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Im Jahre 1746 standen sich auf dem Schlachtfeld von Culloden 1200 Highlander und 5000 Engländer gegenüber. Es war der letzte Versuch der schottischen Clans, die Herrschaft der Krone zu brechen. Die Schotten verloren - Culloden wurde für sie zu einer blutigen Niederlage.
Einige Nachkommen vergaßen die Schmach nicht. Legenden rankten sich um das Schlachtfeld. Geisterstürme, aus den Seelen der Gefallenen bestehend, rasten über das Land, denn der Kampf war für sie noch nicht beendet. Neue Clanführer verbündeten sich mit den Geisterheeren, um die Schlacht noch einmal schlagen zu können.
Suko und ich sollten den Sturm stoppen. Zusammen mit einer Kämpferin aus der Vergangenheit, die Geraldine Sinclair hieß ...
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Seitenzahl: 183
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Geistersturm
Vorschau
Impressum
John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.
Geistersturm
von Jason Dark
Im Jahre 1746 standen sich auf dem Schlachtfeld von Culloden 1200 Highlander und 5000 Engländer gegenüber. Es war der letzte Versuch der schottischen Clans, die Herrschaft der Krone zu brechen. Doch Culloden wurde für die Schotten zu einer blutigen, schmachvollen Niederlage.
In folgenden Jahrhunderten rankten sich Legenden um dieses Schlachtfeld. Geisterstürme, bestehend aus den Seelen der Gefallenen, würden von Zeit zu Zeit über das Land fegen, erzählte man sich.
Dann verbündeten sich neue Clanführer mit den Geisterheeren, um die Schlacht gemeinsam noch einmal zu schlagen und die Schmach ein für alle Mal zu tilgen. Diesen verheerenden Sturm sollten Suko und ich stoppen, geleitet von einer Kämpferin aus der Vergangenheit. Ihr Name: Geraldine Sinclair ...
Es war schon ein verbotenes Wetter. Der Himmel hatte alle Schleusen geöffnet und schien sich an den Menschen für die zahlreichen Eingriffe in die Natur rächen zu wollen.
Hinzu kam der Wind, der sich allmählich zu einem Orkan steigerte und die vom Himmel fallenden Fluten beinahe waagerecht durch die Landschaft peitschte.
Wir zuckelten in meinem Rover durch dieses mörderische Unwetter, auf der Suche nach einer Gestalt, die es eigentlich gar nicht geben durfte, die aber trotzdem existierte – wie glaubwürdige Zeugen berichtet hatten.
Am Armaturenbrett des Rover leuchtete die blaue Lampe. Ein Zeichen, dass das Fernlicht eingeschaltet war. Doch bei diesen Regenmassen verbesserte das die Sicht kaum, und mehr als einmal war mir ein Fluch über unsere bescheidene Lage entfahren.
Ein Teil des großen Flughafengeländes war abgesperrt worden, denn ausgerechnet dort hatte sich die Gestalt gezeigt.
Suko, der wie ich nach vorn gebeugt saß, um besser sehen zu können, schüttelte den Kopf. »Die kriegen wir nicht, John.«
»Warte es ab!«
»Glaube mir. Ich bin inzwischen so weit, dass ich an irgendwelche Hirngespinste glaube, denn was die Leute gesehen haben wollen, scheint doch der reine Wahnsinn.«
Ich schwieg, gab ihm aber innerlich teilweise recht. Diese Gestalt sollte ausgesehen haben, als wäre sie einem Film oder einer Märchenwelt entsprungen. Eine Kriegerin, bewaffnet und halbnackt, so hatte sie sich auf dem Rollfeld gezeigt. Mehrere Zeugen hatten sie zu Gesicht bekommen, und die Beschreibungen wichen kaum voneinander ab. Deshalb rechnete ich damit, dass doch etwas dran war und man uns nicht grundlos alarmiert hatte. Den Sicherheitskräften am Airport waren wir bereits bekannt. Zu oft schon hatten wir hier eingreifen müssen. Allerdings waren wir noch nicht bei einem derartigen Sauwetter über die Rollbahn gefahren. Es war nichts zu erkennen.
