John Sinclair Sonder-Edition 162 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 162 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Achtzig Jahre hatte das Grauen in der Erde gelegen. So lange hatte Sarah Helen Roberts, die Blutfrau, darauf gewartet, zurückkehren und einen alten Racheschwur erfüllen zu können.
Achtzig Jahre, die jetzt abgelaufen waren! Helfer hatten die Untote aus der kalten Erde geholt und sie nach Europa geschafft, nach London, um genau zu sein. Ausgerechnet hier wollte Sarah Helen Roberts nun ihre unermessliche Gier nach Blut stillen ...


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Seitenzahl: 189

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Gier nach Blut

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Gier nach Blut

von Jason Dark

Achtzig Jahre hatte das Grauen in der Erde gelegen. So lange hatte Sarah Helen Roberts, die Blutfrau, darauf gewartet, zurückkehren und einen alten Racheschwur erfüllen zu können.

Achtzig Jahre, die jetzt abgelaufen waren! Helfer hatten die Untote aus der kalten Erde geholt und sie nach Europa geschafft, nach London, um genau zu sein. Ausgerechnet hier wollte Sarah Helen Roberts nun ihre unermessliche Gier nach Blut stillen ...

Das Grauen lag tief verborgen in der Erde, in einem finsteren Grab. Tonnen von Stein und Lehm schützten es vor den Blicken und dem Zugriff der Menschen.

In der Erde lag sie, eine Legende, ein schrecklicher Alptraum, vor dem sich die Menschen fürchteten. Er hatte einen Namen, der so gar nicht nach Grauen oder Tod klang.

Sarah Helen Roberts!

Die Frau, die der Sage nach mit dem Reich Draculas in Verbindung gestanden haben soll und die eine alte Drohung wahr werden lassen wollte.

Achtzig Jahre war diese Frau tot gewesen – aber können Vampire wirklich sterben?

Viele Menschen lachten darüber. Was waren schon Vampire? Geschöpfe der Nacht, aber auch Geschöpfe, wie aus dem Märchen. Manchmal aber werden Märchen furchtbare Wirklichkeit.

Sarah Helen Roberts wartete fast acht Jahrzehnte, und ihr Durst nach Blut war zu einer unvorstellbaren Gier geworden.

Achtzig Jahre ...

Nur noch wenige Tage, dann würde diese Zeit abgelaufen sein. Dann würde sich der Fluch erfüllen ...

Auch die alte Ricca Marquez wusste Bescheid. Sie gehörte zu den wenigen Personen, die ihr Wissen nicht verdrängt hatten, sondern mit ihm lebten. Aber sie wollte es nicht für sich behalten, sie musste ihre Landsleute warnen, auch wenn sie Tausende von Meilen vom Ort des Geschehens entfernt waren. Man würde ihr nicht glauben, man würde sie auslachen, denn in der eigenen Familie hatte man über sie gelacht, da brauchte sie nur an Elvira zu denken, ihre Enkelin, eine moderne junge Frau, die so anders lebte als noch ihre Mutter und Großmutter. Der Beruf, die Karriere, die Selbstständigkeit, das Geld – all das hatte bei der jungen Frau Vorrang gehabt, und sie hatte auch darauf verzichtet, einen Mann zu heiraten, wie es sich eigentlich gehört hätte. Aber diese Zeiten lagen wohl endgültig zurück, und die neuen konnte Ricca Marquez nicht mehr verstehen.

Aber sie gab nicht auf. Der Schrecken der Erinnerung hatte sie nicht losgelassen, denn sie wusste sehr gut, dass auch die Zeit das Grauen nicht auslöschen konnte.

Heimlich hatte sie ihre Fäden gezogen und ihren Landsleuten Bescheid gegeben. Nur kein Aufsehen, denn sie, Sarah Helen Roberts, die kurz vor der Rückkehr stand, sollte auf keinen Fall etwas bemerken. Wahrscheinlich brodelte es in ihr, bestimmt hatte sie schon die richtigen Helfer gefunden, die ihr den Weg ebnen würden.

Achtzig Jahre!

