John Sinclair Sonder-Edition 158 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 158 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Jahrelang waren die Ravensteins verschollen gewesen, der Kommunismus hatte keine Vampire geduldet. Nach dem Zusammenbruch des Systems aber kehrten sie zurück in ihr Schloss in den Karpaten. Vater, Mutter und drei Kinder - eine regelrechte Vampir-Familie. Sie wollten dort weitermachen, wo sie einmal aufgehört hatten. Und sie gierten nach dem Blut der Menschen.
Zum Glück erhielt Marek, der Pfähler, einen Tipp. Dann informierte er Suko und mich. Zu dritt nahmen wir den Kampf gegen den mächtigen Vampir-Clan auf ...


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Seitenzahl: 194

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Bis dass der Pfähler euch holt!

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Bis dass der Pfähler euch holt!

von Jason Dark

Jahrelang waren die Ravensteins verschollen gewesen, der Kommunismus hatte keine Vampire geduldet. Nach dem Zusammenbruch des Systems aber kehrten sie zurück in ihr Schloss in den Karpaten. Vater, Mutter und drei Kinder – eine regelrechte Vampir-Familie. Sie wollten dort weitermachen, wo sie einmal aufgehört hatten. Und sie gierten nach dem Blut der Menschen.

Zum Glück erhielt Marek, der Pfähler, einen Tipp. Dann informierte er Suko und mich. Zu dritt nahmen wir den Kampf gegen den mächtigen Vampir-Clan auf ...

In dieser Nacht war der erste Schnee gefallen. Wie ein bleiches Leichentuch hatte er sich über die Bergwelt der Karpaten gelegt. Die Luft war schwer wie Blei, die Wolken hingen niedrig und verschluckten das Heulen der Wölfe, die auf ihrer Suche nach Beute durch die Finsternis geisterten.

Jeder wollte satt werden – Menschen und Tiere, was in diesem von Krisen geschüttelten Land nicht so einfach war. Es war still, der tiefe Schnee schluckte viele Geräusche und dämpfte auch das Rattern des kleinen Zugs, der im Schneegestöber durch die Bergwelt rollte. Eine Lok, ein mit Holz und Kohle gefüllter Tender und dahinter ein Wagen. Die Ladung wirkte unheimlich. Sie bereitete den Menschen Angst, denn sie bestand aus fünf Särgen ...

Es gibt Menschen, die Vorahnungen haben, und es gibt Menschen, die diesen Vorahnungen nachgehen.

Zu den letzteren zählte auch Marek, der Pfähler. Er war einer der wenigen Menschen, die stets die Augen offenhielten und nicht nur die Objekte sahen, die ihnen präsentiert wurden. Er schaute auch hinter die Dinge. Er konnte es fühlen, riechen und schmecken, wenn sich etwas anbahnte.

Als Witwer lebte er in einem Land der Sagen und Legenden. Er kannte die Geschichte, er kannte die Auswirkungen, die bis in die heutige Zeit hineinfassten, und er wusste auch, dass gerade hier in Rumänien die Sagen und Legenden nicht einfach aus der Luft gegriffen waren, sondern oftmals zu bösen Tatsachen wurden – mit denen er sich dann auseinanderzusetzen hatte.

Tatsachen, die einen bestimmten Namen trugen.

Vampire!

Marek war der Pfähler, er war der gnadenlose Vampirjäger, und er wurde nie arbeitslos. Stets war er auf der Suche, und oft genug wurde er fündig, denn die Blutsauger versuchten es immer wieder. Sie hatten sich lange genug verborgen gehalten. Doch das alte System war tot, die Vampire hatten blutige Morgenluft gewittert, und Marek hatte schon so manchen Wiedergänger vernichten können. Aber die Brut war ganz nicht zu zerstören. Wurde ihr ein Arm abgeschlagen, so wuchs der nächste nach, diesmal noch vorsichtiger und versteckter.

Es gab diese Brut wieder, es gab sie immer noch, und sie war stärker denn je.

Daraus ließ sich einzig und allein ableiten, dass der Pfähler eben mehr Arbeit bekam und nicht mehr so oft in seiner kleinen Heimatstadt Petrila war, sondern mit seinem alten VW kreuz und quer durch das Land fuhr, um die Vampire zu suchen.