Ein böser Dämon schien Besitz von der Natur ergriffen zu haben, um zu zeigen, wozu er fähig war. Immer wieder erwischten den Rover die harten Windstöße. Sie hämmerten gegen die Karosserie, als wollten sie den Wagen im nächsten Augenblick umkippen.
Das Rauschen des Regens und das Prasseln der Tropfen auf Blech und Glas machte eine Unterhaltung zwischen Suko und mir fast unmöglich.
Wir beschränkten uns auf das Wesentliche und auf Flüche.
Wegen der verdammten Regenschleier war kaum etwas zu sehen, und der Wagen schien nicht zu fahren, sondern zu schwimmen. Aquaplaning ließ grüßen.
Wir fuhren weiter. Mit Gegenverkehr brauchten wir nicht zu rechnen, wie ich voller Galgenhumor dachte. Ab und zu erschienen schattenhaft und aussehend wie tote oder erfrorene Riesenvögel die Umrisse der Maschinen, die auf dieser Seite des Geländes abgestellt waren. Ansonsten sahen wir nur den Regen.
Die Reifen wirbelten wahre Gischt-Fontänen auf, die hinter uns wieder zusammenfielen.
Das Autotelefon meldete sich. Suko hob ab. Er sprach mit dem Chef der Sicherheitsabteilung und meldete, dass wir noch nichts entdeckt hatten.
Das konnte der Mann kaum fassen. »Verdammt noch mal, aber wir haben die Gestalt gesehen.«
»Wir nicht!«, erwiderte Suko trocken.
»Sie wird noch erscheinen.«
Suko lachte. »Hoffen wir es, Mister.«
»Drehen Sie noch ein paar Runden. Der Flughafen bleibt gesperrt.«
»Das hoffen wir stark.«
»Dann viel Glück.«
»Ebenfalls.« Suko schüttelte den Kopf. Er wandte sich an mich. »Ich weiß auch nicht, weshalb der Knabe angerufen hat. Wahrscheinlich wollte er nur irgendetwas tun.«
»Möglich«, erwiderte ich.
Auch für die Flughafengesellschaft war es eine unangenehme Sache. Der Airport war tatsächlich geschlossen worden, denn die Sicherheit der Reisenden und der dort Beschäftigten war nicht mehr gewährleistet. Einige Kräfte hatten die Gestalt gejagt, sie aber nicht fassen können. Immer dann, wenn die Männer nahe genug an sie herangekommen waren, war sie plötzlich verschwunden, als hätte der Regen sie weggewischt.
Aber was war das überhaupt für eine Gestalt?
Dass es sich um eine weibliche Person handelte, stand allerdings einwandfrei fest. Natürlich hatten Suko und ich überlegt, wo wir den Hebel ansetzen konnten.
Aus Erfahrung wussten wir, dass es derartige Wesen gab, die zumeist nicht in unserer Welt lebten, sondern in anderen Reichen. Roya, zum Beispiel, Karas grausame Schwester, mit der wir sehr üble Erfahrungen gemacht hatten.
Deshalb war es durchaus möglich, dass diese Frauengestalt Atlantis oder eine ähnliche Welt durch ein magisches Tor verlassen hatte, um in unsere Welt zu gelangen.
Unsere Abteilung beim Yard war eben für derartige Phänomene zuständig. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Sonne schien oder ob es wie aus Kübeln goss.
»Hast du den Film ›Stirb langsam‹ gesehen?«, fragte ich Suko.
»Nur den zweiten Teil.«
»Der war richtig. Da ging es auch auf einem Flughafen rund.«
»Aber im Schnee.«
»Der fehlt uns noch.«
Der Rover schlingerte leicht, weil ich zu schnell gefahren war. Ich ging mit dem Tempo deutlich runter, als wir uns einem Hangar näherten.
»Der Regen muss doch mal aufhören«, sagte Suko.
Ich nickte verbissen und erschrak im selben Augenblick. Auch Suko hatte es mitbekommen.
