John Sinclair Sonder-Edition 161 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 161 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Sie war nur einen halben Meter groß. Sie war nackt, sie war schön - und sie war tödlich!
Ein besessener Forscher hatte sie erschaffen und sich damit den Traum von der perfekten Alraune erfüllt. Doch dafür hatte der Zauberlehrling bitter büßen müssen, Alraunes Kuss war sein Todesurteil gewesen. Sie selbst aber war auf dem Höhepunkt ihrer Macht, denn Menschen gab es wahrlich genug. Alraunes Küsse brachten jetzt Wahnsinn und Tod. Ein Schicksal, das sie auch für ihren ärgsten Jäger vorgesehen hatte. Und dieser Jäger war ich ...


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Seitenzahl: 191

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Alraunes Todeskuss

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Alraunes Todeskuss

von Jason Dark

Sie war nur einen halben Meter groß. Sie war nackt, sie war schön – und sie war tödlich!

Ein besessener Forscher hatte sie erschaffen und sich damit den Traum von den Alraunen erfüllt. Doch der Zauberlehrling büßte. Alraunes Todeskuss zerstörte ihn. Sie aber kehrte gestärkt zurück, denn die Welt war voller Menschen, und Alraunes Küsse brachten den Wahnsinn und den Tod.

Sie sollten es auch für den Mann bringen, der sie jagte. Und dieser Mann war ich ...

Man konnte Elliot Quinn um alles beneiden, nur nicht um seinen Job. Aber einer musste ja auf die frischen Leichen achtgeben, wenn sie aus den Sterbezimmern in den kalten Kellerraum zur Aufbewahrung geschoben wurden. Einer musste sie registrieren, die Zahlen auf die kleinen Schilder malen und sie den Toten anhängen.

Das tat Elliot Quinn, und er ging dieser Arbeit schon seit über zwanzig Jahren nach. Er war ein Typ, der mit den Leichen auf du und du stand. Hin und wieder hatte er den Toten sogar eigene Namen gegeben, die fielen ihm spontan ein, wenn er dem Aussehen nachging. Später war er dann enttäuscht, wenn seine Namen mit den richtigen nicht übereinstimmten.

Quinn war verheiratet. Seine Frau putzte im Krankenhaus, und von seinem Job wollte sie nichts wissen. Ab und zu, wenn Elliot sauer war, ärgerte er seine bessere Hälfte, indem er von seiner Arbeit berichtete. Dann hielt sich seine Frau stets die Ohren zu. Hinzu kam, dass Quinn immer etwas übertrieb.

Für diesen Job waren mehrere Kollegen vorgesehen, sie wechselten sich in zwei Schichten ab. Der eine fing am Morgen an, der zweite am Nachmittag.

Elliot hatte seine Arbeit mal beschrieben. Er fühlte sich als der Wächter im Reich der Toten. Er gab auf die Leichen acht, er hütete sie und sorgte dafür, dass kein Fremder an sie herankam. Sie waren seine Kinder, mit denen er alles machen konnte.

In der Woche vor seinem Geburtstag hatte er Spätschicht. Er freute sich immer auf den Festtag, denn zwei seiner alten Kumpel aus Schulzeiten besuchten ihn dann, und es wurde richtig gebechert. Sein Geburtstag gehörte zu den Höhepunkten des Jahres, und er wusste auch, dass sich sein Weib wieder aufregen würde, aber das war ihm egal. Hauptsache, seine Kumpel kamen.

An diesem Abend, als er seine Leichen bewachte, dachte er natürlich an den großen Tag. Er hockte in seinem kleinen Büro, hatte den Fernseher eingeschaltet, den Ton aber abgedreht, weil der ihn zu sehr bei seinen Gedanken gestört hätte. Die drehten sich um viele Dinge, denn er wollte seinen Kumpeln etwas bieten. Schließlich wurde man nur einmal sechzig.

