John Sinclair Sonder-Edition 157 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 157 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Als Messerwerfer hatte Pablo, der Gnom, große Triumphe gefeiert. Viermal aber hatte er sehr schlecht - oder zu gut getroffen. Vier Unfälle. Vier Leichen. Eine zerstörte Karriere.
Pablo wurde jetzt Clown. Wieder war er erfolgreich. Die Menschen, vor allem die Kinder liebten ihn. Dann aber holte ihn die Vergangenheit ein.
Als schreckliche Geistwesen kehrten die vier Toten zurück, Pablos Messer in den Händen haltend. Aber die vier waren nicht gekommen, um Rache zu nehmen, zumindest nicht an Pablo. Sie waren jetzt seine Verbündeten. Gemeinsam mit dem dämonischen Gnom wollten sie einen alten Templerfluch erfüllen ...


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Seitenzahl: 196

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Der Dämonen-Gnom

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Der Dämonen-Gnom

von Jason Dark

Als Messerwerfer hatte Pablo, der Gnom, große Triumphe gefeiert. Viermal aber hatte er sehr schlecht – oder zu gut getroffen. Vier Unfälle. Vier Leichen. Eine zerstörte Karriere.

Pablo wurde jetzt Clown. Wieder war er erfolgreich. Die Menschen, vor allem die Kinder, liebten ihn. Dann aber holte ihn die Vergangenheit ein.

Als schreckliche Geistwesen kehrten die vier Toten jetzt zurück, Pablos Messer in den Händen haltend. Aber die vier waren nicht gekommen, um Rache zu nehmen, zumindest nicht an Pablo. Sie waren jetzt seine Verbündeten. Gemeinsam mit dem dämonischen Gnom wollten sie einen alten Templerfluch erfüllen ...

Der kleine Mann öffnete vorsichtig die Tür, achtete nicht auf das Schleifen, blieb stehen und schaute nach vorn.

Er roch den Wind, der von den Bergen kam. Der Wind brachte die Gerüche mit, die Pablo so liebte. Ein Duft hatte es ihm dabei besonders angetan. Er erinnerte ihn an Steine, Erde und Vergänglichkeit.

Pablo schnupperte. Sein breiter Mund verzog sich dabei zu einem kantigen Lächeln, und die Ränder seiner Nasenlöcher zitterten. Es war genau die Nacht, wie er sie sich gewünscht hatte, sie war einfach ideal für ihn.

Hinter ihm stand die Tür noch offen. Der Wind fuhr auch gegen die Zeltplane und ließ sie knattern. Er spielte mit dem Gestänge, das wie die straff gespannten Saiten eines Instruments wirkte.

Der kleine Pablo war zufrieden, denn in dieser Nacht war er groß, sehr groß. Und er würde wachsen, immer weiter, so weit, bis er alle anderen überragte.

Der Gnom würde es ihnen zeigen!

Mit beiden Händen strich er über sein glattes Haar. An diesem Abend hatte er sich nicht zu schminken brauchen. Es gab nur noch wenige Vorstellungen, aber sie würden wieder spielen, das stand fest. Die große Winterpause wie früher, die gab es nicht mehr, und da Pablo würde dann zu einem Helden werden.

Dann lachten sie wieder über ihn. Die Kinder, die Männer und die Frauen.

Später aber würden sie ihre Toten beweinen ...

Zuerst hörte er den schleichenden Schritt, dann sah er den Schatten, der sich ihm von der linken Seite her näherte. Es war ein sehr großer Schatten, und Pablo brauchte nicht erst den Kopf zu drehen, um zu wissen, wer da kam.

Neben ihm blieb der Riese stehen. Im Vergleich zu Pablo war er ein Riese, dieser dunkelhäutige Mann aus Afrika, der Cäsar hieß. Pablo reichte ihm nur bis zum Gürtel.

Cäsar schaute zu ihm hinunter. In der Finsternis war nur das Weiße in seinen Augen zu sehen. »Wo willst du hin, kleiner, böser Mann?«

»Willst du es wirklich wissen?«

Der Schwarze nickte.

»Ich werde gehen und die Toten holen ...«

Cäsar fror plötzlich. Er wollte etwas erwidern und suchte nach Worten. Bevor er sie gefunden hatte, war Pablo bereits verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben ...

