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Onopko war ein Prototyp. Er war die erste dämonische, aber doch menschlich aussehende Killermaschine des KGB. Und er war ‚Der Lächler‘.
Dann änderten sich die Zeiten. Die UdSSR verschwand, der KGB verlor seine Macht. Nur Onopko blieb. Er war jetzt zu einer Altlast geworden, die unbedingt beseitigt werden musste.
‚Der Lächler‘ aber war schlauer als die Schergen der neuen Machthaber und entwischte.
Und von nun an regierte die Angst. Denn Onopko würde sich rächen und die bestrafen wollen, die ihn einst erschaffen hatten. Zwei dieser Männer hatten sich nach England abgesetzt ...
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Seitenzahl: 187
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Der Lächler
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Der Lächler
von Jason Dark
Onopko war ein Prototyp. Er war die erste dämonische, aber doch menschlich aussehende Killermaschine des KGB. Und er war ›Der Lächler‹.
Dann änderten sich die Zeiten. Die UdSSR verschwand, der KGB verlor seine Macht. Nur Onopko blieb. Er war jetzt zu einer Altlast geworden, die unbedingt beseitigt werden musste.
›Der Lächler‹ aber war schlauer als die Schergen der neuen Machthaber und entwischte.
Und von nun an regierte die Angst. Denn Onopko würde sich rächen und die bestrafen wollen, die ihn einst erschaffen hatten. Zwei dieser Männer hatten sich nach England abgesetzt ...
Es war nicht der Weg in die Freiheit, es war die Reise in den Tod. Onopko, der Lächler, wusste das genau, auch wenn ihm etwas anderes versprochen worden war.
Unter dem Hubschrauber glitt diese vermeintliche Freiheit in Form von kleinen Seen, Wäldern aus Niederholz und dunkelgrünen, sumpfigen Ebenen hinweg. Onopko kannte die Regeln, er wusste, dass sie ihn nicht mehr brauchten, dass er ein Stück der alten UdSSR war, das entsorgt werden musste.
Er roch noch immer den verdammten Knastgestank. Eine Mischung aus Urin, Kot und Dreck, in der sich nur Ratten wohl fühlten, aber keine Menschen. Die hatte man in die Zellen eingepfercht, und den Wächtern war es oft genug egal, ob die Gefangenen krepierten oder überlebten.
Der Lächler war nicht gestorben. Er lebte, er würde leben, denn er war so etwas wie ein Mythos. Er war erschaffen worden, und der KGB hatte sich damals seiner bedient. Nur wollte man davon heute nichts mehr wissen. Typen wie Onopko passten nicht in das neue Reformprogramm, und deshalb mussten sie ausgelöscht werden.
Doch der Lächler lebte.
Er würde immer leben, darüber machte er sich keine Sorgen. Deshalb war er auch nicht nervös, trotz der Handschellen, mit denen sie ihn gefesselt hatten. Sie hatten ihm die Arme auf den Rücken gebogen und die beiden Stahlkreise um seine Handgelenke geschlagen. Das Metall schnitt tief in die Haut des Mannes.
Er verspürte Schmerzen wie jeder Mensch. Nur litt er nicht so wie andere. Er lächelte die Schmerzen einfach weg.
Drei Bewacher hatte man ihm mitgegeben. Eigentlich nur zwei, denn den Piloten, einen finster aussehenden Mann, der bisher noch kein Wort mit ihm gewechselt hatte, zählte er nicht mit. Die beiden Aufpasser hockten im hinteren Teil des Hubschraubers neben ihm. Er kannte ihre Namen nicht. Sie waren nur Nummern. Der eine die Nummer eins, der andere die Nummer zwei.
Es gehörte einfach zum Image des Knasts. Man verlor die Menschlichkeit. Man war nur eine Nummer, nicht mehr und nicht weniger. Und wurde jemand entlassen, konnte er dieses Gefühl und Wissen auch im normalen Leben nicht mehr abschütteln. Wer aus dieser Hölle herauskam, der blieb in diesem Kreislauf.
