John Sinclair Sonder-Edition 170 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 170 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Gegen Ende des amerikanischen Bürgerkriegs überfielen die Truppen der Nordstaaten ein einsam gelegenes, herrschaftliches Haus, wie es damals typisch war für die Südstaaten. Dort fanden die Soldaten die beiden Lacourte-Brüder vor, Jacques und Igor, die wegen Feigheit umgehend standrechtlich erschossen wurden.
Aber Vampire lassen sich bekanntlich durch Bleikugeln nicht töten, und noch in derselben Nacht schlug das Brüderpaar unerbittlich zurück. Was damals als Blut-Fest begann und in einem Flammen-Inferno seinen Höhepunkt fand, bedeutete gleichzeitig aber die Geburt einer neuen Vampir-Legende. Eine Legende, deren Wahrheitsgehalt Suko und ich mehr als hundert Jahre später am eigenen Leib zu spüren bekommen sollten ...


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Seitenzahl: 181

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Vampir-Legende

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Vampir-Legende

von Jason Dark

Gegen Ende des amerikanischen Bürgerkriegs überfielen die Truppen der Nordstaaten ein einsam gelegenes, herrschaftliches Haus, wie es damals typisch war für die Südstaaten. Dort fanden die Soldaten die beiden Lacourte-Brüder vor, Jacques und Igor, die wegen Feigheit umgehend standrechtlich erschossen wurden.

Aber Vampire lassen sich bekanntlich durch Bleikugeln nicht töten, und noch in derselben Nacht schlug das Brüderpaar unerbittlich zurück. Was damals als Blut-Fest begann und in einem Flammen-Inferno seinen Höhepunkt fand, bedeutete gleichzeitig aber die Geburt einer neu‍e‍n Vampir-Legende. Eine Legende, deren Wahrheitsgehalt Suko und ich mehr als hundert Jahre später am eigenen Leib zu spüren bekommen sollten ...

Von Wein und Champagner wurden sie nicht trunken, sie brauchten einen anderen Saft, einen besonderen. Sie brauchten Blut. Helles, sprudelndes Blut aus den Körpern lebender Menschen.

Aber wie bekommen, wo doch die Welt um sie herum in Flammen aufging? Der Krieg tobte durch das Land, er hatte alles verändert. Es war vorbei mit den rauschenden Festen, den herrlich warmen Nächten und der zügellosen Leidenschaft. Das war ihre Zeit gewesen, als Jäger, da hatten sie in den lauschigen Lauben und Pavillons auf ihre menschliche Beute gewartet, und sie, die beiden schönen Kavaliere, hatten in einer wunderbaren Herrlichkeit gebadet.

Blut, nur Blut ...

Jacques Lacourte und sein Bruder Igor wollten nicht vergessen werden, sie wollten der Nachwelt auch etwas hinterlassen, denn sie waren es ihrer uralten Abstammung schuldig.

Die Nacht hätte so wunderbar sein können. Aber sie war rot, sie war laut. Das Krachen der Schüsse, das Donnern der Geschütze, die hellen Feuer, die sich zu einem gewaltigen Teppich aus Flammen zusammensetzten. Nichts passte mehr zusammen. Alles war so anders geworden. Keine Musik, kein Dahinsinken in schwere Kissen, kein Wein mehr, kein Champagner, keine Feste ...

Stattdessen war ihnen der Tod auf den Fersen.

Er kam und war nicht mehr aufzuhalten, das wussten die beiden Brüder, als sie im Licht der Kerzen durch den großen Festsaal gingen, der beinahe schon einem Ballsaal glich.

Pomp und Prunk. Wertvolle Stoffe, eine wunderbare Pracht, zu der auch die Möbel passten, die Sessel und Sofas, die Schränke und Tische, bestückt mit dem funkelnden Kristall der Gläser.

