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Alle Welt kennt die Voraussagungen des Nostradamus. Nur wenigen Menschen aber ist bekannt, dass der große Seher auch ein Buch über Kosmetik geschrieben hat.
Der Verleger Ronald Greyson legte dieses Buch neu auf und stellte es auf der Londoner Buchmesse dem staunenden Publikum vor.
Was die Menschen und gerade die Frauen besonders faszinierte: Zusammen mit dem Buch präsentierte Greyson eine nach Nostradamus' Rezepten hergestellte Creme, die jung halten sollte. Nicht faltenfreie Haut aber war die Folge. Vielmehr kam das große Grauen. Wer diese Creme benutzte, der war verloren und wurde zur Beute eines schrecklichen Wesens. Ein wahres Monster, das in einem uralten Pest-Gewölbe lauerte ...
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Seitenzahl: 176
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Das Pest-Gewölbe
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Das Pest-Gewölbe
von Jason Dark
Alle Welt kennt die Voraussagungen des Nostradamus. Nur wenigen Menschen aber ist bekannt, dass der große Seher auch ein Buch über Kosmetik geschrieben hat.
Der Verleger Ronald Greyson legte dieses Buch neu auf und stellte es auf der Londoner Buchmesse dem staunenden Publikum vor.
Was die Menschen und gerade die Frauen besonders faszinierte: Zusammen mit dem Buch präsentierte Greyson eine nach Nostradamus' Rezepten hergestellte Creme, die jung halten sollte. Nicht faltenfreie Haut aber war die Folge. Vielmehr kam das große Grauen. Wer diese Creme benutzte, der war verloren und wurde zur Beute eines schrecklichen Wesens. Ein wahres Monster, das in einem uralten Pest-Gewölbe lauerte ...
Es gab nur eins, was Vivian Greyson, die Verlegergattin, noch mehr liebte als das Knistern von Geldscheinen und das strahlende Funkeln kostbarer Juwelen.
Das war Schönheit!
Vivian war süchtig nach Schönheit.
Sie wollte schön sein, sie musste schön sein, schließlich gab es große Konkurrenz, und in einem Jahr würde sie fünfzig werden. Ein magisches Alter, eine magische Zahl, an die sie nicht denken wollte, die sich aus ihrem Unterbewusstsein aber nicht verdrängen ließ. Das Alter konnte sie nicht beeinflussen, ihr Aussehen schon, und dafür tat sie alles.
Sie las die neuesten Rezepte, sie hatte Kuren hinter sich, sie war auf Schönheitsfarmen gewesen, hatte sich mit Spritzen und Packungen traktieren lassen, und sie war glücklich, wenn ihr dann jemand sagte, dass sie um zehn Jahre jünger aussehen würde.
Die Tatsachen aber sprachen dagegen.
Nie sah sie frisch aus, wenn sie am Morgen aus dem Bett stieg. Sie und ihr Mann schliefen in getrennten Schlafzimmern, denn Vivian wollte nicht, dass Ronald sie am Morgen sah. Erst zum Frühstück erschien sie – dann frisch gestylt.
Natürlich hatte sie auch mit ihrem Mann über das Problem gesprochen, und der hatte ein gewisses Verständnis für sie gezeigt. Nicht nur das, er hatte ihr sogar versprochen, etwas für sie zu tun, und er hatte Wort gehalten.
Eines Tages hatte er ein geheimnisvolles Manuskript mitgebracht, ihr auf den Tisch gelegt und erklärt, dass darin ihre Zukunft läge.
Sie hatte es nicht glauben wollen und Fragen gestellt, aber er hatte nur gelächelt und ihr von einer gewissen Cosima berichtet, einer sehr schönen Frau, die einmal die Geliebte eines gewissen Nostradamus gewesen war. Diese Frau hatte es geschafft, Nostradamus dazu zu bringen, ein Buch zu schreiben, das sich im Gegensatz zu seinen anderen Büchern nicht mit Voraussagen und Weissagungen beschäftigte, sondern mit Kosmetik.