»Da ist sie!«, schrie er mir ins Ohr und zeigte nach vorn, während ich sofort bremste, weil ich die Frau auf keinen Fall überfahren wollte.
Wir standen, und das Fernlicht ließ nach wie vor den Regen glitzern. Als wäre es zwischen uns abgesprochen, lösten Suko und ich zugleich die Gurtverschlüsse. Wir hatten jetzt mehr Bewegungsfreiheit, stiegen aber noch nicht aus, weil wir das Bild, das sich unseren Augen bot, sehr detailliert aufnehmen wollten.
Ich erinnerte mich an die Aussagen der Zeugen. Die Leute hatten davon gesprochen, dass die Gestalt der Frau stets von einem leichten bläulichen Schimmern umflort war. Genau das war auch jetzt der Fall, wobei dieser Schimmer nichts mit dem Licht aus unseren Scheinwerfern zu tun hatte.
»Sie sieht tatsächlich aus, als käme sie aus einer anderen Dimension«, flüsterte Suko.
Ich nickte nur und konzentrierte mich weiterhin auf das fremde, aber menschliche Wesen.
Einige halten es für angesagt, sich den Kopf kahl scheren zu lassen, und das war bei dieser Frau auch der Fall. Nur am Hinterkopf hatte sie eine Haarinsel stehenlassen. Der Kopf wirkte rund. Klein waren die Nase und der schmale Mund sowie die Augen.
Das Gebläse lief, die Scheiben beschlugen nicht, und ich stellte mir die Frage, ob diese Person, die praktisch nur mit einem schmalen Tuch bekleidet war, nicht fror. Allerdings reichte das Tuch vom Hals bis zu den kniehohen Schaftstiefeln. Drei Schwerter trug die Gestalt an der Hüfte, zwei weitere schauten aus einem am Rücken befestigten Köcher hervor, und eine weitere Waffe hielt die fremde Kämpferin in der Hand.
»Ja, das ist sie!«, murmelte Suko. Er konnte seinen Spott nicht unterdrücken. »Kommt sie dir irgendwie bekannt vor?«
»Ja.«
»Und?«
»Sie erinnert mich an meine Großmutter, als diese noch jung war.«
»Nein, mehr an meine.«
»Wegen der nicht vorhandenen Haare?«
»So ähnlich.«
Das lockere Gespräch hatte unsere Anspannung etwas abgebaut. Wir wussten beide, dass es nichts brachte, wenn wir im Rover blieben. Diese Person hatte auf uns gewartet, sie wünschte sich praktisch, dass wir etwas unternahmen.
Ich warf meinem Freund einen entsprechenden Blick zu.
»Ja, steigen wir mal aus.«
Er öffnete die Tür.
Der Regen rann auch weiterhin vom Himmel. Als ich die Tür an meiner Seite aufstieß und das Licht der Innenbeleuchtung aus dem Wagen floss, hatte ich den Eindruck, in einen tiefen See zu steigen, dessen Oberfläche goldrot schimmerte. Und auf seinem Grund schien der See ein Geheimnis zu bewahren.
Die Tür schlug an Sukos Seite zu, dann an meiner.
Zugleich gingen wir los!
Die Person bewegte sich nicht. Ihr schien auch der Regen nichts auszumachen, im Gegensatz zu mir, denn das Wasser peitschte kalt in mein Gesicht. Im Nu waren auch die Haare durchnässt. So ähnlich kletterte ich sonst aus der Dusche.
Bei jedem Tritt peitschten meine Füße in die Pfützen hinein, und das Wasser spritzte hoch. Jetzt spürten wir auch den Wind, der auf dieser doch ziemlich freien Fläche ständig wechselte, mal von vorn kam, dann wieder von der Seite oder uns den Regen massenweise in den Rücken schleuderte.
Die fremde Kämpferin sah aus wie eine Puppe.