Es war Jacques, der durch den Raum tanzte, ein Glas mit Champagner in der Hand. Seine Augen waren so blau und kalt, der weiche Mund zu einem Lächeln verzogen. Die langen, hellen Haare glichen denen eines Engels, und er bewegte sich auch mit einer beinahe engelhaften Grazie, vorbei an den Stühlen, dem langen Tisch. Er tauchte hinein in den Schein der Kerzen, war von seiner eigenen Einmaligkeit überzeugt, trank, schüttelte sich und schleuderte das leere Glas fort, das gegen die Wand prallte und zerbrach, wie auch die vielen anderen Gläser, die er schon zerschmettert hatte.

Es war die Zeit des Abschieds, des Aufräumens, untermalt vom Donner der Geschütze.

Am Tisch stützte er sich ab. Er blieb stehen. Sein Oberkörper pendelte vor und zurück, auf seinem Gesicht lag ein faunisches Lächeln. Das weitgeschnittene Hemd war ihm aus der Hose gerutscht, eine schwarze Samtweste bedeckte die Vorder- und Rückseite seines Oberkörpers, und die hellen, schmalen und öligen Finger streckten sich seinem Bruder Igor entgegen, der in einem Sessel hockte, die Beine ausgestreckt.

»Es ist vorbei, Bruder ...«

Igor hob die Schultern.

Damit war Jacques nicht gedient. »Warum ist es vorbei, verdammt noch mal? Warum denn nur?«

»Der Krieg ...«

»... ist ein Freund des Todes!«, schrie Jacques Lacourte mit schriller Stimme und streckte den Arm aus. »Der Krieg und der Tod sind Brüder, die sich lieben und immer wieder zueinander finden. Hast du mich verstanden, mein Liebling?«

Igor lachte nur.

Jacques richtete sich auf. Durch eines der hohen Fenster schaute er hinaus in den Garten, über den die Dunkelheit ihr Tuch aus Samt ausgebreitet hatte. Noch hatte das Feuer des Krieges den Garten nicht gefressen, aber es kam näher, immer näher. Es war nicht aufzuhalten, es war ein böser, hungriger Feind, der alles fraß.

Und mit ihm kamen die Soldaten, die aus dem Norden, denn der Süden, der stolze Süden hatte verloren.

Wie die Berserker hatten die Feinde aus dem Norden gewütet. Die herrlichen und prachtvollen Landsitze waren in Schutt und Asche gefallen, die Flammen hatten sie gefressen. Die Menschen waren im Kugelhagel gestorben, einfach dahingerafft, ihre Leichen makabre Andenken auf den Schlachtfeldern des Bürgerkrieges.

Nord gegen Süd.

Ein Krieg, der nicht hätte sein müssen, den keiner so recht gewollt hatte, der aber nicht aufzuhalten gewesen war. Der Sturm des Todes ließ sich nicht bremsen, nicht einmal die großen Flüsse hatten ihn stoppen können.

»Blut!«, keuchte Jacques. »Wir brauchen Blut ...«

»Woher?«

»Wir müssen es haben.«

»Die Soldaten?«

Jacques nickte. »Wenn sie kommen, wenn sie das Feuer bringen, werden wir auf sie warten.« Seine Augen fixierten ein Champagnerglas auf der weißen Tischdecke mit den kostbaren Stickereien. Er nahm das Glas, schlug es gegen die Kante, und sein dunkelhaariger Bruder Igor schaute zu, wie er die scharfe Kante über seinen Handballen zog.

Er greinte, als er sah, dass kein Blut sprudelte. »Bruder, ich bin leer, ich bin verbraucht, Bruder. Ich brauche frisches Blut.« Er schaute auf seinen linken Handballen, sah dort den Schnitt und die wenigen Tropfen, die aus ihm hervorgequollen waren. Sie lagen dort wie Perlen, und er beugte seinen Kopf vor, ließ die Zunge aus dem Mund schnellen und leckte mit blitzschnellen Bewegungen die Perlen weg.