Auch zehn Minuten später ging Cäsar die Antwort des Gnoms nicht aus dem Kopf. Pablo wollte gehen und die Toten holen. Er würde sie aus den Gräbern locken, wie es ein Voodoo-Priester hin und wieder tat, um damit seine Macht über Leben und Tod zu demonstrieren.

Für Cäsar gab es keinen Grund, an der Antwort des kleinen, bösen Mannes zu zweifeln, auch wenn die anderen im Zirkus über ihn lachten. Das tat der riesenhafte Schwarze nicht. Er hatte schon oft in die Augen des Zwergs gesehen, wenn dieser sich unbeobachtet fühlte, und er hatte darin etwas entdeckt, das einfach nur furchtbar war.

Einen Ausdruck, den er nicht einordnen konnte, der einfach zu schlimm war, um ihn in Worte kleiden zu können.

Die Augen versprachen den Horror, das Grauen und den Tod. Pablo, der Zwerg, die Person der Extreme. Auf der einen Seite der Clown, der Freund der Kinder, auf der anderen aber die böse, teuflische Abart eines Menschen, der unbeirrbar sein Ziel verfolgte und dabei war, die Gesetze der Natur auf den Kopf zu stellen.

Er wollte die Toten holen ...

Cäsar fror wieder. Der hünenhafte Mann wühlte durch sein lockiges Haar. Er saß in seiner Bude, die Kälte zog durch die Ritzen in den Seitenwänden des Wagens. Neben ihm auf dem Tisch stand die Flasche mit dem Tequila, aber Cäsar rührte sie nicht an, obwohl er sich am liebsten betrunken hätte.

Der Alkohol war kein Ausweg, er brachte keine Lösung. Nur Cäsar wusste, was Pablo – auch Pablito genannt – vorhatte. Mit einer anderen Person hatte er sicherlich nicht darüber gesprochen, demnach ruhte die Last der Verantwortung allein auf seinen Schultern.

Was sollte er tun?

Den anderen Bescheid geben? Sie warnen? Er hätte es sagen können, doch er wäre ausgelacht worden, deshalb hielt er sich am besten zurück und sagte nichts.

Doch er musste etwas tun.

Cäsar starrte ins Leere. Die Dunkelheit in seinem kleinen Wagen kam ihm stumpf und kratzig vor. Sein Bett war nicht mehr als ein Lager. Normalerweise teilte er den kleinen Wagen noch mit einem anderen Kollegen, der aber hatte sich abgesetzt, weil ihm die Polizei auf den Fersen war. Man hatte herausgefunden, dass der Kollege mit Rauschgift gehandelt hatte, und die spanischen Behörden kannten da kein Pardon. Jetzt war Cäsar allein, und das war auch gut so.

Er riss ein Zündholz an und hielt die Flamme an den dünnen Docht einer Kerze. Das Licht bildete eine kleine Insel, und Cäsar hätte sich eigentlich über die Helligkeit freuen müssen, allein schon wegen der Symbolik, dass es eine kleine Flamme schaffte, die Finsternis zu erhellen und Hoffnung zu geben.

Nicht heute, nicht in dieser Nacht!

Sie war anders, sie war dumpf und reich an unheimlichen Botschaften.

Pablo war gegangen, Pablo war auf dem Weg zu den Gräbern, Pablo wollte die Toten besuchen und sie hervorholen. Bei diesen Vorstellungen stöhnte der Farbige auf, und es war ihm unmöglich, den kalten Schauer auf seinem Rücken zu kontrollieren. In seiner Vorstellung sah er die schrecklichsten Szenen, aufplatzende Gräber, die unheimliche Gestalten entließen. Zombies mit Würmern und Spinnen in den Augen, Mäulern und Nasenlöchern.

Er schüttelte sich, als er glaubte, der Geruch des Todes würde ihn streifen. Moder bewegte sich als zitternde Wolke vor ihm, obwohl er sie nicht sah.

Und der Zwerg war nicht mehr da.

Er war gegangen.

Zum Friedhof ...