Er kannte die hohen Pässe, die einsamen Täler und die dunklen Wälder. Er wusste, wo die alten Schlösser und Burgen standen, die meisten waren zwar zerstört, damit aber auch ausgezeichnete Verstecke für diejenigen, die das Licht des Tages scheuten.

Wenn er sie stellte, kannte er kein Pardon. Dann setzte er seinen alten Eichenpflock ein, der ihm auch sein Kampfnamen gegeben hatte – der Pfähler.

Marek suchte, Marek fand. Er hatte eine Nase dafür, wo sich irgendwelche Blutsauger aufhalten konnten. Er konnte aus bestimmten Spuren vieles entnehmen. Obwohl sich ihre Verhältnisse, relativ gesehen, verbessert hatten, scheuten sie noch immer das Licht der Öffentlichkeit. Sie verkrochen sich, tauchten unter, verschmolzen mit der Schwärze der Nacht und hatten alle Zeit der Welt.

So war es auch vor einer Wochen gewesen, und Marek, der seinen Wagen in der Nähe der Bahnhofs abgestellt hatte, erinnerte sich noch genau an die Begegnung mit einem Mann, der in der Szene der Schleicher genannt wurde.

Es war ein widerlicher Typ, dabei fiel er gar nicht auf, aber gerade das machte ihn so gefährlich. Er schlich, und er hatte dabei seine Ohren gespitzt.

Der Schleicher wusste viel, der Schleicher stellte Verbindungen her, der Schleicher kassierte dafür auch ab. Nur in ausländischer Währung, versteht sich, und so gehörte er in Rumänien zu den vermögenden Menschen. Viele kannten ihn, doch keiner kannte ihn richtig. Man wusste auch nicht, wo er wohnte. Wer ihn treffen wollte, der traf ihn auch, denn es gab gewisse Orte, wo er anzutreffen war und gewissermaßen wie ein Häufchen Elend in irgendeiner Ecke hockte, denn auffallen wollte er auf keinen Fall.

Marek zuckte zusammen, als durch den offenen Spalt der Seitenscheibe einige Schneeflocken in den Wagen drangen und seine Wangen erwischten. Die Kühle riss ihn aus seinen Gedanken an den Schleicher und der letzten Begegnung mit ihm. Als er merkte, dass sich in seiner Umgebung nichts tat, tauchte er wieder in seine Erinnerungen ein und dachte daran, wie sie sich getroffen hatten.

Der Schleicher wusste über vieles Bescheid, auch über Mareks Lebensaufgabe. Es gehörte ebenfalls zu seinen Eigenschaften, den Mund halten zu können. Das war so etwas wie eine Lebensversicherung für ihn, sonst wäre er schon längst tot gewesen. Er wusste das und hielt sich daran. Von Marek war ihm ferner bekannt, dass dieser ebenfalls ausländisches Geld besaß, Devisen, und so war auch der Pfähler für den Schleicher interessant geworden.

Sie hatten sich in einer Gaststätte verabredet, die in einer kleinen Stadt lag und als Nachrichtenbörse galt. Die Stadt interessierte keinen, nur die Gaststätte war wichtig. Es hatte sie schon zur Zeit der Donau-Monarchie gegeben, dementsprechend alt war sie. Der Glanz ehemaliger Zeiten war verblasst, und Stuck und Kronleuchter so wie Plüsch und Tapeten wiesen mehr Staub auf als Farbe.

Früher hatte die Gaststätte zu einem Hotel nebenan gehört. Von dem aber standen nur noch Fragmente. Niemand würde hier je einziehen und wohnen, höchstens ein paar Ratten.

Vor dem Lokal aber standen die Wagen. Autos verschiedener Epochen, manche uralt, andere wiederum nagelneu, denn Schieberbanden organisierten die Fahrzeuge in Mittel- und Westeuropa und brachten sie auf dem schnellsten Weg in den Osten und Südosten.

Als Marek das Lokal betrat, musste er sich erst an die fremde Umgebung gewöhnen, denn es war etwas los. Zahlreiche Stimmen, viel Rauch und Parfümdunst schwängerten die Luft, denn es gab genügend Frauen, die hier auf Kundenfang gingen.

