John Sinclair Sonder-Edition 167 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 167 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Er war eine Legende des Bösen. Niemand wusste, ob er wirklich gestorben oder einfach nur verschollen war. Die meisten Bewohner in Kansas wollten ihn ohnehin nur noch vergessen.
Doch als zwölf Touristen einfach verschwanden, da erinnerte man sich wieder an ihn. Plötzlich ging die Angst um, und ein Satz machte die Runde: "Sheriff Tod ist wieder da ..."
Ja. Er war wieder da. Deshalb hatten meine amerikanischen Kollegen mich angefordert.
Und ich war gekommen, um weitere Opfer zu verhindern und die Legende zur Strecke zu bringen ...


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Seitenzahl: 181

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Sheriff Tod

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Sheriff Tod

von Jason Dark

Er war eine Legende des Bösen. Niemand wusste, ob er wirklich gestorben oder einfach nur verschollen war. Die meisten Bewohner in Kansas wollten ihn ohnehin nur noch vergessen.

Doch als zwölf Touristen einfach verschwanden, da erinnerte man sich wieder an ihn. Plötzlich ging die Angst um, und ein Satz machte die Runde: »Sheriff Tod ist wieder da ...«

Ja. Er war wieder da. Deshalb hatten meine amerikanischen Kollegen mich angefordert.

Und ich war gekommen, um weitere Opfer zu verhindern und die Legende zur Strecke zu bringen ...

Die alte Kirche stand auf einem Hügel.

Ein verwitterter Holzbau, umgeben von kahlen Bäumen, die trotz ihrer Größe mehr einem Gestrüpp glichen. Diese Bäume boten der Kirche auch keinen Schutz gegen die oft heftigen Windböen, die mit Brachialgewalt gegen die Außenwände des Baus brandeten, als hätten sie Lust daran gefunden, ihn zu zerstören.

Aber das alte Gotteshaus hatte selbst noch standgehalten, nachdem die Gläubigen es vor vielen Jahrzehnten aufgegeben hatten. Jetzt machte man sogar einen Bogen um die Kirche, die den Menschen unheimlich geworden war.

Auf dem ziemlich spitzen Dach der Kirche – einen Turm gab es nicht –, wuchs ein altes Kreuz in die Höhe. Sehr groß, aus Eisen geschmiedet, aber längst rostig, als wäre es von dem ätzenden Atem des Teufels zerfressen worden.

Die Kirche bestand aus zwei Blöcken. Einem unteren, breiteren, in dem die Tür und zwei Fenster eingelassen waren. Darüber ein schmalerer Aufbau mit einer Spitzbogentür, vor der auch noch ein alter Holzbalkon zu sehen war.

So stand sie all die Jahre da. Einsam und verlassen. Aber war sie wirklich verlassen?

Es gab Menschen, die behaupteten, hin und wieder eine Gestalt gesehen zu haben. Einen Mann, der in dieser Kirche ein- und ausging. Ein Spuk in finsterer Nacht, sagten die einen.

Und wieder andere behaupteten sogar, den Mann zu kennen, aber es gab kaum jemanden, der sich traute, seinen Namen auszusprechen. Er war längst zu einer Legende geworden. Keinem war bekannt, ob er gestorben war oder ob er noch lebte.

Es wollte auch niemand etwas mit ihm zu tun haben, aber durch die Köpfe der Menschen geisterte des Öfteren sein Name: Sheriff Tod!

»Ich habe es gelesen, ich habe es gehört, und ich bin überzeugt, dass Amerika nicht gefährlicher ist als Deutschland. Zwar sind die Touristenmorde passiert, aber das waren doch nur wenige Taten, wenn man vergleicht, wie viele Leute von Deutschland aus in die Staaten reisen.«

»Meinst du?«, fragte Tina Berg, bevor sie wieder an ihrem Erdbeershake nuckelte und dabei den Strohhalm zwischen den Lippen drehte.