Cäsar sprang so heftig auf, dass der Stuhl zurückkippte und zu Boden fiel. Sein Entschluss stand fest, und er würde auch nichts mehr ändern, denn schon zu lange hatte Cäsar nachgedacht. Er musste Pablo nach, er wollte sehen, was sich da tat. Ob dieser Gnom tatsächlich die Macht über die Toten hatte und damit so stark war wie ein mächtiger Voodoo-Priester.

Cäsar ging auf die Tür zu. Im Hinausgehen fasste er nach seiner Jacke, die er wegen der Kälte überstreifte. Der Wind konnte um diese frühwinterliche Zeit schon sehr bissig sein. Er war trocken und brachte den Staub der Sierra mit.

Cäsar wusste, wohin er sich zu wenden hatte. Er ging quer über den großen Platz an der Rückseite entlang, wo die Wagen im Schatten des Zelts standen und nur die wenigen Lichter brannten. Niemand sah ihn, und das war auch gut. Er hätte niemandem seinen nächtlichen Ausflug erklären können, außerdem hätte ihm niemand geglaubt.

Aber er glaubte dem Gnom!

Der Zirkus hatte sein Quartier in einem Talkessel aufgebaut, und er lag so etwas geschützt. Es führte eine Straße bis zur nächsten Stadt, die aber ließ Cäsar liegen, denn um den Friedhof zu erreichen, wollte er sich durch das Gelände schlagen, denn nichts anderes hatte Pablo sicher auch getan.

Der riesige Schwarze bewegte sich mit raumgreifenden Schritten. Je früher er sein Ziel erreichte, umso besser war es für ihn. Dieser alte Friedhof lag ungünstig. Die Menschen, die in der kleinen Stadt oder den umliegenden Dörfern starben, mussten für das Begräbnis erst hochgeschafft werden, aber es gab die alte Stätte eben schon zu lange, als dass sie von den Bewohnern hätte aufgegeben werden können.

An einen Pfad hielt sich der Mann nicht. Er schlich gebückt durch die breiten Lücken zwischen den Felsen, er roch den Staub, er sah die Wolken über sich, die ein gewaltiges Meer bildeten, in dem hin und wieder der Vollmond aufleuchtete, als wollte er die Menschen beobachten.

Der alte Friedhof lag hoch und war über eine Bergstraße zu erreichen. Dort oben stand auch die kleine Gnadenkapelle, aber in sie würde der Zwerg seine Schritte wohl nicht lenken. Ihm ging es einzig und allein um die Toten, die noch in ihren Gräbern lagen.

Cäsar hielt sein Gesicht in den Wind. Er schmeckte ihn, er schmeckte den Staub, er schmeckte die Botschaft. Er hörte ihn winseln, wenn er über die glatten Felsen hinwegfuhr, und dieses Geräusch verglich der Schwarze mit dem Jammern der Seelen, die keine Ruhe im Tod gefunden hatten.

Dass Cäsar fror, lag nicht allein am Wetter. In seinem Innern hatte sich etwas festgesetzt, das wie ein Klumpen war und ihn zudem auch leicht erzittern ließ.

Das Winseln blieb. Es klang nie gleich, war mal höher, mal tiefer, als würden sich Freud und Leid darin vereinigen.

Cäsar blieb stehen.

Ein derartiges Geräusch, vom Wind stammend, hatte er noch nie zuvor gehört.

Nein, das konnte nicht der Wind sein!

Plötzlich drängte es ihn danach, wegzulaufen, doch dagegen kämpfte er an. Cäsar tat genau das Gegenteil von dem, er richtete sich auf, drehte den Kopf diesem unheimlichen und seltsamen Geräusch zu und wusste plötzlich Bescheid.

Das war nicht der Wind, der da über den Friedhof wehte – dieses Geräusch ging von einem Menschen aus. Es war ein Gesang, sehr seltsam, viel zu hoch, um aus der Kehle eines Mannes zu stammen.

Aber es gab ihn!

Und es gab nur eine Lösung.

Pablo hatte ihn ausgestoßen. Der Zwerg musste auf dem Friedhof stehen und singen.

Bisher war es für Cäsar nur eine Annahme, die aber wollte er bestätigt sehen, deshalb lief er so rasch wie möglich die letzten Meter auf sein Ziel zu.