Junge, hübsche Mädchen, die auf ihre Art und Weise Geld verdienten und nicht darüber nachdachten, was sie sich damit antaten. Marek dachte nicht daran. Zudem hatten diese Geschöpfe für einen Mann wie ihn keinen Blick.

Er war ihnen zwar nicht zu alt – darüber sahen sie oft hinweg –, aber er sah nicht so aus, als könnte er ihnen die Scheine auf den nackten Bauch kleben, wie sie es nun mal gewohnt waren. Sie sahen einen nicht zu großen Mann mit weißgrauen Haaren, einem zerfurchten Gesicht, der einen abgetragenen Wintermantel trug und seine Hände in den Taschen vergraben hatte.

Marek wusste, wo er den Schleicher finden konnte. Dieser Mann hielt sich nicht da auf, wo die Action war, er liebte das Versteck, den Hintergrund, und da war er in diesem Lokal auch richtig, denn es gab ja nicht nur den einen Raum.

Nischen, Hinterzimmer, alles war da. Dort, in der relativen Stille, wurden die großen Geschäfte gemacht.

Marek fragte einen Kellner nach dem Schleicher.

»Bist du Marek?«

»Ja.«

»Dann geh in die Nische mit dem roten Vorhang.«

»Danke.«

Die Nische lag nahe an einem Durchgang, der zu den Toiletten führte. Der Vorhang war geschlossen, da ging der Schleicher auf Nummer Sicher, und Marek schob den Stoff vorsichtig zur Seite, um einen Blick in die Nische zu werfen.

Der Schleicher hatte die Bewegung gesehen. Durch den leichten Windzug flackerten die Kerzenflammen und ließen den Wartenden aufmerksam werden.

»Ich bin es.«

»Ist schon gut, komm her!« Der Schleicher nickte und rückte auf einen anderen Stuhl.

Marek betrat die Nische. Drei Tische standen dort. Nur einer aber war besetzt, und der Schleicher zeigte ein breites Grinsen, als Marek seinen Mantel auszog. »Verändert hast du dich auch nicht, Marek.«

Frantisek hob die Schultern. »Warum soll ich mich verändern?«

»Wie alt bist du jetzt?«

Marek ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Jung genug, um noch nicht zu sterben.«

Die Antwort ließ den Schleicher kichern. Er war ein Typ, der auch in eine Operette hineingepasst hätte. So als ungarischer Dandy mit Charme, Schmalz und »Küss die Hand«. Ein blasses Gesicht, volles dunkles Haar und auf der Oberlippe ein schmales Bärtchen. Insgesamt machte er einen etwas verlebten Eindruck. Er trug einen dunklen Anzug und an den Füßen halbhohe Stiefel.

»Du bist sogar pünktlich.«

»Bin ich immer.«

»Willst du ein Bier?«

»Ja, gern.«

Der Schleicher griff neben sich, wo drei Flaschen standen. Auf Gläser verzichteten beide. Marek bekam die schon geöffnete Flasche zugeschoben, sie prosteten sich zu, tranken, und der Pfähler leerte die Flasche bis zur Hälfte.

»Gut, das Bier?«

»Kann man wohl sagen.«

Der Schleicher lachte. »Es stammt aus Deutschland. Ich habe es günstig gekriegt.«

»Und mitgebracht?«

»Nein. Was hier steht, ist mein Deputat.«*

»Aber deshalb bin ich nicht gekommen.«

»Bestimmt nicht.«

»Also, worum geht es?«

Die beiden waren allein, der Vorhang dämpfte den Lärm, so brauchte keiner von ihnen zu flüstern. »Was ist dir eine Information wert, Marek?«

»Wie gut ist der Tipp?«

»Heiß – sogar kochend.«

»Zehn Pfund ...?«

Der Schleicher schluckte. Dann sah er aus, als wollte er Marek an die Gurgel springen. »Zehn Pfund? Willst du mich auf den Arm nehmen, verdammt?«

