwebte unsichtbar über dem Gelände.

Vom Fluss her brachte der Wind einen etwas fauligen Geruch.

Nach dem Aussteigen schauten wir uns um. Das Lagerhaus war nicht sehr hoch, dafür breit. Graue Mauern, Fenster ohne Scheiben. Es roch nach alten Steinen und altem Eisen.

Suko runzelte die Stirn. »Nun?«, fragte er.

»Nette Gegend.«

»Sir James sei Dank.«

»Sicher.«

Ich war leicht sauer und konnte auch nicht glauben, was die beiden Männer da erzählt hatten. Da war von einem regelrechten Berg von Knochen die Rede gewesen, der sich in einem Kellerraum auftürmen sollte. Alles war hier verrottet, bis auf den alten Lastenaufzug, der uns zum Ziel führte. Eine Tatsache, die Sir James misstrauisch gemacht und dazu beigetragen hatte, dass er diesem Fall doch nachgehen wollte.

Früher hatte es hier ein breites Eingangstor gegeben. Eine Schiebetür. Sie war zwar noch vorhanden, aber festgeklemmt, sodass wir ohne weiteres das Innere des Lagerhauses betreten konnten, das uns vorkam wie eine riesige Höhle.

In unseren Taschen steckten Walkie-Talkies, die wir sicherheitshalber bei uns trugen, da wir nicht wussten, wie weit wir uns voneinander entfernen würden.

Suko war schon vorgegangen und dann in der Mitte der Fabrikhalle stehengeblieben.

Er blickte sich um, ohne viel erkennen zu können. Das änderte sich, als er seine Lampe einschaltete und den Lichtstrahl schwenkte. Einigen Ratten oder Mäusen gefiel diese Helligkeit überhaupt nicht. Sie rasten weg, als wäre eine Armee von Katzen hinter ihnen her. Die unzähligen Spinnweben wiederum störte das Licht überhaupt nicht. Beinahe wertvoll schimmerten sie auf, wenn sie vom Lichtstrahl getroffen wurden. Sie bildeten an den Ecken oder unter der Decke ein dichtes Netz.

Überall lag Gerümpel herum. Scherben, ein alter Schreibtisch und zwei verbeulte Schränke, die schräg an einer Wand lehnten. Es sah so aus, als wäre hier seit Jahren niemand mehr gewesen, was aber ja nicht stimmte, und bei genauerem Hinsehen entdeckten wir auch eine Art Weg durch den Unrat.

Er begann direkt hinter dem Eingang und endete dort, wo wir die Stahltür des Lastenaufzugs sahen und ein daumennagelgroßes Licht darauf hinwies, dass der Aufzug okay war.

»Was sagst du, John?«

»Sollte ich etwas sagen?«

»Ich denke schon.«

Meine Meinung schwankte etwas. Bisher war ich eigentlich nicht davon ausgegangen, dass diese alte Halle noch benutzt wurde, dieser Weg aber hatte mich eines Besseren gelehrt, und wenn wir genau hinschauten, waren sogar Fußspuren zu erkennen.

Suko leuchtete die graue Tür des Aufzugs an. »Wer immer sich hier aufgehalten hat, dieser muss etwas zu verbergen gehabt haben.«

Ich hob die Schultern. »Aber Knochen ...?«

»Auch das.«

»Das weiß ich nicht, Suko. Die Hand würde ich dafür nicht ins Feuer legen.«

»Wir schauen nach.« Er ging auf den Aufzug zu. Ich folgte ihm langsam. An der Tür war Suko stehengeblieben und hatte sich mir zugewandt. »Wie sollen wir es machen, John?«

»Was meinst du damit?«

»Ich würde vorschlagen, dass sich zunächst einer von uns dort unten umschaut. Da ich gerade hier stehe, möchte ich es sein. Falls ich etwas finde, melde ich mich über unseren kleinen Apparat. Du hast doch nichts dagegen – oder?«

»Wenn du willst.«

»Schön.«

Ich hatte wirklich keine Lust, zusammen mit Suko in den Keller zu fahren. Ich ärgerte mich noch immer über den verlorenen Sommerabend, und mein Durst auf ein herrliches Bier, frisch gezapft, wurde nicht eben geringer.

