John Sinclair Sonder-Edition 164 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 164 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Es war ein Ort des Grauens. Vor einigen hundert Jahren war genau an dieser Stelle eine Familie geköpft worden. Vater, Mutter und zwei Kinder.
Die Familie war tot, und doch lebten ihre Mitglieder noch. Sie hatten im Jenseits keine Ruhe finden können und kehrten zurück. Genau wie der Henker. Er wollte sein blutiges Werk nun zu Ende bringen. Auf dem Totenplatz. Ausgerechnet dort, wo sich bald eine erlesene Gesellschaft zum Grillfest einfinden würde. Ein Feier mit zwei ganz besonderen Ehrengästen: Suko und mir ...


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Seitenzahl: 192

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Totenplatz

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Totenplatz

von Jason Dark

Es war ein Ort des Grauens. Vor einigen hundert Jahren war genau an dieser Stelle eine Familie geköpft worden. Vater, Mutter und zwei Kinder.

Die Familie war tot, und doch lebten ihre Mitglieder noch. Sie hatten im Jenseits keine Ruhe finden können und kehrten zurück. Genau wie der Henker. Er wollte sein blutiges Werk nun zu Ende bringen. Auf dem Totenplatz. Ausgerechnet dort, wo sich bald eine erlesene Gesellschaft zum Grillfest einfinden würde. Ein Feier mit zwei ganz besonderen Ehrengästen: Suko und mir ...

Den Henker störte das Wimmern der Todgeweihten nicht!

Es war seine Arbeit, gnadenlos zu sein und das Richtbeil zielgenau zu führen. Die Zeiten waren schlimm. Es gab zu viele Aufrührer, Rebellen und Menschen, die die Ordnung störten. Da musste hart durchgegriffen werden, was die Obrigkeit auch tat. Und ihm, dem Henker, oblag es, den Urteilsspruch der Richter in die Tat umzusetzen.

Auch bei den vier Mitgliedern der Familie Ashford. Sie sollten der Reihe nach die Köpfe verlieren.

Derek Ashford, der Vater, zeigte sich gefasst. Hochaufgerichtet wartete er vor dem Richtklotz. Die Bewacher in seinem Rücken achteten bei ihm auf jede Regung.

Neben ihrem Mann stand Madelaine Ashford. Eine schöne schlanke Frau, deren Wiege in der Heimat der Gallier gestanden hatte. Von Frankreich aus war sie nach England verheiratet worden. Erst später war es zwischen ihr und ihrem Mann zur großen Liebe gekommen, und aus dieser Ehe stammten zwei Kinder.

William, der dreizehnjährige Sohn, der versuchte, sich ebenso tapfer zu verhalten wie sein Vater. Doch die Tränen ließen sich nicht stoppen. Sie rannen über sein Gesicht und hinterließen nasse Furchen auf der Haut.

Cynthia, die elfjährige Tochter, hielt sich an ihrer Mutter fest. Sie weinte und wimmerte leise. So eng wie möglich hatte sie sich gegen Madelaine Ashford gepresst. Hin und wieder streichelte die Frau über das blonde Haar des Kindes.

Es war kühl in dieser Morgenstunde. Der Nebel lag dünn über den Feldern und Wäldern. Wind wehte kaum und schaffte es auch nicht, den Dunst zu vertreiben.

Die Hinrichtung sollte zu keinem Spektakel werden. Sie fand auch nicht in der Öffentlichkeit statt. Der Totenplatz inmitten des Ortes war noch von der Stille der allmählich abklingenden Nacht umgeben. Die Mauern der wenigen Häuser sahen hinter dem dünnen Dunst aus, als würden sie in der Luft schweben.

Niemand sollte, niemand durfte zuschauen. Wer sich trotzdem heranwagte, musste mit einer drakonischen Strafe rechnen. Die Bewohner hielten sich daran, obwohl jeder wusste, was sich bald hier ereignen würde.