Nichts an ihr bewegte sich, selbst die Kleidung nicht, denn die klebte als nasser Lappen an ihrem Körper. Sie stand sogar noch so günstig im Fernlicht, dass wir erkennen konnten, welch tolle Rundungen sich unter dem nassen Stoff abmalten. Die Brustwarzen schimmerten wie geheimnisvolle dunkle Flecken. Was da vor uns stand, war ein Vollblutweib. Trotz des ungewöhnlichen Haarschnitts strahlte die Kriegerin sogar bei diesem Wetter eine exotische Erotik aus, gepaart mit der Wildheit einer Person, die genau wusste, wo es langging.
Sie traf keinerlei Anstalten, eines ihrer Schwerter gegen uns einzusetzen. Ruhig blieb sie stehen und wartete einfach nur ab. Auch wir beide ließen unsere Waffen stecken. Auf keinen Fall wollten wir die geheimnisvolle Person provozieren. Zumindest stand fest, dass sich die Zeugen nicht geirrt hatten. Nur war sie bei ihnen schon nach wenigen Sekunden wieder verschwunden, jetzt blieb sie jedoch länger. Ganz, als hätte sie auf uns gewartet.
»Begreifst du das?«, fragte Suko.
»Nein, noch nicht«
»Dann sind wir uns ja einig.«
»Soweit schon ...«
»Was folgt jetzt?«
Ich hob die Schultern. »Wir wollen im Prinzip nichts von ihr. Sie will etwas von uns. Oder warum ist sie sonst wie aus dem Nichts erschienen?«
»Vielleicht hat sie einen Auftrag oder eine Aufgabe für uns. Man kann ja nie wissen.«
»Dann sollte sie sich artikulieren.«
»Du sagst es.«
Die Fremde aber tat nach wie vor nichts. Sie starrte uns nur an, denn wir waren interessant für sie. Nur wir – oder? Nein, etwas stimmte nicht. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie einzig und allein mich anschaute, aber meinen Freund außer Acht ließ.
Ich wollte es genau wissen, deshalb konzentrierte ich mich noch deutlicher auf ihr Gesicht und dort vor allen Dingen auf die Augen. Sie würden mir eine erste Antwort geben können.
Es blieb dabei.
Die Unbekannte starrte einzig und allein mich an. Suko war für sie nicht existent. Da ich es nun herausgefunden hatte, wurde mir unter dem Blick schon etwas komisch. Ich räusperte mich, bevor ich irgendwelche Worte fand und sie an meinen Freund richtete. »Hast du auch den Eindruck, dass sich die Kriegerin nur für mich interessiert?«
»Ich wollte dich gerade darauf aufmerksam machen. Du scheinst ihr zu gefallen.«
»Quatsch!«
»Doch.«
Ich wischte Wasser aus meinem Gesicht, was aber nichts brachte, denn der Regen klatschte mir weiterhin ins Gesicht. »Wenn es tatsächlich so ist, sollte ich sie locken.«
»Wie willst du das tun?«
»Indem ich zu ihr gehe.«
»Ich halte dich nicht zurück, John.«
»Okay, aber decke mir den Rücken.«
»Geh schon.«
Es fiel mir nicht leicht. Wir kamen uns vor, als hätte man uns aus der normalen Welt herausgerissen und in eine geschafft, in der es nur Wasser und Regen gab. Dass hinter uns ein Auto mit eingeschaltetem Fernlicht stand, war irgendwie schon lächerlich, obwohl uns das Licht guttat, selbst wenn der herabprasselnde Regen uns viel von einer klaren und normalen Sicht nahm.
Ich stapfte durch die Pfützen und war längst bis auf die Haut nass. So hätte ich auch ausgesehen, wenn man mich in voller Montur aus einem Pool gezogen hätte.
Die Kriegerin schaute zu, wie ich mich ihr näherte. Sie unternahm nichts, um mich zu stoppen. Nach wie vor wurde sie von einer schwachen Aura umgeben, und das Schwert, das sie mit beiden Händen festhielt, wies mit seiner Spitze weiterhin nach oben.
Kampfbereit sah sie nicht aus.
Mein Optimismus stieg, denn Furcht spürte ich nicht. Höchstens eine gesunde Neugierde und ein gewisses Prickeln, das auf eine starke Spannung in meinem Innern hinwies. Ansonsten benahm ich mich ziemlich normal.