Quinn, dessen Gesichtsfarbe sich der seiner Toten irgendwie angepasst hatte, verzog die Lippen, als ihm etwas einfiel. Ja, das war ein Hammer, das war sogar super! Sie wurden den großen Tag nicht bei ihm im Haus feiern, sondern rausgehen und richtig auf den Busch klopfen. Sie wollten die Puppen tanzen lassen.

Die kleinen Augen strahlten, als er daran dachte. Es gab da eine Bar in Chelsea, von der andere berichtet hatten. Sie lag ziemlich versteckt, war gar nicht so offiziell. In einem alten Haus aus der viktorianischen Zeit war sie untergebracht worden, und man konnte sie nur durch einen Hintereingang betreten.

Das war genau richtig.

Und er wusste auch, dass dort die Post abgehen wurde. Die Mädels waren heißer als heiß, sie zogen eine Nummer ab, bei der man nicht nur feuchte Augen bekam, und die halfen selbst älteren Männern wieder auf das Fahrrad.

Den Namen der Bar wusste Elliot nicht, aber ein Kumpel von ihm kannte sie. Der war schon einmal dagewesen und wurde mit seinem Tipp bestimmt nicht hinter dem Berg halten.

Seiner Frau wurde er erzählen, dass sie in einen Pub gingen. Ja, so musste und wurde es laufen.

Er reckte sich, streckte die Beine vor und spürte die alten Knochen nicht mehr. Schon der Gedanke an die Bar machte ihn wieder munter, und er schielte durch die kleine Scheibe in den kahlen Flur hinein, durch den die Leichen gefahren wurden. »Tut mir leid«, sagte er, »aber ihr bekommt das nicht mehr zu sehen.« Er grinste wieder und rieb seine Hände, was raschelnde Geräusche hinterließ.

Dann schaute er sich im Licht der Schreibtischleuchte die Liste an. Er ging die Namen der Toten durch, die in der Leichenkammer lagen. Bei dem letzten stolperte er und runzelte die Stirn.

Der Knabe hieß Pietro Anzaro. Er war vor drei Stunden eingeliefert worden und überraschend gestorben. Sein Herz hatte plötzlich ausgesetzt. Trotz intensiver Wiederbelebungsversuche war es den Ärzten nicht gelungen, den Mann wieder ins Leben zurückzuholen. Dabei war er erst dreißig Jahre alt, viel zu früh, um dem Knochenmann die Hand zu schütteln.

Quinn hob die Schultern. So war das Leben. Den einen traf es zu früh, den anderen später, und die größten Schweinehunde lebten am längsten, das wusste er auch inzwischen.

Schlimm war es für ihn, wenn Kinder starben. Dann wurde selbst er weich und hätte manchmal heulen können, wenn er an das Leid der Eltern dachte. Zwar war er kein Vater, aber er konnte sich doch in die Menschen hineinversetzen. Wenn die kleinen bleichen Gestalten in die Kühlkammer geschoben wurden, lief ihm jedes Mal eine Gänsehaut über den Rücken, und er musste immer hart an sich halten, um nicht durchzudrehen.

Quinn stand auf.

Noch eine Stunde bis zum Feierabend. Bevor es soweit war, wollte er noch seine kleine Runde machen. Das heißt, er ging in die Totenkammer und schaute dort nach dem Rechten, wobei eigentlich nichts passieren oder sich verändern konnte, denn die Toten waren und blieben tot. Einen Scheintoten hatte man ihm im Laufe der Jahre noch nicht untergeschoben, das stand fest.

Er schaltete den Apparat aus, bevor er sich erhob und seine müden Beine streckte.

Er zerrte die Schiebetür seines Büros auf und schaute in den Flur, während er sich dabei am Kopf kratzte.

Es herrschte – wie immer – Totenstille.

Sobald man diesen Bereich des Krankenhauses betrat, wurde alles anders. Hier gab es keine Besucher, hier wurde kein Fremder hingeführt, so etwas verschwieg man am besten, das wollte auch niemand sehen. Dafür hatte Quinn Verständnis.

Er betrat den Flur. An der linken Seite führte er bis zum Aufzug hin. An der rechten endete er genau vor der Stahltür, hinter der dann die Toten lagen.