Cynthia trug eine kleine Puppe in der rechten Hand. Sie spielte damit. Wie sie selbst von ihrer Mutter gestreichelt wurde, so streichelte sie die Puppe und vermied es, einen Blick auf den Henker zu werfen, der sein Gesicht durch eine schwarze Kapuze verhüllt hatte. Er schaute durch die Schlitze der Augen und auch immer wieder auf die vier bereitgestellten Körbe, in die die abgetrennten Köpfe der Verurteilten hineinfallen würden.

Das Urteil brauchte nicht mehr verlesen zu werden. Die Ashfords hatten auch auf geistlichen Beistand verzichtet. Sie wussten, dass dies einer Farce gleichgekommen wäre, denn die hohe Geistlichkeit steckte mit den weltlichen Mächten oft genug unter einer Decke.

Auch in diesem Fall war es kaum anders. Die Kirche hatte sich eingeschaltet, und ihre Vertreter hätten die Ashfords durchaus retten können. Aber sie hatten geschwiegen.

Lieber tot, als ein Verräter an der gerechten Sache zu sein – so hatten es sich die Ashfords auf ihre Fahnen geschrieben. Und so würden sie auch in den Tod gehen. Derek Ashford würde sein Wissen um die Templer mit in die andere Welt nehmen.

Zwei Trommler hatte man ebenfalls geholt. Junge Burschen, die in der Nacht getrunken hatten und nun nebeneinanderstanden, als müssten sie sich gegenseitig festhalten.

Der Vertreter des Königs, wie sich der Offizielle großspurig nannte, trat vor und schaute sich die vier Verurteilten noch einmal an. Er war ein widerlicher Mensch. Freundlich-verschlagen. Nach oben buckeln, nach unten treten. Als der Name Ashford noch etwas gegolten hatte, da hatte dieser Mann zu den Schleimern gehört.

»Ihr hättet es euch ersparen können«, sagte er. »Jetzt ist es zu spät. Für jeden von euch.«

»Gehen Sie mir aus den Augen!«

Der Mann lachte. »Immer noch nicht das große Maul voll, Ashford?«

»Ich hasse Schmeißfliegen wie Sie!«

Der Angesprochene spie aus. Abrupt drehte er sich um und nickte dem Henker zu.

William Ashford wollte etwas sagen, doch die Worte erstickten bereits in seiner Kehle, denn er sah, wie sich der Henker in Bewegung setzte.

Gleichzeitig lösten sich auch zwei Soldaten aus der Reihe hinter den Verurteilten.

Der Henker trat neben den Richtklotz, während sich die Soldaten um Derek Ashford kümmerten. Sie packten ihn an den Schultern und schoben ihn auf den Richtklotz zu.

Madelaine verkrampfte sich. Sie streckte ihre Hand aus, um ihren Mann festzuhalten, doch der Griff glitt ins Leere. Noch einmal wandte Derek den Kopf. Er schaute seine Frau an. Es war ein letzter Blick, und er war voll der Gefühle, die Derek seiner Frau entgegenbrachte. Dieser Blick sagte ihr, dass sie für immer zusammenbleiben würden, dass die irdische Gerichtsbarkeit sie nicht trennen konnte.

Auch den beiden Kindern war klar, was nun geschehen würde. Sie konnten nicht hinschauen. Sie weinten lauter und klammerten sich an ihrer Mutter fest.

Derek Ashford war vor dem Richtklotz stehengeblieben. Hochaufgerichtet, keine Spur von Demut in seinen Augen. Er schaffte es sogar, den Kopf zu drehen und auf die Augenschlitze der Kapuze des Henkers zu schauen.

Der schrak zusammen, als er den Blick des Delinquenten auf sich gerichtet sah. So etwas hatte er noch nicht erlebt. Die meisten wimmerten oder schrien, dieser Mann aber ging aufrecht in den Tod. Selbst der abgebrühte Henker verspürte ein leichtes Schaudern, das er aber durch Ruppigkeit überspielte. Er herrschte Derek Ashford an, sich niederzuknien und den Kopf in die Kerbe zu legen.

Ashford nickte nur. Dann kam er dem Befehl nach.

Stille trat ein.

Selbst die allmählich erwachende Natur hielt den Atem an. Nichts war zu hören. Kein Vogel schrie oder zwitscherte mehr.