»Nein. Wieso?«

»Was ich dir sage, ist top.«

»Gut, zwanzig Pfund, weil du es bist.«

»Fünfzig.«

Marek schnappte nach Luft. »Das ist ein Vermögen.«

»Ha, ha. Hast du nicht Freunde?«

»Ja, aber keine Millionäre.«

»Du kannst es lassen. Trink dein Bier aus, wir unterhalten uns über das Wetter, und die Sache ist erledigt. Dabei solltest du dich auch daran erinnern, dass ich dich noch nie reingelegt habe. Du bist bei mir immer gut gefahren. Meine Tipps sind erste Sahne.«

»Dreißig.«

»Nein.«

Sie einigten sich schließlich auf vierzig Pfund. Frantisek zählte die Scheine ab, und sein Gegenüber ließ sie blitzartig verschwinden. Dann knetete er seine dünne Nase und räusperte sich. »Was ich dich jetzt frage, hängt bereits mit meiner Information zusammen. Kennst du die Ravensteins?«

Der Pfähler überlegte. »Fällt mir im Moment nicht ein. Müsste ich sie kennen?«

»Im Prinzip nicht. Kennst du denn ihr Schloss?«

Marek trank aus der Flasche. Er brauchte Zeit, und er erinnerte sich tatsächlich daran, diesen Namen schon einmal gehört zu haben. Als er die Flasche abstellte, nickte er.

»Also kennst du sie doch?«

Frantisek hob die Schultern. »Ich glaube, mich daran erinnern zu können. Es klingt sehr nach Vergangenheit.«

»Das war es auch.«

»War?«

Der Schleicher schnalzte mit den Lippen. »Ist es aber nicht mehr, mein Freund.«

»Wolltest du mir das sagen?«

Der Schleicher nickte heftig. »Ja, das wollte ich. Die Familie Ravenstein kehrt zurück. Ich weiß nicht, wo in Europa sie sich aufgehalten hat, aber sie wird bald wieder auf ihrem Schloss eintreffen. Man hat es bereits gerichtet.«

»Das weißt du?«

»Hundertprozentig.«

Marek strich über die Stirn, dann über seine Nase. »Kannst du mir denn auch verraten, was ich mit den Ravensteins zu tun haben soll? Wie sie mich tangieren?«

Der Schleicher betrachtete seine Fingernägel, die wie manikürt aussahen. »Ich bin wirklich überrascht, Marek, wie wenig du über diese Familie weißt, die vor vielleicht hundert Jahren Rumänien verlassen hat. Der Legende nach sollen die Ravensteins eine Vampir-Familie sein.«

Jetzt war es heraus, und plötzlich war Marek hellwach. In den letzten Minuten hatte er sich doch ein wenig müde gefühlt, nun war ein Zustand erreicht, der so etwas wie Jagdfieber durch seinen Körper peitschte. »Ich kann mich darauf verlassen?«

»Stimmt alles. Sie kehren zurück. In wenigen Tagen. Der Zug wird nachts in den Bahnhof von Cirkova einrollen.«

»Den Ort kenne ich.«

»Umso besser.« Der Schleicher grinste. »Noch ein Tipp am Rande, Marek. Das Schloss der Ravensteins ist von diesem Ort nicht sehr weit entfernt. Mehr kann ich dir nicht sagen.«

»Doch. Wann treffen sie ein?«

Der Schleicher hob die Schultern. »Da muss ich leider passen. Man hat von der übernächsten Nacht gesprochen. Was daran stimmt, weiß ich nicht. Ich würde es aber nicht so genau nehmen, denke ich.«

»Danke, ich werde dort sein.«

»Viel Spaß noch.«

Marek stand auf. »Spaß ist etwas anderes.« Dann ging er so unauffällig, wie er gekommen war ...

Und jetzt wartete er.

Marek hatte den alten VW außerhalb des eigentlichen Bahnhofsgeländes abgestellt, aber so geparkt, dass er den Vorplatz und die drei Schienenstränge im Auge behalten konnte.

Mitternacht war vorbei. Der Schnee rieselte ohne Unterlass aus den dicken Wolken. Auf dem Platz vor dem Bahnhof und auch in den engen Straßen und Gassen des Ortes zeigte sich kein Mensch. Selbst die Tiere hatten sich zurück ins Trockene verzogen.