Der Fluch war nicht ausgelöscht. Niemand hatte es getan. Die meisten Menschen, die ihn noch erlebt hatten, waren verstorben, aber von der Familie Marquez lebten noch einige. Und das war auch gut so. Wer sonst hätte die anderen denn warnen können?

Die alte Ricca hatte ihre Landsleute zu dieser kleinen Versammlung gebeten, und sie hoffte, dass viele erscheinen würden. Ob man ihren Worten Glauben schenken würde, stand in den Sternen. Aber keiner sollte ihr später nachsagen können, dass sie nicht alles versucht hatte. Noch war es Zeit bis zum Treffen, und Ricca Marquez hielt sich in ihrer kleinen Kammer auf. Diese Örtlichkeit reichte ihr, sie war nicht eben verwöhnt. Das Bett, der kleine Tisch, der Schrank, ein Waschbecken, das schmale Fenster und daneben, zwischen der Scheibe und der Tür, der kleine Altar, den sie in den vergangenen Stunden geschmückt hatte.

Die Blumen hatte sie auf dem Markt besorgt, ebenso die Knoblauchstauden, deren Geruch im Raum hing. Vor das Fenster hatte Ricca die Gardine gezogen und anschließend noch das Stoffrollo.

Als Lichtquellen dienten ihr vier Kerzen, die ebenfalls einen bestimmten Platz eingenommen hatten. Sie standen jeweils an den seitlichen Enden des kleinen Holzaltars und beleuchteten die übrigen Gegenstände, die dort aufgebaut waren.

Die hölzerne Madonna stammte noch aus Riccas Heimat Peru. Sie war ein kleines Kunstwerk, geschaffen von einem ehemaligen Pfarrer, sehr schlicht zwar, doch gerade wegen ihrer Schlichtheit beindruckend. Der Pfarrer hatte die Madonna gesegnet und geweiht, in ihr steckte das Gute, die Kraft, die sich dem Bösen entgegenstemmte, und Ricca hoffte, dass ihr diese Kraft helfen würde.

Sie sollte auch all ihre Freunde vor dem Bösen bewahren. Die beiden Knoblauchstauden hatte Ricca um die Figur verteilt. Der Geruch überdeckte den der frischen Blumen, aber das musste so sein, denn die Alte wusste genau, wie sehr die Vampire den Geruch des Knoblauchs hassten.

Das war schon immer so gewesen, und an den alten Regeln hatte sich nichts geändert, und Ricca Marquez vertraute voll und ganz darauf.

Noch etwas kam hinzu.

Dieses wunderbare kleine Holzkreuz, noch älter als die Madonna. Ein Erbstück, das bereits Riccas Mutter besessen hatte. Es zeigte noch den Lack der ersten Stunde. Nicht nur das aber fiel auf. Auch die kleinen Perlen, die wie Tränen aus Eis aussahen und das Kreuz an den Seiten nachzeichneten, waren beeindruckend. Angeblich sollten es die Tränen der Heiligen sein, aber das gehörte ins Reich der Legende.

Nichtsdestotrotz liebte die alte Ricca das Kreuz über alles. Sie war auch davon überzeugt, dass es einen mächtigen Schutzwall gegen das Böse bildete. Nie war es für sie wertvoller gewesen als jetzt. Nie hätte Ricca daran gedacht, dass ihr der Herrgott dieses hohe Alter schenken würde, denn mittlerweile war sie neunzig Jahre alt. Als sie zehn war, hatte man Sarah Helen Roberts begraben, und daran konnte sich Ricca noch sehr gut erinnern.

Sie war die einzige, die sich daran erinnerte.

Auf ihrer Bettkante hatte sie Platz genommen und betrachtete den Altar. Die Hände lagen in ihrem Schoß. Wie seit Jahren schon trug sie dunkle Kleidung, und sie hatte auch auf die schwarze Mantilla nicht verzichtet, die ihre Schultern bedeckte und den weißen Kragen des Kleides grau schimmern ließ.

Die Flammen brannten ruhig. Es gab keinen Luftzug, der sie hätte bewegen können.

Das Licht ließ den Altar noch geheimnisvoller erscheinen, als er es in Wirklichkeit war. Er schimmerte und schien in der Düsternis des Zimmers zu schweben, und das Licht der Kerzen beleuchtete auch die hölzerne Betbank vor dem Altar.