Der Eishauch des Todes lag über diesem unheimlichen Richtplatz.

Der Henker hatte Erfahrung. Er trat seitlich an den Delinquenten heran.

Probehalber hob er sein Richtbeil an und ließ es mit halber Kraft nach unten sausen. Er nickte zufrieden. Es würde keine Schwierigkeiten geben, er war selbst war ebenso bereit wie die Waffe, deren Klinge er extra gereinigt hatte.

Es gab kein Zeremoniell mehr. Das Urteil wurde nicht mehr verlesen. Dafür holte der Henker aus – und schlug zu.

Ein dumpfes Geräusch unterbrach die Stille.

Der Kopf fiel in den Korb.

Schreie der beiden Kinder und der Frau waren zu hören. Die drei hatten sich abgewendet. Sie konnten das Schreckliche nicht mit ansehen. Madelaine Ashford hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht daran geglaubt, jetzt war es für ihren Mann vorbei, und sie würde ebenfalls diesen brutalen Tod erleiden.

Jetzt holte man sie.

Anschließend den Jungen, zuletzt das Mädchen. Es gab keine Gnade. Selbst die Trommler waren bleich geworden und mussten sich später übergeben. Nur der Henker blickte ganz bewusst auf die vier Köpfe in den Körben. Er sah das Blut, er nahm seine Kapuze ab, und auf seinen etwas bläulich schimmernden Lippen erschien ein kaltes Lächeln.

Eine gute Arbeit, wie er sich selbst zugestand. Die Hölle hatte wieder einmal gewonnen ...

An diesem frühen Morgen war Garry McBain unterwegs, um letzte Vorbereitungen zu treffen. Er hasste diese Arbeit, doch als Förster war er dafür verantwortlich, dass die Regeln eingehalten wurden und alles vorbereitet war, damit sich die Jagdgesellschaft wohl fühlen würde. Man wollte nicht schießen, man wollte feiern, ein Frühlingsfest mit Freunden und das mitten in seinem Wald.

Der Förster ärgerte sich darüber. Er kannte diese Feste. Da wurde gegessen, getrunken, gelärmt, und man ließ oft genug viel Unrat zurück, um den er und seine Leute sich dann kümmern mussten. Als verlangte ihnen der Umweltschutz nicht ohnehin sehr viel.

In den vergangenen Jahren waren die Aufgaben für einen Förster vielfältiger geworden. McBain würde auch noch weiterlernen müssen, aber das störte den vierzigjährigen Mann nicht. Mehr ärgerte er sich über diese Gesellschaften, die seiner Ansicht nach nicht in den Wald passten.

Er hatte heimlich gebetet, dass das Wetter sich ändern würde. Leider war ihm dies nicht vergönnt. Es würde ein schöner Tag werden, sommerlich warm, und ideal für einen Ausflug.

Garry lenkte seinen kleinen Geländewagen mit der offenen Ladefläche über den schmalen Feldweg. Er führte direkt am Rand des Waldes entlang. Auf der linken Seite war das Gelände frei. Dort konnte der Blick über ein großes Wiesenstück wandern, über dem zu dieser Tageszeit allerdings eine graue Dunstglocke hing. Die Wiese grenzte an einen kleinen Bach. Danach stieg das Gelände wieder an, bis hin zu einem Waldstück, in dem mehrere kleine Teiche lagen.

McBain war nicht allein unterwegs. Auf der Ladefläche hatte es sich Willy bequem gemacht. Willy war ein Rauhaardackel, ein wilder Geselle, wenn es darauf ankam und wenn der Förster ihn ließ. Ansonsten gehörte Willy eher zu den ruhigen Tieren, gehorchte seinem Herrn und war froh, wenn er seine Ruhe hatte.

Willy sah aus, als hätte er sich zum Schlafen niedergestreckt. Nur manchmal, wenn der Wagen durch eine zu tiefe Furche schaukelte, öffnete er die Augen und schielte in die Höhe.

