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Drei junge Männer hatten in einer finsteren Nacht den Vampir gejagt und ihn auf einem alten Bergfriedhof in den Alpen gestellt. Schließlich hatten sie den Blutsauger in eine tiefe Schlucht gestoßen, überzeugt davon, den Untoten endgültig vernichtet zu haben.
Mehr als dreißig Jahre später gingen die Töchter dieser drei Männer auf dasselbe Internat in der Schweiz, das einst ihre Väter besucht hatten. Die grauenvollen Ereignisse der Vergangenheit hatten die Männer stets für sich behalten, schließlich hatte niemand ahnen können, dass der Vampir noch existierte. Er wusste um die besonderen Familienverhältnisse und wollte nun Rache nehmen. Die Zeit für den Blutbiss schien endlich gekommen.
Gemeinsam mit meiner Freundin Jane Collins versuchte ich, die jungen Frauen doch noch zu retten ...
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Seitenzahl: 175
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Angst vor dem Blutbiss
Damals
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Angst vor dem Blutbiss
von Jason Dark
Drei junge Männer hatten in einer finsteren Nacht den Vampir gejagt und ihn auf einem alten Bergfriedhof in den Alpen gestellt. Schließlich hatten sie den Blutsauger in eine tiefe Schlucht gestoßen, überzeugt davon, den Untoten endgültig vernichtet zu haben.
Mehr als dreißig Jahre später gingen die Töchter dieser drei Männer auf dasselbe Internat in der Schweiz, das einst ihre Väter besucht hatten. Die grauenvollen Ereignisse der Vergangenheit hatten die Männer stets für sich behalten, schließlich hatte niemand ahnen können, dass der Vampir noch existierte. Er wusste um die besonderen Familienverhältnisse und wollte nun Rache nehmen. Die Zeit für den Blutbiss schien endlich gekommen.
Gemeinsam mit meiner Freundin Jane Collins versuchte ich, die jungen Frauen doch noch zu retten ...
Die drei jungen Männer glaubten nicht an Vampire, aber sie wussten, dass sie einen Vampir töten mussten.
Sie hatten Spuren gesehen, sie hatten Schreie gehört, Schatten bei den alten Gräbern, und es waren zwei Mädchen aus dem Dorf verschwunden. Als man ihre Körper schließlich gefunden hatte, waren sie blutleer gewesen – und hatten trotzdem noch gelebt.
Zwei Polizisten hatten die Körper dann in die Schlucht geworfen, durch die der Wildbach schäumte. Und der hatte die zerschmetterten Körper mitgerissen und irgendwohin gespült, dabei aber so zerstört durch den Kontakt mit den scharfkantigen Felsen, dass von ihnen nur mehr klumpige Reste zurückgeblieben waren.
Die beiden Polizisten hatte man versetzt. Es ging auch die Legende um, dass sie in einer Heilanstalt in der Nähe von Genf dahinvegetierten, aber wer wirklich etwas Genaueres wusste, der behielt dieses Wissen für sich. Und andere wagten gar nicht erst, entsprechende Fragen zu stellen.
So war es eben gewesen.
Aber IHN gab es noch immer.
Und die drei wussten das.
Paul Carrigan war der Anführer. Mit seinen neunzehn Jahren gehörte er zu den besten Sportlern im Internat. Er war blond und gehörte zu denen, die ihre Ellenbogen einsetzten. Auf diese Art und Weise kam er immer durch.
Zur Gruppe zählte auch Claudio Melli, der Nudelprinz. Er wurde so genannt, weil sein Vater in Italien und in der italienischen Schweiz einige Pasta-Fabriken besaß. Melli war der große Weiberheld und brüstete sich damit, schon einige Mitschülerinnen vernascht zu haben. Nur die wenigsten aber nahmen das dem schwarzgelockten Bilderbuch-Italiener ab. Claudio kannte sich auch am besten aus. Er wusste, wie man an gewisse Dinge und Werkzeuge herankam, ohne großes Aufsehen zu erregen, und das wiederum hatte ihn unentbehrlich gemacht.