Die Frau nicht.
Plötzlich bewegte sie sich. Ob es ein kurzes Kopfschütteln gewesen war oder vielleicht mehr, das bekam ich nicht genau mit. Dafür lenkte mich etwas anderes ab.
Das sie umgebende Licht nahm für einen Moment an Intensität zu. Es wurde hellblau und strahlend. Ich sah die Fremde innerhalb dieser Lichtinsel stehen, aber sie blieb dort nicht länger, denn urplötzlich war sie weg.
Ausradiert, zerplatzt, in den Erdboden getaucht, wie auch immer.
Ich sah sie nicht mehr.
Mit wenigen Schritten hatte ich den Ort erreicht, wo sie vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte. Aber da war nichts mehr, kein Rückstand, nichts, der vom Himmel fallende Regen hatte alles abgewaschen.
Ich drehte mich langsam zu meinem Freund Suko um, der seinen Platz nicht verlassen hatte. Er sah für mich aus wie ein im Regen stehendes Denkmal. »Du hast es gesehen?«, rief ich ihm zu.
Er gab noch keine Antwort und kam langsam näher. Dabei nickte er. »Ja, ich habe es gesehen.«
»Und?«
»Wenn du eine Erklärung willst, die habe ich ebenso wenig wie du, tut mir leid.«
»Natürlich, Suko.« Ich wollte es trotzdem noch nicht wahrhaben und schaute mich um.
Aber die Frau war nicht mehr da. Sie hatte auch keine Spuren hinterlassen. Sie war gekommen wie ein Geist, und sie war verschwunden wie ein Geist.
Die Welt um uns herum war nicht völlig dunkel. Ich nahm sie erst jetzt wieder wahr. In der Tiefe des leeren Raumes gewissermaßen schimmerten Scheinwerfer wie kalte Sonnen, vor deren Gesichtern der Regen in dichten Schleiern fiel. Ich hörte wieder das Prasseln, ich spürte die Nässe und auch die Kälte des Wassers.
Die Frau aber zeigte sich nicht mehr. Sie hatte mit uns ebenso gespielt wie mit den anderen Zeugen. Trotzdem glaubte ich, dass sie bei uns einen Unterschied gemacht hatte. Beweise dafür konnte ich nicht liefern, ich verließ mich einfach auf mein Gefühl.
»Was hat das zu bedeuten, Suko?«
»Darüber können wir gern reden. Nur bitte nicht hier. Lass uns in den Wagen steigen.«
»Okay. Willst du fahren?«
»Was sollen wir hier?«
Ich hob die Schultern. »Wäre es möglich, dass diese Person noch einmal zurückkehrt?«
»Das könnte sein.«
»Zumindest haben die anderen Zeugen sie nicht nur einmal gesehen, das möchte ich festhalten.«
»In der Tat.« Ich kam mit meinen eigenen Überlegungen noch nicht zurecht. Etwas sauer ging ich zurück zum Rover. Suko hielt sich an meiner Seite, schaute sich dabei ebenso wie ich immer wieder um.
Wir stiegen ein und schlossen die Türen. Es geschah nichts, die Kriegerin ließ sich nicht mehr blicken. Die Normalität hatte uns wieder, aber dieses Hocken im Wagen war doch irgendwie anders, als würden wir auf einem Parkplatz in der Heide stehen.
Suko strich sein Haar zurück und fragte: »Über was denkst du denn gerade nach?«
»Ich warte darauf, dass sie erscheint. Es will mir einfach nicht in den Kopf, dass sie für immer verschwunden sein soll. Wir werden noch mit ihr Kontakt aufnehmen.«
»Das denke ich auch, John. Nur muss das nicht gerade heute sein.«
»Das sehe ich anders.« Die Geräusche des plätschernden Regens umgaben uns wie ein leises Trommelfeuer. In meinen nassen Sachen fing ich an zu frieren.
Mit dem Starten des Motors drehte ich auch die Heizung hoch. Zudem wollte ich keine beschlagenen Scheiben haben.