»Davon bin ich überzeugt.«

Tina zog den Strohhalm zwischen den Lippen hervor und griff über den Tisch hinweg nach der Hand ihres Freundes, die beinahe die große Kaffeetasse berührte. »Du bist so herrlich, Marcus. Du kannst einem wirklich Mut machen.«

»Das gehört dazu. Schließlich habe ich dich zu dieser Verlobungsreise überredet.«

»Ja, von New Orleans nach Los Angeles. Quer durch den Westen, immer auf dem Highway.«

»Ist das nicht toll?«

»Sicher.«

»Und warum hast du dich vorhin beschwert?«

Tina schloss für einen Moment die Augen. Dabei schüttelte sie den Kopf. »Ich habe mich doch gar nicht beschwert. Ich habe nur aufgezählt, was ich gelesen habe. Es stand schließlich bei uns in allen Zeitungen. Die Morde sind nicht nur in Florida passiert, sondern auch in Kalifornien, wo wir hin wollen.«

»Stimmt.« Er hob einen Finger. Mit der linken Hand strich er durch sein halblanges, dichtes Haar, das ebenso braun war wie seine Augen. »Wir sind jetzt schon in Colorado und werden uns in zwei Tagen in Denver etwas ausruhen können. Was haben wir bisher erlebt? Nur nette, hilfsbereite, freundliche Menschen, die uns unterstützt haben, wo sie nur konnten. Das kannst du nicht abstreiten.«

»Will ich auch nicht.«

»Schau dich doch hier in der Raststätte um, Tina. Siehst du Leute, die uns gefährlich werden können? Da an der Theke hocken die Trucker, essen und trinken ihren Kaffee, da vorn in der Ecke sitzen zwei Familien zusammen und stopfen sich die Hamburger rein. Die beiden Frauen schräg gegenüber sehen auch nicht gefährlich aus, und selbst auf dem Parkplatz, wo die Harley-Freaks über ihre Maschinen diskutieren, würde ich mich nicht unwohl fühlen. Deshalb kann ich deine Probleme beim besten Willen nicht nachvollziehen.«

Tina Berger seufzte auf. »Ich weiß ja, dass ich etwas überspannt reagiere. Aber jeder Mensch ist nun mal anders. Außerdem gefällt es mir nicht, dass wir die ganze Nacht durchfahren wollen.«

»Na, na, na – nicht die ganze Nacht«, widersprach Marcus Richter und wedelte mit der Hand. »Wir fahren so lange, bis einer von uns müde ist und schlafen will.«

»Das kann bei dir lange dauern.«

»Stimmt.« Marcus lächelte. Er schaute seine Freundin an, senkte die Stimme und flüsterte: »Du siehst toll aus, Tina.«

Die Einundzwanzigjährige runzelte die Stirn. So schaute sie ihren um drei Jahre älteren Freund an. »Wem hast du das schon alles erzählt, mein Lieber?«

»Hm ... da muss ich überlegen. Ich studiere zwar Mathematik, aber selbst ich muss da nachrechnen.«

Sie schlug ihm auf die Hand. »Lügner, Lügner, so viele können es nicht gewesen sein.«

»Ach – warum denn nicht?«

»Weil ich mich erkundigt habe.«

»Bei wem?«

»Sage ich nicht.«

»Was hat man dir gesagt?«

Tina spitzte die Lippen. »Die Wahrheit.«

»Sehr schön. Und wie sieht die aus?«

»Das behalte ich für mich, aber du müsstest sie schließlich auch kennen. Außerdem will ich über denjenigen informiert sein, mit dem ich in Kalifornien die Ringe tauschen soll.«

»Du bist aber schlimm.«

»Überhaupt nicht. Man kauft eben nicht die Katze im Sack.«

Marcus deutete auf den leeren Becher seiner Freundin. »Möchtest du noch einen Nachschlag?«

»Nein.«

»Ich brauche auch keinen Kaffee mehr.«

»Dann lass uns zahlen.«

Der junge Mann nickte. Er drehte sich auf dem Stuhl und hielt nach der Kellnerin Ausschau. Marcus war froh, mit Tina unterwegs sein zu können, und er war auch froh darüber, dass beide Elternpaare die vierwöchige Reise mitfinanziert hatten. Und er war froh darüber, Tina zu haben.