Blieb der dritte, der Deutsche, der Fußballer, der auf den Namen Herbert Lagemann hörte. Ein knochentrockener Typ, kein Sprücheklopfer, sondern jemand, auf den man sich verlassen konnte. Einer, der immer genau abwog, was er tat.
Sie trafen sich in einer dunklen Nacht.
Die langen Sommerferien waren vorbei, aber noch immer waren die Tage warm, und auch in den Nächten kühlte es sich nicht stark ab, obwohl das Internat auf einer Höhe von mehr als tausend Metern lag.
Ihr Treffpunkt war der alte Bauernhof. Ein Haus aus Steinen und Holz, das an einen Hang gebaut worden war.
Herbert Lagemann, der Deutsche, machte seinem Ruf wieder alle Ehre und traf als erster am Treffpunkt ein. Sie hatten ausgemacht, das Internat nicht gemeinsam zu verlassen, denn das wäre unter Umständen aufgefallen.
Zum Haus gehörte ein Wasserspender. Frisches Wasser sprudelte in den Bottich, Tag und Nacht.
Herbert setzte sich auf den Boden und lehnte sich gegen den Bottich. Dann streckte er die Beine aus. Das Zifferblatt seiner Uhr leuchtete grünlich. Er warf einen Blick darauf und dachte daran, dass Paul Carrigan als zweiter bei ihm auftauchen würde. Claudio Melli würde sicherlich der letzte sein, das kannte man ja.
Der Blick von diesem Fleckchen aus war herrlich. Zumindest am Tage. In der Dunkelheit aber konnte man nicht viel erkennen. Herbert sah die Berge als Schatten.
Jenseits dieser Berge ging es nur noch bergab. Da fiel die Welt einfach hinunter, als würde die gesamte Natur in den Genfer See, den Lac Léman, hineinrutschen.
Ein leises Lachen riss ihn aus seinen Gedanken. Wie er es sich schon ausgerechnet hatte, war es Paul Carrigan, der sich fast lautlos näherte.
»Setz dich!«
»Keine Kuhscheiße?«
»Nein. Oder siehst du welche?«
»Nein.« Carrigan ließ sich nieder. Er zog die Beine an und spannte seine Hände über die Knie. Auf seinen Lippen lag ein hartes Lächeln. Der Blick seiner Augen war prüfend in die Ferne gerichtet, und er hatte seine Stirn in Falten gelegt.
»Du wolltest sicherlich etwas sagen«, bemerkte der Deutsche.
»Stimmt.«
»Dann spuck es aus.«
»Ich ... ich ...« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe noch immer nicht begriffen, weshalb wir uns heute Nacht hier an dieser einsamen Stelle treffen.«
Lagemann deutete zum Himmel. »Schau dort hin.«
Paul tat es. »Na und?«
»Siehst du den Mond?«
»Klar.«
»Er ist voll, mein Lieber. Und so etwas nennt man klassisches Vampirwetter.«
»Mann, bist du schlau.«
»Nein. Aber es ist so, das war so, und das wird auch so bleiben, denke ich.«
»Wie du meinst.«
Herbert war noch nicht fertig. »Ich sage dir, Paul, heute wird er aus seinem Versteck kriechen. Der Blutsauger kann gar nicht anders. Der Mond, das bleiche Licht, da kommt einiges bei ihm zusammen, das ihn locken wird. Ich schwöre es dir.«
»Und wenn nicht?«
»Werden wir morgen Nacht wieder hier sein und übermorgen auch. Da wird der Mond noch immer scheinen.«
Paul Carrigan hob einen kleinen Stein auf, warf ihn weg und lauschte dem Geräusch. »Deutsche Gründlichkeit, wie?«
»Quatsch. Ich habe nur nachgedacht. Lass doch die verdammten Vorurteile sausen. Schließlich liegt das Ende des Krieges lange zurück.«
»Das sagst du.«
»Stimmt doch auch.«
»Bei uns vergisst man so leicht nicht. Es ist klar, dass auch wir Jungen so manches von den Alten übernommen haben, was einfach Scheiße ist.«
»Ich würde mich freuen, wenn alle so denken würden.« Herbert meinte es ernst. Er lächelte verloren, denn er hatte nicht vergessen, dass ihn einige Mitschüler als Nazi tituliert hatten, wobei er nun wirklich nicht für diese schreckliche Zeit verantwortlich gemacht werden konnte.
