John Sinclair Sonder-Edition 183 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair Sonder-Edition 183 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Sylt - die Ferieninsel per se, ob zur Sommer- oder auch zur Winterzeit. Dann aber verschwanden drei Menschen spurlos, und die ansässige Polizei stand vor einem Rätsel. Man bat um Hilfe, und so wurde Harry Stahl, Agent einer geheimen Behörde, auf die Insel geschickt. Doch auch er trat zunächst auf der Stelle - bis er dem Angriff eines urzeitlichen Monster-Kraken nur mit viel Glück entging. Plötzlich war aus dem idyllischen Ferienparadies eine tödliche Hölle geworden.
Harry brauchte unbedingt Unterstützung, also alarmierte er mich, John Sinclair. Unter Lebensgefahr jagten wir das Urzeit-Monstrum nun gemeinsam ...


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Inhalt

Cover

Das Urzeit-Monstrum

Vorschau

Impressum

John Sinclair ist der Sohn des Lichts.Der Kampf gegen die Mächte derFinsternis ist seine Bestimmung.

Das Urzeit-Monstrum

von Jason Dark

Sylt – die Ferieninsel per se, ob zur Sommer- oder auch zur Winterzeit. Dann aber verschwanden drei Menschen spurlos, und die ansässige Polizei stand vor einem Rätsel. Man bat um Hilfe, und so wurde Harry Stahl, Agent einer geheimen Behörde, auf die Insel geschickt. Doch auch er trat zunächst auf der Stelle – bis er dem Angriff eines urzeitlichen Monster-Kraken nur mit viel Glück entging. Plötzlich war aus dem idyllischen Ferienparadies eine tödliche Hölle geworden.

Harry brauchte unbedingt Unterstützung, also alarmierte er mich, John Si‍n‍c‍l‍a‍i‍r. Unter Lebensgefahr jagten wir das Urzeit-Monstrum nun gemeinsam ...

Es hätte alles so perfekt sein können, wäre da nicht dieses verdammt ungute Gefühl gewesen, das Harry Stahl schon seit einiger Zeit überkommen hatte.

Deshalb blieb er stehen.

Er war schnell gelaufen und keuchte, sodass in der Kälte der Atem vor seinen Lippen kondensierte.

Harry Stahl hielt sich an der Wattseite der Insel Sylt auf, zwischen Keitum und Braderup. Er hatte das Eiland nicht im Sommer besucht, wo es überquoll von Touristen, sondern im Winter, einer Jahreszeit, die der Insel einen besonderen Reiz verlieh. Eigentlich erlebte man in diesen Monaten das wahre Sylt, und das wussten auch die Kenner der Insel, die seit Jahren immer wieder diesen Flecken besuchten, der durch den Hindenburgdamm mit dem Festland verbunden war.

Stahls Atem hatte sich wieder beruhigt. Mit beiden Händen stellte er den Kragen seiner Jacke hoch. Die Kälte biss ihm ins Gesicht. Rechts von ihm lag das Watt. Eine weite Fläche unterschiedlicher Farbschattierungen. Vom totenbleichen Weiß in ein dunkles Grau übergehend. Bewegungslos. Vereist. Darüber dehnte sich der Winterhimmel, der so endlos erschien, als wollte er hinein in die Ewigkeit fassen. Er war nicht so sonnenklar, gab sich an diesem Tag leicht bedeckt und diesig, aber die Sonne war zu sehen, auch wenn sie wie ein gelbes Auge wirkte, vor das hauchdünne Lappen gelegt worden waren, um sie so verschwommen erscheinen zu lassen. Es war keine Sonne, die den Menschen Wärme gab. Im Winter wirkte sie wie der kalte Gruß eines gefährlichen Dämons.

Vögel segelten durch die Luft. Auch sie flogen träge. Die Möwen schrien um die Wette, als wollten sie nach jedem Flügelschlag ihren Protest über die Kälte abgeben. Auch die Vögel sahen grau und blass aus. Sie passten sich dem Wetter an. Es war windstill geworden. Glücklicherweise. Bei einem scharfen Wind aus West oder Nord wäre es Harry zu dieser Jahreszeit viel zu kalt gewesen.

Aber auch so waren nur wenige Menschen unterwegs, nur zweimal waren dem Mann andere Gäste entgegengekommen. Zwei Frauen auf ihrem morgendlichen Ausritt und ein junges Paar auf der Wanderschaft. Beide trugen Rucksäcke.

Eine Traumlandschaft. Erstarrte Welt. Eis und Kälte. Bewegungsloses Wasser, auf dem die Eisbrocken schimmerten. Auch das von Raureif überzogene Gras glitzerte in der Sonne.

Es waren nur ein paar Schritte bis zum Beginn des Watts, und Harry Stahl drehte sich nach rechts, damit er den schmalen Pfad durchschreiten konnte, der ihn zu seinem Ziel führte. Noch herrschte Ebbe, aber die Flut würde bald kommen und das Eis wieder in Bewegung setzen. Dann würde es auch den gefrorenen Tang und all die Muscheln und Steine überspülen, die sich auf dem Boden abgesetzt hatten.

Harry hörte das Knistern, als er das Gras zertrat. Ansonsten war es still wie in einer Kirche. Er schaute nach Norden, wo sich der Ort List befand. Dort gab es auch einen kleinen Hafen, ebenso wie an der Südspitze der Insel, in Hörnum. Von beiden Häfen aus fuhren die Touristenschiffe zu den umliegenden Inseln wie Föhr oder Amrum, aber auch ein Ausflug nach Dänemark war möglich.

Harry zertrat die dünne Eisschicht einer Pfütze, und wenig später erreichte ein dumpfes Rauschen seine Ohren. Er kannte es. Das Geräusch stammte von einem der zahlreich fahrenden Züge, die über den Damm rollten.

Es war alles perfekt. Es sah so wunderbar aus. Der Himmel, das Watt, einfach alles, aber da war noch das Gefühl. Dieser Hauch von Gefahr, den Harry einfach nicht unterschätzte. Und er war nicht zum Spaß auf die Insel gekommen, auch wenn es so aussah, als würde er Urlaub machen, aber er hatte einen Job zu erledigen, der verdammt gefährlich werden konnte.

Es ging um einen Mann namens Karel Beckmann.

Viel mehr als den Namen hatte man ihm nicht genannt. Er wusste nur, dass Beckmann in Keitum lebte, in einem wunderschönen Reetdachhaus.

Ob er so harmlos war, wie er sich gab, das sollte Harry Stahl herausfinden, denn sein Arbeitgeber – im weitesten Sinne die Regierung – glaubte nicht daran. Beckmann hatte Dreck am Stecken, sehr viel Dreck sogar!

Es hatte Zeiten gegeben, da war er für die Regierung tätig gewesen, aber das war lange her. Beckmann hatte sich auf die Insel zurückgezogen, um nach dem Quittieren seines Dienstes einem Hobby zu frönen, das er früher nur selten hatte wahrnehmen können. Er malte für sein Leben gern, und seine Bilder, von denen Stahl einige als Fotografien gesehen hatte, zeigten eine Düsternis, die einen Betrachter erschrecken musste. Als hätte Beckmann all die Facetten seines Unterbewusstseins dort verewigt. Sie waren grausam, sie waren apokalyptisch, und das kam nicht von ungefähr, wie man in gewissen Kreisen vermutete, aber leider nichts beweisen konnte. Es war nur zu einigen unerklärlichen Vorfällen in Beckmanns Nähe gekommen. Da waren plötzlich Menschen verschwunden, einfach so, als wären sie von der Welt verschluckt worden, und dies immer dann, wenn Beckmann in der Nähe war.

Während seiner Zeit als Agent war dies geschehen, aber auch noch später auf der Insel.

Man konnte ihm nichts beweisen, aber der Verdacht blieb bestehen, und Harry Stahl sollte dafür sorgen, dass dieser Verdacht zur Gewissheit wurde. Wenn es zutraf, sollte er Beckmann unschädlich machen.

Gesehen hatte er ihn bisher nur einmal. Aus einer gewissen Distanz. Er hatte ihn nicht angesprochen, aber er hatte schon gespürt, dass diese Person eine besondere Ausstrahlung hatte, die bei Harry eine Gänsehaut verursachte.

Der Maler war ein besonderer Mensch. Einer wie keiner. Jemand, der möglicherweise mit Mächten in Verbindung stand, die Harry Stahl aufzuspüren hatte.

Von der Rückseite seines Hauses her konnte Beckmann über das Watt hinwegschauen. Nur war dieses Haus von Harry nicht zu sehen, weil ihm eine hohe Böschung die Sicht nahm, auch auf die berühmte Keitumer Fischerkirche mit dem Friedhof darum.

Vom Watt aus waren einige Dächer zu sehen, auch die Ausschnitte einiger Fenster, ansonsten nur der blasse Winterhimmel.

Ruhig lag das Watt.

Still wie immer. Und an diesem Tag beherrscht von einer Eiseskälte, als sollte es nie mehr aus seinem starren Schlaf erwachen.

Harry drehte sich wieder um. Er befand sich noch in der Bewegung, als er die Schreie hörte. Es waren schrille Schreie, überspitzt, überdehnt, aber nicht vom Menschen stammend. Sofort fuhr der Mann wieder herum. Er sah die Wolke als flatterndes Etwas vom flachen Watt her in die Höhe stieben. Ein Wirrwarr aus Vögeln, die schrien, als wären sie in Netzen gefangen, ohne sich daraus befreien zu können.

Stahl schaute hin. Das dünne Wasser lag nicht mehr still. Es bewegte sich plötzlich. Das Eis war gebrochen. Er sah kleine Wellen, und er glaubte auch, etwas brodeln zu sehen, und zwar im flachen Wasser. Die Vögel waren verschwunden. Sie trieben als flatternde Wolke in Richtung Süden, und andere flogen nicht herbei. Sie mieden eine gewisse Stelle über dem Watt, in dem die Eisschicht aufgerissen war und das Wasser brodelte, jetzt sogar schäumte, als wäre es in der Tiefe erhitzt worden.

Das war nicht natürlich. Das stellte die Naturgesetze auf den Kopf. Irgendetwas stimmte dort nicht. Harry Stahl merkte, dass er sich nicht bewegen konnte. Er stand voll und ganz unter dieser unheimlichen und unerklärlichen Faszination.

Warten. Nicht hingehen. Obgleich er den Drang verspürte. Das Wasser bewegte sich auch jetzt noch. Es war dunkler geworden, als hätte es etwas aus einer unheimlichen Tiefe hervor an die Oberfläche geholt, das sich aber noch verborgen hielt.

Durch Harrys Adern floss eine lähmende Kälte. Im Gegensatz dazu spürte er die Wärme im Gesicht. Ein regelrechtes Feuer unter der Haut. Er wusste plötzlich, dass er Zeuge von etwas Unerklärlichem oder Unheimlichen wurde, und er wartete weiter.

Was kam da?

Seine Augen brannten vom langen Starren, aber er ließ es nicht aus den Augen.

Das Loch, das Wasser, das Brodeln, die plötzlichen und heftigen Wellen, die sogar auf den Strand zuflossen, als wollten sie auch ihn überspülen.

Was geschah dort?

Das Brodeln nahm zu. Harry hörte ein dumpfes, bösartiges Geräusch, und urplötzlich, ohne Vorwarnung, schoss etwas aus dem Loch hervor, das sich wie ein gewaltiger, schwarzer Arm gen Himmel drehte, als wäre eine Ölfontäne hervorgeschossen.

Das war es nicht. Harry wusste selbst nicht, um was es sich handelte.

Sein Gesicht zeigte ein angstvolles Staunen, aber er ließ diesen dunklen Arm nicht aus dem Blick.

Er stand in der Luft, nachdem er eine gewisse Höhe erreicht hatte, als wollte er dem Zuschauer drohen. So erhielt Harry Stahl die Gelegenheit, ihn sich genauer anzuschauen.

Nein, er war nicht nur schwarz oder ölig. An den zuckenden Außenseiten und sicherlich auch innen zeichneten sich grüne Maserungen ab. Im Zickzack verlaufende Streifen, dick wie Adern, durch die kein normales Blut floss, dafür aber eine widerliche Flüssigkeit, die den Zuschauer an gefärbtes Öl erinnerte.

Harrys Blick wanderte hoch bis zur Spitze. Sie stand nicht ruhig, denn sie zuckte hin und her, als befände sich dort ein Maul, das sich öffnete und wieder schloss. Fast wie das Rüsselende eines Elefanten. Dann zuckte der monströse Arm. Er sah aus, als wollte er etwas von sich schleudern, das ihn gestört hatte.

Er zuckte auch nicht, als er sich in Harrys Richtung drehte und sich dabei leicht neigte, wobei er in Stahls Richtung wies.

Harry spürte die Warnung in seinem Innern. Sie durchglitt ihn wie ein Messerstich. Es war das Unterbewusstsein, das ihm noch mal eine Chance gab zu überleben, wenn er das Richtige tat. Er wusste nicht, wie hoch dieser unerklärliche Arm über ihm schwankte, aber wenn er sich senkte und ein Ziel suchte, würde er ihn auch erreichen.

Es gab nur eine Chance für ihn.

Harry wartete noch einen Augenblick ab. Er sah das Zucken des Arms oder Tentakels. Das Peitschen durch die Luft, und er wusste, dass es so etwas wie ein Anlauf war.

Mit voller Wucht bewegte sich der Riesenarm auf den Erdboden und damit auch auf Harry Stahl zu.

Der wirbelte herum.

Er betete noch, dass er nicht auf einer dieser verdammten Eispfützen ausrutschte, dann rannte er so schnell wie möglich der Böschung entgegen ...

Schaffte er es? Das unerklärliche Untier über ihm verfolgte ihn. Es war schnell. Es war gierig darauf, einen Menschen zu verschlucken. Während Stahl seine Beine bewegte, u rein wieder in den Sinn, weshalb er sich überhaupt auf der Insel aufhielt. Er sollte herausfinden, warum die Menschen verschwunden waren, und plötzlich konnte er sich vorstellen, dass es jemanden gab, der sie geholt hatte, aber diese Parallele wiederum verblasste, denn er musste nur an sich selbst denken.

Harry sah den Buckel nicht, geriet ins Trudeln und stürzte. Es ging u rei schnell. Kein Halt mehr, dafür der Fall und der Aufprall.

Stahl rollte sich ab, kaum dass er Bodenberührung bekommen hatte. Die Furcht vor dem monströsen Tentakel beherrschte ihn noch immer. Die gefrorenen Grashalme streiften seine Gesichtshaut wie Spinnenbeine. Kaltes Moos berührte ihn. Ein Zweig stach gegen seinen Nacken, als wollte er die Haut dort durchbohren. Er kam auf dem Rücken zu liegen und sah durch seine weit geöffneten Augen den Himmel wie ein zuckendes, grauweißes Puzzle, das sich hin- und herschob, bevor der Schatten in sein Blickfeld geriet.

Schmal, lang und zuckend.

Es war der Arm, der noch über ihm schwebte, sich dann tiefer senkte, wobei es dem auf dem Rücken liegenden Mann so vorkam, als wäre er dabei, sich zu verkleinern. Er prallte auf. So heftig, dass Harry es spürte. Er wollte es nicht, aber der Schrei drang automatisch aus seinem Mund, und es dauerte einige Sekunden, bis er begriff, dass ihn dieser Tentakel nicht erwischt hatte.

Harry drehte sich nach links. Es war die falsche Richtung, wie er sehr bald feststellte, denn er sah von seinem unheimlichen Feind nichts. Nur das flache Gelände lag vor seinen Augen, überdeckt vom gräulichen Winterhimmel.

Der Mann wusste auch, dass er diesen Strandabschnitt verlassen musste.

Seiner Meinung nach war dieser Tentakel länger als der eines normalen Kraken, er u re überhaupt nicht in das Watt hinein und wirkte wie aus der Hölle entlassen.

Schwungvoll setzte sich Harry hin. Beim Aufprall hatte er sich nichts getan. Weder Prellungen noch Verstauchungen waren zurückgeblieben, der Agent und ehemalige Kommissar fühlte sich fit. Er wollte seine Flucht automatisch fortsetzen, doch als er nach rechts schaute, vergaß er den Gedanken wieder.

Er sah das Untier. Oder vielmehr diesen Arm oder Tentakel, der wie ein langer, zuckender Schlauch aus dem Watt hervorgekrochen war und nun platt auf dem Boden lag. Die Haut glänzte dunkel. Sie war schmutzig geworden. Sand klebte an ihr, aber das nahm Harry nur wie nebenbei wahr, denn er sah auch diese Öffnung am Ende, ein Maul, das ebenso zuckte wie der Arm.

Harry stand auf. Er ging dabei zurück. Somit brachte er noch mehr Distanz zwischen sich und diesem Wesen, dessen Herkunft und Existenz er sich nicht vorstellen konnte. Er musste es einfach hinnehmen, und er dachte dabei an sein mieses Gefühl zuvor, aber auch daran, dass mehrere Menschen verschwunden waren. Stahl konnte sich plötzlich vorstellen, dass sie geholt worden waren.

Bei einem Menschen wie ihm war die Neugierde u rein als die Furcht vor dem Unerklärlichen. Aus diesem Grunde u r er nicht fort und wollte zuschauen, was dieser Tentakel noch alles tat. Er hoffte nur, dass sich ausgerechnet jetzt keine Spaziergänger an diesen Strandabschnitt verirrten. Sie hätten eine zu leichte Beute für diesen Arm u rei können. Überhaupt musste er sich von der Vorstellung befreien, es nur mit einem Arm zu tun zu haben. Dazu gehörte sicherlich ein Körper, der aber war leider u rein sehen. Er musste irgendwo unter dem Watt verschwunden sein. Eine andere Erklärung hatte Harry nicht.

Der Arm bewegte sich hin und her. Er schabte dabei über den Boden, als wollte er ihn glätten. An ihm klebte der Sand ebenso wie an Harrys Kleidung. Er rieb ihn automatisch ab – und wurde für einen Moment starr, als sich der Tentakel in die Höhe schwang.

Er tat es mit einer trägen Bewegung, als hätte er alle Zeit dieser Welt. Manche Elefanten bewegten ihre Rüssel so träge, und als der Monsterarm eine bestimmte Höhe erreicht hatte, da blieb er für eine Weile in der Luft hängen.

Locker pendelte er hin und her. Vergleichbar mit dem abgeknickten Sehrohr eines U-Boots, das aus dem Wasser hervorschaute und erkunden wollte, ob die Luft rein war.

Harry Stahl zog sich sicherheitshalber noch weiter zurück. Er hatte sich leicht geduckt. Dieser Anblick vor ihm war schon rätselhaft und schlimm, und auf Harrys Rücken war eine Gänsehaut zurückgeblieben. Zudem war er davon überzeugt, nur einen Teil gesehen zu haben, der größere steckte noch tief im Watt verborgen.

Der lebende Schlauch, der ungefähr die Dicke zweier Männerbeine hatte, tanzte noch einmal über dem Boden, dann sank er zusammen, klatschte auf und zog sich zurück.

Sehr schnell glitt er über den flachen Boden hinweg in Richtung Wattenmeer. Eine Schleifspur zeichnete nach, dass es ihn überhaupt gegeben hatte, denn er war bald verschwunden. Das Wasser u rein. Die kleinen Eisinseln zerbrachen mit splitternden und knisternden Geräuschen. Schlamm wurde in die Höhe geschleudert, und dann war von diesem langen Tentakel nichts mehr zu sehen.

Dafür hörte Harry ein Geräusch. Über ihn hallte das helle Geräusch der Fahrradklingeln durch die Luft, und Stahl drehte sich um.

Oben auf der Böschung fuhren zwei Kinder mit ihren Fahrrädern vorbei. Sie klingelten weiter, sie winkten Harry sogar zu. An Stangen flatternde Wimpel schickten ebenfalls Grüße herüber.

Harry atmete auf. Er war froh darüber, dass die Kinder kurz nach dem Verschwinden des Monsterarms erschienen waren. Vorher wäre es schlimmer gewesen.

Er war wieder allein. Tief atmete er durch. Trotz der Kälte fühlte er sich verschwitzt. Seine Kleidung sah aus, als hätte er sich durch Schlamm gewühlt. Im Hotel würde man ihn schon anstarren, wenn er zurückkehrte.

Aber das war alles zweitrangig. Ihm ging es um andere Dinge. Dieses Monstrum konnte er nicht vergessen. Wobei der Begriff Monstrum so nicht stimmte. Er hatte nur einen Teil davon gesehen, einen Arm, aber das hatte ausgereicht und gab natürlich zu zahlreichen Spekulationen Anlass.

Wenn dieser Arm schon so dick und lang aussah, wie mochte dann erst der Körper erscheinen? Harry hatte keine Vorstellung von ihm, aber er beschäftigte sich schon mit dem Gedanken, u rein derartiger Tentakel zu einem Riesenkraken oder einem ähnlichen Ungeheuer gehörte, das sich tief im Sand und Schlick des Watts vergraben hatte. Etwas Unheimliches hatte bisher das Licht des Tages gescheut, war möglicherweise Jahrhunderte über im Boden verborgen geblieben, aber nun hatte es den Weg u rein angetreten und sich bereits Opfer geholt.

Es waren ja drei Menschen verschwunden. Deshalb hatte man Harry Stahl geschickt. Die Vorgesetzten in der geheimen Dienststelle waren beunruhigt gewesen, und Harry wusste nun, dass er hier keinen Urlaub verbringen würde, so gern er es auch getan hätte, denn er hatte die Insel bereits in sein Herz geschlossen.

Auf ihn wartete Arbeit. Was auch wieder u rein war, denn diesen Begriff setzte er mit einem anderen gleich – mit Horror.

Geschichten strichen durch seinen Kopf. In alten Büchern hatte er früher als Kind die Erlebnisse der Seefahrer gelesen. Da war oft genug von Meerungeheuern die Rede gewesen, und ein derartiges Ungeheuer hatte er hier auch gesehen. Zumindest wollte er den Gedanken nicht von sich weisen, denn was da aus dem Watt gekrochen war, das konnte rational nicht erklärt u rei. Da steckte Böses dahinter. Irgendein Monstrum, das möglicherweise schon vor Jahrtausenden in der Erde gelauert hatte und nun zum Vorschein gekommen war.

Wieso? Warum erst jetzt? Gab es einen Grund? Oder hatte es dieses Ungeheuer erst jetzt geschafft, sich aus den Tiefen hoch an die Oberfläche zu wühlen?

Harry kam noch auf keine Lösung. Er war nach allen Seiten hin offen. Zudem wollte ihm ein gewisser Gedanke nicht aus dem Kopf. Es konnte durchaus möglich sein, dass dieses Monstrum vielleicht nicht aus eigenem Antrieb handelte, sondern möglicherweise gelenkt worden war. Von einer Kraft, die hier irgendwo auf der Insel lauerte und sich noch versteckt hielt. Tief atmete er aus. Der warme Atem strich an seinem Gesicht hoch. Er ging einige Schritte auf das Watt zu, um es genauer kontrollieren zu können. Es lag wieder ruhig da.

Er drehte sich um.

Die Rätsel waren nicht u rein geworden, und in seinem Kopf hatte sich bereits ein Gedanke festgesetzt. Harry Stahl konnte sich vorstellen, dass dieser Fall über seine Kräfte gehen würde. Er brauchte Hilfe. Allerdings weniger von der örtlichen Polizei, als von einem Mann, der in London wohnte, Geisterjäger war, und zu Harrys guten Freunden zählte: John Sinclair.

Es war Harry nicht peinlich, ihn anzurufen. Damit gestand er sich keine Niederlage ein, denn es war abgemacht, dass er John Sinclair immer dann informierte, wenn es Fälle gab, die von einem Mann allein nicht gelöst u rei konnten.

Diese Zusammenarbeit hatte sich schon des Öfteren bewährt, und auch jetzt wollte Harry wieder darauf zurückgreifen.

Nicht weit entfernt durchschnitt der schmale Pfad die Breite der Böschung. Harry stiefelte an dieser schrägen Ebene hoch, und er blieb stehen, als er das Ende erreicht hatte.

Von dort aus schaute er sich um.

Der Blick zurück ließ ihn leicht frösteln, obwohl er von dem Monstrum nichts mehr sah. Es hatte sich wieder in das Versteck in der Tiefe zurückgezogen.

Harry traute dem Frieden nicht. Er sah düstere Wolken über Sylt schweben, und auch der Druck im Magen nahm zu. Lange zögern wollte er auf keinen Fall. Noch an diesem Morgen würde er den Geisterjäger in London anrufen.

Mit diesem für ihn erfreulichen Gedanken ging er zurück zu seinem Hotel, das in Keitum lag.

Boris Beckmann wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber das Erwachen gefiel ihm überhaupt nicht. Es war schlimm, er kam sich vor wie von der normalen Welt fortgetragen und schwebte irgendwo im luftverdünnten Raum zwischen Galaxien und Sternen.

Er war da, aber es gab ihn trotzdem nicht. Etwas hielt ihn gefangen. Er trudelte durch eine fremde Welt, und er spürte auch die fremden Einflüsse.

Er rollte sich herum.

Der Fall.

Der Aufschlag.

Der Schrei!

Obwohl Beckmann ihn selbst ausgestoßen hatte, war er an seine Ohren gedrungen wie aus weiter Ferne, als hätte sich jemand anderer bei ihm gemeldet.

Er spürte auch den Druck an seiner Stirn, der schon in einen leichten Schmerz überging. Die Botschaft stand für ihn fest. Er war mit der Stirn aufgeschlagen. Zwar nicht auf den harten Boden, sondern auf den Teppich. Er hatte diesen Aufprall gedämpfter mitbekommen.

Boris Beckmann blieb liegen. Er konnte nicht mehr aufstehen.

Er fühlte sich völlig ermattet, leer, ausgesaugt und ausgepumpt. Als hätte man von ihm nur mehr eine Hülle zurückgelassen und alles andere aus seinem Körper weggezogen.

Zwar lag der Mann auf dem Bauch. Den Kopf aber hatte er zur linken Seite gedreht. Der Mund war nicht geschlossen. So tropfte der Speichel auf den Teppich und nässte auch das Kinn des Mannes, was Beckmann jedoch nicht weiter störte oder stören durfte, denn er konnte nichts dazu.

Er war nur der Spielball, der Gegenstand, der den anderen Mächten gehorchen musste.

Sie bestimmten, wann er schlapp oder wann er in Hochform war, um sich an die Staffelei zu setzen und die Werke zu malen, die ihm in gewissen Kreisen Ruhm und Geld eingebracht hatten.

Er wollte lachen.

Es wurde u rein Gurgeln, denn er hatte daran gedacht, was wohl seine Kunden und Käufer sagen würden, wenn sie ihn jetzt so liegen sahen.

Auf dem Boden, neben dem Bett. Als Unterlage nur einen dünnen Teppich, kaum dicker u rein Matte. Sie würden ihn auslachen, sie würden sich von ihm abwenden, sie würden gehen und vieles mehr.

Er rollte sich auf die Seite.

Es war mühsam genug, dies zu schaffen. Sein Körper schien sich zu weigern, die Befehle auszuführen, die das Gehirn ihm schickte. Er war einfach fertig. Er kam sich vor wie ein Boxer, der mehr als zehn Runden durchgestanden und durchlitten hatte.

Auf der Seite blieb er auch nicht liegen; er ging in eine Rückenlage und schaute nun an die helle Decke.

Nach dem plötzlichen Erwachen hatte er zunächst nicht gewusst, in welchem Zimmer seines Hauses er sich befand. Es war nicht sein Atelier, sondern der Raum, in dem er schlief. Hier standen nur das Bett und der Schrank.

Ein u rei Raum ohne persönliche Note.

Das war Beckmann recht. Für ihn gab es zwei Welten. Die der Arbeit und die des Schlafs. In der zweiten Welt brauchte er keine Atmosphäre, da hatte er ja die Augen geschlossen.

Noch immer steckte kein Funken Energie in seinem Körper. Er u re wie ein müder Wurm über den Boden. Der alte Eichenschrank hatte zwei Türen, aber beide waren geschlossen. Der Maler u re auf dieses Möbel zu. Nicht weil er es öffnen wollte, er wollte sich daran in die Höhe stemmen. Ohne eine derartige Hilfe würde er nicht auf die Beine kommen.

Vor dem Schrank blieb er liegen, auf dem Bauch und mit offenem Mund. Sein Keuchen war das einzige Geräusch, das er hörte. In seinem Kopf schien das Gehirn hin- und herzuschwimmen und ihn dabei kurzerhand mitzunehmen.

Er trieb davon, und die andere Welt näherte sich immer mehr, um ihn zu holen. Aber er blieb liegen.

Ausruhen, abwarten. Zunächst einmal nichts tun.