Sie war wirklich seine Traumfrau. Er mochte ihr Haar, auch wenn sie es jetzt der Mode entsprechend ziemlich kurz geschnitten hatte. Das tat dem feingeschnittenen Gesicht mit den vollen Lippen keinen Abbruch. Sie schminkte sich nur wenig, war ziemlich schlank, aber an den richtigen Stellen gut bestückt, besonders was den Po anging. Da saßen die Jeans immer stramm.

Auch heute, wo sie sich für eine rote Hose entschieden hatte. Ein weißes T-Shirt mit dem knallroten Aufdruck JAUUU auf der Brust bildete das Oberteil, und über ihre Schultern hatte sie eine leichte Strickjacke gehängt, denn in den klimatisierten Räumen war es oft ziemlich kühl, im Gegensatz zu draußen.

Die Bedienung, eine junge Farbige, hatte das Handzeichen gesehen. Sie kassierte für Essen und Trinken, erhielt ein gutes Trinkgeld, und ihr Lächeln wurde noch strahlender.

»Ihr wollt heute noch weiter?«, fragte sie.

»Ja«, antwortete Marcus.

»Wohin?«

»So weit, wie wir kommen. Wenn wir müde sind, schlafen wir in der Prärie und träumen von Indianern und Cowboys. Winnetou und Old Shatterhand werden uns besuchen und ...«

»Ohhh – sorry, wer sind Winnetou und Old Shatterhand?«

»Kennst du sie nicht?«

»Nein.«

»Auch nicht den guten alten Karl May?«

»No! Wer ist das schon wieder?«

Marcus verdrehte die Augen. »Lassen wir das, es hat keinen Sinn. Aber das Essen war toll.«

»Freut mich. Vielleicht sehen wir uns mal wieder.«

»Ja, kann sein.« Marcus Richter griff nach seiner Jacke und stand auf. Auch Tina erhob sich von ihrem Stuhl und lächelte der Schwarzen zu. »Nette Leute hier, nicht?«

»Habe ich doch immer gesagt.« Marcus legte einen Arm um die Schultern seiner Freundin. In dieser Haltung verließen die beiden die Raststätte am Rande des Highway und mussten tief durchatmen.

Obwohl Kansas ein sehr weites Land war, wo der Wind kräftig über die von Horizont zu Horizont reichenden Weizenfelder blasen konnte, war von diesem kühlenden Wind heute nichts zu spüren. Es war warm, als käme der Wind direkt aus der Wüste. Der Himmel war noch nicht ganz dunkel. Die Sonne stand tief im Westen und verzauberte die Landschaft durch ihr Abendrot.

Es war ein weiter, ein prächtiger Himmel, so wie auch das Land weit war.

Allerdings war es auch leer, und diese Leere spürten beide, als sie auf ihren Wagen zugingen. Sie hatten sich den silberfarbenen Chevrolet Camaro in New Orleans geliehen und waren mit dem Fahrzeug bisher sehr zufrieden. In L.A. würden sie ihn wieder abgeben und danach in das Flugzeug steigen, das sie nonstop in Richtung Heimat bringen würde.

»Jetzt freue ich mich auf die Klimaanlage im Wagen«, stöhnte Tina, als sie einstieg.

»Das kannst du laut sagen.«

Tina wartete, bis ihr Freund hinter dem Steuer saß, dann fragte sie: »Haben wir noch genügend Benzin?«

»Haben wir.«

»Ist genug zu trinken da?«

»Ebenfalls.« Marcus drehte den Kopf nach rechts. »Sonst noch Wünsche, Madame?«

»Nein, du kannst fahren.«

»Wie nett – danke.«

Tina streckte ihrem Fast-Verlobten noch die Zunge heraus, was er aber nicht sah, weil er sich auf das Fahren konzentrieren musste.