Frantisek Marek gehörte zu den Menschen, die mit der Tugend der Geduld gesegnet waren. Er wartete, ohne nervös zu werden oder leise vor sich hin zu fluchen. Wer sich eine Aufgabe gestellt hatte, wie es bei ihm der Fall war, der musste einfach Geduld haben, ansonsten konnte er in Rente gehen. Auch seine Feinde, die Schwarzblütler, ließen sich oft genug Zeit, also hatte der Pfähler gelernt, lange zu warten.

Seine Waffe trug er bei sich. Sie war unter dem Mantel verborgen. Ein alter, glatter und sehr effizienter Eichenpflock, der so manchen Vampirkörper aufgerissen hatte. Auch eine alte Armeepistole hatte sich der Mann eingesteckt. Sie war nicht mit Silberkugeln geladen, Marek hatte darauf verzichtet, obwohl ihm sein Freund John Sinclair die Waffe schon das eine oder andere Mal angeboten hatte.

Als er an ihn dachte, drang ein Seufzen über seine Lippen. Lange hatte er nichts von ihm gehört. Im Gegensatz zu Marek war John auf der ganzen Welt unterwegs, um den Dienern der Finsternis nachzujagen. Er hatte auch Erfolge errungen, aber der ganz große, der endgültige Sieg würde ihm wohl nie gelingen. Das Böse war eben nicht auszuschalten, man konnte es höchstens in Schach halten und ihm immer wieder Teilniederlagen beibringen, aber ausrotten konnte man nicht.

Der Pfähler wartete auf fünf Blutsauger, auf eine Vampir-Familie mit dem Namen Ravenstein. Das waren fünf nicht zu unterschätzende Gegner, und er fragte sich schon jetzt, ob er allein gegen diese Pest ankämpfen konnte.

Wahrscheinlich nicht. Er wollte sie auch erst beobachten und dann, wenn es nicht anders ging, Hilfe aus London holen. John würde kommen, das stand fest. Er hatte ihn bisher noch nie im Stich gelassen. Wenn Marek anrief, dann nicht, um den Geisterjäger zu bitten, hier Ferien zu machen.

Es schneite unablässig.

Auf dem Fahrzeug des Pfählers lag die weiße Decke schon mehr als daumendick. Der Bahnhof, der in der Nacht nur von wenigen Zügen angefahren wurde, lag in tiefem Schlaf. Es brannte nur eine einsame Lampe vor der Station. Ihr Licht bildete auf der Schneedecke einen weißen Fleck und ließ die zahlreichen kleinen Kristalle wertvoll aussehen.

Auch die Frontscheibe des VW schneite zu. Marek ließ die Wischer laufen.

Durch das leicht geöffnete Fenster drang die kalte Luft und streichelte das Gesicht des Wartenden. Die Unruhe in seinem Innern hielt sich in Grenzen. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, nicht zu nervös zu werden, wenn er wartete.

Die in der Nähe stehenden Bäume hatten ihr Laub schon Wochen zuvor verloren. Auf dem kahlen Geäst hatte der Schnee ebenfalls seinen Platz gefunden und ließ sie aussehen wie fremdartige Gespenster, die sich nicht bewegen konnten.

Der Bahnhof lag etwas außerhalb des Ortes. Es gab nicht einmal eine Kneipe in der Nähe. Ohnehin hatte hier kaum jemand genügend Geld, sich einen feuchten Abend zu machen. Den Rumänen ging es schlecht. Nach dem Ende des Kommunismus war zwar vieles anders geworden, doch die großen Versprechen waren nicht oder nur teilweise eingehalten worden. Viele kochten ihr eigenes Süppchen, und man sah zu, dass man über die Runden kam. Oft halfen nur Beziehungen.

Der Schneefall blieb. Was für die einen eine große Pracht war, das war für die anderen ein Ärgernis. Auf den Routen würde der Verkehr zusammenbrechen, wenn es weiterhin so schneite. Nein, es war keine gute Zeit.

Marek beschwerte sich nicht. Seine Freunde in London besorgten ihm Devisen, und so konnte er sich so manches leisten, was anderen Menschen versagt blieb.