Das Telefon meldete sich wieder. Abermals war es der Einsatzleiter, der mit uns sprechen wollte.
»Wir haben die Person gesehen!«, erklärte Suko.
»Was?«
»Ja, aber nur einmal.«
»Dann wird sie bestimmt wieder erscheinen. Versuchen Sie doch, die Person festzuhalten!«
»Können vor Lachen. Sie verschwand blitzartig.«
»Mist!«
»Wir melden uns wieder«, sagte Suko, der nicht wollte, dass der Einsatzleiter seinen Frust bei ihm ablud. »Fahr mal los, John. Am besten zum Hauptgebäude. Dort sehen wir dann weiter.«
»Falls wir es erreichen.«
»Was macht dich unsicher?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass sie plötzlich hier auftaucht und angreift.«
»Glaube ich nicht. Ich schätze sie zwar als kriegerisch ein, aber nicht als blutrünstig. Keine Sorge, in Lebensgefahr sind wir in ihrer Nähe bestimmt nicht.«
»Wie du meinst.«
Uns ging die Person nicht aus dem Kopf, aber wir sprachen nicht darüber. Zumindest ich dachte daran, mich umziehen zu können. Vielleicht fand ich im Bereitschaftsraum der Sicherheitskräfte trockene Kleidung, die ich anziehen konnte. Ein Jogginganzug würde mir schon reichen.
Der Regen hatte nachgelassen. Er prasselte nicht mehr so laut auf unseren Wagen. Aus den Dunstschleiern erschienen die Umrisse der Gebäude.
»Ihren Namen hätte ich gern gewusst«, murmelte ich vor mich hin.
»Da kannst du sie gleich fragen.«
Suko hatte die Frau einen Moment früher gesehen als ich. Sie stand plötzlich da, geriet deutlicher in das Licht, und ich konnte soeben noch abbremsen, sonst hätte ich sie überrollt.
Wie ein Denkmal stand sie vor der Kühlerhaube. Das eine Schwert noch immer erhoben, aber sie hielt den Griff jetzt nicht mehr mit beiden Händen fest. Jetzt nahm sie nur die linke Hand, die rechte hatte sie frei, und damit winkte sie mir zu.
Ich blieb sitzen.
»He«, sagte Suko. »Das gilt dir.«
»Ich weiß.«
»Träum nicht und steig aus!«
Er hatte recht. Ich öffnete die Tür und verließ mit langsamen Bewegungen den Rover.
Der Regen klatschte mir wieder ins Gesicht. Meine Kleidung dampfte.
Die Kriegerin wartete auf mich. Obwohl sie nicht anders aussah als bei ihrem ersten Erscheinen, glaubte ich nicht daran, dass sie so schnell und ohne Botschaft verschwinden würde. Sie hatte sich zum zweiten Mal gezeigt und mir zugewinkt. Ich hatte dieses Zeichen verstanden und war aus dem Wagen geklettert.
Sie wartete auf mich und schaute mich an. Der Regen erwischte sie. Er rann in langen Bahnen an ihrem halbnackten Körper entlang und hinterließ auf der Haut ein blasses Muster. Auch das Gesicht und der fast kahle Kopf waren davon betroffen. Hin und wieder zwinkerte sie, weil sie nicht wollte, dass zu viel Wasser in ihre Augen sickerte.
Ein kleiner Schritt trennte uns noch, als ich schließlich stehenblieb und wir beide uns aus dieser kurzen Distanz anschauten.
Ich sagte nichts, auch die Frau schwieg, aber sie bewegte plötzlich ihr Schwert. Es senkte sich mir entgegen. Für einen Moment zogen sich meine Muskeln zusammen, weil ich damit rechnete, dass mich die Klinge zumindest verletzen würde.
Meine Waffe zog ich trotzdem nicht. Die Überlegung sagte mir, dass sie mich nicht töten würde, denn dann hätte sie ihre Waffe wohl anders bewegt, nicht so langsam. Es sah eher aus, als wollte sie mich zum Ritter schlagen. Die Schneide blieb mit der flachen Seite auf meiner Schulter liegen, und ich spürte den leichten Druck des Metalls. Es war mir nicht unangenehm, im Gegenteil, ich fühlte mich sogar wohl, denn so konzentrierte ich mich auf die Person statt auf den Regen.