Beide fühlten sich wie die Pioniere. Die Fahrt führte sie nach Westen. Sie hatten noch eine weite Strecke vor sich, doch Müdigkeit kannten sie nicht. Dafür war das Land einfach zu faszinierend, und gerade im Staat Kansas, den sie durchquerten, konnten sie Western-Geschichte erleben. Städte wie Wichita, Dodge City oder Topeka erinnerten an die Epen der großen Revolverhelden wie die Earps oder an Bat Masterson. Auch Abilene war eine Stadt, deren Namen zumindest bei Marcus eine leichte Gänsehaut hinterließ, denn er war ein großer Western-Fan.

Damals waren auch die Trecks durch Kansas gezogen. Da hatte das gelobte Land die Menschen gelockt. Bei Tina und Marcus war es ähnlich, denn auch für sie sollte Kalifornien der Grundstock für ihre gemeinsame Zukunft werden. Ihren Eltern hatten sie von den Plänen nichts gesagt, sie wollten sie überraschen.

Vor ihnen lag das Leben, dieses herrliche pralle Leben. Der Gedanke an den Tod kam ihnen nicht. Dabei lagen Tod und Leben oft dicht beieinander.

Sie hatten den Parkplatz der Raststätte verlassen und waren wieder von der Weite des Landes verschluckt worden. Sie hatten Kansas City hinter sich gelassen, auch Topeka und Salina, und sie hätten bis zur Westgrenze auf dem breiten Interstate 70 bleiben können, aber das war beiden zu langweilig gewesen. Außerdem herrschte auf dieser Straße sehr viel Verkehr. Die meisten hatten es eilig, besonders die Trucker, die sich oft wahre Rennen lieferten und sich einen Sport daraus machten, sich vor der Highway Police zu verstecken oder sich bei ihren Rennen nicht erwischen zu lassen.

Bei Salinas hatten sie den Interstate verlassen und waren auf einem Highway gelandet, der parallel führte. Sie würden mehr sehen können, die Berge genießen, durch die weiten Ebenen schauen, und es gab überall Motels oder Raststätten, in denen sie sich ausruhen konnten. Trotz der Einsamkeit fühlten sich beide nicht einsam, was auch daran liegen mochte, dass beide dieses Land liebten.

Tina Berg hatte einen lokalen Sender eingestellt, der, wie sollte es anders sein, Country Music brachte, und sie bewegte ihre Beine im Rhythmus der Gesänge.

Sie lächelte vor sich hin. Das lag auch an diesem prächtigen Sonnenuntergang, der sich über den Bergen abzeichnete. Noch war der Himmel nicht dunkel, die Grautöne überwogen. Sie schimmerten in verschiedenen Farben, und dahinter stand das letzte Licht der Sonne, das erfolglos versuchte, die Schatten zu durchdringen.

Sie seufzte.

Marcus drehte den Kopf. »Hast du was?«

»Nein.«

»Warum hast du dann gestöhnt?«

Tina musste lachen. »Das war kein Stöhnen, mein Lieber. Ich habe geseufzt und daran gedacht, wie herrlich das Leben doch sein kann.«

Auch über der kleinen Kirche dämmerte es.

Die Schatten zogen sich zusammen wie flache Wolken, die als Inseln am Himmel schwammen. Der kleine Hügel nahm ebenfalls einen düsteren Schimmer an, und die struppigen Bäume tauchten in die Düsternis der Kirchenwand.

Ab und zu wehte ein heftiger Windstoß über den Hügel. Er kratzte an dem alten Holzbau, er zerrte, er riss, er ließ hin und wieder etwas klappern und bedrohte auch das Kreuz auf dem Dach.