Der Untergrund war mit Furchen übersät. Immer wieder hinterließen die breiten Reifen der Holztransporter ihre Spuren, aber es war der einzige zum Ziel führende Weg. Und das lag dort, wo sich der große Platz ausbreitete. Ein Parkplatz, ein Ort zum Grillen, wo auch die Hütte stand, die an den Seiten offen war, aber gegen Regen schützte. Und natürlich die Grillstelle, die von Bänken umsäumt wurde.

Dort würde das große Fest am Nachmittag starten, und der Förster bekam ein kantiges Gesicht, als er wieder daran dachte. Er rollte auf den Platz vor der Hütte und stoppte den Wagen. Als das Geräusch des Motors erstarb, blieb Garry zunächst sitzen, um sich an die Stille des Morgens zu gewöhnen.

Er mochte sie. Er liebte die Ruhe des Waldes. Hier konnte man seine Seele baumeln lassen und wurde von keinem anderen Menschen bei der Meditation gestört.

Manche verglichen die morgendliche Stille des Waldes gar mit der in einer Kirche. Diesen Leuten gab der Förster recht. Der Wald hatte etwas von einer Kirche, etwas, das einem Menschen Respekt einflößen konnte, das sehr erhaben war und das selbst Garry McBain zu einer gewissen Andacht verleitete.

Sein Hund dachte da anders. Als er an der Rückscheibe kratzte, drehte sich Garry um. Zwei treue Augen schauten ihn vorwurfsvoll an. Garry wusste Bescheid. Willy hatte keine Lust mehr, auf der Ladefläche zu bleiben. Er wollte sich bewegen, tat dies aber in der Regel nur, wenn auch sein Herr ausstieg.

Seufzend löste der Förster den Gurt und verließ sein Fahrzeug.

Darauf hatte Willy nur gewartet. Er setzte mit einem Sprung von der Ladefläche, blieb hechelnd und mit wackelndem Schwanz vor Garry stehen und wartete auf die Worte: »Ja, lauf, aber bleib in der Nähe!«

Willy bellte kurz, dann rannte er los. Aber er hielt sich an die Befehle und blieb stets in Blickweite.

McBain stemmte die Hände in die Hüften. Noch einmal schaute er sich um, dann begab er sich zur Ladefläche und begann mit dem Entladen.

Er hätte das auch seinen Mitarbeitern überlassen können, die aber hatten schon genug mit ihrem eigenen Job zu tun, und so lud er nun die Grillkohle selbst ab.

Getränke und Verpflegung würden noch gebracht. Er musste sich nun nur darum kümmern, dass auch äußerlich alles in Ordnung war. Mit einem Reisigbesen fegte er das Innere der Hütte sauber, reinigte auch die Bänke von Vogelkot und überprüfte auch den gemauerten Abzug über der eigentlichen Grillstelle.

McBain hätte zufrieden sein können, aber er war es nicht. Erst nach einer Weile, als er alles einigermaßen in Ordnung gebracht hatte, fiel ihm die Stille auf. Es war eine für diese Tageszeit ungewöhnliche Stille. Er musste überlegen, was ihn so misstrauisch gemacht hatte, und runzelte die Stirn.

Plötzlich wusste der Förster Bescheid. Er vermisste das Singen oder Zwitschern der Vögel. Ihre schrille Musik war ihm so vertraut, aber an diesem Morgen waren sie nicht da.

Der Förster konnte sich keinen Reim darauf machen. Weiter entfernt hörte er dieses Singen, aber warum schwiegen die Tiere gerade hier, an diesem Ort?

Eine heftige Bewegung irritierte ihn. Als er nach rechts schaute, sah er eine Dohle, die von einem Zweig zum nächsten geflattert war, dann auf ihrem Platz hockenblieb und den einsamen Mann direkt anschaute.

Der einzige Vogel in der Nähe.

Das war schon seltsam, und McBain wunderte sich ferner, dass Willy noch nicht wieder erschienen war. Er sah ihn auch nicht. Normalerweise hielt sich der Hund stets am Rand der Lichtung auf, manchmal versteckte er sich auch, aber heute war von ihm überhaupt nichts mehr zu sehen.