Die schmale Kniefläche war mit Samt bedeckt. Ein sehr alter Stoff, und genau dort, wo man kniete, war der Samt verschlissen.

Es war ihre Betbank, und die alte Frau würde auch heute wieder vor dem Altar knien. An diesem Tag war das Gebet besonders wichtig. In ihren Träumen hatte sie bereits gespürt, dass sich das Böse bereithielt, um sich auf den Weg zu machen. Es hatte schon Kontakt aufgenommen, denn sie, Ricca Marquez, war die einzige noch Überlebende aus alter Zeit. Sie kannte den Fluch, und sie hatte ihn nicht vergessen. Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag hatte sie darauf gewartet, dass die Zeit ablief.

Jetzt war sie beinahe abgelaufen.

Nur mehr wenige Tage bis zum Blutfest ...

Ricca Marquez schüttelte sich, als sie daran dachte. Ein Schauer lief über ihre noch immer recht straffe Gesichtshaut. Das Alter hatte Ricca nicht so stark gezeichnet wie andere Menschen in ihrem hohen Alter. Ob es eine Gnade Gottes war oder einfach nur daran lag, dass sie in ihrem Leben immer gearbeitet hatte, sie wusste es nicht. Als gläubige Christin tippte sie eher auf die Gnade Gottes.

Ja, es war so weit.

Sie stand auf, fasste die Mantilla an beiden Seiten und streifte sie über den Kopf. Diese Bewegung war der alten Frau in Fleisch und Blut übergegangen. Die jungen Dinger, ihre Enkelin eingeschlossen, konnten damit nichts mehr anfangen. Sie lebten eben in einer anderen Welt, aber Ricca machte ihnen keinen Vorwurf.

Kurz vor der Betbank blieb sie stehen. Das Gesicht der Madonna wurde vom Schein der Kerzen erfasst. Nichts störte die Schlichtheit ihres Gesichts. Und gerade weil dieses Gesicht so einfach und trotzdem perfekt geschnitzt worden war, schien es durch das Spiel von Licht und Schatten zum Leben erweckt worden zu sein.

Ricca Marquez kniete sich nieder. Sie tat es mit langsamen Bewegungen, und sie war froh, dass sie es geschafft hatte. Seit ihrer Kindheit betete sie auf diese Art und Weise.

Sie kniete vor ihrem Altar, und sie spürte den Druck der Bank nicht. Sie glaubte sogar zu schweben. Alles war so wunderbar mühelos für sie.

Die Madonna stand vor ihr. Ricca konnte sie direkt anschauen, wenn sie den Kopf hob. Auf ihre Lippen hatte sich ein Lächeln gelegt. In den dunklen Pupillen spiegelte sich das Licht der Kerzen als gelbrote, feurige Punkte.

Ricca Marquez faltete die Hände und stützte sich auf der Betbank ab.

Ihr Blick galt der Madonna und auch dem wunderbaren Kreuz. Die Figur selbst stand auf einem kleinen Sockel, und das Kreuz hatte die alte Frau gegen den Sockel gelehnt. Es stand schräg, und die Frau konnte jede einzelne Perle erkennen. Sie fing an zu beten.

Es waren keine Gebete, die in einem Buch niedergeschrieben worden waren, sie gehörten zu denen, die Ricca in ihrer Kindheit gelernt hatte. Worte aus alten Überlieferungen, die fromme Menschen irgendwann einmal aufgeschrieben hatten.

Die ersten Worte glitten noch etwas zögernd und stotternd über ihre Lippen, was sich aber rasch änderte, denn Ricca versank tief in ihr Gebet und erlebte eine für sie heilende Trance.

Zwar kniete die schmale, beinahe schon fragil wirkende Gestalt noch immer auf der Betbank, aber Ricca spürte es nicht. Sie kam sich so wunderbar frei vor, schon wie erlöst, als wäre ihr Geist aus dem Körper gestiegen und hätte die kniende Hülle zurückgelassen. Dieses Gebet war für sie wie Balsam. Sie lebte in diesen alten Worten, sie wurde hinweggetrieben in ein schützendes Meer, aber sie spürte auch, dass es nicht mehr so war wie sonst.