Paul schlug ihm auf die Schulter. »Nichts für ungut, es war nicht so gemeint.«
»Schon vergessen.« Herbert streckte die Beine aus. »Verflucht noch mal, wo bleibt Claudio so lange? Typisch für einen Italiener, nie pünktlich, und ...« Er bemerkte sofort, dass er ebenfalls ein Vorurteil nachplapperte.
»Naaa ...«, sagte Paul und grinste breit.
»Mist.«
»Vergiss es.«
Melli kam, und Melli war wie eine Katze. Er stand plötzlich vor den beiden anderen und lachte, in einer Hand die Riemen eines Rucksacks haltend, den er dann auf den Boden stellte.
»Bist du eine Katze?«, fragte Paul.
»Nein, aber ich übe immer, wenn ich in der Nacht zu den zweibeinigen Kätzchen schleiche.«
»Hau nicht so auf den Putz«, sagte Herbert.
»Neidisch?«
Der Deutsche schüttelte den Kopf. Er schaute zu, wie Melli den Rucksack öffnete. »Ich bin überhaupt nicht neidisch, wenn mir Lügner etwas unter die Weste schieben.«
»Lügner?«, knirschte Claudio und hob den Kopf.
Paul mischte sich ein. »Hört jetzt auf. Wir sind hier nicht zusammengekommen, um uns zu streiten. Hier wird es bald zur Sache gehen, aber richtig.«
»Bene, vergessen«, sagte Melli. Seine beiden Hände tauchten in den Rucksack ein, und er sagte: »Dann wollen wir mal sehen, was der gute Claudio alles mitgebracht hat.«
Er packte aus, aber keiner der beiden anderen erkannte, um was es sich dabei handelte. Claudio war raffiniert vorgegangen. Er hatte die Gegenstände mit Lappen umwickelt, damit sie beim schnellen Gehen nicht gegeneinander klirrten.
»Das ist wie Weihnachten«, murmelte Claudio, als er die Werkzeuge vorsichtig freilegte. Sie waren in der Tat außergewöhnlich, auch Herbert und Paul schauten hin, wie sie unter den geschickten Händen ihres Klassenkameraden frei gelegt wurden.
Zwei Pflöcke aus Eichenholz, vorn zugespitzt. Es waren noch die hellen Flecken zu erkennen, wo die Rinde weggeschabt worden war. Zwei Stangen aus Eisen, vorn ebenfalls spitz.
Herbert nahm einen von ihnen hoch und wog ihn in der Hand. »Die sind nicht eben leicht.«
Sein Kumpel Claudio grinste. »Dann kann sie ja unser Sportsmann in die Hand nehmen.« Er meinte Paul damit, der allerdings nichts sagte und nur zuschaute, was der Italiener noch alles auspackte.
Ein Kreuz!
Ziemlich groß, verschnörkelt, ebenfalls aus Metall. Es setzte sich aus mehreren dünnen Stäben zusammen.
Wieder griff Claudio in seinen Rucksack. Als letztes Teil holte er ein silbrig schimmerndes Gefäß hervor. Es hatte die Form eines übergroßen Ostereis, war aber am Boden abgeflacht, sodass es stehen konnte. Die obere Seite war durch eine Metallklappe verschlossen. Durch eine Drehung löste Claudio die Kappe, und jetzt sahen die beiden anderen die Löcher innerhalb des Gefäßes. Claudio hob es an und schwenkte es. Im Innern war das Klatschen einer Flüssigkeit zu hören.