Onopko hockte zwischen den beiden Aufpassern. In der Maschine war es kalt. Der Winter hatte sich in diesem Teil des Landes schon angemeldet. Zwar war in den Ebenen noch kein Schnee gefallen, doch lange würde es nicht mehr dauern. Noch lag das Land wie ein unendliches, grün-braunes Bild unter ihm, menschenleer, verwaist, auch von den Tieren verlassen. Die Taiga, wie sie im Buche stand.
Der Lächler bemerkte die Unruhe der beiden Aufpasser. Immer öfter schauten sie durch die Scheiben in die Tiefe. Zudem hatte der Hubschrauber an Höhe verloren, und der Pilot hatte die Geschwindigkeit gesenkt, alles war vor dem Flug genau abgesprochen worden.
Nummer eins zündete sich eine Zigarette an, obwohl das Rauchen verboten war. Niemand kümmerte sich darum. Es war eine Zigarette aus dem Westen, an diese Ware war jetzt besser heranzukommen als früher.
Der Mann saugte den Rauch ein und blies ihn durch die Nasenlöcher wieder aus. Vor seinem Kinn dampften Wolken, die auch vor das Gesicht des Lächlers zogen, das unbeweglich blieb.
Es war ein besonderes Gesicht. Kalt und bösartig. Sehr breit und sehr lang, mit einer ungewöhnlich hohen Stirn, auf der eine dünne Narbe zu sehen war. Die Haut hätte ebenso gut durch etwas anderes ersetzt worden sein können, durch ein dünnes Stück Stoff zum Beispiel, denn das Gesicht wirkte versteinert, als wäre es durch nichts in Bewegung zu bringen. Leblose Augen, eine kräftige, zum Ende hin breite Nase und darunter der Mund mit den ebenfalls sehr breiten Lippen, der aussah wie eine genmanipulierte Banane.
Onopkos war kompakt, schwer, aber nicht fett. Er war wie eine Wand, wie ein Schrank, der sich durch nichts von seiner Position wegrücken ließ.
Im Knast hatte er nie etwas erzählt. Auch die Wächter wussten nicht viel über ihn, und so war es zu einer Legendenbildung gekommen. Er wurde als Monster angesehen, als ein Mensch ohne Gefühle, fast schon als russischer Frankenstein.
Dass mit Onopko etwas nicht stimmte, wusste man. Es war nur nicht bekannt was es war, und wenn Onopko lächelte, dann ergriffen alle, die dieses Lächeln sahen, die Flucht.
Sein Lächeln war sein Markenzeichen. Ein Grinsen wie der Tod. So war er bekannt geworden, und in der Kartei des KGB war er in den alten Zeiten nur als ›der Lächler‹ geführt worden. Als eine Person ohne Hintergrund, als Kämpfer, als Töter, als jemand, der eine ultimative Waffe war.
Das lag zurück. Lange schon.
Zu lange für Onopko, der sich immer unter Kontrolle gehabt hatte, als er in der engen Einzelzelle sein verfluchtes Dasein fristete. Das aber gehörte jetzt der Vergangenheit an. Es gab jetzt wichtigere Dinge zu erledigen, und Onopko war bereit, auf den richtigen Zeitpunkt zu warten, um dann zuzuschlagen.
Der Pilot drehte den Kopf. In seinen dunklen Augen stand eine Frage. Onopko bemerkte dies sehr deutlich, obgleich er so tat, als hätte er nichts gesehen, auch nicht das Nicken der beiden Wächter rechts und links neben ihm.
Dafür verdrehte er die Augen, um nach rechts aus dem Fenster zu blicken, wo noch immer die Unendlichkeit der Taiga unter ihnen hinwegfloß wie ein Meer, das nie aufhören wollte.
Er sah kaum noch Wald. Dafür eine freie Fläche, noch grün, aber hin und wieder unterbrochen von unterschiedlich großen, stumpfen und ovalen Abschnitten, als lägen Riesen dicht unter der Oberfläche, die mit ihren Augen in die Höhe glotzten. Es waren Tümpel, kleine Teiche, Mini-Seen, die eben zu einem Sumpfgelände dazugehörten.