Diesmal achtete er nicht so sehr auf irgendwelche Geräusche. Zudem war Pablo mit sich selbst beschäftigt, seine Umgebung hatte er sicherlich vergessen.

Cäsars Augen leuchteten. Er rieb seine Hände. Er freute sich. Nur ein paar Schritte noch, dann hatte er sein Ziel erreicht. Aus seiner geduckten Haltung richtete er sich auf. Er hatte eine Stelle des Friedhofs erreicht, die sehr günstig lag und ihm einen wunderbaren Überblick auf das Geschehen bot.

Er sah den Zwerg.

Aber er sah noch mehr.

Und Cäsar traute den eigenen Augen nicht. Wie von selbst bewegte sich seine rechte Hand, um ein Kreuzzeichen zu schlagen ...

Der kleine Pablo war der Held!

Er stand auf dem Bergfriedhof, als würde er ihn allein durch seine Anwesenheit und innere Kraft beherrschen. Er war einfach da. Selbst der Schatten der Kapelle wirkte schmächtig im Vergleich zu ihm. Pablo beherrschte die Gräber, beherrschte er auch die Toten?

Cäsar konnte es sich vorstellen, auch wenn er keine Erklärung dafür hatte. Dieser kleine Mann, dieser Gnom, wanderte über den Friedhof, als wollte er ihm den Segen des Teufels geben. Er hielt die Arme seitlich ausgestreckt und so hoch erhoben, dass sie eine Gerade mit den Schultern bildeten. Er setzte dabei seine Schritte wie ein Tänzer im klassischen Ballett, nur wirkte es bei ihm wegen seiner Größe eben anders, auf keinen Fall lächerlich, denn der heimliche Beobachter hütete sich davor, den Mund zu einem Lächeln zu verziehen. Das war nicht die Zeit, dazu war dieser kleine Mann zu gefährlich und jetzt auch unheimlich.

Er streifte über den Totenacker.

Er schlich vorbei an den Grabsteinen, als würde er schweben, und er drehte sich auch in der Stille, was für Cäsar eine gewisse Gefahr bedeutete, denn er wollte auf keinen Fall entdeckt werden. Er traute Pablo alles zu, sogar Röntgenaugen, und deshalb duckte sich der hünenhafte Mann hinter dem Rest einer alten Mauer. Irgendwann war sie einmal zerstört worden, es standen nur mehr Fragmente.

Pablo hatte ihn nicht gesehen. Er eroberte den Friedhof mit jedem seiner kleinen Schritte, die bei ihm jedoch groß wirkten. Er schaute sich um, er kontrollierte, und er hatte schließlich ein Ziel gefunden, denn er blieb stehen. Cäsar sah ihn nicht mehr.

Der Schwarze wartete ab. Er zählte langsam bis zwanzig, bevor er sich traute, über den Rand des Mauerfragments hinwegzuschauen.

Er sah den Gnom nicht mehr.

Natürlich wollte Cäsar nicht glauben, dass Pablo den Friedhof verlassen hatte, er musste irgendwo ein Versteck, vielleicht auch sein Ziel gefunden haben, und eben das wollte auch der Schwarze sehen. Wieder gab er darauf acht, keinerlei Geräusche zu verursachen. Er musste sich tief ducken, um nicht gesehen zu werden. Bei seiner Länge war es ein unbequemes Laufen.

Er schlich über den Friedhof. Die Grabsteine umstanden ihn wie starre Schatten. Es waren nicht nur Kreuze oder einfache Steine, auch Figuren schmückten die Gräber, und manche von ihnen waren mehr als menschengroß. Da hatten sich die Künstler richtig Mühe gegeben, um sie zu schaffen, doch der Stein war im Laufe der Zeit verwittert, und die Figuren wirkten wie angefressen.

Manchem Heiligen oder Engel fehlte ein Stück des Kopfes. Es war auch eine Hand abgebrochen worden, hier und da war das Gesicht zerstört, überhaupt hatte das Gestein sehr gelitten.