»Kosmetik und Magie!«, hatte ihr Mann geheimnisvoll geflüstert. »Es wird dir helfen, Vivian.«
Sie glaubte alles, wenn es um ihre Schönheit und Jugend ging. In zwölf Wochen sollte das Buch auf dem Markt erscheinen, aber ein bestimmtes Rezept war von Spezialisten schon jetzt ausprobiert worden, und Ronald hatte seiner Frau einen Tiegel mit Creme zusammen mit einem Strauß herrlicher Blumen und den Worten, dass von nun an alles anders würde, überreicht.
Vor dem Zubettgehen hatte sie die Creme aufgetragen. Sehr dünn nur, weil sie so kostbar war. Und dabei war ihr sofort der widerliche Geruch aufgefallen. Die Creme stank modrig, nach alten Hautfetzen, die aus tiefen Gräbern geholt worden sein mussten, doch Vivian hatte nur an den Erfolg gedacht und den Ekel vor dieser neuen Verjüngungscreme unterdrückt.
Sie war dann zu Bett gegangen, hatte schlafen wollen, aber ihre Nervosität war einfach zu groß gewesen. Stundenlang hatte sie noch wach gelegen. Erst weit nach Mitternacht war sie eingeschlafen, und wirre Träume hatten ihr einen wenig erholsamen Schlaf beschert.
Sie hatte sich durch ein Gewölbe irren sehen und war dabei auf eine Frau aufmerksam geworden, die eine silbrige Metallhaut hatte. Vivian selbst hatte dabei vor einem schwarzen Spiegel gestanden.
Ein schrecklicher Traum, der kein Ende nehmen wollte.
Am Morgen war Vivian schweißüberströmt erwacht. Sie hatte versucht, diesen Traum abzuschütteln. Es war ihr nicht gelungen. Sie musste immer wieder an ihn denken, und diese Erinnerung hatte selbst den Gedanken an die Creme auf dem Gesicht vertrieben.
Sie dachte daran, als sie sich hinsetzte und ihre Schlafbrille abgenommen hatte.
Etwas verwirrt schaute sich Vivian in ihrem großen Schlafzimmer um. Die Sonne ließ das Parkett golden schimmern. Der Begriff von einem goldenen Käfig kam ihr in den Sinn. So ähnlich würde sie sich in wenigen Jahren schon fühlen, wenn es ihr nicht gelang, den Alterungsprozess zu stoppen.
Ihr Mann war zwar fünf Jahre älter als sie – aber was machte das schon bei seinem Geld und seinem Einfluss? Er konnte sich vieles kaufen, auch eine andere, eine jüngere Frau.
Männer wurden dafür als tolle Hechte oder Helden der Potenz gefeiert. Wenn eine Frau aber das gleiche tat und sich einen jüngeren Mann nahm, lachte man sie oft genug aus, nicht zuletzt sogar die eigenen Geschlechtsgenossinnen. Gerade unter Frauen bestimmter Gesellschaftsschichten war der Neid aufeinander besonders groß.
Meine Güte, die Creme!
Vivian wagte kaum, Atem zu holen. Sie hielt die Luft an und lauschte dabei dem eigenen Herzschlag. Alles kam ihr so anders vor, aufgeregt und intensiv, was sicherlich Unsinn war, aber in ihrer Situation glaubte sie daran.
Noch immer dachte sie an den Traum. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals etwas derartig Unheimliches geträumt zu haben. Dieses schreckliche Gewölbe mit seinen düsteren Gängen und Torbögen und dem fast schwarzen Spiegel, in dem sie trotzdem das Bild einer ungewöhnlichen Frau gesehen hatte.
Auf die Träumerin hatte die Person gewirkt wie ein Wesen von einem anderen Stern oder wie eine Gestalt aus einem Science Fiction-Film. Wie kam sie nur dazu, so etwas zu träumen? Dafür hatte überhaupt kein Grund bestanden. Sie hatte auch niemals derartige Bücher gelesen, obwohl solche im eigenen Verlag verlegt wurden.