Dann lachte er schrill auf, packte die Tischdecke und zerrte sie mit einer heftigen Bewegung vom Tisch. Er schleuderte sie durch den Raum, es war ihm dabei egal, ob die Kerzen noch brannten. Die Leuchter waren gefallen, das Feuer gierte nach Nahrung, es huschte über den Boden, als wollte es dort die Teppiche anmalen.

Igor stand auf und trat die Flammen aus, während sein Bruder die Hände vor das Gesicht schlug und jammerte, dass er so unglücklich wäre. Er sank dabei auf die Knie, weinte, winselte wie ein Tier, bevor er sich umdrehte, weil er gespürt hatte, dass Igor neben ihm stand.

Er hob den Blick, der Mund war verzerrt. Blut vom Handgelenk klebte noch an den Lippen und ließ sie aussehen wie eine Wunde.

»Steh auf, Bruder!«

Jacques schüttelte den Kopf.

»Du musst!«

»Ich bin so unglücklich!«, stammelte er. »Ich will Blut, ich will Blut. Es ist so herrlich, es beschert mir den Rausch der Sinne. Ich brauche es für mich ...«

»Ich auch, Bruder.«

Jacques hatte die Hand noch nicht genommen. Er kniete, umklammerte Igors Beine, presste seine Stirn gegen die Knie und keuchte.

Igor verdrehte die Augen. Es stimmte, Jacques brauchte Blut. Aber nicht nur er, auch Igor wollte trinken, die Süße spüren und die Kraft, die ihn nach dem Trank durchströmte.

Hier lebte kein Mensch mehr. Sie waren allein in diesem herrlichen Haus. Es gehörte ihnen, sie hatten gedacht, hier immer bleiben zu können, aber der Krieg war schneller, und deshalb mussten sie etwas tun, statt nur zu jammern.

Das wussten beide, aber nur Igor war stark genug, um auch handeln zu können. Sein Bruder umklammerte ihn noch immer. Er war der Schönere und stets der Liebling der Damen gewesen, aber er war auch der wenig Pragmatische, er lebte zu stark von seinen Gefühlen und nicht von seinen Handlungen.

»Komm und steh auf.«

Jacques hob nur den Kopf. »Warum?«

»Wir werden gehen.«

»Was?«

»Ja, wir verlassen dieses Haus. Wir werden hier nicht sterben oder vergehen. Wir werden in die Welt hinausgehen und dort andere Opfer finden ...«

»Aber unser Haus, unser herrliches Haus ...«

»Vergiss es!«

»Ich kann nicht, ich ...«

Ein mächtiger Donnerschlag riss Jacques die weiteren Worte von den Lippen. Er zuckte zusammen, starrte zu Boden, doch Igor drehte den Kopf und schaute aus dem Fenster.

Die Nacht hatte ihre Klarheit verloren. Eine gewaltige Staubwolke hüllte den Garten ein, in der sich Blätter und Zweige bewegten, denn der Einschlag der Kanonenkugel hatte eine tiefe Wunde in die Natur gerissen.

Die Soldaten waren nah, sehr nah. Sie trafen auf keinen Widerstand mehr. Sie schossen nur in die Gegend hinein, weil sie zerstören wollten. Sie waren die Sieger, und dies sollte überall zu sehen sein. Eine Spur aus Tod und Feuer blieb hinter ihnen zurück, das Grauen war einfach nicht zu stoppen.

»Wir müssen fliehen! Sie sind da!« Igor spürte, dass es Zeit wurde, und er zerrte seinen Bruder in die Höhe.

Jacques lachte. Er schüttelte den Kopf. Wie trunken schlenderte er neben Igor her. Er glich einer Marionette, bei der einige Fäden abgetrennt worden waren, sodass die Bewegungen ihre Gleichmäßigkeit verloren hatten. Vielleicht bewegten sich betrunkene Sänger ebenfalls so, wenn sie sich vor ihrem Publikum verbeugen wollten.