Die Kirche spendete keinen Trost. Tagsüber nicht und erst recht nicht in der Dämmerung, wenn sie all den Schrecken ausstrahlte, der sich in ihren Wänden verborgen hielt. Ein schmaler Weg wand sich den Hügel hoch. Er war von dornigem Gestrüpp flankiert und endete erst kurz vor der Eingangstür. Manchmal war der Weg von einer Schicht aus rötlichem Staub bedeckt, und wenn der Wind besonders stark wehte, hob er den Staub wie eine Fahne in die Luft.

Die Kirche sah so einsam, leer und verlassen aus. Sie stand auf dem Hügel, als wäre sie vergessen worden. Aber das war sie nicht. Die Menschen mochten sie vergessen haben, nicht aber derjenige, der sie sich als seinen Platz ausgesucht hatte.

Er befand sich hier.

Man sah und hörte ihn nur nicht. Er hielt sich versteckt und verließ die Kirche nur zu bestimmten Zeitpunkten. Wenn er jedoch unterwegs war, dann setzte er auch seine Zeichen, und das würde er in der folgenden Nacht auch wieder tun.

Ein guter Beobachter hätte ihn schon sehen können. Allerdings nur als einen schwachen Umriss, der sich an den Fenstern vorbeibewegte, als stünde er unter einer ungeheuren Anspannung.

Immer wieder blieb er am Fenster stehen und schaute hinaus in die anbrechende Dunkelheit. Er wollte einen bestimmten Zeitpunkt abwarten und sein Versteck dann erst verlassen. Die Luft war klar. Weder Dunst noch Nebelstreifen nahmen ihm die Sicht, wenn er durch das obere Fenster weit hinein ins Land blickte. Die Berge in der Ferne interessierten ihn nicht. Sie standen da wie klobige Wächter und glühten tagsüber in der Sonne. In der Nacht wurden sie dunkel und fremd wie schlafende Riesen, die auf eine Ebene schauten und auf ein Band, das diese Ebene durchtrennte.

Es war wie ein Streifen, über den hin und wieder Wesen mit zwei hellen Augen huschten.

Es war der Highway.

Tag und Nacht befahren, in der Nacht aber weniger. Er führte durch ein von der Formation her unterschiedliches Gelände, senkte sich mal in Täler hinein und führte auch über Hügel hinweg, wie eine sich in die Unendlichkeit erstreckende Sinuskurve.

Das alles war sein Jagdrevier.

Auch in dieser Nacht.

Der Schatten am oberen Fenster verschwand. Es dauerte nicht sehr lange, bis sich die Tür bewegte. Sie schwang sehr langsam nach innen und hinterließ dabei ein leises Knarren.

Dann zeichnete sich die Gestalt im Türrahmen ab.

Groß, dunkel, drohend und breitbeinig stehend, wie ein Westernheld, der bereit war, seine Waffe zu ziehen.

Die Gestalt öffnete den Mund. Sie schmeckte die Luft, prüfte sie, sie roch den Staub, aber sie roch auch das nahe Blut.

Die Tür schwang zu.

Die Gestalt ging einen Schritt nach vorn.

Von nun an würde Sheriff Tod wieder auf Beutezug sein!

»Fahr'n, fahr'n, fahr'n, auf der Autobahn«, sang Tina einen alten Song der deutschen Elektronikpioniere Kraftwerk vor sich hin, und sie sah, wie ihr Freund den Kopf schüttelte.

»Wir fahren nicht auf der Autobahn zwischen Köln und Frankfurt, wir sind hier auf dem Highway, mitten in Kansas, huschen wie Gespenster durch die Nacht und fressen Meile um Meile. Ist das nicht toll?«

Er drehte ihr den Kopf zu, grinste, und im Licht der Armaturenbeleuchtung hatte sein Gesicht einen grünlichen Schimmer bekommen, sodass Tina erschreckte, weil sie für einen Moment an einen Totenschädel gedacht hatte.