»Was ist das?«, fragte Paul.
»Weihwasser.«
»Ach.«
»Davor fürchten sich Vampire.« Claudio deutete auch auf die anderen Waffen. »Und davor ebenfalls.«
»Gut«, lobte ihn Herbert.
»Man kennt sich eben aus.«
»Und woher hast du die Dinger?«, wollte Paul wissen. »Die gibt es doch nicht in irgendeinem Laden zu kaufen.«
»Beziehungen, mein Freund. Ihr wisst doch, dass ich mich hin und wieder einmal umschaue, und da entdecke ich eben solche Dinge. Ich behalte sie und denke mir dabei, dass man sie irgendwann einmal gebrauchen könnte. Und jetzt ist es so weit. Wir können sie gebrauchen, wenn wir Jagd auf den Blutsauger machen.«
»Das ist schon super, Nudelprinz«, murmelte der deutsche Junge. »Und wie soll es jetzt weitergehen?«
»Ganz einfach«, sagte Claudio. »Ich überlasse euch in meiner unendlichen Güte die Wahl. Was wollt ihr haben? Das Weihwasser, die Pflöcke aus Eisen oder die aus Holz, das Kreuz ...«
Paul Carrigan griff nach den Eisenpflöcken. »Die werde ich nehmen.« Er steckte sie in seinen Hosengürtel. »Einverstanden?«
»Die übrigen nehme ich«, sagte Herbert.
»Nein, einen Pflock lass mir.«
Sie sprachen flüsternd. Schließlich bekam der Deutsche das Kreuz und das Gefäß mit dem Weihwasser. Er hielt es hoch. »Kannst du mir sagen, Claudio, wo ich es hinstecken soll? In meine Hosentaschen bestimmt nicht.«
Der Italiener lachte. »Da sind zwei Haken an der Außenseite.« Er griff in die Hosentasche und hielt etwas Schimmerndes hoch. »Und hier ist eine Kette. Hak sie in die Ösen, dann kannst du dir das Weihwasser-Ei an den Gürtel hängen.«
Lagemann grinste. »Du hast wohl an alles gedacht, wie?«
»Klar doch.«
Ihr Gespräch versickerte. Sie merkten, dass es ernst wurde, und sie nahmen die Waffen an sich. Den Rucksack ließ Claudio neben dem Trog liegen, auch die Lappen.
Lagemann schaute hoch zum Himmel.
Der volle Mond glotzte auf sie nieder.
Vampirwetter, dachte er. Verdammtes Vampirwetter ...
Eine Minute später waren sie unterwegs.
Es war ein Friedhof, der von keinem Touristen besucht wurde, weil er so einsam und versteckt in den Bergen lag. Er sah aus, wie ein kleines Kunstwerk, obwohl er schon so alt war. Die Menschen damals hatten es geschafft, dieses Gelände dem Berg abzutrotzen, aber es war nicht möglich gewesen, den Friedhof zu erweitern. Das hatte der felsige Boden nicht zugelassen, und so war der Friedhof auf die wenigen Gräber beschränkt geblieben.
Er lag im Schatten eines überhängenden Felsens und war gegen die Bergflanke gebaut worden. Das Gelände sackte schräg ab und war zur Schlucht hin durch eine Mauer geschützt. Auch sie hatte im Laufe der Jahre viel von ihrer ursprünglichen Stärke verloren. Sie war verwittert und an einigen Stellen an der Oberfläche sogar locker und rissig geworden.
Die Jungen kannten den Weg. Sie wussten auch, dass der Blutsauger in der unmittelbaren Nähe des Friedhofs gesehen worden war, und bei diesem herrlichen Vollmondwetter würde er wohl nicht in seinem Versteck bleiben.
Der Weg war schmal, steinig und nicht einfach zu begehen. Sie mussten hintereinander gehen, wobei der katzenhaft gewandte Claudio die Führung übernommen hatte und Herbert Lagemann den Schluss der Dreiergruppe bildete.