Beide stolperten über die Schwelle und gelangten in die Halle. Der helle Parkettboden schimmerte im Licht der Kerzen. Jacques fing wieder an zu lachen, bevor er sich im Walzertakt durch den großen Raum drehte, vorbei an den mit weißen Kerzen bestückten, auf dem Boden stehenden Leuchtern. Das Gesicht des Vampirs war verklärt, die Augen verdreht. Es war ihm anzusehen, dass sich seine Gedanken in anderen Sphären befanden und er die Realität verdrängt hatte.

Das große Portal war verschlossen. Gemessenen Schrittes bewegte sich Igor darauf zu. Kurz bevor er es erreichte, wandte er sich nach rechts und drückte eine schmalere Tür auf. Eine Garderobe befand sich dahinter. Hier legten die Gäste ihre Kleidung ab, doch Gäste hatte es hier schon seit Wochen nicht mehr gegeben.

Der Krieg hatte eben alles anders werden lassen. Über den beiden Bügeln hingen die dunklen Mäntel, große Capes mit besonderen Schulteraufsätzen.

Igor nahm sie an sich.

Einen Mantel schleuderte er seinem Bruder zu, der andere war für ihn. Jacques hatte den Mantel aus seinen Händen rutschen lassen. Er bückte sich, hob ihn hoch und lachte dabei. Dann warf er ihn über. »Wir gehen, wir verlassen dieses Haus. Wir laufen dem Tod entgegen, aber der Tod weiß nicht, dass uns sein Gesicht nicht schrecken kann, nein, nicht uns.« Er hatte die Arme erhoben und schaute zur Decke, wo die Flammen der Kerzen Muster produzierten.

Igor dachte praktischer. Er war bereits an der Tür stehengeblieben und zog sie vorsichtig auf.

Nichts war beim ersten Blick zu sehen. Nur die breite Auffahrt für die Kutschen. Es brannten keine Gartenlaternen. Einschläge von Kanonen- und anderen Geschützkugeln zeichneten das Gelände hier noch nicht. Die Bäume wirkten wie hohe Schutzschilder. Sie waren dicht belaubt, und die schwere Süße einer Spätsommernacht erfüllte die Luft.

Aber der Krieg war nahe. Hinter den Bäumen zeigte der Himmel einen rötlichen Schein. Er stammte weder von einem Morgen- noch von einem Abendrot, es war das Feuer der Vernichtung. Die Soldaten des Nordens räumten in diesem Bruderkrieg auf, sie kannten keine Gnade, sie wollten den Bruder aus dem Süden in die Knie zwingen und ihm die Arroganz austreiben. Und das würden sie auch schaffen, der Süden brannte, und es würde lange dauern, bis die Feuer gelöscht waren.

»Kommst du, Jacques?«

»Ja, ich komme.« Er tanzte noch immer durch die Halle und nahm so seinen persönlichen Abschied von diesem Haus. Der Blick glitt über die Decke hinweg, er streifte auch die Wände, und der Mund des Blutsaugers war zu einem Lächeln verzogen.

Igor war schon draußen. Er hatte die Schreie der Männer gehört und wusste, dass sich die Soldaten nicht mehr weit entfernt von ihnen aufhielten. Sie hätten das Haus schon längst abbrennen können, wie es mit vielen anderen geschehen war. Sie hatten es nicht getan. Wahrscheinlich wollten sie es als Stützpunkt benutzen.

Der blonde Jacques taumelte ins Freie. Seine Augen waren verdreht, der Mund stand offen. Er wirkte wie trunken. Seine Worte drehten sich um den Lebenssaft der Menschen. Er sprach vom Blut, das ihn sehr bald stärken würde. Er liebte es, es gab ihm Hoffnung, es war für ihn das Leben, es war einfach wunderbar.

So lief er dann an seinem Bruder vorbei. Er hielt sich nicht an die Wege, seine Füße bewegten sich über den dichten Rasen, dessen Farbe so saftig aussah.