Das genau war es.
Der Sumpf.
Unendlich, unheimlich und gierig. Er verschluckte alles und gab nichts mehr zurück. Würde man ihn mit einer Stadt füttern, er würde auch sie verschlingen, und ein einzelner Mensch war erst recht kein Hindernis. Der Lächler rechnete sich aus, was auf ihn zukommen würde, aber sein Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Mit keiner Bewegung gab er zu verstehen, dass er Bescheid wusste.
Nummer zwei seufzte.
Es war ein Geräusch, das Onopko aufmerksam werden ließ. Er schaute den Mann an, der sich nach vorn beugte und die Hand nach der Lehne des Co-Pilotensitzes ausstreckte, um sich dort beim Hochkommen festzuhalten. Geduckt blieb er stehen.
Der Pilot hatte die Bewegung mitbekommen. Die Maschine verlor noch mehr an Geschwindigkeit, sie glitt dabei etwas tiefer und kam schließlich in der Luft zum Stehen.
Der Lächler schaute rasch aus dem Fenster. Unter ihm lag der Sumpf und direkt unter dem Hubschrauber einer dieser größeren Tümpel. Dessen Oberfläche kräuselte sich im Wind der Rotorblätter.
Nummer zwei bewegte sich auf den Ausstieg zu. Mit einer Hand am Griff wandte er sich noch einmal an den Piloten. Was die beiden sprachen erfuhr Onopko nicht. Das zufriedene Nicken der Männer deutete allerdings an, dass sie übereinstimmten.
Der Wächter riss den Ausstieg auf. Scharfer Wind peitschte in die Maschine und wirbelte sogar einige braune Blätter hinein. Onopko rührte sich nicht, aber der Typ neben ihm stieß ihn mit einem harten Gegenstand an.
Der Lächler schaute hin, und sein Blick fiel auf den Lauf einer Pistole.
»Steh auf!«
»Warum?«
»Hoch mit dir!« Nummer eins rammte Onopko die Mündung gegen den Hals. In seinen Augen lag kein Gefühl. Er würde schießen, aber er hatte, ebenso wie sein Kollege, einen anderen Befehl erhalten. Sie würden Onopko aussteigen lassen. Der Sumpf würde ihn für immer verschlucken. Dass sie ihn nicht als Leiche in die Tiefe werfen wollten, sah er als reine Boshaftigkeit ihrerseits an. Sie wollten ihn leiden sehen. Männer ohne Seele und Gefühl.
»Ist gut!«, sagte Onopko. In seiner Stimme hatte kein Gefühl mitgeklungen. Andere hätten gezittert und gebebt, was normal gewesen wäre. Nicht aber der Killer, bei ihm war nichts normal und vergleichbar mit einem Menschen aus Fleisch und Blut.
Er stand auf. Den Kopf hielt er vorgestreckt, der Blick seiner Augen war auf das Ziel – den offenen Ausstieg mit dem Wächter daneben – fixiert. Die Hände lagen auf dem Rücken, wobei die Gelenke von den Stahlklammern fest umschlungen waren.
Nummer eins, der die Waffe hatte sinken lassen, schaute auf diese Hände, und er dachte daran, dass sie schon manchen Menschen vom Leben in den Tod befördert hatten. Es waren Killerpranken, daraus machte Onopko auch keinen Hehl.
Er musste sich zwischen den beiden Sitzen durchdrängen. Es war ein Hubschrauber, der seine besten Zeiten bereits hinter sich hatte. In den Staaten hätte man ihn sicherlich längst verschrottet.
Sie standen noch immer in der Luft, als würden sie an einem dicken Band hängen. Der Typ an der Tür hatte den Kopf gedreht, um in Onopkos Gesicht zu schauen.
Bisher war es ohne Ausdruck gewesen. Das aber änderte sich in den folgenden Sekunden, denn der Killer bewies, weshalb man ihm seinen Spitznamen gegeben hatte.
Er lächelte.