Etwas hatte sich verändert.

Anfangs hatte sie nichts gespürt. Da waren die Worte wie Beschützer gewesen. Dann aber, als sie eigentlich hätte zufrieden sein müssen, war langsam, aber sicher das Gegenteil eingetreten.

Sie empfand die Erfüllung nicht mehr so wie sonst. Da existierte plötzlich eine Kraft, die sie gewaltig störte, und diese Kraft stand nicht auf der Seite des Guten.

Sie war wie eine Wolke. Erst noch relativ weit entfernt, dann aber immer näher kommend, als gäbe es kein anderes Ziel als diese alte, betende Frau.

Die Wolke ließ sich nicht aufhalten.

Sie kam.

Sie war mächtig, sie war drohend, sie war schlimm. Sie bedeckte alles und nahm dem hellen Licht, das ebenfalls in der Ferne lag, seine Kraft, und auch die betende Frau blieb ebenfalls davon nicht verschont.

Ricca spürte, wie diese Wolke näher und näher kam. Sie brachte das Grauen, sie war stärker als die Worte des Gebets, und genau das konnte die Alte nicht fassen.

Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Im Gebet versuchte sie, gegen die Angst anzukämpfen. Ihre Augen, die bisher ruhig und nach innen gerichtet eine absolute Sicherheit ausgestrahlt hatten, veränderten sich nun. Sie begannen zu flackern. Die Angst vor dem unabwendbaren Grauen war in ihnen jetzt zu lesen.

Die alte Frau hatte in ihrem Leben schon des Öfteren Angst verspürt, jedoch nie so stark wie in diesem Fall. Es war keine Angst, wie man sie um einen anderen Menschen hatte, der sich in Gefahr befand, auch keine Angst, wie man sie vor einem Krieg hatte. Nein, diese Angst war anders, ganz anders. Eine Urangst, wie sie jede Kreatur hat, da bildete auch Ricca trotz ihres hohen Alters keine Ausnahme.

Es war einfach die Furcht vor der Wolke, vor der Bedrohung und vor der Vergangenheit.

Ricca Marquez konnte nicht dagegen ankämpfen. Den Kopf hatte sie etwas zurückgedrückt, die Augen erhoben, als suchte sie irgendwo im Himmel eine Hilfe.

Nichts kam.

Nur die Wolke verdichtete sich. Sie nahm an Schwärze zu, sie fraß das Licht, und Riccas Gebete schafften es nicht, sie zurückzutreiben oder zu vernichten.

Die Wolke blieb – und kam näher.

Die alte Frau atmete heftig. Das Licht hatte nicht mehr die Kraft wie zuvor. Die Schatten waren stärker geworden und überschwemmten die Gegenstände auf dem Altar. Das Kreuz zog sich zurück, die Madonna verschwand beinahe, und ihr Gesicht bekam plötzlich einen drohenden Ausdruck.

Das alte Holz lebte. Es bewegte sich. Die Wangen zogen sich in die Breite, um einen neuen Mund entstehen zu lassen. Aber es war ein sehr fremder Mund, keiner, der zu dieser wunderbaren Madonna gepasst hätte. Dieser Mund war so fremd, grausam und böse.

Er war plötzlich zu breit für das Gesicht, und doch gab das einen Sinn, denn plötzlich schnellte die Oberlippe in die Höhe, als hätte jemand daran gezogen.

Zähne waren zu sehen.

Schimmernd, bösartig! Und zwei von ihnen ragten nach unten wie Messer!

Blutzähne!

Ein Gruß des weiblichen Vampirs, der seine Rückkehr vorbereitete und ebenfalls nichts vergessen hatte.

Die blutigen Zeiten kehrten zurück!

Dieser eine Satz glich einer schrillen Warnung und tobte durch den Kopf der alten Frau.

Mit Riccas Beherrschung war es vorbei.

Ein Schrei drang aus ihrem Mund. Sie löste die Hände, warf die Arme hoch, als wollte sie nach Halt suchen. Aber da war kein Halt. Ricca Marquez kippte hintenüber und schlug mit einem dumpfen Geräusch auf den dünnen Teppich.