Der Förster spitzte den Mund und stieß einen bestimmten Pfiff aus. Es war das Signal, das kannte Willy, und der Rauhaardackel würde sicher in den nächsten Sekunden angeschossen kommen. So war es bisher immer gewesen.

An diesem Morgen nicht.

Willy blieb verschwunden.

McBain wunderte sich über die Gänsehaut, die plötzlich auf seinem Körper lag. Er wollte sie nicht als Reaktion auf eine gewisse Furcht ansehen, komisch aber war es schon, denn bisher war Willy auf den Pfiff hin immer erschienen.

Warum heute nicht?

Der Förster rief zweimal scharf den Namen seines Hundes, aber Willy tauchte nicht auf.

Es war auch kein Bellen zu vernehmen, mit dem sich Willy sonst immer dann meldete, wenn er etwas Bestimmtes entdeckt hatte.

Heute blieb es still.

Der Förster atmete durch die Nase ein. In seinem Magen lag plötzlich ein Klumpen. Bis zu dieser Minute hatte er seinen Wald immer geliebt, mit einem Mal aber mochte er ihn nicht mehr. Er hatte den Eindruck, dass sich dieser Wald gegen ihn stemmen wollte, dass aus seinem Freund ein Feind geworden war.

Garry McBain ging einige Schritte vorwärts und schaute hoch zum grünen Dach der Laubbäume. Sie umgaben den Platz an drei Seiten. In alter Zeit hatten hier in der Nähe einmal Häuser gestanden, ein kleiner Ort nur, kaum der Rede wert. In irgendeinem Krieg war er dann niedergebrannt worden, und man hatte ihn vergessen.

Selbst der Förster konnte sich nicht mehr an den Namen erinnern, obwohl sich einige Legenden über das Geschehen gehalten hatten. Aber das war nicht sein Problem. Garry wollte Willy finden. Verdammt noch mal, dachte er, der Hund ist nie weggelaufen, so etwas macht er nicht.

Aber er hörte kein Bellen oder Jaulen oder sonst ein Zeichen dafür, dass Willy etwas passiert war und er sich verletzt hatte. Die Stille lag über dem Wald wie ein Tuch.

Er entschied sich, tiefer in den Wald hineinzugehen und wollte in die Richtung laufen, die Willy gewählt hatte. Vielleicht war ihm doch etwas passiert. McBain sah seinen Hund im Geist bereits hilflos im Gras liegen, verletzt durch irgendeine Waffe, wie auch immer.

»Willy!«

Seine Stimme hallte in den schweigenden Wald hinein. Sie versickerte als Echo zwischen den Bäumen, aber eine Antwort erhielt der Mann nicht.

Der Förster wurde allmählich nervös. Die Furcht nahm zu. Er bewegte sich sehr langsam, denn auf keinen Fall wollte er irgendetwas übersehen. Je mehr Zeit verstrich, umso heller wurde es in seiner Umgebung. Die Strahlen der Sonne schafften es, den Dunst verschwinden zu lassen. Sie beleuchteten jetzt den Wald, und Teile des Lichts wurden gefiltert, sodass es auf dem Waldboden einen hellen Flickenteppich hinterließ.

Zwar bildeten Gras und Unkraut eine Schicht auf dem Boden, aber er war auch von Laub bedeckt, das unter den Füßen des Försters leicht knirschte.

Das Laub zeigte sich in unterschiedlichen Farben. Mal war es dunkler, dann wieder heller. Brauntöne überwogen. Der Förster kannte hier jeden Fußbreit Boden, an diesem Tag aber kam er sich vor, als wäre er ein Fremder, der den Wald zum ersten Mal betreten hätte.

Jeder Baum stellte plötzlich eine Bedrohung dar. Er hatte die Bäume bisher als seine Freunde empfunden, und er hatte hin und wieder sogar mit ihnen gesprochen. Das kam den meisten Menschen lächerlich, nicht aber einem Mann wie McBain, der sich selbst als ein Stück Natur verstand.

Heute aber war alles anders.