Cäsar aber gaben die Grabsteine einen guten Schutz, und er wusste auch, wohin er zu laufen hatte, denn er hörte die Stimme des kleinen Mannes. Wenn er ehrlich gegen sich selbst war, gefiel sie ihm überhaupt nicht. Sie klang flüsternd und zugleich bissig. Sie war einfach da, und sie hörte sich an, als würde der Gnom mit jemandem sprechen, von dem er allerdings keine Antwort erhielt.

Er redete mit den Toten!

Als das für Cäsar feststand, konnte er den Schreck und den ihm folgenden Schauer nicht vermeiden. Er schüttelte sich, und es war für ihn der Punkt gekommen, an dem er sich entscheiden musste. Verschwinden oder bleiben? Noch war Zeit.

Er war neugierig, aber er war auch vorsichtig und hing an seinem Leben. Wenn dieser Friedhof hier erwachte, wenn es die Toten tatsächlich schafften, die Gräber zu verlassen und als schreckliche Monstren an die Oberfläche kamen, dann war es auch um sein Leben geschehen. Sie würden sich auf ihn stürzen, ihn zerreißen, zerfleischen, sie würden sich an ihm gütlich tun, und sein süßes Fleisch würde ihnen munden. Schreckliche Bilder liefen durch seinen Kopf. Stark wie ein Film und ebenso unvergesslich, aber daran wollte er jetzt nicht denken, denn für ihn zählte einzig und allein die kleine Gestalt.

Noch hatte er sie nicht gesehen. Er konnte sich nur am Klang der Stimme orientieren. Zu hoch wuchsen die Grabsteine, die den Gnom vor Blicken schützten.

Aber er sah etwas anderes.

Ein dünner Schleier breitete sich dort aus, wo der Kleine stehen musste. Nebel, Dunst, flache Wolken, die allmählich vom Boden her in die Höhe stiegen.

Er wartete.

Es tat sich nichts.

Allmählich beruhigte sich Cäsar und nahm sich sogar vor, näher an den Ort des Geschehens heranzugehen. Er musste einfach herausfinden, was sich auf diesem Friedhof abgespielt hatte und noch immer ablief. Hier ging es bestimmt nicht mit rechten Dingen zu, denn wer besuchte bei Dunkelheit freiwillig einen derartigen Ort?

Er unterdrückte das Atmen so weit wie möglich. Keine unnötigen Geräusche, die den Gnom warnen hätten warnen können. Die Gedanken jedoch bewegten sich immer wieder, und sie drehten sich auch einzig und allein nur um dieses eine Thema.

Was suchte Pablito hier? Wieso geisterte er in der Nacht über den alten Friedhof? Er war schon immer ein Mensch gewesen, der trotz seiner geringen Größe die anderen oftmals das Fürchten gelehrt hatte, das schaffte er mit einem Blick in die Augen seines Gegenübers. Viele mieden ihn, denn sie konnten seine Ansichten nicht teilen. Auch sonderte sich Pablo von der Gemeinschaft ab. Er lebte für sich, teilte sich keinen Wagen mit Kollegen. Zumeist nächtigte er in einer bestimmten Ecke des kleinen Vorratszeltes, und wenn es zu kalt wurde, kroch er zu den Pferden.

Überhaupt war sein Verhältnis zu den Tieren ein besonderes. Sie akzeptierten und gehorchten ihm. Er schaffte es sogar, sie mit Blicken zu dirigieren oder zu zähmen.

Pablo oder Pablito war eben anders. Vielleicht hätte man ihn schon längst davongejagt, wäre der Gnom nicht so unwahrscheinlich gut beim Publikum angekommen. Da zeigte er

sein zweites Gesicht. Da war er dann der große Spaßmacher, der die Leute zum Lachen, aber auch zum Weinen brachte, wenn er sich selbst sehr traurig darstellte. Allein saß er dann schluchzend im einsamen Scheinwerferlicht.

Das alles zählte und machte seinen Erfolg so gewaltig. Deshalb ließ man ihn in Ruhe. Man wusste auch, dass es Menschen gab, die nur seinetwegen in den Zirkus kamen. Eine alte Frau, die als Wahrsagerin arbeitete, hatte mal behauptet, er hätte übernatürliche Kräfte. Sie hatte den Direktor davor gewarnt, Pablo zu entlassen, denn dann würde seine Rache wie ein Inferno über den Zirkus hereinbrechen.