Quinn hatte sich daran gewöhnt, den kalten Raum zu betreten. Das war bei ihm ungefähr so, als wurde er in ein ihm bekanntes Wohnzimmer hineingehen, um dort irgendwelche Menschen zu begrüßen. Bevor er sich auf den Weg machte, griff er in die rechte Tasche seines grauen Kittels. Dort steckte immer eine kleine Flasche mit Whisky. Er holte sie hervor, nahm einen Schluck und steckte sie wieder weg. Erst dann ging er auf die Tür zu und entriegelte sie. Der große Sperrriegel stand schräg, und er musste schon einiges an Kraft aufwenden, um ihn nach unten zu zerren.

Dann zerrte er die schwere Tür auf, und er hörte wieder das »Schwapp«, als die Luft entwich.

Er blieb stehen.

Die Kälte floss ihm entgegen. Es war hier unten eine andere Kälte als draußen im Winter. Sie war für ihn nicht normal, denn sie schien gefüllt zu sein mit einer schmierigen Flüssigkeit oder mit dunklen Nebelschlieren, die ihm entgegenwehten. Eine derartige Kälte konnte man greifen wie dünne Stoffbahnen.

Der Eindruck war in all den Jahren geblieben, und daran wurde sich auch nichts mehr ändern.

An der rechten Seite lag der Lichtschalter. Er war ziemlich breit, und Quinn fand ihn mit zielsicherem Griff. Die Tür hinter ihm fiel mit einer trägen Bewegung wieder bis an den Rand heran, ohne jedoch richtig zu schließen.

An der Decke zuckte es, als läge dort jemand, der mit einem Blitzlicht fotografierte. Die Helligkeit war nicht strahlend, aber kalt, und sie zeichnete jede Kontur sehr blass nach. Auch die Tische, auf denen die Toten lagen.

Vier waren es diesmal.

Sie lagen nebeneinander, mit hellen Tüchern bedeckt, die nicht mal bis zu den Gesichtern reichten. Ebenso frei lagen die Füße. An ihnen hingen auch die kleinen Kärtchen mit den aufgemalten Namen.

Elliot ging sie ab. Er schaute auf die Karten, dann auf die Füße. Im Laufe der langen Jahren war er zu einem Fachmann geworden, was die Füße der Toten anging. Er konnte genau sagen, wie der Mensch früher gelebt hatte, ob er viel oder wenig gelaufen war und ob er stark geraucht hatte oder nicht.

Es hatte auch Zeiten gegeben, da war ihm beim Betreten dieser kleinen Totenhalle nicht so wohl gewesen. Da hatte Quinn immer pfeifen müssen, um seine eigene Verlegenheit zu überbrücken. Das war schon lange vorbei. Er versah seinen Job mit Routine.

Zwei Frauen und zwei Männer waren hier unten aufgebahrt worden. Ein Blick in das Gesicht der ersten Frau sagte ihm, dass diese die Siebzig schon erreicht hatte, und Quinn kriegte eine leichte Gänsehaut, wenn er daran dachte, wie schnell zehn Jahre um waren, dann wurde er auch siebzig. Er strich über das Haar in seinem Nacken, atmete schnaufend durch und ging weiter auf den nächsten Toten zu, dessen Gesicht ebenso kahl war wie die Wand des Totenhauses.

Wieder eine Frau. Diesmal jünger. Opfer eines Verkehrsunfalls, das wusste er aus den Unterlagen. Die Spuren waren noch nicht verwischt worden. Er musste zugeben, dass dies kein Anblick für schwache Nerven war, denn die Frau hatte es am Kopf erwischt. Zudem war ihr Brustkorb gequetscht worden.

Selbst Quinn schauderte, bevor er sich dem nächsten Toten zuwandte, einem glatzköpfigen Mann, der Ähnlichkeit mit dem vor kurzem verstorbenen ›Kojak‹ Telly Savalas hatte. Der Mann lag ebenfalls auf dem Rücken, die Augen geschlossen, und unter dem dünnen Laken zeichneten sich seine gefalteten Hände ab.