Warum also?
Sie wusste, dass Träume Warnungen vor irgendwelchen Ereignissen in der Zukunft sein sollten, aber in welch einem Zusammenhang stand dieser Traum zu ihrer Zukunft?
Vivian Greyson zermarterte sich das Gehirn, zu einer Lösung kam sie jedoch nicht.
Stattdessen hockte sie unsicher auf der Bettkante. Die Frau bekam einfach nicht die Kurve, endlich aufzustehen, dabei zeigte die Uhr bereits die neunte Stunde des Tages an. So lange schlief sie sonst nur an Wochenenden. Als sie das Klopfen an der Tür hörte, schreckte sie zusammen. »Ja, wer ist da?«
Sie hörte ein frisches Lachen. Es war ihr Mann. »Na, schon wach, Darling?«
»Kaum.«
»Darf ich hereinkommen?«
»Nein, nein!« Ihre Antwort klang leicht schrill. »Um Himmels willen, bleib nur da!«
»Warum denn? Was ist los?«
»Ich hatte einen schrecklichen Traum ... «
»Wie du meinst, aber ich muss ins Geschäft.«
»Kannst du, Ronald, kannst du.«
»Eine Frage noch – ja?«
»Aber nur eine, ich möchte ins Bad.«
»Schade.« Seine Stimme klang enttäuscht. »Ich dachte, du wärst schon dort gewesen.«
»Nein, das war ich nicht. Du willst bestimmt wissen, wie die neue Creme gewirkt hat.«
»Klar, das interessiert mich.«
»Ich werde es dir später berichten.«
»Gut.« Sie hörte, wie er sich räusperte. »Ich bin davon überzeugt, Vivian, dass alles in Ordnung ist.«
»Nur in Ordnung?«
»Nein, Darling, besser.«
Vivian verzog das Gesicht. Dieser Schuft, dachte sie. Ich glaube ihm kein Wort. Kein einziges Wort. Der nimmt mich auf den Arm, der amüsiert sich über mich.
»Ich muss dann gehen, Vivian, schönen Tag noch.«
»Ja, Ronald, dir auch.«
»Danke – see you.«
Er ging, und Vivian Greyson war froh darüber. Sie hätte seine Fragen auch nicht mehr länger ertragen können. Sie musste sich zunächst mit sich selbst beschäftigen.
Vivian gab sich einen Ruck und stand auf. Etwas schwankend blieb sie stehen, die Stirn gekräuselt, als würde sie über ein bestimmtes Problem nachdenken.
Es zuckte ihr in den Fingern, die Arme zu heben, um ihr Gesicht anzufassen. Nur einmal die Fingerkuppen über die Haut gleiten lassen, um zu sehen, ob dort tatsächlich eine Veränderung eingetreten war.
Sie tat es nicht. Aber sie schaffte es, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren. Sie wollte herausfinden, ob es ihr wohl ein anderes Feeling vermittelte, ob die Haut stark gespannt war oder nicht. Bei einigen Salben und Pasten war das der Fall gewesen.
Hier spürte sie nichts. Und auch der Geruch war verschwunden. Merkwürdig.
Auf den Morgenmantel verzichtete Vivian. Das seidene Etwas eines Nachthemdes lag wie eine lichtblau schimmernde Wolke auf ihrer Haut. Ins Bad konnte sie vom Schlafzimmer aus gelangen. Auf dem Weg dorthin dachte sie an die bald stattfindende Buchmesse.
Sie war nicht so groß wie die in Frankfurt, aber auch die Londoner Messe gewann immer mehr an Reiz. Durch eine geschickte Publicity war es gelungen, mehr ausländische Verlage nach London zu holen, und die Besucherzahlen stiegen von Jahr zu Jahr.