Die Frontscheibe schneite immer wieder zu, und irgendwann war es Marek leid. Da öffnete er die Fahrertür und kletterte aus dem Käfer.

Kaum hatte er einen Fuß ins Freie gesetzt, duckte er sich schon, denn die Flocken trieben so stark gegen ihn, als wäre er das einzige Ziel in der Nähe. Sie klatschten in sein Gesicht, klebten auf der Haut und auf den Augenbrauen fest, und Marek fluchte, als er dem treibenden Schnee den Rücken zudrehte und sich das Gesicht freiwischte. Seine Füße versanken bereits bis zu den Knöcheln in der weißen Pracht, was ihn nicht weiter störte und auch nicht den VW. Der kam überall durch. Marek schaufelte Schnee von den Scheiben. Er befürchtete, dass er vom langen Sitzen steif werden würde. Deshalb wollte er einen kleinen Rundgang machen und auch das alte Bahnhofsgebäude betreten.

Marek wanderte durch den Schnee. Den Kopf hielt er gesenkt. Seine Haare wurden von einer alten Mütze vor den Flocken einigermaßen geschützt. Er hatte den Kragen des Mantels hochgestellt, trat unter das Vordach des Bahnhofsgebäudes und blieb dort stehen. Marek schaute auf den Ort, den er wegen des Schneetreibens so gut wie nicht erkennen konnte. Ein paar Schatten schon, mehr nicht. Auch keine Lichter, man sparte mit dem Strom. Er wunderte sich, dass die einsame Laterne über ihm noch leuchtete.

Mit jeder Schneeflocke schien die Einsamkeit zuzunehmen. Der alte Mann, der sich noch gar nicht so alt fühlte und sich mehr mit einem Wolf verglich, fragte sich, ob die Menschen hier in Cirkova überhaupt wussten, was ihnen bevorstand, welchen Besuch sie bekamen. Das alte Schloss der Ravensteins lag einige Kilometer weit entfernt, in den Bergen. Es stand auf einem Plateau und war von dichtem Wald umgeben. Dort gab es noch Wölfe, und wenn es noch mehr schneite, dann kamen sie auf der Suche nach Beute auch bis in die Dörfer. In der letzten Zeit waren wieder Bären gesichtet worden. Auch sie würden ihren Hunger mit frischem Fleisch stillen wollen. Hatten sie erst einmal ihre natürliche Scheu überwunden, dann würden auch die Menschen nicht sicher vor ihnen sein.

Der Pfähler drehte sich um und drückte die Tür auf. Er lauschte den knarrenden Geräuschen. Sein Gesicht verzog sich. Die Geräusche schienen überlaut zu klingen. Es lag nur an der Stille, dass sie ihm so vorkamen. Er betrat die alte Halle.

Sie war kalt und leer.

Nichts war mehr zu sehen.

Kein Mensch hockte auf den beiden langen Holzbänken, die angekettet waren und sich gegenüberstanden. Der Boden war schmutzig. Die alten Steinfliesen mochten einmal ein Muster gezeigt haben. Nun aber war es verschwunden.

Er atmete die kalte Luft tief ein. Seine Stirn umwölkte sich. Er dachte nach. Er schaute auf die Uhr. Noch zehn Minuten, dann war die erste Stunde des neuen Tags vorbei.

Marek wollte warten. Bis zum Morgengrauen, wenn es sein musste. Sollte der Zug dann nicht eingefahren sein, würde er in der nächsten Nacht wiederkommen, denn er glaubte nicht, dass sich der Schleicher getäuscht hatte. Bisher hatte er all seinen Informationen trauen können. Er war noch nie von ihm im Stich gelassen worden.

Der Schalter, hinter dem hin und wieder jemand hockte, der Fahrkarten verkaufte, war leer. Ein altes Holzrollo war heruntergelassen worden. Rechts und links von ihm waren die Wände beschmiert. Kinder hatten dort Figuren gemalt.

Marek durchquerte mit schleppenden Schritten die Halle. Es war kalt hier. Er hatte die Hände tief in den Manteltaschen vergraben. Der Atem wehte flatternd vor seinen Lippen, als er die warme Luft kondensierte. Um den Bahnsteig zu erreichen, musste Marek eine weitere Tür öffnen. Es war eine Schwingtür, und er hörte ihr Schwapp-Schwapp, als sie hinter ihm zufiel und er wieder in die Zugluft trat.