Das alles wusste auch Cäsar, der zu den wenigen Menschen gehörte, die hin und wieder mit Pablo sprachen. Ansonsten blieb der Gnom allein.

In dieser Nacht schalt sich Cäsar einen Narren, dass er dem Zwerg gefolgt war. Er wusste selbst nicht, ob ihn der Dämon der Neugierde geritten hatte oder ob es etwas anderes gewesen war. Jedenfalls wartete er ab, innerlich vibrierend und darauf achtend, was in den folgenden Minuten geschehen würde.

Der Nebel war da.

Und auch die Stimme des Gnoms. Sie klang flüsternd, sie drang in den Nebel ein und schien von ihm gefiltert zu werden, sodass sich Cäsar anstrengen musste, um etwas zu verstehen.

Er hörte das Gemurmel. Es blieb für eine Weile monoton,

sodass es dem heimlichen Beobachter schon langweilig wurde und er sich fragte, ob es sich zu bleiben lohnte.

Es lohnte sich, denn wenig später sah er, wie sich der Nebel allmählich hob. Er kroch in langen Schwaden in die Höhe, er breitete sich gleichsam zu Tüchern aus, und Cäsar sah mit Erstaunen zu, wie sich die Fahne in vier Stücke teilte.

Es sah so aus, als hätte jemand mit einem unsichtbaren Messer hineingeschlagen, und aus einem Tuch waren plötzlich vier geworden. Der Hüne hielt den Atem an.

Was würde geschehen? Wieso war es möglich, dass der kleine Mann den Nebel beherrschte?

Etwas kroch durch Cäsars Glieder, und er konnte nicht beschreiben, was ihn da erwischt hatte. Er stellte nur fest, dass es eine Kraft war, und er stufte sie als gefährlich ein, denn sie sorgte dafür, dass er sich nicht bewegen konnte. Es war der Bann des Unheimlichen, der ihn da gefangen hielt, und vor ihm, da glühte es auf.

Spalten mussten auf dem rauen, trockenen und rissigen Boden entstanden sein, um das zu entlassen, was sich bisher im Innern der Erde verborgen gehalten hatte. Es waren nicht die verwesten oder halbverwesten Gestalten, an die Cäsar gedacht hatte. Hier erschien etwas anderes, etwas, das noch grauenvoller und unheimlicher war und sich nicht mehr im Schoß der Erde binden ließ.

Das Grauen kam lautlos ...

Es kroch hervor, es drang in den Nebel ein und erfüllte ihn mit einer anderen Farbe.

Zuerst schwarz, dann rötlich, als läge innerhalb der Schwärze eine unheimliche Glut. Noch waren die Umrisse zu weich, noch bewegten sie sich zu zitternd, als dass er etwas hätte erkennen können. Je mehr Zeit allerdings verstrich, umso kompakter stellten sie sich dar, und Cäsar glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können. Er fühlte sich auch von der anderen Kraft wie an einem Band in die Höhe gezogen. Er richtete sich auf, um alles besser zu sehen.

Er sah den Gnom, und es machte ihm überhaupt nichts aus, dass dieser ihn auch erkennen konnte. Pablo war auch nicht mehr wichtig, für den Schwarzen zählten die Gestalten, die wie mächtige Leibwächter hinter dem Zwerg standen und ihn noch kleiner aussehen ließen, als er es tatsächlich war.

Vier Leibwächter!

Vier unheimliche Wesen, aus den Tiefen der Gräber emporgestiegen waren. Dunkel und trotz der nächtlichen Finsternis zu erkennen, weil sich ein rötlicher Schimmer über die Gestalten legte.

Die Wesen standen regungslos da. In ihrer Starre wirkten sie ebenfalls wie Grabsteine, aber sie waren echt und hatten die Erde verlassen, die ihnen so lange Schutz geboten hatte.

Cäsar war noch nervöser geworden und zugleich auch neugieriger. Er wollte mehr und vor allen Dingen genauer sehen, deshalb bewegte er sich auf dem Gelände noch etwas vor. Auf Händen und Füßen kroch er so lautlos wie möglich einen kleinen Hügel hoch. Unter seinen Händen spürte er die Kälte des Untergrunds, und diese wiederum kam ihm vor, als wäre sie aus den Gräbern gestiegen.