Aber so war das Leben. Wie eine Achterbahn. Auf der einen Seite Freude, auf der anderen Trauer und Schmerz.

Blieb der vierte Tote.

Er lag auf einem der Kunststofftische, und Quinn trat seitlich an ihn heran. Den Grund konnte er selbst nicht nennen. Es mochte an dem Namen Pietro Anzaro liegen, der ihm aufgefallen war. Der Mann stammte wahrscheinlich aus Spanien oder aus einem südamerikanischen Staat. Er hatte dichtes, schwarzes Haar, in dem kein einziger grauer Faden schimmerte.

Das Gesicht des Toten wirkte sehr männlich. Es war hart geschnitten, und auf den Wangen schimmerten noch die Schatten eines Bartes. Ein blasser Mund mit schmalen Lippen, darüber ein dünner Bart, die kräftige Nase und die Augen.

Augen?

Warum standen sie so weit offen? Nicht allein sie, auch der Mund dieser Leiche war nicht geschlossen, und Quinn saugte die Luft tief ein, bevor er sich räusperte.

Er wollte nicht eben behaupten, dass er sich fürchtete. Ein seltsames Gefühl hatte ihn schon überkommen, denn so sahen die Leichen normalerweise nicht aus. Da kannte er sich wirklich aus. Tote hatten Mund und Augen geschlossen. Anzaro hatte Augen und Mund offen.

Was war der Grund?

Nachdenklich blieb Quinn neben dem Toten stehen. Er hatte seine Stirn in Falten gelegt und puhlte mit dem linken kleinen Finger an seinem Ohr. Er versuchte mit aller Macht sich daran zu erinnern, ob der Tote bei der Einlieferung auch so ausgesehen hatte. Klar, das musste ja so gewesen sein. Der Mann war schließlich tot und hatte nicht noch später Augen und Mund aufgerissen.

Auf der anderen Seite brachte man keine Leichen herein, die so aussahen. Da schien irgendetwas nicht zu stimmen, aber er wusste nicht, was es war. Jedenfalls störte ihn der Ausdruck.

Sekunden später schalt er sich einen Narren. Was ging ihn der Tote an? Überhaupt nichts, gar nichts. Er sollte dort in Ruhe liegen, fertig.

Elliot Quinn drehte sich wieder um. Seine Inspektion war beendet. Zudem brauchte er so etwas überhaupt nicht zu tun, es gehörte nicht zu seinen Aufgaben. Er konnte in seinem kleinen Büro hockenbleiben und auf den Feierabend warten.

Als ihm der Gedanke kam, schaute er auf die Uhr. In einer knappen halben Stunde konnte er seine Sachen packen. Schon jetzt nahm Quinn sich vor, noch einen Schluck auf diesen Schreck zu trinken. Allerdings nicht hier, sondern in einem Pub, nicht weit von seiner Wohnung entfernt. Mochte die Frau auch keifen, es war ihm egal.

Quinn wandte sich ab. Er wollte auf die Tür zugehen und war auch schon auf halbem Weg, als er das Geräusch hörte.

Der Mann zuckte zusammen, als hätte ihm jemand ein Messer in das Schulterblatt gerammt.

Pfeifend entwich die Luft aus seinem Mund. Dieses Geräusch hätte ihn überhaupt nicht beunruhigt, wäre es nicht – ja wäre es nicht aus der Leichenkammer hier gedrungen ...

Er rührte sich nicht.

Hinter seiner Stirn bewegten sich die Gedanken. Der Mann versuchte, rational zu denken und diese Laute in einen Konsens zu bringen. Das gelang ihm nicht.

Es war einfach zu irrational, dass er in dieser Leichenkammer ein Geräusch hörte.

Oder hatte er sich geirrt?

Quinn blieb stehen, ohne sich umzudrehen, denn der Laut war hinter ihm aufgeklungen. Und dort hielt sich niemand auf, abgesehen von den vier Toten.