Die schwere Tür zum Bad schwang lautlos auf, und die Gattin des Verlegers betrat ihr goldenes Reich.
Ja, sie liebte es, wenn sich Teile ihres Gesichts oder des Körpers in den goldenen Armaturen widerspiegelten. Sie mochte kostbaren Marmor und herrlich weiche Hand- und Badetücher. Die Welt des Luxus' und der Schönheit war etwas Wunderbares, und Vivian wollte sie so lange wie möglich genießen.
In diesem großen Raum mit Whirlpool, Wanne und abgeteilter Dusche gab es nicht nur einen Spiegel, sondern gleich mehrere. Der größte befand sich direkt vor der Wanne. In ihn wollte sie nicht hineinschauen, sie entschied sich für den Spiegel über dem großen Waschbecken, wo die Haushaltshilfe bereits die frischen Handtücher bereitgelegt hatte, sodass Vivian eigentlich hätte zufrieden sein können, wenn nicht dieses Gefühl der Spannung in ihr gelauert hätte.
Wie sehe ich aus?
Die Frage beschäftigte und bedrängte sie. Dennoch hielt sie die Augen geschlossen, als sie sich dem Spiegel näherte. Diesen Weg kannte sie im Schlaf.
Vivian Greyson zählte die Schritte. Ihr Inneres glich einem Vulkan. Ein ähnlich starkes Gefühl hatte sie noch nie erlebt, obwohl sie schon viele kosmetische Mittel ausprobiert hatte und dann stets sehr gespannt gewesen war.
Die Frau blieb erst stehen, als sie mit dem Bauch den Rand des Waschbeckens berührte. Mittlerweile war sie auf alles gefasst. Die Hände hatte sie zu Fäusten geballt. Und dann öffnete sie die Augen. Vivian sah sich!
Es war ihr Gesicht, das sich in der hellen Spiegelfläche abzeichnete und sie anstarrte. Aber war es wirklich ihr Gesicht? Hatte es sich dermaßen verändert?
Ihr fiel diese Blässe auf, die bestimmt nicht auf irgendwelchen Nachwirkungen einer schlechten Nacht beruhte. Eine derartig bleiche Haut hatte sie bei sich noch nie feststellen können. Sie dachte an Totenblässe, und plötzlich musste sie auch daran denken, dass diese neue Kosmetik so seltsam gerochen hatte. Es kam ihr vor, als hätte sie die Haut einer toten Person übernommen.
So etwas war unmöglich, und die Frau erschrak über ihre eigenen Gedanken.
Im Gegensatz zur Haut waren die Haare okay. Sie sahen aus wie immer. Sie war von Natur aus blond. Im Laufe der Zeit aber waren erste Haare grau geworden, und sie hatte sie immer wieder nachtönen lassen, sodass die Blässe ihrer Haut noch stärker auffiel.
Vivian stand vor dem Spiegel und schüttelte leicht den Kopf. »Was ist mit mir passiert?«, fragte sie leise. »Himmel, was ist nur mit mir geschehen?«
Sie konnte sich selbst keine Antwort auf diese Frage geben, aber sie hatte die erste Hürde genommen. Jetzt stand sie dicht vor der zweiten, und auch die würde sie schaffen.
Bisher hatte sie ihre eigene Gesichtshaut noch nicht berührt. Nun hob sie die Hände und führte sie zum Gesicht. Mit den Fingerkuppen strich sie über die nun weiche, fast jugendliche Haut, doch sie freute sich nicht darüber. Vivian hatte noch nie so zarte Haut gehabt, und sie suchte in Gedanken nach einem Vergleich.
Scharf saugte sie die Luft ein. Auf ihrem Rücken entstand Gänsehaut. Innerlich verfluchte sie die Creme bereits. So richtig hatte sie an die Wirkung nicht glauben wollen, aber in ihrer Furcht vor dem Älterwerden griff sie eben nach jedem Strohhalm.