Der Bahnsteig war leer.

Marek schaute nach rechts und links. Er stand unter einem Vordach. Vor ihm rieselte der Schnee in dicken Flocken der Erde entgegen und bildete einen dichten Vorhang, den Marek nicht durchblicken konnte. Selbst die Schienen waren kaum zu erkennen, denn auch sie hatten eine weiße Farbe angenommen.

Er blieb an der Wand stehen und überlegte, ob er sich hier wirklich allein aufhielt. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass die Familie Ravenstein diesen Ort erreichen und einfach aussteigen würde, als wäre nichts geschehen. Wenn er seiner Logik folgte, dann musste es jemand geben, der sie abholte. Schließlich mussten sie den Weg zum Schloss zurücklegen und es noch vor dem Hellwerden erreichen, wobei Marek davon ausging, dass der nächste Tag sicherlich nicht von strahlenden Sonnenschein begleitet wurde. Trotz allem liebten die Vampire die Dunkelheit ihrer Särge und Gruften. Zu Fuß würden sie bestimmt nicht zum Schloss gehen.

Er hatte keinen Menschen gesehen, der die Ravensteins hätte abholen können. Was aber nichts heißen musste. Es gab genügend Verstecke in der Nähe wie die Bretterwand jenseits der Gleise, die bei diesem Wetter kaum zu sehen war.

Marek griff zu einem alten Trick. Es war still um ihn herum. Er brauchte nicht weit zu gehen, um auf die Gleise springen zu können. Der Schnee rieselte sofort auf ihn nieder. Jedes Auftreffen der Flocken gegen seine Gesichtshaut war wie ein kalter Kuss.

Auf den Schwellen blieb er für einen Moment stehen und schaute in den wirbelnden Vorhang. Dann bückte er sich, kniete sich hin, drehte den Kopf und zuckte zusammen, als sein linkes Ohr die kalte Schiene berührte. Er gewöhnte sich schnell an die Temperatur, sie beeinträchtigte sein Hören nicht.

Es war nichts zu vernehmen. Kein fernes Vibrieren, kein noch so leises Rattern, es blieb still. Nur zwischen Ohr und Schiene schmolz der Schnee.

Der Pfähler richtete sich wieder auf. Er drehte sich seufzend um – und erstarrte.

Auf dem Bahnsteig stand jemand. Er wirkte wie ein Riese. Wahrscheinlich auch deshalb, weil Marek tiefer stand. Er konnte den anderen deshalb so deutlich sehen, weil der Vorhang aus Schnee hier nicht so breit war.

Der Mann bewegte sich nicht. Er trug einen Hut, dessen Krempe er tief in die Stirn gedrückt hatte. Auch wenn Marek sich die Höhendifferenz wegdachte, war der andere noch immer ein ganzes Stück größer als er. Von seinem Gesicht war nicht viel zu sehen. Seine Gestalt wirkte eckig. Das mochte an seinem langen Mantel mit den weit ausgestellten Schultern liegen. Die Hände sah Marek nicht, er hatte sie tief in die Manteltaschen geschoben, doch er konnte sich vorstellen, dass es gewaltige Pranken waren. Was machte dieser Mensch hier? War er ein Vampir? Marek konnte sich alles vorstellen. Der erste Schreck war vorüber, er atmete die kalte Luft und zwinkerte, weil ihm immer wieder Schneeflocken ins Gesicht und die Augen peitschten.

Der Fremde nickte ihm zu. »Komm da raus«, sagte er. Seine Stimme klang böse und rau, als wäre er erkältet.

Marek nickte. »Ja, ich werde die Gleise verlassen.« Er ging sicherheitshalber zur Seite. Der andere bewegte sich mit, schaute sehr genau zu, wie der Pfähler auf den Bahnsteig kletterte. Als Marek stand, schaute ihn der Fremde wieder an.

»Ich bin Horak«, sagte dieser. »Und ich überlege mir, ob ich dich töten soll ...«