Die waren tot, es waren Leichen, sie konnten keine Geräusche mehr von sich geben. Dazu waren sie einfach schon zu lange tot. Wären sie gerade erst gestorben, okay, aber so ...

Er schaute auf seine Hände und ärgerte sich darüber, dass sie zitterten. Vor Wut und Frust ballte er sie zu Fäusten, während er hinter seinen Augen einen Druck spürte. Dann kam ihm plötzlich der Magen hoch, als sich der Laut wiederholte.

Diesmal hatte er ihn so deutlich gehört, dass er ihn sogar hatte identifizieren können.

Das Geräusch war ein Würgen gewesen. Ein widerlich klingendes Würgen, als wäre jemand dabei, etwas zuerst durch den Hals und dann durch den Mund zu pressen.

Konnten sich Leichen übergeben?

Quinn erschrak über seine eigenen Gedanken. Die Luft atmete er durch die Nase ein. Er glotzte die Tür an, die nicht weit von ihm entfernt lag. Meine Güte, das waren nur wenige Schritte, dann hatte er sie erreicht und konnte verschwinden.

Er tat es nicht. Fragte sich selbst auch nicht nach den Gründen und drehte sich, wie von einer unsichtbaren Hand geführt, auf der Stelle um. Was hinter ihm gelegen hatte, das lag nun vor ihm.

Vier Tische mit Leichen.

Drei Leichen lagen still.

Ein Mann aber – Pietro Anzaro – bewegte sich. Sein Körper zuckte, als wollte er jeden Moment aufstehen, und den Zuschauer erfasste eisiges Grauen.

So etwas hatte er noch nicht erlebt. Für ihn war dies der Anfang des Jüngsten Gerichts ...

An diesem Abend, als ein gewisser Elliot Quinn die Welt nicht mehr verstand, hatte ich mich landfein gemacht, um eine Bar zu besuchen. Keine Striptease-Bude im eigentlichen Sinne, sondern ein spanisches Lokal, das den etwas anrüchigen Namen Bar gar nicht verdiente, denn man konnte dort essen und anschließend einem gut gemachten Programm zuschauen, das natürlich folkloristisch war.

Vor der Bar hatte ich im Schaukasten das Bild einer rassigen Tänzerin gesehen. Sie hieß Maria Anzaro und war der Star des Programms. Sie brachte einen Hauch Andalusien in dieses Lokal hinein, denn mit ihren Vorführungen begeisterte sie alle. Der Reklame nach zu urteilen, war sie perfekt, und das hatten die geschrieben, die es wissen mussten, denn neben Marias Foto hingen einige Zeitungsausschnitte ihrer wohlwollenden Kritiker.

Ich war nicht allein gekommen. Suko hatte die Chance genutzt und war mitgegangen.

Vor dem Eingang fragte er mich noch einmal. »Und du weißt wirklich nicht, was diese Tänzerin ausgerechnet von dir will?«

»Wenn ich es dir sage.«

Mein Freund grinste. »Vielleicht hat sie dich mal gesehen und in Erinnerung behalten.«

»Quatsch.«

»Ja, John, du bist ihr aufgefallen, und jetzt möchte sie mit dir einen Flamenco tanzen.«

»Da hat sie sich den Richtigen ausgesucht.«

Suko ließ nicht locker. »Warst du nicht mal Eintänzer in einer Fischbratküche?«

»Nicht nur das. Ich war sogar der Fisch.«

»Aha, wie köstlich.«

Ein Portier in der Uniform eines Matadors öffnete uns und verbeugte sich. Spanische Musik klang uns entgegen. Wir hörten das harte Hämmern der Gitarrensaiten und das Klacken der Kastagnetten.

»Maria tanzt bereits«, sagte der Portier.

»Lange schon?«

»Nein.«

»Dann kriegen wir noch etwas mit.«

»Und ob, Señor.«

Der Vorraum war klein, die Garderobe eng, die von einer weißhaarigen Frau besetzt war. Wir nahmen sie nicht in Anspruch, und so konnte sie weiter in ihrem Magazin lesen.

