John Sinclair Sonder-Edition 177 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 177 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Angst vor einer unbekannten Gefahr quälte Sheila Conolly schon seit Wochen. Die Panik hatte in Wellen Besitz von ihr ergriffen, und jede neue war stärker gewesen als die zuvor.
Als dann auch noch ihr Ehemann Bill verreisen musste, erreichte der Terror seinen Höhepunkt. Sheila wusste nicht mehr ein noch aus, und so schlimm wurde es nun, dass sie gar an Selbstmord dachte. Und doch war der Killer bisher lediglich eine Projektion in ihrem Kopf gewesen. Dann aber stand die Bestie mit der Machete eines Nachts leibhaftig vor Sheila und forderte ihr Leben ...


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Inhalt

Cover

Killer im Kopf

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Killer im Kopf

von Jason Dark

Angst vor einer unbekannten Gefahr quälte Sheila Conolly schon seit Wochen. Die Panik hatte in Wellen Besitz von ihr ergriffen, und jede neue war stärker gewesen als die zuvor. Als dann auch noch ihr Ehemann Bill verreisen musste, erreichte der Terror seinen Höhepunkt. Sheila wusste nicht mehr ein noch aus, und so schlimm wurde es nun, dass sie gar an Selbstmord dachte. Und doch war der Killer bisher lediglich eine Projektion in ihrem Kopf gewesen.

Dann aber stand die Bestie mit der Machete eines Nachts leibhaftig vor Sheila und forderte ihr Leben ...

Der Machetenmann bereitete das Blutbad sorgfältig vor!

Er wartete, bis die Dämmerung über das Land gefallen war, denn die erinnerte ihn an sein eigenes Leben, das ebenfalls im Grau der Vergangenheit verschwunden war. Aber sie war trotzdem vorhanden, sie drängte sich vor und tiefer in ihn hinein. Sie ließ sich nicht unterdrücken, sie war immer präsent, egal wie.

Er strich mit zwei Fingern durch sein Gesicht, bevor er sich an den kleinen Tisch setzte. Dort griff er mit beiden Händen nach dem Wasserglas, leerte es.

Er war zufrieden, seinen Durst gestillt zu haben. Aber er spürte noch den Hunger, der in seinen Eingeweiden wühlte, als wäre er ein Tier. Ein böses, wildes Tier.

Die Gier übermannte ihn. Er brauchte Fleisch, viel Fleisch, das wusste er. Am Morgen hatte er schon etwas zu sich genommen, am Mittag weniger, jetzt war sein Magen ein ausgebrannter Ofen, der nach Nachschub verlangte.

Neben ihm auf dem Tisch stand der Teller. Er hatte beinahe schon die Größe einer Platte. Das Porzellan auf der Oberseite war nicht mehr zu sehen. Es wurde von den dünn geschnittenen Fleischscheiben verdeckt. Roastbeef, englisch gebraten, sehr kurz nur hatte es in der Pfanne gelegen. Dementsprechend rosig und noch ein wenig blutig war es.

Er griff mit den Fingern zu. Gewürze brauchte er nicht. Er stopfte sich die Scheiben zwischen die Zähne, kaute lange und genüsslich durch. Dabei grinste er und schaute auf den Teller. Seine Augen leuchteten, die Nasenflügel blähten sich beim Einatmen auf.

Es tat ihm gut, so zu essen. Schlingen, kauen, schmatzen. Der Geschmack des rohen Fleisches war für ihn das Leben. Sattes, pralles Leben. Er liebte alles, was roh war. Für ihn war es mehr als nur ein Stück Fleisch.

Ruhig aß er weiter.

Mit jeder Scheibe nahm seine Kraft zu. Der Saft, den er beim Kauen produzierte, lief ihm sogar aus den Mundwinkeln.

Niemand störte ihn bei dieser Mahlzeit, die nicht einfach nur ein Essen war oder eine Aufnahme von Nahrung. Dieses abendliche Mahl glich einem Ritual, das einzig und allein für ihn bestimmt zu sein schien. Es tat ihm unwahrscheinlich gut.

Schweiß ließ sein rundes Gesicht ölig erscheinen. Der Mund des Mannes war breit, und die Kaubewegungen glichen ebenfalls rituellen Gesten. Immer gleich, nicht zu schnell und auch nicht zu langsam, nur so kam er voran. Das brauchte er auch. Der Machetenmann wollte nicht, dass ihn die Kraft verließ.

Irgendwo trafen sich Mensch und Tier. Es gab einen bestimmten Punkt, da waren sie gleich. Da verwischten dann die Unterschiede, und auch er wusste nicht mehr so recht, ob er sich weiterhin als Mensch oder als Tier fühlen sollte.

Es ging ihm gut, wenn er aß. Als er nach der letzten Scheibe griff, sie kurz anschaute, bevor er sie in den Mund schob, da ließ er sie für einen langen Augenblick sichtbar zwischen seinen Zähnen stecken, als wollte er einem anderen, der nicht in der Nähe war, zeigen, wie gut es ihm ging.

Langsam verschwand die Scheibe dann in seinem Mund. Der Mann kaute wieder genüsslich. Das rohe Fleisch wurde von seinen Zähnen zermalmt, und noch einmal genoss er den Geschmack.

Dann war der Teller leer!

Der Machetenmann lehnte sich zurück. Er spürte in seinem Rücken die harte Stuhllehne, streckte die Beine aus, nickte vor sich hin und war zufrieden.

Relativ zufrieden. Die große Zufriedenheit würde noch folgen. Dazu brauchte er die Nacht, ihren Schutz, ihren Schatten. Er würde in sie eintauchen und ebenfalls zu einem Schatten werden. Von keinem gesehen, unsichtbar durch die Finsternis schreitend, um dann umso schneller zuschlagen zu können.

Er strich mit seinen flachen Händen über den Leib hinweg. Dabei hatte er das Gefühl, keine Kleidung zu tragen. In der Tat war das Seidenhemd sehr dünn. Es lag eng an. Der Machetenmann liebte es. Für ihn war es sein Kampfhemd, und als er lächelte, hatte er noch immer den Blutgeschmack im Mund. Es ging ihm gut, und es würde ihm auch weiterhin gutgehen.

Mit einer ruckartigen Bewegung stand er auf. Mit keiner Geste hatte er das zuvor angekündigt. Ein Zuschauer hätte sich über die Geschmeidigkeit und Kraft dieser Bewegung gewundert. Der Mann nicht. Er nahm es als gegeben hin, denn er kannte sich.

Es ging ihm gut.

Nein, nicht nur das. Es ging ihm sogar glänzend. Er war einfach super in Form, und er wusste, dass seine Waffe in dieser Nacht wieder reiche Beute finden würde.

Im Halbdunkel durchschritt er den Raum, bis er vor dem schmalen Fenster stehenblieb.

Er hatte den Vorhang zugezogen. Nur einen Spalt öffnete er ihn und schaute nach draußen.

Die Dämmerung war gläsern geworden. Sie lag wie ein großes Zelt über der Stadt. Sie machte die Bäume zu dunklen Klumpen und ließ die Straßen so aussehen, als würden sie mit den Häusern verschmelzen. Das war seine Zeit und seine Welt.

Der Mann nickte zufrieden, bevor er den Spalt wieder zufallen ließ und sich umdrehte.

Sein Ziel war jetzt der schmale Schrank aus Metall. Aus der Tasche seiner Hose holte er einen Schlüssel hervor. Trotz der Dunkelheit schob er ihn zielsicher ins Schloss und drehte ihn zweimal.

Jetzt war die Tür offen.

Gut für ihn.

Er griff suchend in den Schrank hinein. Den Gegenstand hatte er rasch gefunden, da er immer am selben Platz lag. Es war eine Waffe. Seine Machete!

Der Griff lag wunderbar in der Hand. Er zog die Machete behutsam aus ihrem Versteck und ließ die Klinge durch die Luft sausen. Ein pfeifendes Geräusch entstand. Über das Gesicht des Mannes huschte ein kaltes Lächeln. Seine Vorfreude wuchs aber noch weiter, seine Augen glänzten dabei. Er schloss den Schrank wieder ab, verstaute den Schlüssel und drehte sich um. Dabei warf er einen Blick auf die blanke Klinge. Sie schimmerte und erinnerte ihn an die dunkle Fläche eines Spiegels. Er schaute sehr genau darauf und entdeckte einen Teil seines eigenen Gesichts darin. Er war zufrieden damit, auch wenn er nur einen Schatten sah, in dem allerdings die Augen auffielen, die wie zwei kalte Ovale aussahen. Kalt und dunkel.

Er war bereit!

Der Mann drehte sich wieder um. Noch immer lag das Lächeln auf seinem Gesicht. Er würde die Wohnung jetzt verlassen. War er einmal draußen, rückte das Blutbad näher, und es gab nichts, was ihn noch hätte aufhalten können.

Als er seine leere Hand zur Faust ballte, spürte er den klebrigen Fleischsaft darauf. Das gefiel ihm nicht. Deshalb ging er ins Bad, wusch sich die Hände und trocknete sie ab.

An einem Haken hing der weitgeschnittene, dunkle Mantel. Er zog ihn an und freute sich, dass die Machete darunter, die er in einer Scheide trug, nicht zu sehen war.

Im Spiegel nickte er sich zu. Dabei überlegte er, ob er noch einen Hut aufsetzen sollte, entschied sich aber dagegen, denn es war nicht mehr kalt.

Der Machetenmann verließ die Wohnung. Er hatte die Tür noch nicht hinter sich geschlossen, da passierte es.

Plötzlich kriegte er Kopfschmerzen! Kurz hintereinander folgten die Stiche, und er wusste nicht, wie er sie sich erklären sollte.

Sie waren aber da.

Hart, peinigend, von verschiedenen Seiten durch seinen Kopf schießend. Sich in der Mitte treffend, wo sie sich plötzlich zu einem Bild zusammenfanden.

Er sah es deutlich.

Es war da.

Es war das Bild einer blonden Frau!

Und er spürte den Hass gegen sie aufsteigen ...

Angst!

Widerliche, quälende, bohrende und hündische Angst, die sie blitzschnell überfallen hatte und dafür sorgte, dass das Autofahren zur Qual wurde.

Deshalb suchte die Frau nach einer freien Stelle am linken Straßenrand und hielt an.

Sie wusste, dass sie in den nächsten Minuten nicht würde starten können, und sie handelte entsprechend. Sie stellte den Motor ab und fühlte sich schon ein wenig besser.

Sheila Conolly schloss die Augen. Sie tat es nicht freiwillig, es geschah wie ein Reflex — oder wie auf Befehl. Sie wollte mit sich allein sein, auf keinen Fall etwas sehen, sondern sich auf das konzentrieren, was mit ihr geschehen war.

Schmerzen.

Alles verzehrende Schmerzen, die vieles verdeckten. Sie waren da, sie waren so brutal. Sie schmetterten Sheila nieder, als würden sie mit Fäusten auf sie einschlagen.

Angeschnallt und steif, wie eine Puppe, hockte Sheila in ihrem Sitz. Sie wusste, dass sie sich nicht eben einen idealen Parkplatz ausgesucht hatte. Doch darüber dachte sie nicht nach. Auch nicht über die Tatsache, dass sie den Porsche ihres Mannes fuhr, ein nicht eben unauffälliges Auto.

Alles war so unwichtig für Sheila geworden. Der Besuch bei einer Freundin, der größte Teil der Rückfahrt, die Reise ihres Mannes, die zwar nur eine Woche dauerte, ihn aber hinein in die Einsamkeit Alaskas führte. Dort wollte er über eine bestimmte Gegend einen Bericht schreiben und war telefonisch nicht erreichbar. Dieser Auftrag war für Bill wichtig gewesen, denn es ging um eine alte Magie, die in Alaska ebenso aufgetreten war wie östlich der Beringstraße in Sibirien.

An diesem Thema arbeitete er schon ziemlich lange, und sein Bericht würde in zwei weltbekannten Magazinen und in mehreren Fortsetzungen erscheinen.

Sie hätte mit ihm fahren können, aber sie hatte nicht gewollt. Ausgerechnet Alaska. Nein, nur nicht dieses Land, in dem es eigentlich immer kalt war, das allerdings auch sehr schön sein konnte — während des kurzen Sommers.

Sie war in London geblieben, denn sie hatte seit längerem Probleme. Angst quälte sie. Angst konnte schlimm sein. Viele Menschen bekamen Angst. Grundlos oft, und die Angst machte auch keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Sie traf beide Geschlechter. Sie traf Professoren ebenso wie Stromer, Hausfrauen und Managerinnen. Sie war allgegenwärtig und schlug urplötzlich zu. Von einer Sekunde zur anderen. Sie kettete die Menschen fest und machte aus ihnen willenlose Bündel.

Gesunde Personen verkrochen sich, weinten, schrien, fielen in tiefe Depressionen. Dann bestand Selbstmordgefahr.

Eine Zivilisationskrankheit sagten die einen, ein Fluch der Übersättigung die anderen. Ein Ergebnis der technisierten Welt, in der die Menschlichkeit und der Mensch nicht mehr zählten. Da schlug die Psyche eben brutal zurück.

Das alles konnte sein, musste aber nicht, denn auch die Fachleute waren oft genug ratlos. Neurologen und Psychotherapeuten beschäftigten sich mit Angstphobien, und jetzt auch Sheila Conolly! Sie war Betroffene!

Warum?

Immer wieder hatte sie sich diese Frage gestellt. Warum gerade ich? Was habe ich getan? Was ist in meinem Leben falsch gelaufen? Sie wusste es nicht, so sehr sie sich auch hinterfragte. Bisher hatte sie noch keinen Arzt aufgesucht, aber sie würde es bestimmt tun, wenn die Anfälle nicht bald verschwanden.

Sie hatte diese Depressionen nicht erst seit Tagen. Schon seit längerer Zeit litt sie darunter. Sie und ihr Mann hatten verzweifelt nach den Gründen gesucht und ihrer Meinung nach auch Erklärungen gefunden.

Es konnte durchaus an dem liegen, was sie in der Vergangenheit erlebt hatten.

Es hatte keinen Sinn, wenn Sheila all die schrecklichen Dinge Revue passieren ließ, die ihr und der Familie widerfahren waren. Aber sie musste zugeben, dass ihr Leben einem Labyrinth glich, in dem sie sich bewegte. Hinter jeder Ecke oder Mauer konnte eine neue Gefahr lauern, und die unbestimmte Furcht davor lastete auf ihr wie Ballast.

Was tun?

Sheila hatte einiges versucht, sie hatte auf Naturheilmittel zurückgegriffen, aber ohne Erfolg. Die Angst war nicht permanent vorhanden. Mal war sie weg, dann war sie plötzlich wieder da und radierte alles andere aus, was Sheilas normale Umgebung ausmachte.

So wie jetzt!

Die Angst kam nicht grundlos, das wusste Sheila genau. Das sagten alle Experten, aber auch sie mussten passen, wenn direkt nach den Gründen gefragt wurde.

Natürlich gab es Theorien. Die schlechte Kindheit, in der ein Mensch sehr unter dem Druck seiner Eltern gelitten hatte. Sheila überlegte natürlich, ob das auch bei ihr der Fall gewesen war. Sie hatte vor Jahren Bekanntschaft mit dem Dämon Sakuro gemacht. Dabei hatte sie auch ihren späteren Mann kennengelernt. Durch ihre Freundschaft mit dem Geisterjäger John Sinclair waren sie in die schrecklichsten Situationen hineingeraten, allerdings auch immer wieder unversehrt herausgekommen. Doch irgendetwas blieb stets hängen, davon ging Sheila jetzt aus, auch wenn sie es nicht merkte.

Sie dachte an Johnny, ihren Sohn. Und sie dachte auch an Nadine Berger, die ehemalige Wölfin, die wieder zurück in einen Menschen verwandelt worden war und nun auf der geheimnisvollen Nebelinsel Avalon lebte.

Viel hatte die Familie Conolly erlebt und überstanden. Sheila gab auch zu, dass sie im Prinzip ein ängstlicher Mensch war. Oder besser gesagt, ein vorsichtiger. Ihr war es nie recht gewesen, wenn sich ihr Mann Bill mal wieder in lebensgefährliche Situationen begeben hatte. Dann hatte auch sie Ängste durchlitten.

Doch es gab keine wirkliche Erklärung. Die Angst war vorhanden, sie musste mit ihr fertig werden. Wenn sie es nicht allein schaffte, dann musste ihr jemand helfen. Bill oder ein anderer Mensch.

Sheila kam nicht mehr zurecht. Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte.

Sie hatte mal in einem Buch gelesen, dass der Mensch seine Angst annehmen müsse. Sie solle ihn begleiten, wie ein treuer Hund, damit er sich irgendwann an sie gewöhnen könne.

Sheila war nicht davon überzeugt, sie ging davon aus, dass sie sich auf keinen Fall an diesen Zustand gewöhnen konnte. Dazu war er einfach zu unnormal. Sie würde so nicht mehr weiterleben können, das war unmöglich.

Wie sollte es dann enden? In einer Nervenheilanstalt? Mit Selbstmord?

Nein, nein, auf keinen Fall.

Oder doch?

War der Freitod nicht besser? Waren dann nicht alle Ängste für immer verschwunden?

Darauf konnte Sheila keine Antwort geben. Zudem wollte sie es auch nicht. Je mehr sie sich mit diesem Thema beschäftigte, umso stärker wurde sie wieder in den Strudel hineingezogen, weil sie für sich einfach keine Lösung sah.

Sie musste allein damit fertig werden. Zumindest, bis ihr Mann Bill von seiner Reise zurückkehrte. Dann würde sie noch einmal eine Lösung suchen. Unter Umständen auch zusammen mit einem Fachmann, der etwas von diesem Thema verstand.

Ansonsten wusste sie auch nicht, wie es weitergehen sollte. Da war sie als Einzelperson überfragt.

Mit Bill hatte sie über ihren Geisteszustand gesprochen, mit John Sinclair nicht. Zumindest nicht so direkt und intensiv. Sie hatte es hin und wieder angedeutet, denn sie wollte den besten Freund, der wirklich viel um die Ohren hatte und nicht grundlos Geisterjäger genannt wurde, nicht mit ihren Problemen belasten. Möglicherweise aber würde er irgendwann doch eingreifen müssen. Dieser Dämon oder Killer im Kopf konnte durchaus zu einem Fall werden.

Die Anfälle waren nicht vorhersagbar. Sie kamen manchmal morgens, wenn sie erwachte. Da überfiel es sie, da merkte sie, wie ihr Herz wild klopfte und ihr der Schweiß aus allen Poren trat. Die Furcht war dann so stark, dass sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Liegenbleiben, weglaufen, schreien oder toben, das alles kam ihr in den Sinn und wurde überdeckt von einer bohrenden und brutalen Furcht.

Sie konnte dann nichts essen, kaum etwas trinken. Die Angst verband sich mit einer starken Unruhe, die sie nicht kontrollieren konnte. Überhaupt war es schwer, die Psyche zu kontrollieren. Sie hatte es versucht und hatte später feststellen müssen, dass Psyche und Verstand zwei völlig verschiedene Dinge waren. Die eine Seite schaffte es nicht, die andere zu kontrollieren. Die Psyche wurde nicht vom Verstand beeinflusst, der Verstand nicht von der Psyche. Das hatte Sheila auch nachgelesen.

Fest stand nur, dass sie das Opfer einer schrecklichen und bohrenden Angst war.

Sie bohrte in ihrem Magen. Sie stach in ihren Körper hinein. Sie ließ sie so reagieren, wie sie es nie für möglich gehalten hatte, und sie konnte ihre Reaktionen nicht erklären.

Wie oft hatte sie allein gesessen und war in tiefe Depressionen verfallen. Des Öfteren befand sich ihr Mann Bill zwar im Haus, aber er war für sie nicht da.

Außerdem hatte sie Bill nicht alles erzählt. Nichts von ihren schrecklichen Vorstellungen, von den Bildern und Vergleichen, die ihr in den Kopf kamen.

Sah sie in ihrem Zustand ein Kind, so dachte sie daran, dass es ja doch keinen Sinn hatte, wenn dieses Kind lebte, weil es irgendwann ohnehin sterben musste. Sie sah es dann in einem offenen weißen Kindersarg liegen, geschmückt mit Blumen. Und sie sah die weinenden Eltern um den Sarg herumstehen, wobei über ihren Köpfen eine dunkle Wolke schwebte, aus der hervor das Gesicht des knöchernen Todes grinste.

Es waren auch noch andere Dinge in ihrer Fantasie passiert. Sie und ihr Mann wurden des Öfteren eingeladen. Und auf derartigen Festen hatte Sheila plötzlich gesehen, wie sich die Anwesenden veränderten. Da waren sie zu fürchterlichen Wesen geworden, plötzlich hatte sich das Fleisch von ihren Knochen gelöst, als grauschwarze, leicht verfaulte Masse. Nur die blanken Knochen waren zurückgeblieben, wobei sich die Öffnungen wie Münder und Nasen mit feuchter Graberde gefüllt hatten, in der sich Käfer und Würmer bewegten.

Schrecklich war so etwas. Furchtbar, kaum zu ertragen. Sie hätte bei diesen Bildern die Feiern und Partys am liebsten fluchtartig verlassen. Aber sie war doch stets geblieben und hatte nur versucht, sich in eine stille Ecke zu drücken, um sich dort mit ihren eigenen Problemen auseinanderzusetzen.

Mit ihren eigenen Problemen?

Sheila musste trotz ihres Anfalls lachen, als sie daran dachte. Die Vergangenheit steckte einfach zu tief in ihr.

Dieser Anfall glich den anderen aufs Haar. Das Zittern, der Schweißausbruch. Die empfundene Enge im Fahrzeug. Es war schlimmer als in einer Zelle. Sie musste weg, sie musste raus, aber sie traute sich nicht, die Tür des Porsche zu öffnen und zu fliehen.

Sie blieb sitzen. Umgeben von ihrem eigenen Atem, der keuchend über ihre Lippen floh. Nicht nur das Gesicht, ihr gesamter Körper war in Schweiß gebadet!

Wo sollte das noch enden? Tatsächlich im Freitod?

Die Gedanken daran stiegen immer öfter in ihr hoch. Das Schlimme daran war, dass sie sich nicht mal erschreckte, als hätte sie sich schon daran gewöhnt oder wäre innerlich dabei, sich darauf vorzubereiten. Sheila war beinahe so weit, dass sie den Tod schon als Erlösung in Betracht zog. Darüber hatte sie mit ihrem Mann nie gesprochen. Sie hatte versucht, diese Dinge mit sich selbst auszumachen.

Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken.

Sheila tat zuerst nichts. Sie glaubte an eine Einbildung, aber das Klopfen wiederholte sich, und sie hörte auch die Stimme eines Mannes. Nicht weit von ihr und an der rechten Seite.

Sie drehte den Kopf.

Der Mann hatte sich gebückt. Und er trug die Uniform eines Polizisten, Sheila sah in sein Gesicht mit dem besorgten Ausdruck, und sie sah auch das Zeichen mit der Hand, das der Mann machte.

Sie verstand.

Wenig später fuhr die Scheibe nach unten. Zwischen ihr und dem typischen Londoner Bobby gab es keine Grenze mehr. Der Polizist grüßte und lächelte Sheila an. »Guten Tag, Madam.«

Sie nickte zurück. Dabei versuchte sie, ein Lächeln zu produzieren, was ihr allerdings schwerfiel. »Habe ich etwas falsch gemacht, Officer?«

»Nein, auf keinen Fall, aber Sie sind mir trotzdem aufgefallen.«

Sheila strich eine Strähne des blonden Haars zurück und spürte, dass sie feucht war. »Warum interessieren Sie sich dann für mich, Officer?«

»Wie soll ich es sagen?« Der Mann lächelte. Er gehörte zu der gütigen Art, was auch seinem Gesicht anzusehen war. »Sie haben auf mich den Eindruck gemacht, als hätten Sie Sorgen. Schwere Sorgen sogar. Große Probleme, mit denen Sie nur schwerlich zurechtkommen. Sie sind etwas — pardon, ist Ihnen nicht gut?«

»Da haben Sie recht.«

»Wusste ich es doch.« Die Stimme klang irgendwie zufriedener. »Soll ich einen Arzt rufen?«

»Nein, auf keinen Fall.« Sheila versuchte mit allen Mitteln, das Zittern zu unterdrücken. Sie hielt das Lenkrad dabei fest, als könnte es ihr Leben retten. »Sie haben recht. Mir war ein wenig unwohl. Ich muss wohl etwas Falsches gegessen haben.«

Der Bobby nickte. »Ja, das passiert schon mal. Kenne ich von mir und meiner Familie. Haben Sie es denn noch weit bis zu Ihrem Ziel?«

»Nein, das nicht.«

»Wenn Sie wollen, fahre ich Sie nach Hause.«

Ruhig, ganz ruhig, hämmerte sich Sheila ein. »Das ist zwar sehr nett gemeint, Mister, aber das brauchen Sie wirklich nicht. Ich bin schon in Ordnung, und ich werde die paar Meter auch allein fahren können. Mein Zustand hat sich schon gebessert.«

»Tatsächlich?«

»Wenn ich es Ihnen sage!«

»Gut, Madam, dann nichts für ungut.« Der Beamte grüßte und ging davon. Sheila blieb allein zurück. Sie sah den Mann noch im Außenspiegel, und schwere Atemzüge drangen aus ihrem Mund, die plötzlich endeten, weil Sheila von einem regelrechten Weinkrampf geschüttelt wurde. Sie konnte nichts dagegen tun. Die Tränen flossen wie Sturzbäche aus ihren Augen, und dies war ebenfalls nicht neu für sie. Das überfiel sie häufig während der tiefen Angst- und Depressionsphasen. Sie kannte es, nur sie kam damit nicht zurecht.

Nach vorn gebeugt saß Sheila im Wagen. Sie schüttelte den Kopf. Sie weinte. Die Hände verdeckten ihr Gesicht, und es dauerte Minuten, bis sie in der Lage war, die Arme wieder fallen zu lassen und nach vorn zu schauen. Sie musste zugeben, dass der Bobby recht behalten hatte. In ihrem Zustand konnte sie nicht fahren. Sie musste noch einige Minuten warten. Das Fenster hatte sie nicht wieder hochfahren lassen, und durch die Öffnung drang ein kühler Lufthauch, der ihr Gesicht berührte.

Aus der Tasche holte sie ein Tuch, putzte die Tränen ab und schnäuzte sich. Sie knüllte das Taschentuch zusammen, schüttelte den Kopf und flüsterte: »Das halte ich nicht aus. Das stehe ich nicht mehr durch. Ich, ich werde noch verrückt!«

Sie stöhnte und hustete. Sie holte etappenweise Luft. Ihre Kehle war eng geworden. Ohne dass sie es wollte, sank ihr Körper nach vorn, und mit der Stirn berührte sie das Lenkrad.

Abwarten. Einige Minuten noch. Aus Erfahrung wusste sie, dass es ihr nach dem Schluchzen besser ging. Dann würde wieder alles normal laufen. Der Anfall ebbte ab, aber der nächste würde folgen.

Sheila wischte ihre Augen trocken. Sie konnte unmöglich warten, bis sie wieder völlig okay war. Der Bobby drehte seine Runden, er würde in einigen Minuten wieder hier vorbeikommen und sich wundern, dass sie noch immer auf demselben Fleck stand.

Die Frau sprach mit sich selbst. »Ich bin okay, verdammt noch mal! Ich bin okay! Nichts kann mich aus der Bahn werfen. Ich bin gut. Ich werde und ich muss es schaffen. Ich bin kein Kind mehr. Ich bin erwachsen. Ich kann tun und lassen, was ich will. Es ist alles gut.«

Sie redete es sich ein. Zwar fühlte sie sich nicht besser, aber der ganz starke Druck war verschwunden. Sie nahm die Dinge wieder normal wahr. Die Angst hatte sich zurückgezogen. Zwar war sie da, aber der Ring war nicht mehr so fest.

Sheila startete.