Sie sprachen so gut wie nicht miteinander. Es gab nicht viel zu reden, denn jeder hing seinen Gedanken nach, und diese drehten sich um die nahe Zukunft.
Der Vampir hatte keinen Namen. Sie wussten nicht, woher er stammte und was seine Geschichte war. Sie wussten nur, dass es ihn gab, dass er vernichtet werden musste. Und zu dritt trauten sie es sich zu, auch wenn jeder einzelne von ihnen ein komisches Gefühl im Magen hatte. So locker, wie sie sich gaben, waren sie nicht.
Je näher sie ihrem Ziel kamen, umso unwohler wurde den dreien.
Nervös schauten sie nach rechts und links. Sie hielten nach irgendwelchen Beobachtern Ausschau, sie wollten erkennen, ob der Vampir Helfer hatte und diese schon auf sie warteten.
Nichts bekamen sie zu sehen, trotz des Vollmondes.
Berge und Felsen wirkten in der Nacht bedrohlich. Manchmal schimmerte das graue Gestein auch, als wäre es mit einer Silberschicht überpinselt worden.
Keine Tiere in der Nähe. Auch keine Menschen. Selbst Fledermäuse, nach denen sie Ausschau hielten, entdeckten sie nicht. Schließlich hatten sie gehört, dass sich Vampire in Fledermäuse verwandelten und der Vorgang auch umgekehrt ablaufen konnte.
Alles war anders in dieser Nacht. Äußerlich nicht, aber die drei registrierten genau, dass um sie herum etwas in der Finsternis existierte, das sie nicht erklären konnten. Es war wie eine Botschaft, eine Sendung, die allein sie betraf, nur auf sie gezielt war, und sie bemerkten die Veränderung so stark, dass sich ihr Atem nicht mehr normal anhörte. Er floss abgehackt und keuchend über die Lippen. Ihre Bewegungen wurden schwerer, und als sie den höchsten Punkt des schmalen Weges erreicht hatten, blieben sie stehen.
Vor ihnen senkte sich das Gelände.
Und dort lag auch der Friedhof!
Wie ein längst vergessener Hort des Schreckens. Ein nicht sehr großes Halbrund, zur Seite hin abgeschirmt durch eine hüfthohe, schon brüchige Mauer, ansonsten bedeckt mit den wenigen Gräbern, die sehr dicht zusammenstanden und auch bei diesen schlechten Lichtverhältnissen aussahen, als hätten sie die beste Zeit bereits hinter sich. Das war auch so, denn kaum jemand kam hierher, um ein Grab zu pflegen.
Hier lagen die Toten, die längst vergessen worden waren. Ein Friedhof der vergessenen Toten ...
Es standen keine Kreuze mehr auf dem Friedhof. Längst war das Holz verwittert, und auch die Grabsteine verrieten kaum noch etwas über die Toten.
Man konnte diesen Friedhof als neutral ansehen. Und er lag so, dass er auch tagsüber von dem Schatten überflutet wurde, die von den Felswänden herab nach unten fielen. Die drei jungen Männer schauten sich an und schwiegen.
Claudio unterbrach das Schweigen. »Wenn ihr wollt, wenn wir wollen, dann können wir wieder zurück.«
»Du meinst, kneifen?«, fragte Paul.
»Ja.«
»Auf keinen Fall. Was sagst du, Herbert?«
»Wir gehen.«
»Das meine ich auch.«
Der Nudelprinz drehte den Kopf und zeigte sein bestes Lächeln. »Was tun wir? Durchsuchen wir den Totenacker gemeinsam, oder trennen wir uns?«
»Gibt es denn einen Hinweis, wo sich der Vampir versteckt hat?«
»Nein.«
»Der muss irgendwo hausen!« Lagemann blieb am Ball. »Wenn die Sonne scheint, wird er nicht umhergeistern, die würde ihn zu Staub verbrennen, denke ich.«
»Herbert hat recht«, sagte Paul.