Da sah er die Bäume nicht mehr als Freunde oder Verbündete an. Der Wald war für ihn zu einem Feind mit einem mächtigen Maul geworden, das seinen Hund Willy verschluckt hatte.

Für ihn war es schlimm. Je tiefer er in den Wald hineinschritt, umso mehr verstärkte sich der Eindruck einer drohenden Gefahr.

McBain fragte sich, ob er sich noch allein im Wald befand. Vielleicht lauerte jemand in der Nähe, der ihn beobachtete und auch Willy gefangen hielt.

Blitzartig drehte sich Garry um und schaute zurück.

Er sah nichts Fremdes.

Da war die Grillhütte, unter deren Dach er keine Bewegung entdecken erkennen konnte. Wahrscheinlich hatte er sich gewisse Dinge nur eingebildet.

Aber Willys Verschwinden war keine Einbildung und blieb unerklärlich. So hatte sein Hund noch nie reagiert. McBain ärgerte sich, dass er sein Gewehr im Wagen liegengelassen hatte. Lieber wäre es ihm gewesen, wenn er es jetzt bei sich getragen hätte.

Aber das war nicht zu ändern. Er wollte nicht zurücklaufen, sondern würde einen Teil des Waldes durchsuchen und ...

Mit der linken Fußspitze stieß Garry gegen einen auf dem Boden liegenden Gegenstand. Natürlich dachte er an einen Stein, bückte sich – und bekam große Augen.

Nein, das war kein Stein. Das war eine Puppe!

Garry wollte lachen, denn er wunderte sich, dass ihn ein dermaßen harmloser Gegenstand so stark erschreckt hatte. Die Puppe hatte jemand verloren, ein Spaziergänger, ein Mädchen, ein ...

Seine Gedanken brachen ab, als er sich bückte und diese Puppe genauer anschaute.

Sie war seltsam.

Er fand, dass sie einfach nicht in die moderne Zeit hineinpasste. Diese Puppe war ein Relikt aus alter Zeit. Sie musste seiner ersten Schätzung nach einige hundert Jahre auf dem Buckel haben.

Aber das war doch Unsinn.

Wäre sie wirklich so alt, hätte sie kaum noch so gut ausgesehen können. Sicher war es eine neue Puppe, die man auf alt getrimmt hatte.

Mit diesem Gedanken kam der Mann besser zurecht. Ohne die Puppe bisher berührt zu haben, hatte er erkannt, dass sie nicht aus Horn oder Porzellan bestand, sondern aus Holz. Der Kopf war flach und bestand aus Stoff.

Dunkles Haar schmiegte sich an den flachen Schädel. Eine gelbliche Haube verdeckte den größten Teil der Haare, und das Gesicht zeigte nicht viel mehr als Punkte, die einen Mund, die Augen und auch die Nase andeuten sollten.

Die Kleidung bestand aus einem grünen, langen Rock, mit zwei gelben Borden über dem Saum, und ein buntes, gesticktes Oberteil reichte bis zum Hals der Puppe.

Der Förster wunderte sich noch immer über diesen Fund. Er schaffte es nicht, ihn einfach wegzuwerfen. Irgendwie hatte ihn das dumpfe Gefühl überfallen, dass diese Puppe eine bestimmte Bedeutung hatte. Seltsamerweise brachte er sie sogar in einen Zusammenhang mit dem Verschwinden seines Hundes, obwohl das bestimmt Unsinn war.

Jedenfalls wollte McBain die Puppe nicht einfach hier liegenlassen. Er hob sie auf.

Eine Sekunde später erschrak er. McBain ließ die Puppe los, als wäre sie plötzlich ein heißes Eisen.

Dabei war nicht viel passiert. Die Puppe hatte nur den Kopf verloren.

Der Förster hustete, weil er ein Kratzen im Hals verspürte. Er ging einen kleinen Schritt zurück, richtete sich auf und strich über seine Stirn, die schweißnass geworden war.

Dabei hatte die Puppe so kompakt ausgesehen. Wie war es also möglich, dass sie ... dass sie ... ja, dass sie den Kopf verloren hatte?