Durch eine Schwingtür betraten wir das eigentliche Lokal. Es war ein nicht zu großer Raum mit hellen Wänden, der wohl an eine Edelbodega erinnern sollte. Die Tische verteilten sich um eine Tanzfläche, die in diesen Minuten der absolute Mittelpunkt des Lokals war, denn auf ihr tanzte Maria.

Und wie sie das tat.

Wir waren von Beginn an fasziniert. Nicht nur von ihrem langen Kleid, dessen Rock sich aus mehreren, mit Spitzen bedeckten Stoffbahnen zusammensetzte, sondern auch von dem eng anliegenden Oberteil, das einen sehr breiten und interessanten Ausschnitt hatte.

Das Haar hatte die Tänzerin glatt und streng zurückgekämmt und es am Hinterkopf zu einem Knoten verschlungen. Ihr Gesicht konnten wir nicht genau sehen, dazu bewegte sie sich zu schnell. In ihren Stiefeletten wirbelte sie über die Tanzfläche. Sie drehte sich mal mit ausgestreckten Armen, mal mit angezogenen, und ihre Hände zuckten dabei, schlugen die Kastagnetten im Rhythmus des Liedes, denn gerade dieser Klang war der ideale Begleiter für die Gitarrenmusik.

Nicht weit von der Tanzfläche entfernt stand der junge Mann, umhüllt von einem dunkelroten, eng anliegenden Kostüm und einem schwarzen Sombrero auf dem Kopf.

Er spielte nicht nur, er sang auch mit einer harten, etwas rauchig klingenden Stimme, als wollte er die Kargheit und Hitze der Sierra nach London transportieren.

Ein furioses Finale begann, in dem Maria Anzaro noch einmal alles zeigte, was sie konnte.

Die Gäste saßen wie erstarrt, aber auch wie auf dem Sprung, denn sie warteten nur darauf, Maria endlich mit dem gerechten Beifall beschenken zu können.

Noch war sie nicht fertig.

Sie dehnte das Finale aus, sie machte es zu einem tänzerischen Kunstwerk, sie war eine Königin im Reich des Flamenco, sie war einfach phantastisch.

Und die Gäste klatschten mit, angeheizt durch die Stimme und die Bewegungen des Musikers. Sie feuerten Maria noch einmal an, deren Körper sich zu verwandeln und aufzulösen schien, so schnell drehte sie sich auf der Tanzfläche.

Der Mensch wurde zu einem furiosen Wirbel, noch einmal schlug der Musiker die Akkorde hart an. Er war dabei leicht in die Knie gesackt, er schrie auf, und sein Instrument verstummte, als er die flache Hand auf die Saiten legte.

Schluss – aus – vorbei!

Stille. Das tiefe Luftholen. Ein Moment, der ziemlich lange andauerte, bis dann der Beifall aufbrandete. Es blieb nicht dabei, denn die Zuschauer tobten und pfiffen, sie trampelten, sie schrien ihre Begeisterung hinaus, an der auch wir uns beteiligten, sie waren aus dem Häuschen, und ich schaute auf die Tanzfläche, wo eine schwer atmende Maria Anzaro stand, den Kopf in den Nacken gelegt, die Arme ausgebreitet, als wollte sie all die Gäste damit umfangen.

Sie war erstarrt.

Noch einmal schien sie den Tanz auf eine andere Art und Weise zu erleben. Ihr Mund stand offen, sie schnappte nach Luft, dann aber war diese Phase der Ruhe vorbei, und ihr Oberkörper vollführte eine elegante Verbeugung.

Die Spotlights für die Tanzfläche waren erloschen. Mittlerweile brannten wieder die normalen Lichter, eine etwas gedämpfte Beleuchtung, aber nicht so schummrig, als dass der Gast sein Geld nicht mehr hätte erkennen können.

»Suchen wir uns einen Platz?«, fragte Suko.

»Moment noch.« Ich schaute auf die Tanzfläche, wo sich Maria drehte und in die verschiedenen Richtungen blickte, auch dorthin, wo Suko und ich standen.