Der Inspektor hatte den entsprechenden Knopf gedrückt. Wir warteten darauf, dass der Aufzug in die Höhe rumpeln würde und brauchten nicht lange zu lauschen, denn die entsprechenden Geräusche drangen trotz der dicken Schachtwände bis zu uns.

Der Aufzug stoppte.

Suko nickte mir zu, als er nach dem breiten Türgriff fasste. »Dann werde ich mal in die Unterwelt fahren.«

»Okay, guten Rutsch.«

»Soll ich die Knochen von dir grüßen?«, fragte er grinsend.

»Nur die Schädel.«

»Mach' ich doch gern.« Er lachte noch einmal und zerrte die Tür mit einer heftigen Bewegung auf. Er hatte etwas Kraft einsetzen müssen, weil sie klemmte.

Dann stieg er ein und zog die Tür von innen zu. Als letzten Eindruck nahm ich sein Grinsen wahr. Dann rappelte der Aufzug für einen Moment, bevor er sich in Bewegung setzte und in die Tiefe glitt, ebenfalls ratternd, aber leiser werdend, je weiter er sich von mir entfernte.

Der Aufzug war verschwunden, als hätte ihn die Hölle geschluckt. Ich hörte auch nichts mehr von ihm. Stille umgab mich. Ich ging auf die offene Tür zu, blieb dort stehen und schaute nach draußen.

Ich wartete auf eine Nachricht meines Freundes, die so oder so erfolgen würde, ob er nun etwas entdeckt hatte oder nicht.

Eine dunkelgraue Welt tat sich draußen auf. Doch auch sie hatte ein Muster, denn aus dem Grau ragten die hohen, leeren Gebäude hervor, die alten Schornsteine, die wie starre Finger wirkten, oder auch die Türme des einen und anderen Bürogebäudes. Die gesamte Umgebung hier sollte saniert werden, ein Stück London würde verschwinden, aber das war zunächst einmal ja gestoppt worden. Ich glaubte nicht daran, dass hier vor der Jahrtausendwende etwas geschehen würde.

Die wenigen Lichter jenseits des Flusses sahen aus, als wären sie meilenweit entfernt. Der Geruch hatte sich nicht verändert. Noch immer wehte der Wind den fauligen Dunst des Brackwassers über die leeren Plätze zwischen den toten Bauten.

Menschen sah ich nicht. Niemand lief mit huschenden Schritten durch diese Schattenwelt. In der Ferne klang das Signal einer Autohupe auf. Die Lichter von Scheinwerfern sah ich nicht.

Eine ruhige Gegend. Zumindest war das der erste Eindruck. Und auch auf den zweiten und dritten Blick war nichts zu sehen. Allerdings stellte mir ich die Frage, weshalb dann dieses Gefühl der Unruhe in mir vibrierte. Ich wurde nicht belauert, ich brauchte mit keinem Angriff zu rechnen, es war alles normal, sogar das Wetter. Leicht schwül und etwas windig.

Meine Nervosität blieb trotzdem. Mir fiel auf, dass ich in der Mitte der Tür stand. Von einer perfekten Zielscheibe wollte ich zwar nicht gleich sprechen, aber ich zog mich zurück, und meine Silhouette tauchte ein in das Grau der Lagerhalle.

Dort wartete ich. Komischerweise war ich zu unruhig, um auf einer Stelle stehenzubleiben. Ich ging hin und her wie ein Gefangener, der kurz vor dem Zellenkoller steht.

Suko hatte sich noch nicht gemeldet. Warum nicht? Er hätte längst unten im Keller sein müssen. Schließlich war dieser Bau kein Parkhaus, das tief in den Untergrund führte.

Also wartete ich weiter.

Ratten oder Mäuse schreckte ich durch meine Laufgeräusche nicht mehr auf. Sie hatten sich verzogen. Es passte ihnen nicht, dass sie ein großer Zweibeiner störte.

Immer öfter rutschte meine Hand in die Seitentasche, wo das flache Gerät steckte. Schließlich war ich es leid. Wenn Suko schon keinen Kontakt aufnehmen wollte, dann würde ich es eben tun.

Das Gerät lag kaum in meiner Hand, und mein Daumen befand sich nicht weit vom Einschaltknopf entfernt, als die kleine Lampe aufleuchtete. Ein Zeichen, dass Suko Kontakt haben wollte.

Ich atmete auf.

Endlich ...