Es wollte ihm nicht in den Kopf, und er musste sich überwinden, um noch einmal nachzuschauen.

Wieder bückte er sich.

Diesmal umfasste er mit spitzen Fingern den Kopf und hob ihn vorsichtig an.

Geirrt hatte er sich nicht, der Puppenkopf bestand aus Holz. Er war Fachmann und wusste, dass man ihn aus Lindenholz geschnitzt hatte. Ein kaltes Kribbeln durchdrang seine Fingerspitzen. Es lag sicherlich nicht an der Puppe, sondern mehr an ihm und seiner inneren Einstellung.

Er hätte den kleinen Kopf am liebsten fortgeworfen, das aber brachte er nicht fertig. Stattdessen schaute er sich den Hals an, weil er wissen wollte, warum der Kopf vom Körper getrennt worden war.

Der Förster rechnete damit, Spuren einer Säge zu entdecken, aber das war nicht der Fall.

Dieser Puppenkopf war mit einem glatten Schnitt vom Körper abgetrennt worden. Als hätte jemand eine Axt oder ein Schwert genommen, dachte McBain und wunderte sich. Er war ein Mensch, der immer die Gründe für etwas wissen wollte, so auch hier. Und er dachte analytisch genug, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Puppe noch nicht lange hier liegen konnte. Sonst hätte die Schnittstelle anders aussehen müssen.

Was aber hatte das zu bedeuten?

Wer hatte sich hier im Wald aufgehalten und den Kopf der Puppe vom Körper getrennt?

Diese Fragen beschäftigten McBain zwar, wichtiger aber waren für ihn etwas ganz Anderes. Er wollte und musste endlich herausfinden, was mit seinem Hund Willy geschehen war.

Seltsamerweise glaubte er jetzt, da er die Puppe gefunden hatte, auch fest daran, dass er seinen Hund entdecken würde. Bei diesem Gedanken aber wurde seine Verfassung nicht gerade besser. Etwas stieg in seiner Vorstellung hoch, an das er lieber nicht denken wollte.

Der Förster blieb in der Nähe des Waldrandes. Er rechnete fest damit, Willy hier zu finden. Ein unbestimmtes Gefühl gab ihm diese Gewissheit. Sein Herz klopfte schneller, der Magen drückte sich immer mehr zusammen, er spürte auch sein Zittern, als er den Namen des Hundes immer und immer wieder rief, ohne allerdings eine Antwort zu bekommen.

Dann aber sah er seinen Hund!

Willy lag in einer kleinen Mulde auf der Seite. Aus der Entfernung sah es aus, als würde er schlafen, aber das tat er bestimmt nicht, und da war auch noch etwas Dunkles in der unmittelbaren Nähe seines Kopfes.

Garry McBain blieb stehen.

Er wollte plötzlich nicht mehr weitergehen, um die endgültige Gewissheit zu erhalten. In seinem Körper hatte sich alles zusammengekrampft, aber er ging trotzdem auf Willy zu. Sein Kopf kam ihm so ungewöhnlich schwer vor. Die Gedanken schienen von innen her gegen die Knochen zu hämmern.

Am Rand der kleinen Mulde blieb er stehen. Ein bekannter Geruch drang in seine Nase.

So roch Blut ...

Der Förster bückte sich.

Er sah das dunkle Blut auf dem Boden. In der Nähe des Hundekopfes hatte es sich verteilt.

Garry hob Willys Kopf an – und hielt ihn plötzlich in der Hand!

Der Mann erstarrte. Er wollte es nicht glauben, er starrte auf den Schädel, er sah die weit geöffneten Augen, die so leer waren. Mit einem glatten Hieb hatte man Willys Kopf vom Körper getrennt. Seinem Hund war das gleiche widerfahren wie der Puppe, aber Willy war ein Lebewesen und kein Stück Holz.

Etwas sehr Wertvolles war Garry genommen worden, und er schämte sich seiner Tränen nicht. Er hatte an Willy gehangen, die beiden waren richtige Freunde gewesen, und jetzt das hier!

Mein Gott! Wer tut so etwas!