Sie wurde nicht bewusstlos.

Aus großen Augen starrte sie zur Decke. Und wie eine Zeichnung, die ihr Unterbewusstsein gemalt hatte, sah sie dort das glatte, kalte Frauengesicht mit den beiden Zähnen ...

Wäre Elvira Marquez nicht so hübsch gewesen, Himmel, ich hätte mich wohl nie um diesen Fall gekümmert, aber einer Frau wie ihr hatte ich einfach nicht widerstehen können.

Sie hatte mich tatsächlich an der Kasse eines Supermarkt abgefangen, in all dem Trubel, der an diesem frühen Abend herrschte.

»John Sinclair?«, hatte sie gefragt, wobei ihre Stimme leicht vibrierte, als stecke ein Stück Rauchglas in ihrer Kehle, das jeden Augenblick zerbrechen konnte.

»Ja, das bin ich.«

»Toll, dass ich Sie gefunden habe.«

Ich lächelte etwas verlegen. »Ich würde Ihnen ja gern die Hand schütteln, aber Sie sehen ja ...«, erwiderte ich wegen der beiden Einkaufstüten in meinen Händen.

»Das macht überhaupt nichts, Mr. Sinclair. Sie stellen die Tüten in Ihren Wagen, bringen alles in Ihre Wohnung, und ich sage Ihnen zuvor, wo wir uns treffen.«

»Heute?«

»Ja.« Sie lächelte so herrlich, dass ich nickte, obwohl ich es eigentlich nicht wollte. »Wo denn?«

»Im El Toro.«

»Das ist ein Restaurant, denke ich mal.«

»Ja, ein argentinisches.«

»Ich glaube, ich kenne es.«

Sie schaute auf ihre Uhr. »Sagen wir in einer Stunde, Mr.

Sinclair? Sie werden es sicherlich nicht bereuen«, sagte sie und schwang herum, wobei der Mantel die Bewegung mitmachte.

Ich sah ihn noch flattern, als die Frau selbst schon

zwischen den Kunden des Supermarkts verschwunden war. Wie ein begossener Pudel stand ich da und überlegte, ob diese Begegnung nur ein Traum gewesen war.

Nein. Es musste die Wahrheit gewesen sein, denn der Geruch

ihres Parfüms hing noch in der Luft.

Wer war diese Frau? Sie hatte mich angesprochen und mich in das Restaurant El Toro eingeladen, um mit mir zu reden. War das der Grund? Nicht einmal die Andeutung eines Motivs hatte sie mir mit auf den Weg gegeben und mich in diesem Spannungsfeld gelassen. Trotzdem hatte sie mich neugierig gemacht. Und für den Abend hatte ich mir sowieso nichts vorgenommen, abgesehen davon, dass ich noch die Lebensmittel in den Kühlschrank einräumen musste.

Als ich den Rover erreicht hatte – er stand auf dem Parkplatz des Supermarkts –, grinste ich schon wieder. Diese Frau war eine Wucht. Rasseweib, nennt man so etwas.

Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie mich allein wegen meiner graublauen Augen angesprochen hatte, da steckte sicherlich etwas anderes dahinter. Bestimmt wollte sie etwas Dienstliches von mir. Da konnte ich mir jeden Macho-Gedanken sparen.

Ich stieg ein und hörte das Hupen. Schräg hinter mir hatte ein Auto gehalten, dessen Fahrer unbedingt in die Parklücke wollte. Ich rangierte ihm wohl zu langsam. Trotzdem ließ ich mir die nötige Zeit. Beulen oder Kratzer wollte ich mir nicht unbedingt holen.

Alles klappte ohne Schrammen, und etwa zehn Minuten später erreichte ich die Tiefgarage des Hochhauses, in dem ich wohnte.

In der Wohnung packte ich aus und stellte die Lebensmittel in den Kühlschrank. Ich war noch bei der Arbeit, als es klingelte. Eine Warnung gewissermaßen, denn Suko betrat Sekunden später die Wohnung und war auch gleich in der Küche, weil er die entsprechenden Geräusche gehört hatte.