Sie lebte, sie war keine Puppe. Nichts, was aus einer anderen Welt kam und nur einfach hingestellt worden war. In ihren Augen glaubte ich eine Botschaft zu lesen.
Ich hatte mich an den leichten Druck der Klinge auf meiner Schulter gewöhnt und mich ein wenig entspannt. Das merkte auch die Fremde, denn zum ersten Mal flog ein Lächeln über ihr Gesicht.
Für mich war es die Aufforderung, sie anzusprechen, was ich auch tat, wobei meine Stimme allerdings leise blieb und gerade eben den Regen übertönte. »Du hast mich gesucht, nicht wahr?«
Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. Als sie schließlich bejahte, war ich wegen der Knappheit doch ein wenig enttäuscht und setzte sofort eine Frage hinterher.
»Warum?«
Wasser drang in ihren Mund, während sie sprach. »Du bist Sinclair.«
»Das kann ich nicht leugnen.«
»Es wird die Zeit kommen.«
»Kommen?« Ich runzelte die Stirn. »Eigentlich bin ich schon da. Wir beide stehen doch uns gegenüber.«
»Nein, du bist nicht da, und ich bin auch nicht da, aber ich war da, John Sinclair.«
Sie hatte zwar in Rätseln gesprochen, doch ich war neugierig geworden. »Wo bist du gewesen? Wo kommst du her?«
»Ich habe das Blut dampfen sehen, das den Boden tränkte. Die Gerechten haben es verloren. Ihr Leben versickerte auf dem großen, weiten Schlachtfeld. Aber die Geister der Toten erleiden noch immer schreckliche Qualen. Sie rufen und schreien nach Rache. Der Geistersturm braut sich zusammen, John Sinclair, und du wirst als einer der wichtigen Männer dabei sein müssen. Du bist wichtig.«
»Für was bin ich wichtig!«
»Das wirst du noch erleben.«
Ich fühlte mich inzwischen viel sicherer. »Vielleicht hast du recht, aber dazu brauche ich Informationen.«
»Die wirst du auch kriegen, aber nicht hier und nicht jetzt. Du musst an den Ort des Blutes und des Leids kommen. Dort wirst du erwartet, John Sinclair.«
»Kann sein. Aber mir fällt etwas anderes ein. Warum hast du dich hier mit mir getroffen? Es ist spektakulär. Hättest du es nicht auf eine andere Art und Weise einrichten können?«
»Hätte ich, aber ich wollte so auf mich aufmerksam machen, dass du mir auch glaubst. Du wirst kommen müssen. Du wirst die Zeichen der Zeit schon erkennen.«
Ich nickte. »Schön, vielleicht komme ich. Aber nur auf den Rat einer Unbekannten hin?«
»Sie meint es gut mit dir.«
»Wie heißt du?«
Die Kriegerin schüttelte den Kopf. »Mein Name ist jetzt unwichtig. Ich habe dir nur beweisen wollen, wozu ich fähig bin. Ich musste so auftreten, um dich zu locken. Mein erstes Erscheinen war wie das Vorspiel zu einem Drama, das mit Sicherheit folgen wird.«
»An dem Ort, den du schon erwähnt hast?«
»Das ist richtig.«
»Dann nenn mir den Namen. Ich bin leider völlig uninformiert.«
»Culloden«, sagte sie. »Merk dir den Namen dieses Ortes gut. Präge dir diesen Namen ein. Er allein wird in der nächsten Zukunft für dich zählen, und dort werden wir uns wiedersehen. Culloden, John Sinclair ...«
»Gut, das werde ich!«
»Sagt er dir nichts?«
Ich gab keine Antwort, weil ich sah, wie sie die Schwertklinge anhob. »Nein, im Augenblick nicht, aber ich werde sicherlich herausfinden, was das zu bedeuten hat.«