Er lachte.

Aber er hörte die dumpfen Hufschläge nicht.

Igor hatte sie vernommen. Noch stand er in der Nähe des Hauses, starrte auf den Rücken seines Bruders, sah Jacques' Gestalt dünner und schwächer werden, warnte ihn durch Rufe, bevor er sich in Bewegung setzte und ihm nacheilte.

Urplötzlich waren sie da. Und urplötzlich erhellte das Flackerlicht der Fackeln die Nacht. Es riss große Muster hinein, es war einfach ein Bild, das dazugehörte, es ...

»Jacques!«

Der Schrei ließ den Vampir zusammenzucken. Endlich blieb er stehen. Er drehte sich auch um und sah die Horde der Soldaten aus der Dunkelheit hervorpreschen. Er riss die Arme hoch, als wollte er sie begrüßen. Die Pferde wurden noch einmal angetrieben, das Licht der Fackeln wanderte durch den Garten, und Igor sah zu, dass er aus der Nähe des Hauses verschwand.

Die Furcht vor dem Zusammenbruch gab ihm noch einmal die Kraft, und er hatte Glück, von den Soldaten nicht gesehen zu werden. Etwa ein Dutzend Männer, die meisten davon ziemlich abgerissen aussehend, zügelten ihre Pferde vor dem Haus. Sie sprangen aus den Sätteln, sie lachten, und einer von ihnen schrie: »Sieht aber verlassen aus. Das ist toll, ein Haus wie für uns geschaffen. Einmalig ...«

Sie brachen ein. Sie brachten den Dreck mit. Sie rochen nach Pulverdampf und Tod und nicht mehr nach Blut oder den schweren Parfüms der Damen. Jacques konnte es nicht fassen. Er stand in der Deckung eines Baumes und schaute zurück. Dass sich sein Bruder zu ihm gesellt hatte, nahm er nicht mal zur Kenntnis. Sein Mund zuckte wie die Schatten, die unterschiedlich hell und dunkel durch die Nacht geisterten.

Er wollte etwas sagen. Aber es war zu schwer, die richtigen Worte zu finden. Er schüttelte einige Male den Kopf. Dann verzerrte sich sein Gesicht. Er stöhnte auf, er bewegte seine Hände, er fasste in sein Gesicht, als wollte er es zerstören, und Igor, der wusste, wie der Bruder litt, legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Lass es gut sein, Jacques. Es lohnt sich nicht mehr. Wir haben keine Chance. Die anderen sind stärker.«

»Wieso stärker?« Er ließ die Hände sinken. »Wieso sollen sie stärker sein als wir?«

»Weil es so ist.«

»Nein, wir sind den Menschen überlegen.«

»Nicht immer«, erwiderte Igor.

»Wir sind besser als die Menschen. Wir leben von ihnen. Wir ernähren uns von ihrem Blut. Ich will die da!« Er deutete zuckend nach vorn und meinte die Soldaten, die vor dem Eingang Wache standen. »Ich will die da haben. Ich will sie leersaugen. Ich will mit dem Messer in ihre Körper schneiden und sehen, wie sie bluten! Das will ich!«

»Das kannst du auch!«

»Dann hole ich sie ...«

»Nicht jetzt, Bruder! Nicht jetzt. Unsere Zeit wird kommen. Wir müssen Geduld haben und warten, verstehst du?«

»Nein, nicht mehr!« Er schrie und flüsterte zugleich. »Schon zu lange habe ich mich gedulden müssen. Irgendwann kann ich es nicht mehr, verdammt noch mal!«

»Nicht jetzt.«

Jacques hechelte wie ein Hund. Sein Mund schnappte dabei auf und zu. »Doch, gerade jetzt! Ich will es tun! Ich muss es tun. Ich ... ich ... muss das Blut haben ...«

Er war nicht mehr zu halten. Sein Körper bebte. Den Mund hielt er offen, die Zungenspitze umkreiste die Lippen, als wäre sie dabei, rote Tropfen aufzulecken. Furcht kannte er nicht. Noch waren es nur zwei Soldaten. Die anderen durchsuchten das Haus. Und irgendwann würden mehr kommen, immer mehr, dann war es zu spät.

