John Sinclair Sonder-Edition 179 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 179 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Über lange Zeit hinweg war Mephisto der personifizierte Fluch des Donau-Deltas gewesen. Seine Gier nach Blut war unersättlich, denn er gehörte zu den Vampiren der alten Art. Bis Frantisek Marek erschien. Doch selbst der Pfähler konnte den Untoten nicht endgültig vernichten, dem schließlich sogar die Flucht nach England gelang. Ein neues Land, neue Menschen und vor allem frisches Blut warteten hier auf die Bestie. Aber auch zwei unerschrockene Männer, die aus Rumänien eine Warnung erreicht hatte - Suko und ich!


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Inhalt

Cover

Er trank das ewige Leben

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Er trank das ewige Leben

von Jason Dark

Über lange Zeit hinweg war Mephisto der personifizierte Fluch des Donau-Deltas gewesen. Seine Gier nach Blut war unersättlich, denn er gehörte zu den Vampiren der alten Art.

Bis Frantisek Marek erschien. Doch selbst der Pfähler konnte den Untoten nicht endgültig vernichten, dem schließlich sogar die Flucht nach England gelang. Ein neues Land, neue Menschen und vor allem frisches Blut warteten hier auf die Bestie.

Aber auch zwei unerschrockene Männer, die aus Rumänien eine Warnung erreicht hatte – Suko und ich!

Es roch nach Verwesung, nach Unrat, Schlamm, Gift und Chemie.

Und es roch nach Tod! Zumindest für Frantisek Marek, der seinen alten VW-Käfer hatte stehenlassen müssen, um in einem geliehenen Kahn an sein Ziel zu gelangen.

Gern war Marek nicht im Mündungsdelta der Donau unterwegs. Aber er war nun mal gerufen worden, denn die Zeit war reif für die Vernichtung des Bösen.

Wer hier lebte, war arm und von der Welt vergessen worden. Dubiose Firmen, die sich auf Müll-Tourismus spezialisiert hatten, nutzten die Armut dieser Leute brutal aus.

Marek sah das Zeug nicht, er roch es nur. Mal stank es bitter, dann brachte der schwüle Juli-Wind einen modrigen oder einen süßlichen Gestank mit.

Das Land war weit. In diesem riesigen Delta hätte sich eine Armee verstecken können. Eine flache Landschaft aus Wasser und Inseln und Halbinseln. Eine Brutstätte für Insekten, unter denen sich auch die Malaria-Mücke befand. Schilf, Sumpf, die zahlreichen Arme der Donau und versteckt darin die schäbigen und vergessenen Dörfer, in denen die Menschen nur mehr dahinvegetierten, denn mit dem großen Fischreichtum war es längst vorbei. Was die Leute heute fingen, war verseucht und schadete nur der Gesundheit. Trotzdem versuchten es die Bewohner immer wieder. Wer konnte es ihnen verdenken? Sie mussten ja irgendwie überleben!

In den letzten beiden Jahren hatte sich in dieser Gegend ein weiteres Gespenst ausgebreitet, von dem man eigentlich überzeugt gewesen war, dass es diese Krankheit in Europa nicht mehr gab. Ein Irrtum, wie sich herausgestellt hatte, denn die Cholera war zurückgekehrt und hatte schon erste Opfer gekostet. Die hygienischen Zustände waren katastrophal, die wenigen Ärzte überlastet, und die Verwaltung verschwieg die Probleme. Die Menschen sollten angeblich nicht verunsichert werden.

Das alles wusste Frantisek Marek, aber er war trotzdem in diese Hölle gekommen. Er musste es tun, denn das war er einem alten Bekannten und Freund schuldig. Der Mann hieß Negru. Sie waren schon in der Jugend zusammen gewesen und hatten einiges erlitten und erlebt. Das kommunistische Regime hatte ihnen nie gefallen, und sie waren auch offen dagegen angetreten. Man hatte sie gefasst, eingesperrt, verhört, und sie waren mit Blessuren an Körper und Seele aus dem Gefängnis entlassen worden. Aber man hatte sie nicht brechen können.