Nahe der Tür blieb er stehen, grinste breit und nickte einige Male, ohne das Grinsen einzustellen.

»Ist was?«, fragte ich.

»Nein, nein, ich schaue nur gern zu, wenn ein Geisterjäger seine Lebensmittel einräumt.«

»Tatsächlich?«

»Ja.«

»Warum das?«

»Es beruhigt mich. So verhungerst du wenigstens nicht.«

Auch der Joghurt fand noch einen Platz.

»Und sonst gibt es keinen Grund, der dich hergeführt hätte?«

»Doch. Ich wollte gern wissen, ob du am Abend etwas vorhast.«

»Habe ich.«

»Was denn?«

»Ich bin verabredet.«

»Aber nicht mit mir.«

Ich bedachte ihn mit einem langen Blick. »Um Himmels willen, nein, nur das nicht!«

»Sondern?«

»Was hattest du denn vor?«

»Shao und ich wollten eigentlich etwas essen gehen. Da hat ein neuer Grieche eröffnet und ...«

»Könnt ihr gerne tun, ich werde aber heute Abend wohl südamerikanisch essen. Steaks, Salate, einen fleischigen Gruß aus der Pampa. Mich hat eine Frau eingeladen, ein tolles Weib.«

»Und die hat dich eingeladen?« Suko wunderte sich.

»Ja.«

»Einfach so?«

»Wieder ja.«

»Da stimmt was nicht.«

»Warum denn nicht?«

Er schüttelte überzeugt den Kopf. »Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass dich jemand einlädt. Einfach so, verstehst du? Kein Grund, kein nichts. Da steckt sicherlich mehr dahinter. Das dicke Ende wird noch nachkommen.«

»Moment mal ...«

»Dienstlich, John. Die will sicherlich etwas von dir. Aber nicht, was du denkst.«

»Was denke ich denn?«

»Was ich auch gedacht hätte.«

Ich streckte ihm den rechten Zeigefinger entgegen. »Das ist eben der Unterschied zwischen uns beiden, Suko. Ich denke nämlich nicht das, was du gedacht hättest.«

»Wann wirst du heiliggesprochen?«

»Am einunddreißigsten April. Aber mal Scherz beiseite. Es steht für mich fest, dass sie etwas Berufliches von mir will. Das Gespräch zwischen uns war so kurz, dass ich mich jetzt noch frage, ob ich es geträumt habe oder nicht. Wahrscheinlich nicht, sonst würde ich dich jetzt nicht bitten, dich wieder zurückzuziehen und dir mit Shao einen schönen Abend zu machen.«

So ganz zufrieden war Suko damit nicht. »Du weißt, wie derartige Treffs enden können, John. Wäre es nicht besser, wenn Shao und ich dem Lokal auch einen Besuch abstatteten? Wir bräuchten ja keinem Tisch zu belegen und würden uns im Hintergrund halten.«

»Das kann ich dir nicht verbieten.«

Suko fragte noch einmal nach. »El Toro heißt der Schuppen?«

»Ja, der Stier.«

Er nickte.

»Auch ich esse hin und wieder gern Steak. Und Shao wird ebenfalls nichts dagegen haben. Wir sehen uns dann später.« Er hob den Arm, winkte mir zu und verließ die Küche.

Mir war es im Prinzip egal, ob Shao und Suko ebenfalls in dem Restaurant erschienen. Ich war wirklich auf diese Frau gespannt und auch darauf, was sie mir zu sagen hatte ...

Das El Toro war rustikal eingerichtet, und den Gast empfingen südamerikanische Gitarrenklänge, begleitet vom weichen Gesang eines Gauchos, der sicherlich von Sehnsucht und Einsamkeit, aber auch von der Schönheit der Pampa sang.

Es herrschte eine gemütliche Atmosphäre. Die dunklen Tische mit den roten Decken, die Balken unter der Decke, das Licht der Strahler, das nicht störend wirkte, geschickt arrangierte Nischen, in denen die unterschiedlich großen Tische standen, und sehr höfliche Kellner, die den Gast empfingen.

»Suchen Sie einen Tisch, Señor?«, wurde ich gefragt.