Sein Mund nahm an Breite zu. Es war kein normales Lächeln, sondern ein widerliches und bösartiges Grinsen. Ein Vorbote auf das, was noch im Kopf des Killers schlummerte, aber sehr bald hervorbrechen konnte. Die Zähne, breit und lang, bildeten eine gefährlich aussehende Reihe.
Und mit dem Lächeln kam die Kraft.
Das sah Nummer zwei nicht, denn die schon unmenschliche Kraft breitete sich an der Rückseite aus, dort wo die Gelenke durch die Handschellen verbunden waren.
Die Arme zuckten zu verschiedenen Seiten weg. Erst eine ruckartige Bewegung, dann spannte sich die Kette zwischen den Kreisen, und das bekam der Wächter noch mit. Wie hypnotisiert schaute er zu, auch irgendwie wissend, dass etwas passieren würde, aber er war nicht in der Lage, einzugreifen, denn was er sah, wollte ihm nicht in den Kopf. Obwohl es ihm vorkam wie zeitverzögert, schaute er bewegungslos zu, wie Onopko die Kette zwischen den Handschellen sprengte.
Er war frei, und fuhr herum!
Der Wächter dachte daran, dass er seine Waffe in der rechten Hand hielt. Er riss den Arm in die Höhe, um die Mündung auf Onopkos Körper zu richten, doch schon in der Bewegung wusste er, dass er zu langsam sein würde.
Der Lächler schlug zu.
Als wäre ein Amboss auf seinen Kopf niedergesaust, so traf der Schlag den Wächter. Nummer eins hätte sofort bewusstlos werden müssen, aber das Schicksal meinte es anders mit ihm. Es schickte ihm noch ein letztes Bild zu, das er nicht vergaß.
Das breite Lächeln oder Grinsen auf dem kantigen Gesicht und die Veränderung des Schädels. Die Narbe glühte feurig auf, und neben ihr pulsierte ein rotes, verschlungenes Etwas wie ein Organ, das aus irgendeinem Körper entnommen worden war, ein fremdes Gehirn.
Schlagartig zerplatzte das Bild, und der Wächter sackte auf seinem Sitz zusammen. Der Ausdruck seiner offenstehenden Augen zeigte dem Lächler, dass ein Toter vor ihm hockte.
Onopko handelte rasch und zielsicher. Seine jetzt freien Hände griffen zu. Die Finger waren wie Stäbe aus Stahl, als sie den Körper festhielten, ihn sofort danach in die Höhe wuchteten und anschließend herumwirbelten.
Nummer zwei stand noch an der Tür. Er hatte sich ebenfalls gedreht und von seinem Standort aus alles mitbekommen. Er hatte auch eingreifen wollen, doch die Veränderung am Kopf des Killers hatte ihn zu sehr in seinen Bann gezogen, obwohl er nur die Rückseite des Schädels gesehen hatte. Aber das rote Leuchten war nach wie vor vorhanden, sodass er auch in den Schädel hineinschauen konnte und die fremde Masse sah, die sich zusammengedrückt hatte wie eine Menge dicker Würmer. Der Mann begriff es nicht, und als ihm dämmerte, in welch einer Gefahr auch er schwebte, da hatte Onopko die Leiche des Kollegen bereits vom Sitz gerissen. Er wuchtete sie auf den Mann an der Tür zu.
Der Wächter schaffte es nicht, seine Waffe zu ziehen. Der schwere Körper prallte gegen ihn. Zwar hielt sich der Mann fest, doch der Aufschlag sorgte dafür, dass sich seine Hand vom Griff löste und Nummer zwei plötzlich ohne Halt am Rand des Einstiegs taumelte.
Es konnte nicht gutgehen, und es ging nicht gut!
Die starre Leiche fegte ihn aus dem Hubschrauber. Nummer zwei schrie noch auf, als er fiel und ihm dabei auch bewusst wurde, was sich unter dem Hubschrauber befand.
Onopko gab sich selbst die Sekunden Zeit, um den Flug des Lebenden und des Toten zu verfolgen.
Zugleich klatschten die Körper auf die Oberfläche des Sumpfes. Wasser spritzte in die Höhe.