»Das letzte Blut, Bruder! Das letzte Blut zur Stärkung. Mehr will ich nicht!«

»Nein, du ...«

»Doch!«

Jacques riss sich los, die Gier war zu stark. Er stolperte nach vorn, er bewegte sich nicht so glatt wie sonst, er hatte nicht mehr die Kraft, er wollte sie sich holen, aber es war zu spät.

Schreie gellten, und Hufschlag durchbrach die Nacht wie Donner. Und plötzlich waren die anderen Reiter da, die Nachhut der ersten Horde. Auch diese Soldaten trugen Fackeln, die sie schwenkten.

Sie wussten, was sie wollten. Zerstören und töten, und sie sahen den auf das Haus zueilenden Mann, den auch der Ruf seines Bruders nicht mehr stoppen konnte.

Jacques lief weiter. Er war wie eine Maschine. Die Füße stampften auf den Boden. Den Kopf hatte er nach hinten gedrückt. Die Augen waren offen, ebenso der Mund, obwohl er keine Luft zu holen brauchte.

Igor konnte ihn nicht allein lassen. Wenn, dann mussten sie zusammenbleiben, und auch deshalb verließ er sein Versteck.

»Da ist noch einer!«, brüllte eine raue Stimme.

»Holt sie euch!«

Die Soldaten schossen nicht, sie machten es anders. Zwei von ihnen trieben ihre Pferde an. Sie hatten längst die Lassos von ihren Sattelhörnern genommen, schwangen sie während des Reitens über ihre Köpfe, ließen sie dann fliegen, und die Kreise flogen zielsicher den beiden fliehenden Opfern entgegen.

Genau dort, wo sie sich senken sollten, fielen sie auch nach unten. Weder Igor noch Jacques hatten eine Chance. Die Lassos erwischten beide. Die Schlingen wurden festgezurrt, und beide Brüder wurden durch den plötzlichen Druck von den Beinen gerissen, fielen auf den Boden, überschlugen sich, hörten das harte Lachen der Soldaten und sahen die Pferde in ihrer Nähe, die nur mühsam von ihren Reitern gezügelt werden konnten.

Noch enger zogen die Soldaten die Schlingen, sodass die Arme der Brüder nun ganz eng an ihre Körper gepresst wurden. Bewegen konnten sich beide nicht mehr, und unter dem Triumphgeheul der Soldaten wurden sie über den Boden geschleift, dorthin, wo sich auch die anderen befanden.

Die Männer lachten.

Andere kümmerten sich um die Brüder. Sie zerrten sie in die Höhe, sie schlugen und traten auf sie ein. Sie hatten ihren Spaß, und ein Wort machte die Runde.

»Standgericht!«

Einige Zeit später!

Die Uhr zeigte schon nach Mitternacht, da hatten es die Soldaten geschafft. Beide Lacourtes waren mit Stricken an Gartenlaternen gebunden worden.

Zwei Soldaten bewachten sie. Sie hielten die Gewehre mit den aufgepflanzten Bajonetten schussbereit. Manchmal streichelten sie auch ihre Waffen, flüsterten miteinander und freuten sich schon jetzt darauf, dass die Kugeln die Leiber der Brüder durchschlagen würden.

Es würde nicht mehr lange dauern. Die Soldaten waren dabei, das Haus zu durchsuchen, um es anschließend zu besetzen. Sie würden es nicht abbrennen, denn es kam ihnen gerade recht.