Claudio fragte: »Ihr meint also, dass wir nach einem Versteck suchen sollen?«
»Ja.«
»Gut, Herbert – wo?«
»Gibt es hier nicht eine Höhle in der Nähe?«
Melli schnippte mit den Fingern. »Stimmt, das Eisloch. So ist diese Höhle genannt worden, weil sie im Winter hin und wieder einfriert, wenn sie mit Wasser voll läuft.«
»Sie müsste jetzt trocken sein.«
»Sollen wir gehen?«
Der deutsche Junge nickte. »Sofort. Oder habt ihr einen anderen Vorschlag?«
Den hatten weder Paul noch Claudio, und sie überließen dem Deutschen die Führung.
Herbert Lagemann hatte sich im Laufe der Jahre die Umgebung angesehen. Auf langen, einsamen Spaziergängen hatte er sie erkundet und kannte sich deshalb gut aus. Er war schon zweimal in der Höhle gewesen, aber nie sehr tief, weil er schon nach wenigen Schritten das Gefühl bekommen hatte, dass in diesem kalten Dunkel etwas unsagbar Böses lauerte. Er hatte darüber nie mit seinen Mitschülern gesprochen, aus Furcht, von ihnen ausgelacht zu werden. In dieser Nacht aber würden sie es versuchen.
Von Herbert stammte der Vorschlag, und Herbert hatte auch die Führung übernommen. Sie mussten in den Fels klettern, denn die Höhle lag über dem Friedhof. Minuten später hatten die Jungen sie gefunden und blieben vor dem Eingang stehen.
»Das ist sie also«, murmelte Paul und hakte seine Taschenlampe los, was auch die anderen beiden taten. Noch standen sie da und warteten ab, was ihnen wohl aus dieser Finsternis entgegenströmen könnte. Es war nichts zu hören. Wenn es so etwas wie eine absolute Stille gab, dann war das jetzt. Aber sie empfanden das auch als gefährlich, das war ihren Gesichtern anzusehen.
Schließlich bückte sich Claudio, hob mit der linken Hand einen Stein auf und schleuderte ihn in das Dunkel hinein. Sie hörten zu, wie der Stein mehrmals aufschlug, ihnen ein Echo zuschickte und es dann wieder still wurde.
Keine Reaktion.
»Wenn er da ist, muss er auch etwas gehört haben«, sagte Claudio mit seiner Flüsterstimme.
Die anderen gaben ihm durch ihr Nicken recht.
Herbert übernahm die Führung. »Wir müssen hinein, es nutzt alles nichts. Wir sind nicht gekommen, um vor dem Ziel kehrtzumachen. Zumindest ich nicht. Haltet eure Waffen bereit, um so schnell wie möglich handeln zu können.«
Das taten sie.
Obwohl das Kreuz schwer war, hatte es sich der Italiener vor die Brust gehängt. Als Kette diente ein Band aus geflochtenem Hanf. Herbert Lagemann schaltete als erster seine Lampe ein. Der helle Strahl war nicht sehr breit, man konnte ihn mit der Breite eines Arms vergleichen, aber er riss einen hellen Tunnel in die Düsternis und glitt über einen steinigen Boden hinweg, auf dem das blanke Geröll lag und im Licht schimmerte wie Eis.
»Wir gehen.«
Und wieder blieben sie hintereinander. Diesmal allerdings etwas versetzt, denn die Höhle war breit genug.
Jeder von ihnen dachte über seine Gefühle nach. Wahrscheinlich waren sie bei jedem anders, aber eines traf sie gemeinsam. Sie glaubten, die normale Welt verlassen zu haben und einzutauchen in eine andere, neue und auch gefährliche, die sich mit all ihren Schrecken in dieser Höhle manifestiert hatte, aber noch im Unsichtbaren lag und darauf wartete, hervorgeholt zu werden.