Das ist nicht mehr mein Gesicht, dachte sie. Das ist ... das ist eine verdammte Maske! Ja, eine Maske mit allen Nachteilen und keinem einzigen Vorteil.
Sie verspürte den Drang, sich zu setzen. Sie wünschte sich, alles wäre nur ein Traum, doch die Spiegel waren gnadenlos.
Ihr Mund zuckte. Er hatte sich im Laufe der Jahre nicht verändert. Noch immer hatten die Lippen diese wunderbare, frauliche Fülle. Wut und Angst bemächtigten sich ihrer. Vivian fing an zu zittern. Sie kannte sich. Es würde nicht mehr lange dauern, und sie würde einen schrecklichen Wutanfall bekommen. Vielleicht würde sie sogar die Spiegel zertrümmern. Aber diese Gedanken endeten jäh.
Etwas hatte sie gestört. Etwas geschah, was eigentlich nicht geschehen durfte.
Sie hatte keine Erklärung und drehte sich um, weil sie einen Beweis wollte.
Sie war allein.
Und trotzdem war sie es nicht. Im Spiegel, der wahrlich groß genug war, zeichnete sich über ihrem Gesicht ein zweites ab. Und das kannte Vivian Greyson.
Es war das Gesicht aus ihrem Traum!
Diese Frau! Diese schreckliche Frau, die ihr aufgefallen und im Traum begegnet war.
Sie war da. Es gab sie. Im Spiegel sah sie das Gesicht. Diese glatte, silbrige Haut. Sie ließ die Person aussehen wie eine Puppe. Nicht ein einziges Haar entdeckte Vivian in diesem Gesicht. Alles wirkte wie geschliffen, und selbst die Brauen über den kalten, kleinen Kugelaugen waren nur mehr Farbstriche. Es waren nicht mal Haare auf dem Kopf zu erkennen, nur dunkle Schatten, die die Rundung genau nachzeichneten.
Aber die Lippen sahen aus, als wären sie hellrot angemalt worden. Und der Mund war zu einem kantigen Lächeln in die Breite gezogen worden. Zwischen Ober- und Unterlippe schimmerte das Weiß der Zähne. Nur empfand Vivian dies nicht als Lächeln. Es glich einem kalten, starren Lauern, und es passte zu dieser Person, das musste Vivian zugeben.
Das Lächeln blieb böse, das Gesicht blieb kalt. Nicht ein Zucken, nicht eine Regung. Wer diese Frau betrachtete, konnte sich kaum vorstellen, dass sie lebte.
Dieses Gesicht war wie eine Maske oder wie das eines Clowns. Vivian wusste nicht, was sie denken sollte. Sie kam einfach nicht darüber hinweg, alles war so anders geworden. In ihrem Kopf jagten sich die Gedanken, ohne dass sie zu einem Resultat gekommen wäre. Was hier passierte, war für sie nicht zu begreifen.
Und es war nicht allein das Gesicht im Spiegel. Es musste doch zu einem Körper gehören, denn Vivian erkannte deutlich den Halsansatz, auch wenn er nach einer Weile mit der hellen Fläche des Spiegels einfach verschwamm, als wäre er von ihr aufgesaugt worden. Wer war diese Person?
Immer drängender stellte sich diese Frage, und Vivian kam damit nicht zurecht. Im Traum hatte sie die Person gesehen, dort war sie ihr erschienen wie ein Geist, hervorgestiegen aus irgendwelchen Tiefen des Unterbewusstseins. Aber sie begriff einfach nicht, dass sich eine derartige Traumgestalt auch in der Realität als Bild in einem Spiegel zeigen konnte.
Hier waren Dinge in Fluss geraten, die auf einer anderen Wellenlänge lagen. Zu hoch für Vivian, zu unbegreiflich. Sie hatte als Frau immer alle Freiheiten gehabt, aber dieses Badezimmer war für sie zu einem kalten Gefängnis geworden, und sie wusste auch, dass die unbekannte Person nicht grundlos den Kontakt mit ihr aufgenommen haben konnte. Da gab es eine Verbindung, Vivian glaubte fest daran.