Negru war schließlich in das Delta gezogen. Er hatte eine Frau aus dieser Gegend geheiratet und wollte ein ruhigeres Leben führen. Das war ihm auch jahrelang gelungen, aber nun brauchte er Hilfe. Eine besondere Hilfe, denn er wusste, dass Frantisek Marek ein Schicksal hinter sich hatte, wie es wohl kaum ein zweites gab.

Beide Männer hatten sich oft geschrieben. Aus den Briefen hatte Negru erfahren, welcher Aufgabe Marek, den man den Pfähler nannte, nachging.

Er war ein Vampirhasser, ein Vampirjäger. Er war jemand, der sich geschworen hatte, die Blutsauger zu vernichten, wo immer er ihrer habhaft werden konnte.

Erfolge hatte Marek einige erzielen können, aber auch trauriges Lehrgeld zahlen müssen. Marie, seine Frau, war vor Jahren zu einem Opfer der Blutsauger geworden.

Daran wollte Marek nicht mehr denken, obwohl es ihm immer wieder in den Kopf kam. Und gerade in derartigen Augenblicken wurde sein Hass noch größer, dann pulste die Energie durch seinen Körper und ließ ihn um Jahre jünger erscheinen.

Auf den Kanälen des Deltas war er nicht allein unterwegs. Immer wieder sah er die Boote der Fischer, die sich weit entfernt durch die etwas tieferen Gewässer schoben. Manchmal durch ein schlaff hängendes Segel angetrieben oder von Motorkraft. Wie sich bewegende Scherenschnitte in dunstiger Luft tuckerten die Wasserfahrzeuge vorbei.

Schilf filterte ein wenig die braune Brühe, und oft genug stieß der Kahn mit Treibholz zusammen.

Die Luft war schwül und schwer, aber ideal für die unzähligen Insektenarten, die hier ihre Lebensräume gefunden hatten. Oft genug hörte Marek das harte Schnarren der großen Libellen, die wie kleine Raketen durch die Luft jagten.

Hin und wieder erschien auch das Maul eines Fisches an der Oberfläche. Es sah aus, als müsste das Tier nach Luft schnappen, wenn es sein Maul bewegte. Es war eben ein Überlebenskünstler in dieser schon verseuchten Welt.

Es gab auch zwei Orte im Delta, die allerdings auf keiner Karte zu finden waren. In einem dieser primitiven Hüttendörfer lebte Mareks Freund Negru.

Frantisek wusste, wohin er seinen Kahn bewegen musste. Man hatte ihm alles aufgezeichnet. Seine Sorge bestand nur darin, dass er den Ort noch vor Anbruch der Dunkelheit erreichen musste, deshalb ruderte er schneller. Er war durch und durch nass geschwitzt. Aber Marek war zäh wie Leder. Die Zeichen der langen Lebensjahre hatten sich tief in sein Gesicht eingegraben, das mittlerweile an eine Landkarte erinnerte. Sein Haar war dunkelgrau geworden und von helleren Strähnen durchzogen.

Aus der Ferne wirkte er wie ein alter Mann. Nur wer ihn genauer anschaute und in die hellen Augen blickte, der erkannte, welch eine Energie in diesem Mann steckte, und dass er sich noch lange nicht zum alten Eisen gehörig fühlte. Die Jagd würde für ihn erst mit seinem Tod beendet sein.

Eine besondere Jagd. Die Jagd nach den Geschöpfen der Finsternis, nach den Wiedergängern, den uralten Blutsaugern, den Vampiren.

Dafür war er bekannt, und deshalb wurde er auch Marek, der Pfähler, genannt, was sein Freund Negru wusste. Marek war auf dem Weg zu ihm, um einen dieser Blutsauger zu jagen, der sich hier im Delta aufhalten sollte.

Negru wusste mehr. Sein Brief war ein Hilferuf gewesen, und der Pfähler hatte sich auf den Weg gemacht. Wo er helfen konnte, da half er, selbst, wenn es dabei immer um sein Leben ging. Er spürte den Druck der neuen Waffe an seiner Brust. Er besaß sie noch nicht lange, aber sie war ungemein wichtig.