Manchmal kollerte ein Stein weg, dann wiederum knirschten unter den Sohlen kleinere Steine. Die Strahlen der Lampen tanzten in den Bewegungen ihrer Hände, huschten über den Boden hinweg, glitten an den Wänden entlang und auch mal über die alte Stollendecke, deren Form nicht glatt war, sondern wellig und so aussah, als könnte sie jeden Moment einstürzen und die drei Jungen unter sich begraben.
Es tat sich nichts. Sie hörten weder ein verräterisches Knacken noch irgendein Knirschen, das auf eine Gefahr hingedeutet hätte. Nur sie selbst waren zu hören.
Die Luft veränderte sich, je tiefer sie in den Stollen gingen. Sie wurde kühler, klammer, und das Atmen fiel ihnen schwerer. Das mochte zum Teil daran liegen, dass sich die Decke senkte und sie zusehends die Köpfe einziehen mussten.
Dann plötzlich erwischten die drei Lichtstrahlen ein Ziel.
Sofort blieben die Jungen stehen. Ein jeder von ihnen spürte, wie das Grauen in ihm hochkroch, denn was sich da im Licht ihrer Lampen abzeichnete, musste so etwas wie das Lager eines Vampirs sein.
Aus den alten Hammer-Filmen wussten sie, dass die Blutsauger eigentlich in Särgen schliefen. In der Nacht verließen sie diese Särge, die dann leer zurückblieben.
Hier nicht.
Dieses Vampirlager bestand nicht aus einem oder mehreren Totenkisten. Es war einfach eine Mulde im Boden, und darin lagen alte Lumpen. Sie bewegten sich nicht. Und auch in ihrer Umgebung tat sich nichts.
Es dauerte eine Weile, bis die Freunde ihre Sprachlosigkeit überwunden hatten, und wieder war es Herbert Lagemann, der eine treffende Bemerkung machte.
»Wir haben seine Wohnung oder sein Lager gefunden, das steht fest. Aber wo finden wir ihn?«
»Keine Ahnung!«, flüsterte Claudio.
»Bist du dir denn sicher, dass es das Lager eines Vampirs ist?«, fragte Paul. »Kann es nicht auch das Versteck irgendeines Einsiedlers sein? Wäre doch auch möglich.«
»Nein!«, widersprach Herbert. »Wenn es so wäre, dann hätten wir etwas erfahren. So einsam kann niemand leben, als dass es sich nicht herumgesprochen hätte. Da wäre diese Höhle schon längst zu einem Wallfahrtsort geworden.«
Da mussten die beiden anderen ihrem Mitschüler recht geben. Es blieb nur die eine Lösung.
»Jedenfalls ist er weg«, sagte Claudio. Aus seiner Stimme klang auch Erleichterung mit.
»Wir müssen ihn woanders suchen.« Herbert ließ nicht locker. »Ich glaube nicht, dass er sich aus dem Staub gemacht hat, nur weil wir in seiner Nähe erscheinen. Ich glaube eher daran, dass wir Ärger kriegen. Dass er uns schon längst entdeckt hat und nur darauf wartet, unser Blut trinken zu können.«
Während sich Claudio an den Hals fasste, als wollte er dort nach Bisswunden suchen, musste der Junge aus England grinsen. Ihn amüsierte es, dass sich sein Kumpel fürchtete.
»Wir gehen!«, entschied Herbert.
Keiner war dagegen. Und sie konnten die Höhle verlassen, ohne dass etwas passierte. Draußen atmeten sie die herrliche Nachtluft ein. Auch die Lampen schalteten sie aus, und sogar eine gewisse Zufriedenheit zeichnete ihre Gesichter.
»Noch mal zum Friedhof zurück?«, fragte Melli.
Paul nickte. »Und ob – oder, Herbert?«
»Wir gehen. Er hat sein Lager verlassen, er muss hier irgendwo lauern. Er wird auch Durst haben, und was das bedeutet, brauche ich euch nicht extra zu sagen.«