Je länger sie in den Spiegel schaute – ob es Sekunden oder Minuten waren, wusste sie nicht –, umso stärker drängte sich in ihr das Gefühl von Hilflosigkeit hoch. Es war wie ein innerer Panzer, der gegen alles drückte, was sie als Mensch ausmachte. Sie fühlte sich wie in einem Gefängnis, und auf ihrer Haut lag eine Kälte, die sie schaudern ließ.
Trotzdem bedeckte Schweiß ihre Stirn. Der Mund stand offen, sie atmete, ohne es richtig zu spüren, das Herz klopfte noch immer schnell, aber es schien sich in einen Eisklumpen verwandelt zu haben.
Der Mund lächelte ihr zu.
Ein eisiges Lächeln, dann bewegte sich das fremde Gesicht im Spiegel sogar nach vorn und deutete ein Nicken an.
Ja, es galt ihr.
Wir gehören zusammen. Du wirst mir nicht mehr entkommen. So deutete Vivian das Lächeln.
Und dann war es vorbei.
Das Gesicht zog sich zurück. Es tauchte in die Spiegelfläche ein, sofern man davon überhaupt sprechen konnte. Jedenfalls war es nicht mehr zu sehen, alles war wieder normal geworden, und Vivian schien nur einen bösen Traum erlebt zu haben.
Aber sie wusste, dass es kein Traum gewesen war. Ganz und gar nicht. Sie hatte das Gesicht gesehen, sie war von ihm angestarrt worden. Sie hatte auch die Botschaft und wusste, dass dieses Gesicht und die neue Creme in irgendeinem Zusammenhang stehen mussten.
Vivian trat zurück. Dabei rutschten ihre Hände vom Rand des Waschbeckens ab und fielen nach unten. Sie ließ die Arme ausschwingen und fragte sich, was sie falsch gemacht hatte und wie jetzt alles weitergehen sollte. Sie wusste es nicht. Sie steckte fest, sie war plötzlich eine Gefangene, die an nichts anderes mehr denken konnte als an dieses Gesicht und an ihre Beziehung dazu.
Schwer fiel sie auf einen Hocker. Sie saß da wie eine Puppe, die ins Leere starrte.
Mit nichts kam sie mehr zurecht. Am allerwenigsten mit sich selbst. Tief atmete sie durch. Das Zittern blieb, und als sie auf ihre Hände schaute, kamen ihr die Finger vor wie lange, weiße Stöcke.
Tränen rannen jetzt aus ihren Augen und fanden den Weg über die Wangen. Plötzlich fühlte sich die Frau wahnsinnig allein. Dieses Bad war wunderbar, es hatte eine schon unvernünftige Größe, aber es kam ihr immer mehr vor wie ein goldener Käfig, in dem die Stille regierte. Keine andere Stimme durchbrach die Ruhe. Das Personal wusste, wie es sich zu verhalten hatte. Die gnädige Frau sollte nicht gestört werden.
Vivian lachte glucksend, senkte wieder einmal den Kopf und schüttelte ihn.
Es war verrückt, es war widersinnig und unbegreiflich.
Ein Tuten störte ihre Gedanken. Im ersten Augenblick wusste sie nicht, was das bedeutete, bis sie begriff, dass sich das Telefon gemeldet hatte. Es hing an der Wand.
Es dauerte eine Weile, bis sich die Frau gefangen hatte. Der Anrufer war hartnäckig, er gab nicht auf, und das Geräusch bohrte sich in ihr Gehirn.
Endlich hielt Vivian den beigen Apparat fest, schluckte noch einmal und meldete sich mit einem kaum hörbaren »Ja, bitte ... «
»Hi, Vivian! Habe ich dich gestört? Wenn ja, dann tut es mir wirklich leid.«
»Du, Ronald!« Sie fühlte sich nicht erlöst und schrie die beiden Worte.