Der Tote versank sofort. Das Moor würde ihn nicht mehr freigeben. Der lebende Wächter aber tauchte noch einmal auf. Er ruderte mit den Armen und schrie so laut, dass seine Stimme selbst die Lärmkulisse des Hubschraubers übertönte. Die Panik hatte sein Gesicht zu einer Fratze werden lassen, denn die Kräfte des Sumpfs zerrten an seinen Beinen und kannten kein Pardon.
Als die Schreie in einem gurgelnden Geräusch erstickten, rammte Onopko die Tür zum Ausstieg wieder zu und wandte sich dem Piloten zu. Der Mann saß schreckensstarr auf seinem Sitz. Er hatte die Befehle befolgt, aber er war unfähig zu begreifen, was sich innerhalb dieses beengten Raumes abgespielt hatte.
Erst als der Lächler sich drehte und der Pilot die schwere Pranke auf seiner Schulter spürte, da war ihm klar, dass es die beiden anderen Männer nicht mehr gab und er jetzt mit dieser menschlichen Bestie allein war. Das Grinsen des anderen jagte ihm Angstschauer über den Körper. Er hatte in seinem vierunddreißigjährigen Leben schon einiges erlebt, was jedoch in seiner unmittelbaren Nähe geschehen war, das wollte er nicht begreifen, denn es war einfach unfassbar.
Angefangen bei der Befreiung von den Handschellen bis hin zu den beiden Morden.
Das Lächeln blieb, aber die Augen lächelten nicht mit. Sie waren eiskalt, böse und nur darauf fixiert, durch Blicke entsprechende Befehle zu geben.
Onopkos Mund zog sich wieder zusammen. Er blähte die Nasenflügel auf, als er atmete. Der Pilot betrachtete den Kopf, wo das rote Gehirn und der Streifen verschwunden waren. Der Killer sah wieder normal aus.
»Du hast gesehen, was geschehen kann?«
Verdammt, das habe ich gesehen, dachte der Mann. Sprechen konnte er nicht, deshalb nickte er.
»Wunderbar.« Onopko redete wie eine Maschine. Aus seinen Worten war kein Gefühl herauszuhören. »Du willst doch nicht, dass es dir ebenso ergeht wie den beiden – oder?«
»N ... nein ...«
»Das ist gut, sogar sehr gut, mein Freund. Deshalb wirst du genau tun, was ich von dir verlange. Denk daran, es gibt hier oben nur uns beide, und ich bin es, der zu bestimmen hat. Du scheinst ein guter Mann zu sein, der auch Nerven hat. Andere hätten sicherlich vor Schreck die Maschine in den Sumpf stürzen lassen, das hast du nicht getan, und deshalb freut es mich, wenn wir zusammenarbeiten können.«
Wenn du wüsstest, dachte der Pilot. Wenn du wüsstest, was ich hier durchmache.
»Wie heißt du?«
Der Mann war so überrascht, dass er zunächst keine Antwort geben konnte. Erst als Onopko ihn hart anfasste, erwachte er aus seiner Lethargie. »Ich bin Slatko.«
»Gut, Slatko, machen wir weiter.«
»Was denn?«
Onopko grinste für einen Moment, schaute nach draußen und stellte fest, dass sich die Oberfläche des Sumpfes nicht mehr bewegte. Die beiden Wächter hatten ihr Grab gefunden, was auch gut so war.
»Wir werden jetzt von hier verschwinden.«
»Und wohin?«
Der Lächler nahm auf dem Sessel des Co-Piloten Platz. »Das will ich dir sagen. Ich möchte weg von diesem Sumpf. Du kennst dich hier in der Gegend aus?«
»Nicht sehr gut, aber ...«
»Kennst du dich aus?« Der Lächler zischte die Frage. Der Pilot duckte sich, als hätte er einen Schlag abbekommen. Dann sah er die knochige Faust vor seinem Gesicht erscheinen. Um das Gelenk saß die Handschelle straff wie ein Armreif.