Marcus hatte dies wohl bemerkt. »He, was schaust du mich so an?«

»Nichts.«

»Doch.«

»Okay, du hast recht.«

»Womit?«

»Mit dem Highway.«

»Klar habe ich das. Dreh mal am Sendersuchlauf. Du kriegst hier weder SWF 3 noch Hessen 3. Aber dafür hören wir John Denver und Johnny Cash, wann immer du willst.«

Er lachte und schlug mit den Handflächen gegen den Lenkradring.

»Von so etwas habe ich schon lange geträumt. Hier in den Staaten durch den Westen zu fahren und mir dabei vorzustellen, ich säße auf einem alten Planwagen, der mich nach Kalifornien schaukelt, durch Wüsten, Flüsse und über Berge, immer die Gefahr im Nacken, nicht wissend, ob die Indianer nun angreifen oder nicht. Das ist doch einfach super!«

Tina zeigte wenig Verständnis für die Träumereien ihres Freundes.

»Vergiss nie, dass es die Weißen waren, die den Indianern das Land genommen haben. Die haben sich nur gewehrt.«

»Ist mir klar. Aber trotzdem finde ich es romantisch. Schau nur nach vorn, selbst bei der Dunkelheit ist die Unendlichkeit der Landschaft zu sehen. Ich habe das Gefühl, dass sie fließt, dass sie immer in Bewegung ist und sich allmählich dem Horizont nähert, während dieser immer weiter zurückweicht, weil es ihn ja eigentlich nicht gibt.«

»Na ja ...«, murmelte Tina.

»Kannst du nicht nachvollziehen, wie?«

»Nein.«

»Was denkst du denn?«

Sie reckte sich und stellte die Musik etwas leiser, weil sie nicht so laut sprechen wollte. »Ich finde Amerika auch toll, aber nicht bei Dunkelheit.«

»Was hast du gegen die Nacht, Tina? Sie gehört ebenso zum Leben wie der Tag.«

»Es mag daran liegen, dass ich friere.«

»Dann stell die Heizung auf deiner Seite höher, und alles ist wieder in Ordnung.«

»Herrlich, du bist so praktisch.«

»Wie soll ich das denn wieder verstehen?«

Tina überlegte sich die Antwort genau, weil es schwer war, ihr Gefühl in Worte zu fassen. »Weißt du, es ist bei mir kein körperliches Frieren, das ist etwas ganz anderes. Ich kann es dir schlecht erklären, es dringt aus meinem Innern hervor, aus meiner Seele, wenn du so willst. Kannst du das nachvollziehen?«

»Nein.«

»Eben.«

»Was heißt eben?«

»Ich fühle mich unwohl.«

Der junge Mann ging vom Gas. »Unwohl?«, murmelte er. »Kannst du mir einen Grund nennen? Wirst du krank, oder hast du das Gefühl, dass etwas nicht mit dir stimmt?«

»So kann man es auch nicht sagen.«

»Dann bin ich ja beruhigt. Ich kann mich nur daran erinnern, dass du dich in der Raststätte noch sehr wohl gefühlt hast. Wie kam es zu diesem Umschwung?«

»Das weiß ich selbst nicht. Vielleicht liegt es auch an der Dunkelheit, die uns umgibt.«

Marcus runzelte die Stirn. »Das versteh ich überhaupt nicht. Wenn man dich so hört, kann man das Gefühl haben, es wäre die erste Nacht, die du hier in der Fremde erlebst.«

Tina überlegte eine Weile. Dann sagte sie. »Du hast recht, wenn du von ›Fremde‹ sprichst. Marcus, ich fühle mich fremd. Ich fühle mich in diesem Land so verdammt fremd.«

Ihre Stimme klang gepresst.

»Ich weiß auch nicht, was es genau ist. Ich kann es dir nicht erklären, aber ich weiß, dass es mir seit unserer Abfahrt von der Raststätte so ergeht, und ich kann nichts dagegen tun.«

Marcus Richter versuchte, sachlich zu bleiben. »Tina, das ist nicht anders als in den Nächten zuvor. Da war die Nacht auch so dunkel, da haben wir dieselben Sterne gesehen, den wulstigen Mond. Schau hinaus, nichts hat sich verändert, wirklich nichts.«

»Das weiß ich auch.«

»Na bitte.«

»Und trotzdem will dieses Gefühl nicht verschwinden. Ich sitze hier und zittere.