Sah sie mich? Hatte sie mich erkannt? Für einen Moment glaubte ich, ein Blitzen in ihren Augen zu sehen, der breite, rot geschminkte Mund zeigte ein Lächeln, dann wandte sie sich ab, und ich hatte den Eindruck, als hätte sie mir in der Bewegung noch einmal zugenickt.

Suko hatte bereits einen freien Tisch gefunden. Zwei kleine Sessel standen vor der runden Platte, auf der eine gehäkelte Decke lag. Die rote Kerze stand in einem Ständer aus Stein, und der frische Docht wurde von einem Kellner angezündet, kaum dass wir unsere Plätze eingenommen hatten.

Er legte uns die Karten hin. Essen wollten wir nichts, gegen einen Schluck hatte ich jedoch nichts einzuwenden. Lange brauchte ich nicht zu suchen, denn schon auf der ersten Seite der Karte wurde auf das Spezialgetränk des Hauses hingewiesen.

Sangria nach Art der Katalanen.

Ich bestellte ihn. Suko trank nur Wasser, denn er musste noch fahren.

Ich gab die Bestellung auf, und der Kellner freute sich über meine Bestellung.

»Unser Sangria ist wirklich etwas Besonderes. Er ist einmalig hier in London. Ich soll Ihnen noch ausrichten, dass Maria bald hier erscheinen wird. Sie will sich nur etwas erfrischen und umziehen.«

»Danke, wir warten.«

Inzwischen kam die Musik vom Band oder von der CD, und wir konnten uns umschauen.

Dieses Lokal war wirklich eine spanische Enklave. Ich hatte den Eindruck, dass Suko und ich die einzigen Fremden waren, die hier saßen. Jedenfalls fielen wir durch unser Aussehen auf. Die anderen Gäste waren doch mehr Südländer.

Es gab keine offene Anmache in diesem Lokal. Zwar sah ich eine Handvoll junger Mädchen, die aber saßen wohl mit Bekannten zusammen und hatten ihren Spaß.

Wir bekamen unsere Getränke. Ein Glas Champagner stellte der Kellner ebenfalls ab mit der Bemerkung, dass es für Maria wäre. Sie liebte dieses Getränk ebenso innig wie den spanischen Rotwein.

Wir bedankten uns und warteten auf Maria. Ich hatte noch Zeit, den Sangria zu probieren. Er schmeckte vorzüglich.

»Und?«, fragte Suko.

»Super.«

»Mein Wasser auch.«

Ich grinste nur schief und erkannte an Sukos Mimik, dass sich jemand unserem Tisch näherte. Suko erhob sich, ich stand ebenfalls auf und drehte mich um.

Maria Anzaro trat uns entgegen, verfolgt von den Blicken zahlreicher Gäste, von denen einige sogar noch jetzt klatschten, so begeistert waren sie von der Darbietung gewesen.

Sie hatte sich umgezogen, trug nun eine schlichte weiße, weit fallende Bluse mit ovalem Ausschnitt, einen Glockenrock aus dunklem Stoff und blitzende Ringe an ihren Ohren. Ringe blitzten auch an der Hand, die sie uns reichte und dazu erfrischend lächelte.

Ein Hauch ihres herben Parfüms streifte uns. Zum ersten Mal sahen wir ihr Gesicht aus unmittelbarer Nähe. Ihre Haut war sehr zart, der Mund stach davon ab wie eine volle Blüte, und die schwarzen Pupillen ihrer Augen hätten auch von einem Maler stammen können. Das kleine Kinn hatte sie vorgestreckt, überhaupt machte sie einen sehr agilen Eindruck, die Anstrengung des Tanzes war ihr jedenfalls nicht anzusehen.

Wir setzten uns. Maria griff nach dem Glas, hob es an und leerte es bis zur Hälfte. »Das musste ich jetzt haben«, sagte sie und lächelte uns an.

»Sie waren phantastisch.«

»Halb so wild, Mr. Sinclair.«

»Sagen Sie John und Suko. Das klingt persönlicher.«

»Gern. Ich bin Maria.«