»Ja, Darling, ich bin es. Himmel, was ist denn?« Seine Stimme klang plötzlich besorgt. »Was hast du?«
»Nichts, gar nichts, ich ... «
»Geht es dir nicht gut? Hast du dich geärgert?«
Vivian schwieg. Mit dem Apparat in der rechten Hand taumelte sie quer durch das Bad und ließ sich wieder auf dem Hocker nieder, während ihr Mann immer wieder Fragen stellte.
»Ich bin noch da, Ronald.«
»Okay, ich freue mich. Aber ich freue mich nicht über deine Reaktion. Was hast du denn? Bist du enttäuscht, Vivian?«
»Weshalb sollte ich denn enttäuscht sein?«
»Ich weiß es ja nicht. Aber du hast am Abend die neue Creme ausprobiert. Da kann es sein, dass deine Erwartungen nicht erfüllt worden sind. Wir werden darüber reden, Vivian, versprochen.«
»Reden, reden.« Sie lachte wieder schrill. »Glaubst du denn, dass du damit weiterkommst?«
Ronald war entsetzt. »Himmel, Vivian, was ist passiert? So kenne ich dich gar nicht.«
»Nichts ist passiert, gar nichts. Verdammt noch mal!«, schrie sie. »Steck dir deine Kosmetik in den Hintern!« Sie fluchte noch einmal und schleuderte den Apparat zu Boden.
Der Kunststoff zerbarst, und die kleinen Plastikstücke wirbelten über den glatten Boden, während Vivian ihr Gesicht in den Händen vergrub und hemmungslos schluchzte.
Es war mein Freund Bill Conolly, der mich mit dem Fall in Berührung brachte. Er war in unserem Büro erschienen, hatte Glenda eine Schachtel Pralinen mitgebracht und hatte sich dann auf Sukos Platz gesetzt, denn der Inspektor stand am Fenster und sprach davon, was man mit einem so herrlichen Tag anfangen sollte.
»Weggegangen – Platz vergangen«, sagte Bill und streckte die Beine aus. Dann grinste er mich an.
»Guten Morgen erst mal«, erwiderte ich.
»Einen wunderschönen guten Morgen, John. Ich hoffe, es wird auch ein toller Tag.«
»Bisher schon.«
»Das dachten wir«, meinte Suko, der auf der Schreibtischkante seinen Platz fand.
»Und jetzt sind wir uns da nicht mehr so sicher«, übernahm ich wieder das Wort.
»Ach. Hängt das womöglich mit mir und meinem Erscheinen zusammen?«
Suko nickte mir zu. »Er ist ein Schnellmerker.«
»Sogar ein ganz großer«, bestätigte ich.
Bill nahm es gelassen. »Soll ich wieder gehen?«
Suko und ich schauten uns an.
»Er könnte uns ja mitteilen, was ihn zu dieser frühen Stunde hergeführt hat«, sagte der Inspektor.
»Könnte er das?«, dehnte ich.
»Frag ihn doch.«
»Und wenn wir nicht wollen?«
»Hat er Pech gehabt.«
Bill Conolly hatte einen starren Blick bekommen. Er schaute einmal mich an, wenn ich sprach, dann Suko, wenn der redete, und tippte sich schließlich mit der Spitze des Zeigefingers einige Male gegen die Stirn. »Ich frage mich, wo ich hier gelandet bin. In einem Käfig voller Narren? Oder übt ihr für eine neue Comedy-Show à la Al Bundy?«
»So ähnlich«, sagte ich. »Suko hat bereits einen Job in einem Schuhgeschäft bekommen.«
»Ah, er will dort verkaufen.«
»Nein«, sagte Suko. »Ich bin für den Riechtest verantwortlich. Man hat mich eingestellt, um festzustellen, ob die Kunden Schweißfüße haben oder nicht.«
»Wie schön. Was ist, wenn sie Schweißfüße haben?«
»Werde ich sie waschen.«