Ich schaue durch die Scheibe, sehe die Dunkelheit, mal die Lichter der anderen Fahrzeuge, mal die Veränderung in der Landschaft, wenn die Berge näher an den Highway heranreichen. Ich sehe alles, sage mir, dass es normal ist, aber gleichzeitig baut sich vor mir eine riesige schwarze Wand auf.«

»Das sind Berge.«

»Du verstehst mich nicht, Marcus. Es sind keine Berge in dem Sinne. Es ist eine schwarze Psycho-Wand. Ich habe einfach Angst.«

»Okay.« Er nickte. »Du hast Angst. Das verstehe ich, das war klar und deutlich. Jetzt musst du mir nur noch sagen, vor wem du denn so eine verfluchte Angst hast.«

»Davor, dass uns etwas passiert.«

Er schwieg.

Das passte Tina auch nicht. »Jetzt hältst du mich für verrückt, aber mein Gefühl sagt mir einfach, dass in dieser Nacht etwas nicht geheuer ist. Daher stammt auch das innerliche Frieren. Es ist eine Bedrohung, die sich immer näher heranschiebt, je weiter wir nach Westen fahren, und wir können ihr nicht entgehen. Etwas Schreckliches ist unterwegs und kommt auf uns zu.«

»Was denn?«

»Wenn ich das wüsste!«, schrie sie und presste ihre Hände vor das Gesicht. »Mein Gott, wenn ich das wüsste.«

»Es gibt keinen Grund«, murmelte er.

Sie hob nur die Schultern.

Schweigend setzten sie die Fahrt fort. Jeder hing seinen Gedanken nach. Hin und wieder knirschte Marcus mit den Zähnen. Er wäre gern schneller gefahren, doch er hütete sich davor, das Tempolimit zu sehr zu überschreiten. Die Männer von der Highway Patrol lauerten überall auf Raser. Sie warteten nur darauf, dass ihnen jemand in die Falle ging, ob Tourist oder Einheimischer. Mittlerweile musste es sich auch in Europa herumgesprochen haben, wie streng die amerikanischen Gesetze waren.

Im Vergleich zum Interstate herrschte auf dem Highway weniger Betrieb.

Das Land war unendlich. Und gerade in der Dunkelheit schien es noch schlimmer zu sein. Die Nacht machte alle gleich, und Marcus, der sich umschaute, konnte beim besten Willen keine Gefahr entdecken. Natürlich machte auch er sich Sorgen darüber, wie es mit Tina weitergehen sollte. Noch war die Tageswende nicht erreicht. Vielleicht war es ja besser, wenn sie an der nächsten Raststätte hielten und sich dort die Nacht über einquartierten.

Tina war blass geworden. Sie saß zusammengesunken in ihrem Sitz und starrte vor sich hin. Hin und wieder räusperte sie sich, bewegte unruhig die Hände oder zog die Beine an, um sie dann wieder auszustrecken.

»Sollen wir in einem Motel übernachten?«

»Bitte?«

Marcus wiederholte die Frage.

»Warum?«

»Dann wird es dir vielleicht besser gehen. Das ist ja auch nichts, wenn du so neben mir sitzt wie eine Puppe und nicht wie ein normaler Mensch. Da mache ich mir auch Gedanken. Wenn wir in einem dieser Motels absteigen, können wir uns einige Stunden Ruhe gönnen.«

Das Mädchen dachte über den Vorschlag nach und fragte: »Wann erreichen wir denn das nächste?«

»Wir erreichen bald den Wilson Lake. Da können wir abfahren und uns in einem der kleinen Orte etwas suchen.«

»Das wäre nicht schlecht.«