»Auch. Zunächst suche ich aber die Dame, mit der ich verabredet bin.«

»Ah.« Der Ober bekam glänzende Augen. »Sie meinen sicherlich Señorita Elvira Marquez.«

Ich stimmte einfach zu.

»Dann folgen Sie mir bitte.«

Ich hoffte, mich nicht geirrt zu haben, und folgte dem Kellner quer durch das Lokal, dorthin, wo es noch etwas dunkler war und nur die wenigsten Tische besetzt waren. Allerdings waren alle gedeckt. Man erwartete noch Gäste.

An einem der Tische saß tatsächlich die Frau vom Parkplatz des Supermarkts. Sie lächelte, als sie mich sah, und ich lächelte zurück.

Der Kellner wusste, was sich gehörte, und zog sich diskret zurück. Ich setzte mich und hörte, wie die Frau mir erklärte, dass sie sich darüber freute, mit mir sprechen zu können.

»Ich ebenfalls, Miss Marquez.«

»Sie kennen meinen Namen?«

»Sicher.«

Sie lachte wieder. »Pardon, ich vergaß, dass Sie Polizist sind.«

»Es ist etwas anders. Der Kellner sagte mir Ihren Namen.«

»Natürlich.«

Die Frau, die mir gegenübersaß, versprühte einen natürlichen Charme. Ich war endlich dazu gekommen, sie mir genauer anzusehen. Man konnte sie wirklich als rassige Schönheit beschreiben, und in ihren Gesichtszügen und der Hautfarbe entdeckte ich noch ›Spuren‹ indianischer Vorfahren. Das Haar war rabenschwarz, die Lippen zeigten eine natürliche Röte, der Pullover floss weich über den Oberkörper, und um den Hals hatte Elvira Marquez eine Kette aus bunten Perlen gelegt. Sicherlich eine Arbeit aus den Anden.

»Sie dürfen wählen, Mr. Sinclair.«

»Danke. Und Sie dürfen John sagen.«

»Dann bin ich Elvira für Sie.«

Ich nahm die Karte und bestellte zuvor denselben Wein, der auch in Elviras Glas schimmerte. Er war hellrot, und der Ober lobte mich für meine gute Wahl. Ich probierte den Wein, nickte, denn er schmeckte mir ausgezeichnet. Er war nicht zu trocken, sondern richtig süffig, ohne allerdings süß zu sein.

Ich hatte mich schnell entschieden. Ein Steak, dazu eine Kartoffel und Salat.

»Eine gute Wahl, John. Hier werden Sie nicht enttäuscht, das kann ich Ihnen versichern.«

»Sie müssen es ja wissen, da Sie aus dem Land der Stiere kommen, denke ich.«

»O nein, das ist ein Irrtum. Ich stamme nicht aus Argentinien. Ich komme aus Peru. Aber die Seelenverwandtschaft ist vorhanden, da haben Sie schon recht. Zudem bin ich Engländerin, meine Vorfahren sind Peruaner. Mein Vater war nicht gerade das, was man sich hätte wünschen können. Meine Großeltern haben darunter sehr gelitten und leiden noch immer. Das heißt, meine Großmutter. Sie ist gewissermaßen das Haupt der Familie, und auch ihr Einfluss auf unsere Landsleute hier in London ist nicht ohne.«

»Auf Sie dann auch, denke ich?«

»Ja. Obwohl wir nicht mehr so übereinstimmen, wie die alte Frau es sich wohl wünscht. Sie kommt nicht darüber hinweg, dass sich die Zeiten geändert haben. Mein Gott, diese Frau ist schon neunzig Jahre alt, da sieht man die Umgebung eben mit anderen Augen.«

»Da haben Sie recht.«

Der Kellner erschien, wir gaben unsere Bestellung auf, und Elvira aß das gleiche wie ich. Lächelnd schaute sie mich über den Tisch hinweg an. Sie hob das Glas und prostete mir zu. Ich nahm meines ebenfalls hoch, beide Gläser klangen oberhalb der kleinen Kerzenlampe auf dem Tisch gegeneinander, und während wir tranken, schaute mich die Frau über den Rand ihres Glases hinweg an.