Sie lachten. Sie grölten. Sie hatten Getränke gefunden und kippten teuren Champagner wie Wasser in sich hinein. Sie würden auch bald den Whisky finden und den Cognac, und dann würden sie betrunken durch das Haus irren. Aber das würde später geschehen. Zuerst mussten sie die Hinrichtung vornehmen.

Es war Krieg, es herrschte das Standrecht!

Die beiden Laternen standen so dicht beisammen, dass sich die Brüder unterhalten konnten. Jacques war es, der den Kopf drehte. Sein Gesicht war ebenso schmutzig wie das seines Bruders. Sie waren beide über den Boden geschleift worden, aber selbst der Schmutz konnte das kalte Grinsen nicht aus den Zügen vertreiben.

»Wie wird es weitergehen, Bruder?«

»Danach?«

»Ja!«

Igor starrte nach vorn. Er sah in die Gesichter der beiden Wächter. Junge und frische Gesichter. Keine Soldaten, die sehr alt waren. »Das Blut aus ihren Körpern wird uns munden, Bruder!«

»Ja, das denke ich auch. Es ist bestimmt frisch und unverbraucht.«

»Sie ahnen nichts.«

»Ich wäre auch mit anderen zufrieden«, erklärte Jacques.

»Bestimmt!«

»Blut schmeckt immer.« Jacques lachte. Danach leckte er seine Lippen ab.

»Und wo werden wir hingehen?«, fragte Igor nach einer Weile.

»Die Welt ist groß, Bruder.«

»Ich will nicht weg. Ich will hier im Land bleiben. Es ist doch unsere Heimat geworden.«

»Ja, auch ich liebe sie«, flüsterte Jacques. Er bewegte sich, was ihm schwerfiel, denn die Stricke spannten sich um seine Brust. Einer der Soldaten war aufmerksam geworden. »He!«, brüllte er. »Was soll das?« Er kam näher. Die Stahlspitze seines Bajonetts sah im Schein der Fackeln aus, als würde sie leben. In den Augen des jungen Mannes glühte es. Sehr dicht blieb er vor dem Gefangenen stehen, die Spitze des Bajonetts wies auf Jacques Hals.

»Ich könnte deine Gurgel durchstoßen. Ich könnte dich ausbluten lassen, du Hundesohn ...«

»Und dann? Nichts könntest du, gar nichts. Kein Ausbluten. Du musst warten, bis du den Befehl bekommst. Hast du gehört? Du darfst allein gar nichts tun!«

Der junge Soldat lief rot an. Er wusste ja, dass der andere recht hatte. Nur wollte er sich nicht von einem Gefangenen belehren lassen, das ging ihm gegen den Strich.

Er drückte zu. Leicht nur, die Klinge würde den Gefangenen nicht töten, doch sie hinterließ einen Stich, eine kleine Wunde, aus der jedoch kein Blut quoll, nur eine rötlichweiße Flüssigkeit sammelte sich an den Rändern.

Irritiert trat der junge Soldat zurück. Dabei schaute er in das Gesicht des Gefangenen. Es hatte einige Schläge mitbekommen und war verquollen. Der Soldat wollte seinen Kameraden herbeiholen, aber an der Tür des Hauses entstanden Bewegung und Unruhe.

Ein Offizier verließ das Haus. Er stand im Range eines Captains. Seine Uniform sah ebenso schmutzig aus wie die seiner Soldaten. Er hatte schwarzes Haar und trug einen dichten Bart. Mit herrischer Stimme gab er seine Befehle und schrie die Namen der Soldaten, die dem Exekutionskommando angehörten. Sie kannten ihre Aufgabe bereits, sie bauten sich vor den beiden Gefangenen auf, exakt in einer Distanz, von fünf Metern.

Die beiden jungen Bewacher befanden sich nicht unter den abgerissen wirkenden Gestalten. Der Krieg hatte auch bei ihnen Spuren hinterlassen, aber sie standen unter dem Druck des Erfolges und hatten jegliche Menschlichkeit vergessen.