Der Hügel zeigte auf seiner Oberfläche eine flache Kuppe, die mit Gestrüpp bewachsen war. Dicht davor hielt der Schwarze an und duckte sich noch tiefer, um zwischen den dürren Zweigen hindurchblicken zu können.

Es war gut, dass er diesen Platz gewählt hatte. Hier bekam er den Überblick, der seine Neugierde befriedigte. Er konnte alles erkennen, wirklich alles.

Jetzt sah er auch den Gnom!

Er stand da und schaute nach vorn. Aber er konnte Cäsar nicht sehen.

Etwas breitbeinig hatte sich Pablo aufgebaut. In seinem dunklen Anzug sah er aus wie eine Witzfigur. Das weiße Hemd schimmerte und verdunkelte sich in Höhe des Kragens, weil dort der Krawattenknoten perfekt gebunden worden war. Ein Hals war nicht zu erkennen. Der für den Körper viel zu große Kopf saß direkt auf den Schultern, hinzu kam das breite Gesicht, die hohe Stirn, das dunkle, streng gescheitelte Haar. Die Augen waren nicht zu sehen, die lagen einfach zu tief in den Höhlen, aber Cäsar kannte ihren oft sehr bösen und kalten Blick.

Trotz seines außergewöhnlichen Aussehens fiel der Gnom auf dem Bild nicht besonders auf. Die Gestalten hinter ihm waren wesentlich furchteinflößender als der Zwerg selbst.

Vier schwarze Gestalten mit roten Glutaugen, die allesamt die gleiche Haltung eingenommen hatten. Zwei von ihnen hielten die rechten Arme angewinkelt, und mit ihren Händen umklammerten sie die Griffe gefährlich aussehender Messer, deren Klingen an helle Kerzenflammen erinnerten. Die Spitzen wiesen ebenso nach oben wie bei den anderen beiden, die ihre linken Arme angewinkelt hatten.

Für Cäsar war es ein schauriges Bild. Faszinierend und grauenvoll zugleich. Er hätte eigentlich verschwinden müssen, doch die Faszination des Bildes ließ ihn einfach nicht los. Und so wurde er auf der Stelle gebannt, ohne die Kälte des Bodens zu spüren, die allmählich in seinen Körper hineinkroch.

Das Unheimliche war einfach da. Es hatte den Schoß der Erde verlassen und sich manifestiert, und es war nur durch ihn geschehen, den Zwerg, den Gnom mit dem dämonischen Ausdruck in den Augen.

An seiner körperlichen Größe hatte sich nichts verändert. Trotzdem war er für Cäsar ein anderer geworden. Er hatte in den letzten Minuten eine immense Macht errungen, er war stärker geworden, denn die vier Gestalten hinter ihm waren nichts anderes als seine Beschützer, die ihm auf allen Wegen folgen würden.

Bisher hatte Cäsar steif hinter dem trockenen Busch gehockt.

Nach dieser Entdeckung schrillte so etwas wie eine Alarmklingel in seinem Kopf, und er wusste, dass er verschwinden musste.

Nur weg hier! Der Farbige legte sich flach auf den Boden. Er bemühte sich, den Atem unter Kontrolle zu halten, und er rutschte deshalb sehr vorsichtig zurück. Niemand sollte ihn sehen, gerade jetzt nicht, wo er etwas Wichtiges entdeckt hatte.

Dem Zwerg und seinen Leibwächtern gönnte er keinen Blick mehr. Sie waren für ihn uninteressant geworden. Er wusste jetzt Bescheid, das reichte ihm. Über die Hintergründe wollte er nichts herausfinden, das war nicht seine Sache, dazu fühlte er sich nicht berufen. Wenn möglich, wollte er alles vergessen und den Zwerg auch nicht mehr darauf ansprechen.

Vor ihm rührte sich nichts. Cäsar entkam, nur war ihm dabei komischerweise nicht wohl, da er einfach den Eindruck hatte, dass Pablo sehr wohl über ihn Bescheid wusste, aber bewusst nichts tat, um seinen Rückweg aufzuhalten.