»Ich ... ich ... versuche es.«
»Schön.« Die Hand wurde wieder zurückgezogen. »Ich will nicht viel von dir, auch nichts Unmögliches. Ich verlange nur, dass wir aus diesem Sumpfgebiet herauskommen.«
Slatko nickte. »Ist schon klar«, murmelte er. »Ich ... ich ... habe verstanden.«
»Dann los!«
Der Angesprochene saugte die Luft ein. Er hatte das Gefühl, nicht mehr auf seinem Sessel zu hocken, sondern in einem luftleeren Raum zu schweben. Seine Augen brannten, die Knie zitterten, und auf der Gesichtshaut lag der kalte Schweiß. Er überlegte. Einen genauen Kurs hatte ihm Onopko nicht angegeben, der Killer wollte einfach nur weg, und Slatko erinnerte sich daran, dass sie am nördlichen Rand des Sumpfgeländes entlangflogen. Jenseits davon gab es einen breiten Damm, auf dem die Schienen der Transsibirischen Eisenbahn entlangliefen, das Land dahinter war trocken und nur dünn besiedelt. Slatko konnte sich vorstellen, dass Onopkos Ziel ungefähr in dieser Richtung lag. Dem Killer dauerte es zu lange. Er sprach davon, dass er Slatko des Genick brechen würde, wenn sie nicht bald starteten.
»Ich muss überlegen.«
»Im Norden ist die Bahn.«
Der Pilot zitterte, als er erfuhr, über welche Ortskenntnisse dieser Mensch verfügte. Er konnte keine Tricks anwenden. Er nickte, bevor er für eine Kursänderung sorgte und auch dafür, dass die Maschine wieder an Höhe gewann.
Unter ihnen glitt das Land hinweg. Malerisch, einsam und düster. Ein gewaltiger Sumpf, der von den Einheimischen die Todesschüssel genannt wurde. Wer einmal in sie hineinfiel oder sich in ihr verirrte, war verloren. Die Luft war nicht überall klar. Nebelinseln wanderten dahin und reichten bis zum Hubschrauber hoch. Von den wirbelnden Rotorblättern wurden sie zerrissen.
Onopko saß unbeweglich auf seinem Sitz. Er hatte sich nicht angeschnallt, er starrte geradeaus, und seine Killerhände lagen im Schoß verschränkt. Manchmal bewegten sich seine Wangen, dann sah es so aus, als wäre er dabei, auf etwas zu kauen. Ansonsten zeigte er kaum eine Reaktion, wie Slatko hin und wieder mit einem Seitenblick nach rechts feststellte.
Nicht dass er sich an die Gesellschaft des Mörders gewöhnt hätte, aber er akzeptierte ihn, und seine erste große Furcht war zudem verschwunden. Er wusste, dass es auf ihn ankam, und er wusste auch, dass er alles tun musste, um den anderen bei Laune zu halten. Nur kein Verfliegen, keine Abweichung vom Kurs, das würde Onopko bemerken. Er war schlauer, als der Pilot gedacht hatte.
Zwei tote Wächter hatte der Lächler zurückgelassen. Slatko überlegte, wann ihr Verschwinden auffallen würde. Er hatte keine genaue Zeit für die Rückkehr angegeben bekommen, es gab keine schriftlichen Protokolle, alles hatte so geheim wie möglich ablaufen sollen. Denn für das Verschwinden des Lächlers sollte es natürlich keine Beweise geben.
Unter ihnen bekam das Land ein etwas anderes Gesicht. Nicht sehr schnell, sondern unmerklich. Die weiten, leeren Flächen waren zwar nicht ganz verschwunden, aber sie hatten schon den Niedrigholz-Wäldern Platz gemacht, die sich wie kleine Inseln aus dem Boden erhoben und weiter nördlich immer mehr zusammenrückten.
Slatko wurde durch eine Bewegung neben sich aufmerksam. Er schaute hin und sah, dass Onopko genickt hatte. Ein Zeichen, dass er mit dem Kurs zufrieden war.
Der Mann am Steuerknüppel war es auch. Noch – denn er wusste nicht, was nach der Landung passieren würde. Onopko musste sich etwas einfallen lassen. Slatko war Realist. Er machte sich nichts vor und ging davon aus, dass der Killer keine Zeugen gebrauchen konnte. Für den Lächler musste sein Tod eine beschlossene Sache sein.
Daran zu denken war schlimm. Das schnürte Slatko den Hals zu. Seinen Augen wollten wieder tränen. Er flog nicht mehr so konzentriert, ließ den Hubschrauber einige Meter tief absacken und reagierte auf den Fluch des Killers mit einem Ducken.
»Entschuldigung ...«
»Schon gut.«
Slatko wischte über seine Stirn. Der Schweiß darauf war eine Folge der Angst gewesen. Die Flüssigkeit brannte auch in seinen Augen. Er spürte sie an den Lippen und den Mundwinkeln. Immer stärker zitterte er, und plötzlich schossen ihm die verrücktesten Gedanken durch den Kopf.
Wenn er schon sterben sollte, dann konnte er auch bestimmen, wie das geschah.
Nicht durch den Killer, durch ihn selbst. Der Pilot hatte es in der Hand. Er brauchte den Hubschrauber nur zum Absturz zu bringen, was allerdings Mut erforderte, und den wiederum brachte er nicht auf.
Er traute sich einfach nicht. Erstens aus Angst, und zweitens schossen ihm zu viele Fragen durch den Kopf, denn er stellte sich auch die Frage, ob Onopko ihn wirklich töten wollte. Konkret gesagt hatte er jedenfalls nichts.
Wie dem auch sei, Slatko musste sich schnell entscheiden, denn die nördliche Grenze des Sumpfgeländes war bereits in Sicht, und dahinter erstreckte sich der Bahndamm. Wie mit dem Lineal gezogen zerschnitt er das flache Land.
Slatko durchlief es wie ein elektrischer Schlag, als er die Berührung an seinem rechten Arm spürte.
Onopko stellte mit gerade noch hörbarer Stimme eine Frage. »Du hast dich doch nicht gedanklich mit irgendwelchen anderen Dingen beschäftigt – oder?«
Der Pilot fühlte sich ertappt. Er hoffte nur, dass der Killer die Röte in seinem Gesicht übersah. »Nein, nein«, erwiderte er schnell. »Wie kommst du darauf?«
»Nur so ...«
»Ich dachte nur an die Bahn und an das Gelände dahinter. Ich weiß ja nicht, wo ich landen soll ...«
»Kriegst du gesagt.«
»Gut.«
Onopko kümmerte sich nicht um den Piloten. Er schaute aus dem Fenster, denn er wollte sehen, wie weit die Grenze noch entfernt war. Ein schiefes Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht, als er den Damm erkannte, der die flache Landschaft beherrschte. Auf seiner Oberfläche schimmerte das Schienenpaar wie lange Finger, die in die Unendlichkeit reichten.
Der Hubschrauber bewegte sich auf den Damm zu. In seiner Nähe breitete sich kein Wald aus. Rechts und links davon griff Gestrüpp mit seinen dürren Armen in die Luft. Ein Zug war nicht zu sehen. Der Dunst war innerhalb des Sumpfgeländes geblieben, und eine freie Sicht erlaubte den Blick bis zu den Häusern einer Ortschaft, die sich im Osten abmalte und an der Bahnlinie lag.
Der Killer lächelte.
Glück musste man haben. Zudem sah er es ebenfalls als einen glücklichen Zustand an, dass die Gegend um den Ort herum waldreich und einsam war. Aber nicht zu dicht bewaldet, sodass es immer wieder Lücken gab, wo ein Hubschrauber aufsetzen konnte.
Onopko lehnte sich zufrieden zurück, nachdem er den Piloten mit dem neuen Kurs vertraut gemacht hatte.
Laubbäume huschten unter ihnen hinweg. Ihre Kronen zeigten bereits die starken Verfärbungen des Herbstes. Die Blätter leuchteten in zahlreichen Farben. Angefangen vom hellen Gelb bis hin zu einem tiefen Violett oder Rotbraun.