Es war das Vampirpendel. Ein geheimnisvoller Stein, auf dessen Oberfläche das alte Gesicht der Zigeunerin Zunita zu sehen war. Mit diesem Pendel war Marek in der Lage, die Blutsauger aufzuspüren, und er hütete es ebenso wie seine eigentliche Waffe, den vorn zugespitzten Eichenpflock, der schon so manchem Blutsauger den Garaus gemacht hatte.

Der Kahn schwankte. Marek glitt durch den trüben Dunst. Die Sonne stand wie ein schräg liegender heller Teller am Himmel. Ein böses, heißes Auge, das auf die Welt glotzte, als wollte es sie verdampfen.

Vögel zogen träge durch die Luft. Sie sahen so grau aus, sie wirkten so müde und schienen sich der Umgebung anzupassen, die vor sich hinsiechte.

Der breite Schilfgürtel sah für den Pfähler undurchdringlich aus. Aber er war es nicht, denn beim Näherkommen entdeckte Marek eine Lücke, die jemand geschlagen hatte, und er stakte den Kahn in diesen schmalen Kanal hinein.

Er hörte die lauten Geräusche der Wasservögel, und er fragte sich, was sie zu bedeuten hatten.

Etwas schlug von unten her gegen den Kahn. Marek fuhr weiter, denn wo er auch hinschaute, er sah nur diesen Wald aus Schilf. Aber er musste ihn durchqueren, das hatte ihm sein Freund geschrieben, denn hinter dem Gürtel lagen die wenigen Hütten, da war das Land trocken, da konnten die Fischer leben, die mit ihren Booten bis hinaus aufs Schwarze Meer fuhren.

Einen Landweg gab es auch. Der aber war nur mit Geländewagen zu befahren, der VW hätte es wohl nicht geschafft. Es war wirklich nicht angenehm, in einem Schlammloch zu versinken oder steckenzubleiben.

Frantisek Marek wusste, dass er es pünktlich schaffen konnte. Immer wieder stach er den Stab in die Brühe. Er hatte sich an das Scheuern des Schilfs und der Rohre an der Außenwand gewöhnt. Ebenso an die Protestschreie der Vögel, die er auf seiner Reise durch das Schilf störte, das allmählich an Dichte verlor.

Marek schwitzte. Er fühlte sich verdreckt, und es gab keine Stelle an seinem Körper, die nicht von einem Schweißfilm bedeckt gewesen wäre, aber darauf achtete der Pfähler schon lange nicht mehr, und über sein Gesicht huschte sogar ein Lächeln, als er die Umrisse der Häuser auftauchen sah.

Da war sein Ziel!

Der Pfähler atmete auf. Er sah nicht nur die Häuser, er sah auch die Boote der Fischer im Wasser liegen und stellte fest, dass hier wieder mehr Platz war, deshalb setzte er sich und ruderte wieder. Über ihn wischten mit lauten Protestschreien Möwen hinweg. Sie waren auf der Suche nach Futter, lebten auch von den Abfällen der Menschen, aber am liebsten fraßen sie Fische. Da diese durch all den Müll aber vergiftet waren, konnten auch die Vögel nicht gesund sein. Ein tödlicher Kreislauf.

Die wenigen Häuser sahen aus, als würden sie auf dem Wasser schwimmen. Vor, zwischen und über ihnen waberte der Dunst, und der Himmel schien sie erdrücken zu wollen.

Auch die Boote bewegten sich nicht. Sie sahen aus, als wären sie in diese Kulisse hineingemalt worden. Menschen entdeckte Marek nicht, und so kam ihm das Bild vor wie eine leere Theaterkulisse.

Er irrte.

Schon bald wehten erste Geräusche über das flache Gewässer. Stimmen, auch Musik aus einem Radio. Die Oberfläche sah aus wie ein grüner Spiegel, auf dessen trüber Oberfläche sich hin und wieder ein vereinzelter Sonnenstrahl verlor.

Aus südlicher Richtung tuckerte ein Boot heran. Es bewegte sich kaum schneller als Marek in seinem Kahn, der die harte Ruderarbeit schon in seinen Armen und Schultern spürte, aber nicht aufgeben wollte. Er suchte nur eine Stelle, wo er anlegen konnte.

Pfähle schauten aus dem Wasser. Alte Autoreifen sorgten dafür, dass die Boote bei höherem Wellengang nicht zerschlagen wurden.

Der Pfähler richtete sein Augenmerk auf die freie Anlegestelle zwischen den kleineren Booten. Er suchte dabei auch das Ufer ab.

Er entdeckte zwei Holzhäuser, die aussahen wie Schuppen. Eine Tür stand offen, und Musik war zu hören. Im Schuppen bewegten sich mehrere Gestalten. Wahrscheinlich waren sie dabei, etwas zu reparieren oder Netze zu flicken. Marek suchte seinen Freund und dachte daran, dass er ihn seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Aber sie würden sich erkennen, das stand fest. Irgendwie gab es noch immer das Band zwischen ihnen.

Der Kai rückte näher. Da auch das andere Boot anlegen wollte, geriet Mareks Kahn in den Bereich der Wellen und fing an zu schaukeln. Das hörte erst auf, als Marek in die Lücke zwischen den kleinen Booten hineinfuhr. Der flache Bug prallte gegen einen Reifen. Marek zurrte das Seil um den Poller. Ein einfacher Seemannsknoten folgte. Dann warf er die alte Reisetasche aufs Trockene und stieg aus dem Kahn. Da sah er auch schon den Mann. Der stand da und hatte ihn beobachtet. Marek wusste nicht, woher er gekommen war, doch beim ersten Anblick bereits spürte er ein gewisses Kribbeln in den Adern, holte tief Luft, schluckte noch einmal und fragte flüsternd. »Negru?«

Der Mann nickte.

Marek wollte lächeln, doch seine Mundwinkel zuckten nur, als er sah, dass sein Freund weinte.

»Marek, mein Gott, du bist hier!«

Einen Moment später lagen sich die beiden Männer in den Armen, und auch der Pfähler konnte seine Tränen nicht zurückhalten ...

Jetzt waren sie wieder zusammen, aber es war nicht mehr so wie früher, als beide noch zur jüngeren Generation zählten. Dennoch spürte jeder die Freundschaft des anderen. Sie hatten auch nicht viel zu sagen sie standen nur da, schauten sich an, wirkten ein wenig verlegen, bis Negru sagte: »Auch du hast dich verändert.«

»Das bringt die Zeit mit sich.«

Negru nickte. »Wir alle haben uns verändert, denke ich. Sowohl äußerlich als auch innerlich.«

»Das stimmt.« Marek schaute seinen Freund an, der größer war als er und ziemlich müde aussah. Vielleicht auch traurig und vom Leben enttäuscht. Sein Haar war schütter geworden, das Gesicht hager, unter den müde wirkenden Augen hatten sich Tränensäcke gebildet, das Kinn wirkte eingefallen, und der Mund sah aus wie eine verlebte Blüte. Er trug ein weißes Hemd ohne Kragen, eine alte Hose, die von dünnen Trägern festgehalten wurde. Seine Füße steckten in dicken Schuhen, die ziemlich schmutzig aussahen.

»Jedenfalls bist du da«, sagte der alte Freund. »Das gibt mir wieder etwas Hoffnung.«

»Die brauchst du auch«, erwiderte der Pfähler.

»Wieso?«

»Man sieht es dir an.«

Negru winkte ab. »Das Leben ist mit mir nicht eben freundlich umgegangen. Es war nicht mal eine Achterbahn, wie man so schön sagt. Ich habe fast immer im Tal gesteckt. Ich sitze auf dem Grund und komme nicht mehr hoch.«

»Darf ich dir helfen?«

»Gern.«

Marek deutete auf seine Tasche. »Wo wohnst du?«

»Komm mit, aber erwarte nicht zu viel. Du hast sicherlich gesehen, wie es hier in der Gegend aussieht. Damit kann man nicht angeben, denke ich, nein, das kann man nicht.«

Er ging, und Marek folgte ihm. Frantisek zeigte sich über den Zustand seines Freundes erschüttert. Dass es ihm so schlecht ging, damit hatte er nicht rechnen können.

Beide gingen an den Schuppen vorbei und sahen vor sich das Dorf liegen.

Einen grauen, namenlosen Ort, der die Bezeichnung Dorf nicht verdiente, denn es war kaum mehr als eine Ansammlung alter Hütten.

Keine Farbe, alles war grau. Keine Straßen, nur unbefestigte Wege.

»Hier lebe ich«, sagte Negru. Er deutete nach vorn. »Siehst du dort die Bäume, die aussehen wie gepudert und ihr Grün längst verloren haben?«

»Ja.«

»Dort steht mein Haus.«

Marek ging weiter. Er sah auch Menschen. Zumeist ältere Personen. Zwei Frauen kamen ihnen entgegen, die mit Wasser gefüllte Eimer schleppten. Ihre Gesichter sahen aus wie die von alten Statuen, wie man sie in manchen Kirchen findet.

Dieses winzige Dorf im Delta wirkte so, als hätte der Tod bereits seine Knochenhände nach ihm ausgestreckt.

Schlimm war auch der Geruch. Da gab es nicht einen Hauch von Frische. Zwischen den Hütten lag der Gestank wie eine Mauer. Es roch nach Fäulnis und irgendwelchen Schwefelverbindungen, die sich einfach nicht verflüchtigen konnten, weil der Wind nicht wehte.

»In diesem Sommer war es besonders schlimm. Es war einfach zu heiß, Frantisek. Die Mücken haben sich stark vermehrt. Es ist eine Seuche zurückgekehrt, wie ich hörte, aber sie hat unseren Ort zum Glück noch nicht erreicht. Aber sicher bin ich mir da nicht. Es gibt einige Kranke, die man in den Hütten versteckt.«

»Gibt es hier auch jüngere Menschen?«

»Nur wenige, sehr wenige.«

»Die meisten sind weg, wie?«

»Ja, sie arbeiten im Norden und versuchen dort, ihr Geld zu verdienen. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht. Die Fische werden auch immer weniger, aber das ist dir sicherlich bekannt. Man ist dabei, die Welt zu zerstören, und hier haben wir ein besonders verheerendes Beispiel. Aber was willst du machen? Das Land ist arm, man hat uns vergessen. Der einzige Begleiter ist die Angst.«

»Die Angst vor der Zukunft?«

»Nein, nicht so direkt. Aber das werde ich dir später erklären. Komm erst mal rein.«

Marek blieb stehen. »Ist das deine Hütte?« Er deutete auf einen schmalen, grauen Bau, der den Namen Haus kaum verdiente. Es war das letzte Haus des Ortes. Zu ihm gehörte ein Grundstück, auf dem Negru versucht hatte, etwas anzubauen. Gemüse und Kartoffeln, aber kein Obst. Die Sonne leuchtete in den Dunst zwischen den Bäumen hinein und schuf dort eine hellere Welt.

»Enttäuscht, Frantisek?«

»Nun ja, ich wohne auch nicht sehr viel besser.«

»Nur wenigen geht es gut. Wir sind eben nicht schlecht genug für diese Welt. Trotzdem bist du herzlich willkommen. Komm rein!« Negru öffnete die Tür mit einem Fußtritt.

Der Pfähler hatte bisher nicht nach dem eigentlichen Grund für den Hilferuf gefragt. Aus dem Brief war nur hervorgegangen, dass sich Negru in Schwierigkeiten befand, die er einem normalen Fremden nicht erklären konnte, weil sie wohl unglaublich waren. Marek ging davon aus, dass diese Schwierigkeiten mit seiner Mission zusammenhingen, aber er wollte erst den Bericht seines Freundes abwarten.

Das kleine Haus bestand aus einem einzigen Raum im Erdgeschoss. Eine Treppe führte hoch zum Dach, und Negru wies auf die schmutzigen Tritte. »Dort oben schlafe ich.«

»Aha. Allein?«

»Wie meinst du?«

Marek stellte seine Reisetasche neben den Küchentisch, wo sich auch eines der beiden kleinen Fenster befand. Dann ließ er sich auf einem Stuhl nieder. »Bist du nicht verheiratet?«

Sein Freund stemmte die Hände auf die Tischplatte. »Ich war es, Frantisek, ich war es. Aber meine Frau hat sich umgebracht. Sie konnte das Elend nicht mehr ertragen.«

»Das tut mir leid.«

Negru winkte ab. »Es braucht dir nicht leid zu tun, Frantisek. Ich bin fest davon überzeugt, dass sie es jetzt besser hat. Sie ist ins Wasser gegangen. Einfach so. Sie hat sich ertränkt.« Er hob die Schultern.

»Und weiter?«

»Nichts.«

»Hast du Kinder?«

»Zwei Töchter.«

»Was ist mit ihnen?«

»Auf sie komme ich gleich zu sprechen. Aber ich werde uns erst etwas zu trinken holen, denn was ich dir sagen werde, ist verdammt schlimm und nicht leicht zu verkraften.«

»Hast du auch etwas zu essen?«

»Ja, natürlich. Brot?«

»Gern.«

Negru öffnete die linke Tür des alten Küchenschranks, an dem der gelbliche Lack zum größten Teil abgeblättert war. Er holte Brot hervor, eine Dauerwurst, ein Messer und störte sich auch nicht an den kleinen Fliegen, die aus dem Schrank flogen und sich im Raum verteilten, wo auch viele andere Insekten eine Heimat gefunden hatten. So lief ein dicker Käfer an Mareks rechtem Fuß entlang.

In der Ecke stand ein alter Ofen. »Soll ich dir einen Tee kochen, Frantisek?«

»Nein.«

»Was Kaltes?«

»Das wäre besser.«

»Gut.« Negru bückte sich. Er hob eine Klappe an. Ein Loch war im Boden zu sehen. An der Innenseite hing eine Stange, die an ihrem unteren Ende mit einem Haken versehen war. Mit seiner Hilfe zog der Mann einen Eimer hoch, in dem vier Flaschen standen. »Es ist polnisches Bier«, sagte Negru. »Ich habe es besorgen können, und hier unten bleibt es einigermaßen kühl.« Er stellte die vier Flaschen auf den Tisch, nachdem er die Klappe geschlossen hatte. »Willst du noch einen Schnaps?«

»Später vielleicht.«

»Gut.«

Sie saßen sich am Tisch gegenüber. Marek fing damit an, Brot und Wurst zu schneiden. Er hatte Hunger, auch Durst, und das Bier trank er aus der Flasche.

Negru schaute ihm zu. »Beinahe ist es wie früher«, sagte er. »Aber nur beinahe.«

»Stimmt.« Marek kaute und nickte. »Wir sind beide älter geworden, mein Freund.«

»Nicht nur das.«

Der Pfähler hob die Schultern. Er würde später fragen, was Negru auf dem Herzen hatte. Er hatte lange gewartet, und er würde auch noch länger warten können. Er machte sich auch Gedanken über die Umgebung und sagte mit leiser Stimme: »Es ist mir so vorgekommen, als hätte ich in einem toten Ort angelegt.«

Sein Gegenüber nickte. »Ja, das stimmt. Du hast recht. Wir fühlen uns hier wie Tote. Oder wie Menschen, die nur noch versuchsweise leben, wie mal jemand richtig bemerkt hat.« Er schüttelte den Kopf. »Es ist einfach grauenhaft. Wir sind Menschen, die zuschauen, wie die Natur allmählich stirbt. Sie siecht dahin, und wir werden mit hineingezogen, ohne dass du etwas dagegen unternehmen kannst. Man hat uns überrollt. Das Land vergeht, die Menschen ebenfalls, und das Böse hat die Oberhand gewonnen. Ein Zeichen für den Beginn der Apokalypse, wie ein kürzlich verstorbener Freund noch auf dem Totenbett richtig bemerkte. Alles wird weniger. Die Fische, die Vögel, die Luft und auch die Menschen.« Mit leeren Blicken schaute er zum Tisch. »Wir können es nicht aufhalten, wir nicht. Und die Jungen sind weg. Du findest auf den Booten nur noch ältere Fischer. Viele Jüngere versuchen ihr Glück im Ausland. Heimlich, verstehst du?«

»Ja.«

»Aber deshalb hätte ich dich nicht kommen lassen, denn du kannst daran nichts ändern.« Negru zog den Korken aus der Öffnung der Schnapsflasche.

»Woran kann ich denn etwas ändern?«

Der Mann baute zwei Gläser auf und ließ sie halbvoll gluckern. »An einem Problem, über das ich jetzt mit dir sprechen werde.«

»Gut.«

»Hast du noch Hunger?«

»Nein.«

»Dann räume ich das Essen weg.« Negru verstaute alles wieder im Schrank, nur die Flaschen und die Gläser ließ er stehen.

Der Pfähler wartete. Er spürte seine Unruhe, tastete nach dem Stein des Pendels und glaubte, dass sich dort etwas tat, wo das Gesicht der alten Zigeunerin eingraviert worden war.

Noch blieb er ruhig, schaute zu, wie sich sein Freund wieder setzte und sein Glas hochhob.

Beide Männer stießen an.

»So«, sagte Negru und stellte sein Glas wieder auf den Tisch. »Jetzt werde ich reden.« Er schaute aus dem Fenster, wo die dunstige Luft an Helle verloren hatte. »Es wird auch Zeit, denke ich.«

»Um was geht es?«

»Du hast vorhin nach meinen Töchtern gefragt, Frantisek.«

»Das stimmt.«

»Sie sind tot, aber sie leben trotzdem.«

»Ach.«

Der Freund nickte. »Ja, du hast dich nicht verhört.«

Das hatte Marek sicherlich nicht, und in seinem Kopf malte er sich bereits einiges aus, denn gerade er war jemand, der genau wusste, worauf gewisse Dinge hinausliefen. Er wollte es noch nicht sagen und es vorwegnehmen.

»Das war auch ein Grund für den Selbstmord meiner Frau, denke ich mir.«

»Wieso?«

»Es geschah erst vor zwei Tagen.«

Marek schluckte. Er war jetzt nicht mehr fähig, etwas zu sagen und starrte den anderen nur an.

»Ja, es stimmt. Du bist der erste, dem ich es sage. Die anderen hier wissen es nicht.«

»Es hängt mit deinen toten und doch nicht toten Töchtern zusammen, wie du gesagt hast.«

Negru nickte schwer. »Jetzt kannst du dir sicherlich vorstellen, weshalb ich dich geholt habe. Oder nennt man dich nicht mehr den Pfähler?«

»Doch, so heiße ich noch immer.«

»Das ist gut.« Negrus Blick wurde starr. »Kannst du es auch beweisen, mein Freund?«

»Sicher.«

»Bitte, ich muss es sehen.«

Marek fasste unter seine dünne Jacke. Der Pfahl steckte in einer Schlaufe an der linken Gürtelseite. Mit einem sicheren Griff holte er die Waffe hervor und legte sie auf den Tisch, wobei die Spitze auf Negru wies. »Genügt dir das?«

»Und ob.«

»Jetzt bist du an der Reihe.« Marek steckte den Pfahl wieder weg.

Negru trank einen Schluck. Auch Marek nippte. Der Schnaps hatte es in sich, aber das kannte er von seinen eigenen selbstgebrauten Getränken. »Du wirst die Waffe brauchen.«

»Gegen deine Töchter?«

Mareks Freund schloss für Sekunden die Augen. Die dünne Haut an den Wangen zuckte. Er sah aus wie ein Mensch, der lautlos weint. »Ja, gegen meine Töchter.«

»Sie sind